19. Himmelsröschen

[165] Wien, 1. Mai 1835


Die Gundelrebe war das letzte Tagebuchblatt Albrechts, und das Himmelsröschen ist ganz von mir, das heißt von dem Sammler und Erzähler der obigen Blätter – und das Himmelsröschen hätte mit Fug eine Vorrede abgegeben, wenn nicht alles dadurch verraten worden wäre. Deshalb folgt es jetzt gleichsam als Nachrede, und enthält wieder eine Geschichte. Am ersten Mai anno domini 1835 war zu Haimbach ein großes Frühstück. Es war da: erstens ein junger, schöner, höchst geistvoller Mann mit ernsten Augen und mutigem Antlitz, Albrecht, der Schreiber obiger Blätter; an seiner Seite war Angela, sein wohlgetrautes Eheweib, eine vollendete Minerva. Item ein zweites junges Ehepaar: Lothar und Natalie; Albrecht zeichnete sie in seinen Blättern ohnedies sehr gut. Tertio: Emil und Lucie, kein Ehepaar, sondern gute Freunde. Ferner ein sonnverbrannter, feurig blickender Mann, mit mehr Lockenwald als Jupiter Olympicus, aber etwas klein und stämmig: der Titus aus den Pyrenäen. Ihm[165] zur Seite saß – nicht sein Weib – sondern Jungfrau Emma, frisch herumblickend, voll trotziger Gesundheit, item Onkel und Tante; und zuletzt Aston, zu dem sich kein weiblicher Gesponse vorfand, man müßte nur die Wirtin rechnen, die freudig und verschämt lächelnd herumging und alle Hände voll zu tun und ihres Wunderns und Gesegnens kein Ende hatte; denn ganz oben am Ende des Tisches, im schönsten Goldrahmen prangend, steht ihr sehr gelungenes Konterfei auf ›schneeweißem Papiere‹ in netten Farben ausgeführt, wie es Albrecht in der Glockenblume versprochen hatte.

So war also jener Scherz schon in einem Jahre in Erfüllung gegangen, nur verkehrt. Lothar hatte das Griechenbild und Albrecht die Verschleierte gewonnen. Und dem damaligen Scherze zu lieb wurde das heutige Frühstück veranlaßt, um die Voraussagung so wahr als möglich zu machen.

Ich saß jenes gesegneten Tages aus purem blindem Zufalle in Haimbach, und diesem Zufalle verdankt der Leser die ganze obige Geschichte; denn, weiß Gott, wie es kam – die Leutchen alle gefielen mir so sehr, und ich etwa ihnen auch, daß sich eine Bekanntschaft entspann, und dann gar ein Mitihnenfahren, und sofort eine nähere bis heute fortgesetzte Freundlichkeit und ein traulicher Umgang, und lieb wäre es mir, wenn ich eines schönen Tages die liebholdeste Emma zum Altare führen könnte. Noch einen Rat füge ich in Schnelle bei, bevor wir scheiden, nämlich:

»Wer etwa diese Zeit her Lust hat, den Traunsee zu besuchen, der warte noch zwei oder drei Jahre, wenn es angeht; denn dann sind die zwei wunderschönen Landhäuser schon fertig, die ganz nach Albrechts Angabe am Traunkirchner Ufer werden aufgeführt werden, als Wohnung der obigen Frühstückgesellschaft – wenn nicht bis[166] dahin ein anderer Plan gefaßt wird, etwa am Jura zu wohnen, oder in Neuseeland, oder sonst wo, was von so überirdischen Köpfen nicht zu wundern wäre.«

Und so, lieber Leser, gehabet dich wohl!!![167]

Quelle:
Adelbert Stifter: Gesammelte Werke in sechs Bänden, Band 1, Wiesbaden 1959, S. 165-169.
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