Fünfte Szene

[91] Curt. Lothar. Hugo. Trast.


CURT befremdet. Herr Graf?

LOTHAR leise. Wie gut, daß wir mitkamen!

TRAST. Ich bitte um eine Unterredung, Herr Mühlingk.

CURT. Meine Zeit ist leider kurz gemessen, Herr Graf, mein Vater erwartet mich.

TRAST beiseite. Oho! Laut. Es handelt sich um eine Bitte!

CURT. Ich habe keine Geheimnisse vor meinen Freunden, Herr Graf!


Setzen sich.


TRAST. Jemand, der mir befreundet ist, ist von Ihnen an seiner Ehre schwer gekränkt worden. – Auf meinen Rat und mir zuliebe verzichtet er darauf, eine Genugtuung von Ihnen zu fordern.

CURT. Sie irren, Herr Graf, Herr Heinecke hat seine Genugtuung erhalten.[91]

LOTHAR. Eine andere wären wir nicht in der Lage gewesen, ihm zukommen zu lassen.

TRAST sieht ihn von oben bis unten an. Lassen wir diese Frage fallen, Herr Mühlingk. Mein Freund befindet sich in diesem Augenblicke, wie ich vermute, bei Ihrem Herrn Vater, weil er darauf bestand, seine Abrechnung mit Ihrem Hause persönlich ins reine zu bringen.

CURT. Wenn ihm das Vergnügen macht!

TRAST. Er suchte bei dieser Gelegenheit auch eine Unterredung mit Ihnen!

CURT. Die kann er haben, Herr Graf!

TRAST. In einer Stunde wird mein Freund dieses Etablissement verlassen haben ... In Anbetracht der begreiflichen Erregung, in der er sich befindet, wäre es zweckmäßig für beide Teile, wenn während dieser Zeit ein Begegnen zwischen Ihnen vermieden würde.

LOTHAR. Herr Graf, ein Appell an die Feigheit hat in deutschen Herzen noch nie einen Widerhall gefunden.

TRAST ruhig. Herr Lieutenant, ich habe mir nicht erlaubt, das Wort an Sie zu richten. – Herr Mühlingk, überlegen wir genau. Sie sprechen zu jemandem, dem in diesem Augenblicke Ihr Wohl – nicht aus Sympathie, wie ich freimütig bekenne – von hohem Werte ist ... Ich darf darum wie ein Freund zu Ihnen sprechen. Lassen Sie sich von diesen Herren nicht einschüchtern –

HUGO. Nein, laß dich von uns nicht einschüchtern!

TRAST. Und geben Sie dem Gefühle Raum, das Ihnen sagt: Ich darf auf das Unrecht nicht trotzen, das ich jenem Manne angetan habe. Sie schweigen. Nicht wahr – Sie erfüllen meine Bitte?

LOTHAR hinter ihm, leise. Nun aber korrekt!

CURT. Ich schweige, Herr Graf, weil ich nach Worten suche, um Ihnen mein Erstaunen über Ihr seltsames Auftreten gebührend zu kennzeichnen.


Alle stehen auf.


LOTHAR hinter ihm, leise. Ganz gut! Ganz gut![92]

CURT. Und ich frage hiermit, was berechtigt Sie, in meinem Hause eine solche Forderung an mich zu stellen?

TRAST. Eine Forderung, die Sie ablehnen?

CURT. Zweifeln Sie daran, Herr Graf?

LOTHAR leise. Etwas schneidiger – schneidiger.

TRAST beiseite. Also ein Gewaltsmittel! Laut. Ja, ich zweifelte daran, denn ich hegte noch eine leise Hoffnung, es mit einem Ehrenmanne zu tun zu haben ... Pardon – ich täuschte mich.

CURT. Herr – das ist – –

TRAST. Eine Beschimpfung – ja wohl!

CURT. Für die Sie mir Rechenschaft geben werden!

TRAST. Ich verlange nichts Besseres!

CURT. Sie werden morgen von mir hören!

TRAST. Morgen? Schläft man bei Ihnen mit – dergleichen? Ich bin gewohnt, einen Schimpf auf der Stelle zu sühnen.

CURT würgend. Auch das!

TRAST beiseite. Gott sei Dank! Laut. Gehn wir also!

LOTHAR dazwischentretend. Immer korrekt, lieber Curt! Du als Kontrahierender hast mit dem Herrn nichts mehr zu verhandeln! Scharf. Erstens, Herr Graf, verlangt der Ehrenkodex, daß der Forderer sowohl wie der Geforderte vierundzwanzig Stunden Frist erhält, um seine Angelegenheiten zu ordnen. – Wir – mein Mandant und ich – würden von diesem Rechte Gebrauch machen, wenn wir nicht – und nun komme ich zum zweiten Punkte – auf das Vergnügen verzichten müßten, so etwas wie eine Genugtuung zu verlangen, denn Sie, geehrter Herr, haben uns nicht beleidigt ...

TRAST. Ah!

LOTHAR. Sie gehören nicht zu denjenigen, die uns beleidigen können.

TRAST belustigt. So, so!

LOTHAR. Erinnern Sie sich gefälligst, daß der Graf von Trast-Saarberg am 25. Juni 1864 – wie ich nunmehr aus den Registern ersehen habe – wegen nicht bezahlter Spielschulden[93] mit schlichtem Abschied entlassen wurde. – Und hiermit – Verneigt sich nachlässig. Herr Graf! – –

TRAST bricht in ein helles Gelächter aus. Meine Herren, ich danke Ihnen herzlich für die empfangene Lektion ... Ich habe sie vollauf verdient ... denn das größte Verbrechen auf Erden ist die Inkonsequenz ... Und vor allem lern ich eins. Man mag sich über die moderne Ehre noch so erhaben wissen, man muß ihr Sklave bleiben, und sei's allein, um einem armen Teufel von Freund aus der Patsche zu helfen. – Meine Herren, ich habe die Ehre! ... Pardon, ich habe sie nicht! ... Sie sprechen sie mir ab ... So bleibt mir also nur das ganz gemeine Vergnügen, mich Ihnen zu empfehlen – doch das ist um so größer. Verbeugt sich lachend – ab.


Quelle:
Hermann Sudermann: Die Ehre, Stuttgart 1974, S. 91-94.
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