a.

[414] Graf Anton Günther war ein großer Liebhaber von Pferden und zog und hielt eine solche Menge derselben, daß er den Beinamen »des heiligen Römischen Reiches Stallmeister« erhielt. Das berühmteste seiner Pferde war der Kranich, ein apfelgrauer Hengst, dessen Mähne sieben, dessen Schweif neun Ellen lang war. Den Kranich aber hat der Graf nicht selbst gezogen, sondern zum Geschenk erhalten. Anton Günther bemühte sich im dreißigjährigen Kriege, zwischen dem Könige von Dänemark, der sein Vetter war, und dem Kaiser von Deutschland den Frieden wieder herzustellen, und war deshalb öfters zwischen beiden Höfen auf Reisen. Auf einer dieser Reisen kam er mit seinem Diener im Holsteinischen in ein Dorf, wo nur ein schlechtes Wirtshaus war, in welchem er kein gutes Nachtquartier finden konnte. Da sagte ihm der Wirt: es sei wohl ein Ausweg da, denn in der Nähe sei ein halbverfallenes Schloß, in welchem ein wohl erhaltenes und eingerichtetes Zimmer sei, aber er könne nicht dazu raten, denn es solle in dem Schlosse nicht geheuer sein. Anton Günther war froh, als er dieses hörte, und kümmerte sich um die Warnung des Wirtes nicht. Er ließ sich Feuerzeug, Speise und Trank geben und verfügte sich mit seinem Diener in das Schloß, wo er auch bald in ein gutes Zimmer gelangte. Er ließ ein Feuer anmachen und setzte sich mit seinem Diener an einen Tisch. Während die beiden zusammen saßen und eine Flasche Wein austranken, wurde an die Tür geklopft. Anton Günther rief, wie es seine Gewohnheit war: »Herein, wer einen Kopf hat!«[414] Da erschien eine feurige Gestalt und schritt auf den Tisch zu. Anton Günther aber sprang auf, zog seinen Degen, drang auf die Gestalt ein und trieb sie zur Thür hinaus. Bei der Verfolgung versetzte er der Gestalt mit dem Degen einen Hieb, da entfuhr der Gestalt ein Schmerzenslaut. Daran erkannte der Graf, daß es ein Mensch sei, den er vor sich habe. Er verfolgte die Gestalt, die immer vor ihm herlief, bis in den Keller des Schlosses. Hier aber umringten ihn mit einemmale sechs bis sieben Männer und wollten ihn töten. Der Graf sprach: »Es ist wahr, ich bin in eurer Gewalt, aber bedenkt wohl, was ihr tut, denn ich bin der Graf Anton Günther von Oldenburg, und mein Tod wird nicht ungerochen bleiben. Man weiß, wo ich bin, und wenn ich nicht zurückkehre, wird man das Schloß umzingeln und keinen Stein auf dem andern lassen.« Er konnte aber recht wohl merken, daß er unter eine Bande von Falschmünzern geraten war, die in dem Keller ihre Werkstätte aufgeschlagen hatten. Die Männer traten zusammen und flüsterten miteinander. Endlich sagte einer zu ihm, wenn er versprechen wolle, sie nicht zu verraten und kein Wort laut werden zu lassen von dem, was er im Keller gesehen, so wollten sie ihn freigeben. Anton Günther versprach es und ward entlassen. – Geraume Zeit nachher saß der Graf, welcher schon lange Zeit von seiner Reise nach Wien zurückgekehrt war, auf seinem Schlosse zu Oldenburg, als jemand an die Tür klopfte. Anton Günther rief sein gewohntes Wort: »Herein, wer einen Kopf hat!« und herein trat ein wohlgekleideter Mann und sprach: »An diesem Worte erkenne ich, Herr, daß Ihr der Rechte seid. Ihr habt auf jenem Schlosse in Holstein versprochen, kein Wort zu verraten von dem, was ihr dort gesehen und gehört, und ihr habt euer Wort gehalten. Jetzt ist das Schweigen nicht mehr nötig, denn das Werk, an welchem dort gearbeitet wurde, ist vollendet. Aber zur Anerkennung eurer Treue, und weil man, so weit die menschliche Zunge geht, euch als den besten Kenner der Pferde rühmt, so ist für euch in dem Blauen Hause ein edles Pferd eingestellt, das ihr dort abholen möget.« Nach diesen Worten verbeugte sich der Fremde und entfernte sich. Graf Anton Günther schickte zum Blauen Hause, das dazumal ein Zoll- und Wirtshaus am Ende des äußeren Dammes war, da stand alldort der Kranich, welcher nachmals so weltberühmt geworden ist, und den der Graf beim Einzuge seiner[415] Braut ritt, als er sich mit der Prinzessin Sophia von Holstein vermählte.

Quelle:
Ludwig Strackerjan: Aberglaube und Sagen aus dem Herzogtum Oldenburg 1–2, Band 2, Oldenburg 21909, S. 414-416.
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