Marseille

[124] Den 10ten Januar.


Die volle Sonne hatte Mühe mich zu wecken. Als ich die Augen aufschlug, mußte ich mich einigemal fragen, wo ich wäre[124] und wohin ich wollte, eh' ich es deutlich erfuhr. Das erste, was mir beifiel, war ein Wechsel auf Herrn Frege, einen Sohn des berühmten Banquiers dieses Namens zu Leipzig. Ich lernte einen artigen und gefälligen Mann an ihm kennen. Sein Deutsch war mir beinahe lieber, als das, womit ich gestern an der Wirthstafel so angenehm überrascht wurde; denn er zahlte mir Geld, und bat mich auf morgen zu Tische. Mein heutiger Mittag hat nichts für mein Tagebuch abgeworfen. Es wollten keine Berlinerinnen kommen, so sehr ich mich darnach umsah. Unter den Anwesenden fand sich nicht Ein Auge, in das ich hätte blicken mögen; und es war eben so gut: denn ich konnte um so viel ruhiger der Erholung pflegen, die mir nach der Nachtwache von gestern sehr nöthig war.

Mit diesem Gefühle in allen Gliedern, und einem Pack Zeitungen, die für die Gäste da lagen, schlich ich wohl gesättigt nach meinem Zimmer. Hier pflanzte ich Bastianen, der mir sie vorlesen sollte, meinem Lehnstuhle gegenüber. Es ging schlecht. – Margot, sagte er zu seiner Entschuldigung, lese auch nicht besser. – Ich setzte den Prologus an seine Stelle, einige Zeilen nachher auch den Epilogus: aber der Zeitungstext und ihre Stimmen paßten so widrig zusammen, daß ich vor der Hand für das beste hielt, auf die Bequemlichkeit eines Vorlesers Verzicht zu thun. Es greift doch nichts die Gehörnerven so empfindlich an, als werthlose Neuigkeiten, die uns in einem hochtrabenden Tone verkündiget werden. Der erste deklamirte: daß Ludewig der Vielgeliebte zwei Tage und drei Nächte mit Madam Dubarri auf dem Schlosse zu Meudon zugebracht habe. – Der andere: daß der Herzog von Orleans entschlossen sei, eine Reiherbeitze zu halten. – »Das mag er,« unterbrach ich den Epilogus: »trage nur die unnützen Blätter wieder in den Saal, damit nicht etwa gar jemand darauf warte.«

Der gute Kerl hatte indeß nicht ganz umsonst gelesen. Er erinnerte mich, wie er das Maul so voll nahm, an seine sogenannte Arabische Handschrift, die ich jetzt Zeit genug hatte nach Herzenslust zu untersuchen. – Ja, dachte ich, das soll auch geschehen; denn ich will doch noch lieber einen deutschen Landjunker über einen philosophischen Gegenstand schwatzen hören, als einen französischen[125] Nouvellisten, der immer nur das Volk mit dem Zeitvertreibe seines Königs bekannt macht, nie mit seinen Geschäften. Sind sich diese Schmierer aber nicht in allen Staaten gleich? Ist es nicht, als ob sie dafür bezahlt wären, durch alle den Pomp festlichen Müßiggangs, den sie aus der Tagesordnung der Regenten sorgfältig ausheben, und in ihren Wochenblättern für das Publikum auskramen, dem Unterthan seine saure Arbeit noch mehr zu verekeln, und ihm seine drückenden Abgaben noch unerträglicher zu machen?

Ich zog nun den Brief aus seiner kostbaren Verwahrung, that im Vorbeigehen auch nicht einen Blick auf das berüchtigte Bild, und, glaube mir, ich war mit den paar Stunden, die ich verlas, nicht so gar übel zufrieden. War es der sonderbare Kontrast, in welchem mir der Eigenthümer der Schreibtafel und des Gemäldes, gegen das gehalten, erschien, was der Brief von ihm sagte, denn es ist klar, daß er an ihn gerichtet ist; – sind es die Wahrheiten, die hier und da darin vorkommen, und mir oft so hell in die Augen leuchteten, daß sie mir übergingen; – oder waren es die Sophistereien der Freundschaft, die mich so anzogen? Ich weiß es nicht. Genug, ich übersah die schwachen Stellen mit Lächeln und Nachsicht, verweilte mit Vergnügen bei andern, die von stärkerm Gehalte waren – verglich die Empfindungen des Schreibers mit der Erfahrung der meinigen, und gerieth darüber in ein Gedankenspiel, das mich, in Ermangelung eines bessern Zeitvertreibs, immer leidlich genug beschäftigte.

Wäre der Brief nicht so unerträglich lang, ich schriebe Dir ihn ab. – Aber könnte ich Dir ihn nicht stückweise vorlegen, und die ganze bunte Masse von Gerichten, die er hier auf einmal auftischt, unter die magern Epochen vertheilen, die etwa, wie heute, in meinem Tagebuche, vorfallen? Warum nicht? Aus dem systematischen Zusammenhange werde ich nicht das mindeste reißen: über diesen hat sich der natürliche Menschenverstand des Schreibers glücklich hinweg gesetzt. Dessen ungeachtet, hoffe ich, sollst Du mir meine Mühe verdanken. – Der Brief wird Dich immer mit einem sehr seltenen Manne bekannt machen, dergleichen unser guter König wohl nur wenige in seinen Staaten aufweisen kann; mit einem[126] Vasallen nämlich, der zufrieden auf seiner Hufe sitzt, und die Richtigkeit des Satzes praktisch beweist: nihil petenti nihil deest.

Sollte Dir nun vollends der Verfasser des Briefs, der, wohl zu merken, als er ihn schrieb, nicht einmal ahnden konnte, neben was für ein Mignaturbild man ihn beilegen würde, die Augen über den nachtheiligen Einfluß öffnen, den, wie er es ernstlich gegen seinen Freund und Feldnachbar behauptet, die Entfernung vom Vaterlande auf unsere Sittlichkeit und Gemüthsruhe hat; so bewirkt vielleicht diese Abschrift den guten Gutschluß bei Dir, den auch mein Tagebuch zu entkräften leider nicht gemacht ist, daß Du Deine kranken Freunde künftig nicht mehr so auf gerade wohl in die weite Welt schickst.


Lieber August!

In der frohen Erwartung Deines versprochenen Gegenbesuchs auf meinem Landgute, in den Anstalten zu Deiner Aufnahme, die mich eben von dem einen staubigen Winkel meines Hauses zum andern trieben, als ich gestern Deinen Abschiedsbrief erhielt, brauche ich wohl kaum zu sagen, wie sehr er mich überrascht hat. Nichts – ich kann Dich es auf Ehre versichern, nichts in meinem Leben hat es mehr gethan, als diese Ankündigung Deines Aufbruchs nach Avignon. Dein Entschluß ist rasch, lieber August. Schwerlich hast Du ihn selbst geahndet, als ich vergangenes Frühjahr einige Wochen bei Dir vertändelte; denn sonst würdest Du mir ihn doch wohl entdeckt, und die Bewegungsgründe dazu entwickelt haben, die Du jetzt meinen eigenen Nachforschungen anheim stellst. Kaum kann ich von meiner Verwunderung zurück kommen. Warum bautest und schmücktest Du Dein stolzes Haus, möchte ich fragen, da es Dir so Noth that, es zu verlassen? Warum übergabst Du, es in der Aufschrift über dem Portal der Zufriedenheit, da Du die Göttin erst anderwärts aufsuchen willst, der Du es hier mit goldenen Buchstaben geweiht hast? Du hast durch Deine plötzliche Abreise alle Deine Feldnachbarn an Dir irre gemacht. Einige erblicken nichts weiter darin, als einen beschimpfenden Vorwurf gegen ihren Zirkel und langweiligen Umgang; andere schütteln die Köpfe,[127] und fürchten, daß Dich nur die großen Schulden in die Flucht trieben, in die Dich die Thorheit Deines Baues gebracht habe. Ich allein kenne Dich zu gut, um nicht mehr als zu viel Uebereinstimmung mit Deinem Innern auch in dieser Deiner Handlung zu finden, und befestige mich noch mehr in den Gedanken, wovon ich den Faden schon vor fünf Jahren in der alten Burg Deiner Vorältern auffaßte, und den ich bei meinem dießjährigen Besuche in diesem neuen Palaste alle Muße fand vollends auszuspinnen. Wäre noch der geringste Anschein geblieben, daß meine stillen Wünsche für Dein Glück und alle die schönen Hoffnungen sich mit der Zeit erfüllen würden, um die mich nun Deine Abreise bringt, wahrlich, Du hättest nicht einmal von meinem heimlichen Gespinnste etwas erfahren sollen. Jetzt aber, da Dich die Unruhe, die Du von Deinen ehemaligen langen Reisen zurück brachtest, aufs neue wieder in die weite Welt jagt, und Dich von Deiner prächtigen Wohnung, wie von den schmucklosen Hütten Deiner Freunde, entfernt, jetzt, da ich mir nicht anders zu helfen weiß, mußt Du mir vergeben, daß ich Dir den ganzen Knaul auf der Post nachschicke, so voll ich ihn, ohne meinen ländlichen Geschäften Abbruch zu thun, habe aufwickeln können.

Erinnere Dich, lieber August, der Zeit unserer gemeinschaftlichen Erziehung. Damals vertrauten wir einander so gern unsere kleinen Geheimnisse. Wenn einer von uns ein Vogelnest fand, zog er immer den andern zur Frage, ob es wohl Nachtigallen wären oder Sperlinge? Wenn einem von uns sein Strohhut der Quere saß, rückte ihn der andere ohne viele Umstände zurechte. Warum wollten wir in älteren Jahren und bei wichtigern Dingen zurückhaltender seyn, und nicht eben so treuherzig als ehedem unsern Bemerkungen Luft machen? Der Tod Deines rechtschaffenen Großoheims, meines Erziehers und Wohlthäters, trennte uns arme Spiel- und Schlafgesellen, und gab jedem eine andere Richtung. Die Deinige ging in das Edle, Erhabene und Weite; die meinige hingegen nöthigte mich, auf dem väterlichen Boden, wie Epheu, fortzukriechen, und aus eigener Kraft Wurzel zu schlagen. Funfzehn Jahre vergingen, ehe Du mir wieder unter die Augen kamst;[128] und Wie falsch waren meine Urtheile über Dich, eh' ich Dich sah! Ich berechnete nach der Summe der vielen frohen Empfindungen, deren ich mir bewußt war, und zu denen ich auf die einfachste Art ohne Aufwand gelangte, wie groß erst die Masse der Deinigen seyn müsse, die, unter der Leitung verständiger gelehrter Männer, aus Bestandtheilen zusammen gesetzt wurde, die sich gegen die Materialien meines Glücks wie polirter Marmor zu rohen Feldsteinen verhielten. Meine Neugier trieb mich nicht weniger zu Dir, als der Drang meiner unveralteten Liebe. Als ich seit meiner Kindheit nun zum erstenmale wieder den alten Thurm Deiner Burg in der Ferne erblickte, ja, bester August, da war es mir so warm um das Herz, als ob alle die verlaufenen Blutkügelchen meiner Jugend wieder zurück strömten. Es grübelte mir in der Nase, und ich würde geweint haben, hätte nicht die Hoffnung, Dich nach einigen Augenblicken zu umarmen, den Strom meiner Thränen bis dahin noch in seinem Ufer gehalten. Du weißt, wie viele ich in dem ersten Ausbruche der Freude an Deinem Busen vergoß, und wie zugleich meine Blicke arbeiteten, Dich aus den fremden Federn zu heben, in die Dich Zeit und Verhältnisse tiefer gebettet hatten, als ich erwartete. Ach, es gelang mir nicht! Und wie konnte es auch? An die Stelle des muntern, offenen, launigen Jungen, wie ich gewohnt war mir meinen August zu denken, war ein feiner, behutsamer, zurückhaltender Denker getreten, der durch bestimmte wohlklingende Ausdrücke mir meine zudringlichen, regel- und zwanglosen Fragen eher zu verweisen, als zu beantworten schien. Eine gewisse Aengstlichkeit schritt, selbst an dem Arme Deines Freundes, durch die prunklosen Zimmer neben Dir her, die Dein Oheim mit immer gleicher Zufriedenheit bis an sein seliges Ende bewohnte. Du warest verlegen in meiner Gegenwart, und sicher dachtest Du nicht viel besser von mir, als von dem alten Hausgeräthe, das Dich umgab. Wie war doch jetzt alles Deinen kritischen Augen so anstößig, von dem rußigen Thurm an, der mir so frohe Herzensbewegungen verursachte, bis auf die unschuldige Sammlung von Hirschgeweihen, die den Saal Deines Oheims schmückten – bei denen allein er das Wort: Prächtig! in den[129] Mund nahm, und die er, als das Journal seiner glücklichsten Tage, mit mehr Freude betrachtete, als Ludewig die Tapeten, auf die Le Brün seine Schlachten gemalt hatte! Was für ein Fest der Erinnerung war es mir nicht, als ich hinein trat, und dieselben veralteten Armstühle noch in ihren Ecken stehen sah, die mir in so manchem schwierigen Augenblick Schutz gaben! Alle die lieben süßen Spiele meiner Kindheit, schien es mir, schlüpften hinter den schweren wollenen Fensterbehängen hervor, und bewillkommten ihren alten Bekannten. Der große blaue Gewehrschrank, der mir damals keine geringe Ehrfurcht einflößte, that es wahrlich um nicht viel weniger, als ich ihn wieder sah, und ich glaubte, das Herz würde mir springen, als ich die hölzerne Wanduhr mit dem Guckuck noch in demselben Tone schnarren und schlagen hörte, wie in jenen flüchtigen Stunden, wo sie so despotisch meine Zeit beherrschte, und der ich mich nie ohne Zittern näherte, weil sie unstreitig das kostbarste Hausgeräth Deines Oheims war. Die Mode, wie Du weißt, verrückte ihm nie einen Stuhl, und eher würden ihn die Würmer um die Kisten und Kasten seiner Vorältern gebracht haben, ehe es einem Rost, Röndchen oder Martin gelungen wäre.

Du, mein kluger Freund, brachtest andere Augen von Deinen Reisen mit, als mir die Natur, Gott sei Dank, bis jetzt erhalten hat. Für Dich waren alle die freundlichen Winke verloren, die mir der Schauplatz meiner Jugend aus allen Ecken zuwarf. Mit Betrübnis verließ ich Dich endlich in den Anstalten eines neuen Baues. Mein Herz ward mir schwer, als ich Dich von dem Einreißen der alten Burg sprechen hörte. Ich eilte, um aus dem Staube zu kommen, und es war mir, als hätte ich einen treuen Spielgenossen aus dem einbrechenden Sturme gerettet, als Du meinen Hinblick verstandst, und so gütig warst, mir die hölzerne Uhr zu verehren, die zum Andenken Deines guten Oheims, selbst in diesem Augenblick, über meinem Schreibetische rasselt.

Lieber Gott, sagte ich unterweges zu mir, was für eine närrische Sache muß es doch um den guten Geschmack seyn, mit dem sich mein ehrlicher August allemal entschuldiget, wenn ihn etwas verstimmt, was ich entweder gleichgültig ertrage, oder was[130] mir wohl gar Freude macht! Immerhin! Wenn mein Freund nicht zufrieden in der alten Burg leben kann, so hat er Recht, daß er sie einreißt, und eine andere baut, die ihm Genüge thut. Ach wenn nur schon die beschwerlichen Jahre der Vorbereitung vorbei und die heiligen Hallen geöffnet wären, die seine muntern Launen zur Wiederkehr einladen, und ihn mit dem Gefolge seiner Tugenden beherbergen sollen, die jetzt der Anblick eines Gothischen Gebäudes in die Flucht jagt! – Diese fünf Jahre verliefen in Mühseligkeit und Erwartung – aber dafür hast Du nun auch Deinen schönen Plan ausgeführt, und den Reiz unserer ungeschminkten Gegend mit einem Gebäude erhöht, das ein edles Ansehn mit der höchsten Bequemlichkeit und den schönsten Verhältnissen auf demselben Raume vereinigt, der sonst, wenn Du willst, eben so viele Sünden dagegen aufstellte. Die einfachen Häuser Deiner Nachbarn liegen seitdem, wie beschämt und in gehörigem Abstande, demüthig umher, und es gehören förmliche Einladungen dazu, ehe sich einer von unsern Grauröcken entschließen kann, Dich in Deinem Tempel zu besuchen. Ich rechnete freundschaftlich auf die erste, die Du ausschicken würdest – erhielt sie, ließ nun alles in meiner Wirthschaft stehen und liegen, und schickte mich an, die Deinige zu bewundern. Nun, dachte ich, werde ich endlich den Freund meiner Jugend ganz so glücklich sehen, als die Mühe verdient, die er sich gegeben hat es zu werden. Meine Zufriedenheit wird freilich eine ärmliche Figur neben der seinigen machen; da ich aber nun einmal einen so kostbaren Unterhändler der menschlichen Glückseligkeit, als der Geschmack ist, weder besolden kann, noch zu beschäftigen weiß, so will ich mich einstweilen, ohne Neid, an die frohen Empfindungen halten, die mir die Natur umsonst gab.

Wenn ich nicht irre, empfingst Du mich mit einer weit herzlichern Umarmung als das erstemal. Die großen Augen, mit denen ich alles anstaunte, machten Dir Spaß. Je weniger ich mich wiederfinden konnte, je bänglicher ich alles das vermißte, was den köstlichen Rost der Erinnerung an sich trug, desto mehr thatest Du Dir auf die Dinge zu gute, welche Du an die Stelle jener setztest, die Du so hartherzig aus Deinen Augen und von der Erde wegräumtest.[131] Ich will Dir nicht die Schönheiten Deines ländlichen Palastes herzählen. Sie fallen wohl jedem in die Augen, der nicht blind ist, und ohnehin kennst Du ihren Werth besser als ich. Eben so wenig will ich der alten Burg wieder erwähnen. Zu was würde es uns beiden helfen? Aber so viel kann ich Dir wohl sagen, daß es mir in Deiner neuen Wohnung so ängstlich vorkam, als Dir in der alten. Die geschmückten Zimmer, die Du mir anwiesest, rührten mich nicht eher, als bis ich an die rußigen dachte, die wir zusammen bewohnten. Deine Vasen – ob es Griechische oder Römische sind, weiß ich nicht – standen mir meistens im Wege, und es war mir immer, als ob ich den Möbeln, die ich unter einerlei Namen in meinem Hause sorglos gebrauche, hier zuvor eine Verbeugung machen müßte, eh' ich sie berührte. Ich konnte mir nicht bergen, daß von dem Spiegel, der weit über mir weg bis an die Decke lief, der vierte Theil für mich armen Pigmeen schon mehr als zu viel, das übrige theure Glas nur ein Auswuchs des guten Geschmacks, und, wenn Dich nicht einmal ein Patagonier besucht, Deinen Gästen unbrauchbar sei. Ich blieb, aus Furcht vor unglücklichen Folgen meiner Sorglosigkeit, immer mitten in dem Zimmer stehen, staunte die schön verzierten Wände an, ohne daß ich wagte, mich ihnen mit einem Stuhle zu nähern. Du mußt es mir zu gute halten, lieber August, aber ich finde wenig Vergnügen in der Bewunderung, und alle die trefflichen Kunstsachen, die Du hier aufgestellt hattest, machten mich so klein, so schmutzig, daß ich sie schon deßwegen in meiner Nähe nicht leiden konnte. Indeß, was hätte alles das zu sagen? Du hast Dir eine Wohnung gebaut, und nicht mir. Auch kann ich Dich heilig versichern, daß ich die Zeit meines Besuchs über mehr den Gang Deiner Zufriedenheit, als der meinigen berechnete, und weniger Dein Gesellschafter war, als Dein Beobachter. Ich habe, Dich ganz zu erforschen, mir Deine Aeußerungen über Dich selbst so gut zu Nutze zu machen gesucht, als Dein mißlauniges Stillschweigen, habe Dich in dem Zirkel der Gesellschaft belauscht, wie in Deiner Einsamkeit, und, wie der Arzt aus den Pulsschlägen der Hand auf die Bewegung des Herzens schließt, habe auch ich[132] in den oft schnellen Uebergängen Deiner Empfindungen den Ursachen nachgespäht, die mir ihr Steigen und Fallen erklären könnten. Zu was haben mir meine freundschaftlichen Nachforschungen geholfen? Ach! sie überzeugten mich, daß Du an einer Krankheit littest, die um so gefährlicher ist, als sie allgemein für eine erhöhte Gesundheit gilt, und um deßwillen unheilbar bleibt, weil der Kranke den einzigen Arzt, der ihm helfen könnte, zum Hause hinaus wirft, so oft er sich ihm nähert. Warum gehe ich so um den Brei herum? Das Uebel, mit dem Du behaftet bist, heißt, Deutsch zu reden, der gute Geschmack, und der Arzt, dem Du mit sechs Postpferden von einem Ende der Erde bis zu dem andern zu entfliehen suchst, ist meine treue Freundin und Hausgenossin, und heißt Natur.

Du hast viele gebildete Menschen – Virtuosen in den schönen Künsten gesehen, lieber August; aber sahst Du wohl je einen von ihnen, der glücklicher dadurch gewesen wäre, als Dein Oheim? Alles trug etwas zu seiner Zufriedenheit bei – seine Tugenden wie seine Fehler – seine Stärke sowohl als seine Gebrechen – und wie ungesucht war nicht der Gang seines Glücks! Er dankte Gott eben so herzlich für das, was er besaß, als für das, was ihm mangelte. Die Landwirthschaft war die Beschäftigung, von der er glaubte, daß sie ihm der Herr Himmels und der Erde unmittelbar anwies, und seine liebste Erholung war die Jagd. Ich bin, gestand er oft mit treuherzigem Ernste, kein Freund vom Nachdenken: denn ich habe es längst weg, daß tägliche tüchtige Leibesbewegung, ohne vieles Sinnen und Betrachten, auch der Seele zu gute kommt; die Arbeiten aber, die ich meiner armen Seele auflege, blähen nicht allein sie selbst auf, sondern auch den Körper, machen ihn zu einem unnützen Müssiggänger, und bringen ihn aus seiner gesunden Ordnung. Deßwegen war es ihm auch nicht möglich, an das natürliche Verderben des Menschen zu glauben, und den Spruch, den er manchmal von der Kanzel hörte: »Aus dem Herzen kommen arge Gedanken u.s.w.« hat er bis an seinen Tod für eine unrichtige Uebersetzung gehalten. Bei mir, sagte er, wenn sie ja aufsteigen, kommen sie aus dem Magen. So lange[133] ich mir den nicht verderbe, werde ich nicht so leicht eine Christenpflicht unterlassen oder ein Laster begehen. Aus derselben Unbefangenheit seines Herzens entsprang auch seine launige Abneigung gegen moralische Schriften. Bekam er ja eine von ungefähr in die Hände, so lachte er allemal über die unnöthige Bemühung des Schreibers. Ich möchte wundershalber wissen, sagte er dann, ob das schönste Buch dieser Art einen Kerl, der eben eins von den zehn Geboten übertreten will, davon abhalten wird. Man liest wohl so etwas, wenn man ruhig ist, seine fünf Sinne beisammen hat, und den Senf des Autors entbehren kann. – Aber wie dann, wenn das Blut kocht und das Herz braust? Da beweise einer so lange er will, daß man ruhig seyn soll – er wird nicht halb so geschwind wirken, als es nach meiner Erfahrung mit einem frischen Glas Wasser gelingt. Mit was für freundschaftlichen Augen betrachtete er seine Mitgeschöpfe! Er that ihnen gewiß zu viel Ehre; aber was für einen sichtbaren Einfluß auf ihn selbst hatte das nicht! Auf seiner ehrwürdigen Stirne glänzte der sanfte Widerschein einer ruhigen Seele. Unsere Kinderspiele konnten nicht unschuldiger und herzlicher seyn, als es die fröhlichen Stunden seines Alters waren, und sein Gewissen trieb sich fast auf dieselbe leichte Art herum, als das unsere. Wir hatten vor neuen Thorheiten nicht Zeit uns der ältern zu erinnern, und Er, wenn er auf seine Sünden zu sprechen kam, sagte mit dem gutmüthigsten Ernste: Unfehlbar habe ich, ungeachtet meiner Diät, deren so große und so viele begangen als ein anderer; aber, Dank sei dem barmherzigen Gott für mein schwaches Gedächtniß! ich habe eine nach der andern so gut vergessen, als das Bißchen Latein, das ich in meinen Schuljahren lernen mußte.

Du Mann von Geschmack, sage mir, lieber August, ob Du glaubst, daß ein solcher Zusatz Deinen Oheim noch heiterer, menschenfreundlicher und zufriedener würde gemacht haben, als ohne ihn es seine einfache Kost, sein guter Magen, seine Leibesbewegungen und sein schwaches Gedächtniß thaten? Ueberlege es wohl, und setze nicht zu geschwind den vielen, nur zu wirklichen Aufopferungen, die er sich zu Erlangung dieses Scheinguts hätte müssen gefallen[134] lassen, jene magere Liste von Entschädigungen entgegen, die uns alle Kompendien der schönen Wissenschaften auskramen; jene erhöhten Freuden des Lebens, die aus euern geschärften Sinnen, aus der Regelmäßigkeit eurer Urtheile, und aus dem systematischen Stolze entspringen sollen, auf den ihr euch unter einander so viel zu gute thut: denn dieser Putz der Seele, wenn es ja einer ist, verliert sehr in der Nähe, und gleicht dem schimmernden Staube eines Johannis-Würmchens, der in der Nacht leuchtet, ohne die arme Kreatur selbst zu erwärmen. Dein seliger Oheim besaß nicht das mindeste von dem, was man Geschmack nennt. Er kannte ihn nur in seiner sinnlichen Bedeutung, und da kannte er ihn gut. Der Verdruß, ihn auch in seiner figürlichen kennen zu lernen, war ihm nur für sein Alter aufgehoben. Diese Epoche seines Mißmuths, die uns unsere lustigen Stunden so sehr verbitterte, ist mir immer gegenwärtig geblieben; doch habe ich mich nie lebhafter daran erinnert gesehen, als letzthin in Deinem Hause und bei Betrachtung Deines Kunstkabinets. Da wir damals, als dieß vorging, zu viel mit unsern Leimruthen zu thun hatten, so weißt Du vielleicht gar nicht, worauf ich ziele, und was für einen ärgerlichen Prozeß ihm seine Unbekanntschaft mit jenem Worte auf den Hals zog. Ich habe mir die Akten dieses sonderbaren Rechtshandels zu verschaffen gesucht, und sie liegen jetzt vor mir; doch zweifle ich, daß Dir der Auszug daraus denselben Spaß machen wird, als mir, ob er gleich, nachdem man es nimmt, keine unbedeutende Beilage zur Geschichte der Kunst seyn würde.

Der Freiherr von K... besaß das wichtige Gut in unserer Gegend, das nachher die königliche Domänenkammer an sich gebracht hat. Er war ein Mann von Erziehung und Kenntnissen, hatte seine Reisen trefflich benutzt, kam verheirathet mit einer edeln Römerin zurück, baute sich ein Haus in der Residenz, das in keiner Rücksicht dem Deinigen nachstand, und lebte hier wie ein Kenner, dem sein Reichthum erlaubte, jeden lüsternen Wunsch zu befriedigen, den ihm sein Kunstgefühl eingab. Er buhlte, ohne es satt zu werden, um die Meisterstücke der vergangenen und gegenwärtigen Zeit, stellte deren, so viel er habhaft werden konnte, der Bewunderung[135] der Fremden und Einheimischen aus, und überredete sich und ließ sich überreden, daß er glücklich sei, weil er Geschmack habe. Endlich verließ er doch als Wittwer, ziemlich gelbsüchtig und mager, den Schauplatz zwanzig verträumter Jahre, und flüchtete sich und seine Kunstsachen auf sein väterliches Landgut, das indeß unter den Händen seiner Verwalter weder an Einkünften noch Ansehen gewonnen hatte. War er in der Stadt der guten Gesellschaft überdrüssig geworden, so wollte er es der auf dem Lande lieber gar nicht zumuthen, ihm die Zeit zu vertreiben; und ob ihm gleich oft das Herz vor Neugier pochte, wenn er über die Gränzlinie blickte, die schon allein der nur zu sichtbare Wohlstand der Güter seines Nachbars um die seinigen zog, so konnte doch der Besitzer so herrlicher Sammlungen es nie über sich gewinnen, den Junker auf der alten Burg zu besuchen, der für keine Sinn hatte, die nicht aus Gerste oder Hafer bestand. Leitete ihn auch manchmal vor seinen Gemälden ein Kunstgedanke auf einen ökonomischen, so war es ihm doch nur eine unangenehme Ueberraschung, der er so sehr auswich, als einem langweiligen Gespräche. Er fühlte, daß eine andere Zusammensetzung dazu gehöre, als die seinige war, um den Uebergang von Thomsons Jahrzeiten – zu einer Bodenrechnung, oder von dem Viehstück eines van der Velden zu den blökenden Kühen seines Hofs erträglich zu finden; und so wenig Peter Bembus die Bibel lesen mochte, um sich nicht den Styl zu verderben, so wenig Vergnügen fand auch Herr von K ... an Wirthschafts-Kalendern und Saat-Tabellen. Auf diese Weise jagte er sich noch einige Jahre unter seinen Büchern, Bildern und geschnittenen Steinen mit der geschmackvollsten Langenweile herum, bis ihm kein Mittel mehr übrig blieb, um ihrer los zu werden, als sein Sterbebette. Er bestieg es so froh, als einer, der sich eine Veränderung zu machen wünscht; aber auch hier verdarb ihm sein feines Gefühl für das Schöne seine letzte Unterhaltung. Der gute Landgeistliche, der sich andächtig ihm näherte, schüttelte bedenklich den Kopf, als er ihn verließ; denn der Freiherr hatte während der Einsegnung ihn nicht ehrerbietiger behandelt, als Malherbe seine Wirthin und seinen Beichtvater, da er mit sterbender[136] Stimme diese noch über ein Wort auszankte, das die grammatische Probe nicht hielt, jenen aber höhnisch versicherte, er würde ihm die Freuden des Paradieses verekeln, wenn er in dem Tone, den er angestimmt hätte, fortführe. So wenig erbaulich nun auch der Hingang des Herrn von K ... in die andere Welt seyn mochte, so gelang ihm dafür der Beweis desto besser, den er in seinem Testamente ablegte: daß man auch noch in der Todesstunde das reinste Deutsch schreiben könnte; denn er gab einer Gerichtsperson seinen letzten Willen in die Feder, zwar mit schwacher Stimme, aber desto stärkern und gewählten Ausdrücken, entwickelte auf das verständigste die Grundsätze zur Erziehung seines unmündigen Sohns, die er einem bekannten Gelehrten in Leipzig, dem Professor Christ, übertrug, und ernannte mit großer Besinnungskraft Deinen Oheim als Vormund, unter der zutraulichen Bitte, die Verwaltung seines nachgelassenen Vermögens zu übernehmen, und seine in etwas verfallenen Güter in bessere Ordnung zu bringen.

Dein würdiger Oheim fühlte sich nun zwar durch den Auftrag des Verstorbenen sehr geschmeichelt. »Der Mann,« sagte er zu seinem alten Hausvogt, »muß mich doch für einen ehrlichen Kerl und guten Landwirth gehalten haben, ob er mich gleich, so lang' er lebte, nichts davon merken ließ.« Indeß konnte er doch dabei eine Bemerkung nicht unterdrücken, die ihm sein gerader Menschenverstand eingab: – »Seinen Nachlaß soll ich in Ordnung bringen? Gut! das soll zwar geschehen; aber warum that es denn der liebe Mann nicht selbst? Wenn ich ein Jahr versäumen wollte, mein Haus kehren zu lassen, machte mich dann aus dem Staube, und bäte meinen Nachbar, dafür Sorge zu tragen, was würden die Leute denken? Drollig genug, daß man den letzten Willen eines Mannes, der uns eine ähnliche Zumuthung thut, nicht auch, so gut wie jenes, für eine Unhöflichkeit aufnimmt! Er darf sein Leben vergeuden; genug, daß er in seinem Testamente jemanden auf das Korn nimmt, dem er die Mühe und den Schweiß überträgt, die er selbst zu verlieren keine Lust hatte. Da greift er ohne Bedenken in die Zeit, zu der er doch eigentlich gar nicht mehr gehört, und setzt seine stinkende Faulheit noch im Grabe fort, unter der Nase[137] des gutwilligen Narren, dem er seine abgeschüttelte Arbeit aufgehalst hat. Wenn das sein Haus bestellen heißt, so verstehe ichs nicht.« –

O du mein verewigter Lehrer und Wohlthäter! unschuldiger Landmann – unerfahren in den Künsten, die der Luxus erfand, und Fremdling in allen andern Wissenschaften, als die uns die einfache Natur lehrt; was für ein unseliges Geschick öffnete dir den Haushalt eines Mannes von Geschmack, und unterwarf deiner Verwaltung Dinge, die nach ganz andern Regeln beurtheilt werden, als nach den Gesetzen der Oekonomie und nach dem Ausschlage des innern Werths!

Zwar fanden die wüsten, ausgesogenen Aecker ihren Herrn an ihm, die abgestorbenen Obstbäume wurden bald durch frische Stämme ersetzt, die dürren Wiesen gewässert, die verschlämmten mit Gräben durchzogen, und noch grünen die schönsten wilden Zäune zu seinen Ehren um manche Gras- und Gemüs-Gärten; der Viehstand erhöhte, die Ernten verdoppelten sich, und die verfallene Brauerei öffnete den armen Bauern eine Labequelle, die seit vielen Jahren vertrocknet war. Alles kam nach seiner Anweisung in Thätigkeit, Fülle und Segen überströmte die Scheuern und Böden seines Mündels, und Muth und Kraft kehrten in die erneuerten Hütten seiner Unterthanen zurück. So sichtbar auf dieser Seite seine vormundschaftlichen Verdienste waren, wie sehr wurden sie nicht auf einer andern durch die Mißgriffe verdunkelt, die er in dem Schlosse des Erblassers mit ehrlicher Unbefangenheit that! Unerkannte Sünden, die ihm aber ein Verehrer der Kunst, ein Kenner des Schönen, ein Nachtreter Winkelmanns, so wenig vergeben wird, als sie ihm sein Mündel vergab – –


Hier aber, Eduard, muß ich eine Pause machen, denn ich halte es nicht länger aus. Es gehört eine eigene Geduld dazu, seine Feder den Worten oder Gedanken eines andern zu leihen. Man weiß nicht, wo man seinen eigenen Kopf dabei hinthun soll. Nein! in der ganzen Natur giebt es keine so widrige Handarbeit, als die eines Kopisten. Ich finde das Holzhacken nicht so undankbar und[138] um vieles origineller. Zehnmal kam ich in die Versuchung, um mir den Weg zu verkürzen, ein müßiges oder schleppendes Wort wegzulassen, oder es mit einem aus meinem Gehirne zu vertauschen, und die Sache ungefähr so zu behandeln, wie gewisse Schriftsteller, wenn sie aus anderer Büchern ein eignes schreiben, oder wie Elias Stapert den König von Pohlen.

Wer ist denn dieser Elias? höre ich Dich fragen. Das will ich Dir noch in der Geschwindigkeit erzählen, ehe ich Feierabend mache. Elias Stapert ist ein abgedankter Skribent, dem ich durch meinen Kredit in Berlin eine Stelle in der dortigen Charité verschafft habe, wo Du ihn aufsuchen kannst, wenn Du Lust hast. Er war ehemals in der Deutschen Kanzellei zu Warschau angestellt, und erzählte mir, man habe ihm dort zu seinem täglichen Geschäfte eine gewisse Anzahl Berichte mit ihren Aufschriften an den König angewiesen. Der Rath, der die Koncepte zum Abschreiben unter die Kopisten vertheilte, band sie zwar nicht an die Uhr, wie gemeine Tagelöhner; aber er schien es so gut in der Hand und im Wurf zu haben, daß er genau jedem so viel zumaß, als er den Tag über leisten konnte, so daß sich keiner so leicht eine Freistunde zu erschreiben im Stande war. Nun hatte der arme Elias ein kleines Haus in der Vorstadt und ein hübsches Gärtchen daran, an das er immer dachte, wenn er zusammen gedrückt an dem Schreibtische saß und nach Luft schnappte. Da kam er nun eines Tags zur Zeit der Rosenblüthe auf den unglücklichen Einfall, zwar nicht den Koncepten, die vor ihm lagen, aber der langen königlichen Titulatur bald hier bald da ein Wort abzuzwacken. Sein erster schüchterner Versuch gelang so gut, daß er ihn ohne Bedenken wiederholte: endlich gewöhnte er sich mechanisch daran, und gewann durch diesen kleinen Kunstgriff an jedem Kouvert zwei Minuten, mithin an dreißigen eine volle Stunde, die er denn, Gott weiß mit welchen süßen Gefühlen, unter seinen Blumen hinbrachte. So hatte er, verschiedene Jahre vor der Theilung von Pohlen, dem guten König eine Provinz nach der andern, auf dem einen Umschlage Reußen und Preußen, auf dem andern Massovien und Samogitien, bald Podolien und Podlachien, bald Kurland und Semigallien abgenommen,[139] ohne daß die politische Welt darauf achtete. Dieß machte ihn, wie das so geht, immer begehrlicher und dreister: er riß nun schon, besonders an heitern Tagen, dem Reiche einen Theil mehr ab, und dehnte die noch übrigen desto länger. Endlich, nachdem er sich einmal an dem: Ew. Majestät werden Sich allergnädigst zu erinnern geruhen – matt und hungrig geschrieben hatte, erholte er sich so sehr an seinem schon um sechs Provinzen ärmern Monarchen, daß er ihm auch noch Smolensko und Szarnicovien wegnahm. Das gab nun freilich, so sehr er auch seine Buchstaben in's weite spannte, dem Ganzen ein sehr leeres Ansehen.

Ein junger Rath, der mit den Kouverts spielte, während sich die andern mit dem Inhalte beschäftigten, nahm das Lückenhafte in der Aufschrift wahr, und that sogleich in pleno eine sehr emphatische Anzeige von seiner ominösen Entdeckung. Die ganze gelehrte Versammlung kam darüber in Aufruhr. Man verschob die laufenden Geschäfte des Tags über diesem außer ordentlichen Vorfall, untersuchte nicht weiter die Eingaben, sondern die Aufschriften, ließ ältere Akten und noch ältere aus dem Archive holen, störte nach allen den königlichen Titeln, die von der Hand des armen Elias waren, erstaunte über seine langjährige Untreue, und berathschlagte sich nun über seine Bestrafung. Der eine Beisitzer votirte, des Exempels wegen, auf den Pranger, der andere, der vorsetzlichen Bosheit halber, auf den Staupbesen, ein dritter und vierter auf eine bloße Censur; am Ende vereinigten sie sich auf die Landesräumung, zu der sie ihm eine Frist von vier Wochen bewilligten. Er mußte nun seinen Platz am Schreibtische einer andern leidenden Kreatur, und seinen Gläubigern Garten und Haus abtreten. Mit nichts als einem Strauße, den er von seinen Nelken abbrach, die eben im Flor standen, und den er unterwegs mit mancher Thräne befeuchtete, verließ er die Stadt, bettelte sich nach Berlin, und kam endlich auch vor meine Thüre. Sein ehrliches Gesicht und seine traurige Geschichte rührten mich, und wie oft ist sie mir nach der Zeit eingefallen! Ich gab ihm ein reichliches Almosen, und sorgte in der Folge, wie ich Dir schon gesagt habe, für sein Unterkommen.

Kannst Du aber wohl glauben, Eduard, daß ich seitdem keinen[140] königlichen oder fürstlichen Titel mehr sehen kann, ohne mich zu ärgern, und die armen Gebeugten zu bemitleiden, die sich an solchem Wortkram wasser- und lungensüchtig schreiben müssen? Wäre ich ein Fürst, ich wollte mich an der kurzen Aufschrift begnügen: An unsern gnädigen Landesvater, und Sorge tragen, daß ich nur diese verdiente. Ich würde einem solchen Propheten, als mein Elias war, kein Haar krümmen, und ihm gern die Stunde gönnen, die er an dem ausgehängten Plunder meiner Titel ersparte. Sie mögen so lang, so wahr, oder so lügenhaft seyn als sie wollen, sie machen doch den, der sie führt, weder reicher noch klüger, befestigen sein Ansehen nicht mehr als sein Eigenthum, und rücken seine großen Anwartschaften um keinen Tag näher. Wie viel unzählige Stunden, die zusammen gewiß mehrere Menschenalter betragen, würden nicht zum Beispiele nur die Sächsischen Kanzellisten an der einzigen Zeile: Jülich, Cleve und Berg auch Engern und Westphalen, gewonnen haben, seitdem diese Floskel in unnützem Gebauche ist, wenn man sie ihnen, zu einer klügern Beschäftigung, erlassen hätte! und wo läge denn der Schaden, der für ihre Herren daraus erwachsen wäre? Diesen Erlaß könnten sie ihnen sogar ganz keck als eine Zulage ihres ärmlichen Lohns anrechnen, und, so versäumt als es diese Klasse von Söldnern ist, würden sie es noch eher für bares Geld aufnehmen, als die leeren Versprechungen, mit denen man sie so gern von einem Jahre auf das andere verweist.

Doch ich muß lachen, daß ich diesen Sklaven, die mit ihren Gänsekielen den Staat fortrudern helfen, ohne nur Einen aufmunternden Blick von dem Steuermanne zu bekommen, so herzlich das Wort rede. Das sind aber die guten Folgen der eigenen Erfahrung; und wie Du mir einst die nachsichtsvolle Behandlung eines gewissen Generals gegen sein Regiment dadurch begreiflich machtest, weil er in seinen ersten Dienstjahren selbst Spießruthen gelaufen sei und auf dem Esel gesessen habe, so erklärt sich mein Mitleiden für diese Schreibmaschinen eben so leicht aus dem Drucke, unter dem mich ihr Handwerk bei der Abschrift des fremden Briefs leider zwei volle Stunden gehalten hat. Er hat mich noch[141] außerdem an andere Mißbräuche der edeln Schreibekunst erinnert, die bei jedem Tribunal die Ausgabe für Dinte, Federn und Papier jährlich vergrößern, mit denen man Zeit und Raum in der Welt immer mehr verengt, und die ich gern noch abschaffen möchte, wenn ich nicht heute zu schläfrig dazu wäre. Ach! warum thun es doch unsere Fürsten nicht! Um wie vieles würden sie selbst sich ihre Regierung, die niemals papierner gewesen ist, als in dem laufenden Jahrhunderte, erleichtern, wenn sie von ihren schalen Titulaturen an bis zu ihren wichtigen Staatsverhandlungen alles, was von dem Kanzler bis zum Kopisten Unnützes, Weitschweifiges und nur dem albernen Herkommen zu Liebe geschrieben und wieder geschrieben wird, auf die gefällige Kürze mündlicher Rede eines gescheidten Mannes zurück bringen wollten! Sie würden den Vortheil davon haben, den täglichen Zustand ihres Landes, auf einem einzigen Bogen vielleicht, übersehen zu können, da sie wohl jetzt sich schon an einem voluminösen Konsistorialberichte müde lesen, der oft keine andere Neuigkeit auslegt, als daß ein Mädchen zum ersten oder zum viertenmale zu Falle gekommen sei, und den sie wohl nicht einmal so sein aus einander setzen, als ich mein Attentat bei Klärchen.


Den 11ten Januar.


Ich wüßte nicht, wie für die Art von Müßiggang, wie ich ihn am liebsten treibe, irgendwo besser gesorgt seyn könnte, als in dieser geschäftvollen Stadt. Alles überzeugt mich, daß durch den Anblick fleißiger Menschen nicht allein die Seele, sondern auch der Körper viel zweckdienlicher in Bewegung erhalten wird, als durch einsame Spaziergänge; gesetzt sogar, daß man auch, wie das doch nicht immer der Fall ist, an sich selbst einen Begleiter fände, dessen Unterhaltung uns für jede andere schadlos hielte. Was die Vorstellungen meines Arztes nicht vermochten, macht hier der Handlungsgeist möglich. Er, der so viele Maschinen belebt, jagt auch die meine mit Tagesanbruch aus den Federn, nöthigt mich an das Fenster, und öffnet mir Augen und Ohren. Setze ich meinen Fuß aus dem Hause, so zieht die Vorsicht, die ich anwenden muß, daß[142] er nicht überfahren, oder durch die Füße eines Lastträgers zerquetscht werde, gewiß manches schlaff gewordene Knötchen meiner Flechsen wieder an, denen unter allen Lagen keine so nachtheilig ist, als die bequeme. Nirgends aber wirken die in Thätigkeit gesetzten Kräfte sichtbarer und wohlthätiger auf die meinigen zurück, als wenn ich den Hafen besuche. Mein Körper ahmt alsdann, ohne es zu wissen, die schwersten Originale der Arbeitsamkeit, die sich ihm darstellen, auf das treueste nach, und indem ich zum Beispiele die kräftige Aeußerung des Wollens und Vollbringens derjenigen beobachte, die an einem seufzenden Kran ungeheure Lasten in das Schiff heben, beiße auch ich die Zähne zusammen, dehne meine Arme, krümme meinen Rücken, die Adern laufen mir auf, und der Schweiß tritt mir so lange vor die Stirne, bis die Schwierigkeit überwunden ist. – Dann aber erleichtere ich auch meine Brust durch einen behaglichen Seufzer, wie jene Kraftmänner die ihrige. Die stärkende Seeluft kühlt uns ab, und von dem köstlichen Hunger, den sie zu ihrer Mahlzeit errangen, trage ich denn auch so viel nach Hause, als mein schwacher Magen bedarf. Ich werde diesen Versuch, den ich aus Vorbereitung zu dem Schmause, der mei ner heute erwartet, diesen Morgen mit meinem Körper vornahm, täglich wiederholen, so lange ich hier bin; denn, Du glaubst nicht, mit welchem ganz andern Vergnügen ich jetzt an die Einladung des Herrn Frege denke, als gestern, da ich Dir zu Gefallen mich zu einem Abschreiber erniedrigte, und sich viele Stunden hinter einander von meiner armen Maschine nichts als die Finger bewegten.

Warum aber, lieber Eduard, haben denn wir eine solche Scheu vor jeder körperlichen Arbeit? Würden wir denn nicht, da schon die sichtliche Vorstellung derselben so große Wunder thut, unsern Lebensgenuß um vieles erhöhen, wenn wir, nach Lockes Rath, neben unserer standesmäßigen Erziehung auch ein Handwerk – und das trockene Brod wenigstens verdienen lernten, das wir in kleinen Bissen genießen? Ist es recht, daß wir durch das vornehme Zurückziehen unserer Hände dem armen Tagelöhner mehr Hunger aufhalsen, als er befriedigen kann, indeß wir uns der[143] Erholungen, die nur den Fleiß belohnen sollten, als Mittel bemächtigt haben, unser unnützes Triebwerk im Gange zu erhalten? Ich dächte, dieser strafende Gedanke müßte jedem in den Weg treten, der, einem Trupp Schnitter vorbei, über Feld reitet, seine müßigen Stunden in einem rollenden Wagen verschnauft, sich auf Bällen und Jagdpartien in Schweiß setzt, und jedes Frühjahr ein Bad besucht, damit ihm nur der Schwamm nicht über den Kopf wachse, der in ihm keimt.

Wir haben alle einen vornehmen Herrn gekannt, dem dieß begegnete – der sich endlich ein Faulfieber an den Hals, und mit sich sechs nützliche Menschen in das Grab zog, die ihn während seiner ansteckenden Krankheit bedienten. Wir erzählten einander in unsern Gesellschaften diesen Vorfall als die gleichgültigste Sache. Hätte er aber unser Gefühl nicht eben so sehr empören sollen, als die in Indien hergebrachte Ceremonie, nach welcher die Sklaven zur Begräbnißfeier ihres verstorbenen Herrn geschlachtet werden? Wohl gut, daß es kein Philosoph war, dem die Leichenrede unsers verklärten Freundes übertragen wurde! – Aber wie zum Henker komme ich zu diesen moralischen Grillen? den ungeschicktesten, die ich wohl hätte aufjagen können, um mich zu dem Gastmahl eines reichen Banquiers zu begleiten.


Ein Doktorhut hat das Gute an sich, daß man ihn, sei es einer hübschen Dormeuse gegenüber, in dem Kränzchen einer lustigen Gesellschaft, oder in dem Zirkel der großen Welt, kurz, bei allen Gelegenheiten, wo er uns hindert, ablegen kann, wie jeden andern gewöhnlichen Hut. Er bleibt deßwegen doch unser, sammt seinen Ansprüchen, und wir finden ihn gewiß unter allen den feinen und groben Hüten wieder her aus, die sich unterdeß über und neben ihn herwarfen. So habe auch ich den meinen glücklich nach Hause gebracht, ohne ihn zu verwechseln, und, da ich ihn schwerlich heute wieder aufsetzen werde, abgestäubt und an den Nagel gehängt. Was sollte er mir jetzt? Er würde die Figur doch nicht sonderlich heben, die ich jetzt in meinem Lehnstuhle mache, so wenig als die[144] Trägheit verscheuchen, die mich allein abhält, Dir die herrlichen Gerichte alle aufzuzählen, denen ich sie verdanke.

Ich habe fünf üppige Stunden verbraucht, um eine Menge neue Bekanntschaften – nicht unter den anwesenden Gästen – sondern unter den Konsumtibilien zu machen; denn gute Gesellschaften sehen sich an jedem großen Ort einander gleich, aber nicht ihre Schüsseln. Der Erziehungskunst, so hoch man sie auch überall getrieben hat, mißlingt ihre Bemühung nur gar zu oft. Sie putzt und spickt und salzt das Wildpret, das sie behandelt, nach verschiedenen Methoden, und bringt doch am Ende nur ein verkünsteltes Gericht, oder höchstens ein Schauessen zuwege, das unter jedem Himmelsstrich einerlei Farbe hat. Sie versteht lange nicht so gut der Natur nachzuhelfen, als ihre ältere Schwester, die Kochkunst, die immer das Eigenthümliche jedes Landes mit der allgemeinen Erfahrung so geschickt zu verbinden weiß, daß jedes Gemüse seinen gehörigen Zusatz, jeder Fisch seine rechte Brühe erhält, und sie unterscheidet viel klüger als jene, welches Stück sie mortificiren, welches sie dämpfen soll – wie viel Wasser jenes, wie viel dieses Feuer bedarf, um gar zu werden, und weist jedem seinen eigenen Topf an.

Da ich indeß immer geglaubt habe, daß nichts mehr zarte Empfindungen, gewürzte Einfälle und neue Wendungen des Geistes hervorbringe, als Gerichte von ähnlichem Gehalte; so nimmt es mich doch Wunder, daß bei den vielen feinen Schüsseln, die Marseille vorzugsweise liefert, die hiesige Akademie der schönen Wissenschaften sich nicht besser auszeichnet. Es waren heute verschiedene ihrer Mitglieder zugegen; aber, so viel ich habe bemerken können, war kein Chaulieu, kein Lafontaine, kein Anakreon darunter, obgleich keiner bei den leckern Bissen, die er zu sich nahm, vergaß, daß seine Zunge auch ein Sprachorgan sei.

Bei allem dem kam mir doch den ganzen langen Mittag über auch nicht einen Augenblick das Heimweh an: und wenn es zutrifft, was mir Herr Frege für diesen Abend verspricht, hoffe ich auch den Ueberrest meines Tages von dieser patriotischen Krankheit befreit zu bleiben; denn er denkt, daß ein Ball, zu dem er[145] mir auf das höflichste sein Einlaßbillet abgetreten hat, mich sichtlich von dem großen Vorzuge überzeugen werde, den die hiesigen Damen vor dem ganzen schönen Geschlechte der Erde ohne Ausnahme behaupten. Ich stutzte, als er mir das sagte, ging in der Geschwindigkeit die berühmten Schönheiten unsers Berlins durch, und schüttelte etwas ungläubig den Kopf. »Nun, Sie sollen es mir wieder sagen,« versetzte Herr Frege: »vergessen Sie nur nicht, Herr Landsmann, eine gute Lorgnette mitzunehmen!« – »O daran soll es nicht fehlen,« erwiederte ich: »ich habe eine der schärfsten, die man finden kann, und die mir zu Caverac, Avignon und Gott weiß wo sonst noch, die vortrefflichsten Dienste geleistet hat.« – »Nun, so wünsche ich Ihnen Glück zu Ihrem heutigen Abend; es thut mir leid, daß mich meine Geschäfte verhindern, Sie zu begleiten.« –

Diese zuversichtliche Behauptung eines wahrheitsliebenden Deutschen, der Leipzig, Dresden, Frankfurt und Berlin inwendig und auswendig kennt, und an einem Orte wohnt, wo täglich alle Nationen der Erde ihre Waaren auslegen, kann wohl nicht anders als meine Neugier aufs höchste spannen. Wenn er Recht hat, so käme man beinahe in die Versuchung zu glauben, daß jene gepriesenen Nahrungsmittel wohlthätiger auf die äußern Organe wirken, als auf die innern. In einer See- und Handelsstadt mag das hingehen; wäre aber Marseille eine hohe Schule, so würde dieses Phänomen mehr Unglück anrichten, als die philosophische Fakultät verhindern könnte. Glaube mir, Eduard, daß ich weniger zu meinem Vergnügen auf den Ball gehe, als um diese Streitfrage zu berichtigen, die wohl eine der wichtigsten in der Naturgeschichte ist.


Dieser Tag des Wohllebens und der Entscheidung wäre nun vorüber! Und welcher Nation der Erde, fragst Du, gehört denn, unter allen den Schönen, die du sahest, die Mustergestalt an, der du den Apfel reichen würdest? Geduld, Eduard! Ich habe noch Zeit genug übrig, mit Dir zu schwatzen; denn ob es gleich schon einige Stunden über Mitternacht ist, so sind doch meine Augen von den Bildern, die bei meinem Fernglase vorüberzogen, noch[146] viel zu gespannt, als daß ich sie so geschwind schließen könnte. Bei den optischen Strahlen der Schönheit, bei den magischen Tönen der Musik, die ich in solcher Menge aufgefangen habe, daß ich Feuer geben und klingen möchte wie ein Büstrich, ist es mir nicht allein gelungen, den wichtigen Streit der Schönen aller Nationen gegen einander völlig zu schlichten; sondern ich bin auch nebenher auf die sonderbare Entdeckung gestoßen, wie man neue Sylbenmaße, an denen es unserer Poesie so sehr mangelt, ohne große Anstrengung finden kann.

Die Operation ist kinderleicht für jeden, dem es während und nach einem Balle so geht wie mir, daß er kein Wort sprechen und denken kann, das nicht Takt hält. Er setze nur die Füße seiner Verse nach eben der Ordnung, Abwechselung und Mensur, die eine tanzende Schöne den ihrigen giebt, und er wird mit Verwunderung sehen, wie sich manches Sylbenmaß unter ihren harmonischen Schritten bilden wird, an das vorher noch kein Dichter gedacht hatte. Zur Probe meiner neuen Erfindung will ich Dir den ersten Eindruck des Ganzen auf meine überraschten Sinne in keinen andern, als solchen abgestohlnen Versen erzählen. Ich erwischte den Takt dazu bloß in den letzten Schwingungen des Tanzes, der eben zu Ende lief, wie ich in den Saal trat.


Freund! das war ein Ball! So hat nie ein andrer

Mich, selbst in fürstlichen Sälen ergetzt! –

Hat mich denn, dacht' ich, wie Paulus den Wandrer,

Ein Traum in den dritten Himmel versetzt?

Ich sah hier Tänzer in fremden Gewanden,

Und Schönen mit fremden Federn geschmückt,

Als hätten die fernsten Völker Gesandten

Zu diesem Feste der Füße geschickt.

Ich sah – –


Doch nein, weiter darf ich nicht fortfahren: denn die Musik schweigt, meine Vortänzerinnen verschnaufen, und der Saal nimmt eine prosaische Gestalt an. Ich machte mich sogleich zu meinem Richteramte geschickt, nahm mein doppeltes Fernglas vor die Augen, und wie ein Blumist in den Gärten zu Harlem in stiller Betrachtung von der Aurikel zur Nelke, von der Hyazinthe zur Klatschrose[147] schleicht, mit seinen Bemerkungen von der Krone zum Stängel, und von diesem, mit gewagten Schlußfolgen, bis zu der verborgenen Wurzel herabsteigt, bald in der einen Blume den Umfang ihrer markichten Blätter, bald in der andern die gedrängtern Schönheiten ihres Kelchs bewundert, und sie erst alle mehrmalen beäugelt, ehe ihn der Abschluß seiner Vergleichungen zu derjenigen Blume zurück bringt, die ihn am meisten bezaubert hat; so pünktlich verfuhr auch ich in meiner Untersuchung, konnte des Spiels, das ich immer mit neuem Vergnügen wiederholte, in den vielen Stunden, die es mich in dem bunten Zirkel herum trieb, nicht satt, und lange nicht über das Urtheil mit mir einig werden, das ich über alle Nationen der Erde fällen sollte. Endlich aber, nachdem ich diese herrlichen Gewächse der physischen Welt von allen Seiten besehen, wieder besehen und mit einander verglichen hatte, blieb meiner Unparteilichkeit, nichts übrig, als dem Herrn Frege beizustimmen, und den einheimischen vor allen den ausländischen, die ich unter sie gemischt sah, den Vorzug der Schönheit zuzugestehen. Ich kann weder euch helfen, ihr feurigen Geschöpfe Italiens, noch euch, ihr schlanken Gestalten Englands, und selbst auch euch nichts, ihr meine lieben blonden Landsmänninnen – euch allen – allen nicht, die Spanien und Pohlen, Rußland, Schweden und Dänemark vor meinen Richterstuhl schickten. An jeder von euch rührten, blendeten und entzückten mich einzelne Reize genug, die ich aber nirgends so flecken- und tadellos und so offen beisammen fand, als in den ätherischen Gestalten Marseillens. Keine war – wie ging das zu? – der andern gleich, und doch jede vollkommen.

Herr Frege behielt Recht. Er behielt Recht von acht Uhr des Abends bis eine Stunde nach Mitternacht: aber eben wie es Eins geschlagen hatte, stellte sich eine Griechin seiner Ausforderung entgegen, und nach wenigen Minuten war ich gezwungen, mein schon gefälltes Urtheil beschämt wieder zurück zu nehmen. Ein guter Wind hatte sie, erst vor einer Stunde, in den Hafen gebracht, unter der Aufsicht und Leitung ihres Oheims, des weltberühmten Ritters von Tott. Er, der lange Jahre die Dardanellen vertheidigte, und die Ungläubigen siegen gelehrt hatte, eroberte für sich selbst eine[148] schöne Cirkasserin, und flüchtete jetzt seinen Reichthum, seine Frau und ihre Nichte nach Frankreich.

Dieses Wundermädchen hatte nur zu lange auf dem engen Spielraum eines Schiffes den Tribut entbehren müssen, an den ihre Reize gewöhnt waren; nur zu lange hatte sie nicht ihren Schmuck angelegt und getanzt. Man kann denken, wie ungeduldig sie ihrer Landung entgegen sah. Gott sei gedankt! rief der Ritter, wie er in den Hafen einlief, jetzt haben wir die reichste Stadt meines Vaterlandes und den besten Zufluchtsort gegen die Langeweile erreicht. Sie haben jetzt nur zu wählen, meine liebe Nichte. Was wünschen Sie zu Ihrer ersten Erholung? – Das Mädchen antwortete: Einen Ball! und so stieg sie aus der offenen See vor den offenen Spiegel, fand sich da wieder, eilte, vielleicht zu sehr, mit ihrem Putze, und ging nun an dem Horizont unsers glänzenden Festes, wie der Morgenstern, auf, der eine ganze Milchstraße verdunkelt.

Der weibliche Zirkel gerieth bei ihrer Erscheinung in einen sichtbaren und sehr gerechten Unmuth; denn unter den Männern blieb auch nicht Einer seiner Auserwählten so treu, daß er nicht seine Augen von ihr abwandte, und seinen Handkuß aufschob, um dieser Huldgöttin einen beifälligen Blick zu entlocken, und in Andacht ihren Einzug zu feiern.


So trat die Nichte – –


Doch, eh' ich meine Romanze in dem neuen Versmaße anstimme, das ich unter den flüchtigen Füßen dieser unvergleichlichen Tänzerin wegstahl, und das ich Dir zugleich als die zweite Probe meiner glücklichen Erfindung vorlegen will, bitte ich Dich, lieber Eduard, zu bemerken, daß in der Reihe der Nichten, die in meinem Tagebuche, und mitunter ziemlich derb auftreten, dieses liebe Mädchen schon die vierte ist.

Als einem Autor von seinem moralischen Gefühl, kann mir dieser zufällige Umstand nicht anders als angenehm seyn; denn es würde mir leid thun, wenn ich hier und da das, was ich ohne Bedenken von Nichten erzähle, einer Tochter nachsagen müßte. Ob ich gleich, wie der Leser, mit der einen so wenig in Verwandtschaft[149] stehe, als mit der andern, so ist doch gewiß, daß man an einer Verlegenheit, die Töchtern begegnet, innigern Antheil nimmt, als in die sich, nach Zeit und Umständen, eine Nichte gebracht sieht. Es ist, mit Einem Worte, sobald man dabei nur Onkel Tante, oder Vormund erwähnen hört, als ob man froh wäre, daß nur Vater und Mutter die Abzeichnungen nicht erlebt haben, in denen sich ein Reisebeschreiber, wie ich, Cook oder Vaillant, oft genöthigt sieht, so reizende Geschöpfe der neugierigen Welt bloß zu stellen. Ich thäte freilich wohl klüger, ich ließe meine Bleifeder ruhen, und suchte mein Bette, wüßte ich nur den verzweifelten Walzer, der mir im Kopfe liegt, auf eine andere Art los zu werden, als daß ich ihn auf Noten setze und Dir preis gebe. Aber, ziere ich mich nicht wie ein Kind! Warum sollte ich Dir denn etwas verheimlichen, was auf einem öffentlichen Balle geschah, und was morgendes Tags, der schon anbricht, die eine Hälfte der Stadt der andern als eine Neuigkeit ins Ohr raunen wird, selbst auf Gefahr, durch ihr zu lautes Geschwätz die schöne Fremde auf immer und ewig daraus zu vertreiben? Es hatte also eben Eins geschlagen:


Da trat die Nichte des muthigen Tott

Mit ihm in den staunenden Saal:

Ein reiner und durch die Gnade von Gott

Gefüllter Busen, und Augen voll Spott

In einem schneeweißen Oval.


Als sie mit Anstand die Reihen durchzog,

Ward Mißgunst und Lüsternheit wach –

Ein summender Schwarm von Jünglingen flog,

Als sie mit Anstand die Reihen durchzog,

Der Blume des Orients nach.


Die Fächer rauschten: doch Mangel an Muth

Entfernte das feindliche Heer;

Der Handschuh lag still, es winkte kein Hut,

Die Tänzer weilten aus Mangel an Muth,

Und keiner noch trat ins Gewehr.


Doch endlich naht sich ihr bittend und dreist –

Und Oberon stieß in sein Horn –

Ein flinker Ritter vom heiligen Geist –

Und endlich naht sich ihr bittend und dreist

Ein Ritter vom päpstlichen Sporn.
[150]

Sie blickt auf keinen, und reicht ohne Wahl

Dem Ritter des Sporns ihre Hand.

Er, wie ein Sturmwind, durchbraust nun den Saal,

Und dreht und walzt sie, verunglückte Wahl!

Bis ihre Besinnung verschwand.


Sie fiel – zwar, leider! so ehrbar nicht, als

Einst Cäsar, doch schöner gewiß.

Was Er verhüllte, war freilich kein Hals

Von solcher Griechischen Federkraft, als

Hier einer sein Schnürband zerriß.


Von Wien bis China, von Osten bis West

War nie ein Schwindel so frei –

Denk dir, was sich beschreiben nicht läßt,

Von Wien bis China, von Osten bis West –

Und nun die Beleuchtung dabei!


Die Nymphen des Balls flohn wider Gebühr,

Und lachten – Doch Männer, wie ich,

Verstummten sittsam, und rückten dafür

Dem Ziele näher, das wider Gebühr

Ihr freundliches Fernglas beschlich.


Mich hatte die Lust ins Weite zu sehn,

Wie Boden und Herscheln, berauscht;

Hier sah ich Sparta, dort sah ich Athen

Nicht dunkler, als ich das Füßchen gesehn,

An das ich mein Strumpfband vertauscht.


Nur Er nahm, der selbst in Stambuls Gebiet

Nie Muth und Bewußtseyn verlor,

Kaum wahr, was seine Nichte verrieth;

So warf er, als ständ' er in Stambuls Gebiet

Noch Wache, sein Schnupftuch davor.


Was half's dem Neider? Ich hatt', eh' er warf,

Mich längst nach dem Lichte gedreht,

Und dreimal erblickt – – Wie wenig bedarf

Der Mensch zum Frohseyn! ich schwör' es, er warf

Sein Türkisches Schnupftuch zu spät.


Sein schwarzes Auge voll blitzenden Zorns

Verjagte die andern. Es floh

Der Ritter des Geistes, der Ritter des Sporns;

Sie wurden unter dem Blitz seines Zorns

Des reizenden Anblicks nicht froh.
[151]

Kaum floh der Schwindel, so bot er den Arm

Der Schönen. Erröthend verließ

Sie nun im Fluge den männlichen Schwarm,

Der jetzt im Einklang – er bot ihr den Arm –

Die Reichthümer Griechenlands pries.


Ich braucht' als Richter das Fernglas nicht mehr,

Seit mein Object mir verschwand;

Mir schien der Rangstreit der andern so leer

An Rechtsbehelfen, sobald ich nicht mehr

Den Urthelsspruch zweifelhaft fand.


Vernehmt den Ausspruch, der ihren Beweis

Und der ihren Zeugen gebührt:

Mehr als ein Apfel versichre den Preis

Dem holden Kinde, das seinen Beweis

Selbst offner als Venus geführt.


In Griechischer Luft, wie Winkelmann schreibt,

Gedeihen die Grazien nur,

Und Griechenland ist und Griechenland bleibt –

Sie hat bestätigt was Winkelmann schreibt –

Die Werkstatt der schönen Natur.


Dieß sei so lange gesprochen zu Recht,

Bis es das Schicksal verhängt,

Daß mich ein Anwalt von Evens Geschlecht

Des bessern belehrt, und jene mit Recht

Aus dem Besitzstand verdrängt.


Die Männer klatschten; doch minder gelind

Verfuhren die Mädchen und Frau'n:

Die schalt mich, die schwur, mein Fernglas sei blind,

Die droht', und die bat mich minder gelind,

Auch ihr Dokument zu beschaun.


Die Alten fragten mit bitterem Stolz:

Gilt die Verjährung hier nichts?

Die Jüngern schrieen: ich wäre von Holz,

Und dächt', ich brauchte nichts weiter als Stolz

Zum Gang eines solchen Gerichts.


Mir blieb kein Ausweg, als den einst Ovid

Am Pontus Euxinus ergriff:

Ich ging und spielte dieß einsame Lieb,

Mein Blut zu kühlen, wie weiland Ovid

Die Schuld seiner Augen verpfiff.
[152]

Den 12ten Januar.


O warum kannst Du nicht mit mir frühstücken, lieber Eduard! Der Morgen ist unter meinen Tagszeiten immer noch die klügste, und wo ich am ersten einen artigen Gesellschafter annehmen kann. Es sieht wieder so aufgeräumt in meiner Seele aus, wie in einem Putzzimmer, das die Nacht über von dem gestrigen Staub gereinigt wurde. Alle die schädlichen Dünste, mit denen wir es angefüllt verließen, sind nun verflogen, Spiegel und Fenster sind hell, und die verschobene Symmetrie ist – auf Gott weiß wie lange – wieder hergestellt. Ich habe mich schon nach einem vernünftigen Geschäft umgesehen: es ist die Frage, ob ichs getroffen habe. Ich zog einen andern klugen Reisenden zu Rathe, der hier immer aus meinem Tische liegt, und ward endlich einig mit mir, einen Besuch bei Notre Dame de la Garde zu machen. – Meine Erwartungen von diesem Spaziergange waren meiner Stimmung angemessen, und schränkten sich auf die herrliche Aussicht über das Meer, auf den Hunger, den ich mir ergehen würde, und auf das Vergnügen ein, die launige Beschreibung des Chapelle nun auch einmal an dem Orte selbst zu lesen, den er durch ein paar hingeworfene Zeilen berühmter gemacht hat, als es nimmermehr Philippsburg oder Spandau seyn kann. Dabei ist es auch ungefähr geblieben.


Ich schlenderte durch steile Wege,

Chapellens Reisen in der Hand,

Der Festung zu, die einst mein Herr Kollege

So gut als ich verschlossen fand;

Doch so gefaßt sie stets bei jedem Ueberfalle

Der Dichter scheint, so weiß man doch, sie ist

Nicht fester, als die Festen alle,

Die unsre liebe Frau verschließt.


Die Zeit hat noch überdieß manche von den Merkwürdigkeiten zerstört, die jener Reisende uns aufbehalten hat. Der Schweizer mit der Hellebarte, der damals noch am Thore der Festung Wache hielt, ist so ganz von Regen und Wind verwischt, daß man keine Spur mehr von ihm findet. Auch nicht eine Hand voll Erde bedeckt diesen Felsen mehr, aus dem zu jener Zeit die Leute noch[153] ackern konnten, von denen er die Nachrichten erhielt, die den Kommandanten des Schlosses betrafen, das jetzt, glaube ich, nah und fern keinen mehr hat. Wüßte man nicht, daß mein würdiger Vorgänger sich so wenig in seiner Beschreibung ein unwahres Wort erlaubt hat, als ich in der meinigen, so sollte man es kaum für möglich halten, daß hundert Jahre einen fruchtbaren Berg bis zu der Nacktheit abschälen konnten, in der er jetzt den zermalmenden Strahlen der Sonne bloß steht. Hätte mich nicht der eine Halbzirkel durch die Aussicht über das Meer, den Hafen und die Stadt, für die andere Hälfte entschädigt, so würden meine Augen sich sehr übel befunden haben; denn die so genannten Lusthäuser, die sich auf den angränzenden eben so kahlen Anhöhen gedrängt an einander herum ziehen, und in dem stärksten Brennpunkte der Sonne liegen, gehören, nach meinem Gefühle, unter die albernsten Einfälle, die je ausgeführt wurden. Eine so versengte Gegend als diese, die einem Baume so wenig Wurzel zu schlagen, als einem Gräschen zu keimen erlaubt, ist doch wahrlich nicht geschickt, menschlichen Geschöpfen einen Zufluchtsort gegen die Langeweile zu bieten. O daß ich nicht diese artigen Tempelchen und Pavillons in die schattigen Gegenden Deutschlands versetzen, und ihnen nicht jene schmaragdfarbigen Teppiche unterlegen kann, die schon den Strohhütten, die darauf kleben, das fröhlichste, lieblichste Licht mittheilen! Ach es geht der Baukunst, wie allen andern Künsten: sie zeigt selbst in ihren prächtigsten Werken Armuth und Mangel, wenn sie nicht mit der Natur, die sie umgiebt, in Verhältniß stehen, da hingegen diese alles hebt und nichts verunstaltet.

Abgewendet von den prahlenden Darrböden des kaufmännischen Luxus, sehnten sich nun meine Gedanken und Blicke nach den vaterländischen Gefilden; aber desto weniger behagte mir auch ein längerer Spaziergang auf dem brennenden Steinwalle dieser zitternden Landwehre. Ich strengte mich an so gut es gehen wollte; doch eh' ich den Fußsteig wieder fand, der mich herbrachte, traf ich in meiner Runde, ganz unerwartet, auf einen Ruhepunkt, der, wie Du sehen wirst, meiner Erschlaffung herrlich zu Statten kam. Es war Notre Dame de la Garde selbst, die mir ihn anbot. Durch[154] eine offene vergitterte Blendung, die durch die Festungs- und Kirchenmauer zugleich geschlagen und zu einer Halle gewölbt ist, giebt sie sich hier, mit nachgelassener Etiquette, zu allen Stunden der Anbetung preis, ohne daß es nöthig wird, den diensthabenden Mönch aufzusuchen, um die Hauptthüre zu öffnen. Diese Anlage mag zwar wohl wider alle Regeln des Vauban verstoßen; sie gereicht aber zur großen Bequemlichkeit derjenigen Pilger, die mehr noch von dem Aeolus abhangen, als von der Madonna. Da der steinerne Sitz vor der Niche durch den Vorsprung des Dachs in Schatten lag, so benutzte ich die gute Gelegenheit, bei diesem wunderthätigen Bilde Abkühlung zu suchen, und, aus Mangel eines bessern Zeitvertreibs, alle die ihr geweihten Kleinodien zu betrachten, die mein Auge erreichen konnte; gewiß die sonderbarste Sammlung, die weit und breit anzutreffen seyn mag, und die wohl eine genauere Beschreibung verdiente, als ich Dir gebe.


Demüthig blicket hier durch ein verrostet Gitter

Die schmutzigste Kopie der heiligsten der Mütter.

Nur eine schwache Lamp' erhellt

Die Seegefecht' und Ungewitter,

Von denen mancher kühne Ritter

Nach einem Schwung um das Spital der Welt

Ein grasses Nachbild aufgestellt.

Zu freudigern Erinnerungen

Sah ich auch, hinter Glas verwahrt,

Geraubte Kränze mancher Art

In Siegen – eher nicht gelungen,

Als an Mariens Himmelfahrt.

Doch, was am meisten mir Erstaunen abgedrungen,

Hab' ich bis auf die Letzt verspart.

Ein Kinderschwarm von Wachs, der Armuth und der Blöße

Schon früh geweiht, umgab an der Madonna Thron

Noch einen Sterblichen in seiner Jugendgröße,

(Mit Ehrfurcht nenn' ich ihn) den ersten Schmerzenssohn

Der großen Wöchnerin Therese

In gutem hartgebranntem Thon.

Und mit gerührter Brust ließ ich die Worte fallen:

»Hört mich, ihr Mächtigen der weisen Klerisei!

Wenn eure Zungen einst, bei einer Priesterweih,

Am Ende eures Mahls, gelehrte Fragen lallen;

So zieht doch auch mein Quaeritur herbei,[155]

Warum der Aermsten wohl von den Madonnen allen

Dieß irdene Geschenk von Josephs Konterfei –

Und in den Wiener Kirchenhallen

Den reicheren in köstlichen Metallen

Dieß große Loos geworden sei?

Hat sie allein zu Wien an Gold so viel Gefallen,

Und in der Armuth Sitz wär' es ihr überlei?

Mir g'nügt der laute Ruf: Seit an Theresens Grabe

Die fromme Bettelei um eine milde Gabe

Sich zwar im Staube noch, doch nicht in Goldstaub wälzt,

Der groß gewordne Kaiser habe

Die kleinen wieder eingeschmelzt.«


So wie mich nur meine kühle Stirn und trockene Haut überzeugten, daß Unsere liebe Frau das Wunder, das ich von ihr erwartete, an mir gethan hatte, und ich in dem Gedanken an unsern klugen Kaiser, und in der theologischen Aufgabe, die ich mit mir nahm, genug Unterhaltung auf meinem Rückwege fand, so stieg ich, so geschwind als es anging, den schroffen Felsen hinab, dem belebten Hafen zu, der gerade zu den Füßen der Jungfrau liegt. Indem ich aber, um an den Mittelpunkt zu kommen, der die freieste Aussicht in das offene Meer gewährt, an den Häusern hinschlich, die ihn von der Stadtseite her einschließen, zog auf einmal über einer der Hausthüren eine schwarze Tafel mit goldenen Buchstaben meine Aufmerksamkeit auf sich. Ich blieb stehen und las:


Zu Ehren unsrer lieben Frau verschenkt

Herr Passerino, der Ex-Voto-Maler,

An jeden Pilger, der, nach ihrem Thron gelenkt,

Ein Dankbild ihr zu weihen denkt,

Das Stück in Oel für einen kleinen Thaler.

Auch findet man bei ihm ein seltnes Sortiment

Der meisten menschlichen Gebrechen

In Wachs – Wer deren sucht, und Künstlern von Talent

Und Billigkeit – den Vorzug gönnt,

Beliebe bei ihm einzusprechen.


Da es mir eigentlich um nichts weiter zu thun war, als die Stunde, die mir bis zum Mittage noch frei blieb, hinzubringen, und, ohne mich geradezu auf ein Faulbette zu strecken, von der[156] Ermüdung meiner Wallfahrt auszuruhn, so gab ich dieser Marktschreierei – und um desto leichter Gehör, je näher sie mit jener in Verbindung stand, von der ich eben herkam. Du willst doch, dachte ich, die Freigebigkeit des Herrn Passerino ein wenig näher untersuchen, trat in das Haus, fragte nach dem Künstler, und kratzte mich gewaltig hinter den Ohren, als man mich vier Treppen hinauf in jene artistische Höhe wies, wohin diese Herren gemeiniglich ihre Werkstätte verlegen, wenige ausgenommen, die, wie Mengs, Dietrich, Grassy und Graff, alle und jede Licht- und Luftstrahlen der Natur überall an der Hand, und nicht nöthig haben, sie erst unter dem Dache zu suchen. Wirst Du. mich aber für klug halten, Eduard, wenn ich Dir sage, daß ich, so müde und matt ich auch war, dennoch dem Ex-Voto-Maler in seinem Neste nachstieg? Entscheide doch ja nichts darüber, bis ich von ihm wieder zurück komme. Denke nur an den Münster-Thurm zu Straßburg. Es sind noch nicht drei Monate, daß ich seine neun und neunzig Stufen wie ein Narr erkletterte, und wie belohnt – wie bereichert an neuen Erfahrungen flog ich an der Hand meines Jerom herunter! Wer weiß was mir mein heutiger Gang einträgt!

Herr Passerino kam mir an der Treppe entgegen – denn mein Keichhusten hatte mich schon von weitem bei ihm gemeldet – und empfing mich mit so herzlicher Theilnahme, als wär' ich eine seiner gebrechlichste Kunden. Ich fand sein Dachstübchen offen zu meinem Empfange – und an ihm, wie ich recht nachsah, eine Figur, wie ich sie, doch nicht ganz so hager, schwarzgelb, schmutzig und pittoresk, erwartet hatte. Seine erste Frage war – und ich nehme sie ihm weiter nicht übel: – ob ich wollte in Wachs poussirt seyn? – Ich schüttelte ärgerlich den Kopf. – »Doch vielleicht ein Theil Ihrer werthen Person?« fuhr er fort. – »Ich bin,« unterbrach ich ihn schnaufend, »von den gesundesten Gliedmaßen – aber Ihre steile Treppe – lieber Mann – die ...« –»Also nur ein Liebhaber der Kunst?« erwiederte er lebhaft, setzte mir einen Stuhl, und überströmte mich nun in einem Französisch, wie man es an Italiänern gewohnt ist, mit einem Schwall von Worten, die ich mir jedoch erst ins Deutsche übersetzen mußte, eh'[157] ich sie zur Noth verstand. Dafür aber hat mir auch nie eine Uebersetzung mehr Freude gemacht; denn sie brachte mir, treuer als keine andere, das längst vergessene Original wieder vor die Ohren. Ich horchte – stutzte – dachte nach und besann mich. – Aber kaum war ich meiner Sache gewiß, so fuhr ich mit einem Schrei auf, der eines seiner hochfliegenden Kunstwörter – ich glaube es war Clair-Obscur – so geschickt im Fluge zerschnitt, daß ich die kleinere Hälfte davon, die mir zufiel, nicht für die größere vertauscht hätte, die ihm blieb. – »Um Gottes willen!« rief ich, »was für ein Wind hat Sie nach Marseille verschlagen, mein lieber Theodor Sperling? und wie kommen Sie zu dem Italiänischen Namen, hinter dem ich Sie in meinem Leben nicht gesucht hätte?« – Jetzt standen wir einige Augenblicke noch stumm und erstaunt einander gegen über. Es war eine Scene zum Malen, und die – sage noch ein Wort, Eduard, wenn Du Herz hast – das schönste Gegenstück zu der auf dem Thurme zu Straßburg giebt. Meine Vertraulichkeit und mein Deutsch überraschten den alten Mann außerordentlich. Er gaffte mir erst mit aufgezerrten Augen in das Gesicht, und da dieses nicht ging – mit der Brille. Alles umsonst! – »Sollte es möglich seyn« – stellte ich mich jetzt um einen Schritt näher vor ihn, warf mich besser in die Brust, rieb mir die Backen, und nahm die schelmische Miene an, die, wie ich glaubte, mir in meiner Jugend so gut stand – »Sollte es möglich seyn, daß mich funfzehn Jahre und ein paar Zahnlücken so unkenntlich gemacht hätten?« – Er starrte mich noch immer stillschweigend an. Es blieb mir nichts übrig, um ihn und mich aus unserer peinlichen Lage zu ziehen, als den blinden vergeßlichen Mann noch weiter zurück – in meine Schulstube zu führen. »Mein alter Freund und Lehrer!« stimmte ich unter einer herzlichen Umarmung an, »erinnern Sie Sich denn gar nicht mehr des jungen Flüchtlings, dem Sie in der Zeichenkunst, in der Perspektiv und der Architektur so mannichfaltigen Unterricht gaben? – gar nicht mehr des Meisterstücks Ihres Pinsels – der wolligen Angola, an der sie – nach drei fleißigen Jahren – doch noch den Schwanz zu malen hatten – als sie starb?« – Dieser Lichtstrahl that Wirkung. Jetzt schlug[158] das gute Geschöpf seine dürren Hände um mich und seine gelben Augen gen Himmel; aber noch mußte er erst der Erinnerung einige bittere Thränen, einige tief geholte Seufzer zollen, eh' er zu sprechen vermochte. – »Ach! mein theuerster Herr und Freund!« stammelte er nun, »seyn Sie tausendmal meinem Herzen willkommen! Was für ein glücklicher Stern hat Sie in meine einsame Wohnung geleitet, in der ich sonst nur arme Schiffbrüchige und andere durch Kalamitäten ausgezeichnete Menschen zu sehen bekomme, und selten einen Mann, der Wärme für die ewige Kunst fühlt? Ich bin schon vierzehn volle Jahre von meinem Vetter in Anspach und aus meinem Vaterlande entfernt, das, nur zu gewiß, stille Verdienste nicht zu schätzen weiß, und führe seitdem hier – aber auch hier, ein kümmerliches Leben. Wie tief habe ich mich herab stimmen müssen, um nur Brod zu haben! – Einiges, mein theuerster Gönner, ist auf meiner Tafel zu lesen – aber wahrlich, das sind noch lange nicht die schlechtesten Arbeiten, die ich ...« »Lassen Sie uns ein andermal darüber sprechen,« unterbrach ich ihn, »und wenn Sie heute mein Gast seyn wollen, lieber Sperling, so ziehen Sie Sich nur geschwind an, und begleiten mich zum Heiligen Geiste – vorausgesetzt, daß ich Sie von nichts besserm abhalte.« – »Ach! wovon wollten Sie?« sagte der gute Alte. – »So einen vergnügten Mittag hätte ich mir heute nicht träumen lassen. – Ich werde den Augenblick wieder bei der Hand seyn.« – Nach einigen Minuten trat er geputzt aus seiner Kammer, und gewiß, ich irre mich nicht, Eduard, in demselben Sonntagskleide, das Dir so gut noch erinnerlich seyn wird als mir, nur daß der jugendliche Troquet eine ernsthaftere Miene angenommen, und sein verschossenes Papageigrün mit einem tüchtigen Kastanienbraun vertauscht hatte.

Ich hätte gewiß keinen Gast auftreiben können, der weniger nach der Mode gekleidet, und mir doch lieber gewesen wäre, als er. Du weißt zwar, wie ich zeichne, und wie es mit meiner Baukunst aussieht; aber daran dachte ich nicht. Es klebte ihm ein Verdienst an, das ihn meinem Herzen auf das rührendste empfahl, und keinen Vorwurf gegen ihn aufkommen ließ – die lebhafte Erinnerung[159] meiner Jugend. – Ja, Freund, ich hätte ihn, wie ein Fürst seinen Hofmeister, belohnen – sein aufgefärbtes Staatskleid mit einem Orden verzieren, und ihm, trotz seines mißlungenen Unterrichts, ein gutes Jahrgeld anweisen mögen, so durchdrungen war ich von jener unbeschreiblich süßen Empfindung. Ist es nicht einerlei, ob uns ein Virtuos oder ein Stümper dieß magische Glas vorhält? Wir sehen in solchen Augenblicken nicht ihn – sondern uns. Ich lebte nicht mehr in Marseille. Mein Geburtsort, mit seinen Salweiden, seinem Vogelherde und seinen Obstgärten, verschlang alles Land und Meer, das mich umgab. – Ich blieb gern mit ihm so lange an der Wirthstafel sitzen, als ihm noch ein Trunk oder ein Bissen schmeckte – ja ich trieb meine Freigebigkeit so weit, daß ich ihm sogar mich selbst auf den ganzen Nachmittag preis gab, und nicht allein seine Geschichte, die mir – immer noch anziehend genug – den gewöhnlichen Streit der Armuth mit der Ungeschicklichkeit darstellte, sondern auch den Ausbruch seines Künstlerstolzes, seines Brodneides, und seine schiefen Urtheile über gleichzeitige Maler, in kindlicher Geduld anhörte. Ich ließ ihm zuletzt noch ein Abendessen auf mein Zimmer bringen, und habe ihn erst, seit der Stunde, die ich Dir vorbehielt, ziemlich spät und mit dem Versprechen entlassen, das er mir abnöthigte, morgen bei ihm unter der Ansicht des Meers zu frühstücken. Das wird auch wohl von den Stärkungen, die mir der arme Narr anbieten kann, die beste seyn. –


Ich habe in der letzten Zeile ein Wort doppelt unterstrichen, damit es Dir ja nicht entgehe. Es ist mir erst so wichtig geworden, nachdem es meiner flüchtigen Feder schon entwischt war. Seit einer Stunde – das siehst Du ihm wohl nicht an – hält es mich in Bewegung, und ich brauche wenigstens noch eine, um Dir den Hergang deutlich zu machen. »Armer Narr?« – warf ich mich fragend in meinen Lehnstuhl – »Was willst du mit diesem Ausdrucke – was enthält er? Offenbar nur einen kleinen Spott über die mäßigen Talente deines alten Lehrers. Während du deiner Stichelei Luft machtest, und ihn mitleidig über die Achseln ansahest, entschuldigtest du dich zugleich heimlich mit seinem schiefen[160] Unterrichte, daß du kein Zeichner, kein Baumeister geworden bist, und das mit Grunde. Hätte der gute Mann es übel nehmen können, wenn du ihn geradezu einen Stümper genannt hättest?« – Daß ich doch so gern mit der Ironie spiele! Ich sollte sie nie von der Kette lassen. Sie ist bei mir nur ein Hund, der seinen Herrn immer zuerst in die Waden beißt, sobald er ihn los läßt. Ich hatte einen meiner Strümpfe schon halb herunter, als das böse Gewissen neben mich trat, mir ihn ohne Umstände wieder herauf zog, und eine Menge verfänglicher Fragen vorlegte. – »Die Hand auf's Herz,« zischelte es mir in das Ohr, »stand denn der arme Narr deiner Erziehung allein vor? Wurden dir nicht auch andere Wissenschaften als die Baukunst von den fähigsten Meistern gelehrt? – und in welcher bist du denn über das Mittelmäßige gestiegen?« – O des unglücklichen Worts, das mich in eine solche Untersuchung verflochten hat! Jetzt reiheten sich alle die gelehrten Männer, die von Langens Coloquien bis zu Lucians Gesprächen – von Epiktets Enchiridion bis zu Mosheims Moral – für die Bildung meines Kopfes und Herzens auf das redlichste gesorgt hatten – an den Angola-Maler an, und eh' ich mir es versah, stand ich in ihrem ernsthaften Zirkel. Jetzt räusperte sich der eine – jetzt der andere. – Jeder schlug sein Compendium auf, und mein Examen rigorosum begann. Von jedem Radio, nach welchem mich meine Angst hindrehte, kam mir eine Frage entgegen, die mich jedesmal in eine neue Verlegenheit setzte. Wenn der eine Docent es aus Ungeduld aufgab, mich länger aus der Diplomatik zu prüfen – versuchte es der andere, mit gleich schlechtem Erfolg, über die Pandekten. Wich ich dort dem Tacitus aus, so fiel ich hier dem Vitriarius in die Hände. – Bald brachte mich ein Problem der Metaphysik aus der Fassung, bald eine Beweisstelle aus dem Sachsen- und Schwabenspiegel und der Aurea bulla. Stumm und gedemüthigt blickte ich vor mir hin, und spielte an meiner weißen Hutfeder. – Endlich faßten die Herren meine sichtbare Beschämung zu Herzen, hoben ihre Sitzung auf, und trösteten mich noch oben darein auf das herablassendste mit der allgemeinen Beichte: Quantum est, quod nescimus! Sobald ich über die Schwelle meiner[161] Schulstube war, schwenkte ich meinen Hut, und hüpfte trällernd davon. – Ach ich hüpfte nicht weit, so befand ich mich wieder auf meiner Spur, und folgte ihr nun so hartnäckig, als ob mich ein böser Geist triebe, über Stock und Stein durch alle die geraden und krummen Gänge des Labyrinths meines verschobenen Lebens, das, wie ich endlich gewahr ward, mit den Leimruthen, den Obstgärten und Salweiden meines Geburtsorts näher in Verbindung stand, als ich heute Morgen mir hätte einkommen lassen.

Eine solche Parforce-Jagd – so kurz vor Schlafengehn – kann ihr Gutes haben – nur für die Diät nicht. – Nichts in der Welt greift so sehr an, als wenn man den Hirsch und den Jäger zugleich spielt. Wie soll Schlaf in meine Augen kommen, da ihnen noch in so hellen Farben alle Mühseligkeiten meines Wildstands – alle die Schlingen, Netze und Hecken vorschweben, wo ein Theil meiner selbst hängen blieb? Wie kann ich Ruhe auf meinem Kopfkissen erwarten, wenn ich an die Meute großer Hunde, die mich mit ihren Zähnen – an die Wespen, die mich mit ihrem Stachel verfolgten, zurück denke, und wie darf ich hoffen, daß mich solche Klagetöne einschläfern werden, als sich jetzt in nächtlicher Stille aus meinem Hüfthorn erheben?


Wohl jedem, den der Hören Schwung

Auf einen Hügel hebt,

Wo kühlende Erinnerung

Der Jugend ihn umschwebt! –

Dem bei des Thales Uebersicht,

Das ihm im Rücken liegt,

Des Alters Krücke schwerer nicht,

Als sein Spazierstock, wiegt!


Wer blickt gern nach dem Irrweg hin,

Auf dem er nur – der Scham

Und Reue, statt dem Hauptgewinn

Des Wettlaufs, näher kam –

Gern nach der Bahn, die sein Gestirn

Im Schöpfungsraum beschrieb,

Indeß sein Herz, wie sein Gehirn,

Gehüllt in Nebel blieb? –


Seit ich den Pädagogen floh,

Als einst sein Marschallsstab[162]

Der Träumerei des Scipio1

Den Rang vor meiner gab,

Und ich kraft meines Steckenpferds,

Das keinen Kappzaum litt,

Zum Rektor meines Vogelherds,

Dem großen Uhu, ritt;


Seit mein gelehrter Müßiggang

Drei Lustra weggeräumt,

Gleichgültig, was Homer einst sang

Und Scipio geträumt,

Ich auf dem nächsten Ritterzug

Zu neuem Zeitverlust

Erfuhr, mein Kopf sei schwer genug

Für eine Mädchenbrust;


Und seit der Ehre Sporn mich stach,

Da jener Rausch entwich,

Ich nun das Audienz-Gemach

Als Supplikant durchschlich;

Unwissend, ohne Kraft und Kern,

Bei mäßigem Verstand,

Doch in dem Kreis der Kammerherrn

Mich nicht verloren fand –


Was offenbarte mir die Zeit,

Die diesen Raum durchflog?

Nichts – als daß Lust und Eitelkeit

Mich täglich mehr betrog –

Daß leider! zwischen Mann und Kind

Kein Unterschied besteht,

Als der: Dort kam der Trost geschwind,

Und hier kommt er zu spät.


Den 13ten Januar.


Hätte ich mich nicht bei meinem alten Zeichenmeister auf diesen Morgen versagt, der es gewiß übel aufnehmen würde, wenn ich sein Frühstück an den Nagel hinge, wie vormals seine Lehrstunden, so würde ich mir eins aus Quassia und Rhabarber vorsetzen; denn mir ist gar nicht wohl. Unter den neuen Bekanntschaften, die ich vorgestern an der Tafel des Herrn Frege machte, muß eine gewesen[163] seyn, die einem Deutschen Magen nicht zuschlägt. – Deren trifft man in Frankreich gar viele an. Ich habe vor andern einen Seefisch in Verdacht, dem ich mir viele unnütze Mühe gab Geschmack abzugewinnen. – Bewegung wäre mir wohl am dienlichsten – aber, wenn mich auch Herr Passerino nicht darum brächte, so würde es doch das unfreundliche Wetter thun. Es ist ein Glück, daß der hiesige Winter nur wenige solcher Tage aushängt. Ja wohl! Aber warum muß denn eben einem so armen Schwächling wie mir diese Seltenheit über den Hals kommen? Uebelkeiten und Fieberfrost von innen – ein heulender Wind von außen her – keinen Lumpen von Winterstaat in meinem Vermögen, und nun ein solches Frühstück in der Aussicht! – Wo soll in dieser verzweifelten Lage Erwärmung des Bluts herkommen? von der Wasserseite seines Pinsels oder seines Kaffees? Ich zittere – und, wenn ich es genau untersuche, weniger vor den Wohlthaten, die er mir aufdringen, als vor den Opfern, die er mir abnöthigen wird. Ich sehe mich schon im Geiste gähnend vor seinem Tische sitzen, indem er ein paar Pappendeckel voll seiner elenden Skizzen geschleppt bringt, sie bedächtlich aus einander schlägt, kein Blatt überhüpft, und bei jedem einen Aufruhr meines Erstaunens erwartet; und, wenn nun darüber eine ganze Stunde zerbröckelt ist – wie er mich, unter schlauem Lächeln, beim Aermel faßt – mich der Wand gegenüber in das rechte Licht stellt, und mit Einem Ruck den grünen Vorhang zurück zieht, um mich durch das Wunder seines neuesten Gemäldes zu überraschen – und wie er endlich – um das Maß seiner Sünden voll zu machen – mich bei der Heiligkeit unserer Freundschaft beschwört, ihm offenherzig meine Meinung über die Kleinigkeit zu sagen, die er mir gezeigt hat. Thät' ich ihm sein Recht an – so gnade mir Gott! Und doch ist es eine verwünschte Zumuthung, selbst unter vier Augen, mit Verläugnung alles Menschenverstandes das Machwerk eines solchen Meisters zu loben. In meiner heutigen Stimmung übersteigt das meine Kräfte. – Es wäre Gewaltthätigkeit gegen mich selbst, und ich müßte wahrlich befürchten, mir meine kalten Krämpfe auf die edeln Theile zu jagen. –[164]

Wenn man seinem Brauskopfe nur Zeit vergönnt! Nach einem halbstündigen heftigen Zanke mit ihm, fing er an sich eines bessern zu besinnen, und die Sache mit der größten Billigkeit abzuthun. »Gehen wir ruhiger zu Werke!« sprach ich mir zu. »Worauf kommt es denn an? Auf Worte ohne Sinn und Bedeutung und ein wenig Mimik. – Die, dächte ich, könnte ich doch wohl am Hofe gelernt haben! Warum sollte mir denn das Hauptingredienz unserer Staatsvisiten und Kourtage, die Sucht nach Schmeicheleien und Lob, in der Werkstatt des armen Passerino stärker auf die Nerven fallen als dort? und wie konnte es mir einen Augenblick in den Sinn kommen, diesen liberalen Tauschhandel unserer kultivirten Natur zu stören, auf Gefahr, mir und meinem alten Lehrer das Morgenbrod zu verbittern? Verlust und Gewinn liegt jetzt, auf das genaueste berechnet, vor mir – darnach will ich mich richten. Ich werde seinen herzhaften kräftigen Pinsel – Er wird meinen feinen richtigen Geschmack bis an die Wolken erheben. Ich werde ihn über Rubens – Er wird mich über Lessing und Winkelmann setzen – jedem übrigens ganz unbenommen, den andern in Gedanken so niedrig, sich selbst aber so hoch zu stellen, als es sein Schwindel erlaubt.«

Diese fliegenden Betrachtungen, wie ich mit Vergnügen bemerkte, bildeten sich, während Bastian mir das Haar kräuselte, zu einem förmlichen System. Ich dachte Wunder was ich zur Beförderung menschlicher Zufriedenheit neues erfunden hätte: – als ich mich aber an meinen Schreibetisch setzte, um es noch mehr zu entwickeln, sah ich wohl, daß es das uralte war, dem ich von jeher, unter gewissen Einschränkungen gefolgt bin – das sowohl in dem Tumulte der Gesellschaften, als in einem Zweikampfe, wie mein heutiger ist, unser liebes Ich am sichersten deckt, und für geringe Kosten es äußerst bequem bettet. Unbegreifliche Menschen, die, unter dem Deckmantel der Wahrheit, gegen die Selbstliebe anderer mit Spießen, Schwertern und Lanzen bei dem geringsten Anlasse vorrücken, keinem nach Beifall bettelnden Auge das Almosen ihres Lächelns zuwenden, oder sich überwinden können, einem unbedeutenden Dinge zu huldigen, das sich ihr Mitgesell[165] als einen Vorzug anrechnet! Was erbeuten sie? Für Schmerzen, die sie erregen, Wunden, die sie erhalten; denn in keinem Gefechte sind die Gegenhiebe so gewiß, als in diesem. Setzen wir den Fall, du wärest so verhärtet, um nicht einmal theilnehmend nach meiner Braut zu fragen, so kannst du lange passen, eh' ich deiner allerliebsten Kinder nur mit einer Sylbe erwähne. Hast du keinen Blick für die Strahlen meiner modischen Schnallen, so habe ich gewiß auch keinen für das Pour le merite deines Sterns. Sie können alle in der Gesellschaft den neuen Musenalmanach in der Tasche haben – trotz deiner hervorstechenden Ballade, wird keine Seele thun, als habe sie ihn gelesen, wenn du unbekümmert um die Stelzfüße oder die Quersprünge der andern da stehst, oder gar, als Klopffechter deines geraden Sinnes, mit alten Damen von Runzeln, mit jungen von Tugend sprichst – dich wunderst, daß ich schon Oberster bin – über den witzigen Einfall des einen, über die hohe Frisur des andern die Achseln zuckst, oder sonst durch den Knall deiner Peitsche mein Steckenpferd scheu machst. Und wenn du ein Fürst wärest, man trägt dir den Stoß nach, den du gabst oder zu geben gedachtest, und niemand stellt dir lieber ein Bein, als den du aus dem Sattel gehoben hast. – Und wärest du, wie Achill, in den Styx getaucht, ein Apoll oder Paris wird doch den verletzbaren Fleck an deiner Fußsohle entdecken, geschäh' es auch nicht eher, als wenn du deine Polyxene umarmst.


Weg mit den Rüstungen auf unsern Ritterspielen!

Wir brauchen höchstens ein Visier.

Es ist ja nur Ein Punkt, nach dem wir alle zielen,

Und dieser kleine Punkt – sind Wir!

Den trifft wohl jeder leicht; drum rath' ich allen, ladet,

Wenn euch die Ehrsucht spornt, durch holde Schmeichelei'n

Einander auf den Kampfplatz ein. –

Wie sanft wird euer Streit! – Ihr werdet wie gebadet

In Rosenöl – die Lust wird allgemein,

Der Kranz des Siegenden sogar wird unbeschadet

Dem Lorber des Besiegten seyn.

Die Wahrheit ist mir lieb. Doch räche

Mein Mund sie selbst an einem Thoren nicht,

Der durch Verschonung meiner Schwäche

Mich für die seinige besticht![166]

Die Eitelkeit hält warm: wer wollte sie nicht pflegen!

Mich macht kein Bruderkuß verlegen

Der vielen Passagiers, die Brant2 uns ausgeschifft:

Mein lauter Beifall geht der Schrift,

Die mir der Autor bringt – mein Handwerksgruß dem Segen

Des bettelnden Gezüchts, entgegen,

Das auf dem Pfad des Ruhms mit mir zusammen trifft. –

Sind es nicht Stümper? – Meinetwegen!

Wenn wir mit unserm, Kopf nicht sichrer sind, als Swift,3

Was wagen wir, mit Recensenten-Schlägen

Den Freipaß in sein Narrenstift

Auf eines andern Stirn zu prägen?

Leiht gern einander euer Ohr.

Beweist nicht gleich mit einem Rechnungszuge,

Wer in dem süßen Wortbetruge

Mehr oder weniger verlor.

Wir streiten nicht – ich und mein Theodor.

Auf falsche Wechsel zieht der Kluge

Schnell eine falsche Quittung vor.


Nach solchen Vorbereitungen konnte der Erfolg nicht anders als erwünscht ausfallen, und wären meine Magenkrämpfe nicht gewesen, ich wollte über nichts klagen. Ich muß meinem freundlichen Wirth nachrühmen – er hatte es weder an Farben, Palleten noch Pinseln, die in der ausgesuchtesten Unordnung da lagen, noch an sonst einem artistischen Blendwerke fehlen lassen, um seinen Gast in die Illusion zu zaubern, daß er in der Werkstatt eines Malers frühstücke. Ich hätte mich ihr auch gern überlassen; doch unter dem Wiederschein der Bilder, die heute zu meiner Verwunderung die vier Wände seines Stübchens verzierten, das mir gestern ohne diese Tapete viel reinlicher vorkam, war es unmöglich. Es war die vollständigste Kopien-Sammlung der Wunderbilder der Madonna. Eine einzige nur, klagte er mir, ginge seinem Sortimente ab, und noch dazu eine aus der hiesigen Gegend, Notre Dame de la Grace zu Cotignac, zum größten Nachtheile seines Handels; denn es würde immer dreimal öfter nach dieser[167] gefragt, als nach sonst einer andern, besonders von Weibern in gewissen Jahren. – »Doch Ihr Leibschneiden, theuerster Gönner,« fuhr er fort, »von welchem ich Sie so gern befreit sähe, soll mir hoffentlich behülflich seyn ...« – »Zu was, lieber Passerino?« fragte ich erstaunt, »zu was?« – »Die Lücke,« fiel er ein, »in meiner Gallerie auszufüllen.« – »Das,« erwiederte ich mit noch größern Augen, »muß ganz sonderbar zusammen hängen, lieber Sperling.« – Hier rückte er mir einen Stuhl, trat vor mich, und: »Ist etwas in der Malerei,« fing er mit abgemessenen Worten sein Räthsel zu lösen an, »das eine feste, geübte Hand, Kenntniß des Clair Obscur und ein verständiges Auge erfordert, so ist es die Kopie eines wunderthätigen Originals, wo oft die Wirkung nur in einer kleinen Nüance liegt. Das weiß ich aus einer langen Praxis. – Aber mein Gott! was hilft es mir! Ich bin, bei allen diesen Voraussetzungen, doch zu alt, um den Weg zu Fuße – und leider zu arm, ihn in einem Wagen zu machen. Wenn Sie nun morgen nach Cotignac fahren, und hätten die Güte, mich mitzunehmen, so ...« – »Aber wer zum Henker,« unterbrach ich sein Gewäsch, »hat denn gesagt, daß ich nach Cotignac fahre? Es ist in diesem Augenblick das erstemal, daß ich das Nest nennen höre.« – »Thut nichts,« antwortete er: »Die hiesigen Aerzte schicken alle ihre Kranken dahin, die an schwerer Verdauung leiden. – Hilft die Marie nicht, so thut es der Weg, der weder zu kurz, noch zu lang, überaus steinig und zum Erbrechen gut ist. Ueberdieß kann ich Ihnen – denn ich kenne das hiesige Wetter – morgen einen heitern sonnigen Tag versprechen; und welches Glück wär' es nicht für mich, während meiner Abzeichnung einen Mann von Ihrem Blicke, feinen Geschmack, und Ihrem – wie soll ich sagen – so zarten Kunstgefühl an meiner Seite zu wissen!« – Hätte der gute Mann fortgefahren, lieber Eduard, wie er anfing, von seiner festen Hand – seiner Kenntniß im Clair-Obscur und seinem verständigen Auge zu schwatzen, so war nichts gewisser, als daß ich seinen tollen Vorschlag abwies; jetzt aber, da er mein Lob, so wenig es in seinem Munde auch Werth hatte, mit dem seinigen verschmelzte, war es mir nicht mehr möglich, Nein zu[168] sagen. Wahrlich kein schlechter Beweis von der Güte und Kraft meines obigen Systems!

Die Reise nach Cotignac ist also auf morgen festgesetzt. Seine Freude darüber war so groß, daß eine glückliche Stunde verging, ehe sein Kopf ruhig genug war, an seine Kunstwerke zu denken. Wie er ihnen aber einmal wieder auf die Spur kam, blieb er auch desto hartnäckiger darauf. Zu jedem Unsinne, den er über Haltung, Wärme, Kolorit und Ausdruck vorbrachte, langte er aus seinem Portefeuille auch einen Beleg. Ich mußte ihn über alle die Stufen begleiten, die er seit funfzehn Jahren bis auf den heutigen Tag in seiner artistischen Laufbahn erstiegen hatte; und so gelangten wir denn auch endlich zu der Schreckensperiode, die ich diesen Morgen vorher sah – zu dem Wunder seines neuesten Gemäldes. Seine Vaterliebe, eh' er es auspackte, glich einem Wirbelwinde, der einem Ungewitter vorhergeht, und war so heftig, daß sie beinahe in Ungerechtigkeit gegen seine ältern Kinder ausartete: denn er erklärte nicht allein die Meisterstücke aus der Zeit seiner Angola für Sudelei, sondern blickte selbst verächtlich auf seine Madonnen – nannte sie Matrosen-Waare, die er nur nebenher, des lieben Brods wegen, auf den Kauf mache, und die er sich schämen würde, unter seinem Namen – außer in der Italiänischen Uebersetzung – auszuhängen. »Wie viele Fächer,« rief er, »hat mein Genius nicht durchlaufen, eh' er sein rechtes getroffen hat! Von der Blumenmalerei, mit der ich meinen Weg antrat, ging ich zu Thierstücken – Porträts – Bataillen und Landschaften über. Ich brachte es zwar in jeder Art zu einer gewissen Fertigkeit; aber in keiner von allen errang ich den Kranz der Vollendung, den mir die Natur an dem Gestade des Meers aufbehielt. – An den Marinen mein Herr, entwickelte sich erst meine ganze Schnellkraft. – Ach wie lange schlummerte sie in träumendem Irrwahn! Anspach war der Ort nicht, um sie zu wecken. – Das Schicksal mußte mich hierher schleudern, daß ich erführe, wer ich sey.« – Mit diesen Worten, die ihm in dem seligsten Enthusiasmus entflossen, trieb er mich von meinem ruhigen Stuhl in die Ecke des Fensters – riß beide Flügel auf, und streckte den Arm so weit vor, als wolle[169] er seinen krummen Zeigefinger in das Meer tunken. – »Hier, mein Herr,« überschrie er einen Windstoß, »sprudelt die heilige Quelle, aus der ich schöpfe. Wer beschreibt die Erschütterung meines Innern, als meine erstaunten Blicke zum erstenmale über sie hinflogen! Das ist, rief ich aus, was dein Geist lange im Dunkeln geahndet – vergebens gesucht hat. In einer Art von Künstlerwuth griff ich nach Farben und Pinsel – überließ mich meiner Begeisterung, und erstaunte selbst über die Keckheit meines ersten Versuchs. Doch bald – trinken Sie aber nur erst Ihren Kaffee – werde ich Ihnen meinen letzteren vorzeichnen – einen Sturm – aber was für einen! Mich überläuft selbst jedesmal ein Schauer, wenn ich ihn ansehe.«– »Mich auch,« unterbrach ich ihn; »aber bei mir kommt er alleweile vom Original. – Erlauben Sie, daß ich die Fenster wieder zumache – die Zugluft und meine Nerven vertragen sich heute nicht.« – »Sehr wohl,« sagte er; »aber, um wieder auf meinen Sturm zu kommen, – denn bei einem solchen Stücke schadet es der Täuschung nicht, wenn die Beschreibung voraus läuft – so werden Sie sehen, daß ich nicht umsonst über den Hafen blicke, und neben dem Stapel wohne. Ich glaube nicht, daß der große Vernet selbst das Tau- und Takelwerk besser versteht als ich, und daß ein Schiff regelmäßiger gebaut werden kann, als die meinigen gemalt sind. – Mit einem Vergrößerungsglase – ich werde gleich die Ehre haben Ihnen das meine zu borgen – können Sie an jedem sogar den Namen und die Jahrzahl lesen. Einer Kleinigkeit muß ich noch gedenken, werthester Herr, – meines Wahrzeichens auf dem Gemälde – einer glücklichen Erfindung, die aber freilich nur auf mich allein paßt. Das Stück kann in der Welt hinkommen wo es will – mein Name wird dadurch allen Nationen verständlich – jede wird ihn in ihrer Sprache zu nennen wissen – denn überall giebt es – Sperlinge.« – »O das ist nur gar zu gewiß,« entwischte mir in der Zerstreuung; aber er überhörte den Sinn. – »Befehlen Sie noch eine Tasse? Nicht? – Nun so will ich das Bild holen,« – fragte und antwortete er zugleich. Ich hätte das Schubfach des Kastens angeben wollen wo es lag; denn seine verstohlenen[170] Blicke, die er ohne Aufhören dahin warf, verriethen mir längst, daß dort sein größtes Kleinod verwahrt seyn müsse, und ich irrte mich nicht. Er zog das Kunstwerk behutsam heraus, rollte es, seitwärts, auseinander, spannte es in einen Blendrahm, und stellte mir es nun in seiner ganzen Majestät, vor. die Augen, und sich in der seinigen darneben.

Ich für meine Person hätte nun wohl die Mordgeschichte, die es von sich strahlt, zur Genüge beäugelt, mit dem Urbild hinter dem Fenster verglichen, und bis zum Mattwerden bewundert. Aber Du, mein armer Freund! Nun Du sollst auch nicht zu kurz kommen. Weder das Ohrensausen, das mir her Mißklang so vieler Kunstwörter zugezogen – noch das Augenweh, das sich hinter dem Vergrößerungsglase erzeugt hat, sollen mich hindern, Dir die Schilderung des schrecklichen Sturms so poetisch wiederzugeben, als ich sie aus dem Munde seines Erfinders erhielt. Wenn er Dir in diesem Wiederscheine nicht das Haar in die Höhe treibt, nicht eben den Schauer erregt, als dem Meister – so weiß ich nur noch Einen Rath, Eduard: das Gemälde steht seit einer Stunde bei mir zum Verkaufe. – Frage nicht erst lange, wie das zugeht – thue ein Gebot darauf, aber bald.


Ermuntre Dich, laß Deiner vollen

Empfindung ihren Lauf.

Dergleichen Stücke rollen

Wir nur dem Kenner auf.


Er nur fühlt es mit trunknen Sinnen,

Wie durch der Farben Licht

Auf einem Stückchen Linnen

Der Geist zum Geiste spricht.


Wohl mir, wenn meines Sturmes Scene

Dir hoch den Busen schwellt,

Und eine Männerthräne

Auf meinen Pinsel fällt!


Siehst Du, wie sich der Tag entfernet

Auf dieser Wasserflur?

Ganz im Geschmack von Vernet,

Und wahr wie die Natur.
[171]

Sieh, wie der Himmel deinen Augen

Entgegen droht. Hier weicht

Der Mond, die Wolken saugen –

Und jeder Stern verbleicht.


Der Horizont, mit Blut umzogen,

Wirft fürchterlich und schwer

Um das Gefecht der Wogen

Den Trauermantel her.


Hoch über das bis auf die Hefen

Empörte Meer umziehn

Nur einzeln weiße Möven

Den schwarzen Baldachin.


Sei ehrlich! Untersuch' und richte,

Ob nicht der Uebergang

Vom Schatten zu dem Lichte

Mir wunderbar gelang.


Ich bin's geständig zwar – mein Vetter

Malt brav – mit Phantasie;

Doch solch ein Donnerwetter

Erregt sein Pinsel nie.


Wer zählt die Schiffe, die verschwanden,

Und die noch Wasser ziehn

Nothschüsse thun, und stranden,

Und in den Orkus fliehn?


Hier kämpft mit seiner eignen Schwere,

Zerrüttet durch die Zeit,

Mein Hauptschiff, Frankreichs Ehre,

Und unterliegt dem Streit.


Ihm, dem Gewaltigen – ihm sinken

Der Thron, das Vorgemach,

Und Millionen Pinken

Und niedre Barken nach.


Dort sinkt eins, das im Untergange

Selbst noch die Segel spannt,

Ein Raubschiff, nur die Schlange

Von Orleans genannt.


Ein andres dort – Drei Sechsen zieren4

Des Schiffers Namenzug,[172]

Den sonst eins von den Thieren

Der Offenbarung trug.


Hier wankt, vom Boreas entkleidet,

Beschädigt am Verdeck,

Graf Artois – Ach! er leidet

Nicht an dem ersten Leck! –


Und hier dreht manche leere Tonne

Sich noch im Wirbel – wo

Die löchrige Sorbonne

Aus dem Gesichtskreis floh.


Der Strudel zieht den letzten Splitter

Der Monarchie hinab:

Dort platzt der stolze Ritter,

Hier knickt der Bischofsstab.


Dort irrt der Schatz von Peru ledig

Sankt Petern nach, und hier

Der Löwe von Venedig

Dem trägen Murmelthier.


Sprich! Blieb ich nicht vom fernsten Gipfel

Bis zu dem nächsten Strand

Mir gleich? – bis in den Zipfel

Der bunten Leinewand?


Bis – wo noch Ausdruck und Gedanke

Gleich schön zusammen stimmt –

Bis zu dem Span der Planke,

Auf dem ein Sperling schwimmt?


Des Weisen Herz darf ohne Zittern

Sich jedem Abgrund nahn:

Der Erdball kann zersplittern;

Er findet seinen Span.


So schwamm mein Ich auch im Getöse

Des Meers, auf Blut und Schaum,

Durch einen Sturm – an Größe –

Zwei Ellen und ein Daum.


Der Sprung, den der liebe Mann so unerwartet aus seiner ästhetischen Höhe in Gott weiß welchen Kramladen that, hätte mich beinahe ganz aus meiner herrlichen Fassung gebracht. Ich mußte[173] zu allen Künsten des Mienenspiels meine Zuflucht nehmen, um meinen Spottgeist und mein gutes Herz im Gleichgewichte zu erhalten. Die vorzüglichste Hülfe indeß verdankte ich ihm selbst, indem er alles, was meine Verlegenheit auswarf – wär' es auch der bitterste Hohn gewesen – für den lautersten Beifall aufnahm, und das unverschämteste Lob viel zu natürlich fand, um meine Aufrichtigkeit in Verdacht zu ziehen. Wenn Du ihn nur gesehen hättest, Eduard! Sein seliges Wohlbehagen würde Dich am ersten von der Güte der Falschheit belehrt, und überzeugt haben, daß sie, die eure unhöfliche Moral, viel zu geradezu, für Laster erklärt, sich in der Praxis als das wirksamste Hausmittel der Menschenliebe bewähre. Meine närrischen Schmeicheleien trieben sein Entzücken immer höher, endlich so hoch, daß er, in einer Art von Taumel, sich so freigebig gegen mich erklärte, als gegen das Publikum auf der schwarzen Tafel über seiner Hausthüre, und mir, stelle Dir vor, mit väterlicher Entsagung seinen Liebling zum Geschenk anbot, gegen Erstattung der fünf Louisd'or für die Farben, die er darauf gesetzt habe. – »Wo denken Sie hin?« knallte ich ihn an. »Wie können Sie in der Welt zu etwas kommen, wenn Sie Sich selbst so wenig zu schätzen wissen? Ich gebe Ihnen gern das doppelte von dem, was Sie fordern, und mache noch immer einen sehr guten Handel.« – »So wollen Sie denn meiner uneigennützigen Freundschaft durchaus nichts verdanken?« sagte er rührend, und reichte mir seine dürre hohle Hand hin, in die ich – sehr froh, daß es nur kein Kenner bemerkte – die verschleuderten Goldstücke einzählte.

Indem aber überraschte mich doch bei diesem einfältigen Handel einer von den Herren, die immer geradezu gehen – ein reisender Engländer. Er trat gestiefelt herein, warf ein paar flüchtige Blicke auf die Madonnen, und hatte genug – drehte sich darauf zu uns hin, und, nachdem er mit ernsten Augen bald den Sturm, bald mit spöttischen den Käufer, und mit höchst verächtlichen den Meister, der eben daran war, das Stück zusammen zu rollen, angeblinzt hatte, klopfte er ihn auf die Achsel, und ... »Was Herr?« fuhr er ihn an, »das nennen Sie nach der Natur[174] gemalt? Wollte Gott, es wäre wahr, nur halb wahr! – Ich gäbe gleich aus meinem Beutel tausend Guineen – schon allein für den Untergang Ihres einzigen Hauptschiffs – God damn me! das gäb' ich darum,« – und so ging er steif und pfeifend wieder zur Thür hinaus. – »Das war ein tüchtiges Gebot,« sagte Passerino ganz unerschrocken: »aber warum blieb der Herr Engländer nicht, und machte seine Bestellungen wie er sie nur haben will? Was wollte er mit meinem Hauptschiffe? Das wird wahrlich nicht lange mehr See halten. – Jeder Kenner, dächte ich, müßte ihm seinen nahen Untergang ansehen.« – »Ja wohl,« antwortete ich. »Doch es ist gleich Mittag, Freund, lassen Sie uns gehen.« – Er nahm nun das zweiellige Bündel unter den Arm, und schlich mir mit einer Miene bis in den Miethwagen nach, als ob er seinen letzten Blutsfreund zu Grabe trüge. Unterwegs aber nach dem Gasthofe ermannte er sich wieder, und bekam sogar Herz genug, mir unter den Bart seinen heutigen Gewinn an Geld und Ehre vorzurechnen. – »Wenn ich alleweile,« brach seine geheime Empfindung los, »einen Blick auf mich werfe, so fällt mir der gute Correggio mit seiner berühmten Nacht ein. Sie ist wenigstens um anderthalb Ellen größer und breiter als mein Sturm, und dennoch verkaufte er sie nicht um einen Groschen höher! Aber, was erst Entsetzen erregt – mußte er sie nicht, wir ein gemeiner Bote, einige Meilen weit in das Kloster tragen, für das sie bestellt war – ohne daß die dummen Mönche ihm für seinen sauern Gang, wie die Historie sagt, nur so viel als eine Mahlzeit beträgt, darüber bezahlt hätten? Als er den Abend in seine Werkstatt zurück kam, und sie ihres schönsten Schmuckes beraubt sah, weinte er bittere Thränen über eine Armuth, die ihn genöthigt hatte, sein unsterbliches Werk, um nicht selbst Hungers zu sterben, solchen Barbaren zu verhandeln. Ich hingegen, großer Gott!« fuhr er fort, »fühle zwar auch die Trennung von dem letztgebornen Sohn meines Geistes; aber durch wie viele tröstliche Umstände wird sie mir nicht erleichtert! Ich gebe ihn ja in die Hände eines braven, verständigen Freundes, der mich noch dafür ehrt und belohnt, der mich heute bei dem Heiligen Geist zu Gaste, und ach! morgen zu der[175] einzigen Marie führt, die mir abgeht, und die Gebenedeiteste ist unter den hiesigen Weibern!« Während er in der einen Ecke des Wagens diese Parallele zog, die ihm der Himmel vergebe, saß ich mäuschenstill in der andern, und, indem ich wechselsweise bald seinem theuern Sturm einen Schub mit den Füßen gab – bald meine Freigebigkeit, mein Magenfieber und meine morgende Kur zum Henker wünschte, fühlte ich es in allen Gliedern, was es auf sich hat, Protektor der schönen Kunst zu heißen.

So endigte sich mein pittoreskes Frühstück. Ich habe Dir es auf das genaueste beschrieben – das wirst Du nicht anders sagen können. Dafür muß ich aber, vielleicht zum erstenmale in meinem Tagebuche, drei volle Stunden überhüpfen, so wichtig sie auch indeß allen andern Erdenbewohnern seyn mögen; Stunden, die in Marseille so hoch gefeiert werden als zu Berlin, und die – daß ich Dir ihren ganzen Werth fühlbar mache – jene kostbaren Minuten enthalten, die selbst unserm großen Könige die sichtbarste Belohnung für sein mühvolles Leben darbieten – mit Einem Worte: die glücklichen Stunden des Mittags. Ich kann Dir sogar von der Eßlust meines Gastfreundes keine Rechenschaft geben: denn, während er an der Wirthstafel aller seiner Sorgen vergißt, halte ich mich mit den meinigen von vorgestern her in meinem Nebenkabinette verschlossen, suche zu verdauen und schreibe. O des häßlichen Fisches! Wer nicht Seehunde und Meerwölfe zu Gästen hat, sollte so ein Gericht nicht auf seinen Tisch bringen. Wie viel habe ich ihm nicht schon bittere Pulver und Stinkkugeln nachgeschickt! Aber sie prallen ab, wie Schrotkörner von einer Mauer. Nichts sprengt – nichts durchbohrt ihn. Jetzt hat sogar mein Wirth aus menschenfreundlicher Theilnahme die verborgensten Schleusen seines Kellers gezogen, und mir eben Weine aus dreier Herren Ländern herauf gebracht, um ihn wegzuschwemmen. Wenn auch dieses Holländische Mittel nichts hilft – nun so mag meinethalben der holprige Mönchsweg morgen die Masse zerreiben, die mich drückt, und der Ekel, den ich bei meiner neuen Bekanntschaft voraussehe, den heben, den mir meine vorgestrige zuzog, da es für einen protestantischen Magen schwerlich ein kräftigeres Emetik giebt, als so[176] ein Madonnengesicht. Sollte aber die Ziehung der Schleusen den Feind aus dem Lande treiben – desto besser! Ich habe eben eine geöffnet, und fühle ihre Wirkung schon bis in den Fingerspitzen. Wie viel läßt sich da nicht Gutes erwarten, ehe alle drei geleert sind! –


Für einen Menschen, der früh einen Seesturm erlebte, unter Magendrücken sich eines vergangenen guten Mittags erinnert, und den gegenwärtigen ungenossen verschrieben hat, befinde ich mich noch leidlich genug – danke Gott für meinen weich gepolsterten Sorgestuhl – für den geistreichen Wein, der schon mein ganzes Vertrauen gewonnen hat – für den Trost meiner Feder, und für die gute Laune, mit der ich der Ernsthaftigkeit freundlich die Hand biete. Ob es mir einmal nicht schlimmer zu Muthe seyn wird, wenn ich mich in meine philosophische Klause zu Berlin hinsetzen, und nach Beendigung meiner Reise die Summen, um die mich meine Freigebigkeit, meine Kaufsucht und meine physischen und moralischen Thorheiten gebracht haben, aus meinen täglichen Ausgaben heben, und unter der ihnen gebührenden Rubrik zusammen rechnen werde, ist freilich eher zu wünschen, als zu hoffen. Denn, laß mich auch – um ernstlich zu sprechen – meine Erfahrung seit dem ersten November, wo ich Berlin verließ, bis heute, den dreizehnten Januar, wo ich mich mit einem Meergräuel herumbalge, noch so hoch in Einnahme bringen, so wollte ich doch wohl die funfzig prahlenden Hefte meines Tagebuchs gegen meinen Schreibkalender setzen, daß der Gewinn den Verlust nicht aufwiegt. Ich weiß zwar meine Rechnung recht gut in Ordnung zu halten; nur schlage ich sie nicht gern nach. Doch da ich heute weit weniger um die Zeit selbst, als um ihre Anwendung zwischen zwei Armen eines Lehnstuhls, verlegen bin, so will ich doch den Gedanken, der anklopft, herein nöthigen, will zum Spaß die Rotte meiner unnützen Ausgaben der letzten acht oder zehn Tage zusammen stellen, und meinen jüngsten Thorheiten die Ehre der Sitzung an meinem Revisions-Tische vergönnen.


[177] In vollwichtigen Dukaten nach dem Kours zu 12 Livres gerechnet.


d. 4. Jan. – dem Wächter der Laura zum zweiten Geschenk

2


it. für das Strumpfband der Maria, das ich Tags darauf gegen ein anderes vertauschte, das ungleich weniger werth war

41


d. 5. – Siehe Insgemein.

d. 6. u. 7. für Beköstigung der Wache, während meiner Gefangenschaft, inclus. des Weins, den sie auf meine und des Papsts Gesundheit getrunken, und eod. des letzten Dukatens an den getauften Juden für sein Gutachten in meiner Proceßsache

23


Summa in Dukaten 66 Stück oder 792 Livres.


Ferner in Louisd'or zu 24 Livres.


d. 8. Verlust an dem, der alten Bertilia auf einen Monat vorausbezahlten und im Stich gelassenen Miethzins auf drei Wochen deux Louis par semaine

6


it. für den Abschiedsschmaus, den ich Herrn Ducliquet und Konsorten gab, l. Rechnung des Speisewirths und Weinhändlers

71/2


it. zurückbezahlter Vorschuß an den Hauptmann der Päpstlichen Garde, für die Rekruten, die er der Armenkasse abgekauft und mir überlassen hat

9


it. eben demselben für die Ausfertigung ihres Abschieds

2


it. für die Liverei der beiden Puppenspieler, l. Quittung des Trödlers

91/2


it. zu Bezahlung ihrer Schulden

21/2


d. 9. – für unverdiente Ehre an überflüssigen Schüsseln und Wachslichtern d. 8. Abends in Joseph dem Zweiten zu Lambesc

2


it. für Erfrischungen und Chokolade, Champagner und Punsch, womit ich den Visitator und seine Nichten bewirthete, incl. der Orangen von Malta, die ich bis zu Morgens-Anbruch verbraucht

21/2


it. für Rückfahrt von der Tartane von St. Domingo aus Ufer

1/2


d. 10. Siehe Insgemein.

d. 11. 12. 13. den Herrn Passerino drei Tage an der Wirthstafel Mittags und Abends frei gehalten, incl. des Weins

2


it. für einen Seesturm von seiner Hand, zwei Ellen und einen Daum groß

10


Insgemein für unnöthigen Aufwand an Federn, Tinte, Papier, besonders den 5. und 10. huj

1


Summa 541/2 Louisd.


Zusammentrag.


Unnützer Aufwand vom 4. bis 7. an 66 Dukaten – macht

792 Livr.


desgl. vom 8. bis 13. an 541/2 Louisd'or

1308 Livr.


Sonach in zehn Tagen: 2100 Livr.
[178]

Ei, ei! lieber Eduard, da habe ich mir einen schönen Spaß ausgedacht! Gott bewahre mich, daß ich ihn fortsetze! Nicht ein Blatt mehr von meinem verrätherischen Schreibkalender möchte ich umschlagen – ich würde fürchten vor Schwindel unter den Tisch zu fallen. Was ist mit so einer Rechnung anzufangen? Ich kann sie drehen und wenden wie ich will, so wirft sie doch nichts aus, was ich als Gewinn in Einnahme bringen könnte: denn, was hätte mir wohl meine zehntägige Verschwendung eingetragen, außer allenfalls den Fund einer verlornen Schreibtafel – ein paar Puppenspieler, und zwei Ellen gemalte Packleinwand? Das sind herrliche Zugänge der Wirtschaft! Noch dazu darf ich die erste und beste Nummer nicht einmal rechnen; denn sie fällt übermorgen an ihren kranken Eigenthümer zu Montpellier zurück. – Die zweite? beschwert mir den Wagen, lebt auf meine Kosten in den Tag hinein, und schickt sich in der Welt Gottes zu nichts, als zu Harlekinaden. Und die dritte endlich? wenn ich die vollends in Anschlag bringen will, so giebt mir das gutes Spiel. – Sie faßt meine jüngste Thorheit in sich, die gewöhnlich immer die ärgerlichste ist, und zugleich ein Inventariumsstück, wie ich Gott Lob noch keins besitze, das so alt bei mir werden kann als es will, weder gute noch böse Gedanken und nichts erregt, als Gähnen. Es sind – mit Einem Worte – und bleiben unverantwortliche Ausgaben. Sie würden es für einen Prinzen seyn, der auf Kosten seiner Landstände reiset, geschweige für mich! Womit soll ich den thörichten Geldverpraß – nur dieser letzten zehn Tage – geschweige aller der Wochen, decken, die noch unberechnet dahinter liegen? Wie soll ich meiner zerrütteten Privatkasse aufhelfen, und der Entkräftung beikommen, die sie gemeinschaftlich mit meinem moralischen Vermögen erlitten hat? Bei Gott, ich weiß es nicht! – – Doch halt! da kommt mir eben ein Einfall. Wie wäre es, Eduard, wenn ich, in Ermangelung landschaftlicher Beihülfe, einen andern Nothreif ergriff, der, eben so gut als jener, schon manchen leck gewordenen Reisenden in seinen Fugen gehalten, und vor gänzlichem Zerfallen geschützt hat, und, da ich kein Steuer-Aerar in meine Thorheiten verflechten kann, das eben so geduldige, lesende und neugierige[179] Publikum zur Mitleidenschaft zöge? – Und warum – laß uns ein wenig darüber nachdenken – warum sollte ich nicht? Der Einfall ist gar nicht so übel. Zeigen sich in der Verfolgung desselben nicht noch unversehene Schwierigkeiten, die mir ihn verkümmern, so werde ich am Ende wohl gar noch dem Sturme, der mir ihn zuführte, eine Ehrenerklärung thun müssen.

Aber, schon kommt mir ein Umstand in die Quere, den ich vor allen Dingen beseitigen muß, eh' ich mein Strandrecht benutzen kann. Es ist vorerst auszumachen, wem die Entscheidung über diese Blätter eigentlich zustehe – Dir – oder mir? Gehört das Votiv-Gemälde dem Gichtbrüchigen, der es aufstellte, oder dem Götzen, dem es geweiht wurde? und wirst Du – wenn Letzteres gelten soll – mir erlauben, das meinige aus Deiner heiligen Halle zurück zu nehmen, um es der öffentlichen Beschauung preis zu geben? Wie mag ich nur fragen? als ob Du wohl je noch den Gang einer Sache gestört hättest, die mehr Gutes erwarten läßt als Böses. – Und daß der Druck mein Tagebuch in diesen voraus bedungenen Fall setzet, soll Dir gewiß am Ende so stark in die Augen leuchten, daß Du mir schwerlich Dein – Imprimatur – versagen wirst.

Den möglichen Ersatz meines verschleuderten Kapitals habe ich, einige Zeilen höher, schon dargethan, und da der Vortheil für mich dabei nicht zu bezweifeln ist, so giebt es wohl nirgends einen so beschränkten Pfuscher von Finanzminister, der nicht hierin seine eigenen Grundsätze erkennen, und meiner Spekulation das Siegel aufdrücken sollte. Ob aber in solcher der Patriot – für den Nachtheil, den ich durch meinen Müßiggang dem Staate – der Philosoph – für die Beeinträchtigung, die ich der Moral zugefügt habe – eine eben so auslangende Entschädigung erwarten dürfe, hätte ich Dir noch zu erweisen; und es ist ein wahres Glück, daß, trotz aller Dünste, die mir zu Kopf steigen, ich Federkraft genug habe, so verwickelte Fragen aus einander zu wirren. Patrioten und Philosophen – ich weiß es – sind krittliche Geschöpfe, und es ist eine wahre Wohlthat von Gott, daß ein unbefangener Autor deren nur wenig antrifft – aber, ich dächte doch – auch sie müßten[180] einsehen, daß mit meiner Sache wenig oder nichts anzufangen sei, wenn ich sie liegen lasse, wie sie alleweile liegt: denn gesetzt, meine Herren, ich ließe die Stunden meines Müßiggangs, mit ihrem ganzen häßlichen Gefolge, als Schatten eines vergeudeten Lebens, tagtäglich an meinem Lehnstuhle oder Rechnungstische vorbei ziehen, so kann ihre traurige Procession doch höchstens nur eine Staubwolke – den vergeblichen Wunsch nämlich bei mir erregen, daß sie noch zu meiner Zeit gehören möchten! Ihr widriger Anblick kann mich allenfalls in meinem Vornehmen befestigen, die folgenden, die mir etwa noch werden, mit guten, nützlichen, wohlthätigen Werken zu schmücken, damit nie eine mehr bei mir vorüberschlüpfe, die mir nicht freundlich und friedlich in die Augen spiele, und noch im Verschwinden einen Kuß zurückwerfe. Das ist nun zwar etwas, aber nicht viel. Wollte ich aus schamhafter Empfindlichkeit vollends gar ihrem Andenken entsagen, und thun, als ob sie nie zu meinem Leben gehört hätten, so wäre das noch weniger. Entschließe ich mich aber nur, ihre Luftgestalten in einen Spiegel zu fassen, und gewönne ich nur so viel damit, daß ich ihn dem Selbstgefühl anderer leichtsinniger Gesellen, die bei mir vorüber ihren Leidenschaften nachlaufen, vorhalten, und bewerkstelligen kann, daß sie einen Augenblick stille stehen, und bei Betrachtung meiner Bilder zu Athem kommen, so giebt mir dieses schon einen ganz andern – beinahe theologischen Antrieb, mit einem Buchhändler zu sprechen, und legt dem ersten Bewegungsgrunde, der nur auf meinen Nutzen berechnet war, einen ungleich wichtigern bei, und der viel empfehlendes selbst für den Philosophen hat. – Immer aber ist weder der eine noch der andere auslangend genug, daß ich mich so geschwind über die Schamröthe wegsetzen möchte, die gewiß jeden ehrbaren Mann anfliegt, wenn er, wie ein Savoyard mit seiner Zauberlaterne, durch die Straßen laufen, und seine Grotesken ausrufen soll. Nein, meine hochverehrten Herren! Die wahre Triebfeder, die mich zu einem Schritte bewegen kann, der eigentlich meinem Gefühle widersteht, liegt in meiner Denkungsart über einen Grundsatz, den ich mir zwar bloß aus der Erfahrung gebildet habe, der aber, nach meiner Einsicht, wohl verdiente, in[181] der praktischen Weltweisheit einen systematischen Anstrich zu erhalten: daß man nämlich die äußere Mechanik zu Hülfe rufe, wo es mit unsrer innern Einrichtung stockt. Dieser dunkle Satz wird erst ganz klar durch die Anwendung. Ich müßte ein Buch schreiben, wenn ich alle die Fälle aufzählen wollte, die seine Brauchbarkeit an den Tag legen. Um dießmal nur von der Unterstützung zu reden, die er mir leistet, so eröffnet er mir ganz allein, mit der Hoffnung, den beleidigten Genius der Moral zu besänftigen, die schöne Aussicht, jenen – nun einmal verlornen und verschrienen Zeitraum meines Lebens hinterher noch einigermaßen zu veredeln, die Anforderung des Staats an mich auf dem Wege der Gegenrechnung auszugleichen, und endlich mich selbst der gerechten Bestrafung zu überliefern, die, da sie nur Richtern zukommt, die weniger wider das Sittengesetz verstoßen haben als ich, äußerst gelind ausfallen wird. Und dieses ...

Doch erst muß ich den Sturmmaler, der eben glänzend und munter von seinem Mittagsmahl herein tritt, aus der Stille meines Schreibtisches entfernen, und ihm etwas zu thun geben, damit er mich in der Ausführung meines Beweises ungestört lasse. – »Können Sie noch wohl Ihre Muttersprache schreiben, lieber Sperling?« –»Das will ich hoffen,« antwortete er mir, nahm eine von meinen Federn, und bewies es mir auf der Stelle durch seinen alten Denkspruch, den er mir auf ein Schnittchen Papier schrieb, wie ehemals in mein Stammbuch:


Wenn, lieber Künstler, dir zum Lohne

Kein Zepter ward und keine Krone,

So tröste dich dein Ruhm! Talente, Geist, Geschmack,

Veredeln selbst den Bettelsack.


»Schön!« rief ich aus. »Ihr Denkspruch beruhigt mich ganz über die Zumuthung, die ich im Begriffe bin Ihnen zu thun. Es betrifft die Abschrift eines Briefs, die ich zwar angefangen, aber nicht geendigt habe; denn er ist so lang wie eine Abhandlung. Die Arbeit ist dringend: denn übermorgen muß ich das Original in Montpellier seinem Eigenthümer zustellen; nun ist aber der heutige Abend meinem Reisejournal, der morgende Tag unserer bewußten Wallfahrt bestimmt – was ist da zu thun? Ich würde sie höchst[182] ungern aufgeben; und doch sehe ich kein ander Mittel – Sie müßten denn die Stunden, die ich dadurch zu kurz komme, übernehmen.« – »Herzlich gern,« fiel mir Freund Passerino ein. – »Getrauen Sie Sich mit der Abschrift heute noch fertig zu werden, gut: so können Sie die Postpferde nach Cotignac so früh bestellen als Sie wollen. Der Inhalt der Handschrift wird Ihnen übrigens die Mühe des Abschreibens gar sehr versüßen; denn es sind Rhapsodien über Talent und Geschmack.« – »O geben Sie her,« unter brach er mich hastig: »über so einem Thema könnte ich ganze Nächte aufsitzen.« – »Eine Bedingung jedoch,« fuhr ich fort, »müssen wir noch festsetzen, daß keiner nämlich den andern störe. Ich brüte hier über einer häklichen Sache, die keine Zerstreuung zuläßt; und doch ahndet mir, daß Ihnen beim Abschreiben nichts schwerer fallen wird, als das Maul zu halten. Es ist natürlich: einem Kopfe, wie der Ihrige, müssen bei so einer Materie Zweifel die Menge aufstoßen. Ich gebe sie Ihnen alle in voraus zu, nur anhören mag ich sie nicht; und müssen sie Ihnen ja über die Leber, so setzen Sie sie neben Ihre Abschrift als Randglossen – das soll Ihnen erlaubt seyn.« – Unter diesen Maßregeln, die ich zu meiner Sicherheit für nothwendig hielt, stellte ich ihm einen Tisch, dem meinigen gegenüber, in das Fenster, legte ihm den Brief des Landjunkers vor – wies ihm die Zeile, bei der ich stehen geblieben, und habe mir durch diesen Ausweg zwei große Beschwerlichkeiten mit einem Mal vom Halse geschafft – die Mühe des Abschreibens und seine Unterhaltung.

Und dieses – fahre ich nun ruhiger in meinem angefangenen Beweise fort – kann wohl auf keine patriotischere Weise geschehen, als daß ich den ganzen Unrath meiner verschwendeten Zeit, wie er sich während der Reise in meinem Tagebuche anhäufte, zusammen kehre, und die körperliche Schwere, die darin liegt, an jenes bekannte Triebwerk hänge, das eine Menge verdienter Staatsbürger sammt Weib und Kindern ernährt – eine Menge nach Fleiß und Arbeit ringender Hände in Bewegung setzt – von dem Lumpensammler an bis zu dem Recensenten – von dem Setzer bis zum Verleger – vom Kupferstecher bis zum Buchbinder. Welcher Kreislauf von Thätigkeit, Mühe und Erwerb, ehe der Nebel meiner[183] verflossenen Stunden in die Höhe steigt, und nun in sanften Thantropfen auf die Blumenkelche, oder – wie es trifft – auf die Krautköpfe meiner Leser herunter fällt! Wie gut, daß nichts auf unserm Erdball verloren geht, selbst das nicht, was wir verthun! – Alles kann nützlich werden, und wird es. Versäumen wir es aufzuheben, so thut es die Natur von selbst; denn sie hat unzählige, Mittel der Anwendung in ihren immer schaffenden Händen. Lange trugen die emsigen Ansiedler von Holland die todt gebrannte Asche ihres Torfs, wie ich die Belege meines Tagebuchs, einzeln aus ihren Kaminen auf einen Haufen zusammen, der endlich zu einer fürchterlichen Größe anwuchs. Was soll, fragten sie sich ängstlich unter einander, in die Länge aus dieser unnützen Staubmasse werden, die, hätten wir sie in unsere Kanäle getragen, sie längst so gewiß würde verstopft haben, als sie jetzt unsere Dörfer und Städte verdämmt? Zeit und Nachdenken haben es sie gelehrt. Jetzt befrachten sie ganze Flotten mit diesem, ihnen ehemals so ärgerlichen Material, und schicken es ihren Nachbarn in Brabant zu, die jährlich darauf harren, um ihre an Erstickung allzu großer Fettigkeit leidenden Felder damit zu lüften, um sie zu bessern Ernten geschickt zu machen. Dieser Tauschhandel ist fortdauernd im Gange, und ist Staatsbedürfniß geworden. Das eine Land bezahlt von dem Ueberflusse seines Korns den überflüssigen Staub des andern, und beide Länder befinden sich wohl dabei. Wie wunderbar, meine Herren, hängt doch auf unserer Kugel – Alles und Nichts – und wie wunderbar, wirst Du sagen, hängt doch Geschwätz und Philosophie, und oft ein schwerer Beweis mit einem Glase so süßen Weines zusammen, als ich eben, wie Du vermuthlich von weitem ahndest, auf aller Patrioten Wohlseyn ausleere!


Abends neun Uhr.


Wie ich glaube – denn gewiß weiß ich es doch nicht – bin ich auf der vorigen Seite mit den Patrioten, den Philosophen und Dir völlig zu Rande gekommen – habe von euch allen die Erlaubniß ausgewirkt, mein Tagebuch drucken zu lassen, und meine Aktien sind nun im Steigen. Doch fürchte nicht, Eduard, daß[184] mich diese abgeschüttelten Sorgen verleiten werden, meinen alten Haushalt so fortzusetzen, als meine niedergeschriebenen Hefte besagen. Gott bewahre! Ich wünsche Gegentheils, – und ich kann wohl sagen, mit aufrichtigem Herzen – daß von nun an nur die reinsten Tugendbilder aus meinem Leben zurück strahlen und meine Feder beschäftigen mögen. Nur muthe mir niemand zu, ihr eine schöne Lüge unterzulegen, in dem Falle, daß ich Dir eine häßliche Wahrheit zu gestehen hätte. Daraus wird nichts. Wer Guckkasten von so erbaulicher Zusammensetzung verlangt, lasse mein Tagebuch ungelesen, und suche sich einen unter den zweien – dreien – aus, die er selbst in der kleinsten Stadt findet. Ich hörte eben einen über die Straße orgeln. – Er stand zu sehr in Verbindung mit meinen Gedanken, um ihn ruhig vorbei gehen zu lassen. Der Epilogus mußte ihm nachspringen. Es trat ein stattlicher Junge herein, der seine Sachen ganz gut machte. Passerino fand seine bunten Bilder recht artig; sein Leierstückchen war es gewiß nicht weniger, und lautet in unserer Deutschen Uebersetzung also:


Schaut auf! Hier wird zur Abenbfeier

Die große Harmonie der Welt,

Dem armen Mann für einen Dreier,

Weit männlicher nach meiner Leier,

Als durch Kastraten vorgestellt!


Dieß ärmlichste von allen Spielen

Entwickelt mehr, als es verheißt:

Den Kleinen – die nach Hoheit schielen,

Den Hohen – die vom Gipfel fielen,

Rührt es das Herz und hebt den Geist.


Hier siehst du – Karl, den Kaiser, speisen

Und König Salomonis Thron,

Und möchtest dich vor Neid zerreißen,

Und wünschest, auch ein Herr zu heißen,

Wie Kaiser Karl und Salomon.


Doch bald nachher erfolgen Possen,

Wie sie von Zeit zu Zeit geschehn.

Den Pharao sammt seinen Rossen

Wirst du, elendiglich erschossen,

Im rothen Meere schwimmen sehn!
[185]

Jetzt schleudert er in Todesschmerzen

Mit Fluchen Kron' und Zepter hin;

Nun rufst du mit bekehrtem Herzen:

Mit Gottes Macht ist nicht zu scherzen;

Wohl mir daß ich kein König bin!


Um Mitternacht.


Ich muß doch meine Feder noch einmal ansetzen, die, wie meine müde getriebenen Gedanken, länger als zwei Stunden geruht hat, um Dir die Lage zu schildern, in der ich mich schaukele; denn sie ist gar zu schnakisch. – Entschuldige nur meine großen Buchstaben. Wenn ich sie hinsetze, kommen sie mir winzig klein vor; aber sie wachsen, wie sie mir entschlüpft sind, hüpfen mir über die Zeilen, wie die Lämmer, und vermehren sich auch, glaube ich; denn mitunter sehe ich sie doppelt. – Der Wein des Wirths ist so wohlschmeckend, als er stark ist. Wenn der nicht gegen den Seekobold Recht behält, so thut es keiner. Ich trinke ein Glas um's andere mit neuem stillen Vergnügen. Mein Lehnstuhl umarmt mich mit einer Herzlichkeit, daß ich nicht daran denken mag ihn zu verlassen, und Passerino macht mir unendlichen Spaß, ohne daß er es selbst weiß. Ich sitze ihm im Rücken und höre ihn abschreiben. Im ganzen Ernste, Eduard, ich höre ihn; denn er murmelt zu jeder Zeile seine Randglosse – stritte gern dem armen Landjunker jedes Wort ab, und geberdet sich – nein der Teufel könnte es nicht ärger, wenn er ein Evangelium abschreiben müßte –


Der Mensch kann ...


Mein ehrwürdiger Freund und Gönner haben mir – dem Maler Sperling – gütigst übertragen, die Zeile, die unter Ihren Händen verunglückte, vollends auszubilden. – Der Mensch, gedachten Sie zu sagen, kann alles was er will. In Beziehung auf die drei Bouteillen mag es auch seine Richtigkeit haben; denn Sie haben solche ausgeleert, wie es Ihr Wille war. Nachher aber reichte die Sentenz nicht weiter – denn Sie wollten fortschreiben, aber[186] Sie konnten nicht. Der Wein scheint eine andere Richtung genommen zu haben, als der liebe Herr erwartete; denn anstatt den Magen auszuspülen, ist er ihm zu Kopfe gestiegen, und hat außerdem nichts gewirkt, als ein starkes Zittern an Händen und Füßen und ein wenig Schwindel. Da sich alles das hinter meinem Rücken gemacht hat, so erschreckte mich eine so unerwartete Erscheinung nicht wenig, als ich mit der Abschrift fertig war, und mich herum drehte, um sie ihrem Herrn zu überliefern. Ich habe sie, wie auch das Original, einstweilen dem Herrn Kammerdiener zugestellt, mit dessen Beihülfe ich eben den Kranken zu Bette gebracht habe. Ew. – ich lasse alle Titulatur weg, da ich nicht weiß, an wen ich die Ehre habe zu schreiben – dürfen also unsers gemeinschaftlichen Freundes halber ganz außer Sorge seyn. Der nächtliche Schlaf wird den Unfug wohl heben, den der Wein aus dreier Herrn Länder angerichtet hat; und da wir morgen mit dem frühesten – auf sehr holperigem Wege – über Land fahren, so ist kein Zweifel, daß diese starke Bewegung dem hartnäckigen Streit mit dem Seefische – der leider noch immer besteht – einen glücklichen Ausgang verschaffen werde. – Wie die Zeit vergeht! Schon zwei Stunden über Mitternacht! Der Herr schlafen – aber etwas unruhig. Mein Licht ist abgebrannt – ich darf nicht länger hier säumen, wenn es mir bis an die Hausthüre noch vorleuchten soll.


Den 12ten Februar.


Ich komme heute weder von der Maria zu Cotignac, wie Du nach der letzten Zeile glauben mußtest, die ich schrieb, noch von sonst einem andern christlichen oder heidnischen Götzenbilde, sondern viel weiter her, und zu Dir zurück, mein unschätzbarer Freund. Ein neues reines Blatt liegt vor mir, mit dem ich heute ein frisches Tagebuch anfange. – Fortsetzen kann ich das ältere nicht, denn es ist auf meiner beschwerlichen Reise verräumt worden. Seit wir uns kennen, mein Eduard, sind die letztvergangenen vier Wochen die ersten, in denen ich keine Stunde an Dich gedacht habe. Dafür bist Du mir aber auch jetzt lieber als jemals. – Ich komme aus[187] den dunkelhellen Gefilden zurück, die an die Finsternisse des Todes gränzen, hörte schon in der Nähe den Strom rauschen, der alle Geschlechter der Erde fortschwemmt, und sah die Dämme von Schlamm weit unter mir, die wir in der Selbstgenügsamkeit unseres Stolzes gegen den Zufluß reiner Quellen um unsre Froschgräben ziehen, und die uns jede Aussicht in das Freie versperren. Die Zeit schien schrecklich vor mir vorüber zu fliegen. Jede laufende Minute hing ihr ein Sterbeglöckchen mehr an. Von unzählig eilenden Pulsschlägen erschüttert, tönten sie in ein fürchterliches Geläute zusammen, gegen welches das Geklimper auf unsern Kirchhöfen Harmonie ist. Ich floh dem Tode mit heißer Begierde entgegen, um aus diesem Gesause der einstürzenden Welt und aus ihrem Staube zu kommen; und doch trieb mich der Schauer der Ewigkeit immer wieder aus seinen ausgestreckten Armen zurück. So flatterte mein Geist in jener unbekannten Wildniß, die an den Zaun unsres Lebens anstößt, ungewiß umher, ohne daß ihm ein Mondschimmer vorleuchtete, oder ein freundlicher Stern begegnete. So hob sich meine Seele, leicht wie ein Dunst, aus ihrem zerbrochenen Gefässe. – Hinüber – hinüber war der einzige seufzende Laut, den ihr die Angst der Verzweiflung abdrang Sie hatte nur noch einen Schwung zu thun, um da zu seyn, wo sie hinstrebte, als eine unsichtbare Gewalt sie aufhielt, und eine freundschaftliche Stimme ihr zurief: »Kehre um, meine Schwester! Es giebt viel schönere Eingänge in dieses Thal – kehre in das Leben zurück, um sie zu suchen.« Und was fand sie, als sie, aus ihrer Höhe herab gewirbelt, wieder auf den Standpunkt kam, von welchem sie aufstieg – als statt der Phantome, die sie umgaukelten, sie wieder Menschengestalten erblickte, und fragen konnte: »Wo ist die schwesterliche Seele, die mich in das Leben zurück zog?« Ach! sie fragte umsonst; aber sie fand ein Herz, das in der Hitze eines schrecklichen Fiebers, unter Prasseln, Toben und Angst zergangen, gleich einem edeln Erz von seinen Schlacken gereinigt, nun abgekühlt auf den Boden gesunken, wie ein funkelndes Goldkörnchen da lag. Die rauhe Schaale, die es sonst umgab, ist verschwunden; was es aber an unnützem Gewichte verlor, hat es an Werth gewonnen[188] – denn die Mühe der Bearbeitung, die Schmelzkosten sind überwunden, und sein wahrer Gehalt ist durch das Feuer bestätigt.

O könnte ich diesen Goldtropfen so glänzend zu Dir hinrollen, als er jetzt aus der Glühpfanne des Herzens geflossen ist, damit Du Dich in seiner Oberfläche spiegeln könntest, ehe er in dem Umlauf unter den Menschen sich wieder verdunkelt und anläuft! Möchte er immer nur von den Blicken derer bestrahlt werden, die ihn zu schätzen verstehn! Möge ein gutes Schicksal ewig alle schmutzige Hände von ihm abhalten, und ihn bewahren, damit er nicht in dem Tumulte der Welt in eine Ecke geworfen oder in Koth getreten werde! Fliegen ihm ja Sonnenstäubchen an – wie bald bläst diese ein freundschaftlicher Hauch hinweg!

Ich habe meine Uhr, die mir die Fehltritte meines Lebens zu bezeichnen aufhörte, als mein überirdischer Traum anhob, und die während meines Kampfs mit der Ewigkeit stillschweigend über meinem Kopfkissen hing – heute zum erstenmal wieder in Gang gesetzt, und – Gott, mit welcher Empfindung! Jede Sekunde, die den Zeiger jetzt weiter rückt, jeder Laut, den sie an die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft anschlägt, jede halbe Note auf der Tonleiter der Zeit, und jeder Schwung derselben, der den Todtentanz unserer Stunden entwickelt – durchzittert die feinsten Fasern meines Herzens, und verstärkt den Nachhall meines bittern Bewußtseyns. Doch ich höre meinen Arzt, der unter mir wohnt, die Treppe herauf steigen. – Sein sterblicher Name ist Sabathier. – Er fließe nie als mit dankbarer Ehrfurcht über meine Lippen! –


Eben ist der menschenfreundliche Mann von mir gegangen. – Aber, welch ein schweres Verbot ließ er mir nicht zurück! – »Was schreiben Sie?« – fragte er, nahm mir das Blatt unter den Händen weg und las. Es ist das erstemal, daß ein strenges Auge in mein Tagebuch blickt. – »Nein,« rief er, »in diesem Tone dürfen Sie nicht fortfahren. Sie müssen Sich durchaus des Gebrauchs Ihrer Feder noch einige Tage enthalten. Wenn es mir auch nicht Ihr Puls verriethe, diese Zeilen würden es thun, daß Sie noch krank sind. Im ganzen Ernste, lieber Freund, muß ich[189] Ihnen unter der gewissen Bedrohung einer noch längern Einkerkerung auflegen, Ihren überspannten Vorstellungen, Ihren kostbaren Ausdrücken im Reden und Schreiben nach Möglichkeit entgegen zu arbeiten.« – »Und durch was, lieber Doktor?« fragte ich. – »Durch ein Loth Fieberrinde, ehe Sie Ihren Spargel essen,« antwortete er mir, »und durch ein Glas Limonade nach Tische.« – Und so ging er. – Was will der Mann mit diesem Recepte? Ich dächte, ich hätte nie hellere Vorstellungen gehabt, und sie, seitdem ich schreiben kann, nie so deutlich und natürlich entwickelt, als diesen Morgen. Doch, ich will nicht mit ihm streiten. Meine erste Tugend soll seyn, wie bei einem Kinde – Gehorsam – der pünktlichste Gehorsam. Denn ehe ich den Blick ins Freie und den Balsam der Luft noch länger entbehren möchte, wollte ich lieber durch einen Eid ewig auf meine Feder Verzicht thun.


Den 15ten Februar.


Zwei Tage und eilf Stunden bin ich armer Entkräfteter mehr unter fremder als eigener Sorge für die Erhaltung meines schwankenden Daseyns nun weiter gerückt, und ein stärkender Schlaf der vergangenen Nacht hat mir viel Gutes gethan. Er hat meinen Kopf so befestigt, daß ich ihn nicht mehr zu stützen brauche, und hat mir, Gott sei Dank, die Erlaubniß meines Arztes verschafft, Dir wieder schreiben zu dürfen. Aber sieh nur, wie genau er es mit mir nimmt. Hat er mich nicht, wie einen Anfänger, in die Gränzen einer einzigen Blattseite eingezäunt, die ich, bei Verlust meiner Freilassung, nicht überschreiten darf? Dafür ist er aber auch so gütig gewesen, den Raum der Zeit, den er mir zu diesem süßen Geschäfte frei läßt, desto weiter auszudehnen, und mir den ganzen vorliegenden langen Tag dazu auszusetzen. Sollte man aus dieser Einrichtung nicht schließen, der gute Mann habe es nur darauf angelegt, Dir zu etwas recht scharf gedachtem und geistreichem zu verhelfen? Nichts weniger! Gerade dagegen hat er die ernstlichsten Vorstellungen gemacht. Er will durchaus, daß ich mein Papier mehr mit Worten als mit Gedanken füllen, und wenn[190] wider Verhoffen mir etwas in die Quere käme, das diesen Namen verdiente, ich geschwind aufspringen und einen Kamm durch mein Haar ziehen möchte. – Hast Du je gehört, Eduard, daß man bei uns so eine Diät vorschreibt, oder haben unsere Aerzte bei ihren Patienten von dieser Seite nichts zu besorgen? Zu einem Zwischenzeitvertreib hat der Doktor Bastianen aufgegeben, mich mit meiner Krankengeschichte zu unterhalten. Da sich meine Erinnerungskraft ganz verkrochen hat, so ist es mir in der That lieb, von einem so nahen Zuschauer den Gang eines Dramas zu erfahren, in welchem ich die erste Rolle spielte, ohne es selbst zu wissen. Er hätte, sagt er, gleich beim ersten Aufzuge sich nichts kluges von derselben versprochen; denn er habe, als er in meine Kammer getreten sei, um mich zu meiner malerischen Reise zu wecken, mich im Hemde an dem offenen Fenster gefunden – »Ich verbarg mein Erstaunen,« fuhr Bastian fort, »und fragte, ob Sie Sich nicht ankleiden wollten?« – In der heftigsten Bewegung antworteten Sie: »Geh! kaufe mir einen Rock von Schnee gewebt und eine Mütze von Eis!« – Es war die erste unpassende Rede, die ich noch von Ihnen gehört hatte – denken Sie, wie sie mich erschreckte! – Herr Passerino, fing ich mit zitternder Stimme an, wartet schon seit einer Stunde in dem Vorsaal, und die Postpferde ... »Was?« fielen Sie mir in das Wort, und Ihre Augen flammten, »der Kerl ist aus Spandau entsprungen? Leg ihm gleich die Fesseln an und übergieb ihn der Wache.« – Jetzt säumte ich nicht länger. – Ich rief nach Hülfe durch das ganze Haus, stellte den Maler an die Treppe, um allen Lärm abzuhalten, schickte den Hausknecht nach dem ersten Arzte, den er auftreiben könnte, ließ Ihren Reisewagen abspannen, und lauerte endlich in der größten Angst an der Hausthüre auf die Ankunft des Marktschreiers – Dieß ist kein Schimpfwort – es war sein eigentlicher Charakter, wie es sich erst auswies, als es beinahe zu spät war. Er bezeigte eine herzliche Freude Sie wieder zu sehen. – »Den Herrn,« sagte er mir gleich bei seinem Eintritte, »habe ich schon vor einigen Monaten zu Bruchsal in der Kur gehabt. – Mit seiner jetzigen Krankheit hoffe ich eben so bald fertig zu werden als damals.« – Wie froh war ich über den[191] glücklichen Zufall, der diesen Mann hierher brachte! Auch Sie schienen Sich seiner zu erinnern, und ich mußte glauben, daß er in keinem geringen Ansehn bei Ihnen stände; denn Sie folgten ihm auf den Wink. – Er befahl Ihnen, das Fenster zuzumachen und Sich zu Bette zu legen. Sie gehorchten ohne Widerrede. – Jetzt flog er zur Thür hinaus um selbst die Arznei zu holen, brachte sie, gab mir eine gedruckte Anweisung zu ihrem Gebrauche, und flog wieder davon. Er entschuldigte seine Eil mit öffentlichen Geschäften, die ihm oblägen, rieb sich die Stirn, sprach von Aufopferung und Versäumniß, und als ich darauf erwiederte, daß er sicher auf ein schönes Gratial rechnen könnte – »Ach, ich weiß es, ich weiß es,« antwortete er, ließ sich aber dennoch vor Abends nicht wieder sehen. Auf diese Art setzte er seine Kur in Gang, und brachte Sie, trotz seiner seltenen Besuche, mit jeder Stunde einen Schritt näher zum Grabe. Ich fürchtete Alles, und doch beruhigte mich sein Geschwätz, und das Glück, auf das er sich immer bezog, Sie schon einmal vom Tode gerettet zu haben. Es ist alles in seiner Ordnung, antwortete er auf meine bedenklichsten Mienen. – Er war über nichts verlegen, hatte zu jedem neuen Symptom auch schon ein Fläschchen in der Tasche, und so schien es am siebenten Morgen ganz auch in seiner Ordnung zu seyn, daß er den Kopf schüttelte, die Achseln zuckte, und zu stottern anfing, wenn ich ihn fragte. Jetzt erwachte mein Mißtrauen in seiner ganzen Größe, und eben wollte ich in der Verzweiflung meines Herzens den elenden Kerl zur Thüre hinaus stoßen, als sie sich öffnete, und ein Mann von dem edelsten Ansehn herein – vor Schrecken aber wieder zurück trat, sobald er Ihrer ansichtig ward. Zugleich faßte er auch den Arzt in das Auge, und trat auf ihn zu. – »Ist das nicht,« fragte er, »der Schreier von dem Pferdemarkte? – Freund, wie kommt Er hierher?« – »Man hat mich rufen lassen,« antwortete der Unverschämte, »aber zu spät. Ich bin übrigens ein guter Bekannter von diesem Herrn – habe ihm schon in Deutschland von einer schweren Krankheit geholfen – leider sind aber dießmal seine Umstände zu gefährlich und ganz hoffnungslos, das muß ich sagen.« – »Das soll ein Arzt beurtheilen, der es versteht,«[192] versetzte der Fremde, »und im äußersten Falle auch die Polizei. – Dem Kranken keine Arzneien weiter bis ich zurück komme,« wendete er sich gegen mich und eilte davon. – »O, meine Mittel,« setzte nun der trotzige Kerl seine Rechtfertigung gegen mich fort, »werden jetzt weder schaden noch helfen. – Den Wundermann möchte ich sehen, der Seinen Herrn zu retten vermöchte. Die Krankheit selbst hätte eigentlich nichts zu bedeuten. Ich habe den Prinzen von Rohan von einer dergleichen befreit, die noch heftiger war: aber bei einem Protestanten ist ihr nicht beizukommen: denn sein hitziges Fieber ist nur die Folge seines bösen Gewissens. Wäre Sein Herr von unserer Religion, so hätte dieser Umstand gerade am wenigsten zu sagen. Der erste beste Mönch würde die Sache in einer Viertelstunde geschlichtet haben; aber eine Seele mit Verbrechen beladen, auf die kein Weihwasser, keine Monstranz, keine Madonna wirkt, entschlüpft oft dem geschicktesten Arzte unter den Händen, und fährt zum Teufel, wenn auch der Körper längst wieder in Ordnung gebracht ist – und das ist hier der Fall.« – »Unmöglich,« antwortete ich: »Thorheiten kann der arme Herr begangen haben, das will ich zugeben; aber Verbrechen gewiß nicht. Ich bin seit dem Neujahrstage in seinen Diensten und tagtäglich um ihn, und weiß doch auch, was Sünden sind; aber ich müßte es lügen, wenn ich ihm die geringste nachsagen wollte.« – »Mir darf Sein Herr so etwas nicht weiß machen,« versetzte der Zahnarzt; »ein hitziges Fieber ist gar ein plauderhaftes Ding, und zum Glücke verstehe ich die beiden Sprachen, in denen Sein Herr wechselsweise irre redet. Ach, ich könnte Ihm das Verständniß wohl öffnen, lieber Mann; aber was geht es mich an? Ich bin heilfroh, daß ich hier aus dem Spiel komme. – Die Polizei? das ist zum Lachen! Habe ich mich denn aufgedrungen? Hat mich denn mein alter Freund nicht rufen lassen? Ohnehin breche ich morgen mein Theater ab, und ziehe weiter. – Sorge er ja auch bei Zeiten für Sich, Herr Kammerdiener, und leb' Er wohl! – Meine Rechnung will ich jetzt gleich mit dem Wirthe abmachen.« – Für die sollte der Esel von Hausknecht haften, der Ihn geholt hat! rief ich ihm nach, und schlug die Thüre hinter ihm zu.[193]

Nicht lange nachher führte der Fremde den Arzt herein, der Sie mit Gottes Hülfe bis hierher gebracht hat. Er fing seine Kur freilich auch damit an, womit der erste die seinige endigte – mit Kopfschütteln; aber es dauerte nicht lange, so setzte er Ihren ganzen Haushalt in Bewegung, und schickte zu gleicher Zeit in vier, Apotheken, damit kein Rettungsmittel über die Zubereitung des andern zu spät käme. Ich mußte einen Chinatrank, der Prologus Spanische Fliegen, der Epilogus ein Klystier, und Herr Passerino Blutigel holen. Unterdessen schrieb der Fremde ... »Aber wer ist denn der Mann,« unterbrach ich hier meinem Bastian, »der sich meiner so freundschaftlich annahm?« –»Das,« antwortete er, »habe ich nicht herausbringen können, weder von ihm selbst noch von dem Herrn Sabathier.« – »Er schrieb also,« fuhr der Erzähler fort, »ein Briefchen an den Kommendanten, das er durch den Wirth selbst abschickte, und welches die gute Folge hatte, daß die Gasse mit Sand bestreut, für die Wagen gesperrt, und der erschütternde Lärm von außen gedämpft wurde. Nun setzte er sich mit trauriger Miene an Ihr Bette, und befahl, die Ermüdetsten von uns sollten sich schlafen legen, damit wir Tag und Nacht im Dienste abwechseln könnten.« –

Weißt Du wohl, Eduard, wen sich meine Einbildungskraft bis hierher unter diesem für mich so besorgten Manne vorstellte? Dich, Theuerster, oder meinen Jerom. Konnte mir der Teufel, dachte ich, einen so abscheulichen Bekannten als den Zahnbrecher nachschicken, um mich in die Hölle zu treiben – warum sollte es nicht meinem guten Genius eben so möglich gewesen seyn, mir einen Freund zu meiner Rettung herbei zu führen? Freilich wär' er beinahe zu spät gekommen; aber reist das Verderben nicht immer geschwinder als die Hülfe? Die Folge der Erzählung meines Bastian benahm mir diese schöne Hoffnung auf einmal; denn, wie er mir sagte, that der Fremde Fragen an ihn, die allein schon zeigen, wie unbekannt ich ihm seyn müsse. Ich fuhr, zum Beispiel, bald nach seiner Erscheinung mit der Hand nach der Stirne, vermuthlich weil die Blasenpflaster zu ziehen anfingen, und rief ängstlich dabei: »O Margot, meine liebe Margot, binde mir geschwind[194] dein warmes Halstuch um« – und da glaubte der gute Mann, ich wäre verheirathet, und fragte, ob meine Frau in der Nähe sei? – »Ach nein,« antwortete Bastian weinend, »es ist meine Schwester, die ihm im Sinne liegt; wollte doch Gott, sie wäre hier!« – Eine Weile nachher schrie ich: »Heilige Klara von Falkenstein!« – »Ich höre,« sagte darauf der Unbekannte, »daß der Kranke unsers Glaubens ist. – Wie kommt es, daß ihm noch kein Mönch das Viatikum anbeut?« – Ich rief heftig dazwischen, als ob ich ihm das Gegentheil beweisen wollte: – »Weg – weg von mir, abscheuliches Geschöpf mit deinen höllischen Geistern und deinen Kreuzen!« – Hier sah sich der Herr noch einmal nach uns um, sagte Bastian. – Ich traute mir nicht zu antworten, aber der Epilogus nahm das Wort. »Ach Gott,« sagte dieser, »das ist eine gar lange Geschichte. – Die Klara, von der unser Kranker spricht, ist ein wunderschönes Mädchen zu Avignon. – Kennen Sie etwa den Herrn Dücliquet?« – »Ich habe nicht die Ehre,« antwortete der Fremde. – »Nun so wird es schwer werden,« fuhr der Epilogus fort, »Ihnen die Sache verständlich zu machen. So viel kann ich Ihnen sagen, daß dieses Mädchen die Steine der heiligen Dreifaltigkeit in sich tragen soll, die der katholischen Kirche seit langer Zeit abhanden gekommen sind. – Ob sie mein Herr bei ihr gesucht hat, weiß ich nicht gewiß, aber ich glaube ...« – »Wie lange,« unterbrach ihn der Unbekannte, »ist er bei dem Herrn in Diensten?« – »Seit dem achten vorigen Monats,« antwortete der unleidliche Schwätzer. »Vorher war ich ein Puppenspieler, nachher Grenadier unter der Päpstlichen Garde, werde aber jetzt im Hause der Epilogus genannt, und der Prologus ist mein Bruder.« – »Ich dächte, mein Freund,« versetzte der Fremde ernsthaft, »er ginge schlafen. Er scheint es mir, nöthiger zu haben als ein anderer.« Der Kerl ließ es sich nicht zweimal sagen, und ich, Eduard, bin recht froh, daß er fort ist. Um Gottes willen, was muß sich mein unbekannter Wohlthäter für einen Begriff von meiner Wirtschaft gemacht haben! Es ist ihm wahrlich nicht zu verdenken, daß er sich jetzt nicht weiter um mich bekümmert. – Aber mein Blatt ist leider zu Ende. Pünktlicher[195] kann man wohl seinem Arzte nicht gehorchen; denn, wenn Du Dir nicht selbst Gedanken bei meiner Geschichte machst, von mir liegen gewiß keine darin.


Den 16ten Februar.


»Da haben Sie Recht!« lächelte mich der herzensgute Sabathier diesen Morgen an, nachdem er mein gestriges Blatt bis auf die letzte Zeile durchgelesen hatte, »das hat Ihnen den Kopf schwerlich angegriffen. Wenn Sie mir versprechen so fortzufahren, und daran Spaß finden, so erlaube ich Ihnen heute ohne Bedenken einige Seiten mehr.« –

So will ich mich denn an meinen eigenen Anekdoten auch recht satt schreiben. Wenn diese nicht ächt ausfielen, so müßte keinen in der Welt mehr zu trauen seyn, da hier die gewiß seltenen Umstände zusammen treffen, daß der Held der Geschichte sie aus dem Munde eines Augenzeugen nachschreibt. – »Der Prologus,« nahm Bastian den Faden seines gestrigen Berichts auf, »trat jetzt an die Stelle seines zu Bette geschickten Bruders, und der fremde Herr hielt seine erste Nachtwache an dem Ihrigen – ganz besonders glücklich für Sie: denn gegen drei Uhr stiegen Ihre Phantasien, die ohnehin räthselhaft genug waren, so hoch, daß Sie aus Ihrem Französischen Jargon in den Deutschen fielen, den, außer Ihrem vornehmen Wächter, niemand von uns verstand. Wie hätten wir mit Ihrer Ungeduld zurecht kommen wollen? So forderten Sie einmal etwas mit der ängstlichsten Heftigkeit. Während wir nun aus gleichem Mißverständnisse, ich nach Limonade und der Prologus nach dem Fliegenwedel lief, hatte Ihnen der Fremde schon gebracht, was Sie verlangten.« – »Und was war es denn, Bastian?« fragte ich. – »Also erinnern Sie Sich wohl gar nicht einmal, was Sie zerrissen haben?« – »Ich weiß kein Wort davon.« – »Nun so will ich nur wünschen, daß es Sie hinterher nicht noch gereue. Es waren die vielen Hefte, die Sie gewöhnlich alle Abende um einen oder zwei Bogen verstärkten, und die auf Ihrem Schreibetische noch aufgehäuft beisammen lagen.« – »Mein Tagebuch, Bastian? das hätte ich zerrissen?« – »Ja[196] wohl, mein lieber Herr, in tausend kleine Stückchen. Die Arbeit schien Ihnen eine rechte Freude zu machen. Der Fremde mußte Ihnen einen Heft nach dem andern zureichen. Sonderbar war es, daß Sie die Anzahl davon auf das genaueste im Kopfe hatten, ungeachtet seiner großen Schwäche. Sie forderten den ersten, den zweiten, und so fort, und wurden nicht eher ganz ruhig, bis auch der letzte vernichtet war, das Arabische Manuscript ausgenommen, das Herr Passerino nebst seiner Abschrift bei mir niedergelegt hat.« Ich saß mittlerweile ganz still neben der Nachtlampe, und dachte wehmüthig den vielen schönen Stunden nach, die ich Sie an diesen unglücklichen Papieren mit einem Ernst hatte verschreiben sehen, als wenn Sie für die Ewigkeit schrieben. Sie aber wendeten Sich, wie die Sache geschehen war, mit dem heitersten Gesichte und in Französischer Sprache zu dem Fremden: »Jetzt, Herr Prokurator, thun Sie mir den Gefallen, und befreien mich von diesem Plunder. – Tragen Sie ihn dort ins Kamin – der Prologus soll ihn anstecken.« Als die Flamme aufloderte und die dunkle Stube bis an die Decke erleuchtete, riefen Sie ein Bravo über das andere, und: »Sehen Sie nicht, Herr Prokurator,« sagten Sie halb leise zu dem Herrn, »wie lustig die heiligen Engel den brennenden Scheiterhaufen umflattern?« – Wohl gut, daß der Quacksalber der Exekution Ihres Tagebuchs nicht mit beiwohnte: er hätte sicher Ihr strenges Urtheil für eine Selbsthülfe Ihres bösen Gewissens erklärt. Für eine wohlthätige Krise hielten wir es indeß alle; denn Sie fielen gleich darauf, zum erstenmale seit acht Tagen, in Schlaf, und athmeten so frei, als ob Ihnen eine drückende Last von dem Herzen genommen sei. Auch ich begab mich nun zur Ruhe – Passerino löste mich ab. – Als aber der Tag anbrach, kam ich so neu gestärkt wieder auf meinen Posten, daß der fremde Herr kein Bedenken fand, mir seinen Stuhl an Ihrem Bette einzuräumen, und sich auf einige Stunden zu entfernen. Sie schliefen noch eine gute Weile ununterbrochen fort. Aber ach! wie rührten Sie mich durch Ihre freundlichen Phantasien, als Sie aufwachten! Sie hielten mich für meine Schwester. »Meine gute Margot,« wendeten Sie Sich in sanfter abgebrochener Stimme nach mir,[197] »wie freut mich dein lieber Besuch! O wie übel ist es mir die vielen Jahre her ergangen, seit ich von deinem Bette weg bin! – Lebt denn mein treuer Johann noch? – Nun das höre ich gern. Wie viel habt ihr Kinder? – Deine Mädchen sind wohl sehr schön? Nimm sie um Gottes Willen vor den Domherren, vor den Pröpsten und vor den – Mönchen in Acht – das – bitte ich dich. – Laß sie weder schreiben lernen, noch lesen; denn sonst stänkern sie in allen Legenden. Sprich nie mit ihnen von Tugend, damit sie gar nicht erfahren, daß es Laster giebt; sondern erziehe sie häuslich, reinlich, fröhlich und ganz so wie du warest, als ich dir deinen Strohhut aufsetzte. – Das versprich mir. Was aus deinem Bruder geworden ist, mag Gott wissen. Hieß er nicht Bastian? Ich höre und sehe nichts von ihm. Er hat mir etwas mitgenommen, das mir sehr werth war – dein liebes Gesichtchen. – Gott verzeihe es ihm! – Aber was ist dir denn begegnet, Margot? warum weinst du? Hier, nimm mein Schnupftuch – trockne deine Thränen damit ab. Ich habe es nicht nöthig, denn in meine brennenden Augen ist seit Jahr und Tag keine gekommen.« – – Zu meinem Glücke verfielen Sie hier in Ihren vorigen Schlummer, und ich bekam Zeit mich zu erholen; denn jedes Wort Ihres Selbstgesprächs zerriß mir das Herz. – Ob wohl meine gute Schwester es empfunden haben mag, wie gegenwärtig sie Ihnen war? Das möchte ich wissen. Nun verging wieder eine volle Stunde, ehe Sie aufwachten, und es war eben Zeit, daß Sie einnehmen sollten. Ich reichte Ihnen die Tasse. Sie sahen mich bedächtig an. – »Ach, bist du es, Bastian?« sagten Sie endlich. »Gut! Ziehe geschwind deine Livree an; ich muß dich nach Hofe schicken. Du weißt doch, wo die Frau Oberhofmeisterin wohnt? Mache ihr meine Empfehlung, und sage ihr in meinem Namen – doch ließ' ich um Verschwiegenheit bitten – daß ihre so wohl erzogene, schöne, junge Prinzessin ...« Aber auf einmal sprachen Sie wieder Deutsch, und Ihr Auftrag ging für mich verloren. – »Das thut mir leid, Bastian. Verstandest du denn gar nichts davon?« – »Nichts als zwei Worte, die Sie einigemal wiederholten: Kabinet und Kapelle.« Mehr brauchte ich nicht zu wissen,[198] um auch dieser Phantasie meines kranken Gehirns auf die Spur zu kommen. Es war der Dunst einer Anekdote, der mir aus der Asche meines verbrannten Tagebuchs zu Kopfe stieg. Ich hatte sie Dir, kurz vor meiner Flucht aus Avignon, in einem nicht minder fieberhaften Zustande einem pensionirten Kammerherrn nacherzählt. Sie ist drollig genug, und kann uns einst zu Berlin eine müßige Abendstunde vertreiben helfen. Um mich darauf zu bringen, darfst Du nur eines gewissen rothen Thurms und einer kleinen Prinzessin erwähnen, die Jettchen hieß. – »Doch erzähle Er nur weiter, Herr Kammerdiener. Was ging denn sonst noch mit mir vor?« – »Etwas sehr Erwünschtes!« Die letzten Tropfen mußten mit Mohnsaft versetzt seyn, denn Sie schliefen unter dem Reden ein und in Einem fort bis den Abend. Herr Sabathier besuchte Sie inzwischen dreimal, ohne daß Sie ihn hörten; aber Ihr Puls und Ihr hochrothes Gesicht wollten ihm keinmal gefallen. – »Es ist noch nicht der Schlaf, den ich wünsche,« sagte er zu mir im Weggehen, »und ich fürchte sehr für den neunten Tag.« – Ach er hatte nur zu wahr gesprochen; denn mit dem Eintritte desselben ward Ihr Zustand immer furchtbarer, bis zum zwölften. Ihr unbekannter Wohlthäter verließ Sie so wenig als Herr Passerino diese Zeit über einen Augenblick, und hatte sich ein Feldbette neben dem Ihrigen aufschlagen lassen. Sie fielen aus einer Phantasie in die andere. Wenn Sie sprachen, war Ihre Stimme laut, feierlich und erhaben. Ihre Reden an Gott, an die Natur, und an Sich selbst hätten verdient aufgeschrieben zu werden, und kein Regent würde die Strafpredigten, die Sie als Hofkaplan an einen der Deutschen Fürsten zu richten schienen, ohne Erschütterung angehört haben. – Dieß waren – nicht Bemerkungen von mir, wie Sie wohl denken können, sondern die Urtheile Ihres Arztes und des fremden Herrn, die sich oft beide über die hohen Wahrheiten wunderten, die in Ihren Schwärmereien lagen. Sobald Sie Sich aber zu den armen Mönchen und in unsere Kirchen verirrten, da ward einem nicht wohl zu Muthe in Ihrer Nähe. Ich habe oft Gott gebeten, Ihnen, die Schmähungen nicht zuzurechnen, die Sie in der Heftigkeit Ihres Wahnsinns gegen unsere geheiligte Religion[199] ausstießen. – Einmal schrien Sie: »O des gottlosen Papsts! seine glühenden Schlüssel leuchten mir vor auf dem Wege zur Hölle.« – Dann und wann hatten Sie es mit den Buhlerinnen zu thun. Dann hielten Sie gemeiniglich die Hände vor das Gesicht, schluchzten und schlugen sich vor die Stirn. Sie erschreckten uns oft außerordentlich, besonders einmal den armen Passerino, der sich einfallen ließ, Ihre feurigen Augen zu kopiren – zu seinen Studien, wie er sagte. Sie fuhren ihm so geschwind nach der Gurgel, daß er kaum Zeit hatte, sich zu retten. – »Elendes Schlachtvieh!« riefen Sie mit durchdringender Stimme, »bücke dich nieder, damit ich dich an dem Altare Neptuns erwürge. Stümper aller Stümper, wie konntest du die Größe der Natur so verkleinern? – Das tobende Meer liegt vor deinen Augen, und du malst einen Sumpf. Dein Mond ist ein Irrwisch, und dein Aether grobfädig und verschossen, wie dein Staatsrock. Gedenkst du mich auch, wie unsre arme Angola, in dem Gestanke deiner Farben zu ersticken? Du willst mich malen? Du?« – »Ach, der arme Herr!« seufzte Passerino, »welcher bejammernswürdige Zustand! Das war unstreitig der stärkste Paroxismus seiner ganzen Krankheit. Am besten, ich schleiche mich weg, damit er meiner nicht gewahr wird. Lassen Sie mir es sagen, wenn er wieder bei Verstande ist.« – Er ging und kam auch wirklich nicht eher wieder. – Ein andermal ... Doch wie mag ich mich dabei aufhalten? Sie waren ja nicht bei Sich. – Ist das nicht mit Einem Worte alles gesagt? – »Nein, nein, Bastian, damit kommst du nicht los. Was meintest du?« – »Ein andermal also bekamen Sie einen heftigen Anfall über eine Kleinigkeit, die wir vergessen hatten bei Seite zu schaffen – über die Klingel neben Ihrem Bette. – ›Gott Lob,‹ sagten Sie, ›daß ich die Quaste habe! Jetzt will ich schellen, daß man es in Domingo hören soll.‹ – Der Wirth kam gelaufen und machte Vorstellungen dagegen. Es blieb uns nichts übrig, um Ihnen den Einfall aus dem Kopfe zu bringen, als daß ich außen am Bette in die Höhe stieg und die Schnur vom Drathzuge abschnitt. So phantasirten Sie auch viel von Sparta, Athen und von dem Pontus Euxinus.«[200]

Nun halt ein, Bastian, ich möchte noch gern einige vernünftige Worte mit meinem Eduard allein sprechen, ehe mein Bogen zu Ende geht. Das soll mir lieb seyn, höre ich Dich sagen: denn was in aller Welt soll ich mit deinem Fiebergeschwätz anfangen? – O, hättest Du nur mein Tagebuch gelesen. Das liegt nun freilich ganz in der Asche; indeß ist wenigstens durch dieses Blatt das Register davon gerettet. Meine Phantasien sind, als abgerissene Fäden aus dem Gewebe des Lebens, mir immer noch wichtig, und können mir zum Leitfaden dienen, wenn Du einst neugierig auf den Stoff werden solltest, den ich in der Fremde verarbeitet habe – den Nutzen ungerechnet, den diese Nachlese für mich hat. Keine moralische Betrachtung hat mich je so aufmerksam auf die Irrthümer meines gesunden Gehirns gemacht, als die Schwärmerei meines kranken, und kein Auszug aus den Schriften der Weltweisen hat mir mehr Anlaß zum Nachdenken gegeben, als Bastians Auszug aus meinem hitzigen Fieber. Wenn ich einmal, diesen Bogen in der Hand, neben Dir sitzen und Dir meine wahnsinnigen Reden kommentiren werde; so wirst Du so gut einsehen als ich, warum unter den Gespenstern, die mein von Angstschweiß triefendes Herz bis in den Abgrund des Grabes zu verfolgen schienen, die einzige freundliche Erscheinung der guten Margot mein Blut besänftigte, und kühlenden Balsam in meine Wunden goß. Ach! wie wurde nicht meine Einbildungskraft durch jeden Tritt gefoltert, den ich mir erlaubt hatte neben dem geraden Wege zu thun! Und doch hatten mich – wie Dir mein Kommentar zeigen wird – nur Zufall und Leichtsinn nicht weiter verlockt, als bis an den bedeckten Schmutzgang des kasuistischen Lehrgebäudes; und die Flecken lassen sich allenfalls in einem reinen Brunnen noch abwaschen, die ich davon trug. Wie aber muß erst einem Herzen in dem Augenblicke, wo es brechen will, zu Muthe seyn, das, aus einem schlüpfrigen Irrwege in den andern verführt, mit immer berauschtern Sinnen, bis in das Innere der Freistätte vorgedrungen ist, die in jener unseligen Sittenlehre den scheußlichsten Verbrechen offen steht! In welchem Vorgefühl der Verdammniß muß sich nicht eine Seele vor ihrem Hinüberschweben in die Ewigkeit herumtreiben, wenn[201] der annähernde Todesengel mit seinen Schwingen die Nebel religiöser Täuschung und die Wolken des Weihrauchs zertheilt, die ihr Bewußtseyn umzogen! Wie gewaltig muß der Strom des Lichts den seiner Binde entledigten Geist ergreifen, wenn nun die Gegenstände seines Glaubens hinter dem schillernden Schleier hervor treten, der ihre Häßlichkeit so lange verbarg! Welch eine Uebersicht der schrecklichsten Wahrheiten! Blutqualm steigt ihm von den Altären entgegen, auf denen Aberglaube, Religionshaß und Priesterstolz ihre Schlachtopfer erwürgten. – Falsche durch vorsetzlichen Selbstbetrug gerechtfertigte Eide zerreißen ihm das Ohr. – Manche dem Hohngelächter der Wollust preis gegebene und nach den gotteslästerlichen Regeln der Entsündigung ermordete Unschuld wimmert zu seinen Füssen, und abgetriebene Kinder faulen unter dem Lampenscheine des Götzenbildes, das ihm auf dem dunkeln Hingange in das Unabsehliche vorleuchten soll. – Wird das In profundis des Mönchs, der vor dem Bette des Kranken kniet – wird das Weihwasser, das über seine heiße Stirn fließt – wird die letzte Oelung, die seine Schläfe salbet, – die Schreckensbilder verscheuchen können, die ihn umgaukeln? Wird der ganze Plunder der geheiligten Spielwerke, die jene gewissenlosen Schwärmer als Hülfsmittel zur Seligkeit ihren Anhängern feil bieten, die Beängstigung eines sterbenden zu lindern vermögen, der die reinen Gefühle der Natur gegen so heillose Grundsätze vertauscht hat, die, wie Opium, den Verstand in Träumereien voll süßen Gifts, das Herz in tödtlichen Schlaf verwickeln? – Doch es ist eine glückliche Galgenfrist für die Herren, die damit wuchern, daß die angewiesenen Gränzen meines Bogens mir Stillstand gebieten. Auch selbst mir ist es räthlich, daß ich die Feder weglege; denn der Verdruß, den es mir verursacht, daß ich nur die Waaren ihres Schleichhandels beschauen, und mich in gedankenloser Verwegenheit ihren schädlichen Dünsten nähern mochte, treibt mir das Blut nach dem Kopfe. Träte jetzt mein Arzt herein, er würde es nur zu gewiß an meinem Pulse merken, wie nahe ich daran war, den Vertrag zu verletzen, der unter uns beiden besteht.
[202]

Den 17ten Februar.


O daß sich mir in diesem Augenblicke, da ich mich hinsetze, um Dir den ersten Festtag meiner Freilassung zu schildern, der fromme Unbekannte darstellte, dem ich die Rückkehr in das Leben verdanke! Ach warum zögert er? – Ich bin ja wieder stark genug zu erhabenen Empfindungen, und habe heute davon die vollständigste Probe gegeben. Wenn es, wie mich mein Arzt vermuthen läßt, ein edler Mann von hohem menschlichen Gefühl ist, den ein Gelübde bindet, Kranken beizustehn, Nothleidenden zu helfen, so sollte er ja wissen, wie lästig einem guten Herzen Wohlthaten werden, die sich unserm Händedrucke, unsern Umarmungen entziehen. – Er komme, er komme! Und wenn, es ein Mönch wäre, ich wollte ihm für das verdienstliche Werk, das er an mir Armen verrichtet hat, zu Füßen fallen und seine Kutte mit Ehrfurcht berühren. –


Mein trefflicher Arzt besuchte mich diesen Morgen eine Stunde früher als gewöhnlich, war, wie es schien, mit meinem Pulse und meinen Augen zufrieden, und nachdem er auch in meiner gestrigen Schreiberei nichts zu tadeln fand, sprach er mir mit der Stimme eines Engels zu: »Ihr Erntetag ist gekommen, lieber Freund. Genießen Sie von nun an der Früchte, die in den schwülen Stunden Ihrer Krankheit gereift sind – aber genießen Sie solche mit der Behutsamkeit eines vernünftigen Wesens. Dieser Rath gehört so gut zu meiner Gerichtsbarkeit, als Körper und Seele zu dem Gebäude gehören, das unsere beschränkte Kunst in Bau und Besserung erhalten, vor feindseligen Erschütterungen schützen, und vor seinem zu frühen Einsturze bewahren soll. – Folgen Sie, um der mißlichen Hülfe der Kunst zu entbehren – nur den mütterlichen Anweisungen der Natur.« – »Das,« fiel ich ihm in die Rede, »hat mir schon ein anderer großer Arzt gerathen, der Jerom heißt.« – »Aber wohl zu merken,« fuhr er fort, »der schönen Natur.« – »Diesen Beisatz,« erwiederte ich, »hat Jerom vergessen.« – »Desto schlimmer,« antwortete der brave Mann; »ohne diesen ist der ganze Rath nicht viel werth, und giebt in unbewachten Stunden[203] zu großen Mißdeutungen Anlaß. – Doch ich bin ja nicht hergekommen, um Ihre vorigen Aerzte zu mustern, sondern Ihnen noch eine Arznei zu verschreiben, deren erste Wirkung ich noch abwarten will, ehe ich Sie ganz entlasse.« – »Was für eine?« fragte ich erschrocken. Aber kaum antwortete er: »Die frische stärkende Luft« – so lag ich mit Freudenthränen an seinem Halse – so flog ich von ihm nach dem Fenster, nach meinem Hute, nach meinem Mantel – so winkte ich Bastianen, mir meine Latwergenbüchsen und Pulverschachteln aus den Augen zu schaffen – so war ich in einer Minute gekleidet und fertig, um meinem Befreier zu folgen. Er schien selbst von dem Strudel meines Entzückens ergriffen zu werden. – »Kommen Sie,« rief er mir zu, »wir wollen den reinen Aether zu Wasser, zu Lande – und überall aufsuchen, wo er sein Spiel hat.«

Heute also, den 17. Februar Morgens drei Viertel auf neun Uhr, war es, wo ich an dem Arme des besten und edelsten aller Aerzte, neugeboren an Leib und Seele, meine Marterkammer verließ. Alle meine Nerven bebten wie die Saiten einer Aeolsharfe, als ich in den Wagen meines Apollo stieg. – Aber in welcher Harmonie stimmten sie nicht erst zusammen, als wir in dem Hafen ausstiegen! So unglaublich groß hatte ich mir den Gewinn meiner Krankheit nicht vorgestellt, als er jetzt meinen offenen neu geschärften Sinnen zuströmte. – Mein erster Hinblick in das Freie setzte mich in das wollüstige Erstaunen eines Blindgebornen, der unter der Beleuchtung der Morgensonne, umgeben von dem Kreise blühender Mädchen, in dem ersten Erwachen des Jünglingsalters, den Gebrauch seines Gesichts erlangt. Alle diese glücklichen Umstände müssen bei ihm zusammen treffen, wenn ich mich herablassen soll, den Umfang meiner Empfindungen mit den seinigen zu vergleichen. Begreife es, Eduard, wenn Du kannst. Der Winter war während meiner Gefangenschaft, ohne daß ich seinen Abzug nur von weitem geahndet hatte, in den schönsten Frühling übergegangen, der mich jetzt in seinem ganzen Schmuck empfing – die damals kahlen Gesträuche der stürmischen Küste zogen sich jetzt, wie ein Kranz von Sprößlingen geflochten, um das sanft glänzende Meer herum – mancher Baum,[204] den ich bei meinem letzten Frühstücke, das Passerino mir vorsetzte, als das Geripp eines erfrornen Unbekannten, meiner Blicke nicht werth hielt, begrüßte mich jetzt wie einen alten Freund, als Palme – Lorber – Cytisus oder Sumack – die vergilbten runzligen Hügel hatten sich die Zeit über, wo ich dem Verdorren so nahe war, mit frischem Rasen bekleidet, und selbst der Felsen der Madonna spielte in's Grünliche. – Nur an den widrigen Bastiden bemerkte ich nicht die kleinste Veränderung; sie blickten aus ihrer hohen, Ferne noch immer so albern, so vornehm, so versteinert herunter, wie vormals. In jedem kleinen Matrosengärtchen hingegen, über dessen Schilfzaun ich wegsehen konnte, jagten schon halb nackende Kinder unter blühenden Mandelbäumen nach Schmetterlingen, und Käfern – und das Gedränge der Blumen aus der lockern Erde, und das Zwitschern der Vögel um und neben mir, und der Wiederschein des azurnen Gezeltes, das so viele Freuden bedeckte – wie fühlbar machte mir nicht dieses herrliche Ganze das schwer errungene Bewußtseyn eines neu angehenden Lebens. Ich glaubte nicht eher, daß noch etwas die süße Behaglichkeit meines Gefühls vermehren könnte, als da mich die freundliche Gondel aufnahm, in welcher Sabathier ein paar Plätze für uns besprochen hatte. Eine Luft, kaum stark genug um einen Schmerlenbach zu kreiseln, spielte über die schillernde Fläche des Meers; die Inseln Pomegue auf der einen Seite, Ratonneau auf der andern, in der Mitte das Schloß If, auf welches wir zusteuerten, lagen duftend vor uns, wie auf einem Gemälde von Zeemann. Dieses lachende Ziel unserer Spazierfahrt zog so sehr meine Blicke an sich, daß ich beinahe einen Unglücklichen übersehen hätte, der zu einer ganz andern Bestimmung, unter der Bewachung einiger Soldaten, mit mir zugleich in das Boot stieg.

Es war der Sohn eines reichen Kaufmanns – ein junger Wüstling, den vielleicht auch ein hitziges Fieber zur rechten Stunde dem Sturm entrissen hätte, der ihn jetzt aus den Festtagen des Frühlings in die schreckliche Stille eines öden Thurmes verschlug. Wie verschieden wirkten nicht hier die Reize der Natur auf zwei verbrüderte Wesen! Während ich mit freundlichen Augen die spielenden[205] Wellen verfolgte, die das Schiffchen sanft hoben und senkten, während ich mich in den süßesten Träumereien wiegte, saß der von seinem Gewissen gefolterte Jüngling, mürrisch und menschenscheu, in der fernsten Ecke der Barke, warf dann und wann einen finstern Blick auf das plätschernde Ruder, das ihn mit jeder Minute seiner Bestrafung näher brachte, nahm keinen Antheil an unsern Gesprächen, und schien, wenn er mich ansah, selbst dem Mitleiden zu fluchen, das sich für ihn dann und wann mit meinem Frohsinne vermischte. Ach er schien nur in dem Verlust seiner Freiheit den Verlust ihres Mißbrauchs zu fühlen, und nur an die bunten Karten, an die feilen Dirnen und an die wilden Gelage zu denken, denen er einen ganzen lustigen Sommer hindurch entsagen sollte. Seine glückliche Bildung war durch Ausschweifungen entstellt, und noch zeigte sich keine Spur von Reue, Trost, oder männlichem Entschlusse zur Tugend in seinen funkelnden Blicken. O möchte er doch, durch Ruhe, Einsamkeit, mäßige Kost und durch bittere Erfahrung geläutert, mit gesunderm Blute und bessern Neigungen in einen weiseren Wirkungskreis zurücktreten, als er heute zu verlassen gezwungen wird. Mit diesem stillen bänglichen Wunsch begleiteten meine Augen den armen Verzweifelten bis an den Eingang seiner düstern Behausung, wohin ihn seine Wache sogleich abführte, als wir angelandet waren. Diese Absonderung von dem Lebendigen – diese Versetzung eines meiner Mitgeschöpfe, aus den Sinnlichkeiten einer blühenden Handelsstadt in die Felsenburg, in die Vergessenheit, in die Nebel eines stürmischen Eilandes – diese tragischen Bilder, die sich mir hier, als Augenzeugen, in ihrer ganzen fürchterlichen Wahrheit darstellten, würden nur zu gewiß alle frohen Empfindungen aus meiner Seele verscheucht haben, wäre nicht der glücklichste Zufall, der mir nur begegnen konnte, dazwischen getreten.

Aus dem Trupp einiger Offiziere, die sich von der Festung her der Barke näherten, drängte sich einer unter wiederholtem Ausruf meines Namens auf mich zu, und ich lag in seinen Armen, ehe ich noch begreifen konnte, wer es wohl seyn möchte. – Aber wie beschreib' ich Dir mein Glück, als ich ihn erkannte! Es war[206] einer der schätzbarsten Menschen, die ich je geliebt habe – der Marquis von Saint-Sauveur, der vor neun Jahren zu Berlin alle Zirkel belebte, in die er eintrat. Damals war er auf Reisen. Jetzt steht er als Brigadier unter dem Regimente, das zu Marseille liegt, und würde mir keinen Augenblick fremd vorgekommen seyn, wenn ich mir ihn unter einer Uniform gedacht hätte. Wie schnell verlosch das Trauerbild des Gefangenen vor seiner himmlischen Erscheinung! Die Gewalt des reinsten Vergnügens bemächtigte sich meiner Seele, und der auffallende Beweis, den mir hier ein Jugendfreund gab, daß weder Zeit noch Krankheit die Physiognomie zerstört hatte, die mir zuerst sein Zutrauen erwarb, setzte mich in eine Selbstzufriedenheit, die ich diesen Morgen vor meinem Spiegel nimmermehr erwarten konnte. Es ist mir noch ein Räthsel, und wäre mir viel begreiflicher gewesen, wenn er mich für einen andern genommen, wenn ihn meine skeletirte Figur, mein Anlanden an diese Insel der Buße, und die verdächtige Bangigkeit irre geführt hätten, der ich mich niemals in der Nähe eines Zuchthauses erwehren kann. Am wenigsten konnte ich es in diesem Augenblicke, wo ich ein Officiercorps auf mich zukommen und einen aus ihrem Kreise heraus stürzen sah, der mich umarmte. Dieser plötzliche Uebergang von Erschrecken zum Entzücken konnte nicht wohl ohne Erschütterung des Herzens abgehen. Ich fühlte, daß ich der glücklichste Mensch sei, den dieser Felsen wohl seit seiner Erschaffung getragen; aber ich war nicht vermögend, es auszudrücken – ich konnte aus beiden Sprachen nur Ausrufungen der Freude zusammen bringen, meine Zunge sträubte sich gegen jedes andere Wort. So wankte ich an dem Arme meines Freundes auf und ab an dem Gestade, bis uns der Bootsmann zurief, daß alles zur Abfahrt bereit sei. Der muntere, schwatzhafte freundliche Mann gehörte mir bis zum Austritte aus der Gondel allein zu. Ich war neidisch auf jeden Laut von ihm, den ein anderer vernahm, sah niemanden als ihn, und würde ihm auf dem Fuße gefolgt seyn, hätte auch seine gastfreie Entladung mich und meinen Aufseher nicht schon dazu berechtigt. Das prächtigste Haus auf dem schönsten Platze der Stadt, empfing uns in dem reizendsten Zimmer. Hier legten[207] sich endlich meine innern Wellen – hier in diesem kleinen Zirkel ward ich mir erst selbst und meinem Freunde verständlich, und hier nahm ich an seiner Seite und unter den Augen meines trefflichen Arztes ein Mittagsmahl ein, das auch den Unzufriedensten mit dem Gange der Welt versöhnt haben würde. Doch ehe ich weiter erzähle, muß ich Dich wohl den Mann genauer kennen lehren, den ich mit allem meinem Verstande in der weiten Welt nicht besser hätte auftreiben können, um das Fest meiner Wiedergenesung zu feiern. Ich würde meine unvollkommene Schilderung freilich ersparen können, wenn Du nur vier Wochen seines Umganges froh geworden wärest; aber Gier nach Kenntnissen des Auslandes, die ihn nach Deutschland verschlug, hatte Dich um dieselbe Zeit nach Frankreich getrieben, und Du kamst mit dem erbeuteten Honig aus seiner Heimath zurück, als er mit dem Salze aus der unsern wieder abzog. So trifft es sich oft in dem geistigen Tauschhandel wie in dem bürgerlichen, daß zufällig die vornehmsten Händler en gros einander aus dem Wege fahren, und darüber den kleinen Krämern gut Spiel geben. Ich gewann offenbar durch Deine Abwesenheit. Da Du fehltest, mußte er sich wohl mit meines Gleichen begnügen. Er kam von ungefähr mit mir unter Einem Dache zu wohnen. Unsre nahe Nachbarschaft ging geschwind in eine Gemeinschaft unsrer Vergnügungen, unsrer Studien, und zuletzt in eine gegenseitige Anhänglichkeit über, die zehn Monate nachher, als wir uns trennten, eine Traurigkeit bei mir zurück ließ, die mich selbst in der ersten Zeit zu Deinem Umgange verstimmte. Erinnere Dich dieses Umstandes, lieber Eduard! Ich kann Dir keinen stärkern Beweis von dem Werthe dieses damals so liebenswürdigen Jünglings geben, der jetzt als der gebildetste Mann über viele meiner Freunde, und als der glücklichste über, sie alle hervorragt. Reisen, Menschen-und Weltkenntniß, und die Leichtigkeit, bei seinem großen Vermögen jeden Wunsch der Sinnlichkeit zu befriedigen, und durch täglich wiederholte Versuche die Hungerquelle des Vergnügens zu erschöpfen, würden ihn so gut als die meisten in seiner fürstlichen Lage zu dem spätern Genusse des Lebens abgestumpft und verdorben haben, wäre sein origineller Verstand und sein richtiges[208] Gefühl nicht in Zeiten diesen gemeinen Folgen eines zu frühen Wohlstandes zuvorgekommen. Doch Du sollst ihn selbst hierüber mit mir sprechen hören.

Wie viel, sagte er, hat man nicht Lehrgebäude zur Beförderung menschlicher Glückseligkeit aufgeführt, besonders in deinem sinnreichen Vaterlande, lieber Wilhelm! Sie können im Allgemeinen recht gut seyn; aber es gehören manchmal verdammt subtile Wendungen dazu, um sie uns anzupassen. Jedermann sollte nach seiner individuellen Lage und Empfindung sein eigenes für sich haben. Ich habe mir eins erdacht, das mir recht wohl bekommt, wovon ich aber sehr wenig brauchen könnte, wenn ich zum Beispiele in einem Bergwerke arbeiten, und die Ausbeute erst zu Tage fördern müßte, die ich ungesucht und schon von meiner Geburt an besitze. Mein Reichthum, zu groß für das gewöhnliche Leben, wäre mir, wie andern, zur Last geworden, hätte ich ihm nicht einen Ausweg verschafft, den ich einzig meiner Eigenheit angemessen fand, die, lieber Wilhelm, besonders darin besteht, daß mir nichts in der Welt behagen will, was den Reiz der Neuheit bei mir verloren hat. Die ganze Masse der moralischen und sinnlichen Freuden lag vor mir; aber bei keiner konnte ich den enthusiastischen Eindruck wieder erringen, durch den ihre erste Bekanntschaft meine Organe so unendlich beseligt hatte. In dem stolzen Nil admirari der Philosophen entdeckte ich einen hohlen widrigen Schall, aber nichts weniger als einen Ersatz. Mein Leben mußte immer abschmeckender werden, je länger es dauerte. Wie sollte ich den Nachtheil der Erfahrung von ihm entfernen? Wodurch sollte ich das störende Gefühl, das mir bei jedem Genuß in den Weg trat, vertreiben? Das waren die schweren Fragen, die ich mir unaufhörlich vorlegte. Ich versuchte alle Hülfsmittel, die mir Kunst und Natur anboten, durchkroch alle Systeme. Endlich blieb ich bei einem stehen, das mir noch am besten zuschlug – bei dem, wie ich es benamen möchte, der Uberraschung. Hier findet sich gleich eine gute Gelegenheit, es dir in seinen Grundtheilen zu entwickeln. Dieser Teller mit Pfirsichen, den man eben aufsetzt, diese unerwartete Erscheinung in der jetzigen Jahrszeit, die unsern Augen auf das freundlichste[209] zuwinkt, und, so satt wir sind, dennoch den Mund voll Wasser drängt, soll hoffentlich meiner Demonstration leichten Eingang bei dir verschaffen. Wie mein Koch angewiesen ist, lieber Wilhelm, nicht nur die gewöhnlichen Gerichte für den Hunger durch neue Brühen zu erhöhen, sondern jeden Mittag unter meinen Schüsseln wenigstens Eine einzureichen, die für die Sinne von gleichem Werth ist als diese, ohne sie mir erst durch einen Küchenzettel anzukündigen – so ist jedes, dem ein Geschäft in meiner Haushaltung obliegt, dahin verpflichtet, seinen Herrn vor dem Anblicke des ewigen Einerleis zu schützen, und gegen die Ermüdung zu arbeiten, die in der Einförmigkeit liegt. Es ist oft zum Verwundern, wie gut es meinen Provinsalen in ihrem Wettstreite gelingt, mir durch immer veränderte Decorationen das Spiel des Lebens nicht nur erträglich, sondern auch angenehm zu machen. Die Abwechselung, die sie mir verschaffen, wirkt auf ihren Dienst selbst zurück, dem seine Zwanglosigkeit alles Mechanische und Unterwürfige benimmt. Sie dienen mir mit einem stolzen glücklichen Bewußtseyn; denn sie halten sich nicht für Maschinen, sondern für Erfinder, und sie haben Recht. Freilich erfordert diese Einrichtung betriebsamere Schwungräder, gespanntere Federn, als die gewöhnlich das rostige Uhrwerk eines kleinen Deutschen Hofs im Gange erhalten – das jeder Stunde des Tags, jedem Tage des Jahrs dieselbe Langeweile in demselben Anstande vorzeichnet, wie sie hundert Jahre hinter einander dem Ahnherrn und dem Enkel in derselben Minute vortrat – die oft den armen Fürsten dessen Regierungsperiode sich eben abwindet, in einen solchen ekeln, erschlafften und ungeduldigen Zustand versetzt, daß er seinen Stand und sein Daseyn verflucht, und lieber, wie Nero, seine Residenz anzünden möchte, um nur etwas Neues zu sehen, etwas anders zu fühlen, als ihm das Furierbuch für den gegenwärtigen Augenblick vorschreibt. Ich habe es den Romanschreibern abgelernt, welcher Zauber in dem Unerwarteten liegt, und welche widrige Wirkung die Episoden thun, die man viele Blätter voraus sieht. Wird nicht oft der kleinste Garten durch eine verständige Benutzung seiner geringen Fläche unendlich erweitert, und durch schlängelnde Nebenwege[210] nach verschiedenen Aussichten so in die Länge gezogen, daß sich eine so süße Ermüdung darin erholen läßt, als in den größten Anlagen? Warum sollten wir denn nicht auf gleiche Art Mannigfaltigkeit in unser beschränktes Leben zu bringen, und die kurze Dauer desselben, ohne Zuthun der Langenweile, durch einen desto reichhaltigern Genuß zu verlängern vermögend seyn? Du findest mein Zimmer hoffentlich schön, behaglich und freundlich? Ich auch. Und warum? Weil es uns beiden gleich neu ist. Ich befinde mich wohl darin, weil ich es gestern nicht sah und morgen nicht sehen werde. Es stoßen ihrer funfzehn an einander, davon ich jedes nur einen Tag hinwärts, einen Tag herwärts, auf einem monatlichen Durchzug bewohne. Keines wird eher geöffnet, als bis die Reihe daran kommt, und jedes, das ich auf diese Weise zweimal gesehen habe, erwartet mich in dem folgenden Monat unter einer andern Bekleidung. So wird dem Ueberdrusse keine Zeit gelassen, sich bei mir einzunisten. Nichts ist, Gott sei Dank, mein eigen, als mein Reichthum, dem ich, durch die Ausdehnung, die ich ihm mit meinen Gehülfen zu geben weiß, alles das Lästige und Klebende benehme, das sonst mit ihm verbunden ist. So habe ich keine Bibliothek; aber einen gelehrten und geschmackvollen Bibliothekar, der das Gold, das er in dem Kothe der Schriftsteller findet, für mich bei Seite legt, und wo nicht ein Buch ganz gelesen zu werden verdient, – und wie wenig sind deren! mir bloß die Stellen anstreicht, die sich auszeichnen. Hierdurch sind meine Studien mir erst lieb und nützlich geworden; und da ich sonach das Schlechte und Mittelmäßige in der Litteratur gar nicht kennen lerne, bleibt mir die Wahl nur unter dem Neuen, Guten und Vortrefflichen, und ich bin sicher mein Gedächtniß nicht zu überladen. Eben so wenig kommt meine Einbildungskraft, die nur über frisch duftende Blumen gleitet, in Gefahr durch abgestorbene, welke oder faule Blätter in ihrem Schwunge gehemmt zu werden. Was noch das beste dabei ist, so trage ich weder Brustschmerzen, Kopf- und Augenweh, oder üble Launen aus der moralischen Welt in meine physische über; und da ich in dieser wie ein Seefisch in immer frischem Wasser auf dem Ocean der Zeit schwimme, und mich,[211] kraft meiner Richtung, keine Welle berührt, die der vorhergehenden gleicht, so siehst du wohl ein, lieber Wilhelm, daß vielleicht kein philosophisches Lehrgebäude dem Gefühl, das die Natur in mich legte, den Verhältnissen, in die mich der Zufall versetzte, und der geistigen und körperlichen Gesundheit angemessener seyn kann, als das meinige. Keines schmiegt und biegt sich mit minderm Zwange nach der Veränderlichkeit unserer Natur, nach der Wandelbarkeit menschlicher Freuden und Güter, von denen nichts unter der Sonne selbstständig ist und alle Reize der Neuheit behält, als die Tugend – nichts an Gehalt und Seltenheit zunimmt, je älter es wird, als die Freundschaft. – Aber daß auch selbst diese noch durch mein System gewinnt, hat mich heute dein überraschender Anblick gelehrt. Wie geschmückt und bevölkert schien mir in dem Augenblicke unserer Umarmung der nackende Felsen, der uns nach einer langen Trennung wieder vereinigte! – Wie erweiterte sich selbst vor meinen umfassenden Augen das Meer, das uns umgab, und welch ein Freudenfest ist aus meinem Mittage geworden, durch die Sonderbarkeit, daß du – mein Gast bist! O bleibe nur so lange, als du mir neu und lieb seyn wirst – fechte in meinem ewigen Krieg gegen die Langeweile an meiner Seite, und lerne von mir die mancherlei Schwenkungen und Wendungen, – um als Militär zu sprechen – durch die ich meinen Feind irre mache und in die Flucht jage. Welchen Abbruch thust du ihm schon durch deine Gegenwart! – »Jedes Vergnügen, das sich in diesem Lande aufstören läßt, hätte ich es auch noch so oft genossen, wird mir durch deine Theilnahme neu werden: denn die Ueberraschung, die es bei mir verlor, werde ich in der wiederfinden, die es dir verursacht.« – Hier unterbrach ihn ein Glas Maderawein, der dreimal die Linie passirt, und nur seit gestern in seinem Keller gelandet war, nach der Versicherung des Mundschenken, der es ihm brachte.

Ich benutzte geschwind den Augenblick, den seine schwatzhafte Zunge der meinigen frei ließ. – »O Freund,« rief ich, »bei allen den fein gesponnenen Netzen, die du überall ausgestellt hast, um die flüchtigen Lebensfreuden einzufangen, bei aller der Kunst, mit der du ihre Schmetterlingsflügel zu fassen verstehst, ohne daß sich[212] ein buntes Stäubchen davon verliere, glaube ich doch für ihren höchsten Genuß ein Mittel entdeckt zu haben, das weit über die deinigen geht – das dem erschlafftesten Gefühl seine Schnellkraft, den abgenutztesten Befriedigungen ihren ersten Firniß wiedergiebt, alles verjüngt, erneuert und verschönert, was unsere Sinne umfassen, und gleich einem Talisman über die gleichgültigsten Dinge ein magisches Licht verbreitet. – Sie lachen, lieber Sabathier, als hörten Sie ein paar Charlatans, deren jeder den Vorzug seines Arkanums gegen den andern heraus streicht; aber ich hoffe, sie sollen als unparteiischer Richter dem meinigen den Preis zuerkennen. – Erschrick nur nicht, lieber Saint-Sauveur, wenn ich es nenne. – Es heißt mit Einem Worte: das hitzige Fieber. Wie hat es meine geistigen Federn gespannt, und die fünf Schwungräder meiner Sinne geschärft! Von dem Bissen trockenen Brodes an bis zu deinen herrlichen Pfirsichen, ist mir alles, was über meine Zunge geht, willkommen und schmackhaft. Die Welt scheint mir so frischfarbig und kräftig, als feierte sie heute ihren ersten Schöpfungstag. Was meine Blicke berühren, schwimmt in einem ätherischen Schimmer, und jedes Wort, das mein Ohr erreicht, jedes, das über meine Lippen rieselt, – wäre es auch noch so albern – kommt mir, als ein Beweis, daß ich lebe, überaus wohlklingend und witzig vor. Du weißt es, theuerster Saint-Sauveur, wie lange ich dich liebe; aber selbst meine Freundschaft seit ihrer Entstehung reicht nicht an das dem warmen Herzen entströmende Gefühl, das mich jetzt an dich fesselt. Wie segne ich meine Krankheit! Sie hat das staubige Triebwerk meiner Seele gereinigt, meine Adern mit Rosenöl ausgespritzt und meine Nerven«..

»Lassen Sie uns aufstehen, Herr von Saint-Sauveur,« fiel mir hier der Arzt in meine wohlklingende Rede, indem er mir das Glas, das ich zu leeren im Begriff war, unter dem Vorwande, über den ich mir noch eine Erklärung von ihm ausbitten möchte, aus der Hand nahm: »Der Wein würde Gift werden, wenn er zum viertenmal die Linie passirte. – Ich dächte,« fuhr er fort und sah nach der Uhr, »wir besuchten den Hafen. In einer halben Stunde wird ein Schiff vom Stapel gelassen; ein Schauspiel, das[213] Ihrem Berliner Freunde seltener wohl ist als jedes andere, und ihn zu einem gesündern Schlafe vorbereiten wird, als der Tri-Madera.« – Sein medicinischer Vorschlag wurde so geschwind angenommen als ausgeführt: denn in diesem Hause braucht man nicht auf das Anspannen des Wagens zu warten.

Möchte doch der Traum meines Lebens und mein neues Tagebuch nie andere Stunden enthalten, als mir heute zu Theil wurden! Welch ein herzerhebender Anblick für einen, der kaum aus seinem einsamen, sonnenlosen Kerker getreten war, als wir in dem Hafen ankamen – als meine heitern Augen über den gedrängten Zirkel fröhlich-müßiger Zuschauer hinblickten, der jene fleißigen Männer umgab, die in voller Anstrengung ihrer Riesenkräfte das stolze Gebäude aus seinem Schwerpunkte von dem Boden zu heben suchten, auf dem es errichtet war, um es auf kreischenden Walzen in das Meer zu rollen! Bei dem Werft stiegen wir aus. – Indem wir uns dem neu erbauten Schiffe näherten, machte mich Saint-Sauveur besonders auf das Verdeck aufmerksam, das mit einer Menge Neugieriger besetzt war, die schon Stunden lang auf den Augenblick lauerten, der die Masse in einen blitzschnellen Schwung setzen und einem an dern Elemente übergeben würde. – »Dort,« sagte er lächelnd, »ist eine Empfindung zu holen, die dir noch fremd und auf das sonderbarste angenehm ist, wie das schon die Menge schließen läßt, die Geld und Zeit dafür hingiebt.« – Ich sah mich ungewiß nach meinem Arzte um. – »O,« sagte dieser, »ich habe gar nichts dawider. Es ist der unschuldigste mechanische Versuch mit sich selbst, den ich kenne, und zugleich ein stärkendes Luftbad. Wenn nur Ein Blutkügelchen, das in Ihrer Lunge stockt, mit dem Schiffe zugleich flott wird, so trägt es Ihnen vielleicht mehr ein, als dem Eigenthümer, der es nach China schickt. Gehen Sie. Ehe es dahin segelt, wollen wir Sie schon wieder abgeholt haben.«

Ich that mir heute, wie ein lebhaftes Kind, dem man das Gängelband abnimmt, so viel auf die kleinste Bewegung zu gute, daß ich zwar herzhaft die Strickleiter ergriff, aber nach dem ersten Tritte auf dieser schwankenden Stiege alle Mühe hatte, mich bei[214] Muth zu erhalten. Steigst du doch, sagte ich spöttisch zu mir, so scheu und zitternd deiner Neugier nach, wie ein unerfahrnes Mädchen in das Brautbette. Zufällig kam ich auf dem Verdeck neben einem zu stehen, das jung und reizend genug war, um meinen unbedeutenden Einfall erst gefährlich zu machen. Still vor sich hin blickte sie über das Geländer, als ich zu ihr trat. – »Ist es auch das erstemal?« redete ich sie nachbarlich an. – »Ja,« drehte sie ihr Köpfchen nach mir; »auch erwarte ich schon lange den Schwung mit Ungeduld, von dem die Leute so viel Wesens machen. Meine Brust ist mir unbeschreiblich beklommen.« – »Mir geht es auch so,« erwiederte ich, »und wenn es erlaubt ist, eine Kleinigkeit philosophisch zu betrachten, so schwebt das Herz auch hier, wie bei jedem Uebergange zu einer unbekannten Erfahrung, zwischen – wie soll ich sagen ...« – »Nach meiner Empfindung,« fiel sie mir ins Wort, »schwebt es zwischen einer süßen Angst und einem ungestümen Verlangen.« – »Richtig, mein schönes Kind!« fuhr ich fort: »aber deßhalb fürchte ich auch, daß der kritische flüchtige Moment der Belehrung der angenehmen Unruhe unserer pochenden Herzen kaum werth seyn wird; und in dieser Rücksicht thut es mir beinahe leid, daß wir – oder wenigstens, daß Sie hier sind.« – Sie warf ein Paar große fragende Augen auf mich. – »Weil« antwortete ich, »Ihnen nun künftig nichts Aehnliches mehr vorfallen kann, was nicht durch das Gegenwärtige etwas von dem Reiz seiner Neuheit verlor. Sie nehmen jetzt eine Erfahrung voraus, die Ihnen zu einer andern Zeit.. Denken Sie an mich, ob ich nicht wahr rede.« – »Das will ich thun,« erwiederte sie lächelnd; »denn jetzt verstehe ich Sie nicht.« – Und das war kein Wunder, Eduard; verstand ich mich doch selbst nicht. Offenbar hatte die Theorie meines Freundes, die mir von heute Mittag her noch in dem Sinne schwebte, Schuld an diesem Geschwätze mit dem Mädchen. Ich hatte sie selbst noch nicht ganz begriffen, und suchte sie doch schon einem Kinderkopfe verständlich zu machen – ganz im Geschmack unsers philosophischen Zeitalters. Meine Einbildungskraft, sah ich wohl, war leichter in Bewegung zu setzen als das Frachtschiff. Dieses lag noch eine Weile nachher, als jene[215] sich schon warm geflogen hatte, unerschütterlich auf dem Werfte. Endlich, als ob es einen kurzen heroischen Entschluß faßte, fing es – das Mädchen klammerte sich fest an mich – zu rollen an, schlug Flammen in die Höh, und einen Pulsschlag nachher schwebte es auf dem wogigen Meere. Fröhliches Getöse auf dem Verdecke begleitete es, Jubelgeschrei vom Ufer her wirbelte ihm nach, und die junge, seufzende, zitternde Schöne – Gott segne ihre fühlbaren Nerven – wußte jetzt wie ihr war, und ließ meinen Arm fahren. Ach, ich hätte ihr ihn gern noch länger geliehen, und, wie man dem Probegang einer ausgebesserten Uhr nachspürt, gern noch länger jene leisen Schwingungen verfolgt, die der Druck von ein Paar weiblichen Händen auf meine Fibern erregte. Aber jetzt bekümmerte sich weiter keine Seele um die andere. Was die Neugier vereinigt hatte, trennte die Befriedigung. Die Gesellschaft flog nun auf die vielen kleinen Boote aus einander, die sich zu ihrer Aufnahme näherten, und Saint-Sauveur erwartete mich in dem seinigen. – »Ich komme recht sehr zufrieden,« rief ich ihm entgegen, als ich einstieg, »von dem Versuche mit mir selbst zurück, und deine Theorie enthält mehr Wahres als ich gedacht habe.« – Indem ruderte das Boot, auf dem sich meine neue Bekannte befand, bei dem unsrigen vorüber. Ich hätte wohl gewünscht mit ihr zugleich an das Ufer zu steigen; aber ich landete einige Augenblicke – an denen vielleicht ein ganzer Roman hing – zu spät an.

Auf dem Hingange nach unserm Wagen kamen wir bei der Wohnung des ehrlichen Passerino vorbei. Die schwarze Tafel über der Hausthüre, sein Sortiment menschlicher Gebrechen, mein Frühstück bei ihm, und die martervollen Tage, die gleich darauf folgten – alles trat in Einem Blicke mir jetzt vor die Seele. Mit feuchten Augen theilte ich meinen Begleitern die Empfindung, die mir anflog, und zugleich die Nachricht mit, die ihnen freilich wenig verschlagen konnte, daß in diesem Hause der brave Mann wohne, der mein Lehrmeister in der Baukunst gewesen sei. Um meine ehemaligen Spöttereien über ihn, zu denen ich alleweile kein Herz hatte, wieder gut zu machen, und um seiner Kundschaft nicht Abbruch zu thun, lobte ich ihn als einen zweiten Vitruv. – »Ich[216] habe ihm vieles zu danken,« sagte ich. – »Besonders auch,« fiel mir Sabathier in das Wort, »als Krankenwärter. Man las es in seinem verstörten Gesichte, wie sehr ihm Ihr Aufkommen am Herzen lag.« – »Das kann ich um so viel leichter glauben,« antwortete ich, »als an meinem Leben die Erfüllung eines Versprechens, eine Spazierfahrt hing, zu der schon der Wagen angespannt war, als ich mich legen mußte, und auf der er nichts geringeres zu holen gedenkt, als sein zeitliches Glück und seine Unsterblichkeit. Diese wichtige Schuld hoffe ich morgendes Tages abzutragen.« – »Morgen?« fragte Saint-Sauveur verwundert. »Einen Weg zur Unsterblichkeit – in der Nähe von Marseille? Das ist mir etwas ganz Neues. Wie heißt denn dieses Ziel der Glorie?« – »Cotignac,« antwortete ich, und erregte damit ein lautes Gelächter. – »Nein,« rief Sabathier, »das könnte meinem guten Rufe schaden, wenn ich es zugäbe« – und – »Nein,« rief der Marquis, »denn von morgen an, Freund, lege ich für die ganze Woche Beschlag auf dich und deine Talente. Ich kann dir davon zu deiner Spazierfahrt keinen Tag frei geben, als den letzten, wo ich das angenehme Geschäft über mir habe, den Flügelmann meines Regiments zum Tode zu führen – und den armen Sünder in dem Augenblicke, der ihm drei Kugeln durch das Herz jagen soll, durch ein harmonisches Pardon zu überraschen.« – »Und womit,« fragte ich hastig, »hat denn der Unglückliche verschuldet, daß er deinem System zum Experimente dienen soll?« – »Nach seinem Verbrechen,« antwortete Saint-Sauveur räthselhaft, »darf ein Berliner nicht fragen. Bei euch wird deßhalb kein Flügelmann der Todesangst ausgesetzt.« – Was wollte der Marquis damit sagen, Eduard? und was wollte er vorhin mit meinen Talenten? Ich begreife eins so wenig als das andere. Ueber meine Zeit, die er auf Wochen in Beschlag nimmt, muß ich mich auch noch mit ihm verständigen. Ich habe deren nicht viele mehr in diesem Lande zu verlieren, wenn ich anders mein Gerippe in Sicherheit haben will, ehe die Sonne noch glühender wird. Und doch kann ich an unsere baldige Trennung ohne Schaudern nicht denken. Wie kam es mir nicht schon so schwer an, daß ich die wenigen Stunden, die mir von[217] heute noch übrig blieben, ohne ihn hinbringen sollte! – Aber mein strenger Arzt riß mich unbarmherzig von seiner Seite, und verwies mich, aus Furcht vor der Abendluft, in meine einsame Herberge. – »Wenn Ihnen,« tröstete er mich, »Ihre heutigen Lebensversuche wohl bekommen und zu einer guten Nacht verhelfen, so öffne ich Ihnen morgen die weite Welt, und überlasse Sie Ihrem Freunde – zur Nachkur.« Möge er es zur guten Stunde gesagt haben.


Den 18ten Februar.


So hätte ich denn seit zwei Stunden das Lenkseil mei ner selbst, das mir auf der Rennbahn des Lebens aus den Händen geschlüpft war, wieder in meiner Gewalt! Sabathier hat es mir so feierlich, als wenn es ein Doktorhut wäre, überreicht. Kaum war ich mit einem Gesichte ohne Runzeln aus meinem Bette ohne Falten gestiegen, und lächelte in dem frohsten Vorgeschmacke meinem Frühstücke zu, das man herein trug, als mir sein Morgengruß so süß entgegen tönte, wie eine Geßnerische Schäferflöte in meinem funfzehnten Jahre. Wie reichhaltig kam mir nicht sein freundliches Gespräch vor! Es würzte meinen guten Kaffee noch mehr. Es belehrte mich ohne mir weh zu thun, und rührte mich durch die genauere Entwickelung des Wunders meiner Genesung.

Du weißt, Eduard, ich habe mich immer für ein Kind des Glücks, für einen Liebling des Zufalls gehalten, und finde so wenig Anmaßliches in dieser Vorstellung, daß ich keinen Gesichtspunkt kenne, aus welchem sich der Mensch gelassener betrachten könnte, als aus diesem. Die Eigenliebe, die dabei eine Rolle spielen wollte, müßte stockblind seyn. Daher habe ich es auch immer für den besten Zug meines Herzens gehalten, daß ich keinen Beweis, der mich darauf zurück führen kann, übersehe, und nicht, wie andere, mir jeden zufriedenen Augenblick als Folge meiner klugen Einrichtung anrechne. In meiner jetzigen glücklichen Lage wäre es vollends unverzeihlich. An meinem hitzigen Fieber mag ich wohl Schuld seyn, aber nicht an meiner Genesung. Diese lag weit außer meinem Gesichtskreise, und es mußten die sonderbarsten[218] Umstände zusammen treffen, um sie möglich zu machen. Das seltenste Ungefähr entriß mich nicht nur den Klauen des Marktschreiers, sondern auch, wie Du gleich hören wirst, den harten Fäusten der hiesigen Aerzte – die, da sie nur selten feinere Maschinen zu behandeln haben als Matrosen und Kaufleute, jeder andern, die nicht eben so derb zusammen gesetzt ist, fast so gefährlich sind, als die ausgemachtesten Stümper. Welche Proben der Angst würde mein armer Körper nicht noch vor seiner gänzlichen Auflösung haben ausstehen müssen, wenn nach dem Marktschreier auch noch so ein Praktikus über ihn hergefallen wäre! Sabathier, mußt Du wissen, gehört nicht zu dieser Zunft, ist Mitglied der preiswürdigen Fakultät zu Montpellier, und gegenwärtig auf einer wissenschaftlichen Reise begriffen, die er über Holland nach Edinburg thun will. Mein anonymer Wohlthäter, – Gott segne ihn – der einen natürlichen Haß gegen alle Charlatane hat, wie die Pharaos-Ratze5 gegen die Krokodille, schlich und stieg dem nomadischen Medikaster bis vor mein Bette nach, verscheuchte den Geier, und sah sich eben ängstlich nach Hülfe für das gerupfte Täubchen um, das zappelnd da lag, als – der gute Sabathier vor dem heiligen Geiste ausstieg, und der Schall seines berühmten Namens an alle Wände des Gasthofs anschlug. Unverzüglich trat ihm der Unbekannte in den Weg, erzählte ihm schon auf der Treppe meine verzweifelte Lage, ließ ihm kaum Zeit sich umzukleiden, und, nachdem er sein Mitleiden auf das stärkste erregt hatte, führte er ihn vor mein Bette, und nahm ihm, unter meinen schon gebrochenen Augen, das Ehrenwort ab, seine Reise aufzuschieben, und den kranken Deutschen nicht zu verlassen, bis nicht sein Schicksal entschieden sei. Der menschenfreundliche Arzt versprach es, und hat es gehalten. Mein bösartiges Fieber fand in ihm einen Beschwörer, wie es einen bedurfte. Selbst die kleinen Nebenverhältnisse, in die er sich mit mir gesetzt fand, so unwichtig sie auch schienen, waren hier nichts weniger als gleichgültig. Schon der Umstand einer gemeinschaftlichen Herberge mit ihm mußte mir den[219] größten Vortheil gewähren. Dadurch ward es ihm möglich, mich zu allen Stunden zu beobachten, und meine Narrheiten abzuwarten, als ob ich der vornehmste Herr und er mein Leibmedikus wäre. Ich brauchte nicht mit zehn andern Elenden zu kämpfen, um einen Theil seiner Zeit, ein Wort von seiner ermatteten Zunge, ein Recept aus seinem zerstreuten Gehirne zu erhaschen. Auch hatte seine Hand, ehe sie die meinige berührte, nicht wie die Faust, die Dir einst Dein Aeskulap prahlenden Andenkens entgegen streckte, des Morgens zwölf Kindern die Blattern eingeimpft, des Nachmittags eine Komödiantin entbunden, und des Abends einen Neapolitaner zergliedert, und seine Perücke schüttelte keine in der Charité angesteckte Lufttheilchen in meine Atmosphäre. Wenn ich starb, war ich sicher, daß es an meiner eigenen Krankheit geschah. Glücklich ist wohl jeder zu nennen, der in dem Nebel, den das unzählbare Heer von Seuchen um ihn herzieht, in dem Gedränge so vieler schwankenden Irrlichter, die dieser Duft bildet und nährt, und die sich ihm bei seiner Wanderschaft über das allgemeine Leichengefilde als Wegweiser anbieten, auf den Genius eines Kapp, Grimm, Meckel oder Tissot trifft, der ihm vorleuchtet. Ist sein Gewebe nun vollends schon von der Natur locker gesponnen, durch die Hände seiner Erzieher verworren, und von allen den Modefarben, in die es getaucht wurde, so mürbe gebeitzt, als das meinige, und es findet sich, eben da der Lebensfaden zerreißen will, ein solcher Kunstweber als Sabathier zu ihm, der an der laufenden Spule die Fasern noch zu erwischen und so geschickt anzuknüpfen versteht, daß auch nicht der kleinste Knoten zurück bleibt, der das Flickwerk verrathen könnte: so weiß ich nicht wie groß das Verdienst des Kranken seyn müßte, das diesem seinem Glücke gleich kommen sollte.

Diese Betrachtungen machten mir es recht schwer, mich von dem Manne zu trennen, der sie veranlaßte, und der – ohne daß ich damit andern Aerzten zu nahe treten will – einzig in seiner Art ist. – Denn wo hat wohl einer vor ihm einen solchen Abschied von seinem Kranken genommen, als Er von mir? Er faßte mich mit ernstem Anstande bei der Hand, setzte sich neben mir auf[220] den Sopha, und ehe ich mich des Textes versah, über den er seine Beredsamkeit spannte, lag das menschliche Herz so meisterhaft zergliedert vor mir, als wenn Locke und Boerhave in ihm zusammen getreten wären, um mir zu demonstriren, wie wenig ich, moralisch und physisch, werth sei. Ich mußte bei jedem Fetzen, den er mit seiner Sonde in die Höhe hob, heimlich gestehen, daß es ein Theil von mir war. In jeder Beule, die er öffnete, erkannte ich mein eigenes Geschwür, und fühlte in meinem Innern jeden Schnitt, den er doch nichts weniger als in meinem Kadaver zu thun schien. Es ward mir, mit Einem Worte, immer klärer, daß die Kasuisten zu Avignon und der getaufte Jude so vielen Antheil an meinem hitzigen Fieber hatten, als Klärchen und der Seefisch – daß ich meiner Gesundheit nie weiter aus dem Wege gekommen sei, als in der Zeit, da ich sie suchte – und daß Sabathier, der, gleich dem großen Arzte des Lazarus, meine Heilung mit Stehe auf angefangen hatte, jetzt auch, wie er, sie mit keinem bessern Rathe zu beschließen wisse, als mit einem wohl gemeinten Gehe heim.

Ja, ja, Eduard, unstreitig ist es das klügste, was ich thun kann. Ich brauche wahrlich keine Erfahrungen mehr zu dem bewiesenen Satze zu sammeln, daß meiner Diät und meiner Tugend auf Reisen noch weniger zu trauen ist, als in meiner Heimath. Das Ueberraschungs-System meines Freundes soll mich nicht aufhalten. Gott weiß, was ich mir damit über den Hals ziehen könnte, wenn ich es so gründlich studiren wollte, als manches andere, das mich irre geführt hat.

Als Sabathier am Ende seines lehrreichen Gesprächs nach dem Hute griff, verstand ich das Zeichen, flog in die Kammer vor meinen Schreibtisch, und – indem ich geschwind berechnete daß, wenn ich die Summe meines baren Reisegeldes gerade mit ihm theilte, ich in Verhältniß meiner vorigen täglichen Ausgaben immer noch durch mein hitziges Fieber gewönne – packte ich zwei Rollen zusammen, die einen ziemlich starken Beweis enthielten, wie hoch ich mein Leben schätzte, und trat damit in der Demuth eines Genesenen, der dem Apollo nur einen schlechten Hahn opfert, vor meinen trefflichen Arzt. Aber dieser, als schwebe er in der Glorie[221] jenes Gottes, erhob sich in demselben Augenblicke über alle gemeine Mitgesellen seiner Kunst. – »Sie vergessen, lieber Freund,« sagte er, »wie theuer Sie Ihr Leben schon bei dem Quacksalber gelöst haben, den ich vertrieb. Ich bin belohnt genug, daß ich nicht zu spät kam, um seine Rechnung und sein Vergehen gegen Sie in's Gleiche zu bringen, und durch meine Anzeige die Polizei aufzufordern, ihm das Handwerk, wo nicht ganz zu legen, doch solchem eine zweckmäßigere Richtung für das gemeine Beste zu geben.« – »Edler, großmüthiger Mann,« sagte ich, legte meine Geldrollen aus der Hand, und trocknete mir die Augen. – »Und was ist denn,« fuhr ich kleinlaut fort, »aus dem Quacksalber geworden?« – »Man ließ ihm,« antwortete Sabathier, »die Wahl, sich nach seinen Verdiensten entweder bestrafen, oder belohnen zu lassen – entweder mit einem Wahrzeichen an der Stirn das Reich zu räumen, oder in demselben – Mäuse zu fangen. Er entschloß sich zu letzterm, unter der Bedingung, die man ihm gern zugestand, daß er den Doktortitel fortführen dürfe, den er in Erfurt gekauft habe. Er ist bei den hiesigen Hanf- und Taumagazinen angestellt, wo er gewiß von Nutzen seyn wird.« – Ich läugne nicht, Eduard, diese Nachricht machte mir Freude. Nicht, als ob ich gerade sehr stolz darauf gewesen wäre, durch meine unschuldige Vermittlung einen solchen Landsmann in Königlich Französische Dienste gebracht zu haben; sondern weil es mir, bei meiner ewigen Spekulation über die Bestimmung des Menschen, wohl thut, wenn ich einmal auf einen treffe, dem das Schicksal die seinige so deutlich anweist als diesem. – Uebrigens mußte es mir wohl auf alle Weise lieber seyn, daß der Zufall, neben vieler meiner Mitmenschen Erhaltung, nur den Tod der Mäuse mit meiner Genesung verkettet hatte, als umgekehrt – wie das bei vornehmern Kranken als ich bin wohl manchmal der Fall seyn mag.

»Sehen Sie,« fuhr Sabathier fort, »so ist alles in seiner Ordnung. – Der Verzug meiner Reise ist mir hinlänglich durch das Studium Ihrer Krankheit bezahlt: denn schwerlich werde ich in Edinburg eine versäumt haben, die aus mehrern Fehlern gegen die Diätetik zusammen gesetzt, aus so bösartigem Stoff entwickelt, den Nachforschungen[222] eines Arztes würdiger und mir belehrender gewesen wäre, als diese. Auch soll sie mir bei meiner Aufnahme in die dortige Akademie zu einem sonorischen Perioden in meiner Antrittsrede verhelfen.« – Ich machte – einfältig genug – meinem medicinischen Freunde für dieses Lob meiner Krankheit eine tiefe Verbeugung, als ob er mir eine Schmeichelei gesagt hätte, erschrak über diesen neuen Mißgriff meiner Eigenliebe, und stotterte nun voller Verlegenheit: – »Ihre Rechnung im Gasthofe werden Sie mir doch..« – »Diese,« fiel er mir in's Wort, »ist durch den braven Mann berichtigt worden, der mich mit Ihnen in Verbindung gesetzt hat.« – »Lieber Sabathier,« drängte ich mich jetzt näher an ihn, »Sie dürfen mich nicht verlassen, ohne mir den Schutzengel genannt zu haben, bei dem ich in einer so großen Schuld stehe, und die ich durchaus abtragen muß, wenn ich ruhig werden soll.« – »Ich würde es gern thun,« versetzte er, »hätte seine uneigennützige Tugend mir nicht Stillschweigen geboten. Wir wollen dem wackern Manne seinen eigenen Gang lassen, und uns im Stillen begnügen, eine Seele zu bewundern, die sich über das Geräusch menschlicher Beifalls-Aeußerungen des Danks und den Schimmer ihrer eigenen Seltenheit erhaben fühlt.« – »O mein Freund,« erwiederte ich voller Betrübniß, »wie gern möchte ich dieser übermenschlichen Tugend huldigen! – Aber ich kann – wahrlich ich kann nicht. Eine so heldenmüthige Verläugnung der allen Herzen angebornen Schwachheiten erweckt«.. – ich hielt inne. – »Was erweckt sie denn?« fragte Sabathier – »Den Verdacht, von dem ich meinen Wohlthäter gern frei sprechen möchte, eines übermäßigen Stolzes, der seine Blöße nur desto künstlicher versteckt, je lebhafter sein geheimer Wunsch ist, daß die Neugier sie enthülle. Eine Größe, die andere Menschen so sehr verkleinert, ist nicht nach meinem Geschmacke. Die Gleichgültigkeit des Unbekannten gegen meinen Dank ist sehr demüthigend, und ich fühle es wahrlich auf das schmerzhafteste, wie viel Unbarmherzigkeit in seiner Großmuth liegt.« – »Oder wie viel Schonung,« sagte Sabathier lächelnd, umarmte mich noch einmal zum Abschiede, bat sich ein Empfehlungsschreiben nach Leyden an Jerom aus –[223] und unter tausend Segnungen, die meiner stammelnden Zunge entströmten, eilte er in sein Zimmer den Anstalten seiner nahen Abreise zu.


Kaum war er fort, so stützte ich meinen Kopf auf den Arm. – »Schonung?« wiederholte ich, »was will er mit diesem räthselhaften Worte?« und es beschäftigte mein Nachdenken bei einer halben Stunde. Ich wollte lange nicht daran, die Erklärung als wahr anzunehmen, die sich mir aufdrang; aber, so wenig sie auch Schmeichelhaftes für mich enthält, so bleibt mir doch keine andre übrig. Der Unbekannte, stelle ich mir vor, mochte es wohl nach seiner Eigenheit eben so sehr für Pflicht halten, so lange ich krank lag, mir beizustehen, als mir aus dem Wege zu gehen, sobald ich gesund ward. Die Beichte meines hitzigen Fiebers – ob das nicht wohl auch bei andern Ohrenbeichten manchmal der Fall seyn mag? – hat ihm wahrscheinlich nichts weniger als Neigung gegen mich eingeflößt, und in dieser Rücksicht verräth seine stillschweigende Entfernung unstreitig eine seltene Schonung. Ein eifriger Katholik, – mein Gott, – kann ja unmöglich einen Menschen lieben, schätzen und seiner Freundschaft werth halten, der die heilige Klara von Montefalcone mit ihren drei Blasensteinen verspottete, den Papst Alexander zur Hölle verwies, und selbst bei dem Anblicke der drohenden Ewigkeit keine Reue fühlte, Mariens Strumpfband vertauscht zu haben. Ich darf froh seyn, daß der gute Mann meiner Rettung schon den Schwung gegeben hatte, ehe er erfuhr, wie wenig ich ihrer werth sei. Mir thut es zwar weh, daß zwei Herzen, die bereits einander so nahe waren, durch solche Windstöße wieder getrennt werden mußten; aber was kann ich dafür?

Um jedoch den Druck meiner Dankbarkeit los zu werden, will ich zum Ersatz meiner Schuld ein Geschenk in das Hospital schicken, und es als eine Nothhülfe, die ich gegen den sonderbaren Heiligen nehme, der Versteckens mit mir spielt, in dem Wochenblatte anzeigen lassen. Das, hoffe ich, wird nach seinem Sinne seyn. – Edler Sabathier! – Liebenswürdiger Jerom! Dächten alle Menschen wie ihr und ich, wie leicht würde es werden, die drei Religionen[224] denen wir anhängen, unter Einen Hut zu bringen! Wie geehrt fühle ich mich in diesem Augenblicke, wo ich durch einen Zug meiner Feder eure beiden verwandten Seelen vereinigen soll! – Doch da kommt mir ein Briefchen von Saint-Sauveur dazwischen, das ich erst lesen muß. –


Das war ein thätiger reichhaltiger Morgen! Meine dringenden Geschäfte auf der vorigen Seite sind nun alle besorgt, und ich wende meine Augen, die unter blendenden Thränen den guten Sabathier abfahren sahen, wieder nach Dir, mein Eduard, der mir sie von jeher immer am geschwindesten getrocknet hat. – Es ist zwei Uhr. Nur noch einige Zeilen, und ich unterwerfe mich sodann ganz sorgen-, gedanken- und willenlos der Leitung des reichen, romanhaften Marquis, dem meine Nachkur übertragen ist. Sein Wagen erwartet mich; seine heutige Ordre liegt vor mir. Geht er auch so ziemlich mit mir um wie mit einer Sache, – ich lasse mir alles gefallen, ob mir gleich nicht alles gefällt; so kirre hat mich leider das Mißtrauen gemacht, das mir Sabathier gegen die eigene Aufsicht meiner selbst in den Kopf gesetzt hat. Da will er, zum Beispiel, daß ich heute nach Tische eine Lustreise mit ihm antrete, die eine Hälfte des Weges im Wagen, die andere zu Fuße, nach seiner Bastide, die drei Stunden von hier und auf der Straße nach Toulon zu liegt, wohin ich ihn morgen früh begleiten soll. Mit diesem Herumstreifen würden, wie er mir vorrechnet, die nächsten vier Tage bis auf den bewußten Sonnabend verstreichen, den er mir schon gestern zu meiner Wallfahrt nach Cotignac frei gab. Diese Eintheilung meiner Woche ist mir nur halb recht, Eduard; Alzire wird heute, morgen wird Mahomet aufgeführt, und ich soll, statt dieser trefflichen Schauspiele, einem so widrigen Dinge nachgehen, als mir eine Bastide ist, um dort meinen Wettlauf nach Gesundheit anzufangen. Der gute Mann bedenkt nicht, daß ich kaum von einem hitzigen Fieber genesen bin. – Den Tag darauf nach Toulon. Festungen sind mir aber fast so sehr zuwider als Bastiden. Lieber Saint-Sauveur! ich hätte mir von deinem Ueberraschungs-System etwas besseres versprochen, und ich zweifle, ob[225] Sabathier dergleichen Recepte zu meiner Nachkur billigen würde. Dieses abgerechnet, hätte ich gar nichts dawider, auf einige Zeit aus meinem häuslichen Zirkel heraus zu treten, der mich mechanisch in die Tage zurück zaubert, die ich doch gern vergessen möchte. Der überflüssigste Theil desselben, die beiden Puppenspieler, haben durch ihr Verplaudern meiner Historie mit Klärchen vollends ihr Bißchen Kredit bei mir verloren; und doch scheinen sie gar nicht zu ahnden, wie unerträglich sie mir sind. Da unterbrachen sie mich erst vorhin mit dem possenhaftesten Anstande in meiner Schreiberei, um mich über einen Einfall zu Rathe zu ziehen, der ihnen eine frohe Zukunft verspräche. – »Elektra,« – hub der Prologus an, – »Geht zum Henker,« fuhr ich sie an, »mit eurer Elektra, und putzt dafür meine Schuhe!« – Auch Bastian, der gute Kerl, macht keinen Eindruck mehr auf mich mit dem Gesichte seiner Schwester; dafür erinnert er mich aber desto lebhafter an die ekeln Chinapulver, die er mir dutzendweise eingerührt hat. Es ist mir immer, so oft ich ihn ansehe, als ob ich einnehmen müßte. So wunderlich es von mir wäre, ihm dieses zum Vorwurfe zu machen, so bin ich doch froh, daß er mir einige Tage aus den Augen seyn wird. Er kann unterdessen hier mit dem Wirthe zusammen rechnen; und sich mit den Anstalten zu meinem Aufbruche beschäftigen, den ich zu Anfange künftiger Woche festgesetzt habe. Die Freundschaft Saint-Sauveurs würde mich in jedem andern Lande zurückhalten; aber das hiesige Klima verstattet mir keine Weile, und drängt und treibt mich wie einen Storch nach meinem deutschen Schattenneste; ach es würde meine spröden Knochen vollends zu Pulver zerreiben, wenn ich hier bliebe. Daß ich nicht denselben Weg, auf dem ich herkam, zurück nehmen werde, kannst Du wohl – ohne selbst mein Tagebuch betrübten Andenkens gelesen zu haben – bei einem neugierigen Reisenden voraus setzen, ob Dir gleich jenes noch ganz andere Aufschlüsse darüber vertrauen würde. Nein! ich gedenke über Holland und mein geliebtes Leyden heim zu gehen, ohne Avignon, Straßburg und Bruchsal nur in Gedanken zu berühren. In drei Wochen – ach Gott! kann ich bei Jerom seyn, und selbst, wenn Sabathier so langsam fortreist, als er anfing, eher sogar als[226] er und mein Brief. Das habe ich mir an den Fingern abgezählt, als ich ihn schrieb, und sie mir vor Freuden verbrannt, als ich ihn zusiegelte. So gar viel Papier werde ich nun wohl nicht mehr verthun. Ein halbes Buch, denke ich, soll hinreichen, bis ich Dir in Berlin meine schreibselige Feder zu Füßen lege.


Das in halbdunkeln Tinten trefflich gemalte Zimmer, in welchem mich Saint-Sauveur diesen Mittag aufnahm, war ganz der rührenden Stimmung angemessen, die ich mitbrachte, und in der er mich – Gott weiß wie er das anfing! – drei Stunden, bis wir in's Freie kamen, zu erhalten verstand. Es gehört ein Wirth dazu, wie Er war, damit ein Gast, wie ich bin, nicht bei Tische den Abgang eines dritten bemerkt. Die hellen Wahrheiten, die zarten Berührungen der Seele, die menschenfreundlichen Aeußerungen, die in sanften Adagiotönen seinen Lippen entflossen, und die Gutmüthigkeit, die aus seinen liebenden Augen wiederschien, erquickten mein schmachtendes Herz mit dem so lang' entbehrten Vollgenusse eines, in der edelsten und weitesten Bedeutung des Worts, guten Gesellschafters. Er überraschte mich an dem heutigen Mittage um vieles angenehmer noch als an dem gestrigen – nicht durch die neu ersonnenen Gerichte, die er mir vorsetzte, sondern durch die Menge feiner und erhabener Empfindungen, denen er in meiner Seele mit Sokratischer Entbindungskunst Luft machte. Sie schienen mir, wie Vertriebene, die sich unter einer tyrannischen Regierung versteckt hielten, von weitem herzukommen, einander zu ihrer Erhaltung Glück zu wünschen, und das Fest ihrer Wiederkehr in der alten Hütte zu feiern, aus der sie sich so lange verdrängt sahen. So sehr ich auch jetzt hinterher mich gerecht genug fühle, das Uebergewicht seines Geistes in dem warmen Gespräche, das sich unter uns entspann, anzuerkennen, so wußte er doch während desselben den Schwerpunkt so geschickt zu vertheilen, daß es mir vorkam, wir hielten einander vollkommen die Wage. Sein Herz schien, schmeichelhaft für mich, vorauszusetzen, es werde von dem meinigen verstanden. Die Blitze, die sein Witz von sich warf, spalteten sich so leicht an dem Prisma des meinigen, mit welchem[227] ich sie auffing, daß ich nur meiner Kunst den schönen farbigen Strahlenkreis zuschrieb, den es hervorbrachte. Ich hörte ihm so lange mit dem lautersten Vergnügen zu, als mir noch seine Unterhaltung Veranlassung gab, mir eine Verbeugung über meine tiefen Einsichten und mein zartes Gefühl zu machen.

Auf einmal aber trieb mich eine Kleinigkeit von dem erhabenen Standpunkte herunter, auf den mich meine Eigenliebe gestellt hatte. Wir sprachen eben von dem Hange zweier gleich gestimmter Herzen, die, indem sie wie Magnete einander anziehen, auch, wie diese, alles Ungleichartige von sich abstoßen, und ungenutzt ihre Kraft in sich verzehren, wenn sie auf keinen Gegenstand treffen, der in ihren Wirkungskreis taugt. Ich gefiel mir außerordentlich in diesen zugespitzten Einfällen, die ich vorbrachte, und gerieth darüber so in Feuer, daß ich nicht gewahr ward, was neben mir vorging – nicht eher sah, daß der Mundschenk eine Flasche Champagner lüftete, bis der Schall des heraus getriebenen Korks – bis der Name Sylleri – bis das schäumende Glas, das er mir vorhielt, sich meiner Einbildungskraft schon bemeistert, und mich sechs Wochen zurück in das Bacchanal versetzt hatten, das ich am achten Januar mit jenem Gesindel feierte, das leider nur allzu magnetartig auf mich gewirkt hat. Heftiger kann in einer belagerten Stadt ein spielendes Kind nicht erschreckt und aus der Wiege geworfen werden, wenn das feindliche Signal in die Höhe steigt und der allgemeine Sturmlärm nachfolgt, als ich in diesem Augenblicke der widrigsten Erinnerung. Mag Dir diese Vergleichung noch so poetisch vorkommen, sie ist darum nicht weniger treffend und wahr. Ich fühlte mich von dem unglücklichen Bilde, in welchem ich mich wie in dem niedrigsten Stücke von Teniers abgemalt sah, so gepreßt, daß mir die Lippen bebten, und mein Auge in Thränen stand, noch ehe der Schaum im Glase zerronnen war. Armer Wein, seufzte ich im Stillen, der auf demselben Berge gewonnen, vielleicht auf demselben Stocke mit jenem gereift ist, der mir das häßliche Herz einer Heuchlerin enthüllte! Wäre mir dort dein Aufbrausen nicht ekel, dein Name nicht zum Mißlaute geworden, wie süß würdest du hier an der Seite eines edeln Freundes, mir schmecken, und[228] mit welchem Feuer würdest du meine Lobrede auf die gesellige Tugend beleben!

Saint-Sauveur, ob er gleich meine innere Bewegung gar nicht zu bemerken schien, kam ihr doch auf das thätigste zu Hülfe; denn er unterbrach mein angreifendes Selbstgespräch, indem er den Stuhl rückte und aufstand. Es ist die leichteste Art, der Seele eine andre Richtung zu geben, indem man dem Körper eine andre anweist. Der Unterschied, ob mich der Wind von der oder jener Seite anbläst, ob ich rechter oder linker Hand an meinem Schreibetische sitze, ob ich in einen Garten oder in einen Kirchhof blicke, bewirkt bei mir, wo nicht eine gänzliche Umschaffung meiner Denkungsart, doch eine merkbare Verschiedenheit der Begriffe. So ging es mir auch dießmal. Der Zauber, der mich nach Avignon versetzte, schien nur innerhalb des Zirkels meines Stuhls zu liegen. Sobald ich über ihn hinaus in das Fenster getreten war, will ich zwar nicht geradezu behaupten, daß ich mich meiner reuvollen Empfindungen schämte, aber ich bekam doch Fassung genug, den ganzen Auftritt für einen seltsamen Beweis der Nervenschwäche auszugeben, die mir noch von meiner Krankheit anhing, und mein Freund war auch so gut, es für bekannt an zunehmen. – »Wenn dich nur,« sagte er scherzhaft, indem er zugleich befahl, daß sein Phaëton vorrücken sollte, »der Lärm nicht zu sehr erschüttert, den jetzt die schlagenden Nachtigallen in dem Birkenwalde treiben, wohin ich dich führen will.« – Das brachte mich auf einmal aus meiner weinerlichen in eine bitter spaßhafte Stimmung. – »Birkenwald? Nachtigallen?« fing ich mit spottendem Tone seine Worte auf, »das klingt ungefähr in diesem Lande so hohl, als wenn man in Novazembla von Schmetterlingen und Orangen spräche.«

Ich habe gewiß schon in meinem Leben witzigere Einfälle gehabt, und beißendere Antworten ausgetheilt, als diese war, ohne mich ihrer zu rühmen; besonders seitdem ich bemerkt hatte; daß ein Bonmot Dienstags eine ganze Gesellschaft belustigen konnte, welches Mittewochs, wenn es der Erfinder als bewährt in andere Häuser herumtrug oder in seine Schriften aufnahm, gleichgültig angehört und gelesen wurde. Der scharfsinnige Herr mochte noch[229] so genau Zeit, Gelegenheit und Umstände seines Epigramms angeben, keine Seele bekümmerte sich um den kleinen Balg, sobald er über die Geburtsstunde hinaus war. So würde ich also auch dießmal meine spitzige Gegenrede gar nicht erwähnt haben, hätte sich nicht ihr schlaffer Stachel eine Stunde nachher gegen mich selbst gekehrt, und mir eine Beule zugezogen, die ich nicht anders zu heilen wußte, als daß ich sie, unter großen Schmerzen, aufstach. Gott bewahre doch jedermann vor witzig-üblen Launen! Ich konnte der meinigen nicht mehr Herr werden. So abschmeckend sie Anfangs war, eine so laugenhafte Schärfe nahm sie an, als wir bei dem Schauspielhause und der bunten Menschenmenge, die dahin strömte, vorbei fuhren; und sie ward noch beißender, als wir unter die Frachtwagen auf der staubigen Chaussee geriethen: denn, statt es lieber gerade heraus zu sagen, wie ungern ich heute die Stadt und Alziren um die Bekanntschaft einer Bastide vertauschte, gab ich es durch mein Bezeigen auf eine viel auffallendere Weise zu erkennen. Ich schmiegte mich quer über in die Ecke des Wagens, drückte meinen runden Hut in die Augen, und bei jeder Staubwolke, die aufstieg, hielt ich Mund und Nase so geziert zu, als ob die Sandstraßen um Berlin mit Teppichen belegt wären. Jeder Sonnenstich schien ein Epigramm in mir zu entwickeln, und mir zu einer sinnreichen Anspielung zu verhelfen, die den kontrastirenden Unterschied meines fruchtbaren Vaterlandes mit der dürren Provence auf die ungesuchteste Art, wie ich glaubte, in das Licht setzte. Indem ich mich mit meinem Handschuh fächelte und mir den Hals lüftete, sprach ich entweder von den schattigen Alleen, die nach Charlottenburg führen, oder erinnerte meinen Freund an unsere kleinen Soupers in den Lauben zu Sanssouci. Ich war wie ausgetauscht, Eduard, fühlte in meiner Ungezogenheit weder den scharfen Verweis, der in dem Stillschweigen des Marquis lag, noch ließ ich mich durch den Gedanken, wie er doch nicht mehr, als sein Land erlaube, zu meinem Zeitvertreibe gewähren könne, so wenig irre machen, daß ich endlich sogar Hagedorn und Kleist zu Hülfe nahm, um die große Wahrheit zu bestätigen, daß nichts in der Natur an Reiz über den Eintritt des Frühlings in Deutschland[230] und unsern Maimonat ginge. Das Blut trat mir bei dieser vaterländischen Erinnerung in das Gesicht. – Ich blickte wild meinem Freund in die Augen. Er faßte mich bei der Hand und: »Was ist dir, lieber Wilhelm?« fragte er verwundert. – »O der herrlichen Dichter!« antwortete ich mit beschwerter Stimme. »Sie haben das Bild des Mais mit einer solchen Gewalt in mir rege gemacht, daß ich dich bei Gott versichern kann, lieber Saint-Sauveur, ich glaubte in diesem Augenblicke jenen Monat erreicht zu haben, unsre Frühlingsvögel zu hören, und den balsamischen Duft unsrer jungen Birken zu athmen. Eine lebhafte Einbildungskraft ist doch eins der wichtigsten Geschenke Gottes. Sie weiß dem Betrug die Gestalt der Wahrheit zu geben, und unsre Wünsche in wirklichen Genuß zu verwandeln.« – »So wie sie,« fiel mir Saint-Sauveur in das Wort, »die auffallendste Wahrheit zu Betrug herabwürdigen kann.« – Dieser Einwurf meines Freundes war so paradox, daß ich ihn unmöglich ungerügt hingehen lassen konnte. – »Ein ganz neuer Satz,« sagte ich höhnisch: »aber wo ist der Beweis dazu, lieber Marquis? Willst du ihn führen?« – »Ja,« war seine bestimmte Antwort; und wahrlich, Eduard, er führte ihn, und wie? Ganz nach seinem gestrigen System: denn nie hat mich ein philosophischer Beweis durch eine angenehmere Evidenz überrascht als dieser. Die Wendung deren er sich dabei bediente – sehr verschieden von den Subtilitäten der Scholastik – kam aus seiner und seines Kutschers Hand, an dessen Arm die Schnur befestigt war, die er anzog. Ein Griff in den Zügel, ein Hieb mit der Peitsche, und seine Behauptung – ich hätte vor Scham vergehen mögen – war vollständig erwiesen. Was ich eine Minute vorher für Magie der Einbildungskraft hielt, war Wirklichkeit. Ich hörte die Nachtigallen mit meinen körperlichen Ohren, und zog die besungene deutsche Mailuft mit beiden Lungenflügeln in mich – denn – hier siehst Du die Beule, die ich aufstechen muß – wir befanden uns, wie durch einen Zauberstab, in eine lange Allee von hundertjährigen Birken versetzt.

Ich konnte in der Fülle meines Erstaunens nicht zu Worte kommen, so gewaltig sie sich auch bis zu meinen Lippen vordrängten,[231] war lange verloren in meinem Gefühl, ehe meine scheuen Blicke sich an meinen Freund wagten, und um Vergebung des Unsinns der vergangenen Stunde anflehten. Er verstand sie: aber er bestrafte mich nicht durch Gegenspott, so sehr ich ihn auch verdiente, sondern durch Güte. – »Reisende,« sagte er mit freundlicher Stimme, »sollten nie absprechende Urtheile über ein fremdes Land fällen, bis sie nicht alle seine Winkel durchkrochen haben. Könnte ich dich doch, lieber Wilhelm, von allen deinen kleinen Vorurtheilen so glücklich heilen, als es mir bei diesen gelang! denn sie hauptsächlich sind es, deren Kur mir Sabathier überlassen hat. Wie froh bin ich, daß ich dich bis jetzt ruhig in deiner trotzigen Lage erhalten konnte! Ein einziger Blick deiner Augen neben der Querlinie, auf der sie hinstarrten, würde dir schon von weitem das Ziel der Belehrung, die ich dir aufhob, entdeckt, und ihre gute Wirkung und deine Epigramme geschwächt haben. Jetzt blicke nur, ohne dich weiter zu schämen, an diese hohen Birken hinauf. Giebt es wohl in Charlottenburg ihres gleichen? Siehe, mit welcher Pracht unsere immer grünende Eiche sich hier ausbreitet. Wie reich würde sich euer König dünken, wenn ein solcher Fremdling seinen Park verschönerte! Sättige dein Auge an unserem Besenreisig, an dem gelb blühenden Geniste, das als eine Seltenheit in euern Gewächshäusern gepflegt wird, bade dich in dem Aushauche unserer würzhaften Kräuter, und gestehe, – ich verlange keine andere Genugthuung – daß euer Wonnemonat nicht reizender sein kann als unser Hornung.« – Es hätte mir die hartnäckigste Vorliebe meiner Heimath so fest in dem Herzen sitzen müssen als einem Lappländer, wenn ich nur ein Wort gegen die offenen Beweise und die billige Forderung meines Freundes hätte vorbringen wollen. Seitdem ich Athem schöpfe, hat mich von allen den Maitagen, die ich in Deutschland erlebte, keiner in ein solches Wohlbehagen versetzt, als die gegenwärtige Stunde. Das konnte ich ihm mit Wahrheit sagen. Es war seit meiner Krankheit der erste Ausflug ins Grüne, und die Sinnlichkeit hatte ein desto leichteres Spiel, da die Saiten, die sie rührte, frisch aufgezogen und zur Freude gestimmt waren. In dem sultanischen Gefühle eines mühelosen Genusses lag ich in dem[232] schaukelnden Phaëton, freute mich der wohlriechenden Bogengewölbe über mir und des begleitenden Gesangs der Vögel, wovon ich bei dem gehemmten Trabe der Pferde keine Note verlor. Wie ein kraftvoller Jüngling, dem ein langes frohes Leben vorliegt, sich am Ausgange desselben seinen nebligen Grabhügel als eine Ruhebank denkt, die seiner Ermüdung wartet, so blickte auch ich auf den geraden breiten Weg hin, der sich durch den unabsehlichen Wald zog – dachte mir an dessen Ende die enge heiße Bastide meines Freundes, zwar nicht als einen Lustort, aber als eine Schlafstäte, die mir desto erträglicher vorkam, je später ich sie zu erreichen hoffte. War es also nicht Schade, daß dieses wollüstige Hingeben meiner selbst, diese auf Genuß und Zeitgewinn gezogene fröhliche Rechnung, durch eine Grille des Marquis gestört wurde, zu der ich mir noch dazu vorwerfen mußte, ihm die erste Veranlassung gegeben zu haben?

Er befahl seinem Kutscher zu halten, blickte mir in meine sanft hinsterbenden Augen, und nöthigte mich doch unter folgendem Gespräche aus dem Wagen. – »Guter Wilhelm! wenn ich dich so über der Natur brüten sehe, sollte es mir beinahe leid thun, dich von deinem behaglichen Neste aufzuscheuchen.« – »Wie so, lieber Marquis?« – »Ja nun, hier müssen wir uns auf die Füße machen und einen andern Weg suchen.« – »Einen andern Weg? Wohin denn?« – »Nach meiner Bastide. Du denkst doch wohl nicht, daß sie am Ende der großen Allee liegt? Das wäre der Rede noch einmal werth.« – »Das – bester Mann – habe ich wirklich geglaubt.« – »Nun so hattest du dich wieder einmal in dein Vaterland verflogen. Ein Schlag von Sommerhäusern wie die unsern, und eine prächtige Deutsche Allee zum Zugange würde gut passen.« – »Aber, ums Himmels willen, wie kommt man denn zu deiner Bastide?« – »Eigentlich, lieber Freund, auf der Chaussee, die wir halben Weges verlassen haben; kürzer aber um vieles, wenn wir uns hier seitwärts, so gut es gehen will, durch das Gebüsch helfen. Es kommt auf eine böse Viertelstunde an, so treffen wir auf einen verlassenen Steinbruch, hinter welchem meine kleine Besitzung liegt. Ich habe ihn kürzlich dazu gekauft, ihn vollends[233] durchbrechen lassen, und mir dadurch einen weit nähern Eingang verschafft, der nur einige äußere Verzierung bedarf, um als etwas Rechtes in die Augen zu fallen. Da sind mir nun eine Menge Plane durch den Kopf gegangen, ohne daß ich noch mit mir einig geworden bin. – Du kamst mir wie gerufen. Dein Ausspruch soll entscheiden. Das beschloß ich gestern vor dem Hause des Italienischen Baumeisters, bei dem du in der Lehre gewesen bist, legte deßwegen Beschlag auf dich und deine Talente, und rechnete auf deine Vergebung, wenn ich dich mit dieser Spazierfahrt überlistete, trotz der Alzire, die dich beinahe mir abwendig gemacht hätte. Du siehst, daß ich meine eigennützigen Absichten gar nicht beschönigen will. Wie leicht könnte ich sie sonst hinter deine Nachkur verstecken! In Rücksicht dieser müßtest du mir noch danken, daß ich dein welkes Gesicht an die Sonne gebracht habe.« – »Hol der Henker seine kahlen Entschuldigungen,« murmelte ich in den Bart; »die machen weder seinen Antrag noch den Gang besser. Meine Talente? Das ist eine triftige Ursache! Ihretwegen konnten wir sitzen bleiben.« Und so stieg ich aus.

Es ist doch in Wahrheit eine Verlegenheit wie es nur eine giebt, wenn man durch unverdientes Zutrauen anderer zu unsern bessern Einsichten sich mit seiner Ignoranz aus einem schönen gebahnten auf einen so holprigen, verwachsenen Weg gedrängt sieht, als der war, den wir jetzt einschlugen – um am Ende eines ermüdenden Gangs oder einer verlornen Lehrstunde seinem Gönner darzuthun, daß er sich in der Wahl unser geirrt habe. Mit hundert Dingen in der Welt bin ich in dergleichen Gedränge gekommen; aber mit der Baukunst widerfuhr es mir heute zum erstenmal. Bei allem dem fehlte es mir am Entschlusse, meiner falschen Scham herzhaft entgegen zu treten, mich aufs Maul zu schlagen, und mir durch ehrlichen Widerruf einen Ausweg zu bahnen. Das wäre unstreitig das klügste gewesen: aber es fiel mir nicht bei, und um so viel weniger, als mich schon jede unerwartete Aufforderung so aus der Fassung bringt, daß ich mich immer auf das verkehrteste dabei benehme. Wenn ich ja etwas ähnliches von Jean Jacques habe, so besteht es darin. Fragt man doch wohl bei mir[234] zehnmal umsonst nach Dingen, die ich im Schubsack trage, geschweige bei solchen, die man gütigst voraussetzt. Geht jemand zum Beispiel in der Gesellschaft – und wie oft geschieht das nicht! auf mich los: »Sagen Sie mir doch, mein Herr – Sie, als ein Litterator, als ein Dichter, als ein Hofmann, müssen ja das am besten wissen ...« so weiß ich es gewiß nicht, und wenn es das Einmal Eins wäre.

So betroffen, daß ich mich nicht besinnen konnte, schlich ich denn auch hier dem Marquis nach, ritzte mich in allerlei Dornen, lernte alle Gattungen von Kletten und Nesseln der Provence kennen, und nach manchen Fehltritten, die mich aufhielten, sah ich denn endlich auch an dem unförmlichen Steinbruche, der die Mitte einer Gebirgkette einnahm, die nach allen Seiten hin die Gegend sperrte, jene schwere Aufgabe liegen, die ich zu lösen beschieden war. – »Nun, was meinst du?« fragte der Marquis, und blickte mir forschend in die Augen, die ich geschwind in Ordnung gebracht hatte, und dann den Felsen so listig nachdenkend anstarrte, wie dieser und jener eine Skizze von Raphael. Da stand ich nun wie am Pranger, und brachte nach einer ängstlichen Weile doch nur ein paar abgebrochene Worte hervor. – Ob ich wirklich die Ausrottung des nahen Gesträuchs zur Gewinnung eines Vorplatzes und die Erweiterung des Berggangs in Vorschlag brachte, lasse ich dahin gestellt seyn; es war wenigstens der Sinn, den Saint-Sauveur meiner verworrenen Rede unterschob und mit seinem Beifall beehrte. Er hätte mir jede andere Meinung andichten können, ich würde sie in der Verlegenheit für die meinige erkannt haben – »Wenn diese nothwendige Vorkehrung,« fuhr ich nun schon mit festerer Stimme fort, »getroffen ist, würde ich das Portal mit zwei Toskanischen oder lieber noch Korinthischen Säulen verzieren, und oben darüber eine Marmortafel mit einer passenden Inschrift aus dem Virgil oder Horaz setzen lassen: O rus, zum Beispiel, quando te adspiciam, oder so etwas dergleichen.« – »Das läßt sich hören,« sagte mein Freund; »nur will ich dich bitten, lieber Wilhelm, wenn wir ins Haus kommen, mir deine Idee durch eine kleine Handzeichnung deutlicher zu machen: denn aufrichtig zu gestehen,[235] weiß ich nicht einmal, wie sich die Toskanische Säulenordnung von der Korinthischen unterscheidet.« – Unter uns, Eduard, war das eben auch mein Fall! – »Ich bin,« fiel ich ihm ins Wort, »in architektonischen Zeichnungen seit einigen Jahren ganz aus der Uebung.« – »Nun gut,« erwiederte er, »so thue mir nur den Gefallen, deinem Italienischen Lehrmeister den Riß anzugeben, wenn wir wieder in die Stadt kommen. Einstweilen laß uns auf jenem bemoosten Stein ausruhen, und uns über dieses Gebirge hinweg in dein prächtiges Sanssouci zaubern. Ich sitze oft Stunden lang in meinem beschränkten Gärtchen, und weiß mir es in Gedanken durch die malerischen Aussichten zu erweitern, die mir vor neun Jahren dein Vaterland öffnete.«

Der gute Saint-Sauveur! Er hätte mir zur Erholung von meinen Baugeschäften nichts dienlicheres bieten können. Ich ward Dir auf einmal so beredt und anmaßlich, als ich mich kurz vorher, verlegen und gedemüthigt gefühlt hatte, und auch Er – ohne des Schaustücks seiner Birkenallee weiter zu erwähnen – irrte gutmüthig und heiter mit mir durch alle die niedlichen Sandgänge, die labyrinthisch unsere Berlinischen Lustgärten durchschlängeln, die sanfte Luft, die uns umwehte, war ihm nur ein Vehikel jener aromatischen Düfte, die unser Thiergarten seinen jüngern Wangen zuspielte, und die er damals nicht sinnlicher in sich ziehen konnte, als er sie jetzt durch die Organe der Erinnerung einsog. Ach, wäre sie nicht, diese gutmüthige Begleiterin auf unsern Wanderschaften, so würde das längste Leben, wenn es einmal hinter uns liegt, nur ein verlornes Geschenk, und nicht viel besser als das Leben einer Mücke – eingeschränkt auf einen einzigen Tag seyn. – »Ein schöner wahrer Gedanke!« sagte der Marquis, als ich ihm solchen mittheilte. »Er soll uns, wie der Faden der Ariadne, durch den dunkeln Irrgang meines Vorgebirges leiten. Folge mir nur beherzt, lieber Wilhelm, und werde nicht mißlaunig über die hundert bösen Schritte, die du etwa noch bis zu meinem Sopha zu thun hast.«

Ich ergriff geschwind den Rockzipfel meines Führers, um seine Spur nicht zu verlieren, und tappte ihm nun, unsicher wie in der[236] Nacht, durch die kühle Bergkluft nach, die so im Finstern fortlief, daß ich den Ausgang für noch sehr entfernt hielt, als auf einmal – Gott im Himmel! wie ward mir zu Muthe! – eine Thür vor mir aufsprang, und mir – welch ein Uebergang von Blindheit zum Licht! – ein Thal – ein unübersehbares und so entzückendes Thal öffnete, daß mein äußerer Mensch durch die heftige Bewegung, in die mein innerer bei diesem unnennbaren überraschenden Anblicke verfiel, wie gelähmt davor stand, und mein Puls einige Sekunden stockte, ehe sich meine gen Himmel strebenden Hände erheben, und ein Strom von empfindsamen Thränen dem gepreßten Herzen Luft machen konnte. Ich habe dich oft, freundlich, schön und groß gesehen, mannigfaltige Natur, habe dich in der Pracht deines Schmuckes bewundert, den dir deine Freunde, und aus dem Flitterstaate gehoben, den deine Feinde dir anlegten; aber noch nie hattest du dich mir in deiner höchsten Herrlichkeit – nie zur Anbetung deines unermeßlichen Schöpfers in so unwiderstehlich anlockenden Reizen offenbart, als an diesem glücklichen Abende! Was faselte ich vorhin von Nachschmack des Vergangenen, von der Erinnerung eines Lebens, das hinter uns liegt! Mein Vaterland, die Stadt meiner Geburt sammt den jugendlichen Freuden, die ich jemals genoß – alles war jetzt aus meinem Bewußtseyn verschwunden. Ich fühlte nur das Gegenwärtige, und war ausschließend glücklich in ihm.

Bin ich denn der erste Reisende, der hierher kam? da ich mich keines erinnere, der dieses Elysiums der Provence gedacht hat. Sollte sich denn nie einer diesen Anblick, wie ich ihn genoß, erkauft, erstohlen, oder erschlichen haben, um ihn mit Farben oder mit Worten zu malen? Nein, Eduard, der Glückliche allein vermag es, der ihn, wie ich, als ein Geschenk aus der Hand der erfindungsreichen Freundschaft und als ihre geheimste höchste Gunstbezeigung erhält, – wenn anders die Verzweiflung über die Unzulänglichkeit menschlicher Sprache, die auch in meinen Adern kocht, ihm erlaubt diesen reinen Abdruck des Himmels zu schildern. Nur ein Mann, der aus der Fülle der Natur ihre rührendsten Stunden zu heben, und aus ihren flüchtig hinduftenden Tageszeiten die[237] Balsamtheile aufzufassen versteht, die am wirksamsten sind die Quetschungen der Seele zu lindern – nur ein Weiser, der die Sehnen und Fasern des menschlichen Herzens oft und mit Glück entwickelt, und die Einbildungskraft bis in ihre feinsten Blutgänge zergliedert hat – nur der edle Saint-Sauveur, der diesen Solitair von Felsen sein nennt, hat zu dem dahinter liegenden Heiligthum allein den Schlüssel. Man muß sein Freund seyn, um auf den Standpunkt dieses magischen Lichtes zu gelangen, in welchem, von allen Bewohnern dieses herrlichen Thals, er allein nur es zu zeigen im Stande ist. Kein menschliches Auge, es schweife und schwebe wo und über was es will, kann mehr Reize auf einmal umfassen, als das meine in dem Augenblicke, da ich, wie von der Erde in den Himmel gehoben, aus dem Felsen trat.

Die Scheibe der Sonne, als wäre sie allein für dieses Thal geschaffen, hing, zu ihrem Untergange geneigt, gerade vor mir. Ein breiter, schäumender, in die Tiefe stürzender Wasserfall schien ihr anzuhängen, und die letzten Goldmassen ihrer heutigen Spende zu übernehmen, um sie in flimmernden Körnern über das Abendbrod dieser glücklichen Thalbewohner zu streuen. Die Spitzen der hohen Berge, Träger des blauen Baldachins, der über der Königin schwebte, rötheten sich in ihrem Abglanz, und der Schimmer ihres Heimgangs flog zitternd über die unzähligen Gärten und Lusthäuser, die sich von allen Seiten in den sanftesten Abhang hinunter zogen. Der mit ihrem wallenden Lichte überschwemmte Teppich grünender Triften, der sich, so weit der Blick reichen konnte, in dem Grunde verbreitete, warf, mit den Gruppen ruhender Herden, in seiner unglaublich sanften Verschmelzung einen Wiederschein in die Höhe, der selbst ein sterbendes Auge noch würde erquickt haben. Die meinigen – ach! wie soll ich Dir das Wohlbehagen versinnlichen, in dem sie schwammen! – Alle bessere Empfindungen meiner Seele schienen sich gegen meine Sehnerven zu drängen, und aus ihnen Dank gegen Gott, Freude des Lebens und Zufriedenheit mit der Welt zu saugen. Wie liebt, wie ehrt man sein Selbst in solcher Stimmung! Wie gereinigt fühlt sich das Herz von allen verächtlichen Wünschen, die es in so seligen Augenblicken nicht einmal[238] zu begreifen vermag! O könnte ich den rauhen schmalen Eingang dieses Berges für mehrere Seelen zu einer so edeln Absicht benutzen, als mein trefflicher Freund durch ihn bei mir einzelnem Kranken erreicht hat! Ich würde seine dahinter ruhenden Geheimnisse durch ein vorgezognes Tuch so ganz versperren, wie sie es mir bis auf diesen Augenblick waren, und würde euch, meine Freunde und Bekannten, an einem Festtage auf einem Kreis von Rasenbänken um das Amphitheater dieser Steinmasse versammeln, euch, die ihr Stunden lang in euern Schauspielhäusern auf Bretern sitzt, und dem Zeichen entgegen lauscht, das den Vorhang heben soll, den ihr angähnt. Ach wie wollte ich euch, indem ich den meinigen aufzöge, durch den Hinblick in diese heiligen Hallen der verklärten Natur erschüttern, und wenn ich mich durch ihn, stärker als es kein Bußprediger, kein Dichter vermag, eurer Herzen bemeistert hätte, euch auf demselben Wege, den das meinige nahm, zurück in euch selbst, in die Gegenden führen, die ihr so wenig besucht habt als diese – in die Tiefen, wo noch manches Große, Gute und Edle ungeweckt schlummert! Mit welchem Erstaunen würdet ihr bemerken, wie die beiden euch unbekannten Gebiete der natürlichen Zufriedenheit und des sittlichen Gefühls, die ihr durch Künsteleien getrennt habt, zu einem und demselben Reiche gehören! Ihr würdet innigst gerührt mein großes Schauspiel verlassen, würdet nur Ekel an dem Prunk eurer Opern, vorzüglich aber ein reines Herz, durchdrungen von der Wahrheit, mit nach Hause nehmen, die wir zwar alle eingestehen, in dem tollen Beginnen unseres Uebermuths aber täglich und stündlich vergessen – daß der Mensch mit allen Pfauenfedern seines Stolzes und seiner Talente nur ein armseliger Stümper in seinen Nachahmungen und Schilderungen der unerreichbaren Natur, und ein undankbarer Schwächling gegen jenen fühlbaren und doch unbekannten Werkmeister sei, der die Sonne in seiner Gewalt hat, und die Kräfte des Universums leitet wohin er will. Doch, ist es nicht schon eine strafbare Thorheit, das Staubkorn gegen den Unermeßlichen zu wägen, das er, ohne zu achten wohin es flog, von dem Saume seines Kleides abblies – seines mit jenen Flittern, die wir Sonnensysteme,[239] Sterne und leuchtende Welten nennen, besetzten, ernsten, ewigen Kleides? –

Mein Freund, durch das Mitgefühl meines Entzückens, dessen Schöpfer er war, auf das innigste gerührt, reichte mir stillschweigend die Hand, um mich an dem Bande der eingebrochenen Abendröthe, die wie ein Brautgürtel dieses Thal der Freude umschlang, in seine Wohnung zu führen. Ich sah mich noch einmal nach dem Felsen um, und fand hier am rechten Orte den Plan der Verzierung, mit der ich die Gegenseite zu verkrüppeln gedachte, einfacher und edler ausgeführt, als ich ihn entwarf. Hier war der aus einem dunkeln Haine hervortretende Theil des Gebirges mit einem Portale bekleidet, das an den Janustempel erinnerte, der, von Numa erbaut, nur in einem Durchgange bestand. Seine Pforte, die von dieser Friedensseite nie geöffnet wird, schließt sich nur von innen armen Flüchtlingen auf, die, von äußern oder innern Stürmen aufgeschreckt, Wildniß und Einsamkeit suchen. Von dem Ungefähr und ihrem Mißmuth bis vor diesen Felsen getrieben, zittern sie scheu und gescheucht durch die Dunkelheit dieses Schlupfwinkels, und fallen – statt in einen Abgrund, den sie in ihrem Ingrimm wünschen und fürchten – fallen sie – ach wie sanft! – in die umschlingenden Arme der liebenden und tröstenden Natur! In diesem Sinne hat Saint-Sauveur, schon vor mir, manchen durch das Gaukelspiel der Welt verdrehten Kopf, manches kranke Herz, das seiner Besserung werth war, hierher verlockt, und durch einen Blick in dieß Thal und dieß Sonnenbad geheilt. Nie ist wohl eine romantische Anlage glücklicher ausgeführt und zu einem edlern Zwecke benutzt worden, als diese.

Mein Freund hatte nicht nöthig, und seine Gutmüthigkeit ließ es auch nicht zu, mich an meine Korinthischen oder Toskanischen Säulen zu erinnern: ich schämte mich schon selbst genug alles dessen, was ich seit gestern und heute Unwahres und Anmaßliches über Talente und Lehrmeister, Bastiden und Baukunst vorgebracht, und besonders der Kennermiene, mit der ich, im Widerspruch meines Bewußtseyns, gegen den Marquis groß gethan hatte. In dem Schlage jeder Nachtigall, auf jedem Schritte, den ich that, fand ich[240] meine verdiente Bestrafung. Unter hohen Akazienbäumen, die in diesem mit Bergen umzäunten Thale, wie in einem Treibhause, schon Schatten gaben und blühten, gelangten wir in die Wohnung meines lieben Begleiters, und traten in einen Saal, der selbst in seinen reichen Verzierungen das warme Herz des Besitzers und seinen unverdorbenen Geschmack verrieth. Rührende Gemälde der größten Meister sprachen hier zum Auge; mich zog aber noch zu sehr das mit meiner Seele verschmolzene Bild der Natur von allem ab, was Menschenwerk war. Ein Blick bald durch dieses, bald durch jenes Fenster, suchte noch einen Reiz von ihr hinter dem Florkleide zu erhaschen, das der Abend über sie herwarf, bis die verdickte Dämmerung sie ganz meinen Augen entzog, die Vorhänge an den Fenstern herab fielen, ein duftendes Mahl meinen Hunger weckte, und mich überzeugte, daß ich noch nicht so ganz zu den ätherischen Geistern gehöre, als mir mein beseligtes Herz gern weiß gemacht hätte.

»Iß nicht so hastig – trink mit Bedacht von diesem Wein – er reift auf jenen vergoldeten Bergen,« wiederholte mein Freund mehrmalen. Ich sah ihn lächelnd an, glaubte ihm zu folgen, aber Schwärmerei trat immer meinem Vorsatz in den Weg. Ich aß und trank wie ein Verliebter, und antwortete verkehrt auf alles, was nicht Bezug auf das Wunder hatte, das mir vorschwebte. – »Ich sehe wohl,« sagte endlich der Marquis, »ich bewirthe dich nicht, wie es dein Taumel verlangt. So laß uns denn von ihr sprechen, die sich durch einen Blick aller deiner Kräfte bemeistert hat. O du kennst die Göttliche noch nicht in ihrer größten Schönheit. Morgen – ist der Mensch nicht glücklich, der das zu einem andern Sterblichen sagen kann? – morgen will ich dir ein Schauspiel geben, das einen Gottesläugner bekehren würde. – Du hast wohl, als ein wahrer Berliner, gar nicht daran gedacht, daß die Sonne auch aufgeht?« – »Ja, Freund,« rief ich, und klatschte in die Hände, »das Schauspiel sollst du mir geben.« – »Ehe wir nach Toulon aufbrechen,« fuhr er fort ... – »Ach das abscheuliche Toulon!« fiel ich ihm in die Rede; »was sehe ich an seinen Bastionen, Galeeren und seinem Arsenal? Ich bitte dich, laß mich[241] hier, lieber Saint-Sauveur.« – »Ich glaube,« sagte der Marquis lächelnd, »die Bewunderung der Natur könnte dich, wie das Gebet einen Mönch, bis zur Unthätigkeit entzücken. Sie thut es schon jetzt. Du schwärmst von ihr und vernachlässigst sie, denkst nicht daran, sie in ihrem Nachtputze zu überfallen, und ihrem Busen noch einen Liebeskuß aufzudrücken, ehe sie einschläft.« – Ungeachtet meiner dichterischen Stimmung verstand ich den Marquis nicht ganz, bis der Wink eines Bedienten ihn von seinem Stuhl aufjagte, der Vorhang aufflog, und er mich in der schauerlich festlichen Minute an das Fenster stellte, wo der volle Mond in dem reinsten Ergusse seines Schimmers zwischen zwei Bergen herauf stieg.

Wie vorhängend in dem dunkelblauen Gewölbe, gleich einer aus Topas geschliffenen Lampe, blickte nicht dieser glänzende Körper, als ob er in der heutigen Nacht jede andere neben ihm spielende Welt von seiner Umarmung ausschlösse, auf seine kleine freundliche Thalschöne herunter, die, wie abgesondert von dem übrigen Erdballe, zitternd ihre verstecktesten Reize seinem liebkosenden Lichte zu enthüllen schien! – Das Säuseln des Abendwindes in den jungen Sprößlingen, Blättern und Blüthen, das dem Geräusch der Küsse, dem Lispeln der Liebe glich, und der Einklang des Wasserfalls in der Ferne – alles was ich sah, hörte und ahndete, traf einen Berührungspunkt in meinem der Natur geheiligten Herzen. Mit gefalteten Händen blickte ich in dieses nächtliche Fest. Ich konnte mich ungestört in Betrachtungen versenken; denn mein Freund, der neben mir stand, schonte schweigend meine zarten Empfindungen. Der Mond hatte schon viele Meilengrade seines Bogens durchlaufen – noch stand ich da, und sah ihm nach, und maß ihn, und lächelte ihm zu. Endlich riß ich mich los. – »Was für ein glücklicher Mann bist du!« wendete ich mich gegen meinen Freund mit schwacher Stimme, drückte ihm die Hand, und folgte der Kerze, die mir in mein Schlafzimmer leuchtete.

Ich war so vertieft in meine Mondsscene, daß ich den jungen Menschen, der mich bediente, nicht eher gewahr ward, als bis er mir meine Halbstiefeln auszog, die zwar von dem Dornenwege, durch den sie mir heute halfen, hier und da zerkratzt, übrigens[242] aber so wenig beschmutzt waren, daß selbst unser reinlicher Freund Jean Paul keiner noch so weißen Chemise würde gewehrt haben sich ihnen zu nähern. Ehe ich den Bedienten entließ, bat ich ihn, mich morgen ja vor Aufgang der Sonne zu wecken. – »Dafür sorgen Sie nicht,« antwortete er; »unser ganzes Haus ist alsdann munter vom Größten bis zum Kleinsten. So oft wir in dieß Thal kommen, versäumt gewiß keiner von uns fünfen, die stets um den Herrn sind, diesen rührenden Anblick. Wir waren armselige Menschen, ehe wir in seine Dienste traten – Trunkenbolde und Spieler, besonders der Kutscher, der ein Thüringer ist. Einer nach dem andern wurde von seiner Untugend geheilt. Ich war – ich gestehe es zu meiner Schande – ein verlorner Wollüstling; aber kaum drei Tage hatte ich in diesem Paradiese gelebt, dreimal nur die Sonne aufgehen sehen, als mir die Schuppen von den Augen fielen, ohne daß ich sonst etwas dagegen gebraucht hätte.« – Ich schob meine Nachtmütze etwas ungläubig zurechte. – »Trauen Sie meiner Erfahrung,« erwiederte er mir, nahm meine Halbstiefeln unter den Arm und wünschte mir eine ruhige Nacht. Wäre es möglich, dachte ich zuletzt noch im Bette, daß diese solarische Kur bei Klärchen anschlüge? Vielleicht! Sobald nur kein Domherr mit ihr an das Fenster tritt.

Fußnoten

1 Ciceronis Somnium Scipionis


2 S. Brants Narrenschiff.


3 Er stiftete ein Hospital für Narren – und starb selbst als einer.


4 Wer Verstand hat, der überlege die Zahl des Thieres: denn es ist eines Menschen Zahl, und seine Zahl ist 666. Offenbar. Johannis Kap. 13. V. 18.


5 Viverra Ichneumon. Linn.


Quelle:
Moritz August von Thümmel: Werke, 4 Bände, Band 3, Stuttgart 1880, S. 243.
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