Siebentes Kapitel.

[20] In demselben Dorfe, wo mein Vater und meine Mutter wohnten, wohnte auch eine Hebamme, eine hagere, redliche, pflegsame, geachtete, gute alte Person, die sich durch ein wenig gesunden Menschenverstand und durch jahrelange Uebung in ihrem Geschäfte, bei dem sie sich stets mehr auf die Leistungen der Mutter Natur als auf ihre eigenen verlassen, einen in ihrer Art nicht unbedeutenden Ruf in dieser Welt erworben hatte. Nun muß ich aber Ew. Wohlgeboren hier sogleich darüber ins Klare setzen, daß dieser Ausdruck »Welt« nicht mehr bedeuten soll, als einen ganz kleinen Kreis auf dem großen Weltkreise, so ohngefähr von 4 englischen Meilen im Durchmesser, von welchem Kreise das Häuschen, in dem das gute alte Weib wohnte, als Mittelpunkt gedacht werden muß. Sie war, so scheint es, in ihrem 47. Lebensjahr als Wittwe mit drei oder vier Kindern nachgeblieben, und da sie zu jener Zeit eine Person von anständiger, ernster Haltung, ein Weib von wenig Worten und überdies ein Gegenstand des Mitleids war, dessen traurige Lage, je weniger sie selbst darüber klagte, desto lauter nach mildthätiger Hülfe rief, so wurde die Frau des Dorfpfarrers von Erbarmen ergriffen. Diese hatte nun schon oft über einen[20] Uebelstand geklagt, unter welchem die Gemeinde ihres Mannes seit vielen Jahren litt, und der darin bestand, daß man selbst in den dringendsten Fällen im Dorfe keine Hebamme haben konnte, man hätte sie denn aus einer Entfernung von wenigstens 6-7 langen Meilen herbeiholen müssen, welche besagten sechs bis sieben langen Meilen in dunkeln Nächten und bei schlechten Wegen, wie sie in dem tiefen Lehmboden der Umgegend nur zu häufig waren, für vierzehn gerechnet werden mußten, so daß es oft ebenso gut war, als ob gar keine Hebamme zu haben gewesen wäre. Deshalb kam es ihr in den Sinn, welch eine große Wohlthat es für das ganze Kirchspiel und für die arme Frau insbesondere sein würde, wenn man diese in den hauptsächlichen Handgriffen des Geschäftes unterrichtete und ihr dasselbe dann übertrüge. Da aber keine Frau in der ganzen Umgegend geeigneter war, diesen Plan auszuführen, als die gute Pfarrerin selbst, die ihn gefaßt hatte, so unterzog sie sich in christlicher Liebe auch dieser Mühe, und ihr großer Einfluß auf den ganzen weiblichen Theil des Kirchspiels bewirkte, daß sie keine weitere Schwierigkeiten fand, ihren Wunsch ins Werk zu setzen. Es ist wahr, auch der Pfarrer interessirte sich für die Angelegenheit, und um die Sache in die gehörige Ordnung zu bringen und der armen Seele das Recht auf Praxis, welches seine Frau ihr durch Belehrung gegeben, auch gesetzmäßig zu verschaffen, bezahlte er großmüthig die Kosten für die gerichtliche Licenz, die sich auf 18 Sh. 4 P. beliefen, so daß also mit Hülfe beider Ehegatten das gute Weib in den wirklichen und persönlichen Besitz ihres Amtes sowie aller damit verbundenen »Rechte, Nutznießungen und Apartenenzien, welcher Art sie immer seien«, eingesetzt wurde.

Diese eben angeführten Worte waren, wie ich erwähnen muß, nicht übereinstimmend mit der alten Form, in welcher dergleichen Licenzen, Patente und Gewerbscheine bisher abgefaßt und in ähnlichen Fällen der Schwesterschaft ausgehändigt worden waren, sondern es war eine feine Formel von der eigenen Erfindung des Didius, der eine ganz absonderliche Neigung hatte, alle Arten gerichtlicher Dokumente zu zerlegen und neu zu verbinden,[21] und der nicht nur diese zierliche Verbesserung ersonnen hatte, sondern auch viele alten Damen besagten Gewerbes dazu vermochte, ihre Patente noch einmal vorzustellen, damit dieser Schnörkel nachträglich hineingeschoben werde.

Ich muß gestehen, daß ich Didius nie um diese Einfälle beneidet habe, – aber Jeder hat seinen eigenen Geschmack. Machte es nicht dem Dr. Kunastrokius das größte Vergnügen von der Welt, den Eseln die Schwänze zu strählen und die abgestorbenen Haare mit den Zähnen auszureißen, obgleich er immer ein Zänglein in der Tasche führte? Ja, Sir, wenn wir ein mal davon reden, haben nicht die weisesten Menschen aller Zeiten, Salomo selbst nicht ausgenommen, ihre Steckenpferde gehabt: ihre Renner, ihre Münzen und Muscheln, ihre Trommeln und Trompeten, ihre Geigen, Paletten, Raupen und Schmetterlinge? Und so lange Jemand sein Steckenpferd in Ruhe und Frieden auf offener Landstraße reitet, so lange er weder Sie noch mich zwingt, hinten aufzusteigen, – was in aller Welt, Sir, geht es dann Sie oder mich an?

Quelle:
Sterne [, Lawrence]: Tristram Shandy. Band 1, Leipzig, Wien [o. J.], S. 20-22.
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