Einhundertundneunundfünfzigstes Kapitel.

[229] – Die Alten, Bruder Toby, sagte mein Vater, stimmen darin überein, daß es zwei verschiedene Arten von Liebe giebt je nach den verschiedenen Theilen, die sie ergreift, welche entweder das Gehirn oder die Leber sein können; – und so, meine ich, steht es jedem Menschen, der verliebt ist, zu, zu erwägen, welche von den beiden Arten der Liebe über ihn gekommen ist.[229]

– Was kommt darauf an, Bruder Shandy, erwiederte mein Onkel Toby, welche von beiden es ist, wenn sie nur das zu wege bringt, daß ein Mensch heirathet, seine Frau liebt und ein paar Kinder bekommt.

– Ein paar Kinder, rief mein Vater, – dabei sprang er vom Stuhle auf und sah meiner Mutter gerade ins Gesicht, während er sich zwischen ihrem und Dr. Slops Stuhl hindurch drängte – ein paar Kinder, wiederholte er und ging auf und ab.

Plötzlich besann er sich und trat nahe an Onkel Toby's Stuhl heran: Du mußt nicht glauben, lieber Bruder Shandy, sagte er, daß es mir nicht recht wäre, wenn Du ein halbes Schock hättest, im Gegentheil, ich würde mich freuen und wollte jedem Deiner Kinder, Toby, ein Vater sein.

Meines Onkel Toby's Hand schlich sich unbemerkt hinter seinen Stuhl, um die meines Vaters zu drücken.

– Gewiß, fuhr dieser fort und hielt meines Onkel Toby's Hand fest, – Du hast so viel von der Milch menschlicher Natur und so wenig von ihren Säuren und Salzen in Dir, daß es schade wäre, wenn die Welt nicht mit Wesen, die Dir gleichen, bevölkert würde; und wäre ich ein asiatischer Despot, fügte mein Vater, ganz warm von diesem neuen Gedanken, hinzu – so würde ich von Dir verlangen, – vorausgesetzt, daß es Dich nämlich nicht zu sehr anstrengte, oder Deine Urfeuchtigkeit zu sehr austrocknete, oder Dein Gedächtniß, Bruder Toby, und Deine Einbildungskraft schwächte, was derartige Leibesübungen, wenn sie nicht rationell betrieben werden, allerdings zur Folge haben, – aber sonst würde ich Dir die schönsten Weiber in meinem Reiche übergeben, lieber Toby, und von Dir verlangen, daß Du mir nolens volens wenigstens einen Unterthanen per Monat in die Welt setztest.

Als mein Vater seinen Satz geendigt hatte, nahm meine Mutter eine Prise.

Nein, sagte mein Onkel Toby, nolens volens, d.h. ob ich wollte oder nicht, möchte ich kein Kind in die Welt setzen, nicht dem mächtigsten Herrscher der Welt zu Liebe.

– Und grausam würde es von mir sein, Bruder Toby,[230] Dich dazu zu zwingen, sagte mein Vater; aber ich stellte den Fall nur auf, um Dir zu zeigen, daß es sich hier weniger um das Kinderindieweltsetzen, wenn Du dazu fähig bist, als um die Theorie der Liebe und der Ehe handelt, die ich Dir begreiflich machen wollte.

– In Kapitän Shandy's Ansicht von der Liebe ist wenigstens ein gut Theil Vernunft und gesunder Menschenverstand, sagte Yorick, mehr als ich aus alle den blühenden Dichtern und Rednern schöpfen konnte, mit deren Lektüre ich leider manche Stunde meines Lebens vergeudet habe.

– Ich wünschte, Yorick, sagte mein Vater, daß Sie Plato gelesen hätten; aus ihm würden Sie gelernt haben, daß es zweierlei Arten Liebe giebt. – Ich weiß, erwiederte Yorick, daß es bei den Alten zweierlei Arten Religion gab, eine für das gemeine Volk, die andere für die Gebildeten, aber ich meine, eine Liebe wäre für beide genug gewesen.

– Das ging nicht, erwiederte mein Vater, – aus demselben Grunde nicht; denn von diesen beiden Arten der Liebe ist nach Ficinus' Kommentar zu Velasius

die eine geistig,

die andere natürlich;

die erste, die alte, ohne Mutter, mit der Venus nichts zu thun hat; die zweite, die von Jupiter und Dione erzeugte.

– Aber, Bruder, sagte mein Onkel Toby, was geht das einen guten Christen an? – Mein Vater konnte hierauf nicht antworten, um den Faden seiner Rede nicht zu zerreißen.

– Die Letztere, fuhr er fort, trägt ganz die Natur der Venus an sich.

Die Erstere, welche die goldene Kette ist, die vom Himmel niedergeht, regt zur heroischen Liebe an, welche in sich begreift und wiederum anregt die Begierde nach Weisheit, – die andere regt einfach nur zur Begierde an.

– Ich bin der Ansicht, sagte Yorick, daß das Erzeugen von Kindern für die Welt ebenso wohlthätig ist, als die Längenmessung –[231]

– Ganz gewiß, sagte meine Mutter, Liebe erhält den Frieden der Welt.

– Des Hauses, meine Liebe, das gebe ich zu.

– Sie füllt die Erde, sagte meine Mutter.

– Aber sie läßt den Himmel leer, meine Liebe, erwiederte mein Vater.

– Jungfräulichkeit füllt den Himmel, rief Dr. Slop triumphirend.

– Gut getroffen, Nonne! sagte mein Vater.

Quelle:
Sterne [, Lawrence]: Tristram Shandy. Band 2, Leipzig, Wien [o. J.], S. 229-232.
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