4. Der dunkle Baum

[679] Hanns wußte von dem allen nichts. Der Grundherr wollte nämlich auch alle seine Holzschläge besuchen, und hatte deshalb den Befehl ergehen lassen, daß kein Arbeiter seinen Platz verlassen dürfe, bis er nicht dort gewesen und den Fortgang des Geschäftes gesehen hätte. Dies war die Ursache, daß Hanns nicht nur das Jagdfest nicht hatte besehen können, sondern daß er auch trotz des Sonntages, der in diese Zeit fiel, nicht in die Gegend hinaus gekommen war.

Endlich aber war der Grundherr mit den Herren, die ihn begleitet hatten, überall, wo er zu tun hatte, und also auch in Hannsens Holzschlage gewesen. Die Folge hievon war, daß er nicht nur selber nach Oberplan zurückkehrte, sondern auch seinen Arbeitern in Betracht seiner Zufriedenheit mit ihnen und in Betracht der außerordentlichen Zeit erlaubte, mehrere Tage zu feiern und hinaus zu gehen und die Feste anzuschauen.

Hanns ging von seinem Walde nach Pichlern.

Als er dort angekommen war, ging er zu dem weißen Häuschen; aber er fand es verschlossen. Auf sein Befragen erfuhr er nun alles.

Er ging zu seiner Schwester und zog die Sonntagskleider an.

Dann ging er wieder zu dem Häuschen, das noch verschlossen[679] war. Die Mutter, hieß es, sei mit ihrer Ziege auf den Brunnberg gegangen oder sonst irgend wohin; und Hanna befinde sich in Oberplan oder in einem andern Orte, wo man die Vorbereitungen zu dem großen morgigen Jagen im Langwalde treffe.

Hanns ging nun in die grauen Steine. Er setzte sich dort auf einen derselben nieder, und hielt den Kopf fest in beiden Händen, gleichsam als warte er.

Da aber eine Zeit vergangen war, stand er wieder auf und schlug den Weg nach Oberplan ein. Als er gegen die Wiesen kam, in denen die Moldau in einer Schlange geht, erstaunte er über das, was er sah. Eine große Menge von Menschen war versammelt. Das Bretterhaus, das zu dem großen Tanzfeste dienen sollte, war schon aufgebaut und ragte aus dem Menschengewühle hervor. Hanns wußte nicht, was das zu bedeuten habe. Als er aber sah, daß sich um dieses hölzerne Gebäude die meisten Leute drängten, ging er auch auf dasselbe zu. Er erreichte den Platz und sah, daß um das Gebäude eine Treppenrundung lief, über die man hinaufgehen konnte, wo dann Säulen standen, die den Bau zierten, und zwischen denen man in das Innere sehen und auch an vielen Stellen hinein gehen konnte. Er stieg die Stufen zwischen den Menschen empor und stellte sich neben eine Säule. Da sah er im Innern einen großen Raum, auf dem geputzte Herren herum gingen oder standen, er sah einen erhöhteren Raum, der um den ersten herumlief, auf dem sich Tische und Stühle befanden, und er sah noch ganz oben rings herum einen Bau, wie eine zierliche Bühne, auf der man sitzen und nach abwärts schauen konnte. Überall gab es Menschen. An den Säulen und Brettern waren schon die Nägel und Latten, an denen man die Lampen, die Tuchverzierungen und Blumen befestigen würde.

Hanns fragte einen Mann, an dem er dicht gedrängt stand, was es gäbe.[680]

»Es werden die Treiber, die Heger, die Jäger und alles andere verlesen, was morgen bei der Treibjagd im Langwalde statt haben solle«, antwortete der Mann.

Wirklich sah Hanns mehrere Herren an einem Tische mit Papieren beschäftigt, er sah, wie sie sprachen und an manche Bewohner der Gegend Zettel verteilten.

Oben auf der zierlichen Bühne sah er nebst vielen andern Menschen auch Hanna sitzen. Sie saß neben dem wunderschönen Guido, hatte ihre weiche Hand in seine beiden gelegt, und so sahen sie in den Saal hinab.

Jetzt trat ein Herr von dem Tische weg und rief: »Nun wollen wir die Schützen verlesen, auf welchen Ständen sie sich morgen vor Tagesanbruch einfinden sollen, und auf welchen jeder, ehe die Sonne aufgeht, gerüstet dastehen muß.«

Es ward in dem Saale etwas stiller, und der Herr las mit lauter Stimme aus einem Papiere vor: »Herr Andreas bei der roten Lake.«

»Weiß sie nicht.«

»Gidi wird dich führen.«

»Herr Gunibald in der Kreixe.« »Weiß sie.«

»Herr Friedrich von Eschberg am gebrannten Steine.«

»Weiß ihn nicht.«

»Der Schmied Feirer wird Euch begleiten.«

»Herr Guido beim beschriebenen Tännling.«

»Weiß ihn.«

»Herr Albrecht Hammermann im Fuchslug.«

»Weiß es.«

»Herr Thorngar am Brunnkreß – Herr Wenhard am Obergehag – Herr Emerich im Auwörth.«

»Wissen es.«

Und so ging es fort, bis sämtliche Herren und Schützen herab gelesen waren. Da dies das Letzte war, was verkündet werden mußte, so gingen die meisten Herren und[681] mit ihnen auch andere Leute von dem Holzgebäude fort. Hanna und Guido erhoben sich und verschwanden hinter dem Volke. Hanns drängte sich durch die Leute, die an der äußeren Treppe waren, um die Stelle zu gewinnen, an der Hanna aus dem Gebäude kommen mußte. Als er dahin gelangte, sah er, daß sie bereits in einem leichten, schönen Wagen saß, daß Guido bei ihr saß, daß sich ein prächtig gekleideter Diener hinten hinauf schwang, und daß der Wagen fort rollte. Er rollte an den nächsten Häusern, wo man einen Weg über die Wiesen gemacht hatte, herum und schlug die Straße nach Vorderstift ein.

Hanns wendete sich um und ging nach Pichlern. Er hatte dort bei seiner Schwester einen Schrein, in welchem er seine Arbeitsgeräte, die er eben nicht auf dem Holzplatze brauchte, aufbewahrt hatte. Er öffnete die Tür des Schreines und sah auf die Dinge, die da in angebrachten Querhölzern in Einschnitten steckten. Er nahm zuerst einen Bohrer heraus und steckte ihn wieder hin, dann nahm er ein Sägeblatt, besah es und steckte es wieder in die Rinne. Dann nahm er eine Axt, wie er sie gerne anwendete, wenn er keilförmige Einschnitte in die Bäume auszuschrotten hatte. Diese Äxte haben gerne einen langen Stiel, sie selber sind schmal und von scharfer Schneide. Diese Axt nahm er heraus und tat die Tür des Schreines wieder zu. Dann ging er in die Schwarzmühle, wo sie hinter dem Gebäude der Brettersäge unter einem Überdache einen Schleifstein haben, den man mittelst eines Wässerleins, das man auf sein Rad leitete, in Bewegung setzen konnte. Hanns rückte das Brett, das das Wasser dämmte, setzte den Stein in Bewegung und schliff seine Axt. Als er damit fertig war, lenkte er das Wasser wieder ab, stillte den Stein, nahm die Axt auf seine Schulter, wie er sie gerne hatte, wenn er sich nach dem Thußwalde begab, und ging davon. Er ging hinter dem Dorfe durch die Gärten des Weißkohles gegen den Brunnberg zu.[682]

Das Töchterlein eines armen Weibes, das man die Sittibwitwe nannte, sah ihn dort gehen und sagte: »Mutter, da geht Hanns.«

»Laß ihn gehen,« sagte diese, »das ist eine sehr unglückselige Geschichte.«

Hanns stieg über die sehr niedere Mauer, die um die Kohlgärten aus losen Steinen gelegt war, und ging durch die verkrüppelten Erlenstauden und durch die Wachholdergebüsche empor, durch welche Hanna an ihrem ersten Beichttage in der Dämmerung hernieder gegangen war. Er ging an der Milchbäuerin vorüber und begab sich zu den zwei Brunnenhäuschen. Dort lehnte er die Axt an den Stamm der Linde, kniete vor der Tür des einen Häuschens nieder, nahm den Stiel des Schöpfers, schöpfte sich Wasser heraus und trank einen Teil davon. Mit dem Reste benetzte er sich die Stirne, benetzte sich die Augenbrauen, die Augenlider und dann die Augen selber. Er ließ eine geraume Zeit das Naß auf diesen Teilen des Körpers liegen, dann zog er ein Taschentuch hervor und trocknete sich ab. Als dies geschehen war, schüttete er das Wasser, das noch in dem kleinen Schöpfkübel war, aus und schöpfte sich neues. Von diesem tat er noch einmal einen Trunk und schüttete den Rest in den Brunnen zurück. Hierauf legte er den Schöpfkübel in seine gewöhnliche schwimmende Lage auf das Wasser und erhob sich von den Knieen. Er nahm wieder die Axt und schlug den Weg zwischen den Baumreihen zu dem Kirchlein ›zum guten Wasser‹ ein.

Als er bei dem Kirchlein angekommen war, dessen Tür offen stand, blieb er auf dem Grabsteine, der vor der Türe liegt, stehen und tat seinen Hut ab. Dann ging er hinein, den Hut in der einen seiner Hände haltend. Mit der andern nahm er die Axt, die er trug, von der Schulter und lehnte sie neben dem Becken, das das Weihwasser enthielt, in eine Mauerecke. Hierauf ging er bis zu dem Hochaltare[683] hinvor. In dem Kirchlein war niemand als zwei sehr alte Mütterlein, die vielleicht die einzigen waren, welche von dem Verhältnisse zwischen Hanns und Hanna nichts wußten. Hanns kniete an den Stufen des Hochaltares, auf welchem sich die schmerzhafte Jungfrau Maria befand, nieder. Er legte den Hut neben sich, faltete die Hände und betete. Er betete sehr lange. Dann löste er die gefalteten Hände auf, neigte sich vorwärts, neigte sich immer mehr und legte sich endlich auf den kalten Stein, daß seine Arme auf demselben lagen und seine Lippen denselben berührten. Er küßte den Stein mehrere und wiederholte Male. Dann richtete er sich nach und nach auf, und blieb wieder knien und betete wieder. Als er genug gebetet hatte, tat er die gefalteten Hände wieder auseinander, fuhr mit der rechten gegen die Stirne und machte das Zeichen des heiligen Kreuzes. Dann nahm er den neben sich liegenden Hut, stand auf und ging wieder in der Kirche zurück. Die Mütterlein machten einen demütigen und kirchlichen Gruß gegen ihn mit Neigen des Hauptes. An der Tür nahm er mit den Fingerspitzen Weihwasser aus dem Becken, bespritzte sich das Antlitz und machte wieder das Kreuzzeichen. Dann nahm er wieder seine Axt aus der Mauerecke, tat sie auf die Schulter, trat aus der Kirche und setzte den Hut auf.

Von der Kirche ging er zu dem Kreuze empor. An demselben legte er wieder den Hut und die Axt ab, kniete auf den flachen Stein, der vor dem Holze lag, er kniete so nahe, daß seine Brust fast dicht an dem roten Stamme war, und betete da wieder. Nachdem er gebetet hatte, nahm er abermals Hut und Axt.

Gegen den Gipfel des Kreuzberges sehen dunkle Waldhäupter herein. Man sieht sie, wenn man den fernen blauen Alpen, die im Süden sind, den Rücken zuwendet. Die Waldhäupter sind durch ein Tal von dem Kreuzberge geschieden, führen den Namen des oberen Waldes, und[684] leiten quer über ein Tal in den Langwald. Hanns, nachdem er von dem Beten aufgestanden war, wendete gar nicht den Rücken, der gegen Oberplan und seine Bewohner gerichtet war, sondern sah gegen die Waldhäupter. Er ging in der Richtung gegen sie über den Berg hinab. Im Tale unten beginnen dünnstehende Föhrenstämme, die den Namen der Schieder fahren. Hanns ging zwischen den Stämmen und auf dem sumpfigen Boden, der sich unter ihnen befindet, dahin. Er ging durch die Wiesen, die jenseits der Schieder sind, und klomm endlich die Höhen des oberen Waldes hinan, der dichten, verworrenen Baumwuchs und in ihm das eigentümliche Gedämmer schwerer Wälder hat. Er klomm zwischen den Stämmen immer weiter und weiter hinan. Die Kuppe des oberen Waldes ist ein von Bäumen entblößter Fels, von dem man aus das böhmische Waldland wie ein graues Gewebe liegen und seine Teiche darin wie Lichtblicke glänzen sieht. Als Hanns diese Kuppe erreicht hatte, blieb er eine Weile stehen und betrachtete das Land, vielleicht die höchste menschliche Gestalt, die man heute in den Lüften hätte erblicken können. Er blieb eine gute Weile stehen und sah hinaus. Die Sonne war nur mehr einen kleinen Bogen von dem Rande der Westwälder entfernt. Dann ging er wieder weiter.

Er ging jetzt einen sanften Abhang schief abwärts, der mit Gebüschen, Laubbäumen und Steinen besetzt war. Er ging immer fort. Wo die Dachung des Gehölzes minder schief war und wieder fast sich ebenem Lande gleich gestaltete, tat sich eine längliche Waldwiese auf, auf der neben einem grauen Steinhaufen ein Schoppen stand, in den man im Sommer das Heu tut, um es im Winter auf dem gefrornen Hochschnee mit Handschlitten nach Hause zu bringen. Hanns stand vor dem Schoppen und sah eine Weile in das Heu hinein. Dann sah er mit der Hand über den Augen nach dem Stande der Sonne. Diese blickte[685] nur mehr durch die niederen vergoldeten Tannenzweige herein. Dann ging er wieder weiter. Er ging jetzt durch dichten, dunkelnden Wald. Er ging an starken Stämmen vorüber, die die rauhe Rinde hatten, und von deren verdorrten Ästen die grünen Bärte des Mooses herunter hingen. Er ging an großen Steinen vorüber, die mit einer weichen Hülle bedeckt waren, auf der zarte Fäden und feuchte Blättchen wachsen. Er ging auf dem modrigen Boden, der die tausendjährigen Abfälle der Bäume enthielt und dem Tritte keinen Widerstand leistete. Er ging auf keinem Wege, weil er die Gestalt und Richtungen des Waldes auch ohne Weg sehr gut kannte. – Endlich war er an seinem Ziele. Ein sehr hoher Baum stand unter den andern ebenfalls hohen und alten Bäumen des Waldes. Hanns lehnte die Axt an den Stamm und sah den Baum an. In seiner Rinde waren die Zeichen der Liebe eingegraben: ein Herz mit Flammen, die durch auseinander gehende Striche angedeutet waren, ein Ring, der zwei Namen umfaßte, ein Kreuz, das aus Keilen empor ragte, der Name Marias, der aus verschlungenen Buchstaben zusammengesetzt war, dann andere Namen, in zwei Buchstaben bestehend, oft verziert mit einem Kränzlein oder dergleichen, oft ohne Verzierung, zuweilen frisch, so wie die Besitzer noch in Jugend unter den Lebenden wandeln, zuweilen vernarbt und unkenntlich, so wie die Liebenden schon durch Alter eingebückt, oder im Grabe bereits zerfallen sind. Der Baum stand sehr hoch in die Abendluft empor und zeichnete seine Zacken, weil er eine Tanne war, in dieselbe. Die wagrechten Äste ruhten wie die ausgebreiteten Fittige eines Vogels in der Luft. An dem Fuße des Stammes lagen einige Steine, als wären sie zum Sitzen und Ausruhen her gelegt worden. Auch ging ein schwaches Waldweglein an dem Baume vorbei, auf dem aber Hanns nicht gekommen war.

Nachdem Hanns den Baum so betrachtet hatte, nachdem[686] er eine Weile so gestanden war, knüpfte er sich den Rock bis ans Kinn zu und setzte sich auf die Steine, die an dem Fuße des Stammes lagen. Es war der Abend schon sehr stark herein gebrochen, und Hanns sah mit seinen Augen in das Dunkel und in die Dämmerung. Die Baumgitter, die emporwachsenden und nun verdorrten Kräuter und der Boden waren nicht mehr zu unterscheiden, nur daß ein feuchter Punkt oder ein schwaches Wässerlein noch Zeitweilig blitzte. Aber endlich hörte auch dieses auf, und es war nur eine einzige Finsternis, in der alles still war.

Hanns saß mit dem Rücken an dem Stamme und schlummerte.

Da kam in der Nacht eine seltsame Erscheinung. Um den Baum wurde es immer lichter und lichter, so daß seine Zacken deutlich in der Helle standen und erkennbar waren. Der Baum war so hoch, daß er bis in den Himmel reichte, und bis in den Himmel reichte die Helle um seine Zacken. In den Zweigen hoch im Himmel stand das Bildnis der heiligen Jungfrau, wie es im Kirchlein zum guten Wasser ist, und doch war sein Antlitz und seine Züge recht deutlich zu erkennen. Auf dem Haupte war die Krone, aus der Brust standen die sieben Schwerter, und in dem Schoße ruhte der gekreuzigte Sohn. Das Bild hatte den Blumenstrauß in der Hand, von dem die Bänder nieder gehen, es hatte das starre seidene Kleid an mit den Flimmern, mit den gestickten Blumen und den gewundenen Stängeln. Das Antlitz aber sah strenge, unerbittlich strenge auf Hanns hernieder. Es sah unverwandt und ernst auf ihn nieder. Da ermannte sich Hanns, er erwachte, er wandte das Haupt aufwärts und sah in den Baum. Der Baum war wieder so klein geworden wie sonst, die heilige Jungfrau stand nicht mehr in den Zweigen, aber ein großes Stück Mond, das, indessen Hanns geschlafen hatte, aufgegangen und über den Wald herüber gerückt[687] war, stand fast gerade über dem Baum, daß seine Zweige glänzten, daß zwischen ihnen lange Lichtstreifen wie silberne Bänder auf Hanns nieder gingen, und daß die Dinge des Waldes in einem zweifelhaften, aber doch erkennbaren Lichte da standen. Hanns erhob sich von seinem Sitze, trat ein wenig seitwärts und sah wieder auf den Baum. Aber es war immer das nämliche. Da fuhr Hanns mit der Hand über sein Angesicht und sagte die Worte: »Es muß etwas Verworrenes gewesen sein, um das ich gebeten habe.«

Da nahm er den Rock etwas enger zusammen und drückte die Oberarme gegen den Leib; denn es war ihm im Schlafe sehr kalt geworden. Dann ging er wieder gegen den Baumstamm und griff mit den Händen in der Gegend, wo er die Axt hingelehnt hatte. Als er sie gefunden hatte, nahm er sie in die Hand, trat weg und sah wieder auf den Baum. Dann sah er noch einmal hinauf, schulterte dann seine Axt und ging von der Stelle fort.

Er ging in anderer Richtung, als er gekommen war, er ging zwischen den Stämmen und an den hie und da von dem Monde beleuchteten Gesträuchen dahin.

Als der Morgen anbrach, an dem die Treibjagd im Langwalde sein sollte, war er schon weit von demselben entfernt. Er ging auf den baumentblößten Höhen dahin, die nicht weit von dem Markte Wallern sich hinziehen.

Der Mann schien ganz gebrochen zu sein. In einer Hütte, die eine halbe Stunde Weges von Wallern liegt, bat er um eine Suppe. Als man ihm dieselbe aus Milch und Mehl gemacht hatte, und als er dieselbe getrunken hatte, begab er sich wieder auf den Weg. Er lenkte von der bisherigen Richtung ab und schlug die nach dem Thußwalde ein.

Als er in seinem Holzschlage angekommen war, legte er sich unter der Bretterhütte in das Heu und in die getrockneten Kräuter des Waldes, die dort zur Lagerstelle waren.[688] Dort blieb er immer liegen, so lange die Festlichkeiten in Oberplan dauerten, und so lange die anderen Holzknechte, welche freie Zeit hatten, zur Beschauung derselben sich draußen befanden. Nur ein paar alte Weiber waren wegen Beschwerlichkeit des langen Weges zurück geblieben, sie unterhielten das Feuer vor der Hütte, kochten sich und gaben auch Hanns zu essen.

Die Jagd im Langwalde war an dem Tage abgehalten worden. Guido stand schon vor Aufgang der Sonne an dem beschriebenen Tännlinge. Weiter unten im Dickichte stand sein Diener, und so waren in dem ganzen Walde die einzelnen Männer zerstreut, daß das Wild, wenn es vor dem Lärme der Treiber dahin strich, zu Schusse käme und seinen Zoll, bevor es in unbesetzte Reviere ausbrechen konnte, abgäbe. Die meisten Schützen zogen diese Art Jagd bei weitem einer Netzjagd vor, weil dem Wilde der Raum zur Flucht gegeben ist und eine Geschicklichkeit erfordert wird, den Augenblick zu benützen, um das flüchtende Gewild nieder zu strecken. Nur das Volk hatte von dieser Jagd weniger Vergnügen, weil es nicht zuschauen und sich nur an dem heimgebrachten Wilde, an den Sträußen auf den Hüten und an den fröhlichen Mienen der Schützen ergötzen konnte. Guido hatte einen Hirsch an dem beschriebenen Tännlinge geschossen, ein anderer etwas anderes, und so vergnügt waren alle Schützen, daß man noch ein zweites Treibjagen verabredete ehe es zu dem Balle auf den Moldauwiesen käme, obwohl dieses zweite Treibjagen nicht in dem ursprünglichen Plane gelegen war.

An der Ausschmückung und Herstellung der Gebäude auf den Moldauwiesen zu dem großen Tanzfeste wurde auch auf das eifrigste gearbeitet.

Indessen geschah das Außerordentliche, was manche geahnt, manche vorausgesagt, und doch wenige eigentlich geglaubt hatten. Hanna wurde öffentlich als Guidos[689] Braut erklärt. Sie sollte mit ihm samt ihrer Mutter auf seine Besitzungen geführt und dort getraut werden. Von dem Augenblicke der Erklärung an stand immer ein schöner, leichter Wagen vor dem weißen Häuschen, den sie beliebig gebrauchen konnte. Kleider und Schmuck waren auch angekommen. Die Bewohner von Pichlern sahen sie in einem schönen Gewande, um den Hals hatte sie ein glänzendes, kostbares Ding, und um den schönen Arm einen goldenen Ring.

Das zweite Treibjagen war in einer andern Waldgegend abgehalten worden.

Jetzt kam auch die Nacht des Tanzfestes, des letzten Festes, das gefeiert werden sollte. Die Holzgebäude mit allen ihren Ausschmückungen waren fertig geworden. Unermeßliche Zuschauermengen strömten von allen Gegenden zusammen und drängten sich in dem Raume außerhalb der Säulen. So viele Lichter waren angezündet worden, daß man meinte, der ganze innere Bau lodere im Feuer. So viele kunstreich gemachte Blumen waren verschwendet worden, daß man meinte, so viele natürliche könnten in zwei Jahren nicht in Oberplan wachsen. Die Herren und Frauen waren so schön, so außerordentlich schön, daß alles, was man bisher gesehen hatte, nur ein Spielwerk und ein kindisches Ding dagegen war. Sie führten angenehme Tänze auf, Menuette und andere. Das feinste Backwerk und süße Weine wurden an die Frauen verteilt. Das Höchste waren Spiele und Masken. Es waren Schäfer und Schäferinnen, Bauern und Bäuerinnen, Jäger, Bergleute, Zauberinnen, dann Götter und Göttinnen, insbesondere Venus und Adonis zugegen. Hanna nahm schon an dem Feste in dem kostbaren Gewande der vornehmen Frauen Anteil. Erst gegen Morgen entfernten sich die Gäste, erloschen die Lichter, und begaben sich die mit Verwunderung überladenen Zuschauer auf den Heimweg.[690]

Der Tag war der Ruhe gewidmet. Der nächste war zur Abfahrt bestimmt.

Als dieser Tag angebrochen war, geschah der Abzug aller Herren und Frauen zu Wagen und zu Pferd mit Dienerschaft und Troß, wie es der Jagdmarschall vorher bestimmt hatte. Hanna und ihre Mutter, die bereits Dienerinnen hatten, waren in dem Zuge.

In Oberplan und in der Umgegend war es nun leer und stille. Das Gebäude auf den Wiesen wurde abgetragen, das Gerüste im Stegwalde wurde abgebrochen, und bald war das Ganze in der Erinnerung der Menschen wie ein Traum.

Nach einiger Zeit kam die amtliche Kunde von der Vermählung Hannas und Guidos. Die Leute sagten, daß sie in einem sehr schönen Schlosse wohne, und daß auch die Mutter in demselben sitze, aber traurig sei. –

Hanns hatte lange nach diesen Ereignissen erst erzählt, was ihm am beschriebenen Tännlinge begegnet wäre.

Jahre nach Jahren waren vergangen. Hanns blieb immer im Holzschlage. Als seine Schwester, die geheiratet hatte, kurz nach ihrem Manne gestorben war, nahm er die drei hinterlassenen Kinder zu sich und ernährte sie.

Als nach vielen Jahren Hanna wieder einmal in die Gegend kam, begegnete sie Hanns. Sie fuhr eben auf dem Wege zwischen Pichlern und Pernek. Sie hatte eine dunkle, samtne Überhülle um ihren Körper und war in dem Wagen zurück gelehnt. Ihr Angesicht war fein und bleich, die Augen standen ruhig unter der Stirne, die Lippen waren ebenfalls schier bleich, und der Leib war runder und voller geworden. Hanns, dessen Angesicht Furchen hatte, stand auf dem Wege. Er hatte sich an ein mit Leinwand überspanntes Wägelchen gespannt, in dem er die drei Kinder eben in seinen Holzschlag führte. Hanna, die ihn nicht kannte, wollte dem armen Manne eine Wohltat erweisen und warf einen Taler aus ihrem[691] Wagen auf die Erde. Hanns aber hatte sie gar wohl erkannt.

Er ließ später den Taler in eine Fassung geben und hing ihn in dem Kirchlein zum guten Wasser auf, wie man silberne oder wächserne Füße und Hände in solchen Kirchen aufzuhängen pflegt. – –

Als eine Zeit nach Hannas Vermählung sich ihre Gespielinnen an den Abend ihres ersten Beichttages erinnerten und sagten, daß Hannas Voraussagung in Erfüllung gegangen sei, daß sie nun schöne Kleider habe mit gewundenen Stängeln und Gold- und Silberstickerei, und daß sich an ihr die Gnade der heiligen Jungfrau recht sichtlich erwiesen habe, erwiderte der uralte Schmied in Vorderstift: »An ihr hat sich eher ihre Verwünschung als ihre Gnade gezeigt – ihre Weisheit, Gnade und Wundertätigkeit haben sich an jemand ganz anderem erwiesen.«

Quelle:
Adelbert Stifter: Gesammelte Werke in sechs Bänden, Band 2, Wiesbaden 1959, S. 679-692.
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