[181] Die Vorigen. – Durch die Tür rechts kommen langsam und scheu Edle und Volk durcheinander gemischt, darunter Hegesias. Hinter ihnen her stürzen in großer Erregung, das Schwert in der Hand, Diokles, Ktesias, Lysimachos und andere Jünglinge.
ARRATOS aufstehend.
Ruhig,
Ihr Knaben! Dieses ist das Haus des Friedens.
Drum berget Wut und Waffen! ... Meinen Dank
Euch Allen, die ihr euch ums Morgenrot
Zu mir bemühtet Täuscht mich nicht mein Ahnen,
So gab es eine heiße Nacht voll Dunst
Und Blut und Feuersegen. Streng erwogen,[181]
Müßt' ich nun zürnen, weil ihr, ohne mich
Zu fragen, Spiele spieltet, die – beim Zeus! –
Ich ungern andern überließ als mir.
Doch liegt es wenig mir nach Wunsch, die Siegerfreude
Grämlich zu dämmen, die euch flutend trägt,
Zumal – vertraulich sei's gesagt – ich selbst
Sie mit euch teile.
Bewegung.
Dies verwundert euch?
HEGESIAS als Sprecher einer Gruppe älterer Edlen.
Ja, Herr! Weil wir dich mit des Landes Feinden
In zartem Frieden sahn, der uns gefahrvoll
Und kaum begreiflich schien, so nahmen wir
Geringen Anlaß wahr, um ohne dich
– Und, notgedrängt, auch gegen dich – dem Siege,
Den du dereinst erkämpftest –
DIOKLES.
Wer erkämpfte
Den Sieg?
HEGESIAS mit einem strafenden Blick nach ihm hin.
– sein gottgewolltes Recht zu geben.
Doch daß wir uns erkühnen sollten, jetzt,
Da wir dich, Herr, in schenkender Vergebung
Den Händeln dieser Nacht – ich selbst geriet
Hinein und weiß nicht, wie? –
KTESIAS.
Wir aber wissen's,
Denn wir entflammten sie.[182]
HEGESIAS.
Die Jagend schweige,
Wenn altersschwere Häupter sich zum Rat
Begegnen.
DIOKLES.
Was gilt uns ein Altersvorrang,
Wenn er der Freiheit goldne Gabe träg'
Verschleudern läßt? Noch halten wir sie fest,
Doch wenn die Geißel erst geschwungen wird,
Dann trifft sie eure Nacken wie die unsern.
ARRATOS.
Mein teures Kind! Mit ungemessnem Kummer
Seh' ich dich dort in Widersachertrotz
Den Schwertgriff drehn. An eignen Sohnes Statt,
Der heut' entwich und nimmer wiederkehrt,
Wollt' ich dich setzen. Darum nimm den Platz
An meiner Seite. Er gebühret dir.
DIOKLES.
Vergib, mein gnäd'ger Herrscher! Wenn ein Platz
Der Welt in dieser Stunde mir gebührt,
So ist er an der Seite jenes Mannes,
Der mir den Vater, euch die Freiheit gab
Und den ich unter meuchlerischer Faust
Dahingesunken, unfromm liegen ließ,
Weil mich sein matter Wink hierher entsandte
Und daß du's weißt: Ich steh' hier als dein Feind!
Nicht weil ein kleiner Haß, weil Argwohn mir
Das Herz zerfräße – Argwohn heg' ich auch,[183]
Ah ja! – Doch davon schweig' ich, rede nur
Von einem: Wer Karthagos Freund gewesen,
Kann uns nicht Führer werden in dem Kampf,
Der um das nackte Lebenbleiben jetzt
Entbrennt Der ist gezeichnet und – muß fort!
ARRATOS für sich.
O meine tausend Wächter!
Laut, lächelnd.
So, ihr Freunde,
Erseht ihr, wie die Jugend Aug' und Urteil
Im Blauen ahnungslos lustwandeln läßt.
Schau her, mein Sohn, wie deine Mutter zittert
Und wie die Schwester leblos an ihr hängt!
Nicht mich, dein eigen Blut hast du gelästert.
DIOKLES schmerzergriffen.
O Mutter!
ARRATOS.
Und wofür? Karthagos Freund
Wär' ich gewesen? Weil ich Frieden suchte?
Weil ich den Kampf, in dem die weiße Stadt
Zu schwarzem Trümmerschutt sich wandeln mußte,
Hinausschob – bis, durch unsern Schatz geworben,
Das Mark der Welt für uns die Speere hob?
Und wenn ich Syrakusens Todfeind witternd
In diesen Mauern duldete, wenn selbst
Dies oder jenes Fahrzeug Heimlichkeiten
In seinen Planken barg, was tut das euch?[184]
Denn mir war nichts verborgen. Zeugnis kann ich
Euch bringen – wenn ihr's fordert, auf der Stelle –,
Daß jede Tat, die ein Karthager plante
– Auch Mago – er, mein Freund, zuerst –, von mir
Erspäht, durchforscht, im Keim vernichtet ward.
So, von des Volkes Mißtraun hart getadelt,
Dem Freundesblick zur Scham, vom eignen Sohn
Verraten, wacht' ich selbstlos, ruhelos
Ob euch und eurem Wohl! Und wenn ihr heut'
Zum Danke der Empörung Fackel mir
Ins Antlitz werft, sie fällt vor mir zur Erde,
Zerspaltet und erlischt, denn hier ist keiner,
Ihr Freunde, gegen den man sich empöre.
Zögernder Beifall im Volk.
HEGESIAS.
Vergib, o Herr, wenn wir in Unverstand
Gefrevelt!
Rufe: »Vergib uns! Vergib!«.
Was zuerst uns obliegt, ist,
Der Söldner Schutz um deinen Thron zu sammeln –
KTESIAS.
Seid ihr von Sinnen?
HEGESIAS.
– denn es rast das Volk
Und will Gericht und Sühne – und was noch?
ARRATOS seinen Triumph verbergend.
Ich dank' euch, edle Freunde! Würd' es mich[185]
Auch mehr erbauen, wenn in Gunst ihr selbst
Mit euern Schutz –
DIOKLES.
Wir selbst? Wir werden bald
Staub fressen, Wärmer nähren oder barhaupt
Für Syrakusens schnell gewonnene,
Schnell fortgeworfne Freiheit betteln gehn!
Ein von fernher anschwellendes dumpfes Murmeln hat sich erhoben. Alles lauscht.
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