Sechsundzwanzigstes Kapitel.

[81] Ich habe ein neues Kapitel angefangen, damit ich Platz genug habe, die Art und Beschaffenheit der Verlegenheiten klar darzulegen, in welche sich mein Onkel Toby durch die Unterhaltungen und Fragen über die Belagerung von Namur, wo er seine Wunde erhielt, versetzt sah.

Wenn der Leser die Geschichte der Kriege Wilhelms I. gelesen hat, so erinnere ich ihn daran, – aber er hat sie nicht gelesen, also muß ich ihm sagen, daß eine der merkwürdigsten Attaken während jener Belagerung die war, welche die Engländer und Holländer auf die Spitze der vorgeschobenen Contrescarpe unter dem St. Nicolas-Thor, hinter welchem die große Schleuße lag, machten. Hier waren die Engländer dem Feuer des Bollwerkes und der Halbbastion St. Roche auf das Furchtbarste[81] ausgesetzt; der Ausgang dieses erbitterten Kampfes war mit wenigen Worten folgender: die Holländer setzten sich auf dem Bollwerke fest, während sich die Engländer, trotz aller Tapferkeit der französischen Offiziere, die mit Todesverachtung auf dem Glacis kämpften, zu Herren des gedeckten Weges vor dem St. Nicolas-Thor machten.

Da dies die Hauptattake war, welcher mein Onkel Toby als Augenzeuge beigewohnt hatte, – nur daß der Zusammenfluß der Maas und Sambre die Armee der Belagerer so trennte, daß kein Theil von den Operationen des andern Theiles etwas sehen konnte, – so war er über diesen Punkt gemeiniglich ganz besonders beredt und ausführlich, und die mancherlei Verlegenheiten, in die er gerieth, entstanden aus der unübersteiglichen Schwierigkeit, seine Geschichte verständlich zu erzählen und seinen Zuhörern von dem Unterschiede zwischen Scarpen und Contrescarpen – Glacis und gedecktem Wege – Halbmond und Ravelin eine so klare Vorstellung zu geben, daß sie ihn hätten begreifen und ihm folgen können.

Selbst Schriftgelehrten passirt es, daß sie diese Ausdrücke verwechseln, und so darf es wohl nicht Wunder nehmen, wenn meines Onkels Bemühungen, sie zu erklären und ihre falsche Auffassung zu berichtigen, meist nur dazu dienten, seine Gäste (manchmal auch ihn selbst) noch mehr zu verwirren.

War also der Besuch, den mein Vater hinaufführte, nicht gerade von besonders scharfer Auffassungskraft, oder war mein Onkel Toby nicht in einer besondern Verfassung, sich klar zu machen, so blieb es, ehrlich gesagt, ein schwieriges Ding, die Unterhaltung von Dunkelheit frei zu halten.

Was die Erzählung dieser Begebenheit noch verwickelter für meinen Onkel Toby machte, war der Umstand, daß der Angriff auf die Contrescarpe vor dem St. Nicolas-Thor, welcher sich von dem Ufer der Maas bis hinauf zu der großen Schleuße erstreckte, – auf einem Terrain stattgefunden hatte, welches nach allen Seiten hin von vielen Deichen, Gräben, Bächen und Schleußen durchschnitten und coupirt war, und er sich darin bald so verirrt und festgerannt sah, daß er häufig genug weder vor- noch rückwärts[82] konnte, um sein Leben zu retten; in solchem Falle war er genöthigt, blos aus diesem Grunde, den Angriff aufzugeben.

Diese mißlungenen Versuche verursachten meinem Onkel mehr Pein, als man hätte glauben sollen, und da meines Vaters liebevolle Gesinnung für ihn immer neue Freunde und neue Frager herbeischleppte, so hatte er es in der That schwer genug.

Unbezweifelt besaß mein Onkel Toby eine große Selbstbeherrschung, er hatte sich so gut wie Einer in der Gewalt; dennoch kann man sich vorstellen, wie er innerlich fluchen und schäumen mochte, wenn er sich aus dem Ravelin nicht anders wieder herausfand, als indem er in den Halbmond gerieth, oder die Contrescarpe hinunterfallen mußte, um sich aus dem gedeckten Wege zu retten, oder Gefahr lief in den Graben zu stürzen, wenn er über den Deich mußte; das that er denn auch ehrlich, und diese kleinen, allstündlichen Widerwärtigkeiten mögen denen vielleicht geringfügig und der Beachtung unwerth erscheinen, die den Hippokrates nicht gelesen haben, – jeder Andere, der ihn oder den Dr. James Mackenzie gelesen und darüber nachgedacht hat, welche Wirkungen Leidenschaft und Gemüthsaufregung auf die Verdauung ausüben, (warum nicht aber ebenso gut auf die einer Wunde als die eines Mittagsessens?), – der wird leicht begreifen, welche schädlichen Reizungen und Verschlimmerungen sie der Wunde Onkel Toby's bringen mußten.

Mein Onkel Toby konnte darüber nicht philosophiren, er fühlte nur, daß dem so sei, und nachdem er drei ganzer Monate die Qualen und Schmerzen ausgehalten, war er entschlossen, sich auf die eine oder andere Weise davon zu befreien.

Eines Morgens lag er in seinem Bette, auf dem Rücken, denn die Beschaffenheit seiner Wunde und die Qual, die sie ihm verursachte, erlaubten ihm keine andere Lage; da kam ihm der Gedanke in den Kopf: wenn er so ein Ding wie einen Plan der Stadt und Festung Namur kaufen könnte, und wenn er ihn dann auf eine Tafel kleben ließe, – das würde ihm wohl Ruhe verschaffen. – Ich bemerke hier, daß er die Umgebungen der Stadt und Festung deshalb mitzuhaben wünschte, weil er seine Wunde[83] in einer der Traversen, ohngefähr 30 Toisen von dem Rückzugswinkel des Laufgrabens, gegenüber dem vorspringenden Winkel der Halbbastion St. Roche erhalten hatte, so daß er, wie er sicher meinte, die Stelle, wo ihn der Stein getroffen, genau mit einer Nadel würde bezeichnen können.

Sein Wunsch ging in Erfüllung, und so sah sich mein Onkel Toby nicht allein endloser, unangenehmer Erklärungen überhoben, sondern dieses glückliche Auskunftsmittel half ihm auch, wie wir später sehen werden, zu seinem Steckenpferde.

Quelle:
Sterne [, Lawrence]: Tristram Shandy. Band 1, Leipzig, Wien [o. J.], S. 81-84.
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