Zweite Szene

[85] Trast. Robert.


TRAST. Komm mal her, mein Junge!

ROBERT. Was willst du?

TRAST. Ich? Du weißt ja, ich will nie was. Ich lasse mich von den Ereignissen schaukeln. Aber die Frage ist: Was willst du hier – an diesem Platze?

ROBERT. Ich will Abrechnung halten.

TRAST. Natürlich ... Das wissen wir ... Da du aber auf den großmütigen Händedruck, der einem braven Arbeiter in solchen erhebenden Momenten zuteil wird, sowieso verzichten willst, so seh ich nicht ein, warum du die Bücher nicht einfach aufs Comptoir schickst – und basta.

ROBERT. Freilich, das wäre sehr einfach.

TRAST. Lieber Mensch, laß mich noch einmal als Freund mit dir reden.

ROBERT. Rede nur, rede.

TRAST. Du bist auf der Jagd hinter einem Phantom!

ROBERT. So?

TRAST. Deine Ehre hat niemand angetastet.

ROBERT. So?

TRAST. Weil niemand auf der Welt dazu imstande ist!

ROBERT. So, so!

TRAST. Das, was du deine Ehre nennst, dieses Gemisch aus – Scham, aus – Taktgefühl, aus – Rechtlichkeit und Stolz, das, was du dir durch ein Leben voll guter Gesittung und strenger Pflichttreue anerzogen hast, kann dir durch eine Bubentat ebensowenig genommen werden, wie etwa deine Herzensgüte oder deine Urteilskraft. Entweder sie ist ein Stück von dir selbst oder sie ist gar nicht ... Mit jener Sorte von Ehre, die schon der lässig geworfene Handschuh irgendeines fashionablen Rowdys zu zerschmettern vermag, hast du nichts gemein ... die ist gerade gut als Spiegel für die Laffen, als Spielzeug für die Müßiggänger und als Parfüm für die Anrüchigen.[85]

ROBERT. Du sprichst wie einer, der aus der Not eine Tugend macht.

TRAST. Sehr möglich ... denn jede Tugend ist von der Not geschaffen worden.

ROBERT. Und meine Familie?

TRAST. Ich denke, du hast keine mehr?

ROBERT von Schmerz überwältigt, birgt das Gesicht in den Händen.

TRAST. Ich versteh dich wohl ... Das ist das Zucken des Nervenstrangs, dessen Zubehör man amputierte ... Laß dich nicht beirren ... Wenn auch die Zehe noch weh tut, das Bein ist weg.

ROBERT. Du hast nie eine Schwester gehabt!

TRAST. ... Sag mal, muß ich, der Aristokrat, dich, den Plebejer, Duldung gegen die Niederen lehren? Mein Lieber, verachte die Deinen nicht. Sage nicht, daß sie schlechter sind als du und ich ... Sie sind anders, weiter nichts ... In ihren Herzen wohnt ein Empfinden, das dir fremd ist, in ihren Köpfen malt sich ein Weltbild, das du nicht verstehst. Sie darum verurteilen, wäre vorwitzig und beschränkt ... Und damit du's endlich weißt, mein Sohn, in dem Kampfe gegen die Deinen bist du von Anfang bis zu Ende im Unrecht gewesen.

ROBERT. Trast, das sagst du?

TRAST. Ich erlaube mir ... Du kommst aus fremden Ländern, wo du dich im Verkehr mit Gentlemen neunmal gehäutet hast, und verlangst von den Deinen, daß sie dir zu Liebe von heut auf morgen einfach aus der Haut fahren sollen, die ihnen von Anbeginn glatt und schlank auf dem Leibe gesessen hat ... Das ist unbescheiden, mein Junge ... Und deiner Schwester ist vom Hause Mühlingk tatsächlich die Ehre wiedergegeben worden, die Ehre nämlich, die sie gebrauchen kann. – Denn jedes Ding auf Erden hat seinen Tauschwert ... Die Ehre des Vorderhauses wird vielleicht mit Blut bezahlt – vielleicht, sage ich – die Ehre des Hinterhauses ist schon mit einem[86] kleinen Kapital in integrum restituieret. Da Robert zornig gegen ihn auffährt. Iß mich nicht auf ... Ich bin noch nicht fertig ... Welchen andern Sinn hätte die Jungfrauenehre, um die es sich hier handelt, als dem künftigen Gatten eine gewisse Mitgift von Herzensreinheit, von Wahrhaftigkeit und Neigung zu verbürgen? Denn nur zum Zwecke der Heirat ist sie da ... Nun frage gefälligst in der Sphäre nach, der du entstammst, ob deine Schwester mit dem Kapital, das ihr heut in den Schoß fiel, nicht eine weit begehrenswertere Partie geworden ist, als sie jemals gewesen.

ROBERT. Trast, du bist roh, du bist grausam.

TRAST. Roh, wie die Natur, grausam, wie die Wahrheit. Nur die Trägen und die Feigen bauen à tout prix Idyllen um sich herum. Du aber hast mit all dem nichts mehr zu tun, drum gib mir die Hand, schüttle den Staub der Heimat von deinen Füßen und sieh dich nicht mehr um.

ROBERT. Erst muß ich persönlich meine Genugtuung haben.

TRAST. Du willst dich also partout mit ihm schlagen?

ROBERT. Ich hatte darauf verzichtet – aber jetzt, jetzt will ich.

TRAST. Sei doch nicht so altmodisch!

ROBERT. Altmodisch – mag sein ... Vielleicht gerade, weil ich als Plebejer zur Welt gekommen bin und mir die Ehrbegriffe äußerlich aufgeimpft wurden, hab ich nicht die Kraft, mich zu der Höhe deiner Anschauungen emporzuschwingen. Laß mich also an meiner Beschränktheit zugrunde gehn.

TRAST. Wenn er nun aber nicht will?

ROBERT. Ich werd ihn zu zwingen wissen.

TRAST. Aha! Für sich. Dazu der Revolver! ... Noch eins, mein Junge. Wenn du durchaus willst, daß Herr Curt dir eine Kugel auf den Pelz brennen soll, so muß ihm doch erst jeder Vorwand genommen sein, dich zu refüsieren.

ROBERT. Mein Gott ja – du hast recht.

TRAST seine Brusttasche ziehend. Genierst du dich etwa?[87]

ROBERT. Nein, du hast zuviel für mich getan, als daß ich's dürfte –

TRAST ihm einen Scheck ausstellend. Da!

ROBERT. Und wenn ich das da niemals abarbeiten kann?

TRAST. So schreib ich's in den großen Schornstein, in welchem das Konto der Freundschaft geführt wird! Seinen Kopf streichelnd. Na, es wird so schlimm nicht sein! Hm – mein Junge – eins, was du ganz vergessen hast.

ROBERT. Wie?

TRAST. Lenore!

ROBERT zusammenzuckend. Sprich nicht von ihr.

TRAST. Du liebst sie.

ROBERT. Ah – ich antworte dir nicht!

TRAST. Soll sie an dich vielleicht als an den Mörder ihres Bruders denken?

ROBERT. Besser, als daß sie an einen Ehrlosen denkt!

TRAST sich hoch aufrichtend. Bin ich nicht auch ein sogenannter Ehrloser? Und hast du mich nicht als wackern Kerl gekannt? Und trag ich nicht den Kopf so hoch wie irgendeiner auf der Welt? Schäm dich!

ROBERT nach einem Schweigen. Trast – vergib mir.

TRAST. Vergeben – Unsinn! Ich habe dich lieb – basta.

ROBERT. Trast – ich werde – mich nicht – schlagen.

TRAST. Wort?

ROBERT. Wort!

TRAST. So komm!

ROBERT. Wohin?

TRAST. Was weiß ich! In die Welt!

ROBERT. Verzeih. Soll ich es mir versagen, dem gütigen Geber sein Geld vor die Füße zu werfen?[88]


Quelle:
Hermann Sudermann: Die Ehre, Stuttgart 1974, S. 85-89.
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