Vierte Szene

[62] Robert. Alma.


ROBERT für sich. Jetzt werd ich erfahren, wer sie ist ... Und was ich zu tun hab. Weich. Komm zu mir, Schwester.

ALMA. Mutter hat befohlen, ich soll die Stube ausfegen.

ROBERT. Das hat Zeit. Nimmt sie bei der Hand. Sie schrickt zurück. Brauchst keine Angst zu haben ... Ich werd dich nicht schlagen. Und verfluchen auch nicht ... Du sollst nur wissen, daß du von nun an einen guten Freund hast, der bei dir Wache hält ... treu und nachsichtig.[62]

ALMA. Du bist viel zu gut. – Viel zu gut. –


Sinkt schluchzend vor ihm nieder.


ROBERT. Na, na – nur nicht knien! ... Setz dich auf die Fußbank ... so ... Setzt sich auf den Sessel. und richt dich auf, damit ich dir in die Augen sehn kann. Versucht ihren Kopf aufzuheben, sie verbirgt ihn widerstrebend in seinem Schoße. ... Du willst also nicht? ... So lieg meinetwegen und weine ... Ich werd dich von diesem Platz nicht wegweisen ... Und weinen wirst du noch manchen Tag und manche Nacht, wenn du erst recht begriffen hast, was man aus dir gemacht hat ... Sag mal, das siehst du doch ein, daß dein ganzes künftiges Leben nur der Reue gehören muß?

ALMA. Ja! Das seh ich ein ...

ROBERT nimmt ihren Kopf in beide Hände. Ja, ja, Schwester, da hat man sich denn in der Fremde ein Glück für dich zurechtgebaut ... Zehn volle Jahre lang ... Und nun werden zwanzig kaum ausreichen, um nur dies Elend vergessen zu machen.

ALMA. In zwanzig Jahren bin ich ja alt.

ROBERT. Alt? – Was tut das? Für uns beide gibt es auch heute keine Jugend mehr!

ALMA. O Gott!

ROBERT in Erregung aufspringend. Hab keine Furcht. Wir werden zusammenbleiben. Wir werden uns in irgendeinen Winkel verkriechen, wie's gehetzte Tiere machen. Ja, das sind wir ... Man hat uns lustig gehetzt und zerfleischt ... Alma sinkt mit dem Gesicht auf den leeren Sitz zurück. Siehst du, nur wir einander können uns heilen ... Du mich und ich dich. Für sich. Wie sie daliegt! Heiliger Gott, mir wird immer klarer, was zu tun ist. – Die Kinderseele, die er in den Schmutz getreten hat, kann er mir nicht wiedergeben, und andere Genugtuung brauch ich nicht! ... Alma!

ALMA sich aufrichtend. Was?

ROBERT. Du liebst ihn wohl sehr?[63]

ALMA. Wen?

ROBERT. Wen? Jenen!

ALMA. O ja!

ROBERT. Und wenn du ihn ganz verlierst, – fühlst du, daß du dran zugrunde gehen würdest?

ALMA. O nein!

ROBERT. So ist's recht ... Sei hübsch tapfer ... Man lernt vergessen ... Man lernt's ... Setzt sich. Vor allem wirst du wieder arbeiten. Daß es mit dem Singsang zu Ende ist, versteht sich von selbst. Du hast die Schneiderei gelernt ... Die nimmst du wieder auf. Nur in ein Geschäft gehst du nicht mehr zurück ... Dort gibt es Verführung und schlechtes Beispiel.

ALMA. Ach ja, die Mädchen sind zu schlecht.

ROBERT. Man soll niemand mit Steinen werfen. – Und am wenigsten du! Wohin wir ziehen, weiß ich noch nicht. – Ich bring's nicht über mich, unsere alten Eltern zu verpflanzen, sonst nähm' ich Euch mit mir – ganz egal wohin – bloß weit, weit weg, wo du nur mir gehörst. – Mir und der Arbeit. – Denn das kannst du mir glauben: Ein volles Müdewerden ist schon ein halbes Glücklichsein. – Die Eltern werden natürlich bei uns wohnen. Und du sollst mir helfen, für sie zu sorgen. – Neben der Schneiderarbeit wirst du waschen und kochen. – Wirst sie pflegen und ihre Launen ertragen. Willst du das?

ALMA. Wenn du willst.

ROBERT. Nein, du mußt wollen. – Mit freudigem Herzen. Sonst ist kein Segen dabei. – Ich frag dich noch einmal: Willst du?

ALMA. Ja. – Von morgen ab will ich alles. –

ROBERT. So ist's recht. – Aber warum erst von morgen ab und nicht schon heute?

ALMA. Weil ich heute noch –

ROBERT. Was denn?

ALMA. Ach bitte, bitte!

ROBERT freundlich. Heraus damit![64]

ALMA. Ich möchte – heute noch – gar zu gerne – auf den Maskenball gehen.


Langes Schweigen. Stummes Spiel ... Er steht auf und geht im Zimmer auf und nieder.


ALMA aufstehend. Ja, darf ich?

ROBERT. Rufe die Eltern! –

ALMA. Also ich darf nicht? Weinerlich. Nicht einmal das? Nicht einmal zum Abschied soll man ein kleines Vergnügen haben?

ROBERT. Weißt du, was du sprichst? Du – – –

ALMA trotzig. Ich weiß janz jut, was ich spreche ... Ja, bin jar nicht so dumm! Ich kenn das menschliche Leben ... Warum haste dich so? ... Ist das nicht ein Unsinn, daß man hier sitzen soll wegen jar nicht? – Kein' Sonn', kein Mond scheint rin in so 'nen Hof. – Und rings um einen klatschen se und schimpfen! ... Und keiner versteht was von Bildung ... Und Vater schimpft und Mutter schimpft ... Und man näht sich die Finger blutig! ... Und kriegt fünfzig Pfennig pro Tag ... Das reicht noch nicht mal zu's Petroleum ... Und man ist jung und hübsch! ... Und möcht jern lustig sein und hübsch angezogen jehn ... Und möchte gern in andre Sphären kommen ... Denn ich war immer fürs Höhere ... Ja, das war ich ... Ich hab immer gern in de Bücher gelesen ... Und wegen's Heiraten! Ach, du lieber Gott, wen denn? – So einen Plebejer, wie sie da hinten in de Fabrik arbeiten, will ich jar nich ... Der versäuft doch bloß den Lohn und schlägt einen ... Ich will einen feinen Mann, und wenn ich den nicht kriegen kann, will ich lieber jar keinen ... Und Curt ist immer fein zu mir gewesen ... Da hab ich keine ruppigen Worte gelernt ... Die hab ich hier im Haus gelernt. Und ich will raus hier. Ich brauch dich überhaupt nicht mit deine Wachsamkeit ... Mädchen, wie ich, jeht nich unter!

ROBERT will auf sie los, besinnt sich aber. Rufe die Eltern!

ALMA. Und jetzt frag ich Vatern, ob ich nicht ... Da er drohend auf sie zustürzt. Ja, ja, ich geh schon! Ab.[65]

ROBERT allein. So. – Also das ist sie! Ah, was für ein weichlicher Narr ich war! ... Fing schon an, mir diese Gemeinheit mit Wehmut und Poesie zu überzuckern. – Das kann Verführung nicht! ... Das hat im Blut gelegen. So, jetzt heißt's handeln. Pietätlos – roh, meinetwegen. – Sonst ist alles verloren! –


Quelle:
Hermann Sudermann: Die Ehre, Stuttgart 1974, S. 62-66.
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