Siebente Scene

[29] Die Vorigen. Generalmajor von Klebs. Professor Beckmann. Marie.


GENERAL. Meinen untertänigsten Respekt den Damen. Gnädigste Frau. Küßt ihr die Hand.[29]

FRAU SCHWARTZE. Seien Sie willkommen, meine Herren.

GENERAL. Na, mein lieber Oberstlieutenant, immer fidel? – Ja? – Na, liebes Fräulein Mariechen, alles klar zum Gefecht? Rücken Sie da noch ein Klötzchen unter ... So! – Dann kann ja die Geschichte losgehn! – Aber beinahe wären wir zu spät gekommen. – Wir waren nämlich mitten in den Musikfesttrubel reingeraten! – So ein Unfug! – Da hol ich also hier den Schulmeister ab – und – und – wie wir am – am Deutschen Hause vorbeikommen, da steht da ein Menschenauflauf und gafft, als ob da mindestens ein Mitglied des Königlichen Hauses abgestiegen wäre. – Und wer – we – we – weswegen? Eine Sängerin ... Das sind doch, um mich so auszudrücken, Sachen. – Wegen einer Sängerin! Wie heißt doch die Person?

PROFESSOR. Aber, mein verehrter Herr General, Sie manschen ja heute nur so in Barbarei.

GENERAL. Wir bekommen einen Tadel, gnädige Frau! Wir ziehn uns eine Rüge zu, gnädige Frau.


Setzen sich.


PROFESSOR. Aber Sie werden doch die dall'Orto kennen, die große italienische Sängerin, die da draußen die großen Wagnerrollen[30] singt? Das ist ein Glück für uns, daß wir die zum Feste hergekriegt haben. Wenn die nicht wäre –

GENERAL. So so! Na, was wär' denn, wenn die nicht wäre? Hä? Ich dächte, wenigstens unsre strenggesitteten Kreise halten sich so – nen – sone Sachen vom Halse. Aber seitdem der Oberpräsident zu Ehren dieser Damen Soireen gibt! Und – ja, das is das schönste – das setzt allem die Krone auf! Raten Sie mal, wer steht da heute mitten unter den Enthusiasten und reckt sich den Hals aus? Hä? Nee, Sie raten's doch nicht. Is zu doll. Der Pfarrer.

SCHWARTZE. Der Pfarrer?

GENERAL. Ja, ja, ja. Unser Pfarrer.

SCHWARTZE. Merkwürdig.

GENERAL. Nun frag' ich Sie, was will der da? Und was wollen die andern da? Und was hat so 'n Fest überhaupt für 'n Zweck?

PROFESSOR. Nun, ich dächte, die idealen Güter der Nation zu pflegen, das ist eine Aufgabe –

GENERAL. Wer die idealen Güter der Nation pflegen will, der kann ja einem Kriegerverein beitreten.[31]

SCHWARTZE. Nicht jeder hat das Glück, Soldat gewesen zu sein, Herr General.

GENERAL die Karten ausbreitend. Man ist eben Soldat gewesen, lieber Oberstlieutenant. Ich kenne keine Leute, ich wünsche keine Leute zu kennen, die nicht Soldat gewesen sind! – Sie geben! – Und diese ganze sogenannte Kunst, Sie weiser Mann Sie – was hat die eigentlich für einen Zweck?

PROFESSOR. Die Kunst hat den Zweck, den moralischen Sinn im Volke zu erhöhen, Herr General!

GENERAL. Da haben wir's, gnädige Frau – wir sind geschlagen. – Der Sieger von Königgrätz hat uns geschlagen ... Ich aber sage Ihnen: die Kunst ist eine Erfindung, die sich die Drückeberger zurechtgemacht haben, um im Staate zu etlicher Bedeutung zu gelangen ... Passe!

SCHWARTZE. Passe!

PROFESSOR eifrig. Und wollen Sie etwa behaupten, daß die Kunst – – Ruhig. Neun Pique. Ausrufe des Erstaunens.


Es klingelt. Marie eilt hinaus. General macht eine ungeduldige Bewegung. Schwartze beruhigt ihn. Sie beginnen zu spielen.


Quelle:
Hermann Sudermann: Heimat. Stuttgart 61893, S. 29-32.
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