319. Pfingsten im Saterlande.

[87] Schon vierzehn Tage vor Pfingsten wurde unter den jungen Mädchen des Dorfes durch das Los eine Königin gewählt. Diese mußte zunächst von den übrigen Mädchen eine Beisteuer, je zwei bis sechs Grote, zu einem Festgeschenke für den König einsammeln. Das Festgeschenk war ein gewöhnlicher Hut, mit Bändern und künstlichen Blumen geschmückt. König wurde, wer beim Vogelschießen das letzte Stück vom Vogel herunterschoß. Das Vogelschießen fand am zweiten Pfingsttage nach dem Gottesdienste statt. Aus dem Wurzelende eines Baumes wurde ein hölzerner Vogel geschnitzt und an einer langen Stange auf einem Windmühlenflügel befestigt. Anfertigung und Aufrichtung lag dem König des vorigen Jahres ob, der dafür die ersten drei Schüsse tat. Nach diesen drei Schüssen durfte jeder nach Belieben schießen. Der neue König nahm von der Königin den Hut als Preis mit einem derben Kusse in Empfang, und dann gings unter Juchhe und Geigenspiel ins Wirtshaus, wo mit Tanz und Gesang das Fest seine weitere Feier fand. Der König hatte das Recht, die ersten drei Tänze mit der Königin ganz allein zu tanzen, sowie für die ganze Feier oben zu tanzen. Die Hausdiele, der Tanzplatz, war nämlich geräumig genug, das Tanzen an mehren Stellen zugleich zu gestatten, und der Raum zunächst dem Feuerherde war der vornehmste und hieß oben. Vor mehr als hundert Jahren war die Feier vielfach anders. So wurde in Ramsloh das älteste Mädchen Königin, in Strücklingen wählte der König nach Belieben. Das Festgeschenk für den König war ein Kranz aus künstlichen Blumen, noch früher, wie ein Erzähler meinte, aus natürlichen, nämlich aus Pinxterblomen, convallaria bifolia.[87] Kein Mädchen, erzählte ein alter Strücklinger, das nicht gern Königin geworden wäre, denn diese erhielt vom Könige eine Gegengabe von drei Gulden. Überhaupt hatte der König viele Auslagen, weshalb er denn auch aus der Gemeindekasse eine Entschädigung von zwei Talern bekam, was nach der Zeit weggefallen ist. Wenn der König ins Wirtshaus kam, tanzte er zuerst mit seiner Königin den Holländischen, darauf tanzte er mit jedem Mädchen ein oder zweimal rund und übergab dann jedes einem anderen Tänzer, bis alle ihre Tänzer hatten, denn es war sein Amt, die Anwesenden in Paare zu teilen. War dies geschehen, so ging es zu dem Maibaum, der an hoher Stange vor dem Wirtshause aufgerichtet war. Maibaum ist auch hier eine Birke, obwohl im gewöhnlichen Leben die Saterländer die Birke Risebom, Maibom die Eberesche nennen. Unter dem Maien hing an einer Querstange an dem einen Arm ein Kranz, an dem anderen ein hölzerner Schinken, auf welchem Flasche und Glas gemalt. Dreimal umtanzte man den Maibaum, dann stellte sich der König an den Maibaum, die Königin etwas entfernt, und beide spannten ein weißes Taschentuch zwischen sich aus, über welches die ganze Gesellschaft tanzend hinwegspringen mußte. Hierauf ging der Zug zu den drei nächsten Nachbarhäusern, tanzte in jedem dreimal um den Feuerherd und kehrte endlich in das Wirtshaus zurück. Am Montage in der Pfingstwoche findet im Saterlande in den Eschen eine Prozession statt, bei welcher die Geistlichen ohne kirchlichen Ornat, die übrigen Teilnehmer ohne Sonntagskleid erscheinen. – Die zweiblätterige Maiblume wird vorhin Pfingstblume genannt. Gemeiniglich gelten als Pfingstblumen hierorts die Päonie und Syringe (syringa vulgaris, auch wohl Flieder oder plattdeutsch Nägelken genannt, weil die Blüte vor ihrem Aufbruch einem kleinen Nagel ähnlich sieht.)

Quelle:
Ludwig Strackerjan: Aberglaube und Sagen aus dem Herzogtum Oldenburg 1–2, Band 2, Oldenburg 21909, S. 87-88.
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