Neunte Szene

[52] Die Vorigen. Zwei Spaher.


ARRATOS.

Was berichtet ihr?[52]

ERSTER SPÄHER.

Eurytimos, o Herr, der starke Ringer – –

ARRATOS.

Derselbe, den ich unlängst bannte, weil – – –?

Was ist's mit ihm?

ERSTER SPÄHER.

Bebärtet und als Bettler

Schlich er zur Stadt herein in grauer Frühe.

ARRATOS.

Dies wird mich später kümmern. Doch – wie steht's

Mit Mago?

ERSTER SPÄHER verlegen.

Mago sah ich nicht.

ARRATOS zum zweiten.

Und du?

ZWEITER SPÄHER sieht zaudernd Philarete an.

ARRATOS.

Du schweigst? Geheimnisse, die mich mit euch

Verbinden, wird die Herrin ruhevoll

Ertragen! Sprich!

ZWEITER SPÄHER.

Ein andrer Bettler, Herr –[53]

ARRATOS.

Was, Bettler! Bettler! Kümmern mich die Bettler?

Von Mago, meinem Freunde, laß mich wissen!

ZWEITER SPÄHER.

Der Bettler, Herr, von dem ich Kundschaft bringe,

Wird dich erstaunen, mehr als Mago kann.

ARRATOS.

Wie das?

ZWEITER SPÄHER.

Vom Hafen kam er. Welch ein Schiff

Ihn hertrug, blieb unaufgehellt. In Mühsal

Sich weitertastend, führerlos – denn er

Ist blind, vom Stahl geblendet, wie es scheint –

So kroch er allgemach zur Oberstadt,

Gesellte sich den Gabeflehenden,

Die haufenweis am Tor der Achradina

Im Staube knieen – und –

ARRATOS.

Und?

ZWEITER SPÄHER.

Wirre Reden

Führt er allda: Wenn je du wüßtest, Herr,

Was ihm zu wissen ward vergönnt, du würdest

Ihn lohnen königlich, du würdest –

ARRATOS.

Weiter,

Nur weiter![54]

ZWEITER SPÄHER.

Herr, ich darf nicht weiter.

ARRATOS.

Wer

Versagt es dir?

ZWEITER SPÄHER.

Du selbst. Bei Kerkerstrafe

Verbotest du, den Namen je zu nennen

Des Feldherrn, der –

PHILARETE streckt mit einem fragenden Aufschrei die Hände gegen ihn aus.

ARRATOS halb zu Philarete gewandt.

Wenn ich so tat, geschah's,

Damit nicht Schmähung ungerecht sich häufe

Ob einem Grabe, das nur Tränen heischt.

PHILARETE.

Bei allen Göttern, warum sprichst du nicht?

ZWEITER SPÄHER fragend zu Arratos gewandt.

Ich weiß nicht –

ARRATOS.

Sprich!

ZWEITER SPÄHER.

So bleib' ich straflos?[55]

ARRATOS.

Ja.

ZWEITER SPÄHER.

Der Blinde Bettler also dort am Tor

Berühmte sich in Worten mancherlei –

Und alle lauschten wie verzaubert ihm –,

Er könne melden, was auf Erden keiner

Gehört und wahrgenommen außer ihm:

In welcher Art – und wo – und wann – einst jener –

Der – – der –


Sich ein Herz fassend, fast schreiend.


einst Lykon, unser Feldherr, starb.

PHILARETE nach einem langen Schweigen.

Am Achradina-Tor, so sagtest du?

ZWEITER SPÄHER.

Dort, wo die Bettler knieen, hohe Herrin.

PHILARETE.

Wie sieht er aus, der Mann?

ARRATOS leise.

Laß! Davon später!

PHILARETE sich hoch aufrichtend.

Wie sieht er aus, der Mann?[56]

ZWEITER SPÄHER.

Kein Menschenanblick

War je so schreckensvoll. Gesicht und Glieder

Von Marterspuren wundgefleischt. Der Augen

Zerrissne Höhlen wie mit Blut erfüllt.

Wildweißes Dünnhaar starrend um die Schläfen.

Die Stimme kreischend wie geborstnes Glas

Und Lästerworte speiend. Böse scheint

Der Mann, und Böses hängt an seinen Fersen.

ARRATOS.

Ihr mögt nun gehn. Doch harret, bis ich eurer

Bedarf.


Die beiden Späher ab.


Quelle:
Hermann Sudermann: Der Bettler von Syrakus. Stuttgart und Berlin 2-51911, S. 52-57.
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