Vierundfünfzigstes Kapitel.

[84] Ich bin so ungeduldig, zu meiner eigenen Geschichte zurückzukehren, daß ich alles Weitere, was den jungen Le Fever angeht, d.h. von dieser Wendung seines Schicksals an bis zu der[84] Zeit, wo mein Onkel ihn als Erzieher für mich empfahl, mit wenigen Worten im nächsten Kapitel erzählen werde. Hier soll nur, als durchaus nothwendig, erwähnt werden:

Daß mein Onkel Toby, mit dem jungen Le Fever an der Hand, den armen Lieutenant als Hauptleidtragender zu Grabe geleitete;

Daß der Gouverneur von Dendermond seinen sterblichen Ueberresten alle militärische Ehren erwies, und daß Yorick, um nicht dahinten zu bleiben, ihm alle kirchlichen angedeihen ließ, denn er begrub ihn im Chor. Auch scheint es, daß er ihm eine Leichenrede gehalten hat. – Ich sage, es scheint so, denn Yoricks Gewohnheit (eine Gewohnheit, die, glaube ich, bei seinen Berufsgenossen sehr allgemein ist) war es, auf dem ersten Blatt jeder von ihm verfaßten Rede anzugeben, wann, wo und bei welcher Gelegenheit sie gehalten worden war; dem fügte er meist eine kurze Bemerkung oder eine Inhaltsangabe der Rede selbst hinzu, – allerdings selten etwas Schmeichelhaftes, z.B.: »Diese Rede über den jüdischen Dispens mißfällt mir ganz und gar; allerdings ist vielerlei gelehrter Kram darin, aber es ist abgedroschenes Zeug und auf abgedroschene Art zusammengestellt. Ein schwaches Stück Arbeit, – was lag mir im Kopfe, als ich es machte?«

– »NB. Das Beste an diesem Texte ist, daß er zu jeder Predigt paßt, und das Beste an dieser Predigt, daß sie zu jedem Texte zu gebrauchen ist.«

– »Für diese Predigt verdiene ich gehängt zu werden, denn den größten Theil habe ich gestohlen. Doktor Pädagon entdeckte es gleich. *** Ein Dieb fängt den andern am besten.«

Ein halbes Dutzend tragen die Aufschrift: »So so«, nichts weiter, und auf zwei andern steht moderato, was nach Altieri's italienischem Wörterbuch, aber mehr noch auf Grund einer grünen Peitschenschnur (offenbar von Yoricks aufgedrehter Peitsche), mit der sowohl die beiden moderato's als das halbe Dutzend »So-so« erst einzeln, dann zu einem gemeinschaftlichen Packen zusammengeschnürt sind, wahrscheinlich ohngefähr dasselbe bedeuten soll.[85]

Dieser Konjektur steht nur das Eine entgegen, daß die moderato's fünfmal besser sind als die So-so's, – daß sie zehnmal mehr Kenntniß des menschlichen Herzens bekunden, – siebenzigmal mehr Verstand und Geist offenbaren, – tausendmal mehr (ich muß doch in meinem climax fortfahren) Genie beweisen und – um der Sache die Krone aufzusetzen – unendlich unterhaltender sind als jene in demselben Packete. – Sollten deshalb die dramatischen Predigten Yoricks je von mir herausgegeben werden, so würde ich zwar von den So-so's keine einzige unterdrücken, aber kaum würde ich es wagen, von den moderato's auch nur eine drucken zu lassen.

Was Yorick unter den Worten lentamente, tenuto, grave, – auch adagio, – angewandt auf geistliche Reden und als Bezeichnung für einige seiner Predigten, verstanden haben mag, unterstehe ich mich nicht zu deuten. Noch unerklärlicher ist, was ich auf einigen andern finde: auf der einen a l'ottava alta, – con strepito auf der andern, – Siciliana auf der dritten, – alla capella auf der vierten, – con l'arco auf dieser, senza l'arco auf jener. Ich weiß wohl, alles das sind musikalische Ausdrücke und bezeichnen als solche etwas, und da er sich viel mit Musik beschäftigt hat, so zweifle ich gar nicht, daß die Anwendung dieser Ausdrücke auf die erwähnten Schriftstücke den verschiedenen Charakter derselben sehr bestimmt bezeichnen soll, – obgleich sie andern Leuten räthselhaft erscheinen mögen.

Unter diesen Predigten befindet sich nun auch die, welche mich so unverantwortlicher Weise zu dieser Ausschweifung veranlaßt hat, die Leichenrede nämlich auf Le Fever; es ist eine saubere Abschrift, was ich deshalb erwähne, weil er besondere Stücke auf diese Rede gehalten zu haben scheint. – Sie handelt von der Sterblichkeit und ist kreuz und quer mit einem Zwirnsfaden zusammengeschnürt, und dann in einen halben Bogen blauen Papiers eingerollt, der einmal der Umschlag einer »Review« gewesen zu sein scheint und noch jetzt erschrecklich nach dem Gewürzladen riecht. – Ob diese scheinbare Mißachtung Absicht ist, das bezweifle ich, denn am Ende der Rede (nicht vorne) steht, ganz abweichend von der Behandlung, welche die andern erfahren mußten:


[86] Bravo!


doch nicht so, daß es in die Augen fällt, denn es steht wenigstens zwei bis drei Zoll unter der letzten Zeile, ganz unten auf der Seite, und zwar in der Ecke rechts, die man gewöhnlich mit dem Daumen zudeckt; überdies ist es mit einer Krähenfeder und so klein geschrieben, daß es, auch wenn der Daumen es nicht bedeckt, das Auge kaum auf sich zieht, und so mag es durch die Art, wie es auftritt, entschuldigt sein. Auch ist es mit so blasser Dinte geschrieben, daß es fast ganz verschwindet und höchstens als ein Schatten des Schattens der Eitelkeit gelten kann, als eine Regung flüchtigen Wohlgefallens, wie es heimlich in dem Herzen des Schaffenden aufsteigt, – so weit verschieden von der eiteln Selbstbewunderung, die sich der Welt aufdrängen möchte.

Trotz alle dem erweise ich dem Charakter Yoricks, als einem bescheidenen Manne, durch diese Mittheilung keinen Dienst, – das weiß ich! Aber Niemand ist ohne Fehler, und was seine Schuld verringert oder vielmehr ganz tilgt, ist der Umstand, daß das Wort später (die verschiedene Dinte zeigt's) wieder ausgestrichen wurde, als ob er die Meinung, die er einst gehegt, geändert, oder sich ihrer geschämt hätte.

Die kurzen Charakterisirungen seiner Predigten standen, diesen einzigen Fall ausgenommen, gewöhnlich auf dem ersten Blatte, dem Umschlagblatte der Rede, und zwar auf der inwendigen Seite, dem Texte gegenüber; aber am Ende, wo ihm oft fünf bis sechs Seiten, ja manchmal noch mehr, übrig geblieben waren, hatte er sich viel freier und ungehinderter gehen lassen, als ob er begierig die Gelegenheit ergriffen hätte, sich aller lustigen Hiebe gegen das Laster zu entledigen, die für die Strenge der Kanzel nicht paßten. – Und auch das sind Hülfstruppen der Tugend, obschon sie husarenmäßig plänkeln und außer aller Ordnung fechten. Weshalb also, Mynheer Vander Blonederdondergewdenstronke, sollten sie nicht gedruckt werden?

Quelle:
Sterne [, Lawrence]: Tristram Shandy. Band 2, Leipzig, Wien [o. J.], S. 84-87.
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