Vierter Auftritt.

[221] Julie und Woldemar.


WOLDEMAR. Sie haben befohlen, Fräulein – aber Sie weinen – o ich verstehe diese Thränen – über mich weinen Sie. – Meine Zärtlichkeit, meine Gedult, meine Ehrerbietung gegen Ihre alte Liebe, alles dieses macht nichts als traurige Eindrücke bey Ihnen, ich kommen Ihnen immer hassenswürdiger vor; der Verfolger, denken Sie – Ich gestehe es Ihnen, ich bin nicht großmüthig genug, die schönste Hofnung meines Lebens kaltsinnig aufzugeben. Ich habe mir geschmeichelt, ich läugne es nicht, daß meine Aufführung Sie zu einiger Gütigkeit bewegen würde – wenn ich mich auch bescheiden mit Ihrem Freunde vergleiche, wenn ich auch alle Vortheile des Glücks aus der Rechnung weglasse, so dünkt mich doch Julie, und ich bin stolz darauf, er soll es mir in der Liebe zur Tugend und zu Ihnen nicht zuvor thun. Ich könnte die Wünsche Ihres Vaters anführen –[221]

JULIE. Die Wünsche meines Vaters – o sie liegen schwer auf meiner Seele – Allein, wenn Sie wirklich der Mann sind, der edel denkt – den das lange Leiden eines armen Mädchens rührt – der die Wünsche meines Vaters nicht gewaltthätig anwenden will – Wenn Sie der Mann sind, Woldemar, so hören Sie mich einen Augenblick. – Der junge Mensch, von dem Sie reden, hat ein rechtschaffnes Herz, ein Herz, das weit über seinem Glück ist – wer wird auch elend genug seyn, ihm seine Armuth vorzuwerfen? Ehe ich Sie kannte – ehe man mir sagte, daß ich unter das Vermächniß Ihres Vaters gehörte, da liebten wir uns schon. – In dem Frühling unsers Lebens liebten wir uns, und mit einer Liebe die rein war, wie unsere Unschuld! Ach, wie hat sich dieses alles geändert – wie ruhig, wie sanft giengen unsere Tage vorüber! – Aber Sie, Woldemar – Sie sind in dieses Haus gekommen – und eine lange Reihe von Elend kam hinter Ihnen her. – Meinem Vater mißfiel unsere Zärtlichkeit nicht eher, als bis er Ihre nahe Ankunft vernahm, und der gütigste Vater wurde auf einmal hart und unerbittlich, da waren wir nicht mehr seine Kinder, die Freude seines Alters, da war ich nicht mehr seine einzige Julie, in deren Zügen er meine[222] Mutter wieder fand, da war Belmont nicht mehr ein Sohn, den ihm der Himmel wiedergegeben hatte, ach ein Bösewicht sollte er seyn, ein Undankbarer, ein Bettler. O Belmont! was hast du nicht meinetwegen erduldet! Aus diesem Hause ward er weggejagt, ehe Sie es betraten – Man sagt, daß er Freunde gefunden hat. – Aber ach, seine Julie – die wird hier von Ihrem Vater, von Ihren Verwandten gemartert – von einem Mann mit seiner Liebe gemartert –

WOLDEMAR. Julie, seyn Sie gerecht, denken Sie auch an das Leiden dieses Mannes, was für ein Opfer verlangen Sie von mir? Sollte ich meine Ansprüche zum Vortheil eines Menschen aufgeben, den ich nicht kenne. – Dürfte ich wenigstens nicht hoffen, daß meine Beständigkeit und ein näherer Umgang mir Ihr Herz geneigt machen würde? Was sollte mich bewegen zu glauben, daß eine Liebe der ersten Jugend, die noch nicht Leidenschaft seyn konnte, immer fortdauren würde? Und Ihr Vater, Julie – mir werden Sie doch seine Strenge nicht Schuld geben? Ueberlegen Sie meinen Zustand mit Gelassenheit, Julie. Ich erschrack anfangs über eine Verbindung, bey welcher man uns beyde nicht zu Rathe gezogen hatte, aber ich hatte Sie kaum gesehen, kaum hatte ich Ihr vortreffliches Herz[223] entdeckt, als ich das Andenken meines Vaters mit Freudenthränen segnete. – O Sie wissen es, Julie, daß ich Sie zärtlich liebe, Ihr Kaltsinn – Ihr Haß hat diese Liebe nicht entkräftet. – Verzeihen Sie mir, verzeihen sie es der Macht der Liebe, die Sie zu meinem Unglück so sehr kennen, wenn ich nicht stärker bin, als Sie selbst. – Nein Julie, ich kann mich nicht zu der Verläugnung erheben – der Sieg ist zu groß – ich würde mein Leben nicht ertragen, wenn nicht noch ein Strahl von Hoffnung –

JULIE. Keine Hoffnungen – Ich betheure Ihnen vor Gott, Woldemar, ich kann Ihnen keine Hoffnungen geben. – Ja – wenn Sie grausam genug sind – wenn mein Vater unerbittlich ist – wenn ich seine Zufriedenheit nicht anders als mit meinem Elend erkaufen kann – so kann man mich hinschleppen zu dem Altar, wenn Sie das Ihr Glück nennen – sich mit dem armseligen Ueberrest eines abgehärmten Mägdchens zu verbinden. – Großmüthiger Mann – sprechen Sie mein Urtheil aus, sagen Sie es meinem Vater, ich hoffe mich auf diesen schrecklichen Tag vorzubereiten – wie ein Todestag schwebt er vor mir. – O Woldemar, wenn ich Sie erbitten könnte! Wenn Sie Thränen rühren! wenn Ihr Herz nicht hart ist! –[224] Wenn Sie diese zerrüttete Familie wieder aufrichten wollten! – Wenn es wahr ist, daß Sie mich lieben! O stürzen Sie mich nicht in diesen Abgrund des Verderbens. – Ich zittere vor Ihnen Woldemar. – Sie würden mir wie ein Engel vorkommen – Sie können das Leben eines armen Mägdchens retten – wenigstens ihren Tod aufschieben, denn dieses Elend – es kann nicht lange mehr währen. – Fällt vor Ihm auf die Knie und weint. O Woldemar! – erbarmen Sie sich –

WOLDEMAR indem er sie schnell aufhebt. Theureste – das ist nicht auszuhalten – Sie nicht zu lieben soll Großmuth seyn? –


Geht unruhig herum.


JULIE. Ja Großmuth ist es, himmlische Großmuth. – Vortreflicher Mann – Mein Freund – Freund meiner Seele, o verfolgen Sie mich nicht mehr – Darf ich Ihre Freundschaft nicht hoffen? Woldemar! darf ich nicht hoffen?

WOLDEMAR. Ich verdiene die Ihrige nicht – hier empört sich die Leidenschaft – mächtig empört sie sich. Aber fürchten Sie nichts, wenn hier jemand unglücklich seyn muß. –[225] Ha Julie – Sie fordern zu viel – so groß ist meine Seele nicht.

JULIE. Tugendhafter, würdiger Mann – Mein Elend oder mein Glück hängt an Ihrem Entschluß.


Geht ab.


Quelle:
Peter Helfrich Sturz: Schriften. Band 1, Leipzig 1779–1782, S. 221-226.
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