Erste Szene

[56] Frau Heinecke in Nachtmütze und wollenem Unterrock.


FRAU HEINECKE. Guten Morgen, mein Sohn. Er antwortet nicht. Erbarmen, er is jar nich ins Bette gewesen! Tritt, sich die Augen wischend, zu ihm. Robertchen!

ROBERT schrickt empor. Was gibt's? – Was willst du?

FRAU HEINECKE. Jeses, wie du mir anschreist! Und die Zähne klappern dir vor Frost! Willste Kaffee trinken? Er verneint heftig. Robertchen, nimm eine jute Lehre an von deine alte Mutter: Wenn der Mensch auch Kummer hat, schlafen muß der Mensch doch; denn das stärkt die Jlieder! Löscht die Lampe.

ROBERT. Mutter, Mutter, was habt Ihr getan?

FRAU HEINECKE weinend. Wir haben keine Schuld, mein Sohn!

ROBERT. Keine Schuld! Mutter!

FRAU HEINECKE. Ick hab ihr ehrbar erzogen. In diesen Hause is ihr nie ein schlechtes Beispiel gegeben worden. – Ich hab sie zur Schule angehalten und auch Komfirmieren lassen, obgleich das nich mehr nötig is ... Vor den Altar is sie getreten in einen neuen schwarzen Ripskleide. Hab ick ihr gekauft aus 'nen billigen Ausverkauf, und mein eigenes Hochzeitstaschentuch hab ick ihr in die Hand jejeben, und der Herr Prediger sprach so rihrend, so rihrend –[56]

ROBERT. Aber wie hast du den Verkehr mit jenem – Menschen dulden können?

FRAU HEINECKE. Vielleicht war es jar nich so schlimm!

ROBERT. Was verlangst du noch für Beweise? ... Hat er mir mit brutalster Offenheit nicht alles eingestanden? Oder hat Alma etwa zu leugnen versucht? Zum Überfluß bin ich dann gestern abend noch im Hause der Michalski gewesen. – Alles war aufs Vortrefflichste geordnet. Deine liebe Tochter Auguste hat ihnen ein verschwiegenes Nest hergerichtet, mit Teppichen und Vorhängen und roten Ampeln – sie selbst stand Wache vor der Tür und wurde dafür – bezahlt – hahaha! – – Der Elende war gestern in meinen Händen! Hätt' ich's nur übers Herz gebracht!

FRAU HEINECKE. Aber Robert!

ROBERT. Sei still, er hat Genugtuung versprochen. Das wenigstens hab ich erreicht! Er sah, daß ich zu allem entschlossen war. – Da hat er mir beteuert, er werde bis heute Mittel und Wege finden, eine Genugtuung zu schaffen. Ihr selbst würdet damit zufrieden sein. Ich dachte an die Zukunft des unglücklichen Geschöpfes und ließ ihn laufen.

FRAU HEINECKE. Na, ich hab mir nichts Schlimmes dabei gedacht.

ROBERT. Du mußtest es kommen sehen. Was dachtest du dir, wenn er sie spät in der Nacht heimgeleitete?

FRAU HEINECKE. Wer schläft, is froh, daß er nich zu denken braucht. Außerdem hatte sie den Hausschlüssel.

ROBERT. Aber du konntest dir nicht verhehlen, daß sie, um an seiner Seite heimzufahren, irgendwo in der Stadt mit ihm zusammengetroffen sein mußte?

FRAU HEINECKE. Na ja. – Ick dachte: Se jeht eben mit ihm.

ROBERT. Ich verstehe dich nicht.

FRAU HEINECKE. Se jeht mit ihm.

ROBERT. Du sagtest schon – aber –

FRAU HEINECKE. Wie ein junges Mächen eben mit einen jungen Manne – jeht.[57]

ROBERT. Geht? Wohin geht?

FRAU HEINECKE. Ins Konzert oder ins Bierlakal – wenn's Jeld reicht, auch ins Theater, zur Sommerzeit in den Jrunewald oder nach Treptow! –

ROBERT. Allein?

FRAU HEINECKE. Allein! Schnalzt mit der Zunge. Ne – mit den jungen Manne! –

ROBERT. Ich wollte sagen: Ohne Begleitung der Eltern?

FRAU HEINECKE. Natirlich! Oder verlangste vielleicht von deine olle Mutter, dat sie auf ihre schwache Benekens hinter des junge Volk herzoddelt?

ROBERT. Hm! Also du wußtest, daß sie mit ihm – ging?

FRAU HEINECKE. Ne. Ich dachte es mir nur.

ROBERT. Und wenn du sie fragtest?

FRAU HEINECKE. Wozu fragen? Das gibt unnütze Rederei. Ein Mächen muß von alleine wissen, was es zu tun hat.

ROBERT. So, so!

FRAU HEINECKE. Aber daß sie – o wer hätte das gedacht! Jeses, wie du zitterst! – Ich muß dir jleich eine warme Stube machen!


Geht nach hinten zum Ofen.


ROBERT für sich. Kein Ausweg! Keine Rettung! Schande – ein Leben lang nichts wie Schande!

FRAU HEINECKE zur Küche hin. Vater, bring die Koaks rein.


Kniet vor dem Ofen nieder und scharrt Asche heraus.


ROBERT für sich. Was für eine Art Genugtuung kann er gemeint haben? Eine Heirat? Hahahaha! – und wenn ich mich ehrlich frage, ich weiß nicht einmal, ob ich sie wünschen darf. – Schließlich bleibt mir das Duell! ... Wenn er mich niederknallt, bin ich geborgen. Aber – was wird aus diesen hier?[58]


Quelle:
Hermann Sudermann: Die Ehre, Stuttgart 1974, S. 56-59.
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