154.

[135] Der Glaube an Vorgeschichten findet sich auch bei Menschen, die nicht im Verdachte stehen, abergläubisch zu sein. Ernste und besonnene Männer, Gebildete aller Stände, tief religiöse und religiös freisinnige bekennen sich zu demselben. Sie geben zu, daß viel Täuschung und Betrug mit unterläuft, daß die Phantasie subjektiven Sinnesvorgängen den Schein von objektiven Wahrnehmungen verleihen und dadurch Sinnesvorspiegelungen bewirken könne, und daß somit unzweifelhaft viele Visionen auf solche Hallucinationen zurückzuführen seien, bleiben aber dabei, daß es trotzdem Vorgeschichten gebe. Sie berufen sich zu dem Ende auf Selbsterlebtes oder auf das Zeugnis zuverlässiger Seher. Der Streit ist alt und wird wohl niemals ein Ende finden. – Magister Heinr. Schwarz, zur Zeit des 30jährigen Krieges schwedischer Feldprediger, dann Prediger an St. Lamberti in Oldenburg, eifert gegen den Vorspuk wie folgt: »Einige geben für, sie müssen nachts[135] zu gewisser Zeit aufstehen und sehen, was passiert. Da sehen sie denn ganze Leichenbegängnisse, Leute, die sie kennen, in richtiger Prozession. Sie sehen weiße Männer und Weiber für die Türe gehen. Sie sehen Totenlichter im Hause brennen. Sie sehen und hören Totensärge zuschlagen und was die Phantasie mehr ist. Das ist allzumal nichts als des leidigen Teufels Gespenst. Der will weissagen und sich an des allwissenden und wahrhaftigen Gottes Statt stellen usw.« (Schwarz, Katech. 6 S. 98.) Auch Strackerjan eifert gegen den Vorspukaberglauben. Das geht schon daraus hervor, daß er den Vorspuk im Kapitel Aberglauben behandelt, er hat überdies in einer besonderen Abhandlung: Wie ist der Vorspuk zu erklären? (Von Land und Leuten S. 82 ff.) sich die Finger fast wund geschrieben, um zu beweisen, daß bei Vorgeschichten alles auf Täuschung und Einbildung beruhe. Er mag einen oder anderen bekehrt haben, die große Gemeinde der Gläubigen ist geblieben. Bei Lesung dieses Aufsatzes mußten wir einmal herzlich lachen. St. bemerkt u.a., daß viele Vorgeschichten erst bekannt werden, wenn sie ausgetan sind, woraus man schließen dürfe, daß sie nachträglich erfunden seien. Andere Gesichte stellten sich als solche dar, welche recht wenig Aussichten auf Erfolg böten. »Man hat,« fährt er fort, »Dampfwagen, oder was man als solche auslegt, gesehen zu Bokelesch, bei Damme, bei Sandersfeld. Daß bei Damme eine Eisenbahn gebaut werde, ist leider wenig wahrscheinlich und dann würde sich noch fragen, ob sie gerade über die Stelle laufen würde, wo sie gesehen sein soll. Daß aber bei Bokelesch oder bei Sandersfeld sich je eine Lokomotive bewegen wird, ist kaum denkbar. Die Bremer Bahn hat eine andere Richtung bereits bekommen, die ostfriesische wird sicher nicht das ausgedehnte Moor im Westen durschneiden, um nur über Bokelesch nach Ihrhove zu gelangen.« Der gute Strackerjan würde sicher große Augen machen, wenn er jetzt alle Schienenstränge sähe, die nach und nach ihren Weg durch die Heiden und Moore gefunden haben. Bei Damme klettert die Maschine schon seit Jahren über die Berge, bei Bokelesch läuft der Dampfwagen seit Monaten ebenfalls hin und her, und Sandersfeld ist der Bahn auch schon näher gerückt. Übrigens ist St. im Kampfe für seine Überzeugung von Zweifeln doch nicht freigeblieben. Er sagt nämlich: »Wie sind denn die Vorspukgeschichten zu erklären, die von glaubhaften Leuten erzählt und bezeugt[136] werden, ja in sich selbst, so wunderbar sie sind, doch den Charakter der Glaubwürdigkeit an sich zu tragen scheinen?« (Von Land und Leuten S. 87.) Auch bezüglich des Einwandes, daß Vorgeschichten erst ruchbar werden, wenn die Erfüllung eingetreten, gibt St. zu, »einzelne, allerdings wenige Fälle« ermittelt zu haben, in denen ein Gesicht wenigstens »in dunkeln abgerissenen Äußerungen« von dem Seher vor der eingetretenen Erfüllung mitgeteilt sei. (Von Land und Leuten S. 91.)

Bei der Suche nach neuem Material zu diesem Abschnitte ist dem Bearbeiter der 2. Auflage einmal nahegelegt, den Abschnitt Vorspuk zu unterdrücken, denn Vorgeschichten gäbe es, also dürfe dieser Gegenstand nicht dem Aberglauben beigezählt werden. Dem Ansinnen ist nicht stattgegeben. So lange in dieser Sache nicht das letzte Wort gesprochen ist, so lange wollen wir uns nicht unnütz aufregen, sondern alles beim alten lassen, schon aus dem Grunde, weil dem Vorspuk, mag er in Wahrheit bestehen, viel Abergläubisches beigemischt ist. Es wäre auch jammerschade, wenn die Geschichten vom Vorspuk, die St. gesammelt hat und so viele Leser bislang angenehm unterhalten und auch belustigt haben, aus dem Buche verschwinden sollten. Es ist uns sogar eine angenehme Aufgabe gewesen, die vielen im 4. Abschnitte verzeichneten »Fälle« durch neue, darunter recht auffällige und weniger auffällige zu bereichern.

Wer sich darüber unterrichten will, wie die heutige wissenschaftliche Welt über Vorgeschichten urteilt, dem empfehlen wir das sehr lesenswerte Buch »Das zweite Gesicht« von Professor Dr. Zurbonsen (Köln, Bachem, 1908, 108 Seiten, 2 Mark.)

Quelle:
Ludwig Strackerjan: Aberglaube und Sagen aus dem Herzogtum Oldenburg 1–2, Band 1, Oldenburg 21909, S. CXXXV135-CXXXVII137.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Aberglaube und Sagen aus dem Herzogtum Oldenburg
Aberglaube Und Sagen Aus Dem Herzogtum Oldenburg (Paperback)(German) - Common
Aberglaube und Sagen aus dem Herzogtum Oldenburg: Erster Band