89.

[83] Um Zahnweh zu vertreiben, geht man morgens vor Sonne zu einem Baume, löst an der Seite, wo die Sonne aufgeht, ein Stück Rinde durch einen oberen Querschnitt von einem halben Zoll und zwei von diesem nach unten parallel laufende Längsschnitte von etwa fünf Zoll Länge so weit ab, daß es nach unten gebogen werden kann. Dann schneidet man von dem bloßgelegten Holze einen Splitter ab, stochert mit diesem an dem »Wehzahn«, bis Blut an ihm bemerklich ist, und fügt ihn dann in seine alte Stelle wieder ein. Endlich deckt man die Rinde wieder auf die Blöße und bindet sie mit einem Bindfaden fest, so daß alles wieder zusammenwachsen kann. Fällt ein Holzsplitterchen weg oder bricht die Rinde ab, so ist der Versuch mißlungen. Auch darf bei der ganzen Prozedur kein Wort gesprochen, noch darf sie von einem fremden Auge beobachtet werden (Strückhsn.). – Gegen Warzen:[83] man schneide vor Sonnenaufgang aus einer Weide ein Stückchen Rinde, bestreiche damit die Warzen und lege es sofort wieder an seine Stelle (Jever). – Nimm einen Wollfaden von der Wolle eines einjährigen Lammes und mache so viel Knoten hinein, als du Warzen hast. Diesen Faden lege bei abnehmendem Monde in einen hohlen Baum, gehe dann so viel Male um den hohlen Baum, als du Warzen hast, und sie werden bald verschwinden (Friesoythe). – Gegen Zahnweh: man stochere mit einem Strohhalm an dem kranken Zahn, bis Blut kommt, fülle den Halm mit diesem Blute an, bohre ein Loch in einen Baum, lege den Halm hinein und schlage das Loch mit einem Pflocke zu (Münsterld.). – »Ein Mann in der Gemeinde Essen hatte einen Sohn, der Wunden am Bein hatte, die stets eiterten. Da das Übel nicht weichen wollte, trotzdem verschiedene Ärzte herangezogen waren, ging er zu einem Wunderdoktor in der Gemeinde Löningen. Dieser verordnete: Nimm Eiter aus der Wunde, streiche denselben auf Leinen und suche einen Baum, welcher bis zu 20 Fuß astfrei ist. Unter dem ersten Ast bohre ein Loch, darin stecke das Leinen und verklebe das Loch. Dies mußt du tun zur Zeit des Vollmondes; auf dem Hin- und Rückwege darf dir niemand begegnen, darf kein Hahn krähen, der Bohrer darf nicht gefunden, nicht geschenkt, nicht gestohlen, sondern muß vererbt sein. Ich habe den Knaben gekannt, er war später ein guter Jäger, aber hinkte.« – Fieberkranke bohren ein Loch in einen Baum, hauchen dreimal hinein und verschließen dann das Loch mit einem Pflocke (allgem.). Als jemand, der sein Fieber mit einem Nagel in einen Baum verschlossen hatte, darüber von einem Bekannten verspottet wurde, ging er heimlich zu dem Baume und zog den Nagel wieder heraus. Es dauerte nur kurze Zeit, so befiel das Fieber den Spötter (Vechta).

Quelle:
Ludwig Strackerjan: Aberglaube und Sagen aus dem Herzogtum Oldenburg 1–2, Band 1, Oldenburg 21909, S. LXXXIII83-LXXXIV84.
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