Zehnte Szene

[28] Trast. Robert.


TRAST. Du bist blaß, mein Junge, und deine Hände zittern. Was ist dir geschehn?

ROBERT. Ach nichts. Das Glück – weißt du – die Erregung. Das ist doch natürlich!

TRAST. Ganz natürlich. – Beiseite. Er lügt! Laut. Sag mal, wie lange gedenkst du hier zu bleiben? Ich will meinen Aufenthalt in dem braven Europa darnach regeln.

ROBERT. Unmöglich, lieber Freund! Unsere Wege trennen sich nun.

TRAST. Ah Wetter!

ROBERT. Ich werde meinen Chef bitten, mich von nun an im Lande zu beschäftigen. Das indische Klima – du verstehst.

TRAST. Da haben wir die Bescherung! Es hängt sich wohl sehr lieblich an Mutters Schürzenband?

ROBERT. Spotte nicht und frage auch nicht. Und da wir bald auseinandergehn – es muß ja einmal gesagt werden – hab Dank, du lieber, böser Mensch, für alle deine Wohltaten. Das war der gesegnetste Augenblick meines Lebens, als du mich im Club auf Buitenzorg fiebernd hinter meinem jungen Chef stehn sahst, der eine Hundert-Gulden-Note nach der andern auf den grünen Tisch warf.

TRAST. Warum war ich so dumm, einen Narren an dir[28] zu fressen, wenn du mich jetzt – pfui, das ist nicht fein.

ROBERT. Trast, tu mir nicht weh! Siehst du, dir verdank ich alles. – Als ich damals deinen Namen hörte, den Namen Trast und Compagnie, der allmächtig ist von Yokohama bis nach Aden, da war mir zumute, als stünd' ich vor dem Kaiser selber.

TRAST. Ein Kaiser von Kaffeesacks Gnaden.

ROBERT. Das Mühlingksche Unternehmen in Batavia war eben drauf und dran, elendig zugrunde zu gehn. –

TRAST. Wunder auch, da es den größten Taugenichts im Archipel zum Leiter hatte.

ROBERT. Vor mir standen Rückberufung und Entlassung. Da nahmst du den armen, landfremden Commis unter deine Fittiche, dein Name eröffnete mir Verbindungen in Fülle, an deinem Rat erwuchs ich zum Manne – während Herr Benno Mühlingk sein lustiges Leben weiterführte, glitt die Leitung der Geschäfte allgemach in meine Hände über –

TRAST. Und das Ende vom Liede ist, daß das Haus Mühlingk samt seinem sauberen Vertreter durch uns um einige Hunderttausende reicher wurde. Schade! Hätt's dir selber gegönnt! Nun, ich werde deinem Ober-Chef die Augen über dich öffnen. Wenn er dich nicht mindestens zum Compagnon annimmt, so werde ich in meinem Zorne eine solche Kaffee-Hausse heraufbeschwören, daß die wackere Frucht der deutschen Eiche zu ungeahnten Ehren kommen soll. Aber ernsthaft gesprochen, warum kaprizierst du dich, im Dienste dieser Leute zu bleiben? Komm mit mir, mein Junge. Ich biete dir ein fürstliches Gehalt und jeden Weihnachten eine neue Hose.

ROBERT lehnt kopfschüttelnd ab.

TRAST. Die Dankbarkeit allein kann solchen Wahnwitz nicht zustande bringen. Oder sollte am Ende zum Inventar der Firma irgendeine deutsche Jungfrau gehören, die – Beiseite. Aha! Laut. Da wir gerade von Jungfrauen reden! –[29] Denke, was mir gestern abend passiert ist! Als wir uns getrennt hatten, schlenderte ich ziellos durch die Straßen. Ein Plakat von angenehmer Augenfälligkeit lud mich zum Maskenballe ein. Hundert Bajaderen werden ihre sinnberauschenden indischen Tänze aufführen, hieß es daselbst. Na, darin bin ich ja Fachmann. Also ich ging hin – Ach! – Alles das schien eigens dazu da, um angehende Mönche zur Ablegung ihrer Gelübde zu begeistern. Aber da kommt mir im Schwarm ein blutjunges Wesen entgegen, zart und flaumig wie ein halbreifer Pfirsich. Sie scheint gerade herrenlos. Ich attackiere sie. Sie, nicht blöde, bettelt mich mit süßer Kindesstimme um ein Spielzeug an, das an meiner Kette hing. Ein kleines, goldenes Götzenbild, darstellend meinen Schutzpatron Ganesa, den Gott des Erfolges, der, wie du weißt, auf einer Ratte reitet. Eine Ratte hatte die andere gewittert. Und als ich schwatzend neben ihr herging, du, was fand ich da? Unter dem Flaume kindlicher Unschuld was für eine naive Verdorbenheit! –

ROBERT angstvoll. Also dergleichen ist möglich?

TRAST. Du hörst es ja. Nun pflegt mein Herz stets in dem Takte zu schlagen, welchen die Sitte des Landes verlangt, dessen Gastfreundschaft ich genieße. Denn ich mache mich gern zum Sklaven des Milieus. Im Orient halte ich mir einen Harem, in Italien steige ich bei Mondschein über Gartenmauern, in Frankreich bezahle ich die Schneiderrechnung und – Gott! – in Deutschland weise ich den Rückweg zur Tugend. – Ganz folgerichtig. Im Orient liebt man mit den Sinnen, in Italien mit der Phantasie, in Frankreich mit dem Geldbeutel, in Deutschland aber mit dem Gewissen. Also ich beschloß, dies kindliche Laster zur büßenden Magdalena umzuwandeln. Noch hatte ich mit den Anfangsgründen nicht begonnen, denn der Champagner sollte eben erst aufgekorkt werden, da kommt ein Herr – zur Hälfte Dämon, zur Hälfte Hampelmann – auf mich zugestürzt und reklamiert sie für sich.[30] – Ich ehrte die älteren Rechte und ging um eine gute Tat ärmer zu Bette. Aber ich gäbe viel darum, wenn mir der Zufall das süße Ding –

ROBERT schlägt ächzend die Hände vors Gesicht.

TRAST. Alle Wetter – was gibt's? – Pst –


Quelle:
Hermann Sudermann: Die Ehre, Stuttgart 1974, S. 28-31.
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