Erster Band.

Erster Theil.

Die dunkle Wahrheit, Freund, die Dein beredter Mund

Mich ahnden ließ, seh' ich nun ganz erläutert!

Ich war nur krank im Traum; und fröhlich und gesund

Bin ich erwacht, und sehe rund

Um mich herum die Welt mit Opernglanz erheitert,

Die ehmals lichterarm, gleich einem Puppenspiel

Mir widerlich in's Auge fiel.

In meinem Büchersaal verriegelt,

Sah ich schwermüthig und erschlafft

Die Welten über mir mit Kraft

Und Thätigkeit und Muth beflügelt –

Sah unter mir die Würmchen aufgewiegelt

Zu einer kleinen Wanderschaft:

Ich gaffte mit gefärbter Brille

Das Spiel der Schöpfung an; mein Wille

War ohne Herrn – Kaum regte sich

Nur noch ein dumpf Gefühl von meiner morschen Hülle,

Mit welchem schwer belastet, ich

Ins traurige Gebiet der ernsten Todesstille

Aus dem Parterr hinüber schlich. –

Doch da erschienst Du, Freund, mit tröstender Geberde,

Und widersetztest Dich der stolzen Uebermacht

Des Hypochonders – sprachst »Es werde!«

Und es ward hell in meiner Nacht –

Wie sorgsam hast Du nicht den fast erloschnen Dacht

Auf diesem großen Opferherde

Zu neuen Flammen angefacht!


Des Unmuths Nebel ist verflogen,

Der Essig meines Bluts versüßt,

Seit ich den Lerchen nachgezogen,

Und mich der freundlichste von allen Himmelsbogen

In Languedoc's Gefilde schließt.

Am Quell des Lichts erwärmt, dünk' ich mich hier dem Auge

Der Vorsicht mehr genaht zu seyn,[165]

Und fühle mich entzückt, und sauge

Den Aether der Verklärten ein.

Auf Blumen führen mich versuchte Zeitbetrüger

Von einer kleinen Lust zu einer größern hin:

Mich kümmerts nicht, ob ich seit gestern klüger –

Genug für mich, wenn ich vergnügter bin!

Kein Skrupel steigt mir auf – Ich stehle

Mich heimlich aus dem Kreis der Börhav' und der Bayle

Und ihrem Kriminalverhör,

Und achte nun des Körpers und der Seele

Berühmte Charlatans nicht mehr.


Wer sagt es mir, was doch im Schalle

Des Posthorns – in dem muth'gen Knalle

Der Peitsche für ein Zauber liegt?

Hoch steigt mir jetzt die Welt, gleich einem Federballe,

Der im Zenit der Kinderjahre fliegt,

Und alles lacht mich an, und froh denk' ich mir alle

Mitlebende gleich mir vergnügt.

So wird der Wein, der ewig zu Madere

Gemeiner Wein geblieben wäre,

Zu dreimal besserm umgestimmt,

Wenn er als Fracht, von einer Hemisphäre

Zur andern auf- und niederschwimmt.


Ich kann mir nicht helfen – so demüthigend auch das Geständniß für den Stolz des innern Menschen seyn mag – so schwer es auch über die Lippen eines ausgemachten Philosophen gehen würde; dennoch sage ich es zur Ehre der Wahrheit und unverholen, daß ich nur dem Rütteln und Schütteln einer armseligen Postchaise den wieder erlangten freien Gebrauch meiner Seelenkräfte verdanke. Mit Hülfe eines Meilenmessers könnte ich genau die Entfernung, könnte genau auf der Postcharte jeden Punkt angeben, auf dem ich diese und jene gute Eigenschaft wieder fand, die mir, Gott weiß wie! nach und nach von der Hand gekommen war. Ich mußte sie freilich ziemlich einzeln zusammen lesen, und es verging manche liebe Stunde, ehe ich meinen Verlust ersetzt sah – mußte mich drehen und wenden und manche Lage versuchen, bevor ich in meine natürliche kam.[166]

Ich verschloß meinen Wagen, wie die Zelle eines Karthäusers, als ich mich aus dem für mich so geräuschvollen Berlin rettete, und glaubte der Welt einen rechten Possen zu thun, daß ich meine Stor's herabließ. Aber die Welt ging ihren Gang, und mir hingegen trat, mit jeder Station bis Leipzig, das Unbehagliche meines abgezogenen Lebens immer näher an's Herz. Johann besorgte von außen alles was nöthig war, seinen elenden Herrn weiter zu bringen; und er wäre mit diesem unruhigen Geschäfte mir auch nur lästig an meiner Seite gewesen, so ein ehrlicher Kerl er auch seyn mag. Schon die heitere Miene, mit der er bald die Wolken, bald die Schafe, die uns begegneten, anlächelte, schickte sich gar nicht in die Nachbarschaft meines Ernstes. Ich mußte einen Begleiter haben, der mir ähnelte, und ich hatte das Glück, im blauen Engel einen auszufinden, der meinen Eigensinn, meinen Haß gegen Scherze und Liebkosungen, mein Stillschweigen, meine gerunzelte Stirne, ja sogar mein Asthma vollkommen in sich vereinigte. – Es wird Dir gewiß lieb zu hören seyn, daß dießmal von keinem menschlichen Geschöpfe, sondern nur von einem Mopse die Rede ist, den ich für einige Thaler erhandelte. Das arme Thier ward in meine Reise verflochten, ohne zu wissen wie ihm geschah, und fand sich geschwind genug darein; denn wir hätten zusammen um die Welt reisen können, ohne daß einer dem andern in stärkerm Grade lästig geworden wäre, als es gerade zur Uebung unserer gemeinschaftlichen Laune nöthig war. Jetzt ist mir freilich der gute Mops nicht mehr so unentbehrlich: denn ein frohes menschliches Auge weiß auch an untergeordneten Geschöpfen ihre hellen Farben und den Instinkt ihrer Freude zu schätzen, und giebt gewiß einem muthigen Windspiele den Vorzug vor einem schnarchenden Mopse. Für meine Erinnerung indeß behält er noch immer seinen Werth. Wie gern lächle ich manchmal in dem Gefühl meines Wohlbehagens dieß treue Ebenbild meines vorigen Mißmuths an! und schlage oft, wenn ich bei seinem Lager vorüber gehe, dankbar meine Augen zum Himmel auf! Ursache genug daß ich ihn beibehalte, um auch Gesellschafter meiner Rückreise zu seyn! – – –
[167]

Wer ist denn der blühende Mann, der da vor mir in das Zimmer tritt? fragte ich in Frankfurt den Wirth zum Römischen Kaiser, indem ich von seinen Leuten so behutsam, wie zerbrechliche Waare, ausgeladen ward – fragte mit so matter hohlklingender Stimme, daß er für dringender hielt meinem Tone als meiner Neugier zu antworten. Ich will dafür sorgen, daß Sie neben ihm zu sitzen kommen, sagte er, – es ist einer unserer geschicktesten Aerzte.

In diesem kleinen Zufalle lag es, daß ich dem Berufe seit acht Tagen zum erstenmale Gehör gab, in Gesellschaft von Menschen, menschlich zu essen; denn bis jetzt war das Pulver des Grafen von Pilo, dieses herrliche Gegenmittel wider die Wechselfieber und die böse Luft, noch immer mein Frühstück geblieben. Mit dem Schlage der zehnten Morgenstunde – und hätte sie mich an dem steilsten Abhange eines Berges getroffen – ließ ich halten, um mit der Jungfer Steffens dem Steine – um eilf Uhr mit dem Freiherrn von Hirschen der Schwindsucht, und zu Mittage mit dem berühmten d'Ailhaud der Gicht entgegen zu arbeiten, damit ich am Abend jeden Tages der Kraftbrühe des D. Kämpf desto würdiger seyn möchte.

So regelmäßig hatte ich gelebt, um meine leibliche Gestalt, die sich zu Berlin schon durch ihr Ansehn überall Platz machte, unverändert nach Frankfurt zu bringen. Den Gästen, sobald ich in den Speisesaal trat, blieb der Bissen im Munde stecken. Sie rückten erschrocken zusammen, und ließen mir und dem Arzte, an den ich mich anklammerte, eine ganze Seite des Tisches frei. Ich hingegen, da ich um mich her blickte, las in jedem Auge, welchen lächerlichen Kontrast die Blässe meines Gesichts mit dem Schimmer des seinigen darstellen mußte. – Ich weiß nicht warum? aber länger konnte ich nun seine auszeichnende Röthe nicht ohne Verdruß ansehen, und ich war drauf und dran, in meinen alten Irrthum zu verfallen, sie auch an Ihm für die Leibfarbe der Ignoranz zu halten. Aber ein gewisses Vergnügen, das ich an der ganzen Gesellschaft bemerkte, unter seinen Augen zu essen, sprach so laut zu seinem Vortheile, und hielt mich so lange von jedem gewagten Urtheile[168] über ihn zurück, bis er – ach! nur zu geschwinde, sein eigner Verräther ward. Gewiß bin ich oft unwissendern Aerzten, als Er war, in die Hände gefallen, aber einen größern Egoisten der Unmäßigkeit traf ich nie in ihrer Zunft. Alle Sinne dieses Schmeckers waren in das thierische Geschäft seiner Sättigung verwickelt – Seine Löwenaugen flogen von einer Schüssel zur andern, und störten von ferne schon nach der Beute, die er mit geübten Händen den weniger aufmerksamen Gästen abzugewinnen wußte. Seine Kunst, so groß sie auch seyn mochte, schien er mit seinem Hut an den Nagel gehängt zu haben, die Medicin nur für eine Dienerin der Kochkunst, und den Ruf eines Fabius Gurges höher zu halten, als den eines Galen. Zur Mittagsstunde ist so ein Arzt das unbrauchbarste Geschöpf unter der Sonne. Auch mag es ihm Gott vergeben, was er an mir gethan hat! Ich saß kleinmüthig neben ihm und lauerte lange umsonst auf ein freiwilliges Allmosen seiner Aufmerksamkeit, das ich mir endlich bei dem ersten müssigen Augenblicke seiner Zunge zu erbetteln beschloß.

Nach langem Harren erschien dieser günstige Zeitpunkt. Die erste Tracht Speisen ward abgehoben; und sogleich setzte ich mich, während der kurzen Pause, da die zweite in Ordnung gestellt wurde, in Positur, den bessern Theil des Schlemmers in mein Interesse zu ziehen. Vergebliche Hoffnung! denn wie ich eben den Mund öffnete, um ihm die Menge meiner Uebel zur Schau zu legen, trug man als Hauptschüssel eine fette Gans auf, die der ganzen Gesellschaft Bewunderung und die entferntesten Gedanken des Doktors auf sich zog. Die Zerlegung des Vogels gab mir jetzt nur noch einen kurzen Zeitraum frei. – Ich faßte Herz, ergriff freundschaftlich die Hand meines Nachbars, und glaubte durch die feine Wendung, die ich meinem Vortrage gab, mich seiner wenigstens so lange zu versichern, bis der Vorschneider fertig seyn würde. »Der Zufall,« hob ich mit ungewisser Stimme an, »hat einen gefährlichen Kranken an die Seite eines berühmten Arztes gebracht – – Vermuthlich kennen Sie, mein Herr, des Madai Traktat de mortis occultis? – dort ist meine Krankheit auf der siebenten Seite nach dem Leben geschildert.. Aber warum sehen Sie mich so bedeutend[169] an? Ich beschwöre Sie, theuerster Mann, gestehen Sie es nur aufrichtig, daß Sie ganz an meiner Genesung verzweifeln? – Sollte denn aber nicht durch eine noch strengere Diät, als ich schon halte, die materia pec ...«

Aber Himmel, welch ein unerwartetes Schrecken unterbrach hier meine herzbrechende Periode, und vergällte mir das Wort im Munde! Der grausame Arzt hatte mir bis dahin mit sichtbarem Ernste zugehört. Jetzt schob er, wie von Abscheu gegen meine Krankheit ergriffen, seinen Stuhl plötzlich zurück, wünschte mir, lakonisch wie der Unverstand, eine glückliche Reise, langte seinen Hut und ... solltest Du es glauben? – ließ die anlockende Gans im Stiche, indem er, wie der Geist Hamlets, verschwand. Welch ein betäubender Schlag! Ich glaubte von beiden Seiten meines nun ganz isolirten Stuhls in einen Abgrund zu blicken, und der schnelle Aufbruch des Arztes und sein ominöses: »Reisen Sie glücklich!« statt der entscheidenden Antwort, um die ich ihn anflehte, tönte mir nun in den Ohren, wie eine Abfertigung in die andere Welt.


Wie, wenn der Wetterstrahl in Girards Beichtstuhl bricht,

Der Heuchler aufgeschreckt, aus Selbsterhaltungspflicht

Schnell aus dem Dunstkreis sich der Busenfreundin stürzet,1

Und Sie? – Vermißt nun Sie das männliche Gewicht

Des Segenspendenden, der ihre Seele würzet,

Staunt – weint – schlägt an die Brust, und ihr Entsetzen spricht

Mit hohlem Ton: Ich bin verkürzet! –

So fuhr mich mir, – Vergleichung, Freund, giebt Licht, –

Des stummen Doktors Eil' und seines Gaums Verzicht

Auf eine fette Gans, elektrisch durch die Nerven.

Ich sah im Geiste schon, (denn kluger wußt' ich nicht

Das Wunder abzuthun) zu meinem Blutgericht

Ihn sein Skalpier und seine Feder schärfen.

Um, nach vollbrachter That, mit ernstem Amtsgesicht,

Mir seinen Sektionsbericht

Zur Antwort hinten nach zu werfen.

[170] Aus diesem Schreckenstraum ein wenig aufgerafft,

Sucht' ich nach mir, und fand, – an Leib' und See!' erschlafft,

Mein Selbst weit aus dem Kreis der Fröhlichen verschoben,

Als wäre zwischen mir und jeder Lebenskraft,

Schon alle Freundschaft aufgehoben.


Diese traurige Gestalt meiner selbst, die ich immer in einem Spiegel vor mir sah, jagte mich vom Tische auf, und sträubte mir das Haar noch, als ich athemlos mein Zimmer erreicht hatte. Zum Ueberfluß setzte die lang entwohnte Hitze eines beitzenden Rheinweins, von dem ich leider! ein Glas getrunken hatte, meine Einbildungskraft in Feuer und Flammen. In jedem Pulsschlage glaubte ich die Tritte des heran nahenden Todes zu hören, glaubte zu fühlen, wie sich schon ein Faden um den andern aus dem künstlichen Gebinde ablösete, an den hienieden meine Marionettenrolle geknüpft ist – verfiel darüber in den metaphysischen Unsinn – den unbrauchbarsten von allen – meinem eigenen Selbst bis auf die feine Endspitze nachzuschleichen, wo es sich für seine zwo Welten theilen würde – als etwas glücklicher Weise dazwischen trat, das mich nöthigte, mein großes Experiment zu verschieben – ein Dunst, der mehr werth ist, als die hellste Betrachtung, und in dessen Nebel ich immer Weisheit, Lebenskraft und Menschenwürde wieder fand, die ich oft in den aufgeklärtesten Versammlungen verlor: aber gütiger hatte er seit den Jahren meiner Kindheit nicht auf meinen Augenliedern geruht als dießmal, und der Gedanke: »Habe Muth zu leben, eile in die Arme der Natur zurück,« herrschte durch mein ganzes Wesen, als ich mit der Morgenröthe erwachte. –


Wie viele Schleifwege zu dem menschlichen Herzen stehn nicht dem Unmuthe offen! Er springt über Dämme und Hecken, und wirft alle Bollwerke über den Haufen; da hingegen die Freude mit ihrem bescheidenen Gefolge auf der gebahntesten Straße und überall anstößt, durch jedes Wer da? erschreckt, und, ach wie oft! schon durch einen Schatten verscheucht wird. Die frohen Empfindungen, die vergangene Nacht bei mir einkehrten, verweilten kaum noch die Stunde des Frühstücks über, und ehe ich mich versah,[171] waren sie schon über alle Berge. Mit so seltenen Gästen, die einen noch darzu unvermuthet überraschen, weiß man sich immer nicht recht zu benehmen. Ich erschrak, als ich mein Nest wieder so leer fand; die Alltagswirthschaft nahm ihren alten Gang, und ich weiß Dir nichts weiter zu sagen, als daß wohl noch nie so runzlichte Gesichter durch die Bergstraße gefahren sind, als ich und mein Mops diesen Abend mit nach Heidelberg brachten.

Laß Dir, wenn Du willst, die anmuthige Lage die ser Stadt von andern Reisenden vormalen. Ich hatte keinen Sinn für ihre Reize, und in dem Wirthshause, das mich aufnahm, ging es mir, wie es der Freude bei mir ging. Der Hausherr gefiel mir nicht – seine Zimmer waren staubicht – sein Bette war mir zu hart, und seine Sprache beleidigte meine Ohren. Ich träumte die ganze Nacht durch nur von dem glücklichen Morgen, wo ich diesen Ort verlassen würde; und diese Erwartung war bis zur Fieberbewegung gestiegen, als dieser Morgen erschien.

Wie viel oder wenig ich damit gewann, und ob es ein Kunstwort giebt, das alle die widrigen Gefühle ausdrückt, die mich nach Bruchsal begleiteten, mag ich jetzt nicht untersuchen. Genug, damals glaubte ich es aus dem Munde eines Arztes zu hören, der nicht weit von der Post, über den Kreis vieler Hülfsbedürftigen hervor ragte, denen er seine Wissenschaft und Erfahrung in gemeinnütziger Beredsamkeit Preis gab. Ich glaubte der Ueberzeugung, die er mir einflößte, daß die Krankheit, gegen die er eben sympathetische Tropfen feil bot, nach allen Theilen ihrer fürchterlichen Beschreibung, die meinige sei; und nun drängte ich mich durch meine Mitbrüder hindurch, pflanzte mich gerade vor seinen Thron, und sperrte, wie andere, das Maul auf. Das war auch ein ganz anderer Mann, als der Hausarzt des Römischen Kaisers, der mir gestern ein so mächtiges Schrecken einjagte.

Ein Zepter in der Hand, um das zwo Schlangen krochen,

Saß dieser Ehrenmann auf einem Thron von Knochen,

Wie das Symbol der Medicin.

Ich, hub er an, (was er zuvor gesprochen,

Erfuhr ich leider! nicht) ich komme von Berlin.

Den Zahn, den Ihr hier seht, hab' ich vor wenig Wochen –[172]

Friedrich dem Einzigen hab' ich ihn ausgebrochen,

Und gnadenvoll schenkt' Er mir ihn.

Bei Groß und Klein – Gott sey's gedankt! – gelitten, –

Hätt' ich nur Hände g'nug, – sucht man mich überall.

Seht, zum Beweis, wohin ein Mann von Sitten

Nicht dringen kann, hier das Original

Der Hornkluft, die ich einst in dem Escurial

Der schöne Io Karls des Dritten,2

(Sobald ich mich durch die gedrängte Zahl

Der Neider meines Glücks gestritten)

In drei Minuten ausgeschnitten.

Den Tag nach dieser Kur erhielt ich das Diplom,

Das Ihr hier gläzen seht, als Leibarzt und als Ritter.

Und so bewährte sich mein altes Axiom: –

Oft schwellt die Pfütze selbst zum Strom

In einem nächtlichen Gewitter:

Nicht immer geht die Kunst nach Brod.

Doch, daß wir nicht einander mißverstehen,

So hört: Ich bin mit Panaceen

Der neusten Art, mit Mitteln, seinem Tod,

So Gott will, aus dem Weg zu gehen –

Sagt nur, was Ihr bedürft – ich bin damit versehen.

Doch kaufet in der Zeit, so habt Ihr's in der Noth;

Kauft! denn das nächste Morgenroth

Sieht mein Panier in Straßburg wehen,

Wohin mich mein Patron, der Kardinal, entbot.


Spottet nicht, Ihr glücklichen Gesunden, über einen ehrlichen Semler, der in der Beängstigung seines Zwergfells, die er sich in den vielen Büchern erschrieben hat, die jetzt eure Bequemlichkeit nutzet, – spottet nicht über ihn, wenn er nach den Lufttropfen lechzet, die ihm eine vornehme Hand vorhält; lacht nicht über die armen Bedrängten, die einen Meßmer reich machen, und vergebt es auch meinem Scharfsinne, der unter der Husarenmaske dieses Arztes einen Gesandten Gottes entdeckte, der mir in meinen angstvollen Augenblicken zu Hülfe kam, mir für zwei armselige Goldstücke[173] eine Flasche seiner unbezahlbaren Tinktur verhandelte, und seine Adresse obendrein gab. Mit welchem Vertrauen verschluckte ich den ersten Löffel davon, den er mir aus herablassender Güte mit eigenen Händen eintropfte! »Sie werden in einen ruhigen Schlaf fallen,« sagte der liebe Mann: »lassen Sie aber ja Ihren Bedienten Acht haben, daß Sie nichts in der Wirkung meines Hülfsmittels störe.« ––

Jener große König von Frankreich – sein Name fällt mir nicht bei – dem sein Beichtvater, vor Notarius und Zeugen und mit Verpfändung seiner eigenen Seligkeit, schriftlich versprechen mußte, ihm durch seine Tausendkünste in den Schoos Abrahams zu verhelfen, konnte nicht mit so vieler Zuversicht aus der Welt gehen, als ich, nach dem Genusse der sympathetischen Tropfen, meinen Weg fortsetzte. Und siehe, es geschah mir, was der große Mann verhieß! Ich verfiel zur bestimmten Zeit in einen wahren Zauberschlaf. Für ein doppeltes Trinkgeld hatte mir der Postillon angelobt, weder sein Horn noch seine Peitsche zu brauchen. Die Pferde schienen so ganz die glückliche fühlen, die ihnen heute, wahrscheinlich zum erstenmale, zu Theil ward – krochen wie die Schnecken über den Sand – und ich und mein Mops schnarchten um die Wette.

Wie soll ich Dir aber jetzt meinen Verdruß beschreiben, als ich nach einem vierstündigen Schlummer, so ganz wider das Verbot meines Arztes, von einem ungestümen Reisenden aufgeschreckt wurde, der mit seiner Chaise gerade vor der meinigen hielt, und auch meinem Führer zu halten befahl. »Darf ich fragen, mein Herr,« schlug mir seine Stimme an die Ohren, »wohin Ihre Route geht?« Ich fuhr zitternd in die Höhe, rieb mir die Augen und stotterte, wie ein Schleichhändler vor einer preußischen Schildwache: »Nach der Provence, mein Herr.« – »Aber für jetzt?« unterbrach er mich – »doch wohl nach Carlsruh?« – Ich bejahte es mit einem höchst verdrüßlichen Kopfnicken, da mir der Aufruhr gar nicht gefiel, den seine Zudringlichkeit verursachte. – »So haben Sie wohl die Güte,« fuhr er fort, »da Sie einen Sitz frei haben« – zum erstenmale sprang hier mein geduckter Reisegefährte auf,[174] und bellte ihn an, als ob er ihn verstanden hätte – »ein armes ermüdetes Mädchen« – (indem stieg so etwas aus dem Wagen) »bis dahin zu ihrer Mutter mitzunehmen. Denken Sie nur, mein Herr, das arme Kind hatte sich diese Nacht im Walde verirrt. Ich war glücklich genug, auf sie zu treffen und sie zu retten – doch erlauben mir meine Geschäfte keinen weitern Umweg.«

Eine solche Zumuthung an einen eigensinnigen Kranken, der noch dazu in seinem theuer bezahlten Schlafe gestört wird, konnte unmöglich ihr Glück machen. Ueberdieß glaubte ich, so schlaftrunken ich war, aus der Lage ihres seidenen Mantels zu bemerken, daß sie wohl länger als vergangene Nacht ihrer Mutter aus dem Gesichte gekommen seyn müsse. Sie schlug ganz artig beschämt ihre Augen vor den peinlichen Fragen der meinigen nieder, und lauerte in ängstlicher Erwartung auf meinen Entschluß. Wie viel traf nicht zusammen, mein Herz gegen die arme Verirrte zu verschließen! Ich räusperte mich, und als ich meiner Stimme gewiß war, sagte ich ihr mit deutlichen Worten: »Aus diesem Vorschlage, mein liebes Kind, wird nichts.«


»Bist Du, von Deiner Mutter fern,

In jenen Stunden nicht verschmachtet,

Die Du mit einem jungen Herrn

In einem Walde übernachtet,

So werde Dir, im Uebergang

Zur Mutter, auch die Zeit nicht lang!

Geh, geh, der Himmel wird Dir helfen

Kraft Deines freundlichen Gesichts:

Und wimmelte der Weg von Wölfen

So wackern Jungfern thun sie nichts.«


Ich legte auf die letzten Worte einen solchen Nachdruck, und begleitete sie mit einem so bedeutenden Blicke, daß sie mir sogleich aus dem Wege trat. Der Fremde selbst erwiederte keine Sylbe auf meine abschlägige Antwort, setzte sich, ohne sich weiter um seine Pflegetochter zu bekümmern, in seinem Wagen zurechte, zog seinen Hut gegen mich und rollte davon. – Toll und böse über eine so ungelegene Erscheinung, und voller Angst über die möglichen schlimmen Folgen meines Erwachens, hob ich nun den Befehl auf, der[175] meinem Führer bis jetzt die Hände band. – Sein Horn schmetterte nun desto volltönender – seine Peitsche wüthete jetzt nach langer Untätigkeit desto heftiger, das geträumte Glück der armen Pferde war verschwunden, und ich gewann dadurch so viel, daß ich mein grämliches Gesicht wenigstens eine Stunde früher nach Carlsruh brachte, als vermutlich die freundliche Schöne das ihrige.


Sie werden doch wohl nur diese Nacht hier bleiben? sagte mir der Wirth zum Erbprinzen, als ich ausstieg. – Gewaltig neugierig! dachte ich, ohne ihm zu antworten. Er wies mir ein Zimmer an, und versuchte es noch einmal, mich zur Sprache zu bringen. – »Nach Hofe, denke ich, werden Sie wohl nicht gehen, so wenig als ...« »Und woher vermuthen Sie das, Herr Wirth?« fuhr ich auf, als hätte er mir eine Grobheit gesagt. – Der Mann erschrak. »Ich schließe es,« stotterte er, ... »doch bitte ich um Verzeihung, aus Ihrer Physiognomie.« – »Zum Henker!« fluchte ich, stampfte mit dem Fuße, und schleuderte meine Pelzmütze auf den Tisch: – »Ist diese Alfanzerei auch schon bis in die kleinen Gasthöfe gedrungen?«

Der ehrliche Wirth, ganz betroffen über meine Lebhaftigkeit, erröthete bis über die Ohren, suchte einen noch sanfteren Ton seiner Stimme, indeß er die Vorhänge an den Fenstern aufzog, und da er ihn gefunden hatte, kehrte er sich wieder freundlich zu mir: – »Vergeben Sie mir meine Voreiligkeit; aber, mein werthester Herr! Sie wissen vielleicht nicht, daß sich unser Hof vor allen andern durch seine zufriedenen Gesichter auszeichnet. – Nun kann ich mich zwar irren; doch war es mir, als trügen Sie so etwas auf Ihrer Stirne, das unser Eins Verdruß zu nennen pflegt – und da dachte ich wieder: Das Gesicht dieses Herrn paßt schwerlich zu unserm Hofe, so wenig als unser Hof zu seinem Gesichte; hatte also keine andere Absicht bei meiner Frage, als mich darauf zu schicken, Sie in meinem Hause gehörig zu ...«

»Gut, gut,« fiel ich ihm in die Rede – »wenn es nur ein Uebergang zu dem Lobe Ihres Fürsten war, so habe ich nichts darwider. Auch ich schätze ihn wegen seiner wohlthätigen Neigungen,[176] und vergebe Ihnen, der guten Absicht wegen, die Kritik über mein Gesicht. Ein Kranker, wie ich, drängt sich freilich nicht in die Zimmer und Vorzimmer der Fürsten; das ist nur die Schwachheit der Gesunden, die etwas vertragen können. Vor der Hand habe ich nichts nöthig, was an die Großen erinnern kann, als einen Bouillon à la Reine, und ein gutes Bette.« –

»Beides sollen Sie auf der Stelle haben,« sagte der ehrliche Mann, und hielt Wort. –

Solltest Du einmal nach Carlsruh kommen, so empfehle ich Dir sein Wirthshaus. Es war wirklich keine Prahlerei, daß er seine Gäste studierte; er richtete sich genau nach allen kleinen Begehrlichkeiten meines Eigensinns. – Ich hatte eine recht leidliche Nacht unter seinem Dache, und den andern Morgen waren die Pferde pünktlich vor meinen Wagen gespannt.


Ungeachtet der späten Jahreszeit schenkte mir der Himmel auch einen hellen Tag; was mich aber mehr noch aufheiterte, als dieser, es war ein wohlgebautes freundliches Land, das ich durchreiste. Meine kranken Augen schienen erfrischt zu werden, so oft ich einen Blick aus dem Wagen warf, und überzeugten mich, daß der Regent dieses Fürstenthums ein rechtschaffener Mann seyn müsse: denn nur unter einem solchen sieht man die Natur so aufgeräumt, Dörfer und Städte so volkreich und lachend, die Jugend so rothwangig, und das Alter so muthig. Der Einfluß eines würdigen Landesherrn auf die sittliche Verbesserung seiner Unterthanen ist hier so sichtbar als rührend. – Wider einen solchen Regenten kann ein Wohldenkender nichts einwenden, wenn er auch so krank wie Heraklit und eben so fürstenscheu wäre, wie er.


Ich gönn' ihm seinen Hang für freundliche Gesichter,

Da er so ernst für seine Staaten sorgt;

Ob er schon seinen Ernst nicht von dem Höllenrichter,

Noch Fürstenstolz von seinem Nachbar borgt.

Nein! freundlich herrschet Er in seinem Wirkungskreise

Als Vater eines Volks, das seinen Wink versteht,

Und gern, von Ihm geführt, von Fröhlichkeit zum Fleiße

Gestärkter Tugend übergeht.[177]

Auch pflanzte die Natur von wahrem Fürstenruhme

Ein Vorbild, schmeichelhaft, zuerst auf sein Gebiet.

Kein Fünkchen, das dem Kelch der Anemon' entsprüht,

Verfliegt ihr ungenutzt. Es impft der Wiesenblume

Den Schmuck ein, der im Schoos der edeln Mutter glüht,

Ihr Einfluß wuchert fort. Der erste Sproß erzieht

Noch manchen, der vielleicht in Florens Heiligthume

Der Nachwelt, die den Fehl der Abkunft übersieht,

Mit Ahnenstolz entgegen blüht.


So kettete sich an den Gedanken seines wohl verdienten Lobes die Erinnerung an den merkwürdigen Mann in seinen Diensten, den großen Botaniker Köhlreuter, der, wie sein Fürst im moralischen Sinne, das Geheimniß der Natur in dem physischen entdeckt hat, geringe Arten von Blumen durch den Abstaub einer edeln zu verbessern, und, wie es ihm oft gelingt, eine Karthäuser – in eine Purpurnelke zu verwandeln.


Kein Deutscher kann wohl aus dem badenschen in das französische Gebiet treten, ohne eine gewisse Achtung für sein Vaterland mit hinüber zu nehmen, ob er gleich klug handeln wird, wenn er diese frohe Empfindung nicht weniger zu verbergen sucht, als jede andere kontrebande Waare, deren er sich etwa bewußt ist. Ich schärfte mir diese Vorsicht ein, sobald mir auf der letzten Poststation zu Kehl vier Rappen vorgespannt wurden, aus denen dieselbe Empfindung zu wiehern schien.

Dieser kleine Ort steht diesseits und jenseits des Rheins in einem etwas zweideutigen Rufe, der ihm übrigens gleich einer hübschen Dirne, ohne daß die Liebhaber sich durch ihr bescheidenes unschuldiges Gesicht irre machen lassen, vortrefflich zu seinem Gewerbe dient.


An diesem Gränzort zweier Reiche lauschet

Der Contreband, und wälzt den wuchernden Gewinn

Verbotnen Tands, den es von Einem tauschet,

Für gleichen Tand dem Andern hin.

Auch siedelte sich jüngst in diesem Freiheitshafen

Ein zweiter Caron an.3 Mit gleicher Sicherheit,[178]

Als jener, der am Styx so lange her den braven

Piloten macht, führt sein, durch hundert Rudersklaven

Bemannter Kahn, den Proteus unsrer Zeit,4

Wie eben der Gestalt, in der er ihm sich beut,

Gebührt, hinüber jetzt in das Gebiet der Strafen,

Um auf den Mohn, den Freron ausgestreut,

Den Rausch, der beide hier entzweit,

Am Lethe selbst, nicht zu verschlafen; –

Hinüber jetzt in's Thal, wo der Unsterblichkeit

Gesalbtes Priesterchor sich seiner Ankunft freut,

Und Lucian von hundert frommen Schafen

Ihm eine Hekatombe weiht.


Du kennst den Passagier! Des aufgeklärten Spottes

Vertrautesten, der nimmer sich

Zu gleichen schien, und immer glich.

Wenn er mit dem Gesang des Gottes

Der Musen Höh' und Thal durchstrich,

Die Geißel Rousseau's und – Nonottes,

Den großen Freund des größern Friederich.

Du kennst den Mächtigen, der des Tyrannen Riegel,

Der Unschuld Fesselband zerschlug,

Und den Geretteten auf eines Seraphs Flügel

Sanft in den Schoos des Mitleids trug;

Der oft die Quellen meines Kummers,

Eh' es die Zeit noch that, besiegt,

Und, wie der Genius des Schlummers,

Oft meine Schmerzen eingewiegt!

Mit dem ich oft beim stillen Scheine

Der Lampe Nächte durchgewacht,

Und dessen Leben mir das meine

Erst wünschenswerth und froh gemacht.


Doch kennst auch Du den wandelbaren,

Zweizüngigen, entnervten Mann,

Deß freche Stirne den Gefahren

Der dem Vertrieb verfälschter Waaren

Bestimmten Strafe kaum entrann;

Den, der mit der geweihten Leier,

Die er zu Heinrichs Lob empfing,[179]

Um niedern Lohn gemeiner Schreier

Oft zu der frechen Mittagsfeier

Namloser Sklaven überging;

Der nie zufriedener, nie weiser,

Die Blumen Anderer, mit heiser

Giftathmender Begier, verdarb;

Der selbst im Schutz der tausend Lorberreiser,

Die ihm sein Genius erwarb,

Nur nicht besucht von unserm Kaiser,

Am Spleen gekränkter Ehre starb?


Der Gedanke, den ich an diesen großen Geist, den das merkantilische Genie eines Beaumarchais aus diesen Scheideweg von Deutschland und Frankreich gebannt hat, im Vorbeifahren bei den weitläuftigen Werkstätten mit mir nahm, die hier den Umtrieb seiner Schriften eben so mechanisch befördern, als es ihr Inhalt auf eine geistige Art thut; – dieser Gedanke war wirklich für die kürzeste unter allen Stationen zu reichhaltig: denn man könnte sich mit dem Stoff, den das Leben dieses wundernswürdigen Sterblichen darbietet, auf einer Reise um die Welt beschäftigen, ohne ihn zu erschöpfen. Mein Geist stand eben vor ihm, um seine Größe zu messen, wie ein Zwerg vor einem Koloß, als ich auf die unangenehmste Art genöthigt wurde, dem Blicke meines Erstaunens eine andere Richtung zu geben, um ihn mit Verachtung auf die elendesten unter allen Geschäftsträgern des Königs zu werfen, die an der Barriere von Straßburg meine Ankunft erwarteten. Der Postillon schien so wenig an sie zu denken als ich; aber ein aus den zehn Hälsen dieser Lotterbuben gestoßenes Schimpfwort, das hinter ihm drein flog, hemmte auf einmal den deutschen Trapp, mit dem er eben bei ihnen vorbei fahren wollte.


Schnell sprangen die Knechte

Der schimpflichen Rechte

Des Schlagbaums hervor;

»Schelm!« schrie'n sie: »Gehalten!«

Und »Schelm« wiederschallten

Die Riegel am Thor. –


Nun lauscht' ich, der Dinge

Erwartend, im Ringe[180]

Des Lumpengerichts.

»Was soll ich von Ihren – – –«

Fragt' einer, »plombiren?«

»Was geben Sie?« – Nichts!


»Nichts!« fuhr aus den Ecken

Des Wagens zum Schrecken

Der Nymphen am Rhein.

»Nichts?« bellten die Glieder

Des Zollamtes wieder:

»Schließt keinen Verein!«


Gott sah nun durchsuchen,

Betasten, befluchen

Mein armes Gepäck:

Nicht gieriger graben

Die Ratten und Raben

Nach duftendem Speck.


Doch da die Gesandten

Des Hungers nichts fanden,

Erhub sich ihr Scherz:

»Herr! Zollfrei passieret

Der Spleen – Er verlieret

In jedem Kommerz.« –


So rechnen Verdammte,

Versetzt' ich, und flammte

Und wünschte sie zum – – –

Und fuhr, zwar vom Zolle

Erlös't, doch im Grolle

Den Schlagbaum herum.


Freilich, freilich, lieber Freund! eine kleine Bestechung hätte manches unter uns vermitteln können, wäre nur meine Laune nicht zu verstimmt gewesen. Lieber ließ ich den Postknecht über den langen Verzug fluchen, die Pferde toben, meine Wäsche und Kleider unter einander werfen, mein Glaubersalz verzetteln, ja sogar meine Tinktur aus Bruchsal gegen den Tag halten, den sie doch nichts weniger als vertragen konnte, ehe ich mich überwand, diesen Bettlern, die mich so ungestüm in meiner Andacht gestört hatten, ein Allmosen zuzuwerfen.

Dafür fühlte ich aber auch meine Galle über und über ergössen,[181] als ich in dein Hotel anlangte, das man mir zu Carlsruh empfahl. Mein Eigensinn (warum sollte ich das Kind nicht bei seinem rechten Namen nennen?) hätte nach der billigsten Moral einen tüchtigen Verweis verdient. – Ich hatte aber dießmal nicht nöthig, mir selbst diese Mühe zu geben – die Belehrung, die ich eben brauchte, war mir näher, als ich vermuthen konnte. –

»Mein Gott!« sagte ich mit Bitterkeit zu dem Wirthe: »das soll der beste Gasthof der Stadt seyn?« und schlenderte, als er mich in mein Zimmer führte, mit solchem Groll und Mißtrauen hinter ihm her, als stände der gute Mann mit meinem politischen Rechenmeister am Thore in den engsten Verhältnissen. Das Zimmer war wenigstens um zehn Theile geräumiger, als mein Wagenkasten, den ich eben verließ; und doch erklärte ich dem Wirth ohne Umschweife, daß ich in einem so engen Behälter nicht dauern könnte, daß ich meine Suppe in dem größten Speisesaale essen wollte, der im Hause sei, und ließ mich dahin führen.

Ich hoffte daselbst allein zu seyn; denn der Mittag, der nur Hungrige hier versammelt, und den ich leider ohne Hunger so schändlich in der Gesellschaft der Zöllner verlebte, war nun vorüber: aber ich fand noch zwei reisende Freunde, die vertraulich in der Wölbung eines Fensters saßen, und sich durch meinen Eintritt in dem Fortgange ihres Gesprächs nicht stören ließen. Ich wollte meine Suppe in Ruhe essen – Aber wenn sich zwo Seelen neben Dir ergießen, läßt sich da wohl ein Bissen ruhig in den Mund bringen? Sie zogen meine ganze Aufmerksamkeit auf sich, und waren es gleich nur Bruchstücke, die sie mir zu gute gaben, so waren sie doch mehr als hinlänglich für mein gegenwärtiges Bedürfniß.


Der Zänker mit sich selbst, der zum Skelet sich denket,

Manch Traumbuch über sich befragt,

Unschlüssig was er wünscht, unwissend wag ihn kränket,

Und ungewiß was ihm behagt –

Der suche Menschen auf! In ihrem Kreis verschlungen

Hat oft ein fliegend Wort, das im Tumult der Zungen

Geich einem Blitz vorüber fährt,

Des Herzens Labyrinth durchdrungen,

Und seine Tiefen aufgeklärt.
[182]

»Wie dauern mich,« fuhr der eine fort, »die sechs Monate von meinem Leben, die ich an diesem Fürstenhofe in einer Ehrenstelle verloren habe, wo keine Ehre zu ernten war! Die Seele eines Jünglings zu bewachen, in der nichts, weder ein- noch ausgeht, ist das mißlichste Handwerk für einen denkenden Menschen – eine geistige Schildwache in dem leeren Raume. – Wie habe ich alle meine Sehkraft aufgeboten, um nur einen vorüber gehenden Schatten zu entdecken, der mir das Daseyn irgend einer wirklichen Größe verrathen könnte! – Aber umsonst. Ich übernahm mein Gewehr von einem, der gähnend davon schlich, ich übergab es gähnend einem Dritten – und wir alle verlassen den Posten, ohne Freund oder Feind gesehen zu haben. – O! des unglücklichen Jünglings! Zu schwer liegt die Stunde seiner Erzeugung auf ihm! Keine Pflege kann das Samenkorn aufrichten, das einmal unter dem tödtenden Einflusse widriger Witterung ausgestreut wurde; und ein menschenfeindlicher Vater erzeugt sich gewiß eine taube Hülse in seinem Sohne.«

Seinem Freunde kam diese Schlußfolge so dunkel und sonderbar vor, als mir.– Er erbat sich eine nähere Erläuterung seines abgebrochenen Satzes: und nun stellte der philosophische Fremde das Gemälde eines milzsüchtigen Fürsten auf, dem nicht geschmeichelt war, das mich auf eine ungewöhnliche Art erschütterte, und in welchem Züge vorkamen ... Doch Du magst selbst urtheilen, welche es waren, die mir Herzklopfen erregten, und mir das Blut in das Gesicht trieben.

»Wie kann der,« fuhr der Maler fort, »Urheber eines markigen und in sich glücklichen Menschen – eines Pitt – eines Washington, eines Haller, eines Friedrich werden, dessen Herz keine von den Neigungen nährt, die den Saft des Lebens, den jeder seiner Pulsschläge ausströmt, läutern und versüßen? Ein so murrsinniger Mann, wie der Vater meines Zöglings, ist in der moralischen Welt, was ein Gichtbrüchiger in der physischen ist – für das Wohl des Ganzen untauglich zur Fortpflanzung«. Der eine betrügt die Nachwelt mit lahmen Körpern, der andere mit Krüppeln an, Geist. – Glaube es meiner Erfahrung, Freund: dieser Schnupfen[183] der Seele, den man viel zu gelinde üble Laune nennt, verbreitet sich über alles, was der Angesteckte berührt, begleitet ihn zu seinen Geschäften, hinkt neben ihm auf seinen Spaziergängen, und verlöscht die lauterste Flamme der geheiligten Liebe in seinen ehelichen Umarmungen. – Die es gut mit der Menschheit meinen, sollten diese schleichende, jetzt so sehr um sich greifende Krankheit mit aller Macht der Moral und Erziehung aus der Welt zu bannen suchen, wie die Aerzte die Blattern – denn es giebt keine, die den Kränkelt unglücklicher erlacht, und der allgemeinen Freude nachtheiliger und fortwirkender auf die Nachkommenschaft wäre, als diese.


»Mein wahres Mitleid jedem Erdensohne,

Er trage eine Königskrone,

Er schleich' an einem Hirtenstab,

Den ein erzürnter Gott, zur Strafe

Hier, seines Hofs – dort, seiner Schafe,

Der Laune Dämon übergab!

Ihn lockt der Mara Lied, ihn lockt der Lerche Kehle

Umsonst; er überhört die Kunst und die Natur:

Im Krampfe seiner kranken Seele

Hört er auf ihr Gewinsel nur.

Die Laune schleicht dem Bettler in die Hütte,

Dem Fürsten in sein Staatsgemach,

Schleicht uns sogar mit abgemessnem Schritte

Zu Hymens stillem Glücksspiel nach,

Wo, selbst beim Anspruch auf die beste Nummer,

Dem Mürrischen nur eine Niete fällt,

Die das Gepräg von seinem Stundenkummer

Oft Enkeln noch vor Augen stellt.

Wenn Heinrich in dem Arm der schönen Gabriele

Nach einer edeln That der Liebe Lohn empfäht,

Wer zweifelt, daß nicht da die Farbe semer Seele

Auf einen Bastard übergeht;

Indeß der Erbe seiner Krone

Nicht ihm, nur seinem Mißmuth gleicht,

Mit welchem er zur königlichen Frohne

In's Bette der Infantin schleicht.«


»O! wie hat meine freie Schweizerseele mit dem Gegendrucke des Murrsinns dieses unglücklichen Fürsten gekämpft! Wie gerne hätte ich oft in der Beklemmung meines Herzens einen Tag meines[184] dortigen Lebens nur um einen Athemzug auf unsern Alpen gegeben, um jene stärkende Luft, die die Brust erweitert und zu edeln Thaten fest macht! Wie werde ich mich deiner wieder freuen, gesunde, unverdorbene Natur! Mit welchem Bedacht werde ich jetzt die Süßigkeit Einer Stunde einschlürfen, um jene verlornen Tage wieder einzubringen! Mein kleines Feld mit dem Amphitheater jener Gebirge umringt, die durch freien Genuß auch mir gehören werden! – Mein freundlicher Bach! – Meine Büschchen! und ihr, ihr Bewohner friedlicher Hütten! – Welch ein Schlag von Menschen gegen jene, die ich jetzt hinter mir sehe! Doch Freund, laß uns gehen, es ist angespannt.«


Da der Mann, ich wußte selbst nicht wie, mein Herz in seine Hände bekommen hatte, – da meine Gedanken jetzt mit ihm auf seinen Gebirgen, seinen Wiesen und unter den Horden seiner frohen Naturmenschen herum irrten, und das Gemälde eines bald ganz Glücklichen – eines von einem traurigen Hofe Geretteten meine Seele sympathetisch an sich zog: so erschreckte mich sein Aufbruch wie ein Donnerschlag, der uns aus süßen Träumen, aus der Vergessenheit unsers leidenden Daseyns erweckt. – Ich stand auf, machte eine unwillkührliche Bewegung nach ihm zu, als wenn ich ihn bitten wollte, mich nicht zu verlassen – und als er an der Hand seines Freundes aus dem Zimmer verschwand, als sein Wagen davon rollte – Gott wie ward mir zu Muthe! Die Blicke seiner empörten Menschenliebe – das schwarze Bild des Fürstell schwebten mir lange noch vor den Augen. – Sinnreich eignete sich mein Gefühl einige entfernte Aehnlichkeiten seiner Krankheit mit der meinigen zu, und dieser unholde Gedanke demüthigte mich so sehr, daß ich, kleinmüthig und schwach, mich in meinen Lehnstuhl zurück warf, und um ein gutes Wort würde geweint haben. –

Als bald nachher der Wirth herein trat, suchte ich die freundlichsten Mienen hervor, die mir zu Gebote stehn wollten. – »Seine Suppe,« sagte ich, »hätte mich recht gelabt.« – Ich bat ihn, meinem Bedienten eine Flasche seines besten Weins zu geben, da ich selbst keinen trinken dürfe, und ich bat ihn auch, für meinen guten Mops[185] zu sorgen. – »Wenn ich wieder zurück komme, lieber Herr Wirth,« sagte ich zu ihm mit schmeichelnder Stimme, und legte meine Hand dabei vertraulich auf seine Schulter, »so will ich gewiß mehrere Tage in dieser schönen Stadt verweilen, und in keinem andern Hotel absteigen, als in dem Ihrigen.« – Mit Einem Worte, ich ging nicht eher in mein heimliches artiges Stübchen, wie ich es jetzt nannte, als bis ich hoffen durfte, den widrigen Ein druck meines unfreundlichen Bezeigens wieder gut gemacht zu haben. – Die Strafpredigt des Fremden über die unerkannte Sünde der übeln Laune hatte mich so gerührt, daß wenig fehlte, so hätte ich mich für schuldig gehalten, den Einnehmern am Thore das Trinkgeld zu vergüten, das ihnen meine Hartherzigkeit entzog.

So bald ich mich aber allein sah, verfiel ich erst in die ausschweifendsten Betrachtungen über das Uebel, das jetzt in den höhern Ständen so viele Verwüstungen anrichtet – über den Krebsschaden der übeln Laune. Da ich zu ehrlich war, mich ganz davon frei zu sprechen, so dankte ich nur Gott, daß ich nicht Beherrscher eines Landes – und dankte Gott, daß ich noch ohne Gattin und nicht in naher Gefahr wäre, meinen Nachkommen zu schaden. Wer weiß, wohin mich noch der Schweizer und sein System würde gebracht haben, da ich schon anfing, Findel- und Waisenhäuser als Magazine menschlicher Würde und vorzüglicher Genie's anzusehen, da alle groß gewordene Bastarde, Erasmus, la Chapelle und d'Alembert an der Spitze des Marschalls von Sachsen sich zur Vertheidigung meines Grundsatzes in Reihe und Gliedern um mich herstellten, da ich die arme und unschuldige Generation zu beklagen begann, die, wie ich, den Vorzug ehelicher Geburt so theuer mit Mangel an Kraft und Freude bezahlen müsse, – wenn mir nicht zum Glück mein dienstfertiger versöhnter Wirth zu Hülfe gekommen wäre!

Er trat herein, um sich zu erkundigen, ob ich nicht dem Koncerte eines Virtuosen beiwohnen möchte, der diesen Abend in dem untern Saale viele Liebhaber herbei ziehen würde? Nun war meine erste Antwort so abschlägig, als mir der Gedanke an Musik und Gesellschaft zuwider war. – »Er spielt die Laute,« fuhr der[186] Wirth fort, »und wie man sagt, zum Entzücken.« – Die Laute! Wenn sie der Mann mit Gefühl zu spielen versteht, dachte ich, – die Laute könnte vielleicht noch am ersten mit der Stimmung des deinigen zusammen treffen; und ohne längeres Besinnen widerrief ich meinen Entschluß, und machte mir ein Kompliment über die fortdauernde Besserung meines Humors.

Ich stieg zur gesetzten Stunde in den Saal, fand ihn aber zu voll und zu erleuchtet, und versteckte mich hinter einige noch unbesetzte Stühle, die sich aber bald nachher eine Gesellschaft junger Damen unter dem gewöhnlichen Geräusche ihrer seidenen Stoffe und geläufigen Zungen zueignete; und deren Nachbarschaft, ich kann es wohl sagen, ich in meiner ruhigen Lage gern entbehrt hätte. – Und doch, o wie viel hatte ich nicht ihrer schwatzhaften Vertraulichkeit zu danken! – »Wird er wohl länger hier bleiben?« – »Fürchten Sie nicht, daß ihn der Kaiser oder unser König einladen wird?« – »Wie oft sind Sie bei ihm gewesen?« – »Wollen wir ihn nicht morgen früh besuchen?« – So drängte eine Frage die andere, ohne daß eine Antwort dazwischen Raum fand. – Von was für einem seltenen Manne, dachte ich, müssen sie doch wohl sprechen? – Ich schärfte mein Ohr, um das Räthsel zu begreifen, wie das Lob so vieler Schönen von einem gemeinschaftlichen Lieblinge so einstimmig seyn könne!


Die Eine schrie: »die feine Lebensart«

Die Andre schrie: »das freundliche Gesicht«

Die Dritte schrie: »und den Prophetenbart«

Und alle schrien: »hat ein Betrüger nicht. –«

»Ein Mann,« erklärte die, »der, ohne auszuruhn,«

Und jenee fiel ihr ein – »so fremde Wege geht,« –

»Der,« – rief der ganze Zirkel nun:

»Ist wirklich ein Prophet! –«


Oho! dachte ich – Ist hier die Rede von einem Propheten? Das hätte ich armer unwissender Berliner mir freilich nicht träumen lassen. Ich horchte gewaltig.


»Wer,« fuhr noch Eine fort, »hat diesen Wundermann

Die seltne Kunst gelehrt,

Daß da, wohin kein Ohr, kein Auge dringen kann,

Er deutlich sieht und hört?«[187]

»Ein Mann,« schrie nun das Chor, »der jede Weiberlist,«

»Den stillsten Mädchenwunsch versteht,«

»Der ist« – – – »ja!« rief auch ich – – – »der ist«

»Noch mehr als ein Prophet!«


Dieser Ausruf, der mir beinahe unwillkührlich entfuhr, verursachte, daß ein Dutzend der artigsten Gesichter sich herum drehten, und auf das harmvollste und blasseste im ganzen Saale mitleidig hinblickten.

»Sie sind gewiß krank, mein Herr?« fragte mich die Nächste mit theilnehmender Güte, und die ernstliche Freundlichkeit auf den Gesichtern der andern bestätigte mich in dem großen Begriffe, den ich von jeher von diesem Geschlechte gefaßt habe, daß kein Leidender ihm gleichgültig sei. –

»Ja wohl, meine schönen Damen,« antwortete ich, »ich bin sehr krankund mache eben eine Reise, um meine Gesundheit wieder zu suchen.«

»So wünschen wir Ihnen,« riefen sie mit Einer Stimme – »von Herzen Glück, daß Sie jetzt Ihrer Genesung so nahe sind.«

»Jetzt?« wiederholte ich erstaunt, und sah rund umher einer um der andern in die glänzenden Augen – »Ach! meine gütigen Damen, ich Armer bin zu gedemüthigt, um eines so beißenden Epigramms werth zu seyn.«

»Warum das?« fuhren sie lächelnd und lebhaft fort, da sie mein Mißverständniß merkten – »Haben Sie nur Zutrauen: – er wird Sie gewiß in weniger Zeit so ganz wieder herstellen, daß Sie über alle Epigramme erhaben seyn werden.«

»Um des Himmels willen!« unterbrach ich den Ausfluß ihrer Weissagungen, »von welchem wohlthätigen Wesen sprechen Sie denn?«

»Von welchem?« – fragten die schönen Kinder auf ihrer Seite mit vieler Verwunderung: »Sicher von keinem andern, als von dem großen Propheten, in dessen Lob Sie ja selbst eingestimmt haben – von dem Manne, der uns von Gott zugesandt ist, und hier seit ein paar Monaten recht apostolische Wunder thut.«

Starr sah ich die schönen Schwätzerinnen nach der Reihe an[188] – und schwieg – weil ich nichts klügeres zu thun wußte: doch das kümmerte sie auch nicht. – Sie schienen mir es Dank zu wissen, daß sie mich belehren konnten, und freuten sich über mein Erstaunen. »Er wird sich,« nahm eine der andern das Wort aus dem Munde, – »mit Ihnen in Rapport setzen – wird Sie durch und durch schauen – wird Ihre geheimsten Gedanken, Ihr Vergangenes und Zukünftiges, die verstecktesten Abweichungen von dem Wahren und Guten – in Ihrem Körper wie in Ihrer Seele, wird er entdecken – alle Ihre Zweifel wird er heben, und was Ihnen jemals dunkel war, Ihnen erklären.«

»Das sollte mir,« rief ich mit Enthusiasmus aus, »für mich und meine Berliner Freunde sehr lieb seyn.«

»Er desorganisirt die Nerven, die zu gespannt sind.«

»Das ist mein Fall nicht,« antwortete ich mit schwacher Stimme.

»Er exaltirt die Köpfe, die Mangel an Kraft fühlen.«

»Ach Gott,« versetzte ich, »wenn er das könnte!«

»Zweifeln Sie keinen Augenblick daran,« – antwortete mir das jüngste und artigste dieser holden Geschöpfe, zog dabei ein Portefeuille aus der Tasche, auf welchem die mit Lorbeer umgebene Silhouette dieses großen Nothhelfers gemalt war, zeigte mir sie mit funkelnden Augen, und überreichte mir eine Karte mit seiner Adresse. –

Zugleich fing der Lautenist sein Spiel an, und das Dutzend schöner Köpfchen drehte sich wieder zurechte. Auch ich wollte Achtung geben, – aber vergebens! – ich konnte mein Gehör nicht finden. – Das sonderbare Gespräch mit meinen Nachbarinnen hatte mein Gemüth in einen Strudel gegenseitiger Bewegung geworfen, der alles von der Oberfläche verschlang. Die widersprechendsten Gedanken durchkreuzten sich; und da ich kein besseres Mittel vor mir sah, um mir Luft zu schaffen, so erhob ich mich in der Stille von meinem Sitze, und schlüpfte zum Saal hinaus, ohne mich weiter um die sympathisirenden Töne des Lautenisten zu bekümmern.

Ich rief den Wirth theilte ihm mein Gespräch mit, und glaubte ihm etwas sehr Sonderbares zu erzählen. – Weit gefehlt![189] – Er verwunderte sich vielmehr über mein eigenes Erstaunen. – »Sind Sie denn nicht dieser Kur wegen hier?« fragte er mit großen Augen. – Ich schüttelte den Kopf, und gestand ihm unverholen, daß ich, außer eben in seinem Koncertsaale, noch kein Wort von diesem Wunder gehört hätte. – »Sie haben noch nichts davon gehört, sagen Sie? Unmöglich! Wo waren Sie denn unterdessen, mein Herr? – Ei mein Gott! wie krank und abgezogen von der Welt müssen Sie gewesen seyn! Wie sonderbar! Gab es je eine Zeit, wo es dem Menschen leicht ward, sich seiner Leibes- und Seelenübel zu entledigen, so ist es die unsrige. Sie lebten darin, und doch, wie ich Ihnen ansehe, waren Sie auf dem Punkt, wie ein blinder Heide aus der Welt zu gehen, ohne von diesen neuen Offenbarungen. Gottes eine Sylbe zu erfahren. – Nun, es ist noch nichts verloren. Danken Sie Ihrem Glücke, daß Sie hier sind! Welchen von unsern Wunderthätern wollen Sie denn gebrauchen?« –

»Wie meinen Sie das, Herr Wirth? Giebt es denn mehr als Einen hier?«

Statt der Antwort, die er vor Lachen nicht hervor bringen konnte, streckte er mir seine zehn Finger entgegen. Denke wie ich erschrak! Ich zog aus meiner Westentasche in der Angst die Adresse, die ich von der Güte des jungen Frauenzimmers erhielt.

»Der ist,« rief er aus, sobald er einen Blick darauf warf, »der ist der Rechte! Dieser hat eigne Kraft in sich selbst: die andern müssen die ihrige erst aus dem Unterleibe eines hellsehenden schlafenden Mädchens schöpfen.« –

»Ist dieser Mann unsinnig,« sagte ich heimlich zu mir selbst, »oder bist du es?« – Er drehte sich inzwischen von mir weg, und ließ mich in dieser Ungewißheit stehen. Mein armer Kopf gerieth in die größte Verlegenheit. Ich legte meine Hand an die Stirne, und wiederholte alle die hoch tönenden Kunstwörter, die ich aus dem Saale mitgebracht hatte: aber ihre deutliche Erklärung – wer sollte mir die geben? – Wer anders als der Wirth? – Mag er doch den Zeitverlust, den ich ihm schuldig werde, mit in Rechnung bringen, dachte ich, und suchte ihn zum zweitenmale auf.[190]

Ein welscher Hahn sang eben sein Sterbelied unter seinen Händen, als ich ihn fand und um die Gefälligkeit bat, mir doch etwas deutlicher den Sinn der Desorganisation zu erklären. – Er brachte nur erst noch den Schreier zur Ruhe, ehe er sich, mit der gefälligsten Herablassung, meiner Unwissenheit erbarmte. – Der Mann mußte vielen Umgang mit den hiesigen Gelehrten haben, denn er dachte eben so gründlich, als er sich deutlich ausdrückte. Wirklich habe ich auch nachher nichts gelesen, was mich über diesen Punkt mehr befriedigt hätte, als seine Erklärung. – Das Beste war dabei, daß ihm ein schickliches Beispiel einfiel, das seinen Worten Kraft und Deutlichkeit gab. – Für Köpfe von schweren Begriffen, wie der meinige, ist das immer eine gefundene Sache. –

»Sie kennen doch gewiß,« fragte er mich, nach dem vorläufigen Eingange seiner Rede, der mir noch immer zu generell war, »den berühmten Pater Mabillon?« – Wie gut ihm diese Frage in seiner Küchenschürze stand, magst Du selbst urtheilen.

»So, so,« antwortete ich – »Man hält ihn, glaube ich, für den ersten klassischen Autor in der Diplomatik« –

»Recht!« sagte der Wirth, »der nehmliche! Was denken Sie nun, mein Herr? – Dieser Mann war in seinen Jünglingsjahren der einfältigste Tropf unter der Sonne; hatte kaum Verstand genug den Katechismus zu begreifen. – Aber hören Sie! Eines Tages fiel er, aus natürlicher Ungeschicklichkeit, die Treppe herunter, und gerade auf den Kopf. – Nun das hat noch gefehlt! sagte seine Mutter, als sie ihn aufhob. – Man brachte ihn betäubt in das Bette, und erwartete nun mit Zittern den ersten Ausbruch seiner Narrheit. – Wie betrog man sich! Der Natur seines Falles nach, mußte der Junge zwar irre sprechen: aber zu aller Verwunderung waren seine Phantasien tausendmal mehr werth, als ehmals sein Menschenverstand. Die Erschütterung, die sein schwacher Kopf erlitten hatte, wirkte die hellsten Ideen in ihm. Die abstrakteste Wissenschaft war jetzt sein Spielwerk. Er enthüllte die dunkelsten und verworrensten Schriften. Mit Einem Worte: dieser, so lange er nicht auf den Kopf gefallen war, dumme Junge, ward nachher einer der ersten Menschen seines Zeitalters. – Sonach, mein[191] Herr, wie dieses Beispiel zeigt, können Mittel, die einen wohl eingerichteten Kopf verwirren, umgekehrt auf einen blödsinnigen die gegentheilige Wirkung thun: und auf diese Analogie und diesen Grund, glaube ich, ist die Lehre der Desorganisation und des thierischen Magnetismus gebaut. – Doch, mein Herr, ich muß Sie bitten, einstweilen mit diesem Wenigen zufrieden zu seyn. Ich habe zu viel in meiner Haushaltung, in meiner Küche und mit meinen vielen Gästen zu thun, die alle dieser Kur wegen hier sind. Morgen wird Ihnen diese dunkle Sache schon deutlicher werden.«

Ich schlich fast eben so betäubt wie Mabillon in mein einsames Zimmer, und ließ mich kleinmüthig auf meinen Lehnstuhl nieder. – »Was für eine Revolution« – sagte ich zu mir selbst, »muß nicht, während daß du unter deinen Büchern in einer idealischen Welt lebtest, in der wirklichen vorgegangen seyn!« Voller Scham über meine Unwissenheit, machte ich mir es zur Pflicht, den nächstfolgenden Tag alles anzuwenden, mich ihr zu entreißen – und die Bekanntschaft eines so außerordentlichen Arztes zu suchen, der mir ungleich wunderthätiger vorkam, als der zu Bruchsal. Mit diesem festen Entschlusse legte ich mich schlafen, und erwachte mit ihm. Es ist wahr, in der Zwischenzeit unterstand sich manchmal mein lang gewohnter Unglaube, sein Haupt zu erheben; aber auf so wenige Stunden, als ich noch zur Gewißheit vor mir hatte, war er doch noch so ziemlich leicht zur Ruhe zu weisen.

Mit der Neugier eines Berliners und der ängstlichen Erwartung eines gefährlichen Kranken, verließ ich um acht Uhr den Gasthof, ohne mich durch das geringste Frühstück um meine Nüchternheit zu bringen, und meine schriftliche Anweisung brachte mich ohne Mühe in das Haus des Propheten.


Und an dem Haus des Erleuchteten hing,

Als Klopfer des Thors, ein symbolischer Ring

Der Ewigkeit, gleich einer sich krümmenden Schlange.

Kaum schlug ich mit Zittern daran, so sprang es auf, so empfing

Mich eine Menschengestalt von Diener, die führte mich flink

Doch stumm wie der Tod, von einem egyptischen Gange

Zum andern, Trepp' auf und Trepp' ab: doch sieh! auf einmal

Stand ich, berufen zum Geisterempfange,[192]

Am Bett des Propheten, in, einem erleuchteten Saal.

Der Saal war zwar nicht um große Augen zu machen

Verziert. Nach einem fast göttlichen Plan

Schien alles was da war, für deine Freude zu wachen,

Und in gefälligen Farben sich deinen Augen zu nahn:

Des Deckenstücks Höhe war nicht mit fliegenden Drachen

Verbrämt – dich schreckt aus keiner Ecke der Rachen

Des Haisisch's, dich blökt hier kein Todtentopf an:

Was braucht's auch der Wunder, die wir auf Märkten beschauen?

Hier zeigt, vom Tage bescheiden erhellt,

Ein magisches Bett, das unter elektrischen blauen

Gardinen sich bläht, dem aufgeklärten Vertrauen

Des kindlichen Glaubens das erste Wunder der Welt.

Ihr, die ihr nichts glaubt, als was euch mit Händen

Zu greifen vergönnt ist, ihr Starken an Geist!

Vermögen die Schönen der Stadt nicht eure Herzen zu wenden,

Wenn der Erforscher der Nieren und Lenden

In ihrer Schwachheit sich mächtig beweis't:

So kommt und hört, was, meine Leiden zu enden,

Für herrliche Dinge mir sein Gesandter verheißt.


Der Diener des Propheten nöthigte mich auf den Armstuhl, der so gestellt war, daß in der Entfernung einer Mannslänge mein Gesicht gerade auf das seinige traf. – So kam ich, ohne daß ich es selbst wußte, in Rapport mit ihm, und das merkwürdige Gespräch begann. Da es das erstemal in meinem Leben war, daß ich mit einem Schlafredner zu sprechen hatte, so benahm ich mich sehr ungeschickt dabei, und stockte oder erröthete einmal um's andere bei den unschuldigsten Worten.

Zu der Zeit, da ich noch meine weißen Zähne beisammen, ungetrübte Augen, blühende Wangen und ein klügeres Ansehen hatte als jetzt, habe ich dreist mit Königen und Fürsten gesprochen, ohne mich weder durch die langweilige Rolle, die ihr Stand gegen den meinigen spielen mußte, noch durch die Außenseite ihrer Größe irre machen zu lassen: aber auch sahen sie nicht klärer als ich, und waren keine Propheten. Sie konnten nie so mächtig auf mich wirken, daß ich nicht während der tiefsten Verbeugung, in der ich vor ihnen stand, und bei dem gleichgültigen Kopfnicken, das ich dagegen erhielt – oder nicht erhielt – mir sagte: »Possen zweier[193] Drathpuppen, davon keine von besserm Stoffe zusammen gesetzt ist als die andere.« – Sie konnten mir also auch nicht verwehren, daß ich in Gedanken ihnen den Zepter aus der Hand und den Hermelin von der Achsel nahm, und nachsah, ob ihre Carlasse nicht rostiger wäre als die meinige. Diesen erhabenen Sterblichen hingegen, zu dessen Füßen ich saß, mochte ich entkleiden wie ich wollte; immer schien er mir, wenn er nicht ein Betrüger war, ein Gott zu seyn, und meine Alltagsseele zitterte vor der seinigen.

»Mein Herr,« fing ich stotternd an, »Sie sehen hier ...« und hielt inne, weil sich, wie ich das Wort aussprach, der Begriff von Sehen und der Begriff von Schlafen so gegen einander stießen, daß nach gewöhnlicher Rechnung ein Unsinn zum Vorschein kommen mußte.

Der Schlafseher ließ mich indeß nicht lange in dieser Verlegenheit. – »Ich kenne Sie!« fiel er mir vernehmlich in's Wort, und wahrlich, er nannte meinen Tauf- und Zunamen. – Nun wußte ich gewiß, daß ich weder am Thore noch im Gasthofe so umständlich mit mir gewesen war, und fühlte mich also schon nicht wenig über diesen Beweis seiner Kenntniß betroffen. Als er aber auf die zwote stotternde Frage, die ich vorbrachte, mit derselbigen Deutlichkeit fortfuhr: »Sie verließen Ihre Studierstube in dem ungläubigen Berlin, und haben wohl gethan – die mittägliche Sonne von Frankreich wird Sie erwärmen und stärken« – so sträubte sich mir das Haar: – doch ermannte ich mich, um auf eine Frage zu sinnen, die dem ungläubigen Berlin keine Schande brächte. – Meiner tiefliegenden Augen und meines abgefallenen Gesichts bewußt, – so dachte ich, – muß derjenige sehr klar sehen, der dein Alter errathen will. – Ich fragte ihn also nach dem Tag und der Stunde meiner Geburt; und – ach! er bezeichnete beides auf das Bestimmteste, und setzte noch einen Umstand hinzu, der mir selbst bisher fremd geblieben war, und nur Geistern bekannt seyn kann, die den feinsten Zusammenhang des Universums mit Einem Blick übersehen.

»Sie sind, lieber Fremder,« sprach er, »nach unserer irrigen Zeitrechnung den fünfzehnten des letzten Monats des Jahres 1747[194] in der Stunde und Minute geboren, als viele Dolche, durch das Verhängniß geleitet, die grausame Seele Schach Nadirs aus seinem Riesenkörper in das enge baufällige Behältniß des Ihrigen verwiesen, wo sie genug für alle ihre Uebelthaten büßet.«

Pythagoras selbst hätte mich schwerlich von der Seelenwanderung vernünftiger und überzeugender belehren können, als diese Thatsache, die weder mein Geburtsschein noch meine Empfindung widerlegen konnte. »Ach mein Gott!« rief ich mit kläglicher Stimme aus: »Die Seele eines Tyrannen des Orients – in dem ausgemergelten Körper eines preußischen Unterthans? Aus so einer widersinnigen Zusammensetzung kann freilich kein glückliches Geschöpf entstehen! Auf allen Fall ist es nicht meine Schuld. Hat sie vormals Böses gethan, so büße sie dafür! Strafe genug, daß sie jetzt einen schwindsüchtigen Körper lenken, und, belastet von ihm, die Vorzimmer von Leuten durchkriechen muß, denen sie einst vielleicht kaum die Aufsicht des Serails anvertraut hätte.«

Nach einigem Nachdenken erholte ich mich jedoch in so weit von dieser niederschlagenden Nachricht, daß ich auf die vielen glücklichen Tage zurück sehen konnte, die ich, unerachtet meiner mißlichen Zusammensetzung, dennoch gewiß erlebt hatte. – Es mußte mich nothwendig befremden, wie einer so gerecht bestraften Seele Gefühle vergönnt wurden, die nur Belohnung der Tugend seyn sollten. – Ueber diesen wichtigen Einwurf nahm ich mir vor ein andermal nachzudenken, da es mir jetzt mehr um die Wiedererlangung jener Empfindungen, als um die Ursache ihres vorigen Daseyns und hres Verlusts, zu thun war. – »Würdiger lieber Herr,« fuhr ich also fort, »durch was für Mittel kann ich diese ernste Strafe wo nicht aufheben, doch mildern?« und wußte in diesem Augenblicke selbst nicht, ob die asiatische Seele oder der preußische Körper sprach. – »Nur ein herzliches Lachen,« war seine orakelmäßige Antwort, »kann Dir Hülfe verschaffen!« –

Nie ist wohl eine täuschendere Antwort auf eine höhere Erwartung gefallen. Ich war wie versteinert, daß er mir ein so gemeines Hausmittel empfahl, da ich nichts weniger als ein überirdisches Specifikum mir vermuthend war. Sobald ich meine Sinne[195] ein wenig gefaßt hatte, kam die natürlich folgende Frage von selbst: – »Aber, mein gütiger Herr! – da nichts in der Natur mehr die wohlthätige Wirkung auf mein unreizbares Zwergfell hervor bringt, wie und wo soll ein so armes niedergeschlagenes Geschöpf diese Bewegung der Freude, die Sie ihm verordnen, aufsuchen und finden?« – Und nun sprach der wahre Geist eines Propheten aus ihm:


»Dem harrt ein Schatz – Scherz und Gelächter rufen

Trost dem Bedrängten zu, den Nadirs Geist belebt,

Wenn Gottes Mittagsstrahl nuf neun und neunzig Stufen

Ihn über unsre Stadt erhebt.« –


Meine Verlegenheit war jetzt auf das höchste gestiegen. Ich, faltete die Hände, und rief äußerst bewegt: »Göttlicher Mann!, siehe an die Fesseln meines irdischen Leibes! Wie sollte ich mich über den Nebel dieser Stadt erheben können?« – Denn nimmermehr hätte ich in diesem Augenblicke geglaubt, daß die Auflösung dieser Schwierigkeit so leicht wäre, als ich es doch nach seiner erklärenden Antwort: »Auf den neun und neunzig Stufen ihres stolzen Thurmes« finden mußte. Das ist doch nun, dachte ich, so bestimmt gesprochen, als man nur von einem Propheten erwarten kann – und was noch mehr diese Weissagung von allen andern unterscheidet: der Mittag – die Zeit ihrer Erfüllung – ist nahe. Tief bückte ich mich gegen meinen Helfer, und warf noch die, meinen Begriffen nach, unbedeutende Frage hin: »Ob er sonst noch etwas, in mir entdecke, das mir unbekannt sei?«

Zusehends entflammte sich sein Gesicht, und blickte verächtlich auf die Kenntnisse meiner selbst herab, mit denen mich mein geheimer Stolz zu täuschen suchte.- »Ja,« sagte er, »ich sehe einen Flecken in dem Gewebe Deines geistigen Daseyns – einen schwarzenhervor tretenden Zug aus der Seele Schach Nadirs.« – Meine zitternden Lippen suchten zu sprechen; aber das Schreckliche dieser Ankündigung erstickte den Laut meiner Frage. – Er beantwortete sie dennoch: »Fluche deinem Unmuthe! Du hast in der Abendstunde des Ruhetags dieser Woche ein armes verirrtes Mädchen, den Wölfen Preis gegeben – Hast du es nicht? – Nur die Seele[196] eines Tyrannen konnte so einen menschenfeindlichen Gedanken fassen! Nur die Zunge eines Impotenten konnte ihn aussprechen.«

Dieser harte Vorwurf kränkte meinen Stolz über die Maßen. – »Heiliger Prophet!« rief ich mit männlicher Stimme – »Ist das arme Geschöpf ein Raub der Wölfe geworden, so war es doch nicht meine Absicht. Das Schicksal hat unschuldige Worte mißverstanden.« – Indem aber regte sich mein Gewissen – Sind das unschuldige Worte, die Unmuth und Hartherzigkeit eingiebt? Versagte ich nicht der Bedrängten den Schutz, den sie bei mir suchte, ohne mich um die Folgen meiner Verweigerung zu bekümmern? Ach, es ahndete mir nicht, daß sie von so trauriger Art seyn würden.

Während dieses trüben Gedankens, in welchen ich mich stillschweigend verlor, verliefen die wichtigen Minuten, die mir noch vergönnt waren, in Rapport mit dem großen Seher zu seyn, und die ich, ach! zu meinem ewigen Kummer, so ungenutzt vorbei streichen ließ. Ich hörte nur noch Ein Wort aus seinem Munde – »Ich will aufwachen!« sagte er: und zugleich öffnete der Bediente die Thür und entließ mich, nicht auch ohne ein kleines Wunder auf seiner Seite zu thun; denn er schlug einen Dukaten aus, den ich ihm als eine Erkenntlichkeit in die Hand drücken wollte.

O mein geliebter Eduard! Was wäre wohl aus mir geworden, hätte ich mich länger in der heiligen Atmosphäre dieses Mannes aufhalten dürfen? Ich fühlte schon jetzt eine Veränderung, einen Widerspruch in meiner bisherigen Denkungsart, die mir, ich bin es überzeugt, das einfältigste Ansehen von der Welt geben mußte. Ich stolperte vor mir hin, ohne auf etwas zu achten, was außer mir war. Bald hob ich meine Augen, bald meine Hände gen Himmel, lehnte mich zuletzt vor überströmender Empfindung an einen Laternenpfahl, und sprach so laut mit mir selber, daß der Prinz von Rohan, der indessen, und wenn ich nicht irre, den Arzt im Husarenpelze an seiner Seite, bei mir vorbei fuhr, halten ließ, und mich mit Verwunderung betrachtete. – Aber so eine Erfahrung, als ich eben gemacht hatte, erhebt auch unsern Geist zu hoch, als daß die kleinen armseligen Verhältnisse des Wohlstandes noch[197] einen Eindruck aus ihn machen könnten. – Mit glühendem Gesichte trat ich in meinen Gasthof, konnte dem Wirth, der mir neugierig entgegen kam, nur stillschweigend die Hand drücken, winkte meinen Johann, der meiner an der Treppe wartete, auf mein Zimmer, winkte ihn wieder hinaus, und warf mich, wie vom Schlage gerührt, in meinen Armstuhl. – Unvermögend Dir zu sagen, was indeß in meinem Innern vorging, erinnere ich mich nur, daß mein Herz in schweren Träumen, und mein Verstand in hohen Phantasien lag, als mich die Glocke der Mittagsstunde wie zu einem Urteilsspruche weckte. Ich sprang von meinem Sitze auf, ergriff Stock und Hut, und eilte dem Wunder zu, das meiner auf dem Münster wartete.


Schon hatte ich seine ersten zehn Stufen hastig erstiegen, als mir einfiel, daß ich sie nicht zählte. Erforderlich wie dieses war, um die mir angewiesene mystische Zahl der zwo Neunen zu erfüllen, ging ich wieder zurück, und trat nun meine sonderbare Pilgerschaft mit aller der Bedachtsamkeit an, deren ich bei meinem hoch pochenden Herzen fähig war.

Was für mancherlei unbekannte Dinge beherbergen wir nicht in uns, liebster Eduard, die uns, bei aller unsrer belobten Selbsterkenntnis in Erstaunen setzen, wenn sie ein Zufall aus ihrem Winkel hervor zieht! Kannst Du wohl glauben, was ich Dir sagen werde? und doch ist es gewiß: So lange meine gespannten Kräfte anhielten, verlor das Wort des Propheten nicht das geringste von seinem Werthe in meiner Vorstellung; je schwerer mir aber im Fortgange der Athem ward, je langsamer ich stieg, desto vernehmlicher schien sich ein Gedanke in mir zu entwickeln, der das Gefühl meines Glaubens immer mehr und mehr schwächte. »Was,« sagte ich zu mir selbst, »würden Deine Freunde in Berlin von Dir denken, wenn sie Dich in dieser mühseligen Wanderung erblickten – und zu welcher wichtigen Absicht? Um auf der Spitze eines Thurms, der täglich von Hunderten bestiegen wird, einen Schatz zu suchen!« – Zum erstenmale ward es mir höchst verdrießlich, an Euch zu denken; und doch wollte es mir nicht gelingen,[198] der Vorstellung, die mich so sehr demüthigte, wieder los zu werden. Ich fing an mich vor mir selbst zu schämen. – Das heilige Zutrauen zu den Worten des Propheten nahm merklich ab, je näher ich den Beweisen kam – dennoch stieg ich fort, und mit der letzten Neune, die ich zu zählen hatte, sah ich mich, bis zum Umfallen ermüdet, und so schwach am Glauben als möglich, auf der berühmten Platteforme des Thurms. Ich warf mich auf den ersten steinernen Ruhesitz, den ich erreichen konnte, doch so entkräftet, daß ich Mühe hatte, mich sogleich der Ursache meines Hierseyns zu erinnern. Mein zurück kommendes Bewußtseyn war nichts weniger als angenehm; kaum wußte ich, ob ich dem Propheten noch die Ehre erweisen sollte, mich umzusehen. Ich zwang mich indessen, und sah, außer einem jungen Manne, der der schönen Aussicht genoß, auf diesem weiten offenen Platze – was Dir gewiß auch schon geahndet hat – mit Einem Worte, Freund, ich sah – Nichts.

Ein bitteres Lächeln überzog nun mein Gesicht. Es machte mir – ich will es nicht läugnen – eine boshafte Freude, einen Propheten auf der Lüge zu ertappen, und nun, ohne aufgehalten zu werden, zu meinen gewohnten Grundsätzen zurück gehen zu können. Ich rückte meinen Hut tiefer in die Augen, schlug hastig meinen Mantel um mich, und setzte mich mit dem Entschlüsse in die Ecke, mich erst recht auszuschämen und auszuzanken, ehe ich meinen lächerlichen Rückzug anträte. Doch wie gewöhnlich, ging ich lange um mich herum, ehe ich Muth genug faßte, mein Vorhaben auszuführen; und auch dann noch spielte ich mit meinem Herzen die Rolle einer schwachen Mutter gegen ihr strafbares Kind, die mitten in ihren ernsten Vorwürfen ihm die Thränen abtrocknet, und indem sie es zu verstoßen droht, das erste Zuckerbrod reichet, das sie bei der Hand hat. Wirklich gingen in mir die sonderbarsten Bewegungen vor, sobald ich auf der Spur zu seyn glaubte – angeführt zu seyn. – Zu Deinem Zeitvertreibe wünschte ich wohl Dir sie recht anschaulich zu machen.


War einem Herzen je, dus, ohne Ueberhang

Sich seine Blößen zu verzeihen,[199]

Nicht rein genug sich fühlt, vor der Entschlei'rung bang,

So war es meins. Die Schnur non seinen Gaukeleien

Schien mir schon viel zu voll und lang,

Um ihr mit diesem Pilgergang

Noch eine Schelle beizureihen.

Doch, Freund, die Kunst, in solchem Seelendrang

Sein Selbstgefühl zu überschreien.

Half jetzt mir auch des Spottes Uebelklang,

Der mein Gefühl durchlief, zerstreuen.


Dem Menschen, hub ich an, (als ritt

Belastet ich von tröstenden Sentenzen

Dem magern Junker nach, der so viel Schläge litt,

Um Mambrins Rüstung zu erkämpfen,)

Dem Menschen fiel das Loos, mit ungewissem Schritt

Durch eine Nacht zu gehn, wo wenig Sterne glänzen;

Vielleicht daß einst der Tag auch ihr entgegen tritt.

Er nehme dieß Vielleicht bis an die äußern Gränzen

Des Lebens zum Gefährten mit.


Dieß Trostwort wandelte die Dünste

Des träumenden Gehirns in muthiges Vertraun,

Gerüstet wie ein zweiter Daun,

Mit nun geweihtem Schwert das magische Gespinnste

Des neuern Sehers durchzuhaun.


Ich kam nun bald in volles Gefecht mit dem Betrüger, der sich unterstehen konnte, einen Berliner – einen Freund und Zeitgenossen Mendelssohns, zum Besten zu halten; und mein innerer Streit ward endlich auch äußerlich so sichtbar, daß der junge Mann, auf den ich die ganze Zeit meines Selbstgesprächs über nicht geachtet hatte, sein Fernglas einsteckte, und sich voller Verwunderung und Neugier mir näherte.

»Sie scheinen Sich übergängen zu haben, mein Herr,« redete er mich an – »Hintergangen« fiel ich ihm in's Wort – »hintergangen habe ich mich, indem ich, jedoch zu meiner Ehre nur einige Stunden, einem Betrüger geglaubt habe – Doch ist es mir immer lieb, daß ich hier bin. Ich kann wenigstens meiner Galle Luft machen, kann über die Stadt rufen, die unter mir liegt, daß sie mit Blindheit geschlagen sei – daß ihre Einwohner betrogen, und werth sind, von Thoren gelenkt zu werden ...«[200]

»Sie sind« nahm der Fremde das Wort, »in einer gewaltsamen Bewegung, mein Herr. Was für ein Unglück ist Ihnen begegnetund auf wen beziehen sich Ihre beschimpfenden Ausfälle?«

»Auf wen?« erwiderte ich mit Hitze – »Aus wen anders, als auf den Marktschreier, der Ihre Stadt in Verwirrung setzt, auf Ihren großen Magnetiseur, Schlafredner, Propheten, oder wie Sie ihn sonst nennen wollen.«

»So erlauben Sie mir,« antwortete der Fremde zu meinem großen Erstaunen, »daß ich Ihnen geradezu widersprechen muß. So lange wir diesen Mann besitzen, ist keine Unwahrheit über seine Lippen gegangen.«

»Wohl!« rief ich aus, »so kann ich Ihnen wenigstens seine erste ankündigen, die er mir, mir, wie Sie mich hier sehen, vor ungefähr zwo Stunden gesagt hat, – Wissen Sie wohl, mein Herr, was er mir hier zu finden verhieß? Nichts geringeres, als einen Schatz, und den lautesten Ausbruch der Freude. Und ich einfältiger Tropf! ließ mich so anführen, und erstieg auf sein thörichtes Wort diesen mühseligen Thurm! – Lassen Sie Sich nicht abhalten, mein Herr, lachen Sie so laut als Sie Lust haben! Ich verdiene den Spott aller Vernünftigen.«

Aber – anstatt zu lachen, weißt Du wohl, was der Mann vorbrachte? Eine so schöne Tirade, wie sie nur in einem Kommentar über den Habakuk stehen kann: daß man Weissagungen nicht buchstäblich verstehen müsse. –

»Mein Herr,« antwortete ich ihm auf das bitterste: »Ihr Prophet hat mir einen Schatz – was man einen Schatz nennt, hat er mir versprochen. – Wo ist nun hier etwas, das in naher oder entfernter Bedeutung diesen Namen verdient? Soll ich etwa den Zugwind dafür annehmen, der mir schon viel zu lange unter die Nase streicht?« – Mit diesen Worten drehte ich mein Gesicht verächtlich von diesem albernen Fremden, ohne mich weiter mit ihm einzulassen; denn ich sah nun zu deutlich, daß er nicht umsonst hier war, und wahrscheinlich ein Emissair des falschen Propheten seyn mochte.

Diese neue Entdeckung machte mich nur noch muthiger. Ich[201] konnte nicht von der Stelle kommen, bis ich meine ganze Galle erschöpft hatte. – Ich rückte noch einmal meinen Hut in die Augen, hüllte mich noch einmal in meinen philosophischen Mantel, und trat, so wie ich nur erst die Meßmers, Lavaters und Puysegürs, auf deren Autorität sich der Fremde bei dem dritten Worte bezog, hinter mir hatte, eben so geschwind wieder zu den Helden des hartnäckigsten Unglaubens, zu meinen alten Freunden und Lehrern – den Bolingbrokes – Voltairen und den Reimarus über.


Schneller als nach schweren Krämpfen

Der Erschlaffung Uebergang,

Rief mich nun zu neuen Kämpfen

Ein Phantom, das aus den Dämpfen

Jenes Blendwerks übersprang.


Meinen Freiheitssinn zu retten,

Wagt' ich einen Todtensprung:

Aus des Aberglaubens Ketten

Stürzt' ich auf die Schwanenbetten

Täuschender Beruhigung.


Zu dem schönsten Ritterzuge

Weihte mich der Traumgott ein,

Von dem Throne big zum Pfluge

Alle Heerden vom Betrüge

Ihrer Hirten zu befreien.


Träumender als Alexander,

Drang ich bis zu Lunens Bahn;

Pech und Schwefel in einander

Steckt' ich wüthend, wie ein Brander,

Unsers Glaubens Hafen an;


Sah im Ringeltanz der Flammen

Sich die leichten Räthsel drehn,

Die, wie sie vom Quell der Ammen

Kraftlos zu uns überschwammen,

Zu der Nachwelt übergehn;


Förderte im Heldengrimme

Meines Ungestümes Lauf: –

Doch, indem ich weiter klimme,

Hielt mich eine Menschenstimme

Von der Weltzerstörung auf.
[202]

Ja, theuerster Eduard, eine Menschenstimme, die aber in diesem für meinen Unglauben entscheidenden Augenblick ein Wunder vor meinen Augen war, schlug mit unbeschreiblicher Sympathie an meine Ohren und an mein Herz. – »So ist denn,« hörte ich in dem Getümmel des Streites, in dem ich mich befand, »so ist denn alle Freude der vorigen Zeit aus Deinem Gedächtnisse verloren, Will'm, Will'm?« – Staunend sah ich mich nach dem Fremden um, der mir seine Hände entgegen streckte, – »alle die mit Freundschaft und Weisheit erfüllten Stunden zu Leiden?« fuhr er noch zärtlicher fort – »auch nicht die kleinste Erinnerung mehr an die jugendliche Wallfahrt zu der Bildsäule des Erasmus?« – Himmel, wie zitterte ich! »O Wilhelm! Wer ist wohl falscher – Du? oder unser Prophet? Ach Du kennst Deinen redlichen Jerom nicht mehr?« –

Dieser Name, der einst meiner Jugend so theuer war, brachte mich zu mir selbst. – »Gott! ist es möglich?« rief ich aus: »Mein Jerom?« Und sprachlos vor unnennbarer Empfindung lag ich in seinen Armen. Eine Pause, die ganz dem hohen Gefühle der Freundschaft gewidmet war, ließ einige Augenblicke keinen von uns zur Sprache kommen. – Ich schmiegte mich an die pochende Brust meines Jugendfreundes, der mit liebenden Augen sich an dem zärtlichen Erzittern weidete, das mich übermannt hatte.

Aufs höchste bewegt, fing er endlich mit freudiger Stimme an: »So hat doch wohl der Prophet nicht so ganz Unrecht? denn Du liebst mich noch, Wilhelm?«

»Nein, Gott segne ihn!« stimmte ich enthusiastisch ein. – »Er hat wahr geredt, der große Mann! Kein Schatz auf Gottes Erdboden würde solche Empfindung von Glück und Freude aus meiner Seele hervor rufen, als es Deine unerwartete Erscheinung gethan hat. – Alle die süßen Phantasien meiner Jugend, die ich auf ewig verschwunden glaubte – wie scheinen sie mit dem Wohllaut Deiner Stimme von Deiner Zunge zu strömen! Dein Lächeln, Dein flatterndes Haar, Deine stralenden Augen – alles, alles ruft mir ihr süßes Bild wieder zurück. – O mein Jerom! Wie war es möglich, daß ich Dich nur Einen Augenblick verkennen[203] konnte? Nicht die siebenzehn, achtzehn Jahre, die dazwischen liegen, thaten es: aber alle die schmacklosen Stunden, die mir freundschaftleere Menschen tropfenweis zuzählten! Böse Säfte, die mir Unmuth und Krankheit einflößten, haben meine Augen getrübt, und das empfänglichste Menschenherz stumpf gemacht. Ist mir doch, als wenn ich all mein verlornes Glück in dieser Umarmung wieder fände. – Siehe Dich nur um, mein Jerom – Nie haben wohl Bilder der Freundschaft auf einem höhern Fußgestelle gestanden. – Aber wir werden hier und überall den Maulwurfsaugen der Menschen zu hoch stehen. – Unter Tausenden, die unter uns weben, ist gewiß kaum Einer, der den ausgedehnten Begriff so eines Händedrucks zu umfassen vermag.«


»Auf dieses Tempels Höh, den deutscher Männer Muth

Dem Himmel näherte; von den Begeisterungen

Des süßesten Gefühls durchdrungen;

Natur, in deiner Mittagsgluth

Von eines Lieblings Arm umschlungen – –

Ein Tropfen Zeit – o Gott! – gewährt mir den Ersatz

So vieler freudenleerer Stunden! –

Gelobt sei der Prophet, durch den ich einen Schatz,

Durch den ich einen Freund gefunden!«


Je schwächer unsere Nerven sind, liebster Eduard, desto geschickter fühlen wir uns zur Schwärmerei. Damals schien mir das Hochtönende meines Enthusiasmus die natürliche Sprache des Herzens zu seyn, und Gott weiß! wie lange ich noch, auf der Zinne dieses altdeutschen Thurmes in einer, seit seiner Erbauung so erhöhten Sprache, würde fortdeklamirt haben, hätte nicht der gesündere Jerom den Strom meiner Rede gehemmt, und mir lächelnd vorgeschlagen, ihn nach seiner Wohnung zu begleiten. »Wohin Du willst!« sagte ich, und schwankte wie ein Trunkener hinter ihm her. Immer nur ihn anlächelnd, waren alle andre Menschengesichter, die uns auf der Straße begegneten, für mich verloren, und ich hielt so gleichen Schritt mit ihm, als wenn ich auch ihn zu verlieren gefürchtet hätte.

Mit dem Bewußtseyn, einen redlichen Freund an seiner Seite zu haben, fühlt man sich in der Fremde so einheimisch, als man[204] sich, ohne diesen Umstand, in seiner Vaterstadt fremd fühlen kann. Wie schüchtern schlich ich nicht noch diesen Morgen über die Gasse! und jetzt kam es mir vor, als wäre ich, wo ich nur hinsah, zu Hause. Ich stieg die Treppe zu der Wohnung meines Freundes so bekannt hinauf, als ob ich sie schon mehrmal erstiegen hätte, und machte den guten Jerom laut auflachen, als ich ihm treuherzig erzählte, wie mir zu Muthe war. Wie ungleich ward ich mir aber vollends bei dem freundschaftlichen Mahl, zu dem wir uns jetzt niedersetzten! Ich aß und trank, scherzte und lachte, wie ein Gesunder; – die lebhafteste Erinnerung, das lieblichste Geschwätz packte alle die farbigen Gewänder aus, und staubte die bunten Federbüsche ab, in denen einst unsere unbefangene Jugend, so zufrieden mit sich selbst, einhertrat. Nichts durfte sich in unser herzliches Gespräch mischen, was nicht Bezug auf jene bilderreiche Zeit hatte. Jeder andern Idee, die sich zudrängen wollte, waren wir so verschlossen, wie das Zimmer, das keinem von den Anklopfenden geöffnet wurde.

So beschlich uns der Abend; und da wir in unserm Gespräche nach und nach immer weiter vorwärts gerückt waren, so stand ich jetzt auf einmal an dem Zeitpunkte meiner geschwächten – meiner verlornen Gesundheit, den ich in der ersten Hitze unserer freundschaftlichen Ergießungen ganz aus dem Gesichtskreise verloren hatte. Einige milzsüchtige Klagen auf meiner Seite, Hoffnung und Trost auf der seinigen, bahnten uns endlich den Weg zu folgendem ernsthaften Gespräche, das mir die deutlichsten Begriffe über die Würde unsers Zeitalters gab, und das ich Dir, so wörtlich als ich kann, auch zu Deiner Erbauung hersetzen will.


»Hätten wir,« hub ich mit einem Seufzer an, »hätten wir es denken sollen, lieber Jerom, als wir in Leiden zu den Füßen unserer Lehrer Wahrheit von Vorurtheilen scheiden lernten, daß wir Körner mit unter die Spreu würfen, die mehr werth waren, als unsre so rein gesäuberte Frucht? – Hätten wir es argwohnen können, daß Kräfte in dem animalischen Leben lägen, metaphysische Räthsel aufzulösen, woran die Bayle, die Leibnitze, die Rochester[205] umsonst die Arbeit ihres Geistes verschwendeten? Und welchen Köpfen, großer Gott! wurden endlich diese Geheimnisse anvertraut! – Wie viele Jahrtausende haben dazu gehört, ehe der Misthaufen der Welt so durchgearbeitet werden konnte, um das ächte unbenutzte Samenkorn an's Licht zu bringen; und welche Mechanik des Zufalls, daß es zuletzt von einer blinden Henne gefunden werden mußte! – Ist ein hell sehender Schläfer der leidenden und irrenden Menschheit nicht mehr werth, als die ganze Summe von Verstand, der den leiblich- und geistigen Aerzten aller Zeiten einzeln zugetheilt war; und wirft so eine einzige Thatsache, als ich seit heute erlebt habe, nicht alle ihre herrlichen Systeme über den Haufen? Du bist nicht allein selbst ein berühmter Arzt, lieber Jerom, Du bist auch ein tiefdenkender gelehrter Mann – Weißt Du mir denn nicht eine befriedigende Erklärung von dieser unbegreiflichen Demüthigung der menschlichen Vernunft zu geben? Ich will es als ein Almosen in meiner Armuth annehmen, ich will es ...«

»Guter Wilhelm,« unterbrach Jerom meinen rednerischen Ausfall, »ich theile Dir gern die Hälfte meines Reichthums mit, so viel Du ungefähr nöthig haben wirst, Dir weiter fort zu helfen, – Aber warte! Erst will ich zusehen, ob mein Vorsaal fest genug verschlossen ist – und – nun setze Dich und höre mir aufmerksam zu.«

»Ich bin ein Arzt, Freund, und habe bisher die Pflichten meines Standes in dem Vaterlande des unsterblichen Boerhave mit gleicher Treue, wenn auch nicht mit gleicher Geschicklichkeit, ausgeübt. Glück in meinen Kuren schaffte mir indeß das Zutrauen meiner Landsleute. Meine Erfahrung nahm täglich zu, und ich lebte mit einer Anhänglichkeit an meine Kranken, die mir meine mißliche Kunst ehrwürdig, angenehm und schätzbar machte. Da störte mich nun auf einmal der vielzüngige Ruf der neuen Erfindungen der Meßmer, der Puysegür, und wie die großen Männer alle heißen, in meinem thätigen Leben – Haufenweis drängten sich die Wunder, die geschahen, in meine einsame Studierstube, löschten alle Aphorismen meiner Lehrer aus, als verlorene Worte[206] und machten mich in der Behandlung meiner Kranken furchtsam und kleinmüthig.«

»Aber schnell und als ein ehrlicher Mann entriß ich mich diesem peinlichen Zustande. Ich verließ Bücher und Kranke. – Keine Reise schien mir zu groß und beschwerlich, um die Ehre der Wahrheit zu retten, und meinen Glauben wie meine Kenntnisse zu berichtigen. Ich kam in Straßburg an, und schon den Morgen darauf stand ich vor dem Stuhle der damals berühmtesten Somnambüle und Clairvoyante, von der Du – erinnere mich daran – nachher noch mehr erfahren sollst. In einem Zirkel von gelehrten Männern, die indeß die tiefsinnigsten Bemerkungen über diesen übernatürlichen Zustand der Verzückten anstellten, ertheilte sie einem jungen Officier, dessen sonore Stimme besondern Eindruck auf ihre schlafenden Sinne zu machen schien, die richtigsten Antworten auf die verwickeltsten Fragen. – Alle Kräfte meiner Vernunft geriethen in einen Stillstand bei dieser augenscheinlichen Thatsache. – Lange quälte ich mich umsonst, eine nur leidliche Erklärung dieses Wunders, und besonders des auffallenden Umstandes zu entdecken, warum die Eingebungen einer Somnambüle immer nur auf die Medicin – nie etwa auf die Politik – die Landwirthschaft – die Mineralogie – die Naturgeschichte oder die Rechtsgelehrsamkeit gerichtet seyen; so viel Nützliches auch in diesen Wissenschaften zu entdecken und Irrthümer zu berichtigen wären, und so sehr oft einem armen Teufel ein Gefalle geschehen würde, zu erfahren, wie er seinen Prozeß gewinnen oder sein Korn säen solle?«

»Endlich, lieber Wilhelm, glaubte ich einigermaßen der Sache auf die Spur zu kommen, und den wahren Zusammenhang davon einzusehen. Da ich immer alle Arten von Entzückungen mir als Wollust erklärt habe, zu der ein überirdisches Wesen ein sterbliches verleitet – da man in Tollhäusern nur zu häufig Symptome dergleichen heterogener Vermischungen gewahr wird – so kann es wohl seyn, denke ich, daß eben jetzt ein medicinischer Geist der obern Region seinen verliebten Ausschweifungen auf unserer Erde nachgeht, und die armen unbefangenen Geschöpfe, die er zu seinem[207] Willen bringt, mit Kräften schwäng ... Doch es ist wahrlich schwer, lieber Freund, Geheimnisse der Art deutlich zu machen, ohne eine, Albernheit zu sagen. Genug, alle mannbare Mädchen, so viel ich deren nachher noch gesehen habe, die zum Schlafreden – zur Desorganisation – zum thierischen Magnetismus geschickt waren – bestärkten mich in dieser gewagten Vermuthung. – Sie theilen die medizinische Kraft, die sie durchdringt, sogar, wie den Schnupfen, auch Männern mit, die mit ihnen in genaue Verbindung kommen – wie wir dieses an dem belobten Propheten sehen, der Dich heute kurirt hat. Mein System, lieber Wilhelm, macht wirklich alle andere Erklärungen überflüssig.«


»Kaum Mit eine Schöne sich hier in geistig-kritischen Stünden

Mit einem reisenden Arzt, der seine Praxis und Kunden

Im Empyreo verlor – in heimlicher Ehe gepaart,

So wirkt die Stärkung, die sie in seiner Umarmung gefunden,

Auf ihre Nerven. – Sie sieht und heilt die Uebel und Wunden

Der sublunarischen Welt nach empyreischer Art.

Die Blöden staunen sie an. – Mit solcher magisch Geweihten

Tritt Lieb' und Glaub' und Hoffnung in Bund;

Unwissende werden belehrt, und Kranke werden gesund;

Die Kunst – wer weiß es nicht längst? – erhabene Träume zu deuten,

Ward immer nur den Einfältigen kund,

Und Gott erneuert uns hier das Wunder aus Bileams Zeiten,

Bis auf des Esels geöffneten Mund.« –


»An die vier Monate,« fuhr Jerom fort, »lebe ich nun schon in Straßburg, sehe die unglaublichen Fortschritte der neu entdeckten Naturkraft, und verliere mich täglich mehr in meinem Erstaunen. – Doch was brauche ich Dir alle Resultate meiner Erfahrung vorzulegen? Hast Du nicht genug an Deiner eigenen heutigen Geschichte? Beleuchte sie noch einmal mit aller Anstrengung Deines Verstandes! Du hast doch deutlich gesehen und gehört, hast die Weissagungen des Schlafsehers wahr befunden, und bist überzeugt?« –

»Ja, bei Gott,« erklärte ich meinem Freunde, »das bin ich. – Ich erlaube mir von nun an kein Mißtrauen mehr, als gegen das unbegreifliche Menschenherz, das in mir pocht. – Zum Glücke, daß ich seit heute Morgen aus dem Munde des Propheten weiß,[208] welch eine Seele in mir wüthet. – Noch sind keine zwo Stunden verlaufen, als mich Dein Zuruf an dem Abgrunde des Unglaubens zurück hielt. – Wie unüberwindlich kam ich mir nicht in dem Augenblicke vor, da ich meiner Niederlage am nächsten war! Ich Armseliger! Ein geweihtes Schwert in der Hand, glaubte ich allen Erfahrungen des Glaubens die Spitze bieten zu können! Aber desto ernstlicher verabscheue ich jetzt die Sünden meines Uebermuths. – Ich lege in Deinen Schooß, lieber Jerom, meine feierliche Abbitte an den mächtigen Gesandten der Zukunft, gegen den sich meine Vernunft empörte, und an alle die großen Männer nieder, die ihm anhangen, und o! daß die ganze Welt meinen Widerruf hören könnte! Zu was haben mir die Waffen der prahlenden Vernunft geholfen? – Da liegen sie als unnütze Werkzeuge ihres Stolzes. –«


»Ohnmächtiger, als Dauns geweihter Degen

An Friedrichs Schild, zersplitterte mein Schwert

An des Propheten Stirn. Sein rätselhafter Segen –

Jetzt herrlich mir durch den Erfolg erklärt –

Macht meinen Glauben fest. Gleich einem, der verlegen

Am höchsten Pranger steht und den Jan Hagel lehrt,

Ruf' ich mit lauter Stimm' und vollen Herzensschlä'gen,

Euch allen ruf' ich zu, die ihr mein Unglück ehrt:

Wenn Geister Sturm und Drang in eurer Seel' erregen,

Wenn euch, wie mir, ein Wunder widerfährt,

Nicht lange Rath mit der Vernunft zu pflegen.

Und minder noch der Silberlinge Werth,

Die unter Puysegüs und Lavaters Geprägen

Die fromme Welt durchziehn, erst jüdisch nachzuwägen,

Wie ich gethan und Mendelssohn begehrt.«


Nichts kann rührender und eindringender sehn, als die Stimme der Ueberzeugung, zumal wenn schon zuvor ein gemeinschaftliches Glas Wein Redner und Zuhörer zu einander gestimmt hat. Ich stand, die Hand auf die Brust gelegt, mit freier Stirn und in einer begeisterten Stellung vor meinem Freunde, der durch die Ueberströmung meines Herzens so hingerissen wurde, daß er, während meine Augen sich mit Thränen der höchsten Empfindsamkeit füllten, sein Gesicht hinter seinen Händen verbergen mußte. – Er ermannte sich am ersten – schob klüglich Flaschen und Gläser bei[209] Seite, und so wie Boileau, als er einst zween seiner Freunde, von Burgunder befeuert, antraf, wie sie den Tod des großen Homers beweinten, und nicht eher zu trösten waren, bis es ihm gelang, sie aus dem Wirthshause in die freie Luft zu bringen; so glaubte jetzt Jerom vermutlich auch dieselbe Vorsicht bei mir nöthig zu haben, damit ich nicht ganz in Thränen der Begeisterung zerfließen möchte. –

»Mäßige Dich, bester Wilhelm,« sagte erbittend, »solche Scenen sind für Deine schwachen Nerven zu angreifend. – Laß uns unsern Wein auf einige Augenblicke verlassen! Vielleicht beruhigest Du Dich in der kühlern Nebenstube über alles, was Dir heute das Herz erschüttert hat.« –

Freundschaftlich nahm er mich bei der Hand, öffnete eine Seitenthüre – und – o ihr Mächte des Himmels! wie ward mir! Kaum wirst Du es glauben, Eduard, aber so wahr ich lebe! ich befand mich mit Leib und Seele in demselben Zimmer des Vormittags – sahe dasselbe Bette, und vor ihm denselben Stuhl stehen, auf welchem ich diesen Morgen die Orakelsprüche aus jenem erschallen hörte. – Versteinert stand ich davor, und Jerom fuhr mit schalkhaftem Lächeln fort: – »Was sagst Du zu meiner Art abzukühlen, mein philosophischer Freund? Soll ich Dir hier noch einmal Deinen Namen und die Abenteuer Deiner Seele entdecken? – Dich noch einmal auf den Münsterthurm schicken? oder bist Du vor der Hand zufrieden?«

»Also warest Du,« – erwiderte ich mit wiederkommendem Bewußtseyn – »Du warest der große Prophet, den mir die Damen verkündigten? – Du warest es, der mich diesen Morgen beinahe um mein bischen Verstand brachte?«

»Kein anderer,« sagte Jerom mit zunehmendem Lachen.

»Komm, ich beschwöre Dich,« fuhr ich fort, »bei allem was heilig ist! komm meinem Erstaunen geschwind zu Hülfe! Woher« – und ich schlug mich dabei mit der geballten Faust vor die Stirne – »woher wußtest Du denn, daß ich bei Carlsruh ein Mädchen den Wölfen übergab?« –

Hier stemmte mein boshafter Freund vor Lachen die Hände in die Seite – »Weil auch ich,« rief er – »derjenige war, der[210] neben Deinem Wagen hielt, sie Deinen Händen anvertrauen wollte, und Deine abschlägige Antwort hörte. – Dies; artige Kind – eben dasselbe, das bei meiner Ankunft in Straßburg in der Krise lag, und mir die erste Gelegenheit gab, das Wunder des thierischen Magnetismus zu sehen, hatte seit fünf Monaten für eine gute Belohnung die Somnambüle gespielt, war darüber mit einem jungen Officier – eben demselben, der sie damals ausfragte – ein wenig zu sehr in Rapport gekommen, und wurde dar über die letzte Zeit – wie soll ich sagen – vor der Hand unbrauchbar ...«

»Das, däucht mir, habe ich ihr selbst abgemerkt,« fiel ich ihm hitzig in's Wort.

»Ich rettete sie nach Carlsruh, wo unsre Gesellschaft gute Freunde hat, traf Dich, wie Du weißt, auf meinem Wege, erkannte Dich ohne Mühe, und erfuhr alles aus Deinem eigenen Munde, was ich, kraft meines Divinationsvermögens, Dir diesen Vormittag wieder erzählte. Es gehörte übrigens nicht viel darzu, voraus zu sehen, daß mein Ruf Dich armen Kranken gewiß vor mein Bette führen würde. Meine Rolle war dießmal die leichteste von der Welt; und sonach, guter Wilhelm, ist alles, was Dir begegnet ist, nichts mehr und weniger, als der Scherz eines alten Freundes, der, wie Du siehest, einen recht guten Ausgang genommen hat.« –

Die Decke fiel mir nun zwar von dem Gesichte – aber zu geschwind. – Eine brennende Schamröthe überzog meine Wangen, sobald das große Geheimniß in seiner armseligen Blöße vor mir lag. Ich sah mich in Gedanken in meiner ganzen Albernheit auf dem Lehnstuhle sitzen, und hatte kaum Muth, meine Augen gegen den falschen Propheten aufzuschlagen.

Mein Zustand erbarmte den gutmüthigen Jerom. Er nahm mich traulich bei der Hand, hielt allen Spott zurück, und führte mich aus dem magischen Zimmer, das mir je länger desto verhaßter ward. Ich blieb noch eine Weile nachher in sichtbarer Verlegenheit; endlich kam ich der Frage näher, die mir vorschwebte, und gewann Kraft, sie hervor zu bringen. »Ich war ein Thor, lieber Jerom ...«

»Kein größerer« fiel er mir in's Wort, »als wir alle sind,[211] wenn ängstliche Wünsche mit einiger Hoffnung verbunden auf uns wirken.«

»Ich war ein Thor,« fuhr ich fort, ohne mich stören zu lassen: »aber – vergieb mir – was bist denn Du in dem Lichte, in welchem Du Dich mir heute gezeigt hast? Was für ein Handwerk treibst denn Du, alter ehrlicher Freund?«

»Das Handwerk eines Brutus,« antwortete Jerom, »der Rom von dem Tyrannen der Unschuld befreite – das Handwerk eines Pascal's, der unter der Maske der Einfalt sich des heillosen Geheimnisses der Gesellschaft Jesu bemeisterte. Ohne Verläugnung meines Muthes wäre ich nicht so mächtig geworden, als ich bin. Aber die Zeit meiner Erniedrigung ist verlaufen, bald werde ich zu meinen Kranken zurück gehen, und meine Erfahrung, bis auf Deine heutige Geschichte, soll der Welt offenbar werden.« –

Diese Erklärung meines Freundes gab mir einen Stich in das Herz. – »Nein, mein lieber Jerom,« rief ich, »ich will meinen Gönnern in Berlin nicht als ein einfältiger Tropf zur Schau gestellt werden; mein Name werde nie in den Jahrbüchern dieser Schwärmer, Betrüger und Betrogenen genannt.«

»Ist das Deine Weisheit?« fragte Jerom mit ernsthafter Stimme – »Verdient die Wahrheit nicht mehr um Dich, als daß Du sie hinter der großen Vormauer des Irrthums, hinter einer falschen Scham verstecken, und ruhig zugeben willst, daß die Zahl der schuldlosen Betrogenen sich vermehre? Die Leichtgläubigkeit eines Kranken ist der verzeihlichste Glaube. Oft – traue hierin einem praktischen Arzte – kommt diese Schwachheit der Seele körperlicher Genesung zu Hülfe. Der Gichtfluß, der das linke Bein lähmte, setzt sich nicht immer nur in das rechte.5 Nein! er verschwindet oft, ohne wieder zu kommen! Was soll man aber[212] von den frommen und gelehrten Männern denken, die nicht nur mit der Schwäche der Kranken ihr Spiel treiben, sondern auch noch die gesunde unbefangene Vernunft zu benebeln gedenken? – Für was sollen wir die Stifter der neuern Sekten ansehen, die solche Schriften in alle Welt schicken, wie ich Dir hier vorlege?« –

Ein ungeheurer Haufe! – Ich wählte einige aus, die mit berühmten Namen in dem Reiche der Gelehrsamkeit gestempelt waren, und Jerom störte mich nicht in der Aufmerksamkeit, die ich ihren widersinnigen Behauptungen, ihren erlogenen Erfahrungen und ihren anstößigen Muthmaßungen länger als eine halbe Stunde schenkte. – Seufzend legte ich endlich den ganzen Wust bei Seite, und wendete mich an meinen kaltblütigen Freund. »Lieber Jerom,« sagte ich, »erlaube ja auch diesen braven Männern krank zu seyn: denn sonst bleibt keine Entschuldigung für sie übrig.«

»Bei einigen,« – antwortete mein gut denkender Arzt, »aber gewiß nur wenigen kann Deine entschuldigende Vermuthung wohl wahr seyn. Du würdest vielleicht auch ein Buch über das Divinationsvermögen, über den thierischen Magnetismus, oder über die Wunder der Desorganisation geschrieben und edirt haben, wenn ich Dich so in Deinem Irrthum hätte forttaumeln lassen. Aber, glaube mir, der größte Theil unserer Schriftsteller schreibt nicht aus Liebe zur Wahrheit, aus Drang der Ueberzeugung oder aus Eifer für das Gute und Nützliche; sondern aus jenem gelehrten Stolze, der, gleich dem Kerkerfieber in England, nur in den engen finstern Studierstuben herum schleicht, und dann und wann die glänzenden Bewohner der feinen Welt zu Mitleiden und Almosen bewegt. – Ich kenne viele dieser schreibsüchtigen Gespenster. Der Gedanke, Aufsehn zu machen, die Augen auf sich zu ziehen, die sich eben nach einem andern umdrehen wollen; das ist der Dämon, der sie treibt und drängt! Keiner kann ertragen, daß er vernachlässigt werde, und sobald einer sein Pult mit Ruhm verläßt, setzen sich gleich hundert an das ihrige, um so geschwind als möglich das Händeklatschen auf ihre Seite zu bringen. In Ansehung der Mittel? O da denken sie nicht feiner, als jene Wirthin zum schwarzen Bocke in Harlem.«[213]

»Und was begann denn diese? lieber Jerom!«

»Das will ich Dir bei einem Glase Wein erzählen, und Dir die Anwendung überlassen.«


»Es war in dem Jahre acht und vierzig, als ihr Mann,« fuhr Jerom fort, »ihr den Gasthof zum schwarzen Bocke hinterließ, der noch jetzt nicht weit von dem Leidener Thore zu Harlem zu sehen ist, und noch jetzt, glaube ich, einem aus ihrer Verwandtschaft gehört. Das Weib war artig, gesprächig, und von eben so guter als billiger Bewirthung, besonders nachdem, durch den Tod ihres Mannes, ihre wohlthätigen Neigungen von ihr allein abhingen. Der Gasthof kam auch gar bald in die größte Aufnahme. Da war keine Schüte, die von Leiden kam, keine die abging, die ihr nicht stündlich zu verdienen gab. Zur Zeit der berühmten Messe war eine Wagenburg um ihr Haus geschlagen. Es geschah oft, daß über dem Zulauf Mangel an Raum in der Herberge entstand; und dennoch lagerte man sich lieber unter freiem Himmel vor ihrer Hausthüre oder in dem Hofraum, als daß man seine Pfeife in einem andern Gasthofe geraucht hätte. –«

»Diese Vorliebe eines, seinen Freunden so anhänglichen Volks, dauerte viele Jahre zu Gunsten der Frau. Sie hatte ihre Bewirthung in ein gewisses sicheres System gebracht, von dem sie zu keiner Zeit abging, und es war also mehr als wahrscheinlich, daß ihre Gäste sich eher vermehren als vermindern würden. Dessen ungeachtet, lieber Wilhelm, so unerklärlich es auch seyn mag, wußte der Gasthof zum Patrioten, der noch darzu viel entlegener vom Hauptthore war, nach und nach alle ihre Kunden an sich zu ziehen, und es ward zur Mode, bei ihr vorbei zu gehen. Viele hatten sogar die Unhöflichkeit, sie zu grüßen, wenn sie eben vor ihrem Hause stand: aber keine Seele fragte übrigens nach ihrem Portwein, nach ihren schwarzen Augen, und nach ihrem Salm.«

»Ein ganzes Jahr beinahe ging so hin, ohne Verdienst und Genuß.« – Noch immer schmeichelte sie sich mit der Hoffnung des gewöhnlichen Wechsels der Dinge. – Als aber die Kirmse einfiel, und auch da noch ihr Gasthof unbesucht blieb, ungeachtet sie den[214] verbleichten Bock hatte auffrischen lassen, und die weißesten Vorhänge hinter den Fenstern durchblinkten, da ward sie durch ihr unverdientes Schicksal zu heißen Thränen bewegt. – Es thut mir leid daß ich es sagen muß, aber sie sprach mit Bitterkeit über die Menschen, und schimpfte mit den ausgesuchtesten Worten auf den schelmischen Wirth zum Patrioten. Doch war sie zu klug, dabei stehen zu bleiben. Sie kannte die Menschen, und mit dieser Kenntniß verhungert man nie. Sie schwur, sich an ihrer Untreue zu rächen. »Morgen,« sagte sie, »will ich dem Patrioten zeigen, was ein entschlossenes Weib vermag. Ist Euch guten Leuten mein Gesicht zu alltäglich geworden? – O dafür will ich Rath schaffen. Morgen sollt Ihr mir vierfach bezahlen, und doch bei mir einkehren.« –

»Der Morgen kam. – Was that unsere kluge Frau? Eine Kleinigkeit; sie nahm nur eine ungewöhnliche Wendung in der Ordnung der Natur vor.« – »Non erubescit« dachte sie – ließ ein Paar große blaue Augen und eine Nase darauf malen, und steckte, sobald es lebhaft auf den Gassen ward, diese wunderliche Figur, neben die zum Ueberfluß rechts und links ein Paar blasende Trompeter gestellt waren, zum offenen Fenster hinaus. –

»Von diesem Augenblicke an war es um den Wirth zum Patrioten geschehen. Kein Mensch dachte weiter an ihn. Der unerwartete witzige Einfall der Frau entschied ihr Schicksal auf immer. Sie hatte noch keine zehn Minuten in dieser gezwungenen Stellung verlebt, so wimmelte Haus, Hof, Garten und Stall von immer mehr zuströmenden Gästen und Pferden, und seit undenklichen Zeiten war nicht so viel in Holland gelacht worden, als heute. – Ein alter Officier, der ein Cirkular vom Erbstatthalter in der Tasche hatte, verzögerte noch um eine ganze Stunde den schwerfälligen Umlauf dieser Staatsschrift, und hielt gravitätisch mit seinem dürren Pferde unter dieser Figur. – Ein Matrosenjunge, der doch jüngst erst von Indien zurück gekommen war, erkletterte eine nahe Linde, um näher und ungestörter diese Seltenheit betrachten zu können. – Ein Quacker und seine Matrone von Frau, die Gebetbücher noch in der Hand, hatten sich hier niedergesetzt und[215] tranken ihr Doppelbier, ehe sie weiter zu ihrer Versammlung schlichen; und man sagt sogar, daß die dortige Akademie einige ihrer Mitglieder abgeschickt habe, dieß Phänomen in Untersuchung zu nehmen. – Der berühmte Trost, der Hogarth der Holländer, wurde aus einem andern Weinhause herbei geholt, um diesen Auftritt, wie ich ihn Dir hier beschrieben habe, nach der Natur zu malen. Es gelang ihm vortrefflich. Das Gemälde wurde aufs theuerste verkauft, kam in das berühmte Kabinet von Brancam, und A. Delfos hat es unter der Unterschrift Les Abbusés in Kupfer gebracht. Solltest Du es nicht selbst in Deiner Sammlung besitzen?« –

»Ja wohl besitze ich es, lieber Jerom,« antwortete ich, »ohne bis jetzt gewußt zu haben, was ich dabei, denken sollte, wie mir das mit manchem andern Portrait berühmter Leute geht, in denen man eben so wenig Physiognomie entdeckt, als in diesem. – Aber fahre nur in Deiner interessanten Geschichte fort.« –

»Da der Zulauf zu diesem Wirthshause« – fuhr Jerom fort, »nicht aufhörte, der Beifall immer lärmender ward, so gelangte endlich ein ernstlicher Befehl des Magistrats an die Wirthin, ihr bedenkliches Zeichen einzuziehen, ein geehrtes Publikum nicht länger zu äffen, und ihr Blendwerk für sich zu behalten. Aber die Herren hatten vergessen, die Volksstimme dabei zu Rathe zu ziehen. Man widersetzte sich im Tumult diesem Befehle; schrie über Beeinträchtigung der republikanischen Rechte; berief sich auf die Preßfreiheit, Toleranz und Publicität; und Vornehme und Geringe behaupteten sich in dem ungestörten Anschauen dieses verbotenen Gesichts. – Hatte der erste Tag Leute herbei gezogen, so that es der zweite, dritte nebst den folgenden noch mehr. In kurzem verbreitete sich der Ruf dieses Wunderwerks durch alle sieben Provinzen. Man machte Lustreisen von den entlegensten Flecken und Eylanden hierher. – Die Neugierigsten blieben über Nacht da, und diese Nächte wurden theuer bezahlt. Kein fremder Prinz, kein Gesandter reiste durch Holland, ohne das Wirthshaus zum schwarzen Bocke zu besuchen. Die Stadt kam in bessere Nahrung. Die Zölle an den Barrieren erhöhten sich ungewöhnlich, und da die Obrigkeit ihren[216] Vortheil so augenscheinlich sah, schwieg auch sie, und die Wittwe – Gott habe sie selig! – sah sich, ehe ein Jahr verging, zu ihrem eigenen Erstaunen, berühmter, besuchter und reicher, als sie jemals im Traume gewesen war. – Indeß erzählte mir doch ein dortiger würdiger Gelehrter, daß eben die Frau, die vor ihren Zeitgenossen nicht erröthete, als noch die blasenden Trompeter neben ihr standen, sich nachher, als der allgemeine Enthusiasmus verraucht war, nicht habe der Schamröthe erwehren können, wenn sie auf dem Trostischen Kupfer die Hauptfigur erblickte, die ihr Andenken auf die Nachwelt bringen würde. –«

»Nun frage ich Dich, lieber Wilhelm, ob die Geschichte meiner Harlemer Wirthin – mit der Geschichte unserer meisten neuen Schriftsteller nicht ganz von Einem Schlage ist? – In beiden einerlei Triebfedern und Räder – Unverschämtheit aus Ruhmsucht, und Ruhmsucht aus Gewinn. – Das ist die Progression, nach welcher sie handeln, denken und schreiben – und Du siehst, ob es ihnen gelingt! Schlage alle unsere gelehrten Zeitungen und Journale nach! Welche Namen sind es, die am meisten darin flimmern? – Die Namen der Schwärmer, der Lügner, der Mitglieder geheimer Gesellschaften, und die sich's etwas kosten lassen, gelobt zu werden. Was für Winkelzüge werden nicht gebraucht, um dem Recensenten – so schwer es ihm auch ankommen mag – eine beifällige Miene abzulocken, und was für Antikritiken treten ihm frech unter die Augen, wenn er die guten Leute – wie sie sagen – nicht verstanden hat!«


»Der Urtheilsspruch, der aus den Fingern

Gelehrter Ruhmvertheiler schleicht,

Das ist der Kranz, der unsern Ringern

So vieler Lanzen würdig däucht.

Sie überlaufen sich, und werfen

In ihres Angesichtes Schweiß

Den letzten Pfeil – den letzten Scherfen

Nach diesem ausgesteckten Preis.


Non erubescit denken Alle,

Vom Tyberstrom bis an den Rhein,

Im schmetternden Trompetenschalle[217]

Mit meiner Witwe überein;

Belohnt, wenn unter ihrem Schilde

Die Markltgeschäfte stille stehn,

Und Tausende mit ihrem Bilde

Und ihrer Schrift hausiren gehn!


Bezeichnet Dir Apollens Stimme

Den Weisesten von Griechenland,

So weißt Du nicht, durch welche Krümme

Sich Sokrates nach Delphi fand.

Indem dem Accoucheur der Dichter

Die Pythonissin sich entblößt,

Wer mag's enträthseln, welch ein Trichter

Ihr die Begeistrung eingeflößt!«


»Dein Geschichtchen, lieber Jerom,« sagte ich lächelnd, »ist ernsthafter, als man nach dem ersten Ansehen vermuthen sollte, und Deine boshafte Anwendung aus unsere Schriftsteller nur allzu wahr. – Paßt das Sprüchlein des Shakespear, (hinter das einer von denen, die vor uns liegen, seine neue Entdeckung zu verschanzen sucht,) nicht eben so richtig unter das Fenster Deiner Harlemer Wirthin?« »Es giebt vieles zwischen dem Mond und der Erde,« – betet er dem Dichter nach – »wovon sich unsere Compendien nichts träumen lassen.« Nichts ist wohl leichter, als zu einer Thorheit eine kluge Sentenz zu fihnden! – »Doch was geht mich aller dieser Schnikschnak an! Ich danke Dir übrigens herzlich für Deinen theoretischen und praktischen Unterricht: nur wollte ich wünschen, daß die hübschen artigen Mädchen, die mich zu Dir geschickt haben, ihn mit mir getheilt hätten. Die armen liebevollen Kinder fangen an mich recht ernstlich zu dauern. Welcher vorsichtige Mann wird eine Schöne heirathen, die unter den Händen der Manipuleurs, Desorganisateurs und Magnetisten gezappelt hat?«

»O deßwegen sei ohne Sorgen, lieber Wilhelm!« – antwortete Jerom. »Das schöne Geschlecht weiß aus allem Vortheile für seine Versorgung zu ziehen, und unsere jungen Herren besuchen unser einen am liebsten, je blühender und reizender das Mädchen ist, das in der Krise liegt. Ueberall findest Du jetzt Adepten der neuen Kurart, die mit der ersten besten hinfälligen Schönen ihre[218] Kunst probiren. Von beiden Theilen spielt man seine Rolle so geschickt, daß eins den andern betrügt, ohne Betrug zu argwohnen. Wenn das nicht Heirathen schließt, so weiß ich nicht was es thun soll. – Aber sage mir, lieber Wilhelm, möchtest Du nicht selbst einige Tage darauf verwenden, unsere Handgriffe zu lernen? Du könntest für Deinen Spaß, sogar für Dein Ansehn in der Fremde, nichts Wichtigeres von hier mitnehmen. Ohne Mitglied irgend einer geheimen Gesellschaft zu seyn, sollte jetzt kein vernünftiger Mann einen Tritt aus dem Hause thun. Freymäurer bist Du doch wohl schon längst?«

»Nein! auch das,« antwortete ich beinahe verschämt, »bin ich nicht, bester Jerom. Ich habe nie viel auf die Triangel gehalten. Sogar der Platonische6 ist mir gleichgültig geworden, seitdem ich nicht gut mehr damit zurecht kommen kann.«

»Armer Freund!« – sagte Jerom, »wäre es nicht schon so spät – – doch morgen will ich früh zu Dir kommen, und Dich als Arzt in Untersuchung nehmen. Noch eine herzliche Umarmung! und nun für heute Gott befohlen!«


Ungern trennte ich mich zwar von meinem Freunde: aber ich nahm doch eine Ruhe, eine Sicherheit der Seele und ein so voll zugemessenes Vergnügen mit, das ich nicht beredt genug bin Dir zu beschreiben. Die Nacht – sagt das Sprichwort – ist keines Menschen Freund! Aber nach dem Schlusse eines solchen Tages ist sie's, und sie war es mir heute mehr als jemals.


Wie könnte dem des Schlafs Erquickung mangeln,

Den der Gedanke wiegt: Er, ohne den kein Haar

Von deinem Scheitel fällt, dreht noch unwandelbar

An Kräften und Gewicht, die Welt in ihren Angeln!

Dir schloß die Sonne nicht in ihrem Tagelauf

Ein neu entdecktes Thor der Offenbarung auf,

Erfüllte nicht dein Herz mit neuen Glaubenssorgen,[219]

Und gab, aus einem Sturm, der Tausende zerstreut

Und Tausende verschlang, geborgen,

Dir einen Freund zurück aus deiner Jugendzeit,

Und dieser Freund – umarmt dich morgen!


Ich lächelte aus dem Gefühle der innigsten Zufriedenheit, als ich mein Deckbette über mich warf, wie ein Mensch, der einen verwickelten Prozeß gewonnen; und dieß Lächeln schwebte mir noch um den Mund, als mich, nach genossener Ruhe, die Ankunft meines Freundes und Rathgebers weckte.

Ich hebe Dir von dem süßen Geschwätze, das mit ihm kam und den Morgen ausfüllte, dasjenige aus, womit er mich als Arzt abfertigte. – »Du hast,« sagte er ernstlich, »viele Umwege genommen, um Dich von der Natur zu entfernen: jetzt nimmt sie – und es kann Dich wundern? – eben so viele, ehe sie sich wieder zu Dir findet. Du hast über Dein eigenes Selbst hinweg, starr auf die Menschen gesehen, bis es Dir vor den Augen flimmerte. Du hast gelesen, gelesen, bis Du Dich selbst nicht mehr verstanden hast. – Du hast so viel über das Leben und Weben des Erschaffenen nachgedacht, bis Du am Ende nicht wußtest, Dich in Dein eigenes Daseyn zu finden – hast Schlüsse an Schlüsse gekettet, und so fest um Dich her geschlungen, daß Du keinen Schlupfwinkel mehr vor Dir siehst, durch den Du ungedrängt und unbeschädigt Dich retten könntest. Thörichter, thörichter Freund! – Und um so hohe Vollkommenheiten zu erlangen – was hast Du von dem Deinigen darauf verwendet? Das größte Gut, das die Natur geben kann – Gesundheit! – In ihr liegt die wahre Weisheit. Dein Kopf ist geschwächt, Dein Magen verdorben, Deine Brust ausgetrocknet, Dein Eingeweide zusammen gezogen, und Dein Puls in Unordnung. – Und Du verlangst mit dieser knarrenden, verstopften, schwerfälligen Maschine menschliche Pflichten erfüllen zu können? Wie will so ein elendes Geschöpf ein nützlicher Bürger, ein thätiger Freund, ein gütiger Hausherr, ein zärtlicher Ehemann und ein Vater munterer und gesunder Kinder seyn? Zu welcher Rolle auf dem Theater der Welt ist so eine[220] verrostete Puppe geschickt? Gehöhnet, geflohn, gemißbraucht zu werden, unbedauert und unvermißt in's Grab zu schleichen: das ist ihr Loos, und o! daß ich es sagen muß – ist das Deinige!« –

»Höre auf, lieber Jerom« – unterbrach ich den Fluß seiner Rede mit bebenden Lippen, »Du tödtest mich sonst mit Deiner gräßlichen Vorstellung! Hätte ich doch nicht geglaubt, daß man so gesund seyn müsse, um nur die Achtung eines Arztes zu verdienen? Aber setze den Arzt bei Seite: rathe mir als ein schonender Freund, oder nimm nur so viel von jenem dazu, als nöthig ist, diese knarrende, ungelenke Maschine wieder in Stand zu setzen!«

Mit mitleidiger Freundlichkeit drückte mir der gutmüthige Mann die Hand. – »Höre meinen Rath,« – fuhr er traulicher fort, »lieber Wilhelm – und es kann sich noch ändern. Du gehst zu Deinem Glücke in das Land des Leichtsinns: nutze diesen Umstand zu Deiner geistigen und körperlichen Genesung, wie ihn andere zu ihrem Verderben mißbrauchen. Suche den Scherz und das Lachen auf, wo Du es antriffst. Die Wahl unter ihrer Sippschaft lasse ich ruhig Dir frei. Meide alle und jede, die man Dir als große Männer ankündigt – alle Schriftsteller – die Wunderdoktoren aller Fakultäten – und fliehe besonders jene Magazine der Vielwisserei, die Bibliotheken, die jetzt fast alle Städte verengen, die Miethen theurer, und die besten Säle unbrauchbar machen – die, wenn die Wuth sie zu sammeln noch tausend Jahre so fortgeht, endlich die weite Welt einnehmen und das Menschengeschlecht daraus verdrängen werden, ohne es um einen Grad glücklicher zu machen.«


»Hörst Du von Wunderkraft entflammte Zungen schrein:

Auf unserm Markt ist Himmelsbrod gemein! –

So geh vorbei und glaube keiner;

Der Koth wird immerfort gemeiner

Als Himmelsbrod auf ihren Märkten seyn. –«

»Die Wenigsten sind klug.« Auf diesen Grund erbaue

Dir Dein System; und hüte Dich und traue

Der Stimmen Mehrheit nicht, obgleich die schwache Welt

Sie über uns zum Richter aufgestellt.

Wie leicht vereinigen sich Thoren

In einem Zweifelspunkt! Sie achten Deiner Ohren[221]

Und Deines Widerspruches nicht –

Geht es ad plurima am letzten Weltgericht,

So ist der Philosoph verloren –

Und dennoch sei's ihm eins der nützlichsten Geschäfte,

Verirrten nachzuspähn. Sein scharfes Auge hefte

Vor allen sich auf das, was Untersuchung flieht! –

Die Rose, die auf unsern Beeten blüht.

Zieht aus dem Dünger ihre Balsamkräfte;

Und aus dem stinkenden Gebiet

Des Truges und der Thorheit zieht

Die Weisheit ihre Nahrungssäfte.


»Suche nirgends Erbauung, als in den Wäldern unter dem Gesange der Vögel, und an dem rieselnden Bache! So lange das Blöken der Lämmer Dir nicht näher an's Herz tritt, als das Blöken der Menschen, sage noch nicht, daß Du gesund bist, und werde noch wachsamer über Dich selbst! Ueberlaß Dich auf einige Zeit ganz jener glücklichen Art von Müßiggange, die mehr Thätigkeit in sich enthält, als manches Aemtchen im Staate.«


»Wenn von dem Morgenschleier nun

Dein Liebesblick das Land enthüllet,

Die Saaten tief im Rauche ruhn,

Der aus der Aehren Blüte quillet,

Und sich Dein Herz mit Freude füllet,

Und Dir es Noth wird wohlzuthun;

Wenn alles mit Dir lebt und fühlet,

Sich sympathienvoll Dein Fuß

Am Tausendschön vorüber stiehlet,

In dessen Kelch mit Schnellgenuß

Des Lebens – eine Mücke wühlet:

Dein Geist in Harmonie gewiegt,

Kraftvoller durch sein Wohlbehagen

Die Lobgesänge überfliegt.

Die Deiner Zunge sich versagen;

Dein volles Herz die Adern spannt,

Mit Rosenöl die Wangen schminket,

Und von Gefühlen übermannt

Im Strudel der Natur versinket –

Sprich! ob dann besser angewandt

Dir einer Deiner Tage dünket? –

Und will ein Thor, den im Gebrauch der Zeit

Nur Sorgen der Geschäfte quälen,[222]

So fromme Tage für entweiht

Im Laufe Deines Lebens zählen,

So lache der Vermessenheit.

Ein so genossner Tag trägt Samen und gedeiht

Zu guter Frucht in guten Seelen,

Und giebt als treuster Freund zuletzt uns sein Geleit,

Wenn alle andre sich von unsrer Seite stehlen,

Zum Erntefest der Ewigkeit.«


»Hüte Dich, so viel Du auch Kohlenstaub von Deinem Herde zutragen könntest, an dem großen Prozesse der Aufklärung mitzuarbeiten; und hüte Dich vor dem Laster der übeln Laune, damit Du, wenn Deine Hütte brennt, nicht mit Ferngläsern suchest, wo der Rauch herkomme. – Deine Weisheit lehre Dich, mit den Thorheiten und Schwachheiten der Menschen zu spielen, und ihnen dieselbe Freiheit bei den Deinigen zu lassen, ohne Mißtrauen, ohne Strenge. – Denke selbst, wie rein die Tugenden desjenigen wohl seyn mögen, der andern keine zutraut, da wir doch nur mit dem Gefühl unsers eigenen Herzens die Bewegungen aller andern verstehen können? Weise auch nicht gleich jede schalkhafte Leidenschaft, die bei Dir anklopft, wie einen Bettler von Dir! Der herrliche Wein, der jenes Land bekränzt, sei Deine Arzenei, das flammende Gesicht des braunen Mädchens Dein Arzt, und das Spielwerk der Liebe Deine Philosophie!«

Länger konnte ich vor Ungeduld nicht zuhören. – »Deinen medicinischen Rath in Ehren und der Moral unbeschadet, lieber Jerom,« brach, ich mit Unwillen gegen ihn los, »wohin könnten mich Deine Epikurischen Verordnungen nicht bringen? Doch es hat keinen Anschein, daß ich sie mißbrauchen werde. Das Spielwerk der Liebe? – Sehr wohl! Eben so leicht könntest Du mir die Trommel und das Steckenpferd meiner Kindheit empfehlen. Wüßtest Du, mit welcher neidlosen Gleichgültigkeit ich auf jene Berauschung der Sinne herab sehe – wüßtest Du, daß mein Nachdenken mich noch um einige Grade weiter gebracht hat, als den großen Büffon das seinige – daß ich nicht nur, so gut wie er, aus der geistigen Seite der Liebe nichts finde, was der Mühe eines Mannes lohne, sondern auch selbst für das Gute keinen[223] Sinn habe, was er ihrer physischen zugesteht: – gewiß, lieber Jerom, Du würdest Dein Recept ändern! Wenn nur von den Reizen eines Mädchengesichts, von den Küssen ihres Mundes – wenn nur von Wein und Scherz, Müßiggang und Liebe meine Genesung abhängt – Freund! Freund! so bin ich verloren.«

»O ihr weisen Geschöpfe!« rief Jerom aus, »habt ihr denn noch nicht einsehen gelernt, daß andere Verhältnisse auch andere Menschen, und ein ander Klima auch andere Empfindungen erzeugen? Wenn mein Rath für einen flatternden Jüngling Schierling in unverständigen Händen seyn würde, so ist er Dir hingegen ein wohlthätiger Balsam auf Dein erstarrendes Haupt. Ziehe, wenn Du nicht anders willst, den weitern Weg nach diesem freundlichen Lande dem kürzern vor! Behandle Dich meinetwegen noch eine Weile als einen Klumpen, von dem der Rost sich erst abschleifen muß, ehe seine wahren Bestandtheile hervortreten! Uebrigens lache ich zu Deiner trotzigen, noch über Büffon erhabenen Stärke. Wie geschwind wird Deine dickblütige Moral verdunsten, wann Dich erst die auflösende Sonne jenes Landes durchwärmt haben wird!«


»Dort, wo geheimer Jugend Zauber

Durch lachende Gefilde walzt;

Dort wo der Auerhahn und Tauber

Schon im December girrt und balzt,

Und Dir kein Kämpf und Dir kein Glauber

Das Brot nimmt und den Wein versalzt;

Wo unter lauter Schäferstunden

Der Gott der Zeit sich schwindlich dreht,

Nud nicht so leicht ganz unempfunden

Ein Jugendwunsch verloren geht;

Wo statt des Nordwinds nur Gefieder

Schalkhafter Weste Dich umwehn,

Und alle Herzen, alle Mieder,

Nud alle Fenster offen stehn! –

Dort ist die Kunst, das zu entbehren,

Was die Natur im Uebermaß verschenkt,

Im süßen Kampfe mit Cytheren

Sich ehrlich seiner Haut zu wehren,

Nicht halb so leicht, als Mosheim denkt.«
[224]

»Ich fürchte, lieber scherzender Freund,« – sagte ich halb lächelnd, »daß ich Deine heutigen Weissagungen noch apokryphischer finden werde, als Deine gestrigen. Du würdest mich nicht wenig damit geängstiget haben, als ich noch vor Deinem Bette saß, und Deine Orakelsprüche für excentrische Eingebungen hielt. Heute ist mir schon leichter dabei um's Herz, und Deine Freundschaft wichtiger als Dein Divinationsvermögen. Doch, Bester – warum eilst Du von mir, mein Jerom?«

»Um einem artigen Kinde zu Hülfe zu kommen,« flüsterte er mir zu, indem er mich mit nassen Augen an seine Brust drückte. – »Sie ist freilich nicht von Eisen und Stahl,« – setzte er hinzu – »wie man aus der Magnetkur schließen sollte, in die sie sich begeben will: aber so reizend und unbefangen, daß es für einen Naturforscher schon der Mühe werth ist, ihr ihre fünfzehnjährige Beichte abzunehmen, und sie mit einem guten Rathe zu entlassen.«

»Nur um des Himmels willen,« rief ich ihm nach – »keinen von dem Umfange, als Du mir zu Deinem Andenken zurück lässest! Und nun – lebe wohl!«

So trennten wir uns zwar bänglich und zärtlich; aber doch durch ein gegenseitiges heiliges Versprechen beruhigter, uns einander nicht wieder so weit aus dem Gesichte zu verlieren. Bald nachher nahm ich Abschied von einem Orte, der mir einen Jugendfreund in die Arme geführt, meine Kenntnisse so erstaunlich bereichert, und mich, welches Dir zu Haus und Hof kommt, so geschwätzig gemacht hat.


Ich hoffte, als mir Straßburg und der Münster mit seiner Plateform und seinen neun und neunzig Stufen im Rücken lag, aus der Ernte, die ich dort eingescheuert hatte, so viele erlesene Frucht zu gewinnen, daß ich den ganzen Weg über davon zehren, und für Dein Bedürfniß die feinsten Körner zurück legen könnte. Aber ich betrog mich in meiner Rechnung. Die Geschwindigkeit und das Rasseln meines Fuhrwerks auf dem herrlichsten Pflaster, wodurch nur ein Sieger eine eroberte Provinz an seine Lande fesseln kann, ließen keinen Gedanken aufkommen. Wie ich merkte,[225] daß es mit dem Denken nicht ging und das äußere Gefühl das innere immer überschrie, faßte ich meine Seele in Geduld, ließ mich von einem Postillon nach dem andern fortschleppen, ohne auf Tag und Nacht zu achten, und sicher, daß ich nicht der erste seyn würde, der gedankenlos nach Paris käme, freute ich mich nur der heilsamen Erschütterung, in der sich alle Theile meines Körpers befanden, und dachte, wenn sich jetzt nicht der Rost von Deinem Golde abschleifet, so geschieht es nie.

In diesem Mittelzustande ist man in der Ecke eines bequemen Wagens vortrefflich aufgehoben. Selbst das Getös, das um und neben mir herrschte, je näher ich der Hauptstadt kam, vermochte nicht eher mich aus meiner vortheilhaften Lage zu bringen, bis es in immer zunehmendem Wachsthum endlich zu einem Grade der Tortur anstieg, der wohl noch einen hartnäckigern Verläugner seiner selbst überwältiget hätte. Ich fuhr erschrocken auf, und hätte orgnisirt seyn müssen wie I.D., wenn ich nicht hätte errathen wollen, wo ich wäre. Das ganze große bewegliche Gemälde, als wenn es von Höllen-Breugel gemalt wäre, stand vor mir. –


Ein bettelndes, mit angeerbtem Schwindel

Vom Ruhm des Vaterlands beseligtes Gesindel;

Das höchste Mißgetön des städtischen Gewühls;

Der Amoretten Schaar in aufgefärbtem Zindel

Mit allem Ungestüm des hungrigsten Gefühls;

Der spähende Betrug, der mich mit seiner raschen

Gehülfen Zahl vertraut willkommen hieß –

Rief warnend mir ins Ohr: »Verschließ –

Verschließ Dein Herz und Deine Taschen:

Du bist im Weichbild von Paris!«


Man hatte in Straßburg meinem Johann das Hotel der vier Nationen empfohlen – ein nicht unebenes Gegenbild des berühmten Zufluchtsorts der Wissenschaften, den der Kardinal Mazarin den vier kultivirtesten Völkern der Erde, zu ihrer noch höhern Vervollkommnung, in seinem Testamente aufschloß. Da diese kontrastirende Vergleichung keine hinlängliche Ursache enthielt, der Anweisung meines Johann nicht zu folgen, so versprach ich mir,[226] obschon ein krankes Mitglied einer dieser so vorzüglich an Leib und Seele dotirten Völkerschaften, dennoch eine gute Aufnahme; merkte aber bald, daß die deutsche Nation nach französischer Rechnung unter den vieren wohl nicht die geachtetste seyn mochte.

»Gute Zimmer?« fing der Wirth meine Frage auf, indem er mich, von meiner Bibermütze an, bis zu meinen Pelzstiefeln herab, in Untersuchung nahm, und bedenkliche Blicke bald auf meinen Johann, bald aus meinen Mops warf – »Gute Zimmer? – o ja, diese fehlen in diesem Hotel nicht; – die schönsten werden für Engländer aufgehoben, die Verstand genug haben, sie nach ihrem Werthe zu bezahlen.« – Er sah mir während dieser trockenen Erklärung steif in's Gesicht, und fuhr, da ich mich hinter den Ohren kratzte, noch trockener fort – »Auch stehen zwei Treppen hoch noch ganz artige Zimmer frei – etwa für einen deutschen Prinzen oder Grafen.« Und da ich, auch diese Wendung seiner Rede nicht zu verstehen, verstopft genug war, sagte er mir endlich, mit sichtbarer Aergerniß über meine schweren Begriffe rund heraus: »Mit Einem Worte, mein Herr, ich kann Ihnen im Hinterhause nur mit einer Kammer für Sie und Ihren Bedienten aufwarten, wenn Sie Sich noch so lange in dem Ansprachzimmer gedulden wollen, bis sie der Koch des Herzogs von Dorset, der eben im Begriff ist abzureisen, geräumt hat.« – »Gut!« – sagte ich, um dem Geschwätze ein Ende zu machen, und wurde in das Sprachzimmer gewiesen.

Hat jemals ein Ort seinem Namen Ehre gemacht, so war es dieser. – Es war eine wahre Marterkammer für deutsche Ohren. Ich flüchtete, sobald ich hinein trat, nach einem Lehnstuhl, der in der entferntesten Ecke stand. Doch diese Vorsicht war von schlechtem Nutzen: vielmehr machte ich mich der Masse Menschen nur noch bemerklicher, die sich nun wie ein Knaul entwickelte, und mich in einen sich immer verengernden Kreis einschloß, der aus Kürschnern, Spitzenhändlern, Hutmachern, Modekrämern, Lottowerbern, Haarkräuslern, Schneidern, Schwertfegern, Mädchen-und Roßtäuschern zusammen gesetzt war, die mir alle, mit einem großen Aufwande von Worten, ihre wichtigen Dienste und ihre Waare feil boten. Zu was für einer Figur würden sie mich in der Geschwindigkeit[227] umgestaltet haben, wenn ich der Laune gewesen wäre, mich ihrer Ausbildung zu überlassen! Statt aller Antwort aus ihre beredten Anfälle, hielt ich mir die Ohren zu, und drückte mein Kinn tiefer in meinen Oberrock.

Diese hypochondrische Unhöflichkeit fertigte sie geschwinder ab, als die beste Rhetorik – denn ein Franzos hört sich gern und will gern gehört seyn. Ein einziger Lohnlakey ließ sich nicht davon anfechten, und brachte mich durch seinen ausdauernden Ungestüm so aus der Fassung, daß mir das ernstlichste allez au diable entfuhr, das vielleicht heute im ganzen Königreiche gesprochen wurde. –

Daraus erwuchs aber eine neue Verlegenheit für mich. Die harte Aussprache meines Fluchs störte einen Abbé auf, der bisher mitten in dem allgemeinen Lärm in einer Fensterecke geschnarcht hatte. Er erhob sich – taumelte schlaftrunken auf mich zu, rückte vertraulich einen Stuhl neben den meinigen – gab sich mir als ein Membre du Musée de Paris zu erkennen, und bot mir, ehe ich mich so etwas versah, einen Cours de belles lettres, die Stünde für einen Louis, an. Er habe, fuhr er fort, Deutsche im Unterrichte gehabt, die bei ihrer Ankunft nicht im Stande gewesen wären, nur – Charmante Gabrielle – ohne Fehler auszusprechen, und die jetzt ... Indem pflanzte sich, zu meinem Glücke, ein stammhafter Miethkutscher vor uns hin, der mein wahres Bedürfniß ungleich besser zu errathen schien, als jener.

»Mein Herr,« – unterbrach seine rauhe Stimme das sonorische Geschwätz des Gelehrten, – »Sie dürfen nicht hoffen, so lange Sie hier sitzen bleiben, dieser Zudringlichkeiten und Ausfälle auf Ihre Geldbörse« – hier nahm der Abbé eine Prise Tabak – »los zu werden. Ich habe eine bequeme Equipage zu Ihren Diensten vor der Thüre stehen. Retten Sie Sich durch eine Spazierfahrt aus diesem Getümmel, bis Ihr Stübchen geräumt ist. – Befehlen Sie nur, ob Sie nach St. Cloud – nach MarlyTrianon oder la Meute wollen. – Oder haben Sie mehr Lust, ein paar Stunden aus dem Boulevard hin und her zu fahren?« Ich machte eine unentschlossene Miene – »Oder wollen Sie,« fuhr[228] er mit großer Menschenkenntniß fort, »da Ihnen die Lustschlösser unserer Könige zu mißfallen scheinen, etwan ihre Supplices zu. St. Denis besuchen?«

Dieser Vorschlag verfing. »Du bist mein Mann!« sagte ich, »ja – dahin sollst Du mich fahren – ich kann die Zwischenzeit, bis der Koch des Herzogs von Dorset mir Platz macht, nicht besser anwenden.« – Das Membre du Musée schien in diesem Augenblicke zu bereuen, einem so alltäglichen Menschen, der ihn einem Miethkutscher nachsetzen konnte, nur das Wort gegönnt zu haben. Er drehte sich verächtlich von mir weg, und mir – ich gestehe es aufrichtig – war es ziemlich einerlei, ob ich jemals Charmante Gabrielle gut aussprechen würde oder nicht. – Ich folgte meinem Kutscher, der mir mit wichtigen Tritten den Weg durch das Sprachzimmer frei machte, und mir glücklich in seinen Wagen half.

Der Wunsch, aus dem Gedränge aller dieser dienstfertigen Geschöpfe zu kommen, traf hier mit einem geheimen Zuge zusammen, den mein Herz immer nach den Mausoleen der Großen, oder ehmals glücklichen und berühmten Männer, gehabt hat. – Ich gestehe Dir, lieber Eduard, daß ich in keinem von allen Sprichwörtern, die ich kenne, so viele wahre praktische Philosophie finde, als in jener populären Sentenz: daß selbst ein kranker Hase besser sei, als ein todter Löwe. Die naive Wahrheit, die dieses Sprichwort enthält, ob es gleich nicht so prächtig klingt, als manches andere, ist nichts desto weniger von dem wohltätigsten Sinne; und ich kann mich dreist auf das Gefühl des größten Theils der Menschen berufen, ob sie ein tröstlicheres wissen. Es streute auch dießmal Rosen auf meinen Weg. – Ich fühlte mich, so krank ich auch war, doch lebend – und kraft dieses Gefühls schien ich mir gutmüthiger als Heinrich der Vierte, größer als Ludwig der Große, und herzhafter als der Ritter Bayard zu seyn, und diese Empfindung hielt bis vor das alte Gebäude nach, das ihre Asche verschließt.


Vermuthlich erwartest Du jetzt, lieber Freund, daß ich alle Winkel der Kirche durchstören, alle die königlichen Namen nach Henaults Verzeichnis vergleichen, und nachsehen werde, welche[229] Titel auf ihren Steindecken verwischt sind. Aber, leider! kann ich Dir nicht damit dienen: denn – ich stieg nicht einmal aus dem Wagen; so ganz war das Anziehende, das dieser Ort in der Entfernung für mich gehabt hatte, verschwunden, so bald ich da war. Trotz dem tröstenden Sprichworte und allen den schönen Anwendungen, die man hier davon zu machen die beste Gelegenheit hat, muß man, glaube ich, ein Pferd oder ein Mönch seyn, um gutwillig länger als eine Minute hier zu dauern.


Auf Schädeln, die sich einst des Kronenschmucks gefreuet,

Eh sie ein Todtenkranz in dieses Reich verwies,

Als Perlen für das Paradies

Jetzt an einander angereihet,

Thront hier ein Mönchsgezücht. Symbolischer als dieß

Ward keins den Heiligen geweihet;

Keins, dem die Billigkeit den Abgang des Genie's

So Überschwenglich gern verzeihet:

Denn, der von oben her dem Häuflein Schutz verleihet,

Ist der enthauptete Denis. –


Kennst Du zum Flügelmann bei einer Mönchsparade

Wohl einen schicklichern in dem Prälatenchor?

Selbst die Legende sagt: »Mit seinem Kopf verlor

Er weniger als Nichts. Er blieb durch Gottes Gnade

So klug und heilig wie zuvor.«


Wer seinen Kopf noch fühlt, und, sein Gefühl zu retten,

Nicht Wundermittel gern versucht,

Vermeide diese Todtenbucht,

Und nehm' aus diesem Lärm von Metten,

So eilig als er kann – die Flucht!

Die schwersten Wetterwolken fliehen,

Der schnellste Rabe selbst, in seinem Fluge, kehrt

An diesem Kloster um, das Tag und Nacht belehrt,

Wie viel von Bourbons Stamm im Fegefeuer glühen:

Und ich – dem ein Abbé schon viel zu laut geschrien,

Dem schon ein Wort das Trommelfell versehrt,

Das nicht mit lindem Hauch sanft von der Junge fährt –

Könnt' ich dieß Mißgetön geduldig in mich ziehen –

Nicht eines Tons wär' ich von Wielands Harmonien –

Nicht meiner Menschenohren werth.
[230]

Ich befahl meinem Kutscher, ohne mich einen Augenblick zu besinnen, sogleich wieder umzukehren, und gelobte dem heiligen Denis, daß mich kein Sprichwort in der Welt je wieder zu so einer Spazierfahrt verführen sollte. Lange hinterher sans'ten mir noch die Ohren von diesem Glockengeheul, und verwehrten mir an etwas anders zu denken. –

»O du Unglücklicher!« redete ich mich endlich an, indem mir's auf's Herz fiel, daß ich jetzt zwischen St. Denis, das nun hinter mir, und dem Sprachzimmer, das vor mir lag – wie zwischen Thür und Angel steckte – »in welchen abgelegenen Winkel wirst du dich endlich mit deinem Tympanum retten müssen! – Es ist doch eben so sonderbar als unverantwortlich, wie die Menschen auch die elendeste Gelegenheit nutzen mögen, Lärmen in der Welt zu machen – von der Trommel des Knaben an bis zu den Seelenmetten der Könige!« –

Die Eigenliebe dieser glücklichen Nation ist doch in der That nicht von gewöhnlichem Schlage. Sie belebt, bewegt und verbindet, gleich einer allgemeinen Eroberungssucht, jedes einzelne Mitglied des Staats zu dem gemeinschaftlichen großen Endzwecke, den Beifall und die Bewunderung aller Völker der Erde zu erbeuten. Sie ziehen öffentlich zu Felde, und thun geheime Ausfälle darnach, und halten sich, wodurch sie eigentlich unüberwindlich werden, niemals für geschlagen. Wenn der erste, dem Du auf der Straße begegnest, auch so bettelarm ist, daß er Dir weder Tabac des Fermes aus einer verschabten Dose anbieten, oder Dir unter einem zerrissenen Kittel wenigstens ein Paar Manschetten zur Schau geben kann, so ist doch zu wetten, Ihr seid noch keine Viertelstunde mit einander fortgeschlendert, so glaubt er Dir das Geständniß abgenöthiget zu haben, daß kein Volk so mächtig, so reich, so witzig, so artig, so erhaben sei, als das seinige; und sollte sein Antheil an diesem Nationalvermögen auch noch so gering seyn, so ist er doch gewiß mit seinem Loose zufriedener, als Du mit dem Deinigen. Die guten Leute wissen jede Einwendung, die wir etwa dagegen merken lassen, so geschwind zu entkräften, glauben, daß jedes menschliche Auge so geformt sei, wie das ihrige, und können nicht begreifen,[231] wie ein Fremder unter ihren bunten Kleidern – Armuth, eine verdorbene Haut unter ihrer Schminke, und Elend und Verzweiflung in den Labyrinthen ihrer Hoffarth entdecken könne.

Ein jeder deutscher Miethkutscher würde gewiß auf meinen ersten Wink sehr vergnügt über sein abgekürztes Tagewerk, nach Hause gefahren seyn. Meinem Franzosen aber war der Gedanke, wie mächtig wohl der Fremde über die Wunder seiner Stadt erstaunen werde, wichtiger, als jede andere Rücksicht, und er machte gern einen freiwilligen Umweg nach den schönsten Plätzen, um sich dieser Empfindung desto gewisser zu versichern.

Ich hätte vielleicht gar nicht gemerkt, daß ich in diesem Augenblicke mehr ihm zu Diensten sei, als er mir, hätte er nicht, als er den Standpunkt erreicht hatte, den er suchte, von wo man auf einer Seite das Palais de Bourbon, auf der andern den Platz Ludwig des Vierzehnten übersehen kann – auf einmal stille gehalten, und mir mit einem Gesichte voll unbeschreiblicher Selbstzufriedenheit zugewinkt. O wäre er mit seinen müden Pferden auf gut Deutsch den geraden Weg gefahren! – Der gute Kerl dachte wohl nicht, daß meine Blicke nur schlaff über alle diese prächtigen Gegenstände hinweg, auf ganz gegenseitige gleiten würden, über die Er wegsah – dachte wohl nicht, wie viel er mir durch seinen Stillstand zu leide that.


Ich sah mich um, und Thränen trübten

Mein Aug', als ich ein Volk, dem Hungertode nah,

Am Fußgestell des Vielgeliebten

Sich in dem matten Strahl der Sonne wärmen sah.

Ein Jüngling, aus der Zahl der Leidenden gerissen,

Traf meinen zweiten Blick. Gesetz und Fesselzwang

Hielt den Gemarterten, der unter Schlangenbissen

Vergebner Reu' die dürren Hände rang.

Ein feister Mönch, voll Lebensdrang,

Begleitet tröstend ihn auf seinem finstern Wege.

Zunächst ein Savoyard, der zu der Zitter sang:

»Der arme Brotdieb stirbt den Tod der Keulenschläge

Bis nach der Sonne Untergang!« –


»O um Gottes willen,« rief ich zum Schlage heraus, »fahrt zu, mein Freund, fahrt zu!« Und ich wiederholte meine Bitte,[232] als er bei der Façade des Louvres noch einmal in Versuchung kam, mein Erstaunen zu erregen; denn ich sah nur das Fenster, aus welchem der Held der Bartholomäusnacht sich das königliche Vergnügen machte, sein Gewehr auf seine protestantischen Untertanen abzufeuern.


So kam ich endlich in den heftigsten Gemüthsbewegungen und mit dem festen Entschlusse in mein Hotel, bis morgen zu meiner Abreise, außer dem Stübchen, das mir der englische Koch einräumtte, nichts weiter von Paris kennen zu lernen.

Der Wirth hatte jedoch unterdessen das Geschäft, bei welchem ich mich so ungeschickt benahm, mit meinem Johann in's klare gebracht. Ich wurde mit vielen Entschuldigungen von ihm empfangen, und zu meinem Vergnügen bei dem unglücklichen Parloir vorbei in das Apartement eingeführt, das vorhin nur deutschen Prinzen und Grafen bestimmt war, ohne daß ich mich, welches einem kranken Manne wohl zu vergeben ist, im geringsten darum für distinguirter gehalten hätte, als vorher.

Hier war mir nun zwar etwas besser zu Muthe, als in dem Sprachzimmer; aber doch nicht viel. Der Tropfen Thau in der Fabel, der in das Meer fällt, und ich in Paris, waren ungefähr in gleichem Verhältnisse. Ich stand mit nichts in Verbindung, als mit dem unbändigen Getöse, das aus den Gassen dieses städtischen Ungeheuers herauf stieg, gleich einer unsichtbaren Macht durch meine Zimmer walzte, mir keinen sichern Sitz, kein ruhiges Lager verstattete, und das in hypochondrischen Stunden – den König selbst, dächte ich – so ängstigen müßte als mich, wenn er die Gewalt dieses tobenden Stroms mit der geringen Kraft vergleicht, durch die sie in Schranken gehalten wird. Die Folge war, daß es mir damit ging wie ihm. Ich horchte und horchte wieder, gewöhnte mich daran, und schlief ein.

Als ich den Morgen erwachte, konnte ich nur einen einzigen Bewegungsgrund finden, noch eine kurze Zeit in dieser Betäubung zu verweilen. Ich gab dem Triebe nach, der stärker war, als meine Milzsucht, um einen alten Bekannten von so liebenswürdigen[233] Verdiensten zu besuchen, daß selbst einem Kranken wohl bei ihm seyn kann – ich meine den Baron von Grimm.


Ein Mann, der offnen Markt mit deutscher Treu' und Glauben

Im Angesicht des Louvres hält,

Wie Schlangen klug, und ohne Falsch wie Tauben,

Und Garrick in dem Spiel der Welt,

In dem Geschäft, die Wahrheit zu erkennen,

Von Lockens Geist und von Saumaisens Fleiß,

Doch der den Stuhl nicht nur zu nennen,

Nein! sich auch drauf zu setzen weiß.7


Ich brachte einige höchst glückliche Stunden bei ihm zu, bewunderte auf's neue die feine Dienstfertigkeit, die bei ihm der reinste Ausfluß einer allgemeinen Menschenliebe ist, die von dem redlichsten Charakter, dem herrlichsten Verstande, der seltensten Erfahrung, und den ausgebreitetsten Kenntnissen genährt und unterstützt wird.

Als ich ihn mit dem stillen Wunsche verließ, immer so gute Menschen auf meiner Wallfahrt zu finden, war alles in Paris für mich abgethan. Ich ließ Opern, Thuillerien und Boulevard gut seyn, übergab mich der Poste rovale, hielt mir die Ohren zu, bis ich außer der Barriere war, und küßte – meinen Mops, als ich mich aus diesem Getümmel gerettet sah.


Es war schon ein gutes Zeichen meiner anhebenden Besserung, daß sich zwischen Paris und Fontainebleau ein Selbstgespräch in mir entspann, das mir keine Runzeln auf der Stirne zurück ließ. Ich wog zum erstenmale den Vorzug der Reisen gegen den albernen Beruf ab, immer wie ein Fixstern an Einer Stelle zu bleiben, und zu erwarten, ob uns einmal ein scharfsichtiges Auge in unserer entfernten Region entdecken werde, und sagte mit heimlicher Freude: »Gott Lobt! Nun bist du wahrscheinlich auf der Spur, der du in Berlin so lange irre gingest – zu verdauen und zufrieden zu seyn.« Seele und Körper begegneten einander so, als suchten sie die ehemalige[234] gute Freundschaft wieder zu erneuern, die durch ein geringes Mißverständniß unterbrochen wurde. »Wenn dieses harmonische Verhältniß von Bestand ist, wie ich hoffe, was kümmert mich,« sagte ich, »alles übrige?«

Ich erzählte, um genau zu gehen, alle die Fälle, die mich je um Freude und Gesundheit betrogen, und überlegte, wie leicht ich ihnen durch ein Paar Postpferde hätte entwischen können. »Stehen dir,« fuhr ich fort, »in dem einen Winkel der Welt deine Spielgesellen nicht an, rutsche nur eine Ecke weiter zu andern! Es müßte nicht gut seyn, wenn du nicht hier und da auf eine leidliche Seele stoßen wolltest, bei der du eine Weile ausruhen und vergessen könntest, wie dieser und jener dir einmal auf deinem geraden Gange ein Bein stellte, oder ein Loch in deine Trommel stieß. Wie viel weniger haben unsere Thorheiten auf Reisen gegen die zu bedeuten, die wir in unserer Heimath begehen! Gewaltiger Unterschied, wenn ein Land oder eine Gasse zwischen ihnen und uns liegt!«

Auch Ihr, meine lieben Freunde und Gönner, gewannet zusehens mit jeder Station, die ich zurück legte, in meiner Neigung und Achtung. Ihr erscheint mir in der Entfernung in einem viel wohlthätigern Lichte, als da ich noch Euern, manchmal ungelegenen Besuchen, Euern Launen, Euern Schmäusen, Euern Gevatterbriefen ausgesetzt war. – Ich versöhnte mich mit allen großen Männern meines Vaterlandes, ihren Schriften und Liedern, so oft ich bei einem französischen Buchladen vorbei fuhr, und lächelte in Gedanken rings umher ihre Gypsköpfe an, die mir vor drei Wochen noch überall im Wege standen.


In dieser Lebhaftigkeit erhielt ich mich bis in dem Angesichte des Jagdschlosses, auf welchem einst eine junge Königin,8 auch auf einer Lustreise (welches mir in diesem Augenblicke meiner Behaglichkeit ungewöhnlich, auffiel) eine empörte Leidenschaft durch[235] einen Mord zu besänftigen suchte. Ob ihr die gute Absicht ihrer Beruhigung so leicht gelungen seyn mag, als das gefährliche Mittel, das sie einschlug, will ich nicht mit Gewißheit behaupten, und es noch weit weniger mit dem allgebietenden Leibnitz in Schutz nehmen. Mich gemein denkenden Mann brachte schon die Erinnerung dieser Geschichte ganz aus meiner glücklichen Stimmnug, und verbitterte mir bis nach Auxerre jedes Aufwallen freudiger Empfindung.

Hier stieß mir ein desto lustigeres Abenteuer aus, an das ich mich um so begieriger hing, je alberner ich mir selbst in den veralteten Händeln vorkam, in die mich meine empfängliche Einbildungskraft verwickelt hatte. Gerade dem Posthause gegen über schrie ein Kerl an einer kleinen Bude, zu der eine Menge Menschen hinströmte: Fruges consumere natus: Bête sauvage d'Allemagne, jusqu'ici inconnue en France.

Es wären, dachte ich, die ersten zwölf Sous, die ich in Frankreich wagte, um meiner gereizten Neugier ein Geschenk zu machen, und mochte der kleinen Versuchung nicht widerstehen, etwas näher zu untersuchen, auf welches Geschöpf wohl eine Beschreibung angewendet sei, die auf so viele in meinem Vaterlande paßte, und die ich zu einer andern Zeit wohl hypochondrisch genug gewesen wäre auf mich selbst zu ziehen. Ich fand mehr und fand weniger, als ich erwartete. Das Wunderthier, dessen ganzes Geschlecht wir gern der französischen Nation, für die Regie, die sie uns gab, zum Gegengeschenk machen würden, war freilich nur – ein Hamster: aber der Mann, der ihn in diesem Städtchen zur Schau stellte, war mir desto merkwürdiger. Diesen Anstand, diesen hohlen Ton der Stimme, diese funkelnden Augen – trug, wie mich sogleich der Augenschein lehrte, vor dem Jahre ein homme comme il faut, auf unsern Redouten herum, der mit ausgezeichnetem Glücke Piket spielte, Dich, lieber Freund, so gutmüthig als dringend auf sein Marquisat einlud, und Dich, wer weiß? zu dieser Lustreise verführt haben würde, hätte ihn nicht endlich eine Kleinigkeit aus Deinen Umarmungen gerissen! Ich bezahlte über meine zwölf Sous noch gern mein Erröthen für das seinige, als er mich erkannte,[236] setzte mich geschwind wieder in meine Chaise und fuhr unter lautem Gelächter davon.

Wie gern hätte ich noch zwölf Sous bezahlt, wenn ich für diesen Preis meine Ueberraschung der schönen Clitoris9 der damaligen Redoute hätte abtreten können, um sie über die teterrima belli causa, wie es der spitzige Horaz nennt, schamroth zu machen, durch die sie die Würde eines Hofmanns gegen einen – Hamsterträger aufs Spiel setzte. Du übernimmst wohl dieses Geschäft in meiner Abwesenheit, das Dir ohne Zweifel zu einem desto ungestörtem Triumph im jetzigen Karnaval verhelfen würde; könnte Dir mein Tagebuch nur zeitig genug diese wichtige Nachricht zufertigen.

Ohne meine gute Laune zu verlieren, die ich aus der Bude Deines Rivals mitnahm, fuhr ich in Einer Strecke nach Yvri. Hier warf ich mich aus eine steinharte Matratze und erwachte – Gott! – wie ich immer erwachen möchte! Ich fand meinen Wagen, als ich fort wollte, mit einer Menge bettelnder Kranken umgeben, die keinen bessern Zeitpunkt hätten treffen können, denn der Antrieb, wohl zu thun, brauste durch alle meine Adern. – Ein gemeines Almosen war mir in meinem weit umfassenden Gefühle zu klein. Ich öffnete den Sitz meines Wagens, und theilte, ohne mich zu bedenken, den ansehnlichen Vorrath meiner theuern Arzeneien unter diese Hülfsbedürftigen aus.

Ein Soldat mit einem hölzernen Arm erhielt zwanzig Portionen von dem Luftsätze des Freiherrn von Hirschen; achtzehn waren noch übrig, die ich unter eben so viel Kinder vertheilte. Eine uralte Frau, die über nächtliche Anfechtung des Teufels und über Schlaflosigkeit klagte, beschenkte ich mit meinem Elixir aus Bruchsal nebst der Adresse. Unter den übrigen Hausen von Schwindsüchtigen und Bleichen theilte ich meine Magnettropfen, mein Glaubersalz und meinen Zwieback aus. Eine schlanke Gestalt mit einem[237] Madonnengesichte befand sich unter den letztern. Ihr würde vermuthlich die Desorganisation sehr gute Dienste geleistet haben, hätte ich das Ding nur verstanden, oder Zeit und Lust gehabt, einen Rapport unter uns aufzusuchen. Ich gab ihr indeß, bis ein Meister der Kunst auf sie trifft, eine noch unberührte Schachtel temperirenden Pulvers, der einzigen Arzenei, deren ich mich während meiner Reise nicht benöthigt gefühlt hatte; und nun warf ich mich geschwind in den Wagen, um mich den Lobsprüchen und Danksagungen zu entziehen, mit denen mich dieser unglückliche Haufen von Menschen übertäubte. Mein Herz war erleichtert. Nicht so klein, die Kosten zu überrechnen, die ich mit diesem Geschenke weggab, ungeachtet sie gewiß mehr betrugen, als vielleicht der reichste Mann nicht bei so frühem Morgen unter Arme vertheilt, kam mir nicht einmal die Besorgniß in den Sinn, daß ich mich selbst durch meine unbegränzte Freigebigkeit, aus den Fall eigner Noth, hülflos gelassen habe. Nur Betrachtungen des menschlichen Elends, nur belohnende Empfindungen der Gabe des Mitleids, die ich in Berlin nie in diesem hohen Grade würde gekannt haben, verkürzten mir den Weg.


Gesegnet sei der Mann, der das Reisen erfand, und dreimal gesegnet der trefflichste meiner Freunde, der mich aus dem tödtenden Staube meiner Bücher hervorzog, und meine kleinsten Tugenden in Bewegung und in die glückliche Lage setzte, sie anzuwenden! Ich flog leicht wie ein Zugvogel über die Echellen. – Einige Stunden Schlaf, die ich zu Lyon im Vorbeigehen mitnahm, stärkten mich zu einer Rastlosigkeit, deren ich mich nie fähig geglaubt hätte, und die, mit dem herrlichsten Wege und der Thätigkeit der Posten verbunden, mich die folgende Nacht nach Palu, und den Morgen darauf – aber welch ein Morgen! – nach Nimes brachten, wo ich den artigen Pavillon bezog, den ich nun, nebst seinem daran stoßenden Gärtchen, schon einige Wochen bewohne, ohne daß ich mich nach einem andern, als dem Dir gewidmeten Geschäfte umsah, mit meinem Tagebuch in Gang zu kommen.[238]

Ich bin es nun, theuerster Freundund schreibe dir in diesem Augenblicke unter der kleinen Wölbung zweier sich umarmenden fruchtvollen Granaten-Bäume, die mich doch kaum vor dem Eindringen der Sonne schützen. Aber wo soll ich Worte, ohne sie an allen Ecken zusammen zu suchen, hernehmen, dir das ganze Glück meiner bis jetzt gefühlten Existenz anschaulich zu machen? Welche Reize der Neuheit für einen Deutschen umflossen den lachenden Wintermorgen, an dem ich Besitz von meiner heimlichen Wohnung nahm! Sie schwebten den Mittag um die Kost meines kleinen Karthäuser-Tischchens, um die jungen Erbsen, Erdbeeren und Feigen her, mit denen er besetzt wurde. Ein wolkenloser Abend, von dem Du keinen Begriff haben kannst, voller Hoffnung eines gleich schönen Morgens, zauberte mich in den friedlichsten Schlaf; und diesem Tage glichen alle die folgenden, die ich bis heute in diesem Lande verlebt habe. – Indeß nun meine Seele, während dieses körperlichen Wohlbehagens, sich von dem Glücke ihrer teilnehmenden Empfindung belastet fühlt, sage, woher soll bei diesem Zusammenströmen geistigen und leiblichen Lebens, das vielleicht nie ein Gelehrter in dieser Verbindung gekannt hat, woher sollte unsere, für den Hausbedarf zwar nothdürftig gebildete – für höhere Gefühle aber immer noch arme Sprache zu einem Kraftworte kommen, das die Seligkeit dieses Zustandes bezeichnet? Die Metallurgie hat eins für den Schimmer, den das durchglühte kochende Erz auf eine Sekunde von sich wirft, wann es, von allen beigemischten fremden Theilen gereinigt, den höchsten Grad der vollendeten Scheidung erreicht hat – ein Wort, das ich ihr mit Vergunst der Obern entlehne. Diesen Tag also mit seinem Anhange erlaube mir, lieber Eduard, den Silberblick meines Lebens zu nennen! Möchte er nicht auch, wie bei den edeln Metallen, nur ein Schimmer – und der Uebergang zur Verkühlung – nicht auch schon der Anfang seiner Verdunklung seyn! Aber wie kann hienieden Reinigkeit mit Brauchbarkeit für die Welt bestehen? Werden nicht Metalle und Seelen nur desto mehr an innerm Gehalte verlieren, je geschwinder sie unter den Händen des Künstlers eine nützliche Form erhalten, und unter dem Gepräge eines Fürsten[239] in Umlauf gesetzt, und verdammt werden, Handel und Wandel auf ihren Märkten zu fördern? –

Aber Jerom winkt mir – ich schweige. Ich respektire seine Warnung, seitdem es mir wahrscheinlich wird, daß seine Weissagungen nicht so ganz unerfüllt bleiben werden, als es mein Starrsinn des vorigen Monats gegen ihn behauptete. Freude, Lachen, Müssiggang und Muthwillen scheinen über meinem Schreibtische zu schweben, mir die Feder zu führen und mir die Worte unvermerkt zu vertauschen; ja, hätte mich nicht das heilige Versprechen, das Du mir abnahmest, an mein Tagebuch gefesselt, o sie würden mich schon gern weit von ihm hinweg, in andere Irrgänge verlockt haben, als die sich um die Blumenbeete meines kleinen Gartens schlängeln.

Keine Reisebeschreibung von Inhalt, keine statistisch und politisch praktischen Bemerkungen, keine Münz- und Antiquitätensammlungen, keine Untersuchung des Bodens und der Schichten der Berge – Was war es nicht alles, das Du Dir verbatest? – Guter Freund! Du hättest Deine Ausnahmen sparen können; denn kaum habe ich Zeit, Dir nur zu geben, was ich Dir schuldig bin, kaum Zeit, das Votivgemälde zu entwerfen, das ich meinem Erretter gelobte! – In dieser Art Malerei ist es Herkommens, daß sie nicht nach der Kunst, sondern nach der guten Absicht beurtheilt und geschätzt wird, und schickt sich also besonders gut für meinen ungeübten, flüchtigen Pinsel. Die Wahrheit soll indeß desto weniger dabei verlieren; und findest Du ja, daß hier und da die Farben zu stark aufgetragen, sich nicht genug in einander verschmelzen, so darfst Du nur das Stück ein wenig höher hängen, als gewöhnlich; es wird schon seine Wirkung thun. – Hänge es so hoch, daß es kein myopisches Auge einer Dame, keine Brille eines Doktors erreichen kann. Ich bin unter dem Schütze des Merkur, in dem Garten der Circe, male nur meinem Freunde, und male nach der Natur.


Hier, wie Du denken kannst, giebt nicht die Langeweile

Mir Arbeit in die Hand. So süße Stunden theile

Nur Freundschaft unter sich! Der blonde Phöbus sieht[240]

Mein Morgenopfer gern. Wie freundlich überzieht

Sein Goldstrahl mein Papier, und trocknet jede Zeile,

Die meinem Schwanenkiel entflieht!

Sprich selbst, verdient' ich wohl die Milde seiner Strahlen,

Wenn ich mit deutscher Autorhand

Es unternähme, Dir die Scenen aufzumalen,

Die ich, bleich durch die Zeit, verderbt durch Unverstand,

Im Staube wurmichter Annalen

Und im Lombard des Irrthums fand?

Nein! Freund, ich und das Ding, das jetzt mit goldnem Flügel

An meiner Feder lauscht, jetzt schnell sich wieder hebt,

Und nun im Thal und auf dem Hügel,

Und immer nur auf Blumen schwebt,

Wir lassen gern dem trägen Igel,

Der Schnecke, die am Boden klebt –

Obgleich ihr Seherohr in's Empyreum strebt –

Sehr gern den philosophischen Zügel,

Den ihnen die Natur gewebt.


Den 7ten December.


Seit vier Tagen schon, mein Eduard, habe ich einen größern Zirkel um mich geschlagen, den ich nach und nach, wie es sich für einen Genesenden schickt, immer mehr erweitern werde. Da habe ich nun, ohne es zu ahnden, Dinge hinein gezogen, die es wohl verdienen, daß ich sie abzeichne. Ich hatte mich zum erstenmale, und nicht viel über hundert Schritte, von meinem Pavillon entfernt, als ich auf ein Menschenwerk stieß, das – wie soll ich sagen? – den Anstand einer Königin unter dem Flitterstaat einer gemeinen Buhlerill verrieth; ein vollkommen erhaltenes römisches Bad, frisch übertüncht, mit neuern Bildsäulen und einem Garten voll Hecken umgeben.

Ich wußte lange nicht woran ich war, bis mir das glücklichste Ungefähr einen Tagelöhner herbei führte, der selbst Hand an die Entdeckung dieses herrlichen Werks gelegt hatte. Der ausgemachteste Antiquar hätte mir schwerlich mehr Genüge thun können, als dieser Mann. So sehr er Franzos war, so gestand er doch treuherzig, daß ihm das Gebäude, als es noch einige Zeit nach der Entdeckung in seinem ehrwürdigen Alterthum da stand, weit besser[241] gefallen habe, als jetzt. Sein Urtheil kam mir sehr glaubhaft vor. Dieses machte ihn so beredt, daß ich unterrichtet genug wäre, Dir die ganze Begebenheit, an der er so wichtigen Antheil nahm, bis auf den letzten Schaufelwurf seiner Hände darzustellen. Vor dieser Epoche wurden weiße Wäsche und reine Teller für den größten Luxus eines hiesigen Einwohners gehalten. Seit vierzig Jahren ist diesem Mangel durch das wieder aufgefundene Geschenk, das die prächtigen Römer dieser Provinz machten, gänzlich abgeholfen. Du kannst Dir also einen Begriff von der Freude des schmutzigen Volks machen, als der Schutt nun weggeräumt war, der einen solchen Reichthum verbarg, und nun auf einmal der verhaltne Strom mit Getöse hervorbrach.


Der stolze Quell, den einst Agrippens Zauberstab

Aus Felsen schlug, warf jetzt die tausendjähr'ge Bürde

Der Barbarei in süßer Hoffnung ab;

Bei'm Zuruf eines Volks, das seinen Glanz umgab,

Verließ der Held mit Rümerwürde

Auf Fleurys Ehrenwort sein Grab.

Doch kaum entfielen ihm die unverdienten Bande,

Die seinen Körper wund gedruckt,

So ward auch, zum Beweis, in wessen Königs Lande

Die Auferstehung ihm geglückt,

Der edeln Stirn manch Brandmal aufgedrückt,

Und mit Geräusch dem römischen Gewande

Manch Modequästchen angeflickt.

So viele Prevenanc' erschreckte

Den edeln Greis. Er freute sich

Der klugen Zeit nicht sonderlich,

Die seinen Eichenkranz mit Flittergold bedeckte,

Und seinen Harnisch überstrich.

Der schmeichelhafte West umsäuselt

Umsonst sein weiß gepudert Haar:

Schwermüthig denkt er nur, wie es noch ungekräuselt

Die Zierde seiner Jugend war.

Denn ach! um seinen Scheitel schweben

Die Wunder noch der alten Zeit,

Und alle seine Glieder beben,

Bei jedem Aufblick in ein Leben,

Das mit dem Sklavenjoch verfeinter Höflichkeit

Den freigebornen Mann bedräut.[242]

Er blickt im Drange seines Schmerzens

In's Silber seiner Wellen hin,

Aus dem das Bildniß einst des frommen Antonin

Rein, wie der Abdruck seines Herzens,

Aus blauem Grunde wiederschien;

Und richtiger als selbst Voltaire

Wiegt er die Zeit von Ludwig und August,

Und leise, daß es nicht der strenge Klerus höre,

Bejammert er der alten Kunst und Ehre

Unwiederbringlichen Verlust.


Den 8ten December.


So viele Reize dieser Spaziergang für mich hat, so muß man ihn doch in der Abendzeit besuchen, um ihn in seiner ganzen Schönheit zu sehen; nicht nur deßwegen, weil die malerische Dämmerung die frischen Farben ein wenig bleicht, mit denen dieses Denkmal verunstaltet ist, und es dem Auge in dem gräulichen Anstriche wieder giebt, das seinem Alter so wohl ansteht: nein, es rufen einen wieder auflebenden Jüngling, wie ich mich fühle, noch andere, ihm nähere Lockungen, in diese ausgezeichnete Gegend. Ein Tempel der Göttin der Keuschheit, der nicht weit vom Bade, von düsterm Gebüsch umschattet, in seinen Ruinen liegt, trägt am meisten zu den Pittoresken des Ganzen bei. Zahlreiche Wallfahrten strömen dem Tempel zu, so bald sich der Abendstern am Himmel zeigt. Du fühlest, daß Du auf heiliger Erde wandelst, wie Du Dich ihm näherst. Schauer der Vorwelt ergreifen Dich, und nicht leicht wirst Du irgendwo ein gemächlicher Plätzchen finden, dem Gedanken nachzuhängen, in welchem ich und Du, Salomon Lucian und die Propheten einstimmig zusammen treffen: »Wie doch alles hienieden so eitel ist!«

Ich bin hier einige Abende nach einander hinter dem Mondscheine hergeschlichen, und meine Einbildungskraft kehrte nie unbefriedigt zurück. O daß Du, von Deinen tobenden Winterlustbarkeiten geborgen, Arm in Arm mit mir dieses Gebüsch durchirren und mit eigenen Augen sehen könntest, wie holdselig hier, auch in einer December-Nacht, Cynthia die säuselnden Blätter der Silberpappeln[243] und des Epheu's durchzittert, der die gespaltenen Mauern ihres Tempels umflochten hält!


Oft sucht ihr Seitenblick auf den verfallnen Thron

Umsonst nach Huldigung und königlichen Rechten;

Ihr guter Ruf sogar wär' als ein Rauch entflohn,

Gäb' es nicht Nymphen hier, die für ein Gotteslohn

In süßer Schwärmerei ihn zu erhalten dächten!

Kein Mädchen ist zu jung und es gelingt ihm schon

Der Göttin einen Kranz zu flechten –

Versteh mich recht – in lauen Nächten,

Als Freundin des Endymion.

Wie viele schleichen nicht aus ihrem Opferhaine,

Wie Priesterinnen ziemt, blaß, schüchtern und verstummt,

Mich Lauschenden vorbei, die erst in Lunens Scheine

Geich Bienen um mein Ohr gesummt! –

Und Du, der jetzt vielleicht mit Schnee und Sturm im Streite

Mich, ohne Neid, aus dem Gesicht verlierst,

Groß wie ein Gott Dich dünkst, wenn Du an Lottchens Seite,

Die Du, betäubt vom schallenden Geläute

Des Schlittens, im Triumphe führst,

Nur alle Finger nicht erfrierst;

Mein trauter Freund! ich bitte Dich, entferne

Doch ja den Stolz, der sich in Deinem Busen regt,

Und wisse, daß der Weg, den ich hier wandeln lerne,

Nichts weniger als Dornen trägt.

Blick einmal nur, wenn es Dir nichts verschlägt,

Auf meine magische Laterne,

Und sieh erstaunt, was hier der Glanz vom Abendsterne

Für Schatten an der Wand bewegt!


Den 12ten December.


Ich habe die letzten Tage der vergangenen Woche, wider das Verbot des guten Jerom, meine Berge und Thäler, in denen ich verwickelt war, und meine eigene stille Gesellschaft verlassen, um mich in eine zu werfen, die man hier und überall die Gute nennt. Ein Besuch bei dem Eveque, einer bei dem Intendanten – das hätte so hingehen mögen, wenn es dabei geblieben wäre. – Doch wie kann es das? Die ersten Leute an einem Orte sind immer mit einem Zirkel umringt, daran ein jeder Punkt die nehmliche Aufmerksamkeit von einem Fremden verlangt, wenn die Reihe an[244] ihn kommt; und keiner, so klein er ist, will überhüpft seyn. Nun treten ihre Höflichkeiten in derselben Ordnung um unser Individuum her, bis es endlich müde und matt auf seinen eigenen Schwerpunkt zurück fällt. Mich verwickelt immer diese hergebrachte Sitte der großen Welt in Schwierigkeiten, aus denen ich mich nie recht zu ziehen weiß. Spiel und Souper sind gegenwärtig die ersten Morgenbegrüßungen, von denen ich höre, und die mich endlich auch von hier verjagen werden, wie von Berlin. Ich habe nun einmal keinen Sinn, keinen Magen und keine Zeit für diese Art gesellschaftlichen Vergnügens, um das sich doch leider! groß und klein herum dreht.

Bei dem Bischof lernte ich indeß eine seiner Verwandten kennen, die ich auch nachher oft und gern wiedersah; die Marquise d'Antremont. Durch die Musenalmanachs sind einige ihrer weiblichen Arbeiten bis nach Deutschland gekommen; die größere Anzahl ist aber auf dem Grund und Boden gesunken, wo sie entstanden, und halten ein strenges Inkognito. Das Gefühl für die Dichtkunst ist eine Art Freimäurer-Geheimniß, das seine Anhänger in allen Himmelsstrichen eben so bald vertraulich an einander bindet, als jenes die seinigen. Wir erkannten uns in der ersten Viertelstunde, und wechselten, wo nicht unsere Herzen, doch unser gegenseitiges Zutrauen aus, und ich danke ihr schon jetzt mehrere recht vergnügte Stunden.


Zwar nicht wie Hebe jung, doch der Empfindung treu,

Die wir gern geben, gern empfangen –

Wie sanft vertreibt ihr Lied die Blässe meiner Wangen

Und macht mir Wein und Liebe wicher neu! –

Kann wohl ein Kranker mehr verlangen,

Den deutsche Barden längst mit ihrer Wasserscheu

Und Mondsucht hypochonbrisch sangen?

Doch glaube nicht, daß sie, die mit Anakreon

Verschwistert scheint, drum auch Cytherens Sohn

Den Zoll so leicht, als ich es wünscht', entrichte.

Trotz ihrem lockenden Gesichte,

Wird keiner satt bei ihrem Lohn;

Kein Sünder wie Saint-Preux, ob sich gleich mancher schon

Als Beichtkind ihr genaht und ob sie gleich die Nichte

Des Bischofs ist, vernahm in ihrem Scherzgedichte

Ein Wörtchen noch von Absolution.
[245]

Es war auch noch ein Dichter, und mich wundert, daß es nur Einer war, in dieser Gesellschaft; ein reicher, stattlicher Mann, der eine Revolution in Portugal geschrieben hat, ohne eine in der Dichtkunst zu machen. Er that mir die Ehre, noch ehe wir beide unsere Namen wußten, mich mit der dritten Auflage seines Trauerspiels zu beschenken. Dieß gab mir Anlaß, mich näher nach ihm zu erkundigen, und man machte mir eine beneidungswürdige Schilderung von seinem glücklichen Genie. – Der Mann thut in allem Wunder was er unternimmt! Sein Vater war ein gemeiner Krämer, und Er? Er ist Baron und Besitzer einer großen Domaine, von der er den Namen führt. – Er wünschte die reizendste Frau im Lande, und erhielt sie; – den besten Koch, ein prächtiges Haus und Freunde die Menge – der Himmel gewährte ihm das eine, und das andere konnte ihm nicht fehlen. Keine Phantasie stößt ihm auf, er kann sie befriedigen – Nur bei guten Versen geht es ihm wie Pharao's Zauberern bei den Läusen; er kann sie nicht nachmachen, und muß sagen: »Das ist Gottes Finger.« Ich habe sein Werkchen gelesen; das ist alles was ich für ihn thun kann.


Den 13ten December.


Es wird wohl nichts für mich übrig bleiben, als krank zu werden, wenn ich wieder in mein voriges Gleis kommen will, aus dem mich meine neuen höflichen Bekanntschaften drängen.

Ich kam eben nach Hause von dem schönsten Morgen erheitert, voller Friede und Freude, und in keiner andern Absicht, als meinen Hunger geschwind abzuthun, um bald wieder zu der Natur zurück zu eilen. Da kommt mir Johann mit einer Einladung zum Spiel und Abendessen und mit einem Befehl der Marquise d'Antremont entgegen, sie auf der Esplanade aufzusuchen und in das Schauspiel zu begleiten. Man giebt den honnête kriminel, ein Lieblingsstück der hiesigen Einwohner, weil es über eine wahre einheimische Geschichte gemodelt ist. – Sie will mir vorher noch den braven Mann kennen lehren, der durch seine tugendhafte Handlung der Held dieses Drama's geworden ist, Fabré heißt, und nicht weit von hier sein Handwerk als Strumpfwirker treibt.[246]

Die Tugend hat auch ihre Genies! Vielleicht hat sie deren mehrere noch als die Wissenschaften – Nur bemerkt man sie seltener, weil es schon nicht mehr Tugend seyn würde, wenn sie, wie jene vorzüglichen Lieblinge der Musen, nur darauf ausginge, Lärm in der Welt zu machen, um, nach einem gewöhnlichen feinen Mißverstande einer guten Lehre, ihr Licht leuchten zu lassen vor den Leuten. Das ist jedoch nicht der Fall des ehrlichen Fabré – Er ist unschuldig an seinem Rufe. Die prahlende Menschenliebe des Ministers Choiseul entzog ihn der despotischen Strafe, die er freiwillig seinem Vater abgenommen hatte, und seine Mitbürger, die ziemlich gleichgültig gegen sein Schicksal waren, ehe noch am Hofe davon gesprochen wurde, brüsten sich jetzt mit seiner Tugend, als einer Seltenheit ihres Landes – seitdem sie Aufsehen gemacht hat, und auf dem Theater gespielt wird.


Dachte ich's doch, daß es so gehen würde! Ich habe in der Gesellschaft, mit der ich den Abend zubrachte, den Artigen so gut gemacht, als es mir möglich war: dafür büße ich jetzt in der Nachtmütze, meinem Sammtrocke gegenüber, nur desto empfindlicher den Zwang, den ich meiner Natur anthat. Mißmüthig sitze ich da, und suche die widersprechenden Gefühle zu vereinigen, mit denen mich die feine Welt entließ. Meine Augen verlangen Schlaf, und mein wohl genährter Körper verlangt Bewegung – Ich habe viele witzige Sachen gehört, und doch umschleicht eine häßliche Migräne meinen Hirnschädel, von der ich jeden Augenblick befürchte, daß sie ihn ergreifen wird.

In solchen Umständen finde ich bei meinem Tagebuche noch die beste Erleichterung. Es ist mir in Deiner Entfernung der trauliche Freund, dem ich mein Herz ausschütte; es zieht meine Gedanken von den unnützen Nachforschungen ab, die ich außerdem auf meine schwierige Verdauung heften würde, und läßt den Schlaf nicht eher zu, als bis sich Seele und Körper die Hand bieten. Ich habe also dießmal einen Beruf mehr, Dir die Vorfälle meines heutigen Tages zu schildern.

Du kannst nicht denken, liebster Freund, was für einem albernen[247] Auftritte ich diesen Nachmittag entgegen ging. – Ich fand die Marquise mit dem redlichen Fabré auf der Esplanade, und seine Geschichte ward, nach unserer geschwind gemachten Bekanntschaft, der Hauptinhalt unsers Gesprächs. – Er mußte mir erzählen, wie lange er die Stelle seines Vaters auf den Galeren vertreten hätte. Er freute sich mituns, daß seit seiner Befreiung protestantische Prediger keine Strafe mehr zu befürchten hätten, wenn sie, wie sein Vater, im Stillen ihre Pflicht thäten; malte mir in natürlichen Ausdrücken den Zustand seiner Seele, während sein Körper in Ketten lag, und wie ihn der Gedanke an seinen guten Vater und an seine Geliebte, die den Werth seiner That erkannte, gestärktund wie ihn das Bewußtseyn, rechtschaffen zu handeln, mitten in seiner Mühseligkeit überreichlich belohnt hätte, und rührte mich durch seine ungezwungene Erzählung bis zu Thränen.

Während dieser Unterredung, und da wir eben eine Seitenallee einschlugen, sahen wir am Ende derselben einen dunkeln Rock, der sich durch einen blinkenden Stern schon in der Entfernung auszeichnete. – Wir sprachen ungestört fort, ohne auf diesen Stempel des Verdienstes weiter zu achten, und das war eben mein Unglück.

Die Figur war immer näher gerückt, und ehe ich ausweichen konnte, fand ich mich schon von den Armen des unerträglichen Ritters der Annonciade, des Grafen von ** umschlungen. Ich beantwortete seine Fragen, seine Umarmungen und sein Erstaunen so verlegen, wie zu Berlin, und stotterte in der Angst den Namen der Marquise, an die er sich nun mit seiner zweiten Verbeugung wendete. Ich hätte voraus sehen können, wie geschwind er dies; für eine Aufforderung halten würde, sich in seiner Stärke zu zeigen – Gott weiß, ob er's that! Der entscheidende Ton, der ihm eigen ist, seine verunglückte Diskant-Stimme, sein musiver Witz, sein Elsterlachen, vertrieben nur zu bald jedes Merkmal voriger Zufriedenheit aus unser aller Gesichtern.

Um seiner los zu werden, verfiel ich auf das einzige Mittel, das uns bei einem Schwätzer übrig bleibt: – ihn selbst zu verlassen. Ich sah nach meiner Uhr und fragte die Marquise: ob es nicht Zeit sei in die Komödie zu gehen?[248]

Kaum war diese Frage entwischt, so that er den Sprung der Verwunderung zurück.

»Bei dem Gotte des guten Geschmacks!« quäkte er: »was wollen Sie in der Komödie machen? Doch« ... erholte er sich wieder: »meinetwegen sollen Sie Sich nicht abhalten lassen. Das heutige Stück ist zwar, nach dem Zettel, auf den ich dort an der Ecke im Vorbeigehen einen Blick warf, in der That keines der ersten. Die Scenen sind matt, und das ganze Sujet ist unter der tragischen Würde. Indeß – dergleichen Mißgeburten gehören ja zur herrschenden Mode! Vor vielen Jahren wurde es sogar m der Hauptstadt aufgeführt – Doch das beweis't freilich nichts für seine Güte!«


»Der Kenner klagt auch dort, die Bühne sei, zum Schimpfe

Des heutigen Geschmacks, bei'm Tode Cäsars leer.

Allein was schadet das? Weint etwa das Parterr

Beim Centfall einer Bauernnymphe

Um einen Tropfen weniger?

Sonst hatten wir mit Kronen nur Verkehr.

Dieß ist vorbei – Kein Mensch, wenn ich die Nase rümpfe,

Giebt Acht darauf. Jetzt trabt kein Ritterheer,

Kein König in Triumph auf unsern Bühnen mehr,

Denn unser Mode-Held – wirkt Strümpfe.«


Das Blut stieg dem ehrlichen Fabré in das Gesicht. Die Marquise erschrak, und ich, der ich mich als die erste Ursache dieses groben Ausfalls meines witzigen Landsmannes ansah, mir vorwarf, daß ich unsern ehrlichen Begleiter nicht zur rechten Zeit dem Grafen vorstellte – was ich in diesem Augenblicke empfand, das wirst Du Dir selbst sagen. Ein Fehler folgte in dieser unseligen Stunde aus dem andern.

»Lieber Graf,« sagte ich, um die Sache gut zu machen, »vergeben Sie mir, daß ich Ihnen diesen Herrn noch nicht bekannt gemacht habe. Es ist eben der rechtschaffene Herr Fabré, dessen rührende Geschichte der Inhalt des heutigen Stücks ist. Ihr Epigramm kann in Absicht der Ausführung dieses Schauspiels sehr wahr seyn: das wird Sie aber gewiß nicht abhalten, der That selbst, die zum Grunde liegt, und den Verdiensten dieses edeln Bürgers Ihre schuldige Achtung zu schenken.«[249]

Ich Unbesonnener! Was für ein Gewitter erregte ich!


»Ein edler Bürger! Welch ein Schrecken

Ergriff sein deutsches Ohr bei dieser Dissonanz!

Ihm stieg der Kamm, sein Auge schwamm im Glanz,

Und ausgeschmückt mit Panzer, Helm und Decken,

Trabt' er einher auf seinem alten Schecken

Gerade los auf Fabers Eichenkranz.

Doch ich, dem jetzt der Retter seines Vaters

Und deutsche Ritterschaft gleich nah' am Herzen lag,

Fand noch, so schwer es war, ein Mittel zum Vertrag:

Sprach mit dem vesten Mann von der Entree des Praters

Und von dem neusten Ritterschlag,

Mit Fabern vom Getös des bunten Welttheaters

Voll Helden, die doch nur der letzte Probetag,

Der alle Masken hebt, zu würdigen vermag.

So mischt' ich schlau mit Ernst und Spotte

Die Karten so, daß mein verdecktes Spiel,

Mit zwei Gesichtern, gleich dem Kriegesgotte,

Den beiden nach verschiednem Ziel

Hinstrebenden, gleich wohl gefiel,

Und so wurd' ich kraft jener Menschenkunde,

Die mich der Hof, die Welt und mein Gefühl gelehrt,

Von Freund und Feind mit einem Munde

Als Kenner des Verdiensts geehrt.«


Da ich es so weit gebracht hatte, bot ich der Marquise den Arm, und eilte mit ihr aus der Atmosphäre des Schwätzers, um mir in der Loge den Angstschweiß abzutrocknen, in welchen mich dieser Auftritt gesetzt hatte. Der gute Fabré begleitete uns, und ich hoffe, daß ihn die Empfindungen, die ihm während der Vorstellung seiner guten Thaten aufsteigen mußten, und der Beifall, den ihm das Parterre zuklatschte, mehr als hinlänglich für das Vorhergegangene entschädigt haben soll. Mir erlaubte mein Verdruß nicht, dem Stücke die Aufmerksamkeit zu schenken, die es verdient. Ich schämte mich in die Seele des Grafen, und trug meine Zerstreuung und Laune mit in die Gesellschaft über, von der zu meinem Vergnügen der ehrliche Fabré, trotz seiner Zunftmäßigkeit, nicht ausgeschlossen war. Um den Grafen bekümmerte sich kein Mensch außer mir, dem immer noch seine Narrheit vorschwebte. Ich war froh, als Schauspiel, Kartenspiel und Souper überstanden[250] war, und bin jetzt noch froher, daß ich mich müde geschrieben und nun die nahe Hoffnung habe, meine heutige Aergerniß zu verschlafen.


Den 14ten December.


Meine erste Sorge, als ich erwachte, war, auf die Post zu schicken und Erkundigung einzuziehn, ob der fremde Herr mit dem Sterne fort sei, und verschloß unterdessen meine Thüre, bis die Antwort zurück kam, aus Furcht vor seinem Ueberfalle. Kaum hörte ich, daß er zwar Postpferde, doch erst auf den Nachmittag bestellt habe, so entschloß ich mich ganz kurz, ließ mir ein gutes Frühstück geben, that Verzicht auf mein Mittagsmahl, eilte nach meiner lieben Fontaine; und da ich mich auch da noch nicht für sicher genug hielt, erstieg ich den hohen Berg, der daran stößt. Nun erst schöpfte ich Athem, und sah in der stolzen Sicherheit einer einsamen Gemse auf meinen Verfolger herab, und in kurzem verschwand – Dank sei es der gütigen Natur! – jede widrige Empfindung.

Ein unförmliches, uraltes, hohes, zugespitztes Gewölbe auf der Mitte dieses Gebirges, an welchem die Untersuchungen des herzhaftesten Antiquars scheitern, dominirt hier, wie eine Bischofsmütze, über das unter ihm ausgebreitete Land. Das gemeine Volk nennt dieses sonderbare Gebäude »den Leuchtthurm, vermuthlich um dem Kinde einen Namen zu geben, da der Augenschein lehrt, daß ihm dieses Beiwort so wenig zukommt, als der Magistertitel einer Schildkröte. Die Römer fanden es schon zu ihrer Zeit in der nehmlichen Gestalt. Mir scheint es von Dummköpfen für die Ewigkeit gebaut zu seyn, die hier zum erstenmale ihre Absicht erreichten. Nach der leblosen imposanten Ruhe, die diesen Thurm umgiebt, würde ich zwar noch lieber glauben, daß er von Tauben und Stummen dem Gotte des Stillschweigens zu Ehren errichtet sei, wenn es mir nicht zu wehe thäte, einem solchen Gotte einen so barbarischen Tempel anzuweisen.«

Die Andacht findet indeß überall das höhere Wesen, von dem sie voll ist, und so ging es auch mir. – Ich fühlte mich gestimmt,[251] dem Gotte, dessen Gegenwart ich ahndete, auf allen Fall mein Opfer zu bringen. Ernst und schaudernd blickte ich um mich her; die Knie zitterten mir; gemach sank ich auf ein bemoostes Felsenstück, aus dessen Ritzen hier und da eine Lotosblume hervor sproß, legte den Finger auf den Mund, und ein stilles Gebet strömte in frommem Entzücken aus dem gerührten Herzen:


»Du Wesen, das zu mir beredter

Als Phöbus und die Musen spricht,

Sei Du, bescheidenster der Götter,

So oft mich Deiner Ehre Spötter

Umschnattern, meine Zuversicht!


Steh' im Gedräng der Gallatage

Mit Deiner Gegenwart mir bei,

Daß ich nur heimlich Dir es klage

Wie unbequem mir jede Lage

Am Hofe eines Fürsten sei.


Errette mich, wenn ich der Thoren

Verdecktes Spiel, wenn ich zu nah

Des Midas königliche Ohren,

Wenn ich Nicaisens Kopf beschoren,

Und Meßmern in die Fenster sah!


Verhülle unter einem Kranze

Von Lotus mein empörtes Haar,

Wenn mich aus ihrem Mittagsglanze

Die Göttin schrecket, die im Tanze

Des Abends meine Phryne war!


Beschütze mich vor Fürstenrache,

Den Martern eines Struensee,

Wenn ich nach mancher Ehrenwache

In meines Sohnes Vorgemache

Unkenntlich wie Ulysses steh!


Und führe mich, den Mund verschlossen,

Durch Autor- und Sophistenschlamm;

Versüße meinen Zeitgenossen

Die Bitterkeit von meinen Glossen,

Und werde Du mein Epigramm!«


Hoch pochte mir das Herz während dieser feierlichen Mette. Ich blickte wild in die Ferne, und stieg vom Rande des blauen[252] Horizont's mit einem forschenden Blicke in die Zukunft, hörte den Strom der Zeit rauschen, sah mich von seinen brausenden Wellen ergriffen, und als ein verwelktes Blatt fortschwemmen. – Ich erschrak, sprang mit sträubendem Haare von meinem harten Sitze auf, und verließ mit eilenden Füßen diesen Felsen des Harpokrat. Unachtsam auf den Weg, den ich nahm, kletterte ich von einer Steinstufe zur andern herab, und befand mich, ehe ich daran dachte, auf einer Wiese, die der Natur noch nicht abgewonnen, und der Grund eines Kessels von Bergen war.

Wie ich mich der Erde näher fühlte, verschwand meine Schwärmerei, aber mein Bewußtseyn kehrte desto schreckender zurück. Unwillkührlich hatte ich mich in dem Kreise des Gebirges gedreht, das mich umschloß, und die Spur verloren, die mich hierher führte. In der Höhe, wohin mein starres Auge blickte, umzog mich nur das wolkenlose Gewand des Himmels, und keck grünendes Moos polsterte den Zirkel, in den sich vielleicht seit seiner Erschaffung kein menschlicher Fuß verirrt hatte, und in welchem ich jetzt, wie die Bildsäule des Erstaunens, ohne Bewegung stand. Die Sonne und alle himmlischen Zeichen waren für mich verloschen – Umsonst spannte ich mein Ohr nach einem Laute – nur nach einem einzigen Laute der Schöpfung – und hörte nichts als das Picken meiner Uhr.

Unnennbare Angst, die mich nun ergriff, stärkte endlich meine wankenden Füße zu dem Entschlüsse, auf gut Glück den ersten besten Radium dieses Gebirges zu erklimmen. – Mühselig war mein Weg; oft glaubte ich vor Erschlaffung wieder zurück zu stürzen: – aber – wie belohnend war auch endlich der Blick, den ich nun an dem errungenen Ziele in den Abgrund tha! An seinem Rande erholte ich mich wieder von meiner Müdigkeit und Angst, und bald zeigte mir menschliches Gefühl wiederkommender Eitelkeit, daß ich gerettet sei. Ich versuchte zuerst meine erneuerten Kräfte an einem ungeheuern Sandsteine, den ich kaum mit der größten Anstrengung die wenigen Zolle fortbewegen konnte, die er vom Abhange des Felsen entfernt lag. »Du sollst,« sagte ich, »das Monument meines Hierseyns werden.« Und nach der Arbeit einer[253] Stunde hatte ich das Vergnügen, ihn rollen, in seinem Falle die Felsenspitze abschlagen, und das tiefe Moos, in das er sich einsenkte, um ihn herum auffahren zu sehen. – Hier wirst u vielleicht noch liegen, dachte mein Stolz, wenn die folgenden Jahrtausende alle deine gleichzeitigen Monumente größerer Thaten und Verirrungen von der Oberfläche der Erde weggespült haben – und mit gutmüthigem Lächeln verließ ich diesen merkwürdigen Ort.


Da ich in einer mäßigen Entfernung auf dem Rücken des Gebirges ein großes Gebäude erblickte, war ich außer Sorgen. Dort werden vernünftige Geschöpfe wohnen, dachte ich, und ward meinen kleinen Irrthum nicht eher, als nach einer guten halben Stunde gewahr. Du kannst denken, ob ich jetzt genau auf meinen Weg Achtung gab. – Behutsam stahl ich mich auf die Seite, jeden Abhang vorbei, um nicht in die Verlegenheit zu kommen, mir noch ein Monument zu setzen, und so kam ich glücklich bis an die Mauern eines Klosters, eben in dem glücklichen Augenblicke, da die Gesellschaft aufbrach, um in die Abendmette zu gehen.

Ich hielt mich in gehöriger Entfernung von ihrem Zuge, der abwärts ging, trat, wie er fortrückte, immer weiter vor, sah mein liebes Nimes unter mir liegen, und die weiß gekleideten Mönche mit gesenkten Häuptern in einen, wo nicht der prächtigsten, doch geschmackvollsten Tempel treten, der, wie an den Fuß des Berges gelehnt, mir in das Gesicht fiel.


So lehnte sich in königlicher Größe,

Als Hirte noch, auf seinen Stab

Ismai's Sohn, im blöckenden Getöse

Der Herde Vieh's, die ihn umgab.

Kein Pilger geht vorbei – ihn rühret

Der Weisheit Ernst, dieß sprechende Gesicht;

Nur seine Herde, die er führet,

Blöcht um ihn her, und kennt ihn nicht.


Wie ein Wollust athmender Liebhaber aus fein berechneter Sinnlichkeit verweilt, um jeden einzelnen Reiz seiner Geliebten, den eine andere Stellung, eine andere Seite, ein anderes Licht ihm. gewähren kann, noch aufzufangen; wie er seinen Heißhunger bis zum[254] Ungestüm wachsen läßt, ehe er sich erlaubt, den letzten Schleier zu heben so verzögerte auch ich manche Minuteauf dem Schlangenwege, der zu diesem Tempel führt, fing die Strahlen seines Glanzesin jeder Wendung auf, und genoß erst jede nach und nach hervortretende Schönheit meines Gemäldes, ehe ich mich dem Eindrucke des Ganzen Preis gab.

Meine Augen verirrten sich jetzt bald in dem spielenden Laubwerke, das die Corniche füllte, die, wie eine königliche Binde, den Dom dieses Tempels umwand; bald weidete ich sie an der erhabenen Stellung und den herrlichen Verhältnissen seiner kanelirten Säulen; und die Mannigfaltigkeit der Anmuth dieses unversehrten Denkmals römischer Größe, würde mich vielleicht noch Stunden hindurch beschäftigt haben, wenn nicht der hastige Durchbruch der Mönche meine weitschweifnde Einbildungskraft geschwind wieder in die jetzigen Zeiten versetzt hätte.

Als ihr Haufe beisammen und auf seinem Fortzuge begriffenwar, und nun auch der letzte Geweihte heraus trat, der dieses Heiligthum verschließen mußte, wagte ich es, mich ihm in demüthiger Stellung zu nähern, und um die Erlaubniß zu bitten, auch das Innere dieses trefflichen Alterthums zu bewundern.

»Sehr gern,« antwortete der dicke kurz athmende Mönch. »Ich will Ihnen alles zeigen – alles erklären.«

Wir traten ein. Ein Blick schon überzeugte mich, daß hier für meine Art Schwärmerei nichts weiter zu thun sei, und die Erzählung, mit der mich mein Begleiter, während daß wir zum Hochaltare hin, und zur Halle, zurück kamen, beschenkte, ließ michohnehin auf nichts anders achten.

»Welch ein Ideal!« fing ich an – das einzige Wort, das mir mir erlaubte: denn sogleich legte sich seine asthmatische Stimme darein, die unter ihrer Last von abgebrochenen Sätzen und zerquetschten Sylben immer auszubleiben drohte, und ich kenne keine Muse so grotesk-komisch, deren Beihülfe mir die Nachäffung dieses Vorbilds erleichtern könnte. Hier hast Du indeß, mein nachsichtsvoller Freund, einen gewagten Versuch. Hilf Deiner Einbildungskraft damit, so gut Du kannst! Lies ihn aber, wenn Du nicht[255] allen Schatten der Wahrheit davon verlieren willst, nicht eher als nach einer guten Mahlzeit, und in einer Weste, die Dir zu eng ist – So möchte es noch am ersten gehen!

Traulich verschlang der Mönch meine dürre Hand mit seiner fleischichten Tatze, und fiel mir, wie folget, in die Rede:


»Das Ideal

Zu dem Gebäude

Erfand einmal

Ein blinder Heide:

Ein Mönch vor Zeit

Hat es erhandelt

Und Dunkelheit

In Licht verwandelt.

Doch lange stritt,

Sich hier zu setzen,

Maria mit

Der Heiden Götzen.

Der Gott des Weins

Saß viele Jahre

Vor Anno Eins

Am Hochaltare.

Ihm ward das Glas

Und seine Venus

Sein Gratias

Und sein Oremus;

Der Göttin nur

Aux belles fesses

Las Epikur

Zuweilen Messe.

Auch sang zur Ehr

Dem stolzen Kaiser

Sich Flaccus mehr

Als einmal heiser.

Doch einst verhob

Ein schneller Husten

Sein Morgen- Lob-

Lied auf Augusten,

Und aus dem Hals

Fuhr dem Cantori

Kein Wörtchen als

Memento mori.

Mein Kamerad,[256]

Auf alle Fälle

Gefaßt, vertrat

Sogleich die Stelle,

Ging hin – verband

Sich mit Marien,

Das Meßgewand

Ihm auszuziehen.

Er that's; da fiel

Todt auf den Boden

Der große Spiel

Mann süser Oden

Der Tempel roch

Nach Pech und Schwefel,

Und zeugte noch

Von seinem Frevel;

Und plötzlich sah

Man Gottes Schaaren

In Gloria

Vom Himmel fahren:

Ja, Freund, ein Schwarm

Schneeweiser Engel,

In jedem Arm

Ein Lilienstängel.

Umzog – erstieg

Der Götter Felsen.

Sieg! schrien wir, Sieg!

Aus vollen Hälsen,

Und steckten bald

Die Siegesfahne

Der Mönchsgewalt

Zum Wetterhahne –

Seitdem verziehn

Hier funfzig brave

Sanct Augustin

Geweihte Schafe,

Geweihet, zu

Mariens, Füßen

Des Lebens Ruh

Ganz zu genießen.

Sie schenkt uns Most

Aus fremden Kellern,

Und Laien-Kost

Auf Kloster-Tellern.[257]

Drum bleibt der Zweck

Von unsrer Lehre

Der unbefleck-

Ten Jungfrau Ehre.

Nun, Fremdling, geh

Und sag' es weiter –

Gott aus der Höh

Sei Dein Begleiter!«


Mit diesen Worten drehte er seinen schweren Schlüssel herum, nahm sein Käppchen ab, watschelte nun ruhig seinen Mitgehülfen an dem Dienste der Maria nach, und ließ mich in Erstaunen und in der wohlthätigsten Erschütterung meines Zwergfells stehen, die so lange anhielt, bis ich den Berg völlig von ihm erstiegen, und ihn seinem Kloster sicher wieder überliefert sah.

Gehab dich wohl, fromme gutmüthige Einfalt! wünschte ich ihm hinterher. Dein Futter schmecke dir (ich habe nichts darwider) so lange wohl, als es Gott will! Und da du einmal so weit bist, so müsse dich nie Zweifel, Wissenschaft und Aufklärung um die beruhigende Finsterniß deiner frommen Maulwurfsseele bringen! – Der Weg, den du bis nach Sabinum zurück gehen müßtest, würde für dich zu ermüdend seyn. Was kannst du dafür, daß deine Begriffe nicht in dem Ideenhandel eines Diderot, Büffon und d'Alembert gewonnen sind? Und was kannst du endlich dafür, daß du nicht so mager bist als ich?

Spät und erschöpft kam ich in meine Wohnung; ich zeichnete nur noch die Bilder meines heutigen Tages in mein Buch, ohne die Einladungszettel, die auf meinem Tische liegen, eines Blickes zu würdigen, trinke noch an einem erfrischenden Glase Wassers aus meinem benachbarten römischen Quell, und sehe dem stärkenden Schlafe mit jenem frohen Lächeln entgegen, wozu eine gute gesunde Seele sich bei menschlichen Thorheiten immer geneigter fühlt als zu Thränen.


Den 19ten December.


Zwischen meinem letzten großen Spaziergange und heute liegen vier traurig verlebte Tage, die unmittelbar hinter jenem her folgten[258] in der Mitte. – Ein böser Wind, denman la Bise nennt, durchschneidender und gefährlicher, als keiner auf unserm Riesengebirge hat diese Lücke meines Tagebuchs verursacht, und mich zu einem Stillstande in der Laufbahn meines Vergnügens, und zu mancher harten Buße für das kaum genossene verdammt. Ich bin wieder von Aerzten besucht und mit Arzeneien genährt worden – habe die dürren Reiser eines ganzen Weinbergs verbrannt, und mich doch nur mit Mühe von der Menschendruse heilen können, die mich unter dem Namen la Grippe überraschte, und von Haus zu Hause ging. Wie hätte ich diesem freundlichen Lande so eine Hinterlist zutrauen können? – Aber die Sonne scheint wieder, und jeder Strahl von ihr bringt neues Leben, Freude und Gesundheit zurück.

Es ist wohl Schade um die acht ungenießbaren Tage, die ich verhustet habe, und die ich leicht besser hätte benutzen können. Das übelste dabei ist, daß mir keine Zeit übrig bleibt, meinen Verlust einzubringen; denn, da ich gern auch die übrigen Theile von Languedoc und die benachbarte nicht minder schöne Provence durchstreifen, und in Bourdeau einen Vorsprung vor der heißen Witterung gewinnen will, die dort mit Anfange des Märzes schon drückend wird so bleibt mir für Nimes nicht viel mehr als eine Woche übrig, und auch diese ist mir außer dieser guten Stadt angewiesen. Mein kluger Arzt hat mir gerathen, sie auf dem Lande zuzubringen, um meine Erholung durch jene einfache Lebensart – das Einzige, was in Städten nicht zu erkaufen ist, – desto sicherer zu befördern.

Diese Kur geht mir lange nicht so bitter ein, als sich der gute Mann wohl vorstellen mochte. Ich habe ohne Schwierigkeiten Anstalten zu meinem Abzuge gemacht, und meinen Johann schon heute auf die umliegenden Dörfer geschickt, mir eine Wohnung auszusuchen. Er weiß sehr gut, was mir behagt. – Morgen will ich Abschied von der Stadt nehmen; bei dem Bischof und seiner Nichte persönlich; bei meinen übrigen im Flug gemachten Bekanntschaften durch Karten, wodurch die meisten erst, ehe sie das Blatt in den Kamin werfen, erfahren werden, wie ich heiße.

Johann ist zurück, doch bin ich mit seinen Verrichtungen nur[259] halb zufrieden. Er hat mir, glaube ich, das unbequemste Quartier gemiethet, das in der Gegend zu finden war. Freilich hat es nach seiner Versicherung so vieles andere Gute, daß ich, um billig zu seyn, die Eingeschränktheit nicht achten darf, in der ich hausen soll. –

»Sie müssen,« sagte er so trocken, als ob es Verordnung des Arztes wäre, »mit Wirth und Wirthin in Einem Stübchen wohnen, das nicht allzu groß ist, müssen, an Einem Tische mit ihnen, vorlieb mit der Kost nehmen, die die Küche eines Bauern vermag, und müssen dem Ehebette gegen über schlafen.«

»Kerl,« fuhr ich auf, »glaubst Du, daß ich ein Dragoner bin?«

Aber Johann ließ sich nicht stören – »Mit solchen Menschen,« fuhr er fort, »wie diese sind, ich weiß es im voraus, treten Sie gern in alle Verbindungen, wie sie möglich seyn wollen. – Reine, unverdorbene Natur, die glückseligste Häuslichkeit, und ein ...«

»Laß es damit gut seyn,« fiel ich ihm in's Wort, und schüttelte den Kopf: »Erzähle nur ganz einfältig und gerade, warum es eben ein so enges Stübchen seyn mußte?« –

»Ich hätte Ihnen zwar eben so leicht,« antwortete Johann, »ein großes, prächtiges, leer stehendes Haus, das dem Herrn des Dorfes gehört, miethen können, und es steht Ihnen immer noch frei, es zu thun – Doch es wird keine Noth haben. – Ich kenne Ihre Bedürfnisse, und mehr Fröhlichkeit, Reinlichkeit und Dienstfertigkeit, als Sie in dieser Hütte antreffen, würden Sie sogar in den schönsten Palästen Berlins vergebens suchen. Ich habe in einigen davon gedient, ehe ich zu Ihnen kam: aber aber ...«

»Gut, mein lieber Johann,« sagte ich etwas beruhigter: »Morgen mit dem frühesten trage meinen Namen in der Stadt herum, und übermorgen mit Tagesanbruche wollen wir uns auf den Weg machen.


Den 20sten December.


Von dem heutigen Tage nichts, was sich der Mühe verlohnt! – Es ist alles abgethan, was die leidige Höflichkeit verlangt, und sogar von meiner poetischen Freundin ist mir der Abschied nicht schwer geworden. Meine Koffer habe ich meiner Hauswirthin, bis[260] zu meiner völligen Abreise aus dieser Provinz, übergeben, und bezahle ihr das Quartier auf den ganzen Monat. Sie wimmert, daß ich ihren Pavillon so bald verlasse, und schimpft auf die häßliche Grippe, die ihr schon manchen guten Fremden verjagt hätte.

Wirklich kann auch dem gesellschaftlichen Leben nichts nachtheiliger seyn, als der verwünschte Wind, der oft unversehens die schönsten Spiel- und Lustpartien aus einander stäubert, und der Schnupfen, den er mitbringt. Er erschlafft alle Sehnen und erkältet das Herz. Befällt er nun vollends Menschen von meiner Zusammensetzung, so ist der dünne Faden, den er zerreißt, nicht so geschwind wieder an seine Enden zusammen geknüpft –

Da die Winde hier einmal wie das andere ihren Strich halten, und nicht wie Salomons Winde blasen, wohin sie wollen; so hat man eine bequeme Karte, auf der man leicht übersehen kann, welche Oerter ihrem Durchzuge unterworfen sind. Wäre Nimes eine Meile seitwärts auf der Stelle des Dörfchens gebaut, das ich morgen beziehe, so würden die Aerzte wenig hier zu thun finden, und ich hätte meinen Pavillon schwerlich so bald verlassen. Was würde aus Nimes geworden seyn, wären die Römer so empfindlich gegen den Schnupfen gewesen als ich!


Den 21sten December.


Heute in der Wärme eines Frühlingsmorgens bezog ich mein Dörfchen, das den Namen Caverac führt, und nur anderthalb Stunden von der Stadt entfernt ist. Es ist einem Baron zuständig, der um seinen König herum kriecht, und sein Schloß unbesucht läßt, das ohne Hülfe unter seiner eigenen Pracht und Größe erliegt. Die kleinen Bauerhütten, die es umzingeln, sehen wie Brocken aus, die Wind und Wetter von seiner Felsenwand abgespült haben: aber sie liegen sicher und ruhig, indeß die zerstörende Zeit unermüdet an dem Einsturze des nachbarlichen Kolosses arbeitet. Ich nahm ohne Umstände Besitz von dem Kästchen, das Johann, mit einem Gefühl, das seinem Herzen Ehre macht, für mich ausgesucht hatte, und möchte es, so hölzern es ist, für[261] keinen Preis gegen den traurigen Aufenthalt in jener Steinmasse vertauschen, die ihm zur belehrenden Aussicht gegen über liegt. – Und die Bewohner dieser Hütte – wer wollte nicht mit ihnen zufrieden seyn?


Deß Herz war wohl seit dem Ergüsse

Des ersten Tropfen Bluts vergällt,

Der sich zu gut zum Mitgenusse

Der Freuden dieser Menschen hält;

An ihrer Patriarchen-Sitte

Der Städte Politur vermißt,

Nicht unterm Strohdach ihrer Hütte

Gern seine Gobelins vergißt;

Dem fette Milch aus irdner Schlüssel

Nun keine Fürstenkost mehr däucht,

Weil sie kein Herr nom goldnen Schlüssel

Mit ernstem Amtsgesicht ihm reicht;

Der nie den ungesuchten Scherzen,

Des Landmanns Tischgesprächen horcht,

Weil er sie nur dem frohsten Herzen,

Nicht Fontenellen abgeborgt.«


Reine, unverdorbene Natur! Warum verwies ich meinem Johann diesen Ausdruck, der, so oft er auch gemißbraucht wird, doch auf diesen gesunden, thätigen, fröhlichen Mann und auf sein junges, reizendes, liebevolles Weib so passend ist, daß ich für diese glücklich zusammen Gepaarten keinen schicklichern ausfindig zu machen wüßte.

Ein Morgen Land, der an ihre Hütte anstößt, mit Oliven, Feigen und Maulbeerbäumen besetzt; eine Oelpresse und ein Behälter im Vorhause für ihre Seidenwürmer: das sind die einfachen Mittel ihres Unterhalts, und nie, sagen sie, habe sich noch Mangel und Schwermuth ihrer Schwelle genähert. Sie treiben ihre Handarbeit wie ein Spiel, durch das sie Hunger, Schlaf und Stärke der Liebe gewinnen. An die Seele denken sie nicht: diese ist bei ihnen ein Acker, der von selbst nur reine und gesunde Frucht tragen kann, und keiner mühsamen Bearbeitung bedarf. Die Kunst, zufrieden zu seyn, liegt ihnen in dem Herzen, wie die Kunst zu sehen[262] in den Augen. Sie nützen diese natürlichen Eigenschaften, ohne einen Augenblick über die Mechanik derselben nachzudenken.

Da es für heute zu spät war, einen neuen Küchenzettel zu entwerfen, so mußte ich mich diesen Mittag mit ihrer gewöhnlichen Kost begnügen; und dazu gehörte fürwahr keine große Verläugung. Kräftiger, behaupte ich, kann man nicht kochen, und freundlicher kann man nicht vorlegen, als dieses Weib. »Wer hat sie,« sagte ich zu mir selbst, wenn sie durch Wahrheit und Einfalt ihrer Rede mein Herz an sich zog, »wer hat sie ohne Kenntniß, ohne Bücher, ohne Welt gelehrt, so bemächtigend zu werden? Oder ist eben die ser Abgang Ursache, daß sie es in diesem Grade ist?«

Mein Bette, mein hölzerner Stuhl und ein Tisch für meine Schreiberei und kleine Geräthschaften stehen hinter einem Verschlage, der beinahe das Viertel von der Stube einnimmt, und – damit sind hinlänglich die Grenzen des Eigenthums und der erkünstelten Schamhaftigkeit gewahret. Alles lehrt mich hier, unter welchem geringen Aufwande menschliche Zufriedenheit bestehen kann.

Ich bot meiner Wirthin einen Vorschuß von zwölf Laubthalern an, um die Kosten der vergrößerten Wirtschaft zu bestreiten, da sie ja wohl auch, so lange ich bei ihnen bin, meine Gäste seyn müssen. – Könnte ich mich nur immer so auslachen sehen!

»Wollen Sie ein Jahr bei uns bleiben, mein Herr?« sagte sie: »Was soll ich um des Himmels willen mit so vielem Gelde anfangen? Spärlich und nährlich! mehr kann mein kleiner Herd und meine Kochkunst nicht bestreiten. – Sie müssen, mein Herr, ich kann Ihnen nicht helfen, mit zwei Gerichten zufrieden seyn. Ihre Gesundheit und ihre Börse werden dabei gewinnen; und doch sollen Sie mit röthern Backen von uns gehen, als Sie mitgebracht haben. Geben Sie mir drei Stücke von Ihrer Münze; ich will zusehen, wie weit ich damit komme, und übrigens thun Sie nur, als ob Sie zu uns gehörten. In zweien Tagen, wette ich, schicken Sie Ihre Arzeneien in's Spital; denn in unserm Dorfe kann sie kein Mensch brauchen.« – Und so flog sie, die sechzehnjährige Hausmutter, zu ihrer ungekünstelten Wirthschaft.[263]

Der Mann übernahm, mich in Bewegung zu setzen. Er führte mich erst um das Schloß seines Lehnsherrn herum. »Wenn Sie,« sagte er, »die großen Säle sehen könnten, die hier über einander gewölbt sind, so würden Sie denken, der Mann habe zum Riesengeschlechte gehört, der sie gebaut hat; und doch soll er nicht mehr Mensch gewesen seyn, als sein Enkel, der ein so zierliches Männchen ist, daß er in einem Vogelbauer Raum hätte. Es hängt mancher Schweißtropfen meines armen Aeltervaters an diesen Steinen, der noch mit zu den dicken Mauern gefrohnt hat, die jetzt wieder einstürzen. Seit fünfzig Jahren ist kein Rauch aus diesen verzierten Schornsteinen gestiegen. Die Besitzer dieses unnützen Gebäudes fliehen es wie einen Abgrund, der ihr Erbtheil verschlungen hat, und mir und andern stiehlt es die schöne Aussicht auf das freie Feld, das dahinter liegt. Da lobe ich mir doch die kleinen Häuser von Klebwerk, wie das meine, die man ohne Kosten selbst flickt, wenn sie wandelbar werden – um ein geringes wieder aufbaut, wenn sie zusammen fallen, und in denen starke muthige Menschen wohnen, die darin grau werden.«

Alles Verödete, liebster Eduard, läßt auch das Herz leer. Wir wurden erst froh, als wir das gesellige Dorf durchwandelten. Was für ein ganz anderes Gemälde für den Geist gegen jene Einöde des kummervollen Stolzes! Hier war alles lebendig. Bald fuhr der Amorskopf eines rothwangigen Jungen zu seinem kleinen Fenster heraus; bald begleiteten uns die Rabenaugen eines blühenden Mädchens über die Gasse. Hier kam uns der Reif entgegen gerollt, hinter dem ein Dutzend spielende Kinder hersprangen. Dort entblößte ein freundlicher Alter sein graues Haupt, um uns seinen patriarchalischen Segen zu geben. Aus allen Ecken, unter allen Strohdächern hervor, blickte Friede und Freude, Thätigkeit, oder Ruhe nach vollbrachter Arbeit.

Welches Auge könnte so verwöhnt seyn, an diesen bevölkerten Hütten die Verhältnisse eines Palladio, und in dieser Männer Leben und den Spielen ihrer Kinder den Maschinengang der großen Welt zu vermissen?

Das Dorf ist reinlich, und seine Lage höchst angenehm. Ich[264] machte auf unserm Rückwege noch eine Entdeckung, die mir viel werth ist. Sein kleines Gebiet schließt einen Berg ein, dessen mit Fichten, Mandelbäumen und Geniste bunt unter einander bewachsenen Gipfel ich mir zum Ziel meiner Morgengänge ausersehen habe.

So fehlt mir hier nichts, was meine einfache Diät bedarf. Johann thut sich nicht wenig zu gute auf die Zufriedenheit, die er an mir wahrnimmt, und brüstet sich manchmal wie ein Magister, der sich seit kurzem zum Wegweiser der wahren Glückseligkeit, wie man sagt, habilitirt hat.


Den 22sten December.


Ich trennte mich gestern von Dir und meinem Tagebuche eher, als ich gewohnt bin. Das glückliche Paar meiner Hausleute eilte, nach hergebrachter Dorfsitte, mit heran nahender Dunkelheit seinem Bette zu, und ich – zu gutmüthig, sie durch das Licht, das meine Schreiberei erleuchtete, in ihrer verdienten Ruhe zu stören, ahmte ihnen nach, ohne schläfrig, zu seyn, und bin herrlich für meine Verläugnung der großen Welt belohnt worden.

Der zeitige Schlaf vor Mitternacht, in der mir ungewöhnlichen Stille, die mich bald einwiegte, brachte mir heute einen eben so ungewöhnlichen zeitigen Morgen ein. Ich strebte schon dem Fichtenberge zu, da noch die Glut in graulichem Nebel unter ihm lag, sah den Vorhang sich heben, und gewann dadurch den überraschenden Anblick des immer glänzender hervor tretenden Schauspiels. So sehr es mein Herz entzückte, so neu war es ihm auch – neuer, als ich gegen die Natur verantworten konnte. Ich that ihr meine öffentliche Abbitte des verwegenen Gedankens halber, den ich mir so oft erlaubte: als habe sie mir nichts mehr vorzusetzen, das den Gaum eines so übersatten Menschen, wie ich, noch reizen könne.

Was für eine Allgewalt hat nicht die Bergluft über die bessern Empfindungen der Seele! Weißt Du es noch nicht aus eigener Erfahrung, so eile, Freund, sie zu gewinnen, so bald es nur Euer eiserner Himmel erlaubt.
[265]

Wer, in dem Bruderarm gesunden Schlafs erquicket.

Sein Lager im Gefühl der Auferstehung flieht,

Vom ersten Sonnenstrahl, der durch den Nebel zücket,

Sein Morgenopfer brennen sieht.

Dem lohnt Begeisterung. – Sein frommes Auge strebet

Dem Unsichtbaren nach. Sein weis'res Herz versteht

Die edle Bangigkeit, die seinen Busen hebet,

Und jeder Blick wird ein Gebet.

Entschluß gerecht zu seyn, Muth zu der Freundschaft Thaten,

Veredeltes Gefühl der Lieb' entsteigen nur

Der Dunkelheit des Walds, dem Wellenschlag der Saaten,

Und deinem Säuseln, o Natur!


Nach dem köstlichen ländlichen Mahl, das mich an der Seite zweier guter Menschen erwartete, als ich hungrig zurück kam, führte mich mein Wirth auf den allgemeinen Kegelplatz des Dorfs, um mich mit einem Blicke die ganze Gemeinde kennen zu lehren. Der Nachmittag ist in diesem Lande nur dem Vergnügen – und keinem mehr gewidmet, als dem Kegelspiele; und nichts kann wohl deutlicher von dem leichten Nahrungserwerb seiner Bewohner zeugen, als dieser Hang. Der Seidenwurm erfordert nur sechs Wochen Aufsicht und Wartung, wie unsere Kindbetterinnen, und belohnt dennoch dem Landmann weit reichlicher seine kleine Mühe, als der fruchtbarste Getreidebau und die fruchtbarste Frau bei uns. Die Olivenernte schlägt selten fehl, und der äußerst wohlfeile Preis des trefflichsten Weines zeugt von seinem Ueberflusse. Was für Forderungen können also diesen guten Leuten noch zu befriedigen übrig bleiben, als die Forderungen des Vergnügens?

Mein Begleiter war allen willkommen und ich mit ihm. Ich nahm indeß nur einen mäßigen Antheil an ihrem Zeitvertreibe, da ich nicht weit davon die jüngere Klasse des Dorfs nach dem Takte einer Leyer ihren Muth auswalzen sah. Ich stahl mich unvermerkt von der Seite meines Führers hinweg, und labte mein Auge an dem Ausdrucke, der Freude – an den feurigen Blicken der Jünglinge und dem pochenden Herzen ihrer Geliebten. Blaise, mein Freund – immer erlaube mir, auch ihm diesen Namen zu geben – überraschte mich, da eben meine Augen auf dem liebevollen Gesichte eines Mädchens ruhten, das der Huldigung[266] eines Sultans würdig gewesen wäre. Er sah es, und fand ganz natürlich, daß mir dieses Geschlecht nicht gleichgültig sei.

»Wenn Sie morgen,« redete er mich auf meine Miene an, »mit meiner Frau allein essen wollen, so will ich Ihnen zwei Stunden von hier eine gewisse Margot holen, die alle Schönheiten unsers Dorfs weit übertrifft; ein glückliches munteres Geschöpf, die Tochter meiner Schwester und unser aller Liebling. Sie soll, wenn Sie es gut finden, so lange bei uns bleiben, als Sie bleiben werden: – ich weiß, Sie werden mir es danken.«

Nun erschrak ich zwar nicht wenig über den Zuwachs unserer Gesellschaft, da mir der Gelaß des Hauses nur zu bekannt geworden war; doch hielt ich es weiter nicht für nöthig, ihm mein Bedenken mitzutheilen: noch weniger getraute ich mir, ihm die Gefahr merken zu lassen, die für mich aus der nahen Nachbarschaft eines Geschöpfes entstehen könnte, das seiner Beschreibung glich; denn dafür hatte der gute Mann keinen Sinn. – Es bleibt mir sonach nichts übrig, als in Geduld zu erwarten, was sein Versprechen leisten wird.


Den 23sten December.


Spotte, wie Du willst, guter Freund! Ich gefalle mir immer mehr in meiner einförmigen Lebensart, die eben so viel Mannigfaltigkeit hat, als sie mir neu ist. Da ist mir der heutige Vormittag wieder so angenehm auf der hiesigen Post verstrichen, daß ich die volkreichste Stadt auffordern kann, mir einen bessern Morgen zu schaffen. Es ist freilich nur eine poste aux ânes – aber was thut das? Ich habe keinen so überfeinen Geschmack, als Ludwig der Große, und kann zu Zeiten einen Bauerntanz von Teniers mit mehr Theilnehmung betrachten, als eine Menschenschlacht von Le Brün.

Das Leben und Weben der Ankommenden und Abgehenden; das Satteln und Absatteln; die Anforderungen und Abrechnungen; die Ordnung und Unordnung; kurz das ganze groteske Gemälde, das sich jeden Angellblick erneuerte, verfehlte nicht, auf mein der Freude geöffnetes Herz seinen Eindruck zu machen. Doch gab ich[267] nicht bloß einen müßigen Zuschauer ab. Warum hätte ich nicht dann und wann ein artiges Kind, das schalkhaft unter seinem Sonnenhütchen hervor blickte, aus dem Sattel oder in den Sattel heben, ihren freundlichen Dank oder sonst eine kleine Belohnung, die sie mir vergönnte, mitnehmen sollen?

Man kann kein fröhlicher Bild sehen, als so ein Landmädchen, wenn es, zwei Körbchen an der Seite mit Bedürfnissen, die es aus der Stadt geholt hat oder nach der Stadt bringen will, lustig einher oder davon trabt, dem flinken Burschen, der ihrer wartet, das Band reicht, das sie ihm mitbrachte, oder sich einen Kuß von ihm aus den Weg geben läßt. In unserm traurigen Lande, lieber Eduard, wird man sich selten den Zeitvertreib verschaffen können, auf einem so kleinen Umkreise so viel fröhliche Gesichter beisammen zu sehen. In dieser Rücksicht halte ich die posts aux ânes für eine der wichtigsten Entdeckungen, die ich je gemacht habe.

Mein Wirth, den ich dahin begleitete, ging von hier aus mit einem Kourieresel ab, und wird auf dieselbe Art diesen Nachmittag mit der schönen Gesellschafterin zurück kommen, die er mir gestern versprach.

Stelle Dir übrigens nur nicht unter den hiesigen Eseln so langsame unbehülfliche Thiere vor, als sie bei uns sind. Hier ist nichts träge und langsam, und die verächtlichste Kreatur, wie die geschätzteste, empfindet hier den wohlthätigen Einfluß dieses so milden Himmelstrichs.


Des Himmels Segen deckt dieß Treibhaus der Natur:

Durch rein gefärbtes Licht erhoben,

Glänzt es dem Sohn des Epikur,

Wie ein Brillant auf unserm Globen.

Der Forscher sieht erstaunt, wie lebhaft, wie geschwind

Hier alle Räder gehn, der Weitzen seine Körner,

Der jüngste Most die Stärke des Falerner,

Contur und Federkraft die jüngste Brust gewinnt.

Schnell läuft der Esel hier, das Füllen wieh'rt, – das Rind,

Der Bock, der Hirsch, und was etwa noch ferner

Darzu geboren ist, trägt dreimal größ're Hörner,

Als sie bei uns gewöhnlich sind.
[268]

War ich diesen Morgen zufrieden, so habe ich nicht weniger Ursache, es auch den Nachmittag zu seyn. – Ich habe, einem Engel von Weibe gegen über, meinen Hunger an dem schmackhaftesten Braten gestillt, wie ihn der König nicht essen kann, wenn er seine Schöpse nicht auch mit Rosmarin füttern läßt, der den hiesigen die gewöhnlichste Weide ist – habe eine Flasche Landwein getrunken, den man den Kennern in Berlin mit aller Ehre für Burgunder vorsetzen könnte, und kaum stand ich mit glühenden Wangen von meinem Schmause auf, so trat mein Wirth mit seiner Nichte an der Hand herein, und brachte mehr Leben mit, als ich brauche.

Ich will es Dir nicht zu Leide thun, die kleine Margot mit allen ihren Annehmlichkeiten zu schildern; doch sei versichert, daß sie von Euern Operngesichtern wenigstens so weit absteht, als die aufblühende von einer bis zur Hagebutte verschrumpften Rose. Und so ein Mädchen wird mir aus lauter Gutherzigkeit zugeführt! Für wie alt muß mich Mein ehrlicher Wirth halten, wenn er glaubt, daß dieß nichts zu bedeuten habe?

Ich habe hierüber schon die erste Viertelstunde ihres Hierseyns eine mißliche Erfahrung gemacht. – Ich glaubte etwas recht kluges zu thun, setzte mich mit einem philosophischen Auge den schalkhaften Augen des Mädchens gegen über, und wollte berechnen, durch was für natürliche Kräfte es möglich sei, daß dieser Körper, dieser Geist, einer so unbefangen, so unverschleiert und so ausgebildet als der andere – wie so viele leibliche und geistige Fülle einem dreizehnjährigen Kinde angehören könne? Aber, anstatt der Entscheidung der Hauptfrage näher zu kommen, fand ich mich am Ende nur in den Nebenumständen, und zwar so gefährlich verwickelt, daß ich meine Untersuchung aufgeben und Gott danken mußte, daß ich es noch zu thun im Stande war.

Während ich dieß niederschreibe, tragen die Leutchen, mir nichts dir nichts, die Betten zusammen, auf denen die kleine Margot diese Nacht und die folgenden, kaum sechs Schritte von mir, ruhen soll. –

Nun ja – das Bette ist fertig, und ich habe das Fieber. – Ich muß an die Luft gehen, um meine Verlegenheit über diese Anstalten zu verschnaufen.
[269]

*


Ja, wenn nur alles so in der Luft verdunsten wollte, was dem Herzen zu viel ist! Zur Erhaltung des Gleichgewichts in unserer kleinen Welt wäre das eine treffliche Sache. – Ich habe eben keinen großen Zirkel um das Haus herum gezogen – da sitze ich dem Kinde schon wieder gegenüber, kaue an ihren kleinsten Bewegungen, und freue mich, wie in diesem Lande, man mag seine Blicke ausschicken, wohin man will, alles so nebellos ist. – Hat mir Jerom es nicht vorher gesagt?

Du bist wohl sehr gut, wenn Du mir erlaubst, in so abgebrochenen Sätzen fortzuschreiben: – aber ich kann nicht anders. – Ich werfe meine Gedankenblitze auf das Papier, wenn die Kleine zur Türe hinaus stürmt, und werfe die Feder ebenso geschwind weg, wenn sie wieder hereingehüpft kommt.


*


Das kann ein gefährliches Geschöpf für meine Ruhe werden, wenn es noch acht Tage älter unter meinen Augen wird, und der Eindruck, den es auf mich macht, mit jeder Stunde so fortsteigt wie heute! – Sie ist schon so bekannt mit mir, als wenn sie meine Tochter wäre. – Sie ruft, verschickt, befiehlt meinem Johann, wie es ihr einfällt – bald, glaube ich, wird sie auch mir befehlen. – Ich verlor keinen Laut ihrer Stimme, als sie mir alleweile von ihrem Hänfling erzählte, den sie so kirre gemacht hätte, daß er ihr aus der Hand fräße – und was sie für ein Glück mit den Blumen habe! – Sie dürfe, sagte sie, das dürreste Reis nur in die Erde stecken, so blühe es. –[270]

Ich weiß es wohl, es sind armselige Kleinigkeiten, die ich Dir erzähle: sie sind es aber, Gott weiß es, wenn sie über ihre Lippen gehen, so wenig, daß ich mich kaum erinnere, etwas Geistreicheres gehört zu haben. -

Ich breche ab, liebster Freund, die kleine Gereiste schläfert. – Die Engel des Himmels mögen über ihre Ruhe wachen! – Ich will gern auch schlafen – wenn ich kann ...

*


Den 24. Dezember

Ich habe einen Verlust erlitten, der mir nahe geht. Mein guter Mops ist gestorben und liegt nun unter dem großen Olivenbaume meines Wirts begraben. Wenn dem klügern Menschen nicht ausschließungsweise von jeder andern Kreatur die Ehre des Selbstmordes vorbehalten wäre, so möchte ich beinahe glauben, daß auch mein Mops, aus Schwermut, freiwillig die Welt verlassen habe. Es schien ihm unausstehlich zu sein, seinen Herrn vergnügt zu sehen, und seitdem Margot hier ist, die mir eine Runzel um die andere aus dem Gesichte wegwischt, bekam er jede Stunde eine mehr, und seit gestern abend, wo wir – ich und sie – freilich sehr munter zusammen waren, schien sein Verdruß aufs höchste gestiegen zu sein. – Er kroch in einen Winkel, und heute früh fand man ihn tot.[271]

Ich gestehe, daß ich ihn seit einiger Zeit vernachlässigt habe, und es thut mir wirklich leid; denn es war ein gutes Thier, das mich liebte, und dem ich, in jenen hypochondrischen Stunden meiner Reise manche nützliche Betrachtung verdanke.


Dieß große Warnungsbild, das ich mit ihm verloren,

So weit ich blicken kann, ersetzt ein andres nicht.

Belehrender ward nie ein Sonderling geboren.

Und keiner trug bei kürzern Ohren

Ein philosophischer Gesicht.


Zwar sah ich manche Stirn von Königsberg bis Leiden

Mit diesem mystischen gelehrten Ueberzug:

Doch sah ich keine je, die Runzeln so bescheiden,

Von allen Weisen zu beneiden,

Als meines Hundes Stirne, trug.


Der schönsten Stadt entführt, wo der Beruf zu schlafen,

Durch Lindenduft verstärkt, das Bürgerrecht ihm gab,

Ward er, wie Epiktet, vom ungestalten Sklaven

Mein Freund – Er war's, dem Polygraphen

Der Schweiz zum Trotz – bis an sein Grab.


Er warf den hohen Ernst der kritischen Geberde

Nie auf ein Mitgeschöpf – nie außer sich herum.

Der Schnarcher suchte nie, so weit ihn Gottes Erde

Auch trug, daß er bewundert werde,

Ein größer Auditorium.


Nur still erbaut' er mich. Von seinem gelben Felle

Blickt' ich gestärkter auf in die beblümte Flur:

Mein krankes Auge stieg von seiner Lagerstelle

Gemach vom Dunkeln in das Helle,

Bis zu dem Lichtquell der Natur.


Wenn er sich schüttelte, las ich in seinen Blicken

Den herrlichen Beweis vortrefflich kommentirt,

Den einst, vom Uebergang des Schmerzes zum Entzücken

Aus gleicher Nothdurft sich zu jucken,

Der weise Sokrates geführt.10


Kein unbequemer Freund, kein Trunkenbold, kein Fresser,

In richtiger Mensur nicht stolz nicht zu gemein,

Schlief er sein Leben durch, und wahrlich desto besser!

Er schläferte, wie ein Professor,

Auch seinen klügern Nachbar ein.
[272]

Lebt wohl ein Menschenfreund, der sich nicht seiner Hunde

Nicht ihrer Tugenden und ihrer Liebe freut?

Sucht nicht selbst Friederich, kraft seiner Menschenkunde,

Das Spielwerk seiner Ruhestunde

In seines Hunds Geselligkeit?


Ulyß, von seinem Hof verkannt und ausgeschlossen,

Bewährt der Treue Ruhm, den sich sein Hund erwarb:

Alt, blind, kroch er zu dem, nach Jahren, die verflossen,

Von dem er Wohlthat einst genossen,

Zog seinen Dunst noch ein – und starb. –


Wie hast du, guter Mops, nicht meiner Stirne Falten,

Sah ich dem Grillenspiel der deinen zu, gegleicht!

Gewarnter nun durch dich, frühzeitig zu veralten,

Sei immer dir mein Dank erhalten!

Auch dir sei Gottes Erde leicht! –


Margot, als sie mich in diesen ernsten Gedanken vertieft, und meine Augen getrübt sah, stellte sich gerade vor mir hin – »Wie konnten Sie,« fragte sie mich mit lautem Lachen, »einem so grämlichen schnaufenden Thiere nur ein Bißchen gewogen seyn? – Wissen Sie wohl – aus Liebe für Sie habe ich ihm Krähenaugen gegeben! Sein unfreundliches Ansehen störte ja nur unsere lustige Gesellschaft.« – Und ich Narr sitze da, blinzle dem Mädchen in's Gesicht, weiß nicht recht, ob ihre Anklage Ernst oder Scherz ist, und vergebe ihr eins wie das andere, um der Perlen von Zähnen willen, die sie mir sehen läßt. Ich werde mit diesem Kinde selbst noch zum Kinde, lieber Eduard! – aber – ich kann mir nicht helfen!


Den 25sten December.


O Jerom! Jerom! Du würdest mit mir zufrieden seyn, wenn Du mich sehen könntest! Liebe und Freude durchströmen mein Herz. Wie geschwind ist unter diesem lachenden Himmel, in dem Umgänge dieser seltenen Menschenart, die Rinde weggeschmolzen, die es umgab! Eine Schicht nach der andern dieses verhärteten Umzugs lös'te sich ab, und jetzt schwärmt es neu belebt, hebt sich und senkt sich, tobet und brauset, und ich kann seiner nicht mehr[273] Herr werden. Sogar meine Berge und Wälder haben ihr ehrwürdiges Ansehen verloren, seitdem sie Margot mit mir durchschweift. Dieß Kind der Natur badet sich selbst zu gern in dem Morgenthau, fühlt selbst zu sehr das Behagliche der Bewegung, als daß sie in der Hütte bleiben und ihren Vortheil nicht absehen sollte, sich, sobald ich aus der Thüre trete, an meinen Arm zu schlingen.

Heute mit dem frühesten erwachte sie, als ich eben nach dem Hute griff, der gerade über ihrem Bette an der Wand hing, und, wie ein aufgescheuchtes Reh, fuhr sie von ihrem Lager auf, so daß sie mir kaum Zeit ließ, meine Augen so lange wegzuwenden, bis sie ihr Röckchen über sich geworfen hatte. O Natur! Natur! – auch Coquetterie, wie sie aus deinen Händen kommt, ist rührend! Ich habe manchmal ein Schminkpflästerchen aufkleben, manchmal eine Nadel fest stecken müssen; aber nie that ich es mit der Empfindung, die Margot in mir erweckte, da sie jetzt, so lustig als ich es wünschen konnte, mit der Bitte vor mich trat, ihr den vermaledeiten Sonnenhut aufzusetzen, der ihr so hübsch steht.

So wie die Toilette in Ordnung war, erstiegen, durchliefen, umkletterten wir nun alles, was uns die Natur in den Weg warf, und sangen, schäkerten und lachten, als ob uns die ganze Welt gehörte. Auch mein Johann kam gestiegen, eben da wir beide Kinder versuchten, wer am weitesten in die Ferne blicken könnte, ob es ein Adler oder eine Krähe sei, die dort am Rande des Himmels ihr Spiel trieb? – Es war mir recht lieb, daß Johann kam. Ich rief ihm zu, und er nahm herzlichen Antheil an unserer Freude.

Du glaubst nicht, wie viel dieser Mensch in meiner Achtung gewonnen hat, seitdem der enge Kreis, der mich hier umschließt, den Abstand unter uns beinahe ganz aufgehoben hat. Außer dem Boden, wo er schläft, hat er Einen Aufenthalt mit mir, die der ganzen Gesellschaft gemeinschaftliche Stube. Es ist der gutherzigste, natürlich gesittetste Mensch, den ich vielleicht aus Berlin hätte mitnehmen können; und es freut mich recht, daß ich noch in dem zehnten Jahre, da er mir dient, seine Bekanntschaft gemacht habe.

Das mag wohl oft der Fall in unserm Stande – und noch[274] weit mehr in der Klasse der Großen seyn. – Wir suchen Freunde – in den Vorsälen – an den Spieltischen und in unsern vornehmen Gesellschaften – wundern uns, daß wir auch nicht Eine Seele finden, die unsern Forderungen Genüge thut, indeß vielleicht nahe bei uns, eben das gute Geschöpf, das uns fehlt, hinter unserm Stuhle steht. – Wie arm haben uns unsere leidigen Verhältnisse gemacht! Wie haben sie den Gemeinplatz der Zufriedenheit zersplittert, daß jetzt keines mehr von dem Brocken leben kann, der ihm von dem Ganzen zugefallen ist!


Den 26sten December.


Ich sehe mit Zittern den Zeitpunkt sich nähern, der mich von diesen Söhnen und Töchtern der Natur trennen soll, und nichts freut mich dabei, als daß auch Johann den Kopf hängt, wenn ich von unserer Abreise spreche. Künftighin soll der gute Mensch nie anders als neben mir im Wagen sitzen; ja auch, wenn der Mops noch lebte, sollte er es. Sein Verstand, seine gute Laune, und besonders das Mitgefühl des frohen Lebens, das ich hier führe, sind mir nützlicher und nothwendiger geworden, als seine armseligen Dienste, die ich im Grunde entbehren kann.

Arme Margot! Auch dein empfindsamer Busen hebt sich; auch in deinen Augen glänzen Thränen der Wehmuth; auch an deinem Liebe athmenden Munde regen sich Zuckungen eines heimlichen Schmerzes, wenn du an unsere Scheidung, an die Trennung von einem Freunde denkest, der dir nur gar zu lieb, gar zu theuer geworden ist. O daß ich der Einzige seyn möge, wie ich der Erste bin, der deinem Herzen die Freude verdirbt, zu der es die Natur so empfänglich gebildet hat! –

Ich schwöre Dir, Eduard, daß selbst meine Eigenliebe kaum die so schnell angewachsene Leidenschaft dieses Kindes für mich zu erklären weiß – und doch ist sie da – in aller der Glorie da, durch die sich ein unerfahrnes Herz verräth, und die auch nur einem solchen gut ansteht.

Wenn mir manchmal das erste Blatt eines empfindsamen Romans ein unschuldiges, kaum den Händen der Natur entschlüpftes[275] Mädchen ausstellte, das den Sonntag den Mann zum erstenmale erblickt, mit dem es auf der sechsten Seite, schon den Sonnabend nachher, bis über die Ohren in Liebe versunken, in so regelmäßiger Vertraulichkeit lebt, daß, wenn Autor und Leser rechnen können, man beinahe voraus sagen kann, auf welchem Blatte sie Mutter seyn wird: so lachte ich immer dem Geschwindschreiber gerade in's Gesicht, und war gewiß niemals bei der Taufhandlung. – Aber man sollte, weiß Gott, über nichts lachen!

Nicht weniger habe ich oft so krause, schäckige, verschlungene Figuren in den Wolken gesehen, daß die Bibliothek der schönen Wissenschaften den Maler, der es wagte, sie treu nachgebildet auf seine Landschaft zu bringen, ohne Widerrede für einen Narren erklären würde – und doch lag das Original, ohne ein menschliches Auge zu beleidigen – in der Natur. Schriebe ich nun einen Roman, lieber Eduard, so würde ich wenigstens aus Autorklugheit einen halbjährigen Umgang voraus gehen lassen, um das Herzklopfen, die glühenden Wangen und das Stammeln der Zunge dieses dreizehnjährigen Kindes wahrscheinlich zu machen: aber ich schreibe ein Tagebuch, und muß die Wolken malen, wie ich sie finde.

Seelen, die für einander geschaffen sind – ich fange es jetzt an zu glauben – streben einander entgegen, wie und wo sie sich antreffen. Sollte es Dich indeß, ungeachtet dieses freilich auch nur in Romanen vollgültigen Grundsatzes, dennoch wundern, wie ein so frisches, unbefangenes Kind, ohne sich durch mein blasses, abgehärmtes Gesicht schrecken zu lassen, in dem kurzen Zeitraume von vier Tagen einen Weg von solchem Umfange zurück gelegt habe; nun so wirst Du über die schnelle Veränderung wohl ungleich mehr erstaunen, die diese Spanne von Zeit in mir altem erfahrnen Krieger hervor brachte.

Siehe! der eingewurzelte Begriff von der nothwendigen Ungleichheit der Stände ist in den paar Tagen so locker bei mir geworden, daß nicht viel fehlt, so fliegt er in alle Winde. – Seit dem Augenblicke, da ich die Leidenschaft der Kleinen gegen mich entdeckte, wozu eben kein übermäßiger Scharfsinn nöthig war, habe ich über eheliches und häusliches Glück, Sympathie der Seelen und[276] Mißheirathen so deraisonirt, als wenn ich dafür wäre bezahlt worden. Ueber das Herz, behauptete ich sehr einleuchtend, sollte kein Grundsatz gebieten, der nicht aus der Natur, sondern aus unsern erkünstelten Verhältnissen entsprang. Verschwende ich hier nicht offenbar an den Götzen des Vorurtheils eine Perle so rein und acht, als die Liebe nur ihren Lieblingen zuzuwenden vermag, und darf ich wohl hoffen, jemals in der Verzäunung, in die mich mein Stand verbannt, ein Kleinod wieder zu finden, das diesem hier gleich ist?

In solchen Sophistereien, würde ich sagen, habe ich eine schöne Morgenstunde verträumt, als ich heute auf der Spitze des Berges an ihrer Seite lauschte, wenn ich mich nicht zugleich wie ein erfrorner Priester, an der auflodernden Flamme ihrer Erstlingsliebe so durchwärmt hätte, daß ich unmöglich den Verlust der Zeit beklagen kann, ob ich gleich jetzt nach allen kaltblütigen Mitteln der Vernunft stören muß, um meine durchglühte Einbildungskraft wieder abzukühlen. Gottlob, daß es mir gelungen ist! Ich habe mir stark in das Gewissen geredet, mir bewiesen, daß ich zu der wankelmuthigsten, treulosesten Menschenklasse gehöre, die einzige ausgenommen, die in allem eine Stufe über der meinen steht – daß ich viel zu lange in einer verdickten Atmosphäre gelebt habe, um in der Region der Wahrheit und der dunstfreien Natur dauern zu können, und habe daraus die Schlußfolge gezogen, daß Margot, dieß Kind der Unschuld, viel zu gut für mich sei.

Gewiß ist sie des besten Mannes werth. Aber nur einer, dessen Geburt und Lage ihn von der Amme an gegen die feindseligen Angriffe der guten Erziehung geschützt haben – der das Gift der Sitten nicht eingesogen hat – der alle Strahlen des Glücks, der Zufriedenheit noch in Einen Brennpunkt vereinigt, und mit der großen Kunst der höhern Stände noch unbekannt ist, sie prismatisch in Farben zu theilen und – unkräftig zu machen – mit Einem Worte, nur der beste Mann ihres Standes vermag es, dieses schöne, gefällige, tugendhafte, und mit der herrlichsten Zusammensetzung zu einem trefflichen Weibe begabte Mädchen so glücklich zu machen, als es zu seyn verdient. Von ihr ist es eine[277] schuldlose Verirrung, daß sie mich liebt – von mir – würde es eine Treulosigkeit an der Natur seyn, wenn ich diese Verirrung mißbrauchen und sie aus dem Zauberzirkel reißen wollte, in welchem ich die schätzbaren Menschen sich drehen sehe, deren Hausgenosse ich bin, und der mich – ich stehe nicht dafür – bis zu der lächerlichsten Ehe schwindlich machen könnte, wenn ich ihnen länger zusehen sollte.

Ihre vier Jahreszeiten, Eduard, – wie verschieden sind sie nicht von den unsrigen! Sie verlaufen ihnen so glücklich und einfach, wie die Zeiten ihrer einzelnen Tage, und ihr Leben verläuft ihnen wie ihre Jahre.


Mit süßem Lächeln weckt der Morgen

Dieß der Natur geweihte Paar,

Das bei der Liebe Sorgen

Sanft eingeschlummert war.


Der Tag entwickelt ihre Kräfte,

Uebt ihren ländlichen Verstand;

Zu nützlichem Geschäfte

Reicht jedes sich die Hand.


Sie opfern dem Umarmungstriebe

Des kurzen Abends Ueberrest,

Bis ungern sie die Liebe

Dem Schlummer überläßt.


Ein leichter Schlaf stärkt ihre Glieder,

Und eine schnell verträumte Nacht

Giebt sie der Liebe wieder,

So bald der Tag erwacht.


Den 27sten December.


Ich habe diesen Morgen meinen Johann mit Briefen und mit dem Auftrag in die Stadt geschickt, einen Wechsel für mich zu heben, davon ich einen Theil nöthiger brauche als den andern. Ich muß durchaus diese biedern Menschen, so gut ich kann, für den Wohlgeschmack am Leben belohnen, den sie mir beigebracht haben.

Uebrigens ist mein heutiger Tag vergangen, wie der gestrige. Wer der Einförmigkeit gut werden will, muß sich in diesem Dorfe niederlassen. Wäre es so ehrlich, als es bequem ist, lieber Freund,[278] seinen guten Leser über den Verlauf von vierzehn bis fünfzehn Stunden mit einem Gemeinsatz abzufertigen; so dürfte ich hier nur das, leeren Köpfen so gewöhnliche Mittel anwenden, mit einem klügern zu entern, einen langen – – Gedankenstrich machen, und mich und meine Feder zur Ruhe legen. Da aber meine gerühmte Einförmigkeit es doch nicht so sehr ist, als Du etwa denken könntest; da auch Margot zu Bette, alles um mich herum so still ist, und es mir auf ein Blatt mehr oder weniger nicht ankommt: so wüste ich nicht, was mich abhalten könnte, heute weniger vollständig zu seyn als gewöhnlich.

Freilich habe ich nicht, wie Du, eine neue Oper von Naumann aufführen, oder durch ein andres Kunstwerk die Natur verhunzen gesehen: aber dafür sah ich, und weit deutlicher, als es nicht leicht ein Hofmann zu sehen bekommt, alle Federn eines gerührten weiblichen Herzens im Spiele; die schönste Pantomime, die mir die Liebe, und zwar mir allein, zu Ehren gab. Das Stück bekam dadurch, und durch die unaufhörlichen Schmeicheleien, die ich dabei Gelegenheit fand, bald meiner Scharfsichtigkeit, bald meiner Eigenliebe zu machen, wahrlich kein geringes Interesse, ohne manches andere wohlthätige Gefühl der Großmuth, des Mitleids und so weiter, nur in Anschlag zu bringen.

Die gute Kleine, die, während ich diesen Morgen schrieb, Verstand genug hatte, mich nicht zu stören, und sich unterdessen im Vorhause beschäftigte, meinem Johann den ganzen Roman des Seidenwurms zu erklären, konnte nun, wie ich ihn mit den Briefen abgefertigt hatte, ihren Mißnmth über ihren verlornen Spaziergang nicht länger verbergen. Du hättest nur sehen sollen, wie so launig sie sich anstellte, wie so zärtlich sie über meine Schreiberei schmählte, und wie ich eilte, ihr den Ersatz auf den Nachmittag zu versprechen.

Das machte alles wieder gut. – Nun flog sie in die Küche, schürte das Feuer doppelt an, und brachte es so weit, daß der Eierkuchen – zwar ein wenig verbrannt war – wir uns indeß doch eine halbe Stunde eher um ihn herum setzen konnten. Ach! er hätte mir nicht besser schmecken können, wäre er auch in seiner[279] größten Vollkommenheit erschienen. Ihr selbst – ihr wollte er nicht schmecken, – selbst nicht, wie ich ihr ihn vorlegte. Sie war verloren für alles gemeinere Bedürfniß. Ihre Sprache war zitternd, wie die Sprache der Sappho, und ihr glühendes Auge – von allem was zwischen Himmel und Erde ist – nur auf mich allein geheftet. Mir kam wahrlich zur rechten Zeit meine Erfahrung zu Hülfe. – Ich hörte durchaus nicht auf den Einklang meines Herzens mit dem ihrigen – wies es schon bei'm Präludiren zur Ruhe, und konnte nun desto aufmerksamer auf das natürliche Adagio der kleinen Virtuosin Acht geben, das mir – ich versichre Dich, Eduard – mehr Vergnügen gewährte, als die vollständigste Tafelmusik unsers Königs.

Wie wir aufgestanden waren, brachte mir das arme Kind dem es in der Stube zu enge ward, meinen Hut und Stock, und trippelte vor mir her zur Hütte hinaus. Mir ward, als ich den blauen Himmel sah, angst und bange vor dem heimlichen Spaziergang, in den sie mich in aller Unschuld verlocken würde. Ich dachte in diesem Augenblicke an den, in der verschwiegensten Ecke Deines Parks lauschenden Amor, den sicher kein Pfuscher gemeißelt hat. Ich weiß kein belehrenderes Sinnbild von ihm. – Das bedenkliche Lächeln, mit dem er in die Stille des Waldes hinblickt – die umfassende Kraft, die seine Flügel dehnt – das kleine Schrecken, das er jedem einjagt, der unvermuthet auf ihn trifft – alles war mir jetzt furchtbarlich gegenwärtig.

Da dachte ich bei mir selbst: »Du willst ehrlich seyn, Wilhelm, da es noch Zeit ist. – Ehe du einen Schritt weiter setzest, willst du das unbefangene Mädchen von der Gefahr unterrichten, die es läuft. Du hast so viele warnende Bilder vom Amor gesehen – hast dich müde an allen den Steckbriefen gelesen, die ihm täglich nachgeschickt werden, daß es nicht gut seyn müßte, wenn du der Kleinen nicht eine Schilderung von ihm machen könntest, daß ihr die Lust wohl vergehen soll, ihn näher kennen zu lernen. Ist nicht schon manches Schulmädchen durch die Fabel vom Fuchs und dem Hühnchen von ihrem künftigen Verderben gerettet, oder durch eine gräßliche Gespenstergeschichte abgehalten worden, im Finstern zu[280] gehen? Ja, hat mir nicht selbst die Furcht vor dem Teufel öfter meine Chatulle gerettet, als die vor dem lieben Gott?«

Ich setzte mich also auf die hölzerne Bank vor dem Hause, faßte die Kleine bei beiden Händchen, und zog sie sanft zu mir her. –

»Margot,« sagte ich – »ehe wir weiter gehen, will ich Dir etwas erzählen. – Ich habe heute wichtige Ursachen, warum ich unsern Fichtenberg nicht ersteigen mag –«

»Und ich auch,« versetzte Margot seufzend und mit einer Naivität, die mich beinahe in meiner Fortsetzung irre gemacht hätte.

»Wir wollen den guten Mandelbaum heute in Ruhe lassen. – Er wird schon ohne uns seine Blüten vollends entfalten.«

»Das ist zu glauben,« antwortete Margot – »Aber was wollen Sie damit sagen?«

»Margot,« stotterte ich ziemlich verlegen – »Du hast doch wohl schon von dem Amor gehört?«

»Nicht eine Sylbe« – antwortete sie mit herzlich verwundernden Augen.

»Nun gut,« fuhr ich noch stotternder fort – »so muß ich Dir sagen, daß es eine Art von Buschkläpper ist, der die Gegend da oben sehr unsicher machen soll:«


»Ein Strauchdieb, der die Sonne scheut,

Vom späten Abend bis zum Morgen

Am liebsten in der Einsamkeit

Auf jenem Fichtelberg verborgen.

Dort hauset er, bricht und entweiht

Die Gränzen und die Hegezeit,

Und lockt in ein Gewirr von Sorgen

Die unbedachte Lüsternheit.

Wir würden schwerlich ihm entweichen;

Denn er, ein Meister im Beschleichen,

Stört alles auf, hetzt alles matt,

Zumal wenn er in den Gesträuchen

Zwei Schmachtende erlauert hat.«


»Lassen Sie Sich doch so etwas nicht weiß machen,« – unterbrach mich die Kleine, und schlug ein lautes Gelächter auf – »Es ist nicht ein Wort davon wahr. Die Gegend da oben sollte nicht[281] sicher seyn? Auf die Gefahr, glauben Sie mir, wollte ich den ganzen Wald mit Ihnen durchstreifen, ohne daß uns etwas Widriges begegnen sollte. Aber es ist mir schon recht, daß Sie Sich fürchten. Ich bin den einsamen Berg wirklich ein Bißchen überdrüssig. Er macht mich schon traurig, wenn ich ihn ansehe. Lassen Sie uns diesen Nachmittag lieber einen Gang auf den Postplatz thun, wo der heutige Markttag alle Esel und Menschen in Bewegung setzt.«

»Gut,« – sagte ich ein wenig betroffen, richtete mich von meinem Lehrstuhl auf, und indem Margot, muthig wie ein Kind aus der Schule, vor mir herlief, schlich ich ihr nachdenkend wie ein Präceptor nach, der eben vor seinen Untergebenen das sechste Gebot austrommelte und durchpeitschte, das doch, ihn ausgenommen, keines in der ganzen Klasse, trotz seines Unterrichts, weder zu begreifen noch zu übertreten in dem Falle war. Ging es mir wohl besser mit meinem verunglückten Apolog? Lag nicht die Ursache, warum mich Margot nicht verstehen konnte, in ihrer holden Jugend und Unschuld, so wie ihr jetziger brausender Wunsch nach Zerstreuung in jenem ihr noch fremden, bittersüßen Gefühle lag, das sie zu übertäuben suchte?

Du kannst denken, Eduard, ob mir das liebe Mädchen, unter diesem hellstrahlenden Nimbus der durchbrechenden Natur, mit dem sie mir heute wie eine leidende Heilige erschien, nicht noch lieber ward. Ich hätte entweder ein Heide, oder vor den Kopf geschlagen seyn müssen, wie ein Schulmeister, wenn ich der nächsten Eingebung, nach dem mißlungenen Versuche meines ersten Unterrichts, hätte Gehör geben, und die belobte sokratische Lehrart mißbrauchen wollen, um das sich sträubende Kind zu seiner Selbstkenntniß zu bringen, oder, welches Eins gewesen seyn würde, den Most in seiner Gährung zu stören, um mich in ihm zu berauschen. »Nein,« sagte ich, »lieber will ich durstig von hier gehen, und demjenigen den künftigen Wein unverfälscht und ungetrübt gönnen, für den das Glück und die Zeit diese Labung aufbewahrt.«

Ich war fest entschlossen, mich – auf die wenigen Tage, die ich noch unter den blauen Augen dieses seltenen Mädchens verleben[282] würde, bloß auf das mäßige Vergnügen ihres Beobachters einzuschränken, und vor allen Dingen meine Abreise um keine Stunde über die gesetzte Zeit, geschweige – wie mir schon einigemal der verwegene Gedanke gekommen war – auf mehrere Monate zu verschieben.


Unter diesen heroischen Gedanken gelangte ich, einige Minuten nach Margot, auf dem Postplatze an: aber es dauerte nicht lange, so traf nur zu sehr ein, was ich gefürchtet hatte – Ihre Fieberunruhe verstattete ihr kein Bleiben. Kaum hatten wir einen Esel ab-einen andern aufsatteln gesehen, so strebte sie weiter. Sie ging, in sich gekehrt, auf der Chaussee fort, und ich folgte ihr ohne Einwendung auf diesem staubigen Wege nach. – Sie hing sich traulich an meinen Arm, und so schlenderten wir stillschweigend mit einander fort, und kamen, ohne es zu bemerken, dem Stadtthore bis auf einige hundert Schritte nahe. – Der gepflasterte Weg hatte die arme Kleine ermüdet. Wir setzten uns auf eine der steinernen Bänke, mit welchen französische Straßen, zur Beruhigung so vieler Fußgänger, reichlich versehen sind, und vertieften uns in das bewegliche Gemälde, das vor uns lag.

Inzwischen ward Margot so durch und durch ernsthaft, daß ich ihr mit Verwunderung in die Augen blickte, ohne sogleich, entdecken zu können, was in ihrem Innen: vorging. »Sollte das Getöse menschlicher Thätigkeit,« dachte ich, »das dich immer in ein gewisses unwillkührliches Staunen versetzt, auf ein dreizehnjähriges Mädchen dieselbe Wirkung hervor bringen? Es setzt doch eine gewisse Vermischung von Gedanken voraus, die man so einem Köpfchen nicht wohl zutrauen kann.« Auch war das gute Kind weit davon entfernt. Was ihre Zunge mir nicht zu erklären vermochte, als ich sie um die Ursache ihres bänglichen Ernstes befragte, das that ihr Blut desto beredter, überzog ihr Engelsgesicht mit der Schminke der Unschuld und der Rosen, und machte es mir unmöglich, diesem Naturgeständnisse ihrer uneigennützigen Liebe nicht mit dem feurigsten Kusse zu huldigen.

In diesem köstlichen Augenblicke, den das vollströmende Herz[283] der überraschten Vernunft abgewann, lenkte ein Phaeton hinter uns durch einen Seitenweg in die Chaussee ein, und zog langsam bei meiner Umarmung vorüber. – Ich richtete mich in die Höhe, und begegnete den verächtlichen Blicken, die ein Mann ohne Physiognomie, kurz der in Nimes so berühmte und besuchte Verfasser der Revolution von Portugal auf mich und mein Liebchen herab schoß. Ich war so betroffen, als ob es mir zum erstenmale widerführe, mich dem geschwinden Urtheile eines Kleinstädters in einem Augenblicke ausgesetzt zu sehen, wo das äußere Ansehen wider mich war. Ich hatte noch nicht durch meine lange Hoferfahrung gelernt, mich über solche Mückenstiche des Zufalls zu trösten, und mit dem ehrlichen Manne im Plautus auszurufen: Ego – vergieb mir immer das Bißchen Latein – sum promus meo pectori, Suspicio in alieno pectre est sita. Nein, ich ärgerte mich von ganzem Herzen, sowohl über die Unmöglichkeit, einem Manne von seiner Art den unschuldigen Zusammenhang so eines Kusses begreiflich zu machen, als über die spöttischen Anmerkungen, mit denen er sich in seiner Abendgesellschaft auf meine Kosten groß machen würde; und ärgerte mich endlich über mich selbst, daß ich schwach genug sei, mich über solche Armseligkeiten zu ärgern.

Ich wußte mir in meinem Unmuthe nicht anders zu helfen, als daß ich ihm den einzigen Fehler, der mir von ihm bekannt war, aufmutzte, und meiner lieben Margot erzählte: »Dieser Mann mit dem albernen Gesichte, der eben vorbei gefahren sei, habe das mißgeschaffenste, elendeste Gedicht geschrieben, das in Frankreich zu finden sei – ein Trauerspiel ohne Mark und Kraft – das so lang und fade sei, wie die Nase des Autors.«

Aber Margot bekümmerte sich um das alles nicht im geringsten – – »Dort kommt Ihr Johann,« war ihre ganze Antwort.

Wirklich verdiente meine Anklage auch keine andere. Wir standen auf, gingen dem guten Johann entgegen, der sich freundlich an uns anschloß. Ich vergaß den Baron, die Kleine trällerte, und Johann gab mir, während uns ein schöner Abend langsam nach Hause brachte, Rechenschaft von seinen Verrichtungen in der Stadt.
[284]

Den 28sten December.


War ich gestern mit meinem Tage zufrieden, so bin ich es mit meinem heutigen ungleich mehr. Ich habe mich über einer unzweideutigen Probe einer vollständigern Genesung überrascht, als ich jemals hätte hoffen können – über einer von den Thorheiten aus den glücklichen Zeiten meines fünfzehnten bis achtzehnten Jahres. Es macht mir eine herzliche Freude, sie Dir erzählen zu können; denn Du bist zu sehr mein Freund, als daß Du nicht einen warmen Antheil daran nehmen solltest.

Du weißt – wenn Du anders künftig einmal bis hieher gelesen haben wirst – wie es um das Herz der armen Margot stecht. Es gehört von meiner Seite in Wahrheit ungewöhnliche Stärke dazu, ihm nicht zu Hülfe zu kommen, da vielleicht noch keinem Ritter das Mitleid so nahe gelegt worden ist, als mir, und ich zu aufmerksam auf das liebe Kind bin, um nicht, wie ein praktischer Arzt, der unter Epidemien grau geworden ist, von Stunde zu Stunde angeben zu können, um wie viele Grade sich die Krankheit verschlimmert hat. Ihre vormalige Munterkeit, wie ganz ist sie verstoben! – und ach, nun kommen die Symptome der unruhigen Nächte darzu – Was will aus dem armen Kinde werden!

Ich lag in dem besten Schlafe hinter meinem Closset, als mich ihre Stimme zu erwecken schien – Es war aber nur der Widerklang ihrer Seufzer tönenden Brust. Da es ganz still um uns her war, so entwischte mir auch nicht ein Athemzug, durch den das gepreßte Herz sich zu erleichtern suchte – keiner von den jugendlichen, in manch sanftes Ach! koncentrirten Wünschen, die das Blut durchsäuseln, und sich dem Kenner – noch ehe sie der unschuldigen Seele hörbar werden, wie der Hauch auf einer äolischen Harfe, verrathen. Hätte ich mich gehen lassen, so würde das seltenste Koncert von Seufzern entstanden seyn, das je gespielt worden; denn je aufmerksamer ich mit jedem Pulsschlage ward, desto schwerer ward es mir auch, nicht mit einzustimmen.

Wie froh war ich, als der Tag zu grauen anfing, und ich bald darauf, mein Bette mit Ehren verlassen konnte! Ich kam glücklich bei dem ihrigen vorbei – nahm aber das Herz so voll[285] von sympathetischen Gefühlen mit, daß mir für hinlängliche Unterhaltung auf meinem einsamen Spaziergange unmöglich sehr bange seyn konnte.

Gott weiß, wie geschwind oder langsam ich heute meinen Berg erstieg! Ich hatte aus mir selbst zu viel heraus zu spinnen, als daß ich auf etwas außer mir nur Acht gehabt hätte. So viel noch erinnere ich mich – daß er mir heute nicht hoch, nicht räumlich, nicht romantisch genug vorkam. Ich mußte, ohne es zu wissen, auf seiner andern Seite herab gestiegen seyn; denn, als mir das sonderbarste Abenteuer mein Bewußtseyn wieder gab, befand ich mich in der Mitte einer mir unbekannten Wildniß – sah meinen Fichtenberg eine Stunde weit von mir liegen, und konnte kaum mit bloßen Augen mein kleines Caverac wieder finden.

Ist es indeß Wohl der Mühe werth, daß sich die drei Grazien des menschlichen Lebens – Wahrheit, Natur und Freundschaft – vereinigt bemühen sollen, Dir das lächerlichste Bild aufzustellen, das Dir wohl jemals von einem Menschen bei gesundem Verstande zu Gesichte gekommen ist? Wenn Du so dächtest, lieber Eduard, so sähe ich mich genöthigt, mich erst darüber mit Dir zu besprechen. Dergleichen Schilderungen von uns selbst, denke ich, verdienen nur dann erst, daß man den Kopf dazu schüttelt, und sich über ihren Autor ein wenig aufhält – wenn man sie, wie Rousseau, mit einer geheimnißvollen Miene auf den Altar der Unsterblichkeit niederlegt, und durch ein mit einem Anathema versehenes Kodicill verordnet, daß sie nicht eher als zwanzig Jahre nach unserer Verwesung der Welt zur Schau gestellt werden. Zu was so viele Umstände? Ich gebe überhaupt nach meiner jetzigen Denkungsart – und Gott erhalte mir sie! – nicht den Augenblick einer leichten Verdauung für die ganze Ehre, der zweiten Generation namentlich bekannt zu bleiben: doch kann ich auch nicht so viel Wesens daraus machen, wenn ein Freund wie Du, bei meinem Leben, mich im Hemde überrascht. Das schließt jedoch, wohl zu merken, nicht den gutmüthigen Wunsch aus, durch mein Daseyn – wo nicht mit so pathetischem Ernste, wie Rousseau, oder mit dem Schrecken jenes, der das Pulver erfunden hat – doch sonst durch eine gesegnete[286] Kleinigkeit auf die Nachwelt fortzuwirken. – Und geschähe es nur durch einen Schwefelfaden, den ich inkognito zu meiner eigenen Bequemlichkeit verbesserte, und nachher damit bis an's Ende der Welt den Armen erleichterte, ihre Lampen anzuzünden – nur durch ein Liedchen, wie Anakreon sang, das einige tausend Jahre hindurch, Menschen wie wir sind, einen frohen Augenblick mehr erträllern half – ich wollte damit zufrieden seyn – zufriedener, als wenn ich jetzt mein Leben an Reichs-und Kreis-Relationen verschreiben – in der Ungewißheit verschreiben müßte, ob die Nachwelt so viel Nutzen als aus meinem Schwefelfaden ziehen würde.

Die Weisen, die hierin meiner Meinung sind – und die es nicht sind, mögen es mir vergeben, daß ich diesen reichhaltigen Text zu einer gelehrten Abhandlung einer Armseligkeit vorausschicke, und ihn mit derselben Feder geschrieben habe, die Dir die wichtige Neuigkeit erzählen soll, durch welche Verfassung der Seele ich dahin gebracht wurde, mir heute in der Mittagsstunde eine Beule gerade über der Nase zu stoßen. Es ging drollig genug damit zu.


In dem dicksten Hain verloren,

Ohne Führer, ohne Bahn,

Fragt' ich nicht, ob mich die Horen

In den Abglanz von Auroren

Oder Lunen schwindeln sahn.


Meine Phantasien flogen

Der gereizten Liebe nach,

Und, mit blauem Flor umzogen,

Fabelte des Himmels Bogen

Mein und Margots Brautgemach.


Bald auch schwand des Haines Stille –

Meinem Jubel aufbewahrt,

Stand sie jetzt von Jugendfülle.

Zitternd vor mir, ohne Hülle

Meinen Räthseln offenbart.


In den wunderbarsten Fugen

Sammelten die Freuden sich

Um mein Lager, übertrugen

Ihre Wirtschaft mir, und schlugen

Ihre Flügelchen um mich.
[287]

Und auch ich schlug, in dem vollen

Liebesrausche meines Traums,

Meine Arme, gleich Apollen,

Ach ihr Götter! um die Knollen –

Eines alten Feigenbaums.


So derb auch die Erinnerung war, nahm ich sie doch – ohne dem Feigenbaum zu fluchen – vielmehr mit einer Resignation auf, die gewiß jedem so vor den Kopf gestoßenen Philosophen Ehre würde gemacht haben. – Ich ließ nur die Schmerzen ein wenig verrauchen, die mir meine Umarmung verursachte, dann trat ich – und zur Genüge abgekühlt – meinen Rückweg an.

Als ich den Fichtenberg beinahe erreicht hatte, hörte ich mir zurufen. – Ich blickte auf, und sah das artigste ländliche Gemälde, das man sich vorstellen kann – sah den Berg herunterwärts, durch das Gebüsche durch, eine Nymphengestalt, leicht wie der Zephyr – kurz – eben diese kleine liebe Margot auf mich zufliegen, der zu Ehren ich das Zeichen an der Stirne trug. Eine Strecke tiefer im Busche brach auch Johann hervor, und ganz im Hintergrunde sah ich auch meinen Wirth, mit einer Hacke bewaffnet, ansteigen. –

»Lieber Herr« – schrie Margot, als sie näher kam, und fiel mir athemlos in die Arme – »um des Himmels willen, wo sind Sie so lange geblieben? – Was haben Sie mir – was haben Sie uns allen nicht für Sorge gemacht? – Schon seit einer Stunde (sollte das Ahndung gewesen seyn, Eduard?) suche ich und Johann Sie auf diesem abscheulichen Berge. Wir haben alle Höhlen, alle Gebüsche durchkrochen. Wo? wo sind Sie doch nur gewesen?« – Und nun trat Johann, und nun auch Blaise herbei, und wiederholten dieselbe Frage.

»Je nun, lieben Kinder,« antwortete ich lächelnd – »von einem so angenehmen Spaziergange, als ich heute gehabt habe, kommt man leicht später zurück, als man sollte. – Du hättest mich nur um ein paar Stunden eher aufsuchen müssen, Margot, um mit mir zu theilen, und Dir die lächerliche Angst zu ersparen, die Du wahrscheinlich meinetwegen gehabt hast.«[288]

»Ja, die hat sie gehabt,« nahm Blaise das Wort, »sie hat sich recht Kindisch bezeigt.«

Indem, und da ich zufällig den Hut abnahm, um mir den Schweiß abzutrocknen – stieß sie, als sie meine blutrünstige Stirn erblickte, einen überlauten Schrei aus. »Habe ich's doch gedacht und gesagt,« schrie sie mit weinender Stimme: »aber kein Mensch wollte mir glauben.«

»Was könnte man denn Dir nicht glauben, Margot?« fragte ich verwundert.

»Daß Sie,« fielen die andern ein, »einem Strauchdiebe in die Hände gefallen wären, der, wie sie uns gerne bereden möchte, den Fichtenberg unsicher macht.«

Die Kleine, um sich zu rechtfertigen, drang nun in mich, ihr die Wahrheit zu bestätigen, und wollte durchaus mit dem Merkzeichen an meiner Stirne Beweis führen.

Nun ist kaum etwas Beschämenderes für einen gesetzten Mann, als wenn er sich durch ein schwatzhaftes Kind an den Pranger gestellt sieht. Ich bedachte, daß mein Auditorium nicht so beschaffen sei, daß mir eine mythologische Erläuterung aus der Verlegenheit hätte helfen können – bedachte, daß Margot nicht in Berlin in die Schule gegangen sei, und noch keinen Begriff davon habe, daß man nicht alles, was uns gesagt wird, wörtlich verstehen müsse – und, da ich in dem Augenblicke nichts von Bestand zu antworten wußte, suchte ich wenigstens vor der Hand nur Zeit zu gewinnen, stellte mich eilender und hungriger als ich war, und bat die Kleine um die Gefälligkeit, ein wenig voraus zu laufen, damit wir bei unserer Ankunft das Essen auf dem Tische fänden. – So etwas läßt sie sich nicht zweimal sagen – Sie flog wie Anakreons Taube davon, und Johann mit ihr, und ich und mein Hauswirth trabten etwas bedächtlicher nach.

Unterwegs erzählte er mir, wie die Angst des Kindes über mein ungewöhnliches Außenbleiben mit jeder Minute, wie ein Wetterglas, immer höher und höher gestiegen sei – wie keine vernünftige Vorstellung dagegen hätte verfangen wollen und wie sie im Begriff gewesen wäre, das ganze Dorf zu meiner Hülfe aufzubieten.[289]

»Aber woher die Beule,« fuhr er fort, »die Sie da über der Nase mitgebracht haben?«

»Ich habe einen Feigenbaum umarmt, mein lieber Mann,« sagte ich. –

»So, so,« versetzte er lachend, »das kann einem ja wohl geschehen. – Vor einem Fehltritt ist niemand sicher. – Aber geben Sie Acht, unserer Närrin von Mädchen wird, das viel zu alltäglich seyn. – Sie hat sich einmal den vermaledeiten Gaudieb in den Kopf gesetzt, und sie wird sichs nicht ausreden lassen, daß es, nicht der sei, der Ihnen den Schandfleck angehängt hat.«

Der gute Mann dachte wohl nicht, daß seine gerade Erzählung so anziehend für mich seyn würde, als sie es war. – Er war wohl weit entfernt, zu vermuthen, daß er mir die beredtsamste Schilderung von der Leidenschaft seiner Nichte zu mir entwerfe, indem er sich über ihre Einfalt lustig zu machen glaubte. – Er hätte sich's wohl nicht im Traume einfallen lassen, daß mehr Wahrheitssinn in dem Kindergeschwätze der kleinen Margot verborgen lag, als in manchen andern Mährchen, die wir doch ohne Mühe glauben. Aber freilich konnte er auch den geheimen Zusammenhang meiner Kopfwunde mit dem, was seine Nichte albernes erzählte, nicht so gut einsehen wie ich – konnte freilich nicht ahnden, wie nahe hier Irrthum und Wahrheit an einander gränzten.


Sobald wir zu Hause beisammen waren, setzten wir uns mit gleicher Eßlust zu Tische, die Kleine ausgenommen, der, vor übergroßer Neugier, mit der sie auch ihre Tante angesteckt hatte, kein Bissen schmecken wollte. Nun war aber, wie Du mir leicht glauben wirst, meine Geschichte keine von denen, an die man sich gern erinnern läßt – die Zudringlichkeit der kleinen Närrin war mir daher auch nicht sonderlich angenehm – Gern wäre ich ihres Examens überhoben gewesen; aber daran war nicht zu denken So lange wir zwar vor der Schüssel saßen, wies sie der Vetter gleich bei der ersten tollen Frage, wie er es nannte, zur Ruhe doch kaum waren wir aufgestanden, und der Bauer und seine Frau an ihre kleinen Geschäfte gegangen, so saß mir das schmeichelnde[290] Geschöpf auch schon zur Seite; und, indem sie mir warme Umschläge auf die Stirn legte, und mit ihren Händchen andrückte, lispelte sie mir mit mitleidigem Ernste zu, ohne im geringsten zu argwohnen, wie grausam sie mich persiflirte: »Also haben Sie wirklich dem Strauchdiebe, dem Amor begegnet? Mein Gott, wie müssen Sie erschrocken seyn! War der Stein groß, den er nach Ihnen warf? und wie haben Sie es angefangen, daß Sie ihm noch lebendig entkommen sind? Erzählen Sie mir alles, aber so genau, so umständlich als möglich.«

»Margot,« sagte ich, »um meinen Herzstichen mit Einemmal ein Ende zu machen, das ist mit zwei Worten zu erzählen. – Ich sah den Unhold, vor dem ich Dich gestern warnte, doch nur von weitem – faßte das Herz – (bei Dir würde es Verwegenheit seyn) – ihm nachzueilen – glaubte ihn schon zu ergreifen, stieß mich aus blinder Hitze an den Baum, hinter den er sich steckte – die Beule siehst Du, die ich mir schlug – und wie ich mich umsah, war er entwischt.«

»Entwischt?« wiederholte sie: – »Nun das ist mir Ihrentwegen recht lieb. – Es ist immer das sicherste, wenn man nicht selbst laufen will. – Was gehen Ihnen,« setzte der kleine Naseweiß hinzu, – »unsere Buschkläpper an? und was hätten Sie in aller Welt mit diesem anfangen wollen – gesetzt Sie hätten ihn nun auch erhascht? – Wollten Sie ihm seinen Prozeß machen? Dazu ist unsre Gemeinde zu arm.«

»Du hast Recht, meine kluge Margot,« antwortete ich so ernsthaft, als es mir möglich war: »Es mag wohl eine Uebereilung von mir gewesen seyn – deßwegen thust Du mir auch einen Gefallen, nicht viel weiter davon zu schwatzen. – Aber ich dächte, liebes Mädchen,« – indem ich sie scharf in die Augen faßte – »Du wärest seit gestern und heute viel neugieriger, viel furchtsamer und auch viel teilnehmender geworden, als ich Dich bisher gekannt habe?« –

Eine schnelle Röthe – ich stehe nicht dafür, Eduard, ob nicht der Grund davon in dem Bewußtseyn zu suchen war, das ihr von ihrer ersten unruhigen Nacht zurück blieb – überzog das Engelsgesichtchen,[291] und kontrastirte allerliebst zu ihrer sichtbaren Verwunderung über meine unvermuthete Frage. Beinahe hätte mich meine kleine Leichtfertigkeit gereut. – Indeß gewann ich doch so viel damit, daß sie ihr neugieriges Gespräch, vermutlich in der Voraussetzung abbrach, daß ich auch dafür das meinige nicht fortsetzen würde.

Unter diesem stillschweigenden Vertrage, den jedes auf das heiligste erfüllte, erreichten wir in gewöhnlicher guter Laune den Abend. Ich suchte zeitig mein Bette, aus eigenem Triebe sowohl, als auch um meinen Freunden, die nicht weniger ermüdet zu seyn schienen, die Freiheit zu verschaffen, das ihrige zu suchen.


Schon hatte ich mein summendes Haupt in das Kissen gehüllt, und sah den friedlichen Schlaf sich nähern – als das Schicksal, das mich heute zu seinem Ball ausersehen zu haben schien, mir noch eine eben so unerwartete als harte Prüfungsstunde in den Weg warf. Das mitleidige Kind hatte, mit Hülfe Johanns, dürre Kräuter von dem Oberboden geholt, die sie zur Bähung meiner Wunde für dienlich hielt, und die ihr noch beifielen, wie sie eben in das Bette steigen wollte. Das hielt sie nicht ab, in bloßen Füßen und ohne Licht darnach zu gehen. – Johann hatte Feuer anfachen müssen, um den Wein warm zu machen, in welchem die Kräuter gebeitzt wurden, und auf Einmal trat das gute Mädchen leise vor mein Bette, schlug die rauchende Masse in ihr Halstuch, das sie abthat, um es mir um die Stirne zu binden. –

»Kind,« sagte ich, »was beginnst Du? – Du machst Dir eine unnöthige Mühe.«

»Das dächte ich doch nicht,« antwortete sie spöttelnd: »Oder denken Sie etwa, daß Ihnen Ihre blaue Stirn gut steht?« Zugleich bog sie sich über mein Bette, legte mir das Tuch an, und indem sie es zusammen knüpfen wollte, geschah es, daß durch die Richtung, in die ich jetzt, des Knotens wegen, nach ihr hin gezogen ward, mein Gesicht auf den schönsten jugendlichsten Busen zu ruhen kam, der wohl je unter den Küssen eines Mannes gezittert hat.

Welche geheime magische Verkettung aller Dinge! So erzeugte[292] meine Morgenschwärmerei für den ruhigen Abend eine Wirklichkeit, deren Keim ich nimmermehr in dem unsanften Augenblicke würde geahndet haben, der mir heute die Stirne zerstieß. –

»O Margot,« flüsterte ich ihr zu, indem ich nicht widerstehen konnte, meine Arme um den schlanken Wuchs dieses lieblichen Mädchens zu schlagen – »Du – o um wie viel rührender könntest Dir meine Schmerzen zertheilen – verjagen – in Entzücken verwandeln!«

»So sagen Sie doch nur wodurch?« flüsterte sie mir entgegen, ohne mir nur einen Grad der wohlthätigen Wärme zu entziehen, die mir meine glückliche Lage verschaffte.

»O Du« – fuhr ich nach einer, der höchsten Empfindung gegönnten Pause, in schmelzender Zärtlichkeit fort: »wie soll ich Dich nennen, Kind der unverfälschten Natur? – O wüßtest Du, meine Margot, das ganze Geheimniß dieser Wunde, die schönste Beute, die ich jemals dem Amor abjagte! – O möchtest Du jetzt den Kampf meines Morgens belohnen! Ja ich sehe schon meine Athletenkrone mit den blühendsten Sprößlingen durchflochten, die je das Mitleid der Liebe gereicht hat.« – Und das leichte, geschmeidige, ätherische Wesen, das während dieser Hymne unter der Federkraft meiner Arme unmerklich immer höher und höher bis über den Schwerpunkt gehoben, halb über mir schwebte – sank jetzt – der Engel sank – tiefer – immer tiefer – endlich zu mir herab – und nun erst erschrak ich vor dem Glanz seiner Würde.

Es war nicht das erstemal, Eduard, daß der feine Betrug, den jede symbolische Sprache mit sich führet, mir einen Streich spielte – aber nie vereinigten sich mehr Umstände, die eine Bildersprache gefährlich machen können, als in diesem kritischen Augenblicke. Unschuld und Mitleiden kamen ihrem geheimen Sinne zu Hülfe – Amor war uns kein Ideal aus der Chimärenwelt, so wenig als es die Beule war, die er mir auf die Stirn drückte, als ich seiner Gottheit zu menschlich entgegen strebte. Zu Athen hätte mir dieses sichtbare Kampfmal eben so gewiß Ruhm und Almosen verschafft, als dem heiligen Franz seine Stigmen, die ihn vor andern subalternen Menschen auszeichneten.[293]

Dieß Gefühl meiner Erhabenheit, und die der Andacht ähnliche Duldung des gefälligen Kindes, wie weit hätten sie uns nicht verschlagen können! Margot, ich bin es gewiß, würde in dem süßen Gedanken meiner Linderung – so unbefangen, wie sie das seidne Halstuch ablegte, um es mir um die Schläfe zu winden – mit derselben verdachtlosen Güte, mit der sie mir den freien Gebrauch ihrer natürlichen Wärme verstattete – auch eben so theilnehmend jene mystischen Sprößlinge, von denen sie mich lallen hörte – in mei nen Athletenkranz verflochten haben, ohne es für etwas viel mehr, als ein einfaches Hausmittel zu halten. Aber auf Margots Busen selbst unternahm ich es, meine figürlichen Wünsche, meine sublimen Tropen – in gutes derbes Deutsch zu übersetzen; und da brachte ich zu meinem eigenen Erstaunen einen Sinn heraus, vor dem ich erschrak.

Wie ein Verbrecher, der durch den Glauben beruhigt, daß der Teufel sein Spiel mit ihm getrieben habe, vor die Schranken trat – sie jetzt in Verzweiflung verläßt, nachdem der Richter dem verrätherischen Sprichworte seine symbolische Decke abzog – so zitterte auch ich vor mir selbst, und die Wahrheit gewann.

»Ich danke Dir, Margot,« sagte ich mit männlicher Stimme, indem ich meine Umarmung aufhob, und ihr wieder auf die Beine half – »für Dein Mitleid – Deine Umschläge und Deine natürliche Wärme – Sie thut mir wohl, aber die Ruhe wird mir noch besser thun. – Lege Dich nun auch schlafen. Morgen will ich Dir Dein Halstuch wieder geben.«

Indem gleitete der sanfte Strahl des aufgehenden Mondes über mein Bette. – Unter seiner Erleuchtung entfernte sich Margot mit ihrer ganzen herrlichen Unschuld – und ich – mag doch der ganze Hof von Berlin über mich lachen – dünkte mich größer als Scipio – und hatte eine ruhige Nacht.


Den 29sten December.


Gottlob! Meine Stirn ist von dem Schandflecke von gestern geheilt. Ich verließ, heiteren Gemüths, mein Lager, setzte mich[294] sogleich an meinen Schreibtisch, und vertraute, ohne Erröthen, die Geschichte meines vorigen Tags meinem Journale.

Wie ich damit fertig war, verließ ich meinen Verschlag, suchte das gutmüthige Mädchen auf, und gab ihr mit freundlicher, offener Miene, und vor den Augen ihrer Verwandten, das Halstuch zurück, das sie mir auf eine Nacht geborgt hatte. – Aber ich weiß nicht – sie kommen mir alle heute ein wenig betreten vor – Sollte ihnen eine Unannehmlichkeit zugestoßen seyn? Das sollte mir leid thun. – Sie scheinen sogar mich vermeiden zu wollen, gehen vor das Haus und flüstern zusammen, das ich gar nicht an ihnen gewohnt bin. Was mich aber am meisten verschnupft, ist – auch die kleine Margot hat Herzklopfen, ohne mir Rechenschaft davon zu geben. In solchen Augenblicken muß man seinen Freunden Platz machen – doch kann mich das Mädchen heute wohl begleiten.

Ich hatte meinen Hut und Stock mit Geräusch aus dem Verschlage geholt, stäubte den einen ab, und besah so genau den andern, als ob ich noch kein Eichenholz in meinem Leben gesehen hätte: aber es half alles nichts. Margot bezeugte heute keine Lust mitzugehen, und blieb unbeweglich in ihrer Ecke sitzen. Ich reichte ihr die Hand im Vorbeigehen, die sie mit einer Rührung drückte, die mir an das Herz ging. »Was beginnen doch diese Kinder zusammen?« dachte ich, und verließ sie ganz betroffen. Johann folgte meinem Beispiele und gab mir dadurch eine neue Gelegenheit, seinen feinen Takt zu bewundern. Ich winkte ihm, mir zu folgen, und so erstiegen wir beide, jeder seine Gedanken für sich, den Gipfel des wohl bekannten Berges.

Hier setzte ich mich, und ließ meinen Augen die Freiheit. Johann stand neben mir, und schien, wie ich, in der Bewunderung der herrlichen Aussicht verloren. »Mein Herr,« unterbrach er endlich die Stille – »Sie können gut in die Ferne sehen – – Entdecken Sie wohl dort, gleich neben dem kleinen Gebüsche – einen ganz schmal zugespitzten Thurm?« –

Ich sah hin, konnte aber nichts erkennen.

»So muß ich doch,« fuhr er fort, »noch bessere Augen haben[295] als Sie. Wissen Sie wohl, daß der Thurm zu dem Dorfe gehöret, wo Margot her ist?« –

»So!« – antwortete ich darauf, und sah noch einmal hin.

Nach einer kleinen Pause fing er wieder an: »Es soll ein ganz nahrhafter Ort seyn.« –

Ich drehte mich nach ihm um, und da stand er mit gefalteten Händen, und blaß wie ein armer Sünder, vor mir.

»Was fehlt Dir, Johann?« fragte ich hastig. – Und nun kam etwas an den Tag, das mich so lebhaft an einen Vorfall erinnerte, der lange vor meiner Geburt einem Professor der Physik zu Würzburg11 begegnete, daß ich der Lust nicht widerstehen kann, ihn Dir als einen brauchbaren Uebergang in das Folgende und als einen Beweis zu erzählen, daß auch die aufgeklärtesten Köpfe einmal in ihrem Leben in den Fall kommen können, hintergangen zu werden.

Dieser gelehrte Mann also sammelte Naturalien, und hatte das besondere Glück, eine Sandgrube ausfündig zu machen, die unglaublich reich an den seltensten Versteinerungen war. Stelle Dir sein Vergnügen vor, wenn er nach jedem heimlichen Besuche derselben, alle Säcke mit Kabinetsstücken gefüllt zurück brachte! Auch wuchs seine Sammlung in kurzem zu einem Reichthume an, der alle andere in diesem Fache verdunkelte, und ihm den sehr natürlichen Gedanken eingab, in einem gelehrten Werke seine glücklichen Entdeckungen – und durch beigefügte deutliche Abbildungen den ganzen Werth dieser Kostbarkeiten der Welt bekannt zu machen, sicher, das Erstaunen aller Kenner dadurch zu erregen. – »Er habe,« sagt er sehr bescheiden, »diese natürlichen Wunder – diese so deutlich in Sandstein verwandelten Vögel und Frösche, Eidexen, Fledermäuse und menschlichen Glieder, unmittelbar aus den Händen der Natur erhalten, sie selbst in den glücklichsten Stunden seines[296] Lebens ausgegraben, und auf ihre in Kupfer gebrachten Abzeichnungen die gewissenhafteste Sorgfalt verwendet.«

Es thut einem selbst wohl, wenn man den gelehrten Mann so von Selbstzufriedenheit strotzen sieht, und es ist gewiß, daß nichts der verdienten Ehre seiner mühsamen Entdeckungen einigen Abbruch thun konnte, als der kleine Umstand, den er erfuhr, als eben der letzte Bogen seines tiefsinnigen Werkes unter der Presse war: daß nehmlich – zwar nicht die bildende Natur selbst, aber doch ein Freund derselben, Urheber aller der vorbeschriebenen Seltenheiten sei. In schalkhafter Laune hatte einer seiner Kollegen, der freilich nicht die Folgen voraus sah, alle jene Dinge von einem gemeinen Steinmetz fertigen lassen, und sie allemal den Abend vorher dahin vergraben, wo er schon wußte, daß der Professor sie den Morgen darauf suchen und finden würde.

Wie die erste Wuth über einen so unzeitigen Spaß – die ich Dir selbst überlasse, sie Dir in ihrem ganzen Umfange vorzustellen – ein wenig verkühlt war, er sich nun genug abgehärmt und ausgeschämt hatte, so faßte er den besten Entschluß, der ihm übrig blieb, um eines Theils seinen einmal gedruckten theuern Folianten noch einigermaßen für Bibliotheken nützlich zu machen, andern Theils um nicht selbst, wenn er seinen Verdruß im Stillen verschluckte, ein Gallenfieber davon zu tragen. Er setzte sich also, ziemlich gefaßt, an sein Schreibepult, erzählte, in einem Anhange und in sehr gutem Latein, seinen Unfall aufrichtig, und überraschte den gütigen Leser, der bis dahin seinem Werke die verdiente Aufmerksamkeit geschenkt hatte, nicht wenig mit der unerwarteten Nachricht, daß von alle dem, was er vorher gelesen hätte, auch nicht eine Sylbe wahr sei. Gutmüthig vermahnt er sie zuletzt alle, sich an seinem Exempel zu spiegeln, und die Liebhaberei ja nicht bis zur Blindheit zu treiben. Er gesteht, daß, da er jetzt die Originale ohne Vorurtheile untersuche, er nicht begreifen könne, wo er seine Augen gehabt habe – hofft, daß seine künftigen Schriften durch seine gemachte Erfahrung nur desto mehr gewinnen würden, und bietet zu seiner Bestrafung die gegenwärtige um den halben Ladenpreis an.[297]

Man wird, wenn man das so liest, dem Professor für seine seltene Aufrichtigkeit wieder recht gut: und welcher vernünftige Mann wollte nicht – wie auch ich gethan habe – seinem Folianten, etwa neben Lavaters Bilderbuche, einen Platz in seiner Bibliothek gönnen?

Glaube nicht, lieber Eduard, daß dieses Geschichtchen hier am unrechten Orte stehe, und höre nun mit mehr Aufmerksamkeit, als Du mir hoffentlich bisher gegönnt hast, die Fortsetzung des meinigen.

Jedes Wort, das Johann vorbrachte, gab mir einen Stich in's Herz, und trieb mir das Blut in's Gesicht. – – – Alberner – ich schwör' es Dir zu – bin ich mir in meinem Leben nicht vorgekommen, als da ich, während daß der Kerl von seiner heißen Liebe zu Margot, und ihrer eben so feurigen Gegenliebe, mir vorstotterte, mich an meine schöne Tiraden über die Ungleichheit der Stände – über die gefundene ächte Perle und an allen den Unsinn erinnerte, der mir einige Tage her durch den Kopf und durch die Feder gegangen war. Mein Zustand glich zuletzt förmlich der Stupidität, in die gewöhnlich nur große Gelehrte fallen, wenn ihnen im gemeinen Leben – in ihrer Küche und in ihrem Keller etwas aufstößt, das nicht sogleich in ihr System paßt. Ich staunte vor mir hin, und verlor die Hälfte von dem, was Johann auskramte. –

»Ja, lieber Herr,« fuhr er eben fort, als ich meine Gedanken endlich besser zusammen nahm – »nun wissen Sie mein ganzes Anliegen. Es hat mir und Margotchen immer auf der Zunge geschwebt; aber – mein Gott! – keines konnte Herz genug fassen, es an den Tag zu bringen, und jedes wollte es dem andern zuschieben. Vorgestern noch, wie wir den ganzen Morgen zusammen vertändelten – es war den Tag, wie Sie mich in die Stadt schickten – –«

»Und wie habt Ihr ihn denn vertändelt?« – unter brach ich ihn neugierig.

»Ach es ist nicht der Rede werth,« versetzte Johann: »Das Mädchen zeigte mir nur ein wenig den Gang und die Vortheile[298] des Seidenbaues« – sagte mir, daß die Liebe dieser kleinen Würmer Segen über das ganze Land verbreitete, und daß, wer nur mit einiger Sorgfalt die Begattungsfreuden dieser kleinen Geschöpfe Gottes beförderte, reichlich dafür – wie für eine gute That – belohnt würde. – Und darüber kamen wir so ganz natürlich auf unsre eigene Liebe und unsern künftigen Haushalt. – Ein Wort gab das andere – ein Kuß folgte dem andern, und da ... Was wollte ich doch sagen? – Ja, da faßte Margot Muth, und gab mir die Hand darauf, denselben Tag noch mit Ihnen davon zu sprechen. – »Ich will Dir,« – sagte sie, – »bis an das Thor entgegen kommen – und Deinen Herrn mitbringen. – Unterweges will ich ihm erzählen, wie sehr ich Dich liebe – will um Dich anhalten; und damit Du gleich wissen kannst, wie die Sache steht, so will ich Dir auch ein Zeichen angeben. Siehst Du – Komme ich Dir allein entgegen gehüpft, so ist es gut – halte ich aber Deinen Herrn an dem Arme – ach so denke nur, daß wir unser Geheimniß noch für uns haben. – Wie ich nun aus dem Stadtthore trat, sah ich mit pochendem Herzen Sie beide auf der steinernen Bank sitzen – sah die Kleine geschwind aufsteigen – ach aber, was gab es mir nicht für einen Stich, als ich bald darauf auch sah, wie sie ihre Händchen so artig um Ihren Arm schlang!«

»O Montagne! Montagne!« rief ich hier mit knirschenden Zähnen aus: – »Du hast Recht, daß die Katzen oft mit uns spielen, wenn wir glauben, wir spielen mit ihnen.«

Johann verstand so viel Französisch, daß er sich einbildete, ich hätte etwas über den Berg gesagt, und herzlich schief darauf antwortete. – Doch mir war es jetzt nicht gegeben, über den geringsten Mißverstand zu lachen.

»Ja, das war es auch,« erwiederte ich – »aber fahre nur fort.«

»Was ist da noch fortzufahren, mein gütiger Herr?« versetzte Johann. »Gott weiß es, daß es mir in der Seele weh thut, daß ich um meine Entlassung bitten muß: aber mein Platz ist ja wohl noch zu ersetzen. – Es ist ein gar zu gutes Mädchen, das mich[299] so herzlich liebt, und ich wüßte nicht, wie unser eins ein größer Glück in der Welt machen könnte.« –

»Unser eins?« wiederholte ich, und kaute verdrießlich an den Nägeln.

»In diesem Lande« – stotterte er ferner – »ist es leicht, sich durchzubringen, leicht, eine Frau zu ernähren, zumal eine selbst fleißige und wirthschaftliche Frau, wie Margot schon aus Liebe zu mir seyn wird. Noch gestern Morgen – als wir Sie hier auf diesem Berge suchten, und wir gerade auch auf diesem Platze traulich bei einander saßen, hat sie mir – und ohne zu viel zu sagen – gewiß unter tausend Küssen, hat sie mir versprochen, alles aus sich zu machen, was ich nur wollte.«

»Unter tausend Küssen!« dachte ich, »das ist abscheulich!« und hätte jetzt viel darum gegeben, wenn ich den einzigen wieder zurück gehabt hätte, bei dem mich der Tragödienschreiber überraschte. – Ich verwünschte die kleine Verrätherin, die für einen andern als mich so beredt stammeln und erröthen, und einem andern als mir so feurige Küsse geben konnte. Es kam mir nun ganz ausgemacht vor, daß sie meinen Mops vergiftet habe, um mich um alle meine Reisegefährten zu bringen. An das gestrige Blatt meines Tagebuchs konnte ich nicht ohne Groll gegen mich und sie denken, und Du hast es bloß dem Doktor in Würzburg zu danken, daß ich dieses demüthigende Blatt nebst einigen vorher gehenden nicht in tausend Stücken zerrissen, und Dich um die Nutzanwendung gebracht habe, die Du daraus ziehen kannst.

Da ich, so sehr es mich auch schmerzte, einen treuen Bedienten auf eine so hinterlistige Art zu verlieren, doch eigentlich nichts hervor zu kramen wußte, was Bestand gehalten hätte; so sagte ich ihm in der Verlegenheit: »Das ist alles gut, Johann – aber der Unterschied der Religion?«

»Damit,« war seine geschwinde Antwort, »hat es hier nichts zu sagen, wie mich Margot versichert hat.«

»Hat sie das?« fiel ich ihm ein, und schüttelte den Kopf.

»Ja wohl, mein bester Herr,« fuhr er fort. »Sie laufen auch hier den Heiligen nicht so nach, als anderwärts. – Der große[300] Christoph allein ist in einigem Ansehen, und das mag er meinetwegen seyn. – Entschließen Sie Sich nur, mein bester Herr; denn ohne Ihre Erlaubniß will mich das Mädchen durchaus nicht nehmen. Das ist die einzige Bedingung, die sie und ihre Verwandten bei meinem Antrage gemacht haben; und auch ich – trauen Sie mir es zu! – wollte selbst eher noch meine Liebe zu Margot in meinem Blute ersticken, ehe ich Ihrem Befehle zuwider meine Sache ausführen wollte.« –

»Johann,« – sagte ich ernstlich, »die Hauptschwierigkeit ist, daß ich nicht weiß, wo ich in der Geschwindigkeit einen andern guten Bedienten herbekommen will; und Du weißt ja, daß Du Dich verbunden hast, mich während der Reise nicht zu verlassen.«

Doch auch dafür hatten die vorsichtigen Leute gesorgt. »Ach,« fiel mir Johann hastig ein – »das weiß ich nur zu gut – habe es auch dem Mädchen gesagt – und das ist auch der Stein, der uns am schwersten auf dem Herzen gelegen hat. – Aber, gnädiger Herr, Margot hat einen Bruder, der ein schöner, wohl gearteter Bursche seyn soll, und der morgen bei Ihnen anziehen kann, wenn Sie wollen. – Sie freut sich im voraus, ihn in Ihrer Livrey zu sehen. Der Gedanke war so natürlich – und doch ist er ihr erst gestern ganz spät gekommen.«

»Um welche Zeit ungefähr?« fragte ich.

»Wie ich Ihnen sage,« versetzte Johann, »ganz spät. Es war schon alles im Hause zu Bette, als sie wie ein Geist die Treppe leise herauf zu mir auf den Boden gestiegen kam, um mir ihren guten Einfall noch mitzutheilen –«

»Das,« fiel ich ihm wunderbar ärgerlich in's Wort, »dächte ich, hätte Zeit gehabt bis den andern Morgen.«

»Freilich wohl,« sagte Johann: »aber sie kann nun einmal nichts vor mir – auch nur eine Nacht auf dem Herzen behalten. – Doch daß ich weiter erzähle – so war es doch auf der andern Seite recht gescheidt von ihr, daß sie auf den Boden kam – denn sie fand da einen verlornen Schachteldeckel mit Thymian und Salbey, und daraus ist der Umschlag entstanden, der Ihnen so wohl bekommen ist. So ein geschäftiges, thätiges Mädchen giebt es[301] nicht mehr! – Sie hätte gern noch alles vor Nachts in's Reine gebracht.« – »Ueberlaß mir den Umschlag, – sagte sie mir, als er fertig war, – ich will ihn Deinem Herrn selbst umbinden. Vielleicht trifft sich's, daß ich bei ihm noch mein Wort anbringen kann. – Ach was könnte mir das für eine ruhige Nacht machen! – Aber heute früh war sie wieder ganz muthlos – und ob ich es gleich nicht weniger bin – was will ich machen? Ihre Abreise rückt immer näher, und da ist es ja wohl die höchste Zeit, daß ich erfahre, woran ich bin.«

Ich gerieth in tiefe Gedanken. »Ihr Wort,« wiederholte ich mir einmal um das andere – »wollte sie bei mir anbringen? Wohl gut, daß es unterblieb – Gestern Nachts? In der Lage, worin ich war? – Das würde einen schönen Gegenstoß von widerlaufenden Gefühlen gegeben haben! Wenn alle jene befeuerten Empfindungen – auf Einmal, so eiskalt – so schnell – so gallenbitter zurück getreten wären – wäre es ein Wunder gewesen, wenn mich der Schlag auf der Stelle gerührt hätte?«

Während dieses Selbstgesprächs vergaß ich den armen Johann. – Wie ich wieder nach ihm hinblickte, fand ich sein Gesicht so verstört, und ihn von der Folter der Ungewißheit so zerrüttet, daß er mich erbarmte. Ich rieb mir die Stirne – griff mit Blicken des Muths in das Blaue des Himmels, und – entschloß mich.

»Du bist nun zehn Jahre bei mir, Johann,« – sagte ich gerührt – »hast mir redlich gedient, und ich habe mich an Dich gewöhnt. Aber Deine Wahl ist zu gut, und die Liebe eines solchen Engels von Mädchen wiegt alle Schwierigkeiten auf, die ich Dir machen könnte. Ich gebe Dir die gesuchte Erlaubniß, und gebe sie Dir gern. – Sei immer des guten Kindes werth, und seid glücklich!«

Kaum daß ich ausgesprochen hatte, so schlug der gute fühlbare Mensch seine Hände zusammen. »Nun so segne Sie Gott!« – brach er mit untergemischten Thränen aus, »segne auch Sie bald mit einer würdigen, reizenden Gemahlin, die Sie für alle die Güte belohne, die Sie mir in diesem Augenblicke erweisen!« – Er konnte vor Empfindung nicht weiter sprechen, und ich – stieg[302] – um mich von der Bewegung zu erholen, die mir der Ausdruck seiner Freude – (ich denke wenigstens, daß es so war) verursachte, langsam den Hügel hinab, und sprach unterweges meinem ein wenig aus seiner Fassung gebrachten Herzen Muth ein, damit ich mit ganz entwölktem Blicke vor meinen Hausleuten erscheinen möchte.

Sie erwarteten mich mit sichtbarer Unruhe vor dem Eingange ihrer Hütte. – Da sie aber aus der zufriedenen Miene meines Johann schon schließen konnten, wie die Sachen ständen, so führten sie mich, ohne weitere Umstände, nur geschwind in die Stube, wo ihre Nichte die Zwischenzeit in Herzklopfen zugebracht hatte. –

»Wie steht's, Margot?« – rief ich ihr beim Eintreten entgegen, und legte alle meine mögliche Freundlichkeit in meine Blicke. – »Nun hab' ich's doch weg, was Du vorgestern auf der staubigen Chaussee zu suchen hattest, und warum Du Dich auf der steinernen Bank in so ernsthafte Gedanken verlorst. Deine unruhigen Nächte – Deine abgeredten Zeichen – Dein Nachtwandeln – alle Deine Geheimnisse bis auf den Schachteldeckel sind verrathen. Wäre Johann nicht so schwatzhaft – Du solltest ihn gewiß nicht bekommen – So aber gehört er Dir von Rechts wegen. Ein so rätselhaftes Mädchen muß mit einem Schwätzer bestraft werden.«

Hier hättest Du sehen sollen, wie die kleine Unschuldige lebendig ward! – Mit glühendem Gesichte, bebender Brust, und Gott weiß, mit was allen für Reizen, hing sie mir, ehe ich es wehren konnte, an dem Halse, und drang mir – wenn Du es so nennen Willst – das droit de segnieur im Angesichte ihres Bräutigams auf. – Ich erhielt ihren ersten Kuß; denn ich muß es der Wahrheit zur Steuer sagen, daß, wo in den vorigen Blättern von Küssen die Rede ist, nicht Einer darunter ist, den sie mir gab – den zweiten und die folgenden bekam der glückliche Johann.

Gleich nach dem Essen gingen wir, nach der bei Tische genommenen Verabredung, alle auf die Post. Wirth und Wirthin, Margot und Johann, eines half dem andern auf seinen Esel, und alle trabten was sie konnten dem Dörfchen zu, wo der Familientraktat[303] geschlossen, und die Austauschung meines Johann gegen den Bruder der Margot zu Stande gebracht werden sollte.

Ich wendete die Zwischenzeit zum Vortheile meiner reisenden Freunde, so wie zu meiner eigenen Befriedigung an, und theilte eine große Rolle meines erhobenen Wechsels in drei kleinere, davon ich eine meinen Wirthsleuten – eine meinem Johann – und eine der kleinen verrätherischen Margot zudachte. Nach diesem Rechnungsgeschäfte, das erste, das ich nicht beschwerlich fand, setzte ich mich in meinen Verschlag, erzählte Dir, was Du gelesen hast, und erwartete in seltener Gemüthsruhe die Zurückkunft meiner Freunde.

Ihre vielfachen Geschäfte mußten nicht die geringste Schwierigkeit gefunden haben, denn sie kamen eher wieder, als ich sie, nach der Wichtigkeit ihrer Verrichtungen, erwarten konnte. Sie wollten sich nicht zufrieden geben, als sie mich zu Hause fanden, und hörten daß ich Verzicht auf meinen Spaziergang gethan hätte, um ihr Haus und meine kleine Wirtschaft darin nicht ohne Aufsicht zu lassen. Sie erklärten dieses für eine beschimpfende Vorsicht für ihre ehrlichen Mitnachbarn. »Oder,« – trat Margot herzu – »fürchten Sie etwa, daß der Strauchdieb vom Fichtenberge sich zu Ihrem Schreibtische schleichen – Ihre Papiere in Unordnung bringen, oder gar mitnehmen würde?«

»Hauptsächlich« – fuhr ich fort, um meine Furcht, die sie so hoch aufnahmen, zu beschönigen – »bin ich zu Hause geblieben, um mein Tagebuch bis heute zu schließen.«

»Und was ist ein Tagebuch?« fragte Margot, und konnte vor Lachen kaum zu sich kommen, als ich ihr sagte – »daß es eine Rechnung über Einnahme und Ausgabe – der Zeit – unserer Empfindungen und unserer Irrthümer sei – daß unter dieser letztern Rubrik eine Beschreibung ihrer kleinen Person vorkäme, und daß ich diese Rechnung einem Manne zuschicke, der fast täglich seinem Könige welche abzulegen hätte, die nicht viel wichtiger wären.« – Sie hatte große Lust, es nicht zu glauben, wenn es ihr nicht auch Johann versichert hätte.

Bastian, mein neuer Bedienter, gefällt mir sehr wohl. Er ist[304] ein aufgeräumter, gewandter Bursche, von ungefähr zwanzig Jahren, dem ich es ansehe, daß er sich eben so leicht würde entschlossen haben, mit Cooken die Welt zu umschiffen, als er übermorgen mit Mir nach Avignon geht. Ich möchte ihm einen Thaler mehr über seinen monatlichen Lohn geben, weil er seiner Schwester so ähnlich sieht. –

Der Abend verging mit der Erzählung ihrer Reise, und alles dessen, was bei der Mutter der Braut vorgegangen und abgethan war. Ich konnte nicht dazu kom men, aufmerksam zu seyn. – Ich knaupelte an allen den Räthseln, die mir das dreizehnjährige Mädchen seit unserer Bekanntschaft aufgegeben hatte und noch diese Stunde aufgab, und versuchte, die letztern geschickter aufzulösen, als es mir, zur ewigen Schande meiner Erfahrung, mit den ersteren gelungen ist. Ich wollte, daß dieses Gedankenspiel aufhörte, denn sonst fürchte ich, daß ich zu guter Letzt noch eine ganz leidlich unruhige Nacht haben werde.


Den 30sten December.


Die Trunkenheit der Freude, mit der sie gestern einschliefen, schwebte noch diesen Morgen übernächtig auf ihrer aller Gesichtern, und beförderte den neuen Rausch, dem sie sich so gutwillig überließen.

Ich nahm gewiß einen warmen Antheil daran, und ich hätte mich wohl sogar, als den Urheber desselben, für den Vergnügtesten der Gesellschaft halten dürfen, wenn ich mir diesen Vorzug, ohne erst bei meiner kalten Vernunft anzufragen, zugeeignet hätte. – So aber fühlte ich, mitten in dem allgemeinen Taumel, das nüchterne Bedürfniß des Nachdenkens. Ich stahl mich bis zur Mittagsstunde aus dem Zirkel dieser glücklichen Menschen, und befand mich kaum mit mir allein auf dem einsamen Spaziergange, den ich heute zum letztenmale um das liebe Caverac zog, als ich mich auch schon über und über in der philosophischen Untersuchung über den Werth, die Ursache, den Zusammenhang und die Bestandtheile meiner unlängbar frohen Empfindungen verwickelt sah.[305]

Diese Art geistigen Zeitvertreibs ist nun, wie Du aus Erfahrung wissen wirst, der mißlichste von der Welt, und Gott weiß, warum so viele gelehrte Männer, von unserer Jugend an, darauflos arbeiten, uns an dieses undankbare Grillenspiel zu gewöhnen! Gemeiniglich hat man nichts weiter davon, als daß man das Wasser trübt, in welchem man zu fischen gedachte – seiner eigenen Figur, die undeutlich genug daraus wiederscheinet, eine tiefe Verbeugung macht, und anstatt zufriedener – nur um etwas gravitätischer in den Kreis des Vergnügens zurück geht, aus welchem man ohne Noth getreten ist.:

Es ging mir, aufrichtig zu sagen, auch dießmal nicht besser. So tiefsinnig auch die Betrachtungen meiner selbst seyn mochten, so war doch ein vorüber gehendes beifälliges Lächeln, das ich mir, nach einer genauen Vergleichung meines Selbstgefühls zu Caverac mit meinen Berlinischen Launen, zuwarf – und ein bekümmernder Gedanke an Dich, der einzige Gewinn meines Nachforschens; und es ist noch sehr die Frage, ob dieß Wiederkäuen der Seele, das ich wohl bis zur Zeit des Mangels hätte aufschieben können, mir den unterbrochenen Fortgenuß jener gesellschaftlichen Berauschung hinlänglich ersetzt hat.

Damit indeß mein Selbstgespräch mit allen den guten Warnungen, die ich Dir, lieber Eduard, in Gedanken an's Herz legte, nicht ganz an den Zäunen von Caverac verhalle, so soll es mein Tagebuch aufnehmen.

Du wirst es übrigens nicht übel deuten, daß ich Dich und den ganzen Hof von Berlin um mich her stellte, um mich über Euch alle zu erheben. Geschah es gleich nur der Kleinigkeit wegen, um mir noch lieber zu werden, als ich mir schon war: so mußt Du bedenken, daß dieses für denjenigen, dem es gelingt, nichts weniger als eine Kleinigkeit ist. Wollte Gott, ich könnte mir immer mein trocknes Gemüse so würzen und jeden dürren Winkel der Erde, wohin ich verjagt oder verschlagen werde, so belauben und ausschmücken – daß ich immer Elysium fände, wo ich wäre! Es ist wenigstens das einzige Mittel für denjenigen, den seine Erziehung nun einmal so verdorben hat, daß er nicht anders glücklich[306] seyn kann, als durch Hülfe der Vergleichung. »Wohl mir,« rief ich also aus, nachdem ich meine Empfindungen mit allen Gründen der Vernunft unterstützt hatte:


»Wohl mir, daß mir noch unuerwöhnet

Die Lockung der Natur gefällt!

Ein solches Dörfchen, Freund, versöhnet

Mich mit dem Ueberrest der Welt.

Man wird des Lebens überdrüssig,

Bei aller Ebb' und Fluth der Stadt:

Doch hier – geschäftig oder müßig,

Wird keiner seines Daseyns satt.


Kannst Du den Werth der Wahrheit fühlen,

So ändre Deinen stolzen Lauf;

Such' unter ländlichen Gespielen

Die Freundschaft und die Tugend auf!

In unsern Sittenschulen tauschet

Man Falschheit gegen Falschheit ein:

Hier – ist, was Dir vom Herzen rauschet.

Wie eine Silberquelle rein.


Hier seh' ich von den Füßgestellen

Der Zedern, in verdienter Ruh,

Dem Eifer meiner Kampfgesellen

Am Fuß des niedern Thrones zu,

Wie sie einander zu berücken

So hellesehend – und so blind

Für Bänder und bemalte Krücken,

In nie gestilltem Aufruhr sind.


Selbst ihres Führers Macht – wie wenig

Naturvergnügen erntet sie

Groß ist zu Potsdam unser König,

Froh – ist er nur in Sanssouci.

Da wird er Mensch, irrt in der Stille,

Wie unser eins, im Mond herum,

Und denkt wohl auch: beatus ille –

Ut prisca gens mortalium.


Geh bald zurück zu den Gebückten,

Die fern von Dir im Dunkeln stehn,

Wenn die mit Hermelin geschmückten

Sich liebevoll zu sich erkühn.

Trau' ihrem Schmeicheln nicht! Sie strecken[307]

Nur gar zu gern die Krallen nach;

Selbst Doctor Luther ward zum Gecken

In seines Fürsten Vorgemach.12


Sei es Dir Warnung, wie der Große,

Den treulos Mazarin erzog,

Der Gastfreiheit im sichern Schooße,

Mit Undank seinen Wirth betrog;

Wie er, von Fouquet's Weine stärker,

Am Busen der Valiere flammt,

In einer Stunde, die zum Kerker

Den Mann, der ihn gelabt, verdammt.13


In Mitternächten ohne Schlummer,

In Tagen ohne Sonnenlicht,

Fühlt er die Fesseln selbst vor Kummer

Ob seines Königs Falschheit nicht.

Sein Fall macht alle Hofgesichter,

Die seines Blicks sonst lauschten, scheu.«[308]

Und nur ein armer Fabeldichter,

Voll hohen Muthes blieb ihm treu.14


Es gehört unter die Glücksfälle der Gedankenspiele, wenn wir unter den hundert Figuren, die unsere Einbildungskraft bei solchen Gelegenheiten aufstört, unverhofft die Gestalt eines unserer besondern Lieblinge erblicken. Das Schattenbild des guten la Fontaine zeigte sich mir kaum, so verließ ich jedes andere, und hielt mich fest an ihn, trollte gutmüthig hinter ihm drein, wie er unbekannt mit seiner Größe – ohne je auf den Einfall zu kommen, sie geltend zu machen – sorglos um seine tägliche Nahrung und Kleidung durch die Welt fabelte. Ich nahm ihn, wie er eben mit dem Buche Baruch in der Hand aus der Messe kam, und nun an allen Ecken der Straßen die Vorbeigehenden mit der Frage anhielt, ob sie nicht wüßten wo der Verfasser wohne? – mit mir zu meinem Mittagsfeste, und ließ mir von ihm unterweges seine Fabel, les animaux malades de la peste, vordeklamiren.

Ohne diese Aufmunterung würde ich vielleicht Mühe gehabt haben, die schwarze Unterlage wieder los zu werden, die ich so überaus weise als Folie gebraucht hatte, den Glanz meiner gegenwärtigen[309] wärtigen Existenz noch mehr zu erhöhen; und ihm allein hatte ich es zu verdanken, daß ich nicht über und über verstimmt zu meiner Gesellschaft zurück kam, die inzwischen in dem ununterbrochenen Fortgenusse ihres Vergnügens keinen Augenblick daran dachte, über die Natur und die geheime Zusammensetzung desselben Rücksprache mit sich zu halten.

Ich übertrieb es, glaub' ich, nun wieder aus der andern Seite; denn ich möchte nicht, daß mich ein Weiser Mann fragte, wie ich meinen Nachmittag zugebracht habe. Ich könnte ihm, Gott weiß es, nichts dar auf antworten, als – Ich habe ihn vertändelt. Du weißt, Margot ist ein Kind, und da wäre es ja lächerlich, den Verständigen in ihrer Gesellschaft zu machen. Das läuft, das springt, das schäkert, und weiß noch in keiner Sache, wie ihm geschieht. Wundershalber wollte ich hören, was sie sich wohl für Begriffe von der Ehe und ihren künftigen Pflichten als Hausmutter mache? – Aber da fand ich alles so bunt unter einander bei ihr, daß mir, an Johanns Stelle, angst und bange seyn würde.

Gegen Abend, nachdem wir über tausenderlei drunter und drüber geschwatzt hatten, brachte sie einmal wieder ihren Strauchdieb aus das Tapet. Ich verwies sie damit an ihren Liebhaber – »Der,« – sagte ich – »hat in der Oper zu Berlin, zwar nur von der Gallerie aus, einen am Pranger stehen sehen.« –

»Da ist ihm,« fiel das Mädchen ein – »recht geschehen. Aber geschwind sagen Sie mir, was hat er denn dort alles verbrochen? denn ich höre gar zu gern Mordgeschichten und dergleichen.« –

»Dinge hat er verbrochen,« antwortete ich – »wovon Du Dir keinen Begriff machen würdest, wenn ich sie Dir auch erzählen wollte.«

Darüber kam sie auf einen Einfall, der mich anfangs stutzig machte, mir nachher aber selbst so wohl gefiel, daß ich von Stund' an auf die ernstliche Ausführung desselben denke.

»Wissen Sie was?« sagte die kleine Närrin – »Wenn ich erst mit meinem Johann ein Jahr gelebt habe, und nun vierzehn alt bin, da wollen wir Sie und meinen Bruder in Berlin besuchen. Sie haben so manches von der Geburtsstadt meines[310] Johann fallen lassen, daß ich begierig bin, das Wunderding zu sehen – Acht und die Freude,« fuhr sie fort, und schlug ihre beiden Händchen zusammen, »nach so langer Zeit den guten, lieben, vortrefflichen Herrn wieder zu finden, der hier so gern mit mir spazieren ging – der mir einen braven geliebten Mann zurück läßt – und meinen armen Schelm von Bruder so gütig von meiner Hand angenommen hat!« – Glaubst Du wohl, Eduard, das Kind ließ darüber ein paar warme Thränen aus meine Hand fallen, die mir elektrisch mein ganzes Zellengewebe erschütterten.

»Das ist einmal ein gescheidter Gedanke, Margot,« – sagte ich. – »Ja Ihr sollt mich beide besuchen, und die Reise soll Euch nichts kosten. – Gebt mir Eure Hand darauf.« Und wäre es nur, Eduard, daß ich Dich von der Wahrheit alles dessen, was ich von dem Mädchen gesagt habe, überzeugen könnte, so sollte mir ihr Besuch lieb seyn.


Den 31sten December.


Der letzte Tag des Jahres ist da! Das würde mich wenig bekümmern, wenn es nicht auch der Abschiedstag von den besten Menschen wäre, die ich jemals gekannt habe. Diese Betrachtung macht mir ihn feierlich. Ich darf mir meine innere Bewegung nicht merken lassen – was würde es nützen? –

Sie setzen ohne Argwohn voraus, daß ich diesen Abend wenigstens noch mit ihnen verschwatzen und vertändeln, und meine Nacht in dem Weichbilde der kleinen Margot verträumen werde. – Wenn ich nach dem Essen meinen Hut und Knotenstock nehme, wird sie um mich herum hüpfen, mir an der Thüre einen Kuß zuwerfen, und mir eine baldige Zurückkunft von meinem Fichtenberge gebieten. – Die Thüre wird knarren – und – meine Rolle hier wird gespielt seyn.

Sobald der Tag zu verlaufen beginnen und man anfangen wird sich nach mir umzusehen, soll Bastian auftreten und den Epilog halten. – Ich traue ihm zu, daß er ihn mit allem erforderlichen Anstand und genau nach meiner Vorschrift halten wird. – So kommen wir alle am kürzesten davon. Die Geschenke, die[311] ich ihnen zurück lasse, theilt Bastian nach meiner Anweisung unter sie aus. Es wäre mir nicht möglich, der erschütternden Scene beizuwohnen, die das Erstaunen, die Danksagungen und die Thränen dieser so leicht zu rührenden und zu befriedigenden Menschen darstellen wird.

Das könnte mir indeß nur eine kurze Ruhe verschaffen; denn in dem Ungestüm ihrer Empfindungen würde die ganze freundschaftliche Karavane, ich bin es gewiß, mich bis über die Gränzen verfolgen, wenn ich meinem Stellvertreter nicht auch auf diesen Fall die gemessensten Befehle und die wirksamsten Bitten n siezurückließ.

Unterdessen dieses hier vorgeht, werde ich meinen Pavillon zu Nimes einsam durchschreiten und Liedchen singen, damit ich nicht höre, wie mir das Herz pocht.

Mein Tagebuch – noch hat es in meinen Taschen Raum – nehme ich allein von hier mit. Meine übrigen kleinen Effekten soll mir Bastian mit Anbruch des folgenden Tages nachbringen.

So wäre denn meine Abschiedsstunde von Caverac mit so vieler Schonung meines wunden Gefühls angelegt, als kaum ein Hofprediger der letzten Stunde einräumen kann, in der sein Fürst aus der Welt geht.

Bastian soll unter acht Tagen seiner Verwandten nicht gegen mich erwähnen. Das habe ich ihm bei meiner Ungnade eingeschärft.


Quelle:
Moritz August von Thümmel: Werke, 4 Bände, Band 1, Stuttgart 1880, S. 165-312.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Tschechow, Anton Pawlowitsch

Drei Schwestern. (Tri Sestry)

Drei Schwestern. (Tri Sestry)

Das 1900 entstandene Schauspiel zeichnet das Leben der drei Schwestern Olga, Mascha und Irina nach, die nach dem Tode des Vaters gemeinsam mit ihrem Bruder Andrej in der russischen Provinz leben. Natascha, die Frau Andrejs, drängt die Schwestern nach und nach aus dem eigenen Hause.

64 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon