Marseille.

Den 22sten Februar.


Nie stand die deutsche Kunst auf einem bessern Fuß –

Wir Dichter wiegen uns im Schooß der Aristarchen!

Entrückt dem feinen Ohr des Sängers von Venus

Verräth uns Niemand, wenn wir schnarchen. –

Die Leser? – O für die ist nie ein Schedel leer;

Sie stellen, stützt sich nur ihr schlummernder Homer

Auf ihre Schulter, gleich dem thätigsten Monarchen

Aus eignem Ueberfluß, das sinkende Verkehr

Mit Sinn und Wohllaut, wieder her:

Denn da nach jenem Fund, den Faust gethan und Schäfer,

Ein dritter deutscher Kopf, den, für sein Vaterland

Weit nützlichern Gedankenstrich erfand;

So singe wie ein Spatz, schreib wie ein Siebenschläfer,

Nur sei nicht karg mit jenem Zug der Hand! –

Er gilt im Wechsel für Verstand.

Der Leser hilft so gern dem Autor aus dem Traume,

Freut gläubig sich des Sinns, den er ihm unterlegt,

Und halst dem Ehrenmann, der ihm dieß Brückchen schlägt

Zum Fortgang in dem leeren Raume

Dafür mehr Plunder auf, als durch den Sporn erregt

Die alte Mähre kaum erträgt,

Die an dem Pindus grast und nur zu gern dem Zaume

Des Reiters zu entwischen pflegt.

Vor Lesern, die mich nur mit ihrem Geistesschaume

Besudeln, schütze mich dein Genius! Er wägt

Prüft und ersetzt das Bild, das noch unausgeprägt

Im Münzstock hängen blieb. Nächst ihm, vor dem die Krücken

Gelähmter Dichter sich wie vor Apollo bücken,

Der Skribler nur verlacht, die tadellos und klug

Sich dünkend, auf Homers und Miltons Aschenkrug

Viel blinder noch als sie, mit stolzem Mitleid blicken,

Hat Klingers deutscher Geist am meisten Recht und Fug[3]

In meiner Gallerie die leeren Rähm' und Lücken

Mit Bildern – minder nicht die dunkeln Eselsbrücken,

Die meine matte Hand mit einem Federzug –

Zum Uebergang ins Reich der Phantasieen schlug,

Mit Leuchten zu versehn. Doch näh're Wünsche drücken

Mir itzt das Herz – Laß Freund, laß von den Blumenstücken

Berlins – es sprießen dort der Rosen ja genug,

Ein Körbchen voll von Deiner Muse pflücken,

Das Zerrbild meines Ich's aufs festlichste zu schmücken,

Das gestern Morpheus mir, in schwerem Eulenflug,

Gleich einem Savoyard, auf seinem breiten Rücken,

Als wär's ein Murmelthier in träumendem Entzücken,

Mit Mohn bekränzt, vorübertrug.

Erwecke zum Genuß des Tages, jene Stunden,

Die ich verschlief; empfind' an meiner Statt

Die Freuden, die ich nicht empfunden!

Wie ein Gebrechlicher sein Ehbett dem gesunden

Hausfreunde überläßt, so unterwirft dieß Blatt

Rein wie die Unschuld selbst, mir aus der Hand gewunden

Sich Deinem Bildungstrieb. Trotz Deiner vielen Kunden,

Für einen Ritterdienst fühlst Du Dich nie zu matt,

Drum hoff' ich auch Du wirst gern meinen Blendling runden,

Der wie ein Embryo des langen Schlafes satt

Sich dehnt und regt, bis er, der Dunkelheit entschwunden,

Gleich einem Königssohn durch Siebolds Kunst entbunden,

Luft, Licht und Diadem Dir zu verdanken hat.

Wohlan, nach grauser Nacht und beigelegtem Streite

Mit einem deutschen Dieb und englischen Spion

Erschein Aurora mir! Gleich ihr, Freund, überbreite

Dein Dichterglanz die fahle Region,

Die mir, erinnre Dich, der hinkende Gefreite

So wunderreich beschrieb, als wär zum Botenlohn

Mein Staunen ihm genug. Doch, Theurer, jetzt geleite

Von jenem Marterstuhl, auf dem ich zu Toulon

Mehr zitterte als je ein Schach auf seinem Thron,

Mich an die freie Luft. So schnell Du kannst, bereite

An meines edeln Freunds und Krankenwärters Seite

Ein weiches Polster mir in seinem Phaëton.

»Gott grüß dich Saint-Sauveur,« lall' ich; in gleichem Ton

Grüßt er auch mich, doch kaum fliegt sein Gespann ins Weite

So schnarchen Er und Ich auch schon.

In dieser Noth nimm Dich des Fuhrwerks an, nur gleite

Aus zu viel Eifer nicht vom Kutschersitz, zum Hohn

Der schönen Lesewelt, wie vormals Phöbus Sohn![4]

Streif mit uns Träumenden dem Racheschiff' im Hafen1

Den Schwalben gleich vorüber, denn uns ficht

Sein Gastmahl nicht mehr an – und wenn das Himmelslicht

An dem, im Tod noch treugebliebnen Sklaven

Der Würfel, seine Strahlen bricht –

Wenn sein zum erstenmal erröthendes Gesicht

Nach der Galeere schielt, wo wir zusammen trafen,

Wo meines Taschentuchs entscheidendes Gewicht

Zum Lehrer ihn erhob, der Recht, Gesetz und Pflicht

Bewiesner demonstrirt als selten es der braven

Gelehrten einem glückt der vom Katheder spricht,

So schließ aus meiner Ruh, wie vielen Herzensstrafen

Der Schlaukopf sich entzieht, der sein geheim Gericht

Mit einer Dosis Schlaf besticht.

Nur störe mich Dein Genius, im Schlafen

Durch des Verklärten Predigt nicht.

Den Spieler hinter uns, im nächsten Wald, begegne

Ein jung Dryadchen Dir, dem jüngst der Saft gerann,

Der seinen Sprößling nährt. Hier halt die Zügel an,

Sei der Verkümmerten ein zweiter Zevs, und regne

In Gold auf sie herab; doch hüb' ein West etwann

Gewisse heimliche, jetzt ihrem fernen Mann

Nicht halb so gut als Dir gelegne

Kleinodien aus ihrem Kirchenbann;

So wende schnell von da Dein wieherndes Gespann

Und fühl' es, daß bei Gott! der glücklichste Verwegne

Im schlüpfrichsten Roman, den Crebillon ersann,

Sich keines festlichern Genusses rühmen kann,

Als hier der Reisende durch meinen, den Gott segne

Erbaulichen Gedankenstrich – – – gewann.

Hat, weiter nun, Dein Geist im Spalt der Felsenmauer

Die ich Dir jüngst gemalt, die nackte Höh' erklimmt,

Das Ungeheuer ihn, das dort auf meiner Lauer

Den Rachen sperrt und nach dem Abgrund schwimmt,

Zur höhern Poesie gestimmt,

So segne meines Schlummers Dauer

Und schildre fürchterlich den Schauer

Des Schwindels, der Dich übernimmt.

Verfolge die Gefahr bis zu dem schmalsten Rande

Der letzten Kluft, die ins Gesicht Dir gafft!

Ein Wunder rette mich; mal' es so lügenhaft,

Als je auf seiner Fahrt zu Wasser und zu Lande[5]

Ein Robinson – als je auf seiner Pilgerschaft

Ein Mitglied aus der Spielerbande

Der Heiligen, eins aufgerafft.

Durchflechte, Freund, mit Ahndungen und Schrecken,

Ein zweiter Ossian, die Räume der Natur,

Durchdonnre, wenn Du willst, die Flur:

Doch hüte Dich, mich aufzuwecken –

Dieß einzige verbitt' ich nur!

Nach allem Ungestüm, den Du in Deiner Runde

Mit Malerlist und Seelenkunde

Erregt, wie wird so wunderschön

Auf diesem schwarzen Hintergrunde

Das Farbenspiel der Abendstunde

Dein bald errungnes Ziel erhöhn!

Sie bring' uns schnell gesund und heiter

Auf nun gebahnterm Weg in das gepriesne Thal.

Jetzt sind wir da; doch ach, wo sind' ich eine Leiter

Aus meinem Phaëton? Wer leuchtet durch den Saal

Mich in mein Kämmerchen und weiter?

Das alles zieh' aus dem Gedankenstrahl,

Der meinem Kiel entfloß, und nun – zum letztenmal

Noch eine Bitte, mein Begleiter!

Sind gleich die Stunden voll, des warmen Abends Rest

Bedarf zur Krone doch noch eine –

Sie schwebe noch, bevor Dein Schutzgeist mich verläßt,

Einher auf dem verbuhlten West,

Mit Düften angefüllt, die er dem Buchenhaine

Zu meinem Schlaftrunk ausgepreßt,

Und lock' und treibe sanft das weit verflogne kleine

Geliebte Täubchen, das ich meine,

Aus seinem, in mein Federnest.

Dann, Lieber, laß im Mondenscheine

Die Girrenden für sich alleine

Und ende Dein Gedankenfest. –

Und nun dem Maler Preis, der bis zum höchsten Lichte

Das düsterste Gemäld' erhob,

Und dem unförmlichen Gesichte

Des Fortgangs meiner Zeit-Geschichte

Form, Kraft und Leben unterschob!

Der Tag kam in sein Gleis, der, wie es schien, vergebens

Dem Kreise des Gefühls entwich,

Kraft meines Federzugs, der in dem Gang des Lebens

Dem Faden Ariadnens glich.

Zog er denn nicht, o Freund, in Deinen Händen mich[6]

Aus Schwindel und Gefahr? und ward denn nicht durch Dich,

O Meister in der Kunst des geistigen Verwebens!

Auch er das Zauberband, an dem mein zweites Ich

In leisen Schritten, jüngferlich

Mit allen Grazien des kindischen Erbebens

Zu meiner Kammer überschlich?

Umschlangen nicht an ihm nach langer Trennung sich

Zwei Herzen, voll so inniglich

Magnetischen Entgegenstrebens?

Gott, welch ein Schlaf! welch ein Gedankenstrich!

So sah der erste Mensch im ersten Traum sich wippen,

Und stieg und fiel bald hoch, bald tief,

Verlor in Dornen sich, stieß sich an Marmorklippen,

Und träumte von zerbrochnen Rippen,

Und wußte nicht, welch Glück er sich erschlief,

Bis ihn sein holdes Weib mit süßgespitzten Lippen

Zum fröhlichen Versuch, sich munter dran zu nippen,

Aus den geträumten Dornen rief,

Und ihm – gleich dem Montblanc im Morgenperspectiv,

Zwei Schneegewölbe zeigt, an denen im Betippen,

Kein Finger bricht, gesetzt, er griff' auch noch so schief,

Und ihm, – auf die Gefahr für Wollust umzukippen,

Mit jenem Hauptjuwel, das nur ihr Schöpfungsbrief

Errathen läßt – entgegen lief.


Ehe ich mich ganz von der holden Nachterscheinung entferne, die mit dem letzten Pünktchen meines reichhaltigen Gedankenstrichs, schöner als ich sie, in Wahrheit, geträumt habe, aber noch lange nicht so anschaulich hervortrat, als Du, mein verständiger Freund und Leser, sie ausmalen wirst, muß ich Dir doch der Vollständigkeit wegen die stille Betrachtung noch mittheilen, mit der ich heute, ziemlich spät, mein Bette verließ. Der angeborne und treueste Freund menschlicher Natur, besonders der meinigen, zischelte ich mir zu und rieb nur die Augen munter, hat es doch dießmal wieder recht gut mit dir gemeint, aber fast zu gut! Es ist nicht der erste Morgen, wo ich ihm diesen kleinen freundschaftlichen Vorwurf zu machen habe. Ich bin in meinem Leben, das ist gewiß, manchem widrigen Augenblicke, vielen Sorgen und Grillen, durch die Vermittelung des Schlafs, wenn keine andere verfangen wollten, glücklich entwischt; durch ihn wurden nicht selten meine brausenden[7] Leidenschaften und die harten Gegenreden meines Gewissens gemildert. Dagegen aber hat mich auch sein einschmeichelnder Besuch eben so gewiß um manche schöne Belohnung der Wachsamkeit, um manchen Gewinnst an Kenntnissen gebracht, der nicht zu berechnen ist. Ueber süßen Träumen der Nacht habe ich oft weit süßere des Tags verloren, und bei Freuden, die man nur mit offenen Augen genießen kann, wie heute bei der aufgehenden Sonne, das Nachsehen gehabt. Sie, die ich kürzlich mit solcher Inbrunst besang, ist schon seit vier Stunden dem blumigen Brautbette dieses Thales entstiegen, und hat nun für mich, wie jede Schöne, die sich der weiten Welt Preis giebt, nichts anlockendes mehr. Auch Saint-Sauveur hat, wie die Sonne, das Erwachen seines Gastes nicht abgewartet. Er wäre, sagt mir mein schnurbärtiger Landsmann, den er mir zu meinem Fortkommen zurückließ, mit Tages Anbruche, seinen Geschäften nach, zu Fuße, durch den Tempel des Friedens, und vermuthlich nach Marseille gegangen. O warum hat mich der gute Mann nicht geweckt! Wie gern hätt' ich seine muntere Unterhaltung, in der Kühle des Morgens, gegen die Schattenbilder meines Traums eingetauscht, da ich jetzt, bei voller Besinnung, ein paar heiße einsame Stunden durchbrechen muß, um in meine verschraubte Wirtschaft zu gelangen, wohin mich ein paar alberne Briefe auf das ängstlichste rufen. Sie beleidigten schon mein Auge, als ich sie aufschlug, und ihre Siegel verriethen mir sogleich, als wenn es die bekanntesten Wappen wären, von wem jeder herrührte. Auf dem einen war eine hirnlose Maske – auf dem andern das Petschaft des Michelangelo gedrückt. Ich griff nach dem Wahrzeichen des ersten, der mir eine wortreiche Bitte entwickelte, an deren schleuniger Gewährung mir zwar eben so viel gelegen war, als den beiden Puppenspielern, die sie vortrugen, aber auch gerade um deßwillen mir recht böses Blut machten. Dieß verlangt eine Erklärung, lieber Eduard. Du wirst Dich erinnern, unter welchen Scheltworten ich mir letzthin den armen Prologus vom Halse schaffte, als er sich mit rednerischem Anstand meinem Schreibepulte näherte. Hätte ich nur zwei Minuten Geduld behalten ihn anzuhören, so würde ich erfahren und mich längst darein[8] gefügt haben, daß die Elektra, mit der er seinen Perioden anhub, nichts weniger als griechischen Ursprungs, sondern in jenen glücklichen Tagen seiner theatralischen Herrschaft die prächtige Frau des ersten Akteurs gewesen, seit kurzem Wittwe geworden – Besitzerin eines weitläuftigen Sortiments trefflich organisirter Puppen, und geneigt sei, ihm, aus unveralteter Achtung, ihre Hand zu geben. Schließe ja nicht aus dem gedrungenen Auszuge des Briefs auf seine Kürze. Ich könnte Dich damit tödten, wenn ich Dir ihn in seinem ganzen Umfange vorlegen wollte. Durch mein Zusammendrücken, wie ich es bei so heillosem Geschwätze zu thun pflege, habe ich ihm nur das Gift benommen. In einer Nachschrift bitten beide Brüder um ihre Entlassung noch diesen Vormittag, mit Beibehaltung ihrer Livree, weil der Jahrmarkt zu Montpellier, wo Elektra zuerst ihr neues Theater zu eröffnen gedächte, schon übermorgen seinen Anfang nähme, und sie dort eines Prologs und Epilogs gewiß benöthigter seyn würde als ich. Hierin haben nun die zwei verbrüderten Narren vollkommen recht; auch will ich eilen, und meiner eigenen Freiheit so lange Zwang anthun, bis ich ihnen, wie ein Paar unnützen Stubenvögeln, die ihrige geschenkt habe. Mögen sie mit ihren bunten Federn, die ohnehin nicht von der Farbe meiner Helmdecken sind, aus einer Wildniß in die andere ihren Talenten nachfliegen. Mir soll ihres Schicksals halber weiter kein graues Haar wachsen. Ungleich mehr Sorge macht mir die peinliche Frage, mit der in der zweiten Epistel der unselige Passerino mir zu Leibe geht. Freilich hatte ich es vergessen – aber er nicht, daß der einzige Tag, den uns Saint-Sauveur zu der artistischen Reise nach Cotignac frei gab, morgen eintrete. Er wolle, sagt er, die unglückliche Möglichkeit gar nicht voraussetzen, daß ich zum zweitenmale anderes Sinnes geworden sei, und habe deßhalb die Postpferde mit dem frühesten in meinen Gasthof bestellt. Was will ich thun? Würde er mich wohl aus Frankreich lassen, ehe ich ihm nicht mein Versprechen halte? So sei es denn! Doch soll es gewiß der letzte Liebesdienst seyn, den ich meinem tollen Lehrmeister erzeige, so wie das letzte Marienbild, das ich besuche. Ach! aber wie fällt mir der Abschied so schwer, den ich, o Gott,[9] auf ewig von diesem reizenden, einzigen Thale nehmen soll. Ohne jenes abgeschmackte Berufsgeschäft hätte ich wenigstens noch einen Tag länger – (Saint-Sauveur stellte es mir ja anheim) – hier bleiben, und diese Höhen und Tiefen – diese Landhäuser und Wiesen, die sich vor mir hinstrecken, näher beäugeln können, als durch das Fenster. Ist es nicht zum Tollwerden, daß ich die letzte Vorstellung eines so prächtigen Schauspiels, als mir die Natur auf Morgen verspricht, ausschlagen muß, damit ein paar Müßiggänger einen Tag eher ihre hölzernen Puppen den Gaffern ausstellen, und ein Schmierer an einer noch elenderen als jene, seinen Pinsel versuchen kann? Vergebens wiederhole ich mir, wie viel edler solche Hingebungen werden, je mehr sie uns kosten. Meine Großmuth hebt den Schmerz nicht, und am meisten ärgert es mich, daß es solche Armseligkeiten sind, die mich von hier abrufen. Ich bin doch in der That ein sehr guter Narr, daß ich gehe! Nur noch einen Schluck aus diesem würzhaften Luftstrom! Einen Hinblick noch auf das stärkende Grün dieser Gefilde! und dann lege ich, mit dem Seufzer eines Liebenden, der aus den Armen seiner Schönen – zum Sturmlaufen gerissen wird, die Feder aus der Hand – gebe meine Nase dem Staube der Heerstraße und meinen armen Kopf den Strahlen Preis, die senkrecht auf ihn herabschießen.


Marseille.


Das Gesicht voller Schweißtropfen – alle Poren von der Hitze geöffnet, sprang ich endlich nach zwei melankolischen Stunden den Urhebern meines Mißmuths in die Hände. Sie erwarteten meiner am Thore des Gasthofs, wie ihres Heilandes, und spitzten die Ohren auf das erste Wort, das ich vorbringen würde, und das war: »Ein frisches Hemde!« aber diese in Feuer gesetzten Genies waren schon so fremd in meiner Haushaltung geworden, und so irre, daß sie mich an Bastian verwiesen, der aber nicht zu Hause sei. Sprachlos vor Aerger wankte ich die Treppe hinauf, und fand an meiner Thüre eine Dame hocken, die sich nur noch hätte erbieten dürfen, mir eins überzuwerfen, um alle meine innern Flüche zur Sprache zu bringen. Es war die Geliebte des Prologus, die[10] berüchtigte Elektra, die sich mir in einem Aufzuge zu Füßen warf, daß ich trotz des Zugwindes für das klügste hielt, sie sammt ihren Theaterhelden gleich auf dem Vorplatze abzufertigen. – Ich drückte jedem zum freundlichen Lebewohl ein Goldstück unter der kurzen Ermahnung in die Hände, ihr albernes Handwerk künftighin klüger zu treiben, und die Trödel-Lumpen, die sie aus meinem Dienst mitnähmen, vollends als ehrliche Kerle zu zerreißen. Heilfroh über mein erstes abgethanes Geschäft, schlüpfte ich nun in mein Zimmer, und bald nachher kam mir auch mein Kammerdiener zu Hülfe. Als er das Seinige besorgt hatte, fertigte ich ihn an den Marquis ab, und suchte nun Ruhe und Friede in meinem Lehnstuhle; hatte aber kaum einige Minuten – selbstständig und selig, wie die Gottheit, ohne Prologus und Epilogus da gesessen, als mich der Narr von Maler in das menschliche Elend wieder zurück brachte. Aber auch ihn überhob ich, wie die Puppenspieler, des Vortrags – »Gehen Sie jetzt wie gewöhnlich auf meine Kosten zur Wirthstafel – Morgen früh, Herr Passerino, bin ich zu Ihrem Befehl!« zugleich bewegte ich die Hand gegen die Thür, zu der er nun, ohne den Mund zu öffnen – (so gut hatten wir einander verstanden), hinausschlüpfte. Wundere Dich nicht über meine lakonische Laune, Eduard! Wie konnte ich mich wohl gegen diese Menschengesichter, die mir einen Tag voller Genuß auf dem schönsten Winkel des Erdbodens geraubt hatten, zu freundlichen Gesprächen herablassen! – Doch, es kömmt noch bunter – höre nur! Hast Du nicht auch, wie ich, erwartet, daß mich S. Sauveur auf den Mittag einladen würde? Ja, wenn er nicht durchaus an mir die Haltbarbeit sei nes Systems versuchen wollte – Seine heutige Ueberraschung aber, mag er mir nicht übel nehmen, geht über die Erlaubniß. Rathe einmal, was mir der artige Marquis an Bastians Stelle, von dem ich, ohne mich umzusehen, glaubte, er nähere sich jetzt mit seiner Bothschaft meinem Lehnstuhle – für einen Abgeordneten zuschickte und mit welchen Aufträgen? Einen vornehmen Seeofficier – einen Verwandten des Brigadiers, der mir ankündigte: – »Er habe ihm die Ehre übertragen, in seiner heutigen Abwesenheit für meine Bewirthung und Unterhaltung zu sorgen.«[11] – »In seiner Abwesenheit?« fragte ich mit Befremden, das dem Herrn auffiel – »Nun ja; denn Sie wissen doch,« antwortete er, »daß Sie ihn diesen Morgen auf seiner Bastide zurückließen?« »Nein, das ist mir in der That etwas Neues,« stotterte ich unter einem mißtrauischen Blick auf den Unbekannten – »Nun so kann ich es Ihnen bescheinigen« – Der Brief, den er mir mit diesen Worten überreichte – war zwar nur flüchtig und mit Bleistift geschrieben, unläugbar aber von der Hand meines Freundes – Ein Glück, daß es so war, nimmermehr wäre ich sonst von der Stelle gegangen, so sonderbar kam mir der Inhalt vor – »Ich« – lautete er ungefähr, »antworte Dir sehr in Eile, wie Du siehst, aus meinem Janustempel, den ich dringender Geschäfte wegen vor morgen nicht verlassen kann« – »Aus seinem Janustempel? dringender Geschäfte wegen? in dem Durchgange eines Steinbruchs?« Ich suchte geschwind über meine stillen Fragen Erläuterung in der folgenden Zeile – Was fand ich? »Die zwei ersten Feiertage Deines Festes verlor ich zu Toulon – auf den heutigen dritten und letzten muß ich nun zwar auch Verzicht thun – doch stelle ich Dir, um die Lücke zu füllen, meinen Mann an einem alten Bekannten von mir, aus Berlin, der eben in meinem Wagen nach der Stadt fährt« – »So?« murmelte ich, – »Er? ein sonst so guter zuvorkommender Wirth – konnte sich doch heute vor Dir unter einem Steinhaufen verstecken? Was in aller Welt hatte der Mann für Ursachen dazu?« Das Ding fing an mich zu verschnupfen, doch las ich weiter, und da erklärte sich denn der ganze Handel: doch so, daß ich beinahe außer mir kam. »Mein armer Freund,« erzählte er ganz unverblümt seinem Verwandten, »hat nach seiner Genesung von einer schweren Gemüthskrankheit tägliche Veränderung nöthig – und ich suche hierin nach Möglichkeit seinen Arzt zu ersetzen, der sich entfernt hat: – doch sorge ich heute gewiß so sehr für Deine Unterhaltung, als für die seinige, wenn ich Dich bitte, Deine gastfreie Einladung von mir auf seinen Kopf überzutragen. Dieser Sonderling vom festen Lande hält, wie alle reisenden Deutschen, so gut ein Tagebuch und selbst pünktlicher noch – als ein Admiral.« Ich möchte wohl hören, wie er sein[12] erstes Gastmal zwischen Himmel und Wasser beschreiben wird. Dabei muß ich Dir nur sagen, daß ihm der Götze, dessen Wiegenfest Du begehst, ein so großer Heiliger ist, daß er es gewiß, in dem Taumel seiner Verehrung, allen Deinen übrigen Gästen zuvorthun wird. Was willst Du mehr? Morgen nehme ich Dir die Sorge für ihn wieder ab. Ich muß des armen Schelms wegen zur Stadt, der auf Leben und Tod sitzt – und bin recht neugierig darauf – »So? so?« – wie angenehm ihn das Schrecken seines Pardons überraschen wird. »Es soll mir – und schon deßwegen ist mir dieß Dienstgeschäft lieb – einen neuen herrlichen Beweis für mein System liefern.« – Ist es nicht, überdachte ich das Gelesene, ein recht hämischer Streich, den dir hier der saubere Marquis, und dießmal gewiß nicht bloß aus Vorliebe zu seinem albernen System spielt? Er übergeht zwar deine Sottise zu Toulon mit Stillschweigen, hätte er aber wohl in seiner Missive das heutige vermaledeite Wiegenfest zweimal unterstrichen, wenn es ihn nicht für das schwindelnde Gastmal rächen sollte, um das du ihn durch Einschub des Gehenkten gebracht hast? Wenn er glaubt, daß ein drehender Kopf zu deiner Nachkur gehört, so verzeihe es ihm Gott – aber wer ist denn der Heilige, dem so viel daran liegt? – Den meinigen – so berlinisch er ist – soll er ungehudelt lassen – Doch wie geschwind verschluckte ich meine abschlägige Antwort, als mir der Officier auf die obige Frage Voltairen nannte. »Ich habe das Glück,« fuhr er fort, »die Fregatte zu kommandiren, die seinen Namen führt. Einige seiner Bewunderer haben sie ausgerüstet, und so lange sie Wasser hält, verpflichtet mich meine Bestallung – unter welcher Zone der Erde ich auch den 20sten Februar2 vor Anker liege, zu dreitägiger Feier seines Geburtstags. Es kann mir kaum so leid thun, daß die beiden ersten ohne Theilnahme unsers Freundes vergingen, als Sie an seiner Stelle, mein Herr, mir bei der Feier des letzten willkommen sind. Es ist weltbekannt,[13] wie viele Anhänger der Schutzpatron meines Schiffs in Berlin hat, von Friedrich dem Großen an bis auf den geringsten Standartenjunker. Meine Gesellschaft wird stolz darauf sehn, einen Repräsentanten seiner dortigen Verehrer in ihrer Mitte zu sehen; und auch ich freue mich herzlich auf die anziehenden Anekdoten, die Sie uns von seinem Aufenthalte in Ihrer Vaterstadt mittheilen werden.« Jetzt war ich mir nicht klug genug, weder wie ich die Einladung des Kapitains ablehnen, noch der Verlegenheit trotzen sollte, in die mich allemal ein Kompliment verwickelt, das man mir in dieser oder jener falschen Voraussetzung aufdringt – und gewiß würde keiner von Euch allen, die mit Voltaires Bekanntschaft groß thun, und mit den Beiträgen seines Witzes dem ihrigen aufhelfen, meine Vokation unterschrieben haben, wenn Ihr die alberne Miene gesehen hättet, mit der ich sie annahm. Die Bangigkeit meiner Erwartung war unbeschreiblich. Ich konnte mir an den Fingern abzählen, daß der Ehrenposten, den ich behaupten sollte, meinen natürlichen Schwindel nur noch vermehren würde, und es ist die Frage, ob der Delinquent, über den man morgen Standrecht hält, nicht mit größerer Besinnung hinter seinem Kapitain hertraben wird, als ich heute dem meinigen nachschlich.


O was für ein Ball des Augenblicks ist der Mensch! Daher sollten wir, nach dem Princip erfahrner Spieler, nicht bei jeder widrigen Karte, die der Zufall aufschlägt, außer Fassung gerathen; immer auf Abwechselung hoffen, und bedenken, daß der mögliche Uebergang vom Verluste zum Gewinnste nur desto entzückender ist. Mit welchem ungestüm freudigen Herzklopfen wird nicht der heute noch so beklemmte arme Flügelmann morgen dem Kreis enteilen, der ihm den Tod drohte! Ich kann es mir lebhaft aus dem Gange meines Blutes erklären. – So schwer und trübe es war, als ich den bänglichen Wagen bestieg – wie sprudelte es nicht, als ich ihn verließ. Ein Hinblick auf das in stolzer Ruhe prangende Meer versöhnte mich geschwind mit mir selber, und meine kleinmüthigen Stubengrillen verkrochen sich vor der Hoheit der Natur[14] – Gott mag wissen, wohin? Sobald ich an der Seite meines Anführers in der letzten der drei, mit Herren und Damen besetzten Gondeln, die nur sein Signal zur Abfahrt erwarteten, Platz genommen hatte, wirbelte von der vordersten her, unter deren Leitung wir vom Lande stießen, ein Zusammenklang blasender Instrumente über das Meer, der, von dem Jubel der Zuschauer erwiedert, alle Seelen zu beleben schien. Ich kann jetzt die Möglichkeit begreifen, wie eine volltönende kriegerische Musik es dahin bringen kann, daß so viele verzärtelte Muttersöhnchen den Haß gegen ihre Werber, ihr Heimweh und ihr Zittern vor dem Tode auf einmal verlieren – lustig dem feindlichen Feuer entgegen tanzen, und sich einbilden können, sie haben Herz; denn siehe, auch ich fühlte keinen Groll mehr gegen den Marquis und seinen Stellvertreter, lachte mit festem Blick der Fregatte zu, die vor meinen Augen hin und her schwankte, und machte mir keine Sorge weiter über den Ehrenposten, zu welchem ich mich, ohne mein Zuthun, erhoben sah. O die Harmonie ist eine herrliche Anführerin für Geschöpfe mit menschlichen Ohren! Ich habe die Donnerschläge der Kanonen nicht gezählt, mit denen uns Voltaire zu unserm Empfang begrüßte; ich weiß nur, daß man mir, unbeholfen wie ich war, das Vorrecht der schamhaften Damen zugestand, und auch mich auf einem herabgelassenen Armstuhl durch eine Winde auf das Verdeck zog, während herzhaftere Männer auf der Strickleiter hinaufstiegen. Von da schlängelte sich die Gesellschaft in das Innere des Schiffs, einem Saale zu, dessen Größe und Schönheit mir kein geringeres Erstaunen verursachte, als jenes Spiegelkabinet den beiden Berliner Nymphen, die sich heute vor sechs Wochen – Gott möge sie unbeschädigt an Ort und Stelle gebracht haben – unter dem Schalle meiner Horazischen Ode nach St. Domingo einschifften. Ich wüßte nicht, wie ich mich bei den Musen entschuldigen wollte, wenn ich Dir diesen auf Wasser erbauten Tempel dichterischen Ruhms nicht beschriebe. Das Erste, auf das der feurige Hinblick der Andern meine Augen hinzog, war die Satyrfigur des Patrons in seiner natürlichen Dürre und Blässe. Er grinzte aus einem, zum Blindwerden vergoldeten Rahm so spöttisch auf unsere Huldigungen herab,[15] daß mir die Schamröthe anflog, die seinen Wangen abging. Unter diesem Bilde lag auf einem Wandtische das auf Pergament gedruckte Trompeterstück, mit welchem Er die Fregatte anblies, die den Schall seines glorreichen Namens als ein Landesprodukt ausführen, und in alle Winde verbreiten sollte.3 Auf zwölf Feldern von Purpurholz trugen glänzend gefirnißte Genien in erhabenem Schnitzwerk die einzeln Stufen zu der ganzen himmlischen Tonleiter seiner Muse zusammen. Sein schriftlicher Nachlaß strahlte hinter den Gittern von vier Eckschränken hervor. Auf der Höhe derselben prangten, als seine Schutzgötter, die Büsten unsers Friedrich's, Katharinen der Zweiten – des Kaisersohns Joseph und des Königs der Sarmaten, in Pappe. – Wären sie hier, sagte der Kapitain, ihrer Würde gemäß, aus Marmor, so sehen Sie wohl, könnten sie bei stürmischem Wetter durch ihre eigene Härte und Schwere leicht einander gefährlich werden. Wollte Gott, erwiederte ich, die Natur hätte auch Rücksicht darauf genommen, als sie diese Köpfe aufstellte. In der Mitte der Hauptwände haben zwei Charitinnen Körbe mit frischen Blumen empor. Jeder zu beiden Seiten, hielt ein Affe, mit allem Ausdrucke natürlichen Ingrimms, eine Tischplatte in die Höhe, die ausschließlich den Lobschriften auf den Unsterblichen eingeräumt war. Um den Hals dieser angefesselten Träger schlang sich ein Band mit den Namen eines der Menschen, die dem Dichter zur Ableitung der Galle so nöthig waren, als seine tägliche Nahrung. Freron hielt den Anelitteraire4Beaumelle das Siècle de Louis XIV. – Nonotte les Erreurs de Voltaire und Franc de Pompignan seine Cantiques sacrés mit der Umschrift in den Pfoten: Sacrés ils sont, car personne n'y touche. Diese zähnefletschenden Gesichter wären, sagte man, ganz den Originalen ähnlich, die er, nach seinen vier Widersachern benennt, in dem Hofraume zu Fernay an Ketten gelegt, täglich mit eigenen Händen fütterte und peinigte, um diesen schuldlosen Geschöpfen die Freude seines Grolls fühlen zu[16] lassen, den er ihren Namens-Vettern bis an sein seliges Ende nachtrug. Alles war hier, wie Du siehst, auf die Ehre des großen Mannes berechnet; nichts hat aber wohl jemals sie lauter verkündigt, als die ansehnliche Versammlung, in deren Kreise ich äußerst verlegen da stand. Meine Zunge war, gegen die Geläufigkeit der andern genommen, wie vom Schlage gerührt, und genau überlegt, konnte vielleicht nichts besser zu meinen gegenwärtigen Verhältnissen passen, als diese Lähmung; denn wie leicht hätte mir sonst mein deutsches Gefühl den Streich spielen, und mich verleiten können, aus Vergessenheit meiner Repräsentantenstelle, den Signalen unseres Kleist, Klopstock und Wieland zu weit in den Irrgängen der Wahrheit zu folgen, und mir die Strafe zu erholen, die der Prophet Jonas von seinen Zuhörern erlitt. Keiner der zwölf Jünger, die hier zum Gedächtnisse des göttlichen Sterblichen versammelt waren, erwähnte seiner eigenen geringen Person, außer in Verbindung mit seinem Meister, und alle suchten einander zu überschreien. Wenn jener im Zählen war, wie oft er mit dem liebenswürdigen Dichter an einer Tafel gespeist habe, so störte ihn dieser durch seinen langjährigen Briefwechsel mit dem berühmten Manne. Mancher hatte mehrere Wochen bei ihm in Fernay verlebt, und – glaubwürdig genug – die Affen persönlich gekannt, die dort im Leben, wie hier in hölzernen Nachbildern, seinen Ruhm stützten. Der eine gab zu verstehen, er habe ihm, der jede Kleinigkeit zu benutzen wußte – durch Umgang vielleicht zu mehr glücklichen Einfällen geholfen, als sich die litterarische Welt wohl vorstellte; der andere beschwor bei seiner Ehre, daß er vier Posten hinter Voltaires Wagen hergefahren, und immer so glücklich gewesen sei, beim Aussteigen ein oder zwei Worte von ihm zu hören, die bis zur nächsten Station wie eine Herzstärkung auf ihn gewirkt hätten. Ein dritter, indem er das Kinn vorstreckte, wie Voltaire selbst, ließ merken, er trüge wohl die Physiognomie des Dichters nicht von ungefähr. – Sei es wie es sei, unterbrach er sich selbst, tant mieux!

Da ich mich von allen diesen Glücksfällen keines einzigen rühmen konnte, so kam es mir auch nicht von weitem in den[17] Sinn, darein zu sprechen, bis mir eine junge Dame die Zunge löste. »Ach Gott!« rief sie enthusiastisch aus, »welchen Genuß gewährt nicht sein herrlicher Geist einem denkenden Wesen!« – Ich blickte ihr geschwind nach dem Busen, weil Kenner behaupten wollen, hier säße den Weibern der Verstand, so wie ihr Herz hinter der Stirn. – Beides aber kam mir etwas platt vor. »Vier Monate war der große Mann,« fuhr sie mit aufgehobenen Augen fort, »in meiner Aeltern Hause zur Miethe, und denken Sie! ich bewohne sein Arbeitszimmer. Es ist klein – aber wahrlich, ich vertauschte es nicht mit dem schönsten Spiegelgemach – schon des Quatrains wegen nicht, das er auf eine der Fensterscheiben gekritzelt hat.« – »Was?« fiel ich ihr in die Rede, »Sie besitzen eine Fensterscheibe mit einer Quatrain von Voltaire?« »Ja,« wiederholte sie mit stolzem Anstand, »vier Verse von seiner eigenen Hand, und die selbst in der neuesten Ausgabe seiner Werke fehlen.« »O Madam!« trat ich ihr jetzt näher, »wie glücklich könnten Sie mich durch dieses Stückchen Glas machen! Bestimmen Sie, ich bitte, einen Preis, ich verstehe mich unbesehen dazu.« – Lieber, lieber Eduard, daß ich doch nie lernen werde, meine Worte zu wägen! »Es thut mir leid,« antwortete sie mit übrigens sehr freundlichen Augen, »daß ich mich auf so einen Handel nicht unbedingt einlassen kann – Jene Scheibe ist mir ein zu liebes Eigenthum und – nicht wahr, lieber Vater?« rief sie einem ältlichen Militär zu – »unzertrennlich von meiner Person.« – Diese Erklärung stopfte mir auf einmal den Mund. Ich leistete zwar ungern Verzicht auf solch einen Schatz für mein Kabinet, that sogar ein übriges, warf zum zweitenmal einen Blick auf das denkende Wesen; aber der Preis war und blieb mir zu hoch.

Der Aufruf zur Tafel unterbrach bald nachher das allgemeine Gespräch. Meine Kunstgenossin setzte sich neben mir – Ich hatte nun alle Gelegenheit, tiefer in ihren Verstand zu blicken – Sie ließ auch ihr Herz sprechen: doch ich erwähnte die Scheibe weiter mit keiner Sylbe. Siehe, Eduard, ich wollte gern zwei Tage hungern, wenn ich mir dadurch das Vergnügen erkaufen könnte, Dir den Küchenzettel des herrlichen Mahls vorzulegen, das jetzt[18] begann. Er würde Dir unsern sinnlichen Genuß viel anschaulicher machen, als meine wortreichste Beschreibung. Im Allgemeinen muß ich Dir jedoch angeben, wodurch es sich vor allen andern auszeichnete, ehe ich zum Schlusse des Festes komme, der eine reine neue Feder erfordert. Es ward – vielleicht nach Schiffsgebrauch, vielleicht auch aus symbolischer Hinsicht – nur eine Schüssel auf einmal aufgesetzt – und schon das gefiel mir; denn so blieb die Bewunderung, die wir ihr einstimmig zollten, wie bei Voltairen, so lange ungetheilt, bis eine andere erschien, die, wie es ihm auch gehen wird, uns noch bewundernswürdiger vorkam, als die erste. Entständen aber auch zwanzig Dichter nach ihm, deren immer einer größer als der andere, den Geschmack an die vorangegangenen verdrängte, sie könnten kein höheres Erstaunen bei mir erregen, als mir die Reihe eben so vieler immer köstlicherer Gerichte abnöthigte. Es war mir eine bittersüße Betrachtung, aber ganz eines Philosophen würdig, daß mir, selbst in dem Gebiete meiner vorzüglichsten Kenntnisse, so viel Neues entgegen kam. Denn außer dem gesegneten Brod, dessen ich mich noch von Aix aus erinnerte, trat doch nicht ein einziges Gericht unter meinen Gesichtskreis, das ich als einen alten Bekannten hätte begrüßen, und im voraus errathen können, was er mir leisten würde. Noch scheint es mir bemerkenswerth, und ich möchte wohl wissen, ob dieses auch bei andern Opfern der Fall sei, daß die Gesellschaft sich nur so lange mit der Verherrlichung ihres Götzen beschäftigte, als der Uebergang von der leeren zur vollen Schüssel dauerte. Voltaires Bild flog in diesen Zwischenzeiten, wie ein Schatten in der Zauberlaterne, nur flüchtig den Augen vorüber; desto herzergreifender fesselte er aber unser aller Aufmerksamkeit, als es lichter auf der Tafel ward, und unter den Spielwerken des Nachtisches ein Teller mit Devisen die Erinnerung an den ganzen Umfang seiner Vorzüge zurückbrachte; denn aus jeder noch so unbedeutenden Figur, die auf Geradewohl genommen, belächelt und zerknickt wurde, entwickelte sich ein, aus dem Schatze seiner Schriften entlehnter ernster oder schalkhafter Gedanke. Es war die artigste Lotterie der Art, die ich je gesehen, und allen Tafeln empfehlen möchte, so wie es die[19] erste ohne Nieten war, die mir vorkam. Sie erheiterte unsern vergnügten Zirkel noch mehr. Es war beinahe so gut, als ob der gefeierte Dichter selbst zugegen sei, ja in gewisser Rücksicht war es noch besser; denn mancher von den Gästen, der vielleicht unter den Augen des Dichters zu blöde gewesen wäre, ihm seinen Beifall anders, als durch ein bescheidenes Stillschweigen zu zeigen – betäubte jetzt unser Gehör; mancher, dem mit Voltaires Versen, heute vielleicht zum erstenmal ein kluges Wort über die Zunge kam, spielte hier den Kenner, und schien, als wolle er ihnen nur desto mehr Glanz durch die Einwilligung verschaffen, die er uns gab, sie ohne Bedenken für schön zu halten. Ich hielt, bis es die andern müde waren, ihren Gewinn auszutrommeln, mein Loos, unter der Maske eines Harlekins, mit so zögernder Bescheidenheit zwischen den Fingern, als ob es ein Impromptu von meiner eigenen Erfindung enthielte; und wenn mir jemand gesagt hätte: du hast Worte in deiner Gewalt, die gleiches Schrecken um dich her verbreiten werden, als jene, die eine übermenschliche Hand, der Tafel des Königs Belsazar gegen über an die Wand schrieb, ich würde ihn für einen Fantasten gehalten, meinen Harlekin so gewiß als jetzt, und ohne Furcht vor dem traurigen Erfolge geöffnet haben, der mir aber nur zu bald in die Hände kam; denn ich hatte kaum die ersten Worte des Verses über die Zunge:


Le grand monde est léger, inappliqué, volage,

Sa voix trouble et séduit. Est-on seul, on est sage.


so entstand, wie in der Natur vor dem Ausbruche eines Erdbebens, eine so auffallende Stille an der Tafel, daß ich verwundert um mich herum blickte, ohne die sonderbar andächtige Wirkung dieser Zeilen auf eine so muntere Gesellschaft begreifen zu können. Ich sah nur niedergeschlagene Augen, hörte nur tiefgeholte Seufzer, und unser Wirth, eine Flasche Champagner in der Hand, schien äußerst verlegen, was er damit anfangen – ob dem Harlekin trotzen, oder meine Neugier befriedigen sollte. Er entschloß sich aus Höflichkeit gegen einen Fremden zu dem letztern – schob das Leichtsinn erweckende Getränk bei Seite, und – »Wundern Sie Sich nicht, mein Herr,« wendete er sich nach mir, »daß der Denkspruch,[20] den das Ungefähr Ihnen zuwarf, uns alle so ernsthaft gemacht hat. Er veranlaßte die Erinnerung an eine eben so vortreffliche als höchst unglückliche Freundin. Sie hatte diese Zeilen über den Eingang eines Eremiten-Häuschens setzen lassen, in welchem sie eben den süßesten Träumereien nachhing, als ein grausames Verhängniß sie plötzlich und wahrscheinlich auf ewig daraus vertrieb. Wenn es meine übrigen Gäste nicht zu sehr angreift, so geben sie wohl zu, daß ich unserm lieben Fremden den traurigen Vorgang erzähle« – Die Herren schoben stillschweigend ihre Gläser von sich: die Damen falteten die Hände wie in einer Betstunde, und das denkende Wesen meiner Nachbarin hob sich ein wenig. »Lassen Sie uns, mein Herr,« fuhr der Kapitain fort, »einen Augenblick in das schöne Thal zurückgehen, von dem Sie heute herkommen. Dünkte es nicht Ihrem Herzen, als Sie es zum erstenmal so abgezogen von der übrigen Welt überblickten, daß es dem menschlichen Elend unmöglich sei, in diesen Wohnsitz der Ruhe zu dringen? und doch hätte Saint-Sauveur, der es wahrscheinlich aber, aus Schonung Ihrer, unterließ, Ihnen aus seinem Saalfenster den Geburtsort der Person zeigen können, die eben dort zu einem Jammer ohne Gleichen heranwuchs. Ich berufe mich dreist auf die selbst höchst liebenswürdigen Damen meiner Gesellschaft, ob sie eine gekannt haben, die ihrem Geschlechte mehr Ehre machte, und an Schönheit, Verstand und Annehmlichkeiten dem Fräulein von Larai gleich war.« Nein, so wahr Gott lebt, fielen sie hier alle dem Redner in's Wort, und er selbst brauchte einige Augenblicke, sich von dem rührenden Hinblick auf sie zu erholen. Denke, Eduard, um wie viel dieser Einklang bei einer solchen Gewissensfrage, diese unglaubliche Zustimmung weiblicher Unparteilichkeit über die Vorzüge einer andern, meine Aufmerksamkeit noch erhöhen mußte! »Der Vater dieses Engels,« ging der Seemann in seiner Erzählung fort, »einer der wackersten Menschen, lebte in jenem reizenden Bezirke auf seinem Landgute, und widmete nach dem Tode einer trefflichen Gattin, seine Erholungsstunden nur Freunden, die ihm glichen, und alle Kräfte der Erziehung des einzigen Zweigs seiner glücklichen Ehe.« Diese ihm so liebe Tochter stand im dreizehnten[21] Jahre, als er, in der besten Meinung, den Grund zu ihrem nachherigen entsetzlichen Schicksale legte. Er versprach sie einem jungen Grafen – Sein Name – doch ich verschweige ihn lieber aus Achtung für edle Verwandte. Sie wechselten die Ringe unter den übelsten Vorbedeutungen. Er steckte den ihrigen mit einer spöttischen Miene an, die den Anwesenden höchst mißfiel, und sie verlor den seinigen bei dem ersten Spaziergange. Bald nachher erhielt der junge Mensch einen Gesandtschaftsposten, der ihn fünf Jahre von seiner Verlobten entfernte. In dieser Zwischenzeit fiel das, nächst an den Wohnort des Barons gränzende Landgut durch Erbschaft an einen Herrn von Grammont, der liebenswürdig, sittlich und von dem edelsten Herzen, weit mehr als der Herzog gleiches Namens, verdient hätte, die Feder eines Hamilton zu beschäftigen. Er besuchte seinen Nachbar – sah die Tochter, die in der Blüthe ihres siebenzehnten Jahres stand, und nun erst hielt er den Zufall, der ihn in dieses Thal eingeführt hatte, für einen Würfel in der leitenden Hand der Vorsehung, die das höchste Glück seines Lebens bezweckte, und strebte, seit dieser unvergeßlichen Stunde, dem großen Ziele seiner Hoffnungen nach. Er erreichte es – gewann bald die Achtung und Freundschaft des Vaters, und nur desto geschwinder auch die Gegenliebe der Tochter, die sich in aller Unbefangenheit der Jugend ihrer ersten Neigung hingab. Kein Ring, kein Brief, kein Gedanke erinnerte sie an ihren entfernten Verlobten, am allerwenigsten der Vater, der sich nur im Stillen die Uebereilung seiner ältern Zusage vorwarf, nicht über das Herz bringen konnte, die wachsende schöne Leidenschaft der Tochter zu stören, und, als sein Freund um ihre Hand bat, weder vermögend war, sie ihm abzuschlagen, noch zu gewähren. Wenn die beiden Liebenden mit Thränen der Zärtlichkeit bittend vor ihm standen, bat er sie dagegen nur um Geduld und Aufschub – vermischte seine Seufzer, mit den ihrigen, verschloß aber nur desto sorgfältiger das Geheimniß seiner Unruhe. In diesem Kampfe mit sich selbst, war ein Jahr vergangen, als dem alten Manne eine tödtliche Krankheit zustieß. So bald er ihren Ausgang ahndete, fühlte sich seine beängstete Seele erleichtert. Mit erheitertem Blicke rief er die weinende[22] Tochter an sein Sterbebette, umarmte sie mit sichtbarer Freude, und, O! – waren seine Worte, wie danke ich Gott, daß er in's Mittel tritt, meinen Fehler gegen Dich wieder gut zu machen. Du liebes treffliches Mädchen! – Mein Tod entzieht Dich noch zeitig genug der lästigen Verbindlichkeit, die ich Dir in Deiner Kindheit auflegte – Dein Herz nahm und konnte keinen Theil daran nehmen – aber es wird ihm nun bald frei stehen seiner eigenen Wahl zu folgen. Du staunst? verstehst mich nicht? Ach! hätte ich mein übereilt gegebenes Wort so leicht vergessen können, als Du Deines, das Dir nur blinder Gehorsam abdrang. Mein letzter Wille vernichtet den erstern – Befolge ihn, so bald Du mich unter die Erde gebracht hast, und zögere nicht, Dich und den glücklich zu machen, der Deines Besitzes so werth ist – weit mehr als jener, dem ich solchen einst zusagte. Ein längeres Leben würde mir den Trost geraubt haben, der mir jetzt mein Ende versüßt: denn nun erst kann ich hoffen, daß Du und Er mein Andenken segnen werden. –

Die liebreichen Befehle des Sterbenden – der Drang ihres eigenen Herzens, am meisten aber das Gespenst des Grafen, setzten ihrem kindlichen Schmerze wohlthätige Schranken. Sie drückte mit der einen Hand, unter einem Ergusse von Thränen, ihrem Vater die Augen zu, und reichte die andere ihrem Geliebten. Nach einer kurzen Trauer feierten sie den Festtag ihrer Vermählung, der ihre Herzen – Tugenden und Güter in ein schönes Ganze verschmolz. Das glücklichste Paar auf dem schönsten Punkte der Erde! lautete die allgemeine Stimme, und nie hatte sie wahrer gesprochen. Nach sieben Monaten vollen Genusses aller irdischen Seligkeiten kam der Zerstörer derselben, der Graf, von seiner Mission zurück. Ich sah ihn den Tag nachher bei unserm Gouverneur. Da scherzte er noch über die Untreue des ihm einst aufgedrungenen Kindes. Er habe sie, setzte er lachend hinzu, in Neapel erfahren, wo zum Glück ein junger Mann sich noch am geschwindesten über solche Unglücksfälle trösten lerne. Als er aber in der Folge überall, wo er nur hinkam, von seinem Verlust unterhalten wurde, und dessen Größe erst ganz begriff, da ihm ein glänzender Zirkel[23] auf die Frage, mit der er ungestüm in den Saal trat: Sagen Sie mir um Gotteswillen, wer ist das wunderschöne Weib, und der strahlende Herr, die mir eben im Vorzimmer begegneten? – aus allen Ecken zurief: Graf! Kennen Sie denn Ihre ehemalige Braut nicht mehr? da fielen diese Worte wie ein Donnerschlag auf sein Herz, erfüllten es mit den wüthendsten Gefühlen des Stolzes, der Eifersucht und der beleidigten Ehre. Seine innere Empörung ward allen Gegenwärtigen sichtbar. Er veränderte die Farbe, so oft der Name Grammont ertönte. Den ganzen Abend über mißtrauisch gegen jedes lächelnde Gesicht, in sich gekehrt, abwesend und stumm, verließ er endlich die Gesellschaft mit dem Fluche des Verbrechens belastet, das er den Morgen darauf ausführte. So wie er in seine Wohnung kam, störte er die halbe Nacht hindurch unter seinen vor fünf Jahren zurückgelassenen Kleinigkeiten, nach dem Versprechungsring der Fräulein von Larai, zwängte ihn an den Finger, und hielt sich nun mit diesem Beweise seiner ältern Ansprüche für berechtigt, einen Gang zu wagen, um sich an demjenigen zu rächen, der sie in seiner Abwesenheit auf das empfindlichste verletzt habe. Unter diesem Blendwerke sophistischer Schlußfolgen, schickte er, ohne auf die Vorstellungen seines Sekretärs, der mir diese Umstände erzählt hat, zu achten, dem schuldlos glücklichen Manne eine beschimpfende Ausforderung zu. Herr von Grammont frühstückte eben mit dem Weibe seiner Jugend in einer Laube von Weinreben, die er, bei dem ersten Erwachen seiner Liebe, aus keiner geringern Ursache auf einer Anhöhe seines Gartens gepflanzt hatte, als weil er von da aus das Eremiten-Häuschen überblicken konnte, wo gewöhnlich in den Morgen- und Abendstunden das Fräulein sich ihren wehmüthigsüßen Gefühlen Preis gab. Diese beiden einander zuwinkenden Plätze gaben durch die Erinnerung an jene bängliche Zeit den Stunden, die sie jetzt hier weilten, einen unaussprechlichen Reiz. An ihrem Hochzeitabende war die erste Traube dieser geheiligten Pflanzung reif geworden. Sie hätten es gern für ein Wunder gehalten, als sie auf ihrem traulichen Spaziergange damit überrascht wurden. In einem dichterischen Schwunge der höchsten Zärtlichkeit, unter dem Abglanze[24] der untergehenden Sonne, der sie beide mit klopfenden Herzen und Ahndungen der annähernden Freuden nachblickten, bog Er, gleichsam als Vorspiel, diese noch unberührte Frucht den Lippen seiner Geliebten zu, und zerdrückte jede Beere, die sie faßten, mit glühenden Küssen, eine Scene, die das holde Weib noch jetzt nicht vergessen kann. Heute feierten die Glücklichen den ankommenden Frühling unter dieser ihnen so theuern Laube. Er wiegte sie auf seinen Knien, und sich an ihrem Busen, und rechnete schalkhaft ihr vor, um wie viele Pfunde seit jenem mystischen Abend sie schwerer geworden sei, als einer seiner Bedienten ihm den Brief brachte. Die kleine Muthwillige ... ach! hätte sie gewußt, mit welcher Natter sie spielte! – ergriff ihn, knickte das Siegel, drohte seine Geheimnisse zu lesen, und stellte es zuletzt seiner Großmuth anheim, ihre Neugier zu stillen. Gleichgültig schob er ihn zwischen die Weste, denn er hatte nur Augen und Gedanken für Sie. Diese Tändeleien der Liebe, die an dem Tage, der ein so grausames Geschick in seinem Schooße trug, der Erwähnung wohl werth sind, beschreibe ich nach der Aussage einer Person, die das Frühstück besorgte, und dabei ab- und zuging – eines vortrefflichen Mädchens, das, als Kind, die Gespielin der jungen Dame, jetzt weniger ihre Dienstbotin, als bewährte Freundin war. Sie, die nach geendigtem Frühstück in die Laube trat, versetzte durch den Ausruf: O das ist zum Malen schön! ihre Gebieterin aus einem süßen Traume in einen andern. Du hast Recht, meine gute Anne! Geh' und trage mir geschwind meinen Pastellkasten in die Eremitage, und indem sie sich aus den Armen ihres Gemahls wand – Laß mich, sagte sie mit losem Ernst, deine Laube muß nicht immer den Vorzug vor meinem Schilfhäuschen haben. In zwei Stunden, eher hilft aber kein Anklopfen, will ich den Herrn Gemahl mit der Kopie seines Originals empfangen, die er mir theuer bezahlen, und die ihn ganz überzeugen soll, wie häßlich ihm dieser lüsterne Mund, diese begehrlichen Augen und diese glühenden Wangen zu Gesichte stehn.

»Mit diesen Worten – den letzten, die er aus dem Munde seines Weibes vernahm, flog sie in ihr Eremiten-Häuschen, setzte[25] sich vor den Zeichentisch, wählte aus dem zarten Gewebe der vergangenen Stunde den herzlichsten Augenblick, und bot allen Zauber der Kunst auf, um durch den Schmelz der Farben und den Hauch der Wahrheit das liebliche Schattenbild ihrer noch frischen Erinnerung zu beleben. Diese letzte Arbeit ihrer Hände, diese kostbare Ueberlieferung ihres zerrütteten Glücks, wird von unserm Freunde Saint-Sauveur als ein Heiligthum aufbewahrt. Ach! wie oft habe ich schon davor gestanden, und nur mit Gewalt vermocht, meine thränenden Augen davon abzuziehen! – In sprachloser Seelenzufriedenheit – die Hände gefaltet, und die Augen gen Himmel gerichtet, saß der überglückliche Mann noch eine Weile unter dem Ueberhange seiner Laube, als man ihm meldete, der reitende Bote warte auf Antwort. Jetzt erinnerte er sich des Briefs – suchte – erbrach vollends das Siegel, überlas ihn – – und nach einem kurzen ernsten Nachdenken befahl er zwei Pferde vor die hintere Gartenthür – nannte den Reitknecht, der ihn begleiten sollte, und verbot, als er aufstieg, den Umstehenden, der Dame etwas von seinem Spazierritte zu sagen: in einer Stunde werde er wieder zurück seyn; – und so flog er dem Orte zu, wo sein Gegner ihn erwartete. Sie trafen einander auf einem Rasenplatz am Fuße der Vestung. Der Graf reichte dem Angekommenen zwei Pistolen – Er wählte eine mit stolzem, furchtbarem Stillschweigen, und beide – nachdem sie zehn Schritte von einander ihre Stellung genommen – drückten los, und in derselben Minute stürzte Grammont mit zerschmetterter Stirne zu Boden. Der Mörder schwang sich auf sein Pferd – flüchtete auf einem gemietheten Postschiffe nach Genua, und hat nun von dort aus die Frechheit, um freie Rückkehr in sein Vaterland zu bitten. Im Krampfe des Entsetzens, ließ der Reitknecht das scheugewordne Pferd seines getödteten Herrn fahren, und mit verhängtem Zügel flog er der einsamen Schilfhütte zu, wo noch in ihrer Glückseligkeit vertieft, die theure Unbefangene verweilte, und eben daran war, einen Schattenzirkel um das fertige Gemälde zu ziehen. Sie hörte das Trappen des Pferds – hörte sich mit einem Jammerton rufen – riß sich in die Höh – stürzte den Zeichentisch um[26] – öffnete die Thür, und sah den verblaßten Menschen, der nur noch die unselige Kraft hatte – mit zitternder Hand nach der Gegend der Vestung zu deuten – die Namen ihres Gemahls – des Grafen – Zweikampf – und Tod – in einzelnen Tönen, aus der beklemmten Brust zu stoßen, ehe er ohnmächtig niedersank. Wer es vermag, schildere den Zustand dieses weiblich zarten Herzens, sobald es der Greuel seines Geschicks erfaßte – schildere den entsetzlichen Fall aus einer solchen Höhe der Seligkeit, in eine so grundlose Tiefe des Elends – den Uebergang des frohsten Selbstgefühls, das noch kurz zuvor ihre Farbenstifte bei dem schönen Nachbilde des Geliebten so glücklich geleitet hatte, zu der Trauerpost seiner Ermordung. In einem Augenblicke lag ihre Hütte – die Laube, der Garten – ach die ganze Welt lag hinter ihr! – Sie flog, ohne nach Begleitung zu rufen – ohne zu wissen wohin? nur auf den ungefähren Wink des Schreckensboten, längs dem Steinwege – allen, die ihr begegneten, unaufhaltsam vorbei, unserer Stadt zu – flog durch das Thor – schöpfte nach Luft, um zu schreien – und forderte mit schmetternder Stimme ihren Gemahl – von dem erstaunten Haufen, der sie umringt, indem sie ihre blutig zerrungenen Hände gen Himmel hob. Eine fürchterlich schöne Gestalt im weißen Morgenkleide – die Bandschleifen durch den empörten Busen gesprengt – mit braunem fliegendem Haare – fortgetrieben durch innere Pein, und hingegeben der Verzweiflung – so sahen wir sie alle, wie wir hier sitzen, unsern Häusern vorüber, durch die Straße rennen – und eilten ihr nach. Auf dem Marktplatze sank sie endlich ohnmächtig darnieder. Einige aus dem Kreise, der sie auch hier mit staunendem Mitleiden umgab, waren im Begriffe, sie in das nächste Haus zu bringen, als Saint-Sauveur, durch den Lärm an's Fenster gezogen, seine Freundin erkannte – blitzschnell herbei flog – sie jenen ab, auf den Arm nahm, und in das nahe Kloster der barmherzigen Schwestern bis in das Zimmer trug, das man ihr einräumte. Er schickte nach den berühmtesten Aerzten der Stadt, forderte, ordnete, und verschaffte alles, was er zur Beruhigung und Bequemlichkeit der Kranken für nöthig hielt; konnte aber, so wenig als ein anderer, begreifen, was dem armen Weibe[27] begegnet sei, bis ihre gute Anna, mit Thränen und Schweißtropfen benetzt, unter uns trat, und den schrecklichen Vorgang nach der Angabe des Augenzeugen erzählte. Indem erholte sie sich – Wir, die das Stöhnen der Erwachten nicht zu ertragen vermochten, verließen das Zimmer, nur Saint-Sauveur blieb, ohne seiner zu schonen. – Welch eine Morgenstunde! Sie werden den schauderhaften Eindruck leicht begreifen, mein Herr, den sie auf jeden zurückließ, der ihr beiwohnte, und sich über die Wehmuth nicht weiter verwundern, in die uns Ihr zufälliger Fund versetzt hat. Der feinste Faden, der mit einem solchen Gewebe des Unglücks in Verbindung steht – würde er auch noch so leise berührt, muß seinen ganzen Umfang erschüttern.«

Der Kapitain hatte nun, wie er glaubte, mir allen genüglichen Aufschluß gegeben, und regte sich aufs neue mit seinem Champagner: aber jedermann ermunterte den Redner fortzufahren, und verbat das berauschende Getränk – »So verlangen denn meine lieben Gäste,« fragte er, »noch immer keine Ruhe? Sie kennen ja alle, außer der fremde Herr da, den Fortgang des Trauerspiels, so gut als ich« – »Aber auch er,« rief ein ältlicher mit Pflastern verstellter Officier, dem der Hieb in einem Ehrengefechte Mund und Nase gespalten hatte, »sollte nicht von uns gehen, ohne die Warnung, die der Verfolg der Geschichte noch rührender predigt, als der Anfang, mit in seine Heimath zu nehmen.« »So hören Sie denn,« fuhr der Kapitain fort, »was mir nicht nur Saint-Sauveur von der folgenden Stunde mitgetheilt hat, sondern so viel ich auch noch bis heute von der Unglücklichen weiß. Sie öffnete die Augen unter jenem krampfhaften Gestöhne, das uns verscheucht hatte, und sah sich starr um; sobald sie aber ihre Jugendfreundin erblickte, stürzte sie ihr in die ausgebreiteten Arme. Fest an dieses einzige Geschöpf geklammert, das sie in der ganzen Natur allein noch zu erkennen schien, ließ sie ihr Herz ausbluten, und ihre sprachlosen Gefühle verathmen. Erschöpft sank sie endlich auf ihr Bette, und zugleich in den tiefsten Schlaf, der bis den andern Morgen anhielt. Die Aerzte bauten große Hoffnungen, auf diesen Beistand der Natur, und trösteten alle Nachfragenden[28] damit, die das Kloster unaufhörlich belagerten. Schöne, aber ach! vergebliche Erwartung! Die Kranke hatte während der Ruhe nur neue Kräfte zu der schrecklichen Folter gesammelt, die ihr bevorstand. Denn, als die wiederkehrende Unglücksstunde ertönte, raffte sie sich in einem schauervollen Erwachen von ihrem einsamen Lager auf – Gustav, war der erste Jammerlaut, den sie, an den Busen ihrer Freundin gelehnt, ausstieß – ach liebe Anna! laß mich doch meinen Gustav suchen, und mein müdes Haupt auf seinem Grabhügel ausruhn! – Unter diesem fortdauernden Gewimmer stieg ihr Schmerz immer höher und höher, bis auf den Gipfel des Wahnsinns. Diese innere Pein ließ nicht eher nach, als bis sich ihre Zunge in einen Strom noch nie erhörter Flüche gegen den Mörder ihres Gemahls ergossen hatte; dann erst kam sie, in der äußersten Abmattung, wieder zu sich. Welchen Drang unnennbarer Martern läßt nicht eine solche Linderung in einer so edeln, sanften und Gott ergebenen Seele voraussetzen! Drei Wochen nachher, die nur aus trübsinnigen Stunden zusammengesetzt waren, kam ihr zum erstenmal ein anderer Gedanke. Anna, – erwachte sie mit ihrem in gesunden Tagen so freundlichen Aufblick – ich möchte mir wohl eine anständigere Wohnung suchen – Bestelle mir doch meinen Wagen. Dieses erste Zeichen von Besonnenheit verbreitete überall Hoffnung und Freude. An der Hand ihrer Getreuen, und mit rührendem Bezeigen ihres Danks gegen die Nonnen, die von ihr Abschied nahmen, verließ sie das Kloster – aber wohin ließ die gute Dame sich bringen? Den dringendsten Bitten ihrer Begleiterin entgegen, nirgend anderwärts hin, als in das öffentliche Irrenhaus! Nachdem sie die innere Einrichtung nachdenkend untersucht hatte, schien es sie zu freuen, in einem kleinen abgesonderten Hof ein paar leere, reinliche, vergitterte Kammern zu finden. – Diese hier, wendete sie sich leise gegen den Aufseher, miethe ich für mich, und die anstoßende – wehmüthig fragend blickte sie dabei Annen in die Augen – für meine Freundin. Seit jenem Morgen wohnt nun dort die edle Dulderin, immer in sich selbst versunken – außer dann und wann, wo sie die Gefährtin ihres Elends durch einen sanften Händedruck zu trösten und zu bitten[29] scheint, sie nicht zu verlassen – in stiller Verborgenheit. Nähert sich aber die Schreckensstunde, die sie auf ewig von ihrem Gustav trennte, so mag die Uhr solche ankündigen oder nicht, ihr instinktgleiches Gefühl irret sich um keine Minute – dann tritt sie an das eiserne Gitter ihres selbst gewählten Gefängnisses, und ihre zurückgehaltenen Klagen tönen nun in sonorischen Worten gen Himmel. Allmählig umzieht Fieberröthe die blassen Wangen, die matten Augen fangen an zu glühen, die Stimme hebt, das Haar sträubt sich, und eine kurze vorlaufende Erschütterung des schönen Gesichts kündigt nun den Eintritt der Wuth an, die bis zur völligen Entkräftung des armen Weibes fürchterlich fortdauert. Dieses ist bis jetzt der abgemessene tägliche Gang ihres verschmachtenden Lebens. Hat schon meine Erzählung Sie so tief gerührt, mein Herr, was wird nicht erst das Zeugniß Ihrer eigenen Augen bewirken! Ich kenne den Hang des menschlichen Herzens nach dem Genusse der Wehmuth zu gut aus Erfahrung, um nicht vorauszusetzen, daß auch Sie den merkwürdigen Gegenstand dieser allgemeinen Trauer aufsuchen werden.« – »Und das,« rief ich, »soll morgendes Tags geschehen.« – »Ich würde mich zu Ihrem Begleiter anbieten,« sagte der wackre Mann, »hätte ich nicht selbst schon oft das Lästige wahrgenommen, das uns fremde Zeugen in solchen Augenblicken der Thränen auflegen. Niemand hat deren wohl mehr um die arme Bedrängte vergossen, als unser guter Saint-Sauveur. Es ist ihm ein Gesetz, sie täglich zu besuchen, und wird er ja davon ab gehalten, wie ängstlich sieht er nicht alsdann den schriftlichen Berichten entgegen, die ihm ihre Freundin und einzige Wärterin, die sie duldet, auf diesen Fall zuschicken muß. Es müssen gebietende Geschäfte gewesen seyn, die ihn mehrere Tage aus ihrer Nähe entfernten. Auch ist er es, der das Begräbniß des Entleibten in der Weinlaube besorgt, ihm ein Denkmahl errichtet, und sich der verwaisten Diener und herrenlosen Wirtschaft dieses gesunkenen Hauses mit der treusten Thätigkeit angenommen hat.« »Hieran,« rief ich voller Entzücken, »erkenne ich meinen Freund. Gott segne seine Bemühung, und belohne seinen Eifer durch den glücklichsten Erfolg!« »Aber, mein Herr,«[30] richtete der Kapitain jetzt die Frage an mich, »wie in aller Welt geht es zu, daß diese tragische Begebenheit, die doch in der Zeit Ihres Aufenthalts allhier vorging, und Stadt und Land erschüttert hat, Ihnen so ganz unbekannt bleiben konnte?« »Ach erinnern Sie Sich denn nicht,« seufzte ich, »was der Marquis von mir geschrieben hat? Glücklich für meine Ruhe, möchte ich wohl sagen, lag ich damals selbst ohne Verstand an der Kette einer schweren Krankheit, unter den Händen der Aerzte, und vermuthlich hat der Marquis und jedermann aus menschenfreundlichen Rücksichten mir auch nachher den Vorgang verschwiegen.« Meiner Nachbarin schien schon lange etwas auf der Zunge zu schweben, das ich gar keine Lust hatte ihr abzunehmen, mußte aber endlich doch herhalten. »Der Herr Brigadier,« zischelte sie mir zu, »mag, im Vertrauen gesagt, wohl noch gewisse zärtlichere Antriebe zu seiner in der That sehr lobenswürdigen Sorgfalt haben als die allgemeine Menschenliebe. Von jeher, kann ich Ihnen aus Erfahrung sagen, hat er nur Augen für diese Frau gehabt, und viele, die ihn genau kennen wollen, behaupten, daß er nur die Genesung der schönen Wittwe erwarte, um ihr seine Hand anzubieten, die sie auch sicher nicht ausschlägt.«

»Sie glauben, Fräulein,« blinzte ich sie an, »daß diese so tief verwundete ...« »O mein Herr,« lachte sie mir ins Wort, »ein liebenswürdiger Mann, der den Verstand einer jungen Dame wieder zurechte bringt, weiß gewiß auch ihrem Herzen beizukommen.« Das kann wohl, dachte ich, der Fall bei dir seyn, und war boshaft genug, in meine auf- und niedersteigenden Blicke, deren Wendungen nicht schwer zu errathen sind, meine ganze Antwort zu legen. Indeß verursachte doch dieß Geschwätz, daß ich nach Tische meinen Kaffee noch mit Nachdenken darüber einschlürfte. Unter einem andern Gesichtspunkte genommen, kommt mir die Sache nicht so ganz unwahrscheinlich vor. Ich glaube es als einen Erfahrungssatz annehmen zu dürfen, daß ein sonst gesunder Verstand, der nicht durch eine fehlerhafte Organisirung der Seele, als zum Beispiel durch Hochmuth, sondern durch zugestoßne geistige Verwundungen verrückt wurde, sich auch wieder findet, so bald die[31] Zeit diese geheilt hat, und sage es dießmal wahrlich ohne alle Seitenblicke auf unsere oft unbändig trostlosen Wittwen, die sich sechs Monate nachher auf das fröhlichste wieder verheirathen. Eine jede dahin spielende Idee würde Blasphemie gegen die vortreffliche Frau seyn, von der ich spreche. Wer wollte aber nicht wünschen, daß, wenn sich auf den Fall ihrer völligen Herstellung ein solcher Verlustsersatz als S. Sauveur darböte, jenes vorgelaufene Gerücht einträfe!

Die Stimmung, in die wir alle uns versetzt fühlten, konnte für jedes einzelne Herz seinen großen Werth haben, nur zum gesellschaftlichen Tone taugte sie nicht. Der Kapitain, ein viel zu guter Wirth, um seinen Gästen Zwang anzuthun, gab daher bald das Signal zur Abfahrt. Mir war sonderbar in meiner Barke zu Muthe. Die schreckliche Ungewißheit menschlichen Schicksals schien ihr nachzuschwimmen. Ich hatte so wenig für die muntere Musik, die uns zurück begleitete, als für das Jauchzen am Ufer dasselbe Ohr mehr, und glich ich vor fünf Stunden einem Neuangeworbenen, der lustig ins Treffen geht, so war mir das Herz jetzt gewiß so sehr gesunken, als ihm, wenn er schwer verwundet von der Wahlstatt zurückhinkt. Der vielsagende Händedruck des Kapitains, den ich ihm stillschweigend erwiederte – die bänglich freundlichen Blicke, die mir meine andern Tafelgenossen beim Abschiede zuwarfen, söhnten mich mit ihrem vorigen Tumulte aus: denn ein so treuer Anhänger gesellschaftlicher Vergnügungen ich auch seyn mag, so kommt es mir doch vor, als würde es den meisten Menschen ganz zuträglich seyn, wenn jedes Freudenmahl sie mit ähnlichen Empfindungen entließe, als ich, und wahrscheinlich alle übrigen Gäste Voltaire's mit nach Hause nahmen.


»Lieber Sperling,« rief ich meinem alten Lehrmeister entgegen, da er mir, wie gewöhnlich, zuerst in dem Wirthshause aufstieß, »können Sie mir wohl den nächsten Weg nach dem Tollhause zeigen?« »Niemand leichter als ich,« war seine geschwinde Antwort; »aber was in aller Welt wollen Sie dort?« Mit dieser Frage stieg er mir in mein Zimmer nach. Als ich hier meinen[32] Staat abgeworfen hatte, und noch die kleine Uhr, die Du kennst, in der Hand hielt, um sie auf meinen Schreibtisch zu legen, veranlaßte sie folgendes Gespräch unter uns. »Finden Sie nicht das Gehäuse allerliebst gemalt, und die Juwelen um das Zifferblatt recht artig gefaßt?« Er besah sie auf allen Seiten. »Das ist ein ganz superbes Stück,« fing er sein Lob an – »Schade nur,« fiel ich ihm ein, »daß es nicht richtiger geht.« Er zog seine Uhr aus der Tasche, und verglich beide. »Ja wohl, drei Viertelstunden und neun Minuten zu früh.« »Und doch,« warf ich die Nase gegen ihn in die Höh, »ist schwerlich Ihr Werk nur halb so viel werth als das meinige. Ehemals ging es vortrefflich, hat aber offenbar durch die Reise gelitten. Entweder ist die Feder überspannt, ein Zahn verbogen, oder es liegt an der Unruhe.« »Bei einer so zarten Arbeit ist das leicht möglich,« erwiederte er, »und in dieser Hinsicht vertausche ich meine tombackene Uhr mit keiner andern. Mag sie noch so plump und altmodisch seyn, so hat sie dafür auch nicht um eine Sekunde gestockt, seit ich sie von meinem Großvater geerbt habe; aber Ihr kostbares Kunstwerk muß ja endlich ganz zu Grunde gehn, mein Herr, wenn Sie nicht in Zeiten seinen Fehlern nachspüren. Ich dächte doch wahrlich, daß es der Mühe verlohnte.« »Meinen Sie das, lieber Sperling? Nun so haben Sie auch die Antwort auf Ihre vorige Frage.« »Wie denn das?« stutzte er. »In einer großen Stadt,« trieb ich nun meinen Spaß mit ihm weiter, »stecken oft die verdorbensten Uhren in den glänzendsten Gehäusen. Die Eigenthümer wissen meist selbst nicht, wie weit die ihre von der Sonne abweicht, und bekümmern sich noch weniger um den Gang der andern. So lange noch nicht zufällige Stöße die Feder gesprengt, die Kette zerrissen haben, sie nur artig in die Augen fällt und nicht rasselt, gilt jede; ob sie übrigens ihre Bestimmung er füllt, ficht niemand an. Wie soll nun ein Reisender, dem es mehr um den innern Gehalt zu thun ist, als um äußeres Blendwerk, dahinter kommen? Wie soll er beurtheilen können, ob in seiner Vaterstadt, auf die er doch gern alles bezieht, die Uhren klüger gehen oder nicht? Giebt es da eine andere Ausmittelung, als daß er nachforscht, wie viele in der Reparatur und an welcher[33] Verschobenheit sie krank liegen?« Der gute Mann sah mich mit großen Augen an. Ich legte ihm meine Spielerei näher. – »Aus dieser Ursache, Freund, verlasse ich nie eine ansehnliche Stadt, ohne vorher ihre Tollhäuser zu besichtigen. Dort allein erscheinen die mannichfaltig verschobenen und lahmen Werke, ohne Malerei, Diamanten und Fassung, und erschweren keinem verständigen Auge die Uebersicht ihrer innern Gebrechen.« Passerino – wie lange, dachte ich, wird er noch so stumpfsinnig da stehn? – blickte mir bald in das Gesicht, bald auf die Schuhe. »Ein Narr,« erhob ich nun meine Stimme, »ist schon einzeln ein offenes Buch; eine größere Anzahl derselben ist die brauchbarste Bibliothek zur Fertigung einer moralischen Mortalitätsliste. Aus ihr entdeckt man, welche Seelenkrankheit an diesem oder jenem Orte am häufigsten die Köpfe verdreht. Sie lehrt, der wie vielste Bürger allemal toll ist, und beantwortet die große Frage, in welchem Staate der Verstand am besten gedeiht, und am wenigsten Gefahr läuft, so, daß jeder, dem daran liegt, seine Einrichtung darnach machen kann. Welchen Vorzug, zum Beispiel, behauptet nicht hierin die deutsche Natur mit ihrer Kruste vor dem französischen Spinnegewebe. Wenn man sich nicht selbst muthwillig durch Reisen in dieß gefährliche Land, oder gar durch vieljährigen Aufenthalt daselbst Schaden thut, mein lieber Passerino, so gehörten schon harte Prüfungen des Schicksals dazu, um einen von uns aus seinem täglichen Schlendrian zu bringen; und ob es mich gleich oft genug in bittere Verlegenheit setzt, wenn ich mit meiner deutschen Strohfiedel den feinen flüchtigen Weltton unserer Nachbarn nicht zu erreichen vermag – so« ... »Ha nun merke ich – fiel mir mein Zuhörer ins Wort – wo Sie hinaus wollen. Ja ja, wir gehen ins Narrenhaus – dort können wir freilich dem lieben Gott viel herzlicher danken, als in brillanten Gesellschaften, daß er uns aus gröbern Stoffen zusammengesetzt, und unsere deutschen Baßsaiten bis jetzt vor allen massiven Griffen gnädiglich bewahrt hat.« Mein Gespräch hatte mir nun zwar den Dienst eines Verdauungsmittels nach einem großen Gastmahle geleistet; aber nicht im mindesten meine bänglichen Gedanken an die unglückliche Dame zerstreut. Ich fragte[34] meinen Mann, ob er sie schon gesehen habe – »Noch nicht,« war seine Antwort, »denn so oft ich auch sonst in jenes Haus kam, so habe ich doch seit Ihrer Ankunft meine Besuche auf Sie, mein lieber Herr, allein eingeschränkt; aber nächstens soll dieser herrliche Gegenstand des allgemeinen Mitleidens meine Reißfeder in Thätigkeit setzen – Ich gedenke meine Zeichnung von ihr, die nicht anders als kräftig ausfallen kann, in Kupfer stechen zu lassen. Wenn nur der zehnte Theil ihrer Freunde darauf subskribirt, so soll mir diese Arbeit einen hübschen Thaler eintragen.« »Die Spekulation ist gut berechnet,« lächelte ich – »darum wollen wir auch unsern traurigen Spaziergang keinen Tag länger verschieben.« »Doch wohl morgen noch,« fiel er ein, mit einer Miene, die meiner Vergessenheit bitter genug zu Hülfe kam. »Versteht sich,« trotz meiner innern Galle zwang ich mich, ziemlich gelassen zu antworten, »wenn wir von unserer pittoresken Reise nach Cotignac wieder zurück sind.« »O alsdann, mein Herr,« rief er entzückt, »stehe ich Ihnen ganz zu Diensten, und ich denke, Sie sollen mit Ihrem Anführer zufrieden seyn. Ich habe freien Zutritt im Tollhause – habe schon manche Thräne dort verweint – und manchen Groschen dort hingetragen.« »Wie so?« »Sehen Sie, mein Herr, schon einige Jahre liegt dort ein Mann an Ketten, der – Gott bewahre jeden davor! – selbst in seinen gesunden Tagen nicht recht bei sich war. – Ein Maler, der ... doch Sie mögen selbst urtheilen. Er hatte in einem hiesigen angesehenen Hause ein hübsches Verdienst – beinahe ausschließlich möchte ich sagen. Zu seinem Unglücke aber kommt dem Sammler ein Seestück von mir zu Gesicht. Er kauft es und räumt ihm in seinem Saale den vorzüglichsten Platz ein. Mehr brauchte es nicht, um seinen Stolz zu beleidigen. Kaum entdeckt er das neue Gemälde, so stellt er sich, die Arme in einander geschlagen, davor; aber anstatt, wie jener große Maler, zu rufen: Auch ich bin einer! so steigt ihm der Künstlerneid so gewaltig zu Kopfe, daß er einige Tage nachher, wie gesagt, ein völliger Narr ward. Sein Zustand griff mir ans Herz, ich vergaß sein Unrecht gegen mich, behandle ihn seitdem wie einen unglücklichen Bruder, und besuche ihn, so oft ich einen[35] Groschen zu Rappee entübrigen kann, der, wie allen verschobenen Gehirnen, auch ihm das willkommenste Geschenk ist.« »Thun Sie das, lieber Sperling? Nun so erscheinen Sie mir in diesem Punkte größer als Voltaire mit seinen vier Affen, und ich begleite Sie nun noch einmal so gern nach Cotignac.« – »Wenn haben Sie die Pferde bestellt?« – »Mit Tagesanbruch« – »Gut!« – »Aber noch Eins, mein Herr! Bei Mönchen haben wir als Ketzer wohl nicht viel Gutes auf den Mittag zu erwarten – Sollten Sie nicht aus Fürsorge einen gebratenen Fasan und einige Flaschen Wein mitnehmen?« »Sehr gern, reden Sie das mit meinem Wirth ab – und für heute leben Sie wohl! denn ich habe sehr viel in mein Tagebuch einzutragen.« Das wäre nun auch nach der Regel von Pünktlichkeit geschehen, auf die ich vielleicht mehr halte, als Dir lieb ist. Ein anderer, glaube ich gern, würde manches als unwichtig übergangen, und sich bei meinen schläfrigen Augen kürzer gefaßt haben; doch könnte es leicht möglich seyn, daß dieser andere seine gedrängte Schreibart in der Folge bereuen müßte. – Ich habe meine eigenen Grillen über die Geschwätzigkeit. Was uns heute bloß als Staub auf unserm Lebensgange erscheint, kann morgen ein Kitt werden, der das Ganze verbindet. Du darfst nur in meinem obigen Gespräch mit Passerino ein Komma weglassen, und ich stehe weiter nicht für den Sinn. Eben so erhalten die Vorfälle des Lebens meistens eine ganz andere lückenhafte Ansicht, indem man so genannte Kleinigkeiten nicht berührt, wodurch doch jene nur zu oft herbeigeführt werden. Heute kann es Dir freilich so gleichgültig seyn, als es mir ist, ob der Wirth für meinen Mittag morgen einen Kapaun oder Fasan – rothen oder weißen Wein in den Wagen packt. Wer kann aber voraus wissen, ob und was für Folgen von dieser Wahl abhangen? Ja, wenn ich einen Roman schriebe, so könnte ich freilich meine Materialien sortiren; könnte zusetzen und weglassen, was ich wollte; aber Protokolle des laufenden Tags erfordern die schwatzhafteste Treue, und gesetzt, es wäre noch so gleichgültig, ob Cäsar in seinem gewöhnlichen Leben auf der rechten Seite ausspuckte oder auf der linken, so konnte doch, als er mit seinem Tagebuche über den Fluß[36] schwamm, dieser kleine Umstand seine eigene und die Lage der ganzen Welt verändern.


Den 25sten Februar.


Schon seit zwei Stunden sitze ich da, kaue meine Feder, und streite mit ihr, ob sie Dich in das Geheimniß ziehen soll, dessen ich mich zu Cotignac bemächtigt habe? Doch bist Du nicht auf dem Runde der Erde mein engster Vertrauter, und müßte ich nicht fürchten, wenn ich gegen Dich schwiege, von der Last, die mir auf dem Herzen liegt, diese Nacht erdrückt zu werden? Vor dem Verschwatzen will ich mich jedoch hüten. Ohnehin macht uns nichts lakonischer, als eine große Entdeckung. Passerino trat schon um fünf Uhr vor mein Bette. Während ich mich ankleidete, spitzte er seine Stifte – eine halbe Stunde nachher fuhren wir ab. Der Weg war so schlecht und langweilig, als seine Unterhaltung. Der elende Fleck, wo wir um zehn Uhr anlangten, war es nicht weniger, und so taumelte ich denn aus meinem Wagen, durch den Klosterhof und durch die Vorhalle, verstimmt bis über die Ohren, in die rußige Kirche. Ein Mönch empfing uns mit der Miene, die allen den guten Leutchen eigen ist, die Archive, Hausarkana, Kinderklappern der Vorzeit, oder heilige Spielwerke im Beschlusse haben. Ich that einen Blick auf das alberne Bild des Hochaltars, und hatte auf immer genug daran. Nicht so mein Reisegefährte. Der setzte sich gegen über auf die nächste Bank, zog sein Pergament heraus, und zeichnete, als ob es für die Ewigkeit wäre. Für mich wäre es eine gewesen, wenn ich ihm länger hätte zusehen müssen. Aber der Mönch kannte den Werth der Zeit, nahm mich stillschweigend bei der Hand, führte mich durch einen dunkeln Gang in das feuerfeste Gewölbe der Sakristei, und stellte mich vor einen großen alten vergoldeten Schrank, der meine geringe Geduld aufs ärgste durch sechs künstliche Schlösser prüfte, die weit über eine Viertelstunde wegnahmen, ehe der Pater eins nach dem andern geöffnet hatte: doch dafür gelangte auch meine Bewunderung zu einem unerwarteten Genusse. Drei weite Schubfächer enthielten die Garderobe der Mutter Gottes – Hemden, Unterröcke, Kaleçons,[37] Strümpfe, Spitzen, Halstücher und Roben, alles, wo nicht neumodisch, doch fein, prächtig und unbefleckt, wie sie selbst. Das kostbarste ihrer Kleider, und das sie nur einmal des Jahrs ihrem Hofstaate zur Schau giebt, war von himmelblauem Atlas mit goldnen Sternen gestickt, und mit Quasten von den reinsten Perlen besetzt. »Dieses Kleid, so äußerst kostbar es auch ist,« sagte der Mönch, »wird noch merkwürdiger durch die beiliegende Nachricht, daß es unversöhnliche Feinde der Gebenedeiten, drei portugiesische Juden waren, die es besorgten; so wie ehemals bei ihrer Niederkunft drei Könige aus Morgenland, wie das Ihnen bekannt seyn wird« – »Ja, ja,« sagte ich, und nachdem er das Kleid, wie die geschickteste Kammerjungfer, wieder in seine Falten gelegt hatte, öffnete er einen mit schwarzem Sammet ausgeschlagenen Kasten. Gott verzeihe mir die Sünde! aber beim ersten Hinblick flog mir der Verdacht durch den Kopf, die heilige Jungfrau habe durch ihre dienstbaren Geister das grüne Gewölbe ausräumen lassen. Mit dieser Juwelensammlung an Ohren- und Fingerringen – Halsbändern und Zitternadeln – Uhren, Zahnstochern – und Tabaksbüchsen, könnte man, dächte ich, die Bekehrung der Juden übernehmen, an der uns doch allen gelegen ist. »In der That, ehrwürdiger Herr,« nöthigte mir diese seltne Erscheinung die Worte ab, »habe ich die Hochheilige nirgends noch so reich ausgestattet gesehen, als hier! Welcher fromme Bienenschwarm muß nicht seinen irdischen Honig diesem Kloster zugetragen haben, um sich dadurch Zellen im Himmel zu bauen!« »Nichts weniger als das, mein Herr,« antwortete der Mönch: »alle Schätze dieses Schrankes rühren von der Dankbarkeit einer einzigen Seele – von der Andacht Ludewigs des Vierzehnten her. Auch legt die Mutter ihm zu Ehren ihre kostbarsten Kleinodien, so wie jenes himmelblaue Kleid mit Perlen, nur zu seinem Geburtstage an. Verlangen Sie noch stärkere Beweise von der Achtung dieses großen Monarchen für unsere Madonne – so sehen Sie hier« – indem er ein neues Fach herauszog – »das Ordensband des heiligen Geistes, das er ihr beim Antritte seiner glorreichen Regierung, – hier seinen Heirathskontrakt, den er der Wunderthäterin durch einen Gesandten[38] zuschickte, als er sich mit der Infantin Maria Theresia von Spanien vermählte, und hier, in diesem kostbaren Einband, den pyrenäischen Friedensschluß« – –

»Aber warum hat denn dieser große Monarch,« fragte ich in meiner Einfalt, »bei der Menge Madonnen in seinem weitläuftigen Reiche eben der Ihrigen eine so übermäßige Auszeichnung erwiesen?« »Warum? mein Herr,« wiederholte der Mönch meine Frage mit mitleidigem Lächeln, »aus der guten Ursache, weil er allein nur ihr sein Daseyn verdankte.« »Das ist etwas anders, aber ich bitte Euer Hochwürden, wie ging denn das zu?« Der Mönch verschloß erst mit dem bedächtlichsten Ernste seinen Schrank, faßte mich darauf stillschweigend bei den Schultern, und drehte meine stolze Figur einer demüthig gebeugten zu, die in einem prächtigen Rahmen beinahe die ganze Hauptwand der Sakristei einnahm – dem Bilde eines Barfüßer Mönchs, in Lebensgröße von Rigaud gemalt – dem wichtigsten Manne, wie der Pater sich ausdrückte, in der französischen Geschichte, und von dem ich doch – so mißlich steht es leider mit meinen historischen Kenntnissen – kein Wort in meinem Leben gehört hatte. Desto mehr Aufmerksamkeit schenkte ich jetzt dafür den Thaten dieses Auserwählten, die mein Führer mit vieler Beredtsamkeit zu entfalten verstand. Bei jedem neuen Farbenstriche, den er dem Gemälde zusetzte, machte ich immer größere Augen. Wie hoch stieg aber nicht erst mein Erstaunen, als ich in dem schönen Ganzen, das sich am Ende aus seiner Erzählung ergab, den Plan zu einem Heldengedicht entdeckte, so tadellos und vollkommen, als vielleicht noch keinem Dichter der Welt einen zu entwerfen gelungen ist. Du wirst es schon finden, daß ich das Maul nicht zu voll nehme, denn alle Eigenschaften, die Aristoteles von der Epopee verlangt, treffen in ihm zusammen. Der Heros ist weder ein Geschöpf der Phantasie, noch ein gleichgültiger Spieler auf dem Schauplatze der Welt – Seine Thaten sind kühn, und greifen in die Zukunft. In der zu besingenden Handlung ist Anfang, Fortgang und Ende von gleich hohem Interesse – die Episoden und Maschinen sogar sind ihr angemessen, natürlich und nothwendig: der ganze liebliche Stoff ist[39] reichhaltig und groß. Ach! warum versagte mir doch die Natur alle Anlage zu der Trompete! da doch eben mir ein Stück für dieses Instrument der höhern Dichtkunst unter die Hand kommen mußte, das gewiß, wenn meine schwache Lunge nicht wäre, Lärm in der Welt machen sollte; und ach! warum hat das Ungefähr nicht lieber Voltairen statt meiner mit diesem Manne der Geschichte bekannt gemacht, der es wohl eher verdient hätte, von solch einem Meister an das Licht gezogen zu werden, als die berüchtigte Pücelle! Um jedoch nicht dem Hahne in der Fabel zu gleichen, der ein Kleinod aus dem Mist scharrte, und als zu hart für seinen Schnabel, es in seine schmutzige Verborgenheit zurückschleuderte, überlasse ich Dir, oder jedem andern Barden, großmüthig das ausgescharrte meinige, um es zu waschen, zu wägen und in homerischen Glanz zu setzen, ohne weiter zu untersuchen, wer mir mehr Dank schuldig wird – der Sänger, den ich in Zukunft, oder der Held, den ich schon jetzt, so gut ich kann, aus der unverdientesten Vergessenheit ziehe.


Denn hüllt uns gleich der dickste Nebel,

Den kein Varrentrapp noch Krebel

Durchzubrechen wagt, seinen Ursprung ein,

Frankreichs stolzen Bürgern sollt' er doch als Hebel

Ihres größten Königs aus dem Ehverein

Ludewigs des Schwachen unvergeßlich seyn.


Vor dem neuen Spiele einer Rolle bange,

Die, – wenn nun beim Uebergange

In die Vierzig – Amor sich entfernt –

Jede Frau gezwungen lernt,

Trug die Königin, die um Ehesegen

Erd und Himmel zu bewegen,

Zwanzig Jahr schon ihr Latein verlor,

Und jetzt mehr als je verlegen,

Einem Helden aus dem Chor

Der Barfüßer ihre Wünsche vor.

Fiacre hieß der Mann. Stolz führt den Ehrennamen

Noch ein Gesindel fort, dem Dienst des Staats geweiht,

Das sein Vehikulum Ermüdeten und Lahmen

Auf Stunden und Minuten leiht.

So jung und nackt er war, stand er zu seiner Zeit[40]

Mehr noch, als sein Monarch, bei allen Notredamen

In glücklicher Vertraulichkeit.

Nur eine kannt er nicht, die alt und ausgeleeret

An Wunderkräften war. In Tenniers Geschmack

Gemalt, verbleichte sie, von Wenigen verehret,

Still, auf dem Hochaltar des Städtchens Cotignac.


Der Mönch, klug wie er war, und mit dem seltnen Falle

Der Königin vertraut, that, was ihr Ehkompan,

Kalt in der Andacht, nie gethan,

Daß eine wenigstens nur helfe, ruft er alle

Der Christenheit Madonnen an.

Und kaum vernahm von fern das Mutterbild der Gnaden

Den ungewohnten Ruf, als, ohne zu verziehn,

Es in dem ganzen Reiz der Nymphen von Ostaden

Dem eingeschlafnen Mönch erschien. –

»Steh!« treibt es ihn, »steh' auf, dem König ohne Schaden

Weck' Annen auch! Ihr sei zum Possen dem Kalvin

Noch diese Nacht ein Sohn, der einst durch Dragonaden

Das Volk, das mich verkennt, nach Kassel und Berlin

Zum Teufel jagen wird – verliehn!«


Und der Mönch erwacht und erweckt auch Annen. –

Unsrer lieben Frau Wirkungen begannen:

Freundlich war die Nacht, und dem Mönch gelang

Des Kalvinus Untergang.


Und der Prinz kam an, den der fromme Pater

Kraft des Wundertraums verhieß,

Eh sich sein gekrönter Vater

Etwas von ihm träumen ließ.5
[41]

Der Erzähler einer merkwürdigen Begebenheit, der aufmerksame Zuhörer findet, ist, wie ein reicher Gutsbesitzer unter seines Fröhnern, ein überaus glücklicher Mann. Von der einen Seite schlägt der Glanz seines Gegenstandes – von der andern das Ausströmen der erwärmten Neugier, wohlthuend über ihn zusammen. Ist aber das Feld einmal geräumt und die Ernte im Trocknen, so macht er als Nachstoppler eine desto ärmlichere Figur. Ich sah den guten Mönch immer noch eine einzelne Aehre nach der andern auflesen, um die Garbe, die er gebunden hatte, wichtiger zu machen. Wir fühlten aber beide gar bald das Langweilige davon, und ich fing an mich gewaltig nach meiner Heimreise zu sehnen, als es ihm beifiel, daß er mir für die Ehre seines Klosters noch eine Kleinigkeit zu vertrauen hätte. »Auch hat es« – fuhr er in seinem Nachstoppeln fort – »vor allen im Reiche den Vorzug, einen Urenkel von der leiblichen Schwester des heiligen Fiacre in seiner Mitte zu sehen, indeß zu gleicher Zeit, im theologischen Sinne, einer auf dem königlichen Throne sitzt. Sie würden selbst Familienähnlichkeit in den Gesichtszügen jenes Porträts und des[42] Pater André finden, wenn es Ihnen beliebte, mir in seine Zelle zu folgen.« »Lassen Sie uns,« erwiederte ich ängstlich, »doch vorher nachsehen, wie weit der Maler gekommen ist.« Dieser Pinsler aber, als wir auf ihn zugingen, winkte uns so ernstlich, wie Diogenes in der Tonne, aus dem Sonnenscheine seines Enthusiasmus, daß ich im Drange meiner Langeweile doch für klüger hielt, den gütlichen Vorschlag des Mönchs anzunehmen, als mich noch länger auf den Marmorplatten der dunkeln Kirche herum zu treiben, schimpfte aber in Gedanken desto ausgelassener auf meinen tollen Zeichenmeister. Ich hätte schon damals Ursache genug gehabt, mir diese undankbare Aufwallung meiner Laune zu verweisen; denn die Bekanntschaft mit dem Helden einer Epopee war ja wohl belohnend genug, um mich über alle und jede Unbehaglichkeit zu trösten. Mußte ich denn erst noch eine Stunde älter werden, um zur Besinnung zu kommen? O du Sperling aller Sperlinge! vergieb mir um des hohen Verdienstes willen, das ich späterhin deiner Narrheit mit reuigem Herzen zugestand. Wie willig und gedemüthigt that ich ihr Ehrenerklärung und Abbitte! Sogar in diesem Augenblicke meines ruhigen Nachdenkens beuge ich mich noch vor deinem Stümpertalente tiefer, als vor der Hoheit der Raphaele und Titiane, die sich zu vornehm dünkten, auf dem Hochaltare zu Cotignac dir ein Vorbild und jenem Barfüßer eine Kupplerin aufzustellen. Auch die kalte Küche, die du mir in prophetischer Ahndung riethest mit mir zu nehmen, werde ich dir ewig verdanken: denn eben durch jenen Fasan, den ich an die Stelle des Eiergerichts schob, das der Pater André zu verzehren sich anschickte, und durch die vier Flaschen Burgunder, die den Braten umringten, gewann ich in aller Geschwindigkeit das Zutrauen des freundlichen Mannes; und was trug mir nicht dieses gegen das Ende des Mahles ein! Trocknes Brod, das Gott segnen will, bedarf keiner Brühe. Mein kleines, auf den Mittag versetztes und so wenig diplomatisches Frühstück, daß ich in Regenspurg mir nicht getrauen würde, einen Hund damit aus dem Ofen zu locken, vermittelte mir dennoch die Entdeckung eines Staatsgeheimnisses, dem mehr als hundertjährige Riegel vorgeschoben waren. Ein Sekulum war verrauscht,[43] ohne es zu verrathen, ein zweites trug es in seinem morschen Leichentuche weiter, und drohte schon mit ihm zu verschwinden, als der Genius, der über das Verborgene wacht, den Räuber im Fluge aufhielt, und wie einen Reiher zwang, seine Beute fahren zu lassen. Unbegreiflicher Zusammenhang der Dinge! Gleich dem Vogel Fonton in Arabien,6 der schreiend den Wanderern vorflattert, um sie, wäre es auch ein Sumpf, dahin zu leiten, wo etwas Merkwürdiges versteckt ist, mußte ein deutscher Narr einen andern Deutschen in dieß Mönchsnest verlocken, damit er einen Schatz heben konnte, den dort ein Schwarzkünstler für die Ewigkeit zu vergraben glaubte. Könnte ich der Schadenfreude den geringsten Geschmack abgewinnen, oder spornte mich Nationalstolz, wie würde ich mich gegen die unzähligen Franzosen brüsten, die seit dem 5. December 1638 bis auf den heutigen 24. Februar vergebens darnach geforscht haben; – aber bei Zufällen des Glücks steht nichts besser als Bescheidenheit.

Nach dem zehnten Glase ungefähr, wo es der schweren Zunge des Paters André lästig zu werden schien, den Einfluß der Mutter Gottes auf seinen Großonkel länger in Betracht zu ziehen, erhob er sich, und taumelte der kleinen Niederlage seiner Bücher zu, zog eins aus dem Staube hervor, und – »Hier, mein Herr!« reichte er mir's über die Achsel, »verehre ich Ihnen zum Andenken die neueste Biographie des seligen Mannes – La vie du vénérable Frère Fiacre. Paris 1722. – Können Sie alte Papiere besser[44] lesen, als ich, so steht Ihnen auch noch der Plunder zu Diensten, der als sein einziger Nachlaß bis auf mich fortgeerbt hat.« Ich nahm sein, wie ich wähnte, unbedeutendes Geschenk mit höflichen Blicken an, und lüftete, während die Kuttenträger ihre Gläser aufs neue füllten, das morsche Gewebe ein wenig unter dem pappenen Umschlag, und was – Eduard – fiel mir zuerst in die Augen? Nichts geringers als ein Handbrief der Königin Anna. Welch Glück, daß ich keinen feinern Physiognomisten gegen über saß, als ein paar halbtrunkenen Mönchen! Ihre gebrochenen Augen irrten nur von den leeren Flaschen zu der einzigen, die noch verstöpselt vor ihnen stand – ohne meine verfärbten Wangen des Anblicks zu würdigen. Ich bekam Zeit, mich von meiner freudigen Erschütterung zu erholen, band das lockere Paket fester, warf es so gleichgültig neben meinem Hut hin, als ob es eine deutsche Monatsschrift wäre, und gab nun – die Madonna und ihr Fiacre dürfen es mir wahrlich nicht verübeln – meinem Gespräche eine Richtung, die uns immer weiter von ihrer Glorie entfernte. Desto verbindlicher betrug ich mich gegen ihre beiden Trabanten. Sie wollten mir weiß machen, es wäre ihnen in ewiger Zeit kein Fremder von so einnehmendem Umgang vorgekommen. Ich vergalt es ihnen durch die Lüge, daß ich noch Jahr und Tag in Marseille bleiben, und mir öfters das Vergnügen machen würde, sie zu besuchen, und lache mich nur aus, Eduard – aus Bangigkeit, daß es dem dummen Volke doch wohl einfallen könnte, die Handschriften vor der völligen Auslieferung noch einmal durchzusehen, stellte ich ihnen als die sicherste Zerstreuung und mit der Miene eines jovialen Tafelfreunds, eine zu, die für sie von ungleich größerm Werth war – eine Anweisung an meinen Gastwirth auf zwei Dutzend Bouteillen desselben Weins, der ihrer Zunge so wohl that. Diese Aussicht in die Zukunft warf die sanftesten Strahlen auf die Gegenwart. Das Dankgefühl der armen Geschöpfe war gränzenlos. Sie küßten meine ketzerischen Lippen so inbrünstig, als ob es Schuhsohlen eines Apostels wären, und dem ehrlichen Passerino, der nach vollbrachter Arbeit hereintrat und sich hungrig nach dem Frühstücke, das er selbst bestellt hatte, umsah, setzten sie die leeren[45] Flaschen und den verschrumpften Eierkuchen unter einem so tollausgelassenen Gelächter vor die Nase, daß der Prior nachfragen ließ, was denn hier vorginge? Glücklicher Weise – denn nun pochte mir das Herz noch stärker, stieß der Postillion ins Horn. Ich fuhr geschwind nach meinem Hute und dem Geschenke darneben, umarmte die bärtigen Kerle, empfahl mich ihrem Gebete, und ach! wie heilfroh blickte ich an den blauen Himmel hinauf, als ich den Klosterhof zehn Schritte hinter mir hatte! Der Rückweg, der abwärts ging, und das doppelte Trinkgeld, mit dem ich den Fuhrmann auf Kosten der Pferde bestach, brachten mich um vieles früher nach Hause. Passerino konnte mir unterwegs kein Wort abgewinnen. Dafür entließ ich ihn an der Thüre der Gaststube mit unbeschränkter Vollmacht. Ich warf meine Hülle wie ein Schmetterling ab, jagte Bastian, der aufräumen wollte, aus dem Zimmer – verschloß es, und sitze seitdem mitten unter meinen, den Motten und Mönchen abgerungenen Urkunden, an meinem lieben heimlichen Schreibtische, ohne daß ich vor Eifer mir hätte Zeit nehmen mögen, ein Billet des Marquis zu lesen, das in diesem Augenblick noch unerbrochen neben mir liegt. Nichts ist doch historischen, auch wohl andern wichtigen Untersuchungen nachtheiliger als die erste Hitze. Ich hatte schon bei einer Stunde meinen Spreuhaufen hin- und hergeworfelt, ehe ich das seltne Weitzenkörnchen, das mir dabei schon oft über die Finger geschlüpft war, bemerkte. Ich blätterte und blätterte alle Briefe vorbei, die nicht von der Königin waren, und von denen ich doch jetzt die meisten wieder in ihren Staub zurückwerfe, da sie schlechterdings des Durchsiebens nicht werth scheinen – voll verliebten Unsinns in altem Styl, der, so eindringend er auch zu seiner Zeit wirken mochte, auf Herzen, wie sie in der jetzigen organisirt sind, keinen als höchstens einen lächerlichen Eindruck hervorbringen. Dafür will ich Dir ein Morgenbillet der liebenswürdigen Anna, das sich bisher immer versteckt hielt, und so unbedeutend es aussah, mir doch zuerst die Augen öffnete, seiner ganzen Länge nach abschreiben: Nos neuvaines ont fait merveille. Depuis douze ans bien ecoulés, je viens de revoir mon gracieux mari et maître. L'orage[46] d'hier qui l'a tristement éconduit du cage de sa7 Fauvette, me l'a ramené. Peus-tu croire qu'il a même soupé avec moi? Oui, oui! mon reverend père, sans qu'il ait8 – touché à ton plat favori. En es-tu content? Il est reparti pour Versailles. Que Dieu le conduisse. J'espère chasser de ma chambre la peste de son haleine par l'encens que tu m'offriras. Je t'attens à l'heure acoutumée de ma devotion. La Beauvais te dira le reste.

Au Louvre ce 6 Decembr. 1637.

A – d'A.


Mir fiel in diesen Zeilen anfangs nichts so sehr ins Ohr als das Spatgewitter, dem überall das gemeine Volk weit wichtigern Einfluß in den Winter- als in den Sommermonaten zueignet. Nach seinen Begriffen ist es ein Wecker der Vorsehung. Einem so ungewöhnlichen Tumult der Natur müsse, hofft es, ein politischer nachfolgen. Ein fataler Volksglaube! der besonders in Rußland an manchem Unfug schuld ist, so daß ich aus Anhänglichkeit an die große Katharina froh bin, daß während ihrer glorreichen Regierung sich kein dergleichen Luftzeichen ihrem Horizonte genähert hat. Es waren nur ein paar flüchtige Augenblicke, die ich an dieses himmlische Phänomen verlor; denn ich stieg sogleich einige Zeilen tiefer, zu dem weit Erklärbarern herunter, das der Name Beauvais meinen Nachforschungen Preis gab. Die vielen Briefe, die mit dieser Unterschrift in meinem Portefeuille den königlichen Handschreiben beigesellt waren, könnten doch wohl, vermuthete ich, bedeutender seyn, als ich ihnen bis jetzt zugetraut hatte. Ich legte also vorerst meinen Händen die verschuldete Strafe auf, die so sehr gestörte chronologische Ordnung der Briefe wieder herzustellen, ehe ich meinen Augen anmuthete, ihre Hieroglyphen zu entziffern. Sie gingen freilich sehr scheu und und ungern daran, aber o was für eine wackere Lehrmeisterin ist nicht die Neugier! Kaum hatte ich die ersten Schwierigkeiten überwunden, und mich[47] überzeugt, daß es Annens vertrauteste Kammerfrau sei, mit der ich zu thun bekam, so las ich auch schon ihre Handschrift mit derselben Leichtigkeit als die Deinige. Ich möchte das verschmitzte Geschöpf gekannt haben! Schon der erste Brief, den ich enträthselte, flößte mir eine hohe Meinung von ihrem praktischen Verstande ein. Sie empfiehlt in halber Frakturschrift dem ehrwürdigen Bruder die sorgfältigste Behutsamkeit in seinem Benehmen, und warnt ihn besonders vor den scharfsichtigen Augen Orleans. Gestern noch, erzählt sie, sei der Unverschämte ihrer Gebieterin, als sie eben aus der Kirche zurück kam, ohne nur Rücksicht auf ihre zahlreiche Begleitung zu nehmen, mit der Spottrede in den Weg getreten: Madame, vous venez de solliciter vos juges contre moi, je consens que vous gagniez votre procès, si le roi a assez de credit pour cela. Anna wäre so aufgebracht darüber, daß sie ihren Gewissensrath zu sprechen verlange, und ihn eine Stunde früher als gewöhnlich in ihrem Andachtszimmer erwarte. Unter Leitung einer so vorsichtig geschäftigen Hand läßt sich ja eine zwölfjährige Ehetrennung wohl noch ertragen. Je länger ich an ihren Briefen meine Geduld übte, desto mehr verloren bei mir Nôtre Dame de Graces und ihr Fiacre an Ansehen – denn Marie Beauvais, wie mir jetzt jede Zeile verrieth, war eigentlich das große Triebrad aller Wunder des Louvre. Sie hatte den jungen Barfüßer zuerst der Trost bedürftigen Königin vorgestellt – ihm seine Rolle angewiesen und ihre gemeinschaftlichen Betstunden eingerichtet. Nach Recht und Billigkeit sollte keine andere Vermittlerin als Sie den Ehrenplatz auf dem Hochaltare zu Cotignac einnehmen. Leichtsinnige und verrathene Anna! – ich würde dich entschuldigen und bedauern, und ich würde Gott bitten dir die Sünde zu vergeben, die den guten Herzog von Orleans um die Thronfolge betrog, hättest du nur nicht als eine grausame Mutter deinem Erstgebornen gleich bei seinem Eintritte in die Welt den Stein an den Hals gehängt, der ihn in den Abgrund lebenswieriger Schwermuth versenkte. Ja, Eduard, spitze nur die Ohren! Ludewig der Vierzehnte hatte noch einen zwei Jahre ältern Bruder. Fiacre war Vater von beiden, und der Unglückliche, von dem ich eben spreche,[48] war die unbekannte, nur zu berühmte eiserne Maske.9 Die Mutter gebar diesen ihren Erstling in einem entlegenen Gartenhause unter den hülfreichen Händen der Beauvais – und belegte schon während der Geburtsschmerzen das Pfand ihrer verbotenen Liebe – zu welchem Geschlecht es auch gehören möchte, mit dem Fluche der Weihe, inzwischen ihr Buhler Messen für ihre glückliche Entbindung las. Die Nothhelferin verbarg das Kind bis in sein sechstes Jahr, und so erhielt der heilige Fiacre Zeit genug, sich nach der bequemsten Madonne umzusehen, die den unreinen Thon kneten und zu einem Gefässe der Heiligkeit bilden sollte. Er wählte die unbesuchteste von allen, die späterhin durch den geschickten Wurf ihres Deckmantels um Annens Bette, nach jener mysteriösen Gewitternacht, seine kluge Wahl nur zu gut rechtfertigte. Er erhielt den grausamen Auftrag, und führte ihn gewissenhaft aus wie ein Mönch. Dasselbe Kloster, wo ich heute seinen Urenkel berauschte, erhielt das Gott geweihte Kind, unter der Bedingung, unbekannt mit seiner Herkunft, der Wunderthäterin so lange als Chorknabe zu dienen, bis er zur Tonsur reif seyn würde. Nimm einstweilen mit diesem flüchtigen Auszug meiner Kriminalakten vorlieb, bis ich Dir die Belege dazu selbst einhändigen kann. Wenn die Köpfe einer Ehebrecherin, einer Kammerfrau und eines Mönchs zusammentreten, um den Schwefeldünsten ihres Gewissens einen Ableiter zu verschaffen, so läßt sich leicht denken, daß eine solche Vereinigung keine gemeinen Sophistereien entwickelt. Es findet sich leider! unter meinen Papieren nur ein einziges Koncept des heiligen Fiacre, das aber desto fleißiger bearbeitet ist, wie die ausgestrichenen bedenklichen[49] und dafür eingeschalteten gewähltern Worte an den Tag legen. Gott im Himmel, welch ein Brief! an eine strafbare Königin – von ihrem Gewissensrathe – zur Fastenzeit – in dem Sterbejahre ihres Gemahls, kurz nach Antritt ihrer Regentschaft – im Jahre 1643 an einem Morgen geschrieben, wo sie durch einen nächtlichen bösen Traum erschüttert, von ihrem erschlichenen Throne herab sich nach geistlicher Beruhigung umsah. Wie würde Bayle seinen gelehrten Artikel Marie mit diesem Briefe aufgestutzt haben, wenn er ihn gekannt hätte! Der untergeschobene Kronerbe stand damals in seinem fünften Jahre, und der ihm den Weg gebahnt hatte, in seinem siebenten. Mit welchen behutsamen Saftfarben weiß nicht der heilige Mann diesen Vorläufer des Führers seines Volks zu schildern. Alle himmlische Heerschaaren, schmeichelt er sich, müßten die seligste Freude über die Gewandheit des geweihten Knaben bei den, seinem zarten Alter angemessenen Küchendiensten – über seine Gelehrigkeit in der Schule und besonders über die süße Anwendung seiner Feierstunden empfinden. Dann stehe er oft vor dem schönen Gemälde, das Ihro Majestät der Kirche verehrt habe – freue sich des Kindes, das dem Mutterbilde zu Füßen liege – ohne zu ahnden, wie nahe es ihm verwandt sei. Dieser rührende Instinkt von Bruderliebe, fährt er gleißnerisch fort, sei ein neuer Segen der Gebenedeiten – ein deutlicher Beweis ihres Wohlgefallens an ihm, und ein Wiederschein der Strahlenkrone, die seiner in jenem Leben erwarte u.s.w. Es nahm mich Wunder, daß ich den Brief der Regentin von der Beauvais nicht unterstützt sah, so wie es mir überhaupt vorkommt, als sei der Traum nur aus Höflichkeit gegen einen abgedankten Liebhaber erfunden, mit dem man nicht mehr weiß was man reden soll. Schon in einigen vorhergehenden Missiven vermisse ich das Herzliche der vorigen Zeit, so daß ich wohl begreife, warum allein der dritte Sohn Philipp, nachmaliger Herzog von Orleans, seinem regierenden Bruder nicht glich. Die folgenden Briefe werden immer seltener, kürzer und kälter, und behaupten ein gewisses religiöses Ceremoniel, das gegen den ehemaligen traulichen Ton sonderbar absticht. Wem etwas daran gelegen seyn könnte zu wissen, wie[50] der heilige Fiacre die Tage seines in der Schnellwage des Hofs gesunkenen Gewichts hingebracht habe, dem könnte ich zur Erläuterung wohl noch einige Beichten mittheilen, die hier, wie verloren, da liegen, und sehr warmen Herzen entflossen scheinen. Im Jahre 1660, wo der Regentin wahrscheinlich die Neugier angekommen seyn mochte, das Kind des Gartenhauses kennen zu lernen, befragt sie ihren Wegweiser auf so manchen Gängen des Lebens, sehr herablassend – um die beste Route nach Cotignac, wohin sie eine Wallfahrt zu thun vorhabe – der einzige darauf folgende Brief meldet dem ehrwürdigen Vater ihre Zurückkunft, und befiehlt ihm, sich den Tag nachher bei ihrer Kammerfrau einzufinden, wo sie über eins und das andere mit ihm sprechen wolle, das jenes Kloster beträfe. – Noch ein paar andere weisen ihn an, Gelder zu Almosen in ihrer Schatzkammer zu erheben. Mit den Anweisungen auf ihre Schlafkammer ist es vorbei. Diese Briefe machen meine Verzweiflung. Man lernt doch in der Welt Gottes nichts daraus. Glücklicher Weise giebt noch eine heillose Epistel der Beauvais, die den ganzen Briefwechsel schließt, zu merkwürdigen Muthmaßungen Anlaß, die uns künftig einmal bei einem Glase Punsch munter genug machen werden. Sie scheint eine Antwort auf einen Bericht des heiligen Fiacre zu seyn, der sich auf einen andern vom Prior des Klosters bezieht. Jetzt will ich Dir nur den Anfang und das Ende davon zu Gute geben: Votre Saint-Jean ne vaut pas le diable avec sa maudite ressemblance. Il est incorrigible et fou à lier. Sa mère en est desolée, outrée et l'abandonne à son mauvais destin. Elle vient d'en instruire le roi qui saura bien que faire. – La reine, schließt sich diese drei Seiten lange Urkunde, vous loue d'avoir brulé nos lettres. Faites de même avec celle-ci. Que rien ne reste après nous de tout ce qui a trait à ce damné. Je me recommande à vos prières. Wenn mich mein Gedächtniß nicht betrügt, dem freilich jetzt keine Bücher zu Hülfe kommen, so trifft dieser Brief mit der Zeit zusammen, wo der König sein savoir faire geltend machte, und die eiserne Maske zuerst bekannt ward. Mein Herz blutet, wenn ich an das arme unschuldige, der Entsündigung ehebrecherischer Aeltern und[51] der Staatskunst eines unmenschlichen Bruders geweihte Schlachtopfer denke. Ich spüre dem Gefühle nach, mit welchem der Gemarterte am Fenster seines einsamen Kerkers steht, und jenes Vultus tyranni auf die Scheibe kritzelt, die sich – wahrscheinlich sein einziger Nachlaß – in meine Sammlung geflüchtet hat, als ob sie mich für meine Theilnahme an seinem Schicksal belohnen sollte. Wie betroffen werden die Geschichtschreiber in Frankreich und Deutschland – sie, die bald einen Herzog von Bukingham, bald einen Grafen Rantzau, und endlich gar den Kardinal Mazarin mit der Königin verkuppeln, einander anstaunen, wenn ich meine Dokumente bekannt mache! Die Beauvais verstand den Handel besser. Sie wußte sehr wohl, daß in solchen Angelegenheiten, wie sie betrieb, ein junger Barfüßer mehr, als alle Befehlshaber der weltlichen und geistlichen Miliz – und ein Fiaker mehr werth sei, als ein Staatswagen. Ich danke es dem heiligen Manne noch in seinem Grabe, daß er diesen wichtigen Briefwechsel, statt, wie er seinen klugen Gehülfen weiß machte, dem Feuer – der schwesterlichen Treue übergab, und entweder vergaß, die Rolle seiner Jugendjahre zurückzufordern, oder seinen Erben in ihr ein Kapital zu hinterlassen gedachte, das ihnen auch gewiß – wenn sie recht verstanden hätten es zu benutzen, hohe Zinsen hätte abwerfen müssen. Siehe doch zu, Eduard, daß Du seine Legende irgendwo auftreibst. Sollte sie sich denn nicht in einem Winkel der königlichen Bibliothek finden? Ich weiß zwar ungefähr, wie viel den Lobrednern der Heiligen zu trauen ist; aber zu geschweigen, daß die Wahrheit sich doch nicht so ganz verkleistern läßt, um nicht hier und da durchzuschimmern, so kommt es dem seinigen auch gar nicht in den Sinn, die Materialien, die ihm zu Gebote standen, zu verfälschen. Er stört nur in den gemeinsten Fripperien nach den Lumpen des Schaafpelzes, der dem Wolf hienieden ein so frommes Ansehn gab. Uns, die wir nun den ehrlichen Mann in sein wahres Licht gestellt sehen, kann ein solcher Umzug nicht blenden. Er trägt vielmehr bei, seine Physiognomie durch Vergleichung nur desto hervorstechender zu machen. So müde ich auch des Excerpirens bin, soll es mich doch nicht verdrießen, Dir aus dem Büchelchen[52] noch eine und andere Parallelstelle zu dem vorliegenden Texte abzuschreiben.

Pag. 11. – Il naquit à Marly le 21. Febr. 1609. il reçut l'habit de Religion le 19. May 1631. agé de 22 ans. – On lui changea son nom de Denis en celui de Frère Fiacre de Sainte Margarite.

Pag. 38. Le Frère Fiacre penetré de reconnoissance pour les aumones de la reine, prioit le ciel de la rendre féconde – lorsqu' enfin 1638 des mouvemens intérieurs le sollicitoient, comme malgré lui, d'aller dire à la Reine qu'elle auroit un fils etc.

Extrait du procés verbal: Il se sentit une forte inspiration de faire trois neuvaines pour saluer la sainte vierge à Notre Dame de Paris, à Notre Dame de Graces en Provence et à Notre Dame de Victories; et Dieu qui voulut que la France eût obligation de son bonheur à ce pauvre Frère, accorda à ses prières le Dauphin attendu; car ses neuvaines finirent le 5 Decembre, neuf mois précisement avant que le roi naquit. Le 5 Septembre 1638 des les deux heures du matin la Reine fut en travail – à onze heures et 22 minutes avant midi le Roi étant à table fut subitement averti que la Reine accouchoit etc. Gazette et Mercure françois de 1638.

Pag. 60. – Ainsi naquit le Dauphin, le fruit du frère Fiacre après 23. années de stérilité de la Reine. Les nouvelles publiques de ce temps reconnoissent qu'il y a du merveilleux dans cette naissance. Louis XIII. dans ses lettres aux Ambassadeurs, assure que tout ce qui a précedé l'accouchement de la Reine fait voir que ce fils lui est donné de Dieu.

1657. – au milieu de tant de graces il étoit tourmenté de mille pensée impures: qui le croiroit? il évitoit en général les conversations avec les femmes et surtout des femmes devotes, parce qu'on s'y engage d'autant plus facilement qu'on voit dans leur conduite plus de retenue et que par un artifice imperceptible de l'amour propre on passe de l'estime de leur vertu à l'attachement à leur personne. Cependant il étoit tenté, qui le[53] croiroit? il régloit ses paroles, ne permettoit rien à ses yeux: cependant il étoit tenté etc. mais rien au fonds n'est si facile à comprendre. Les saints n'ont été de grands saints que parce qu'ils ont eu de grandes passions etc. Le frère Fiacre affligé par ces pensées sales, s'agitoit, se tourmentoit pour les repousser, il se serroit les tempes, se ridoit le front, secouoit la tête, et faisoit mille autres contorsions.

Circonstances de sa mort: Il faut savoir que de l'an 1646 c'est à dire 38 ans avant sa mort il avoit écrit, qu'il étoit arreté de toute éternité qu'on prendroit son coeur après sa mort et que deux religieux de son ordre le porteroient à Notre Dame de Graces pour y être posé sous les pieds de la glorieuse Vierge Marie; il pria ceux qui tireroint son coeur de son corps, de le tirer par le coté, à cause de la pudicité religieuse. Toutes circonstances ont été accomplies à la lettre.

Pag. 368. Il mourut le 16 fevr. 1684 dans la 75me année de son age. Il avoit la taille mediocre, le front grand et large, les yeux bleus, il étoit blanc, avoit les traits assez réguliers; et tout cela formoit une physionomie belle et très religieuse etc. Les peintres ne le perdirent jamais de vue, il en eut toujours de nouveaux qui se succedèrent pour le tirer.

Pag. 370. Dès qu'il fut enterré, le P. Prieur fut à Versailles porter au roi la lettre que ce serviteur de Dieu lui avoit écrite avant de mourir. Le P. Prieur lui presenta encore la donation qu'il avoit fait de son coeur à la sainte Vierge et qui étoit signée de son sang. Le roi baisa la signature avec respect. Voilà, dit-il, un sang qui est bien vermeil.

Pag. 372. Les superieurs remirent ses manuscripts qu'il avoit laissé cachetés avec prière de ne les ouvrir que dix ans après sa mort. Cette dixième année etant enfin revolue le Roi attentif envoya Msr. de Pompone Ministre et Secretaire d'état avec une lettre de cachet qui lui ordonna d'ouvrir les manuscripts du frère Fiacre. Il les ouvrit en presence des superieurs; il en tira quelques papiers qu'il fit porter au Roi.

Wer das Gefühl nicht kennt, Herr eines Staatsgeheimnisses[54] zu seyn, das er, nach Belieben, mit in die Ewigkeit nehmen oder verschwatzen kann, an wen er will, müßte einen großen Spaß an meiner Figur gefunden haben, wenn er die selbstgefälligen listigen Mienen, die bisher meiner Feder nachschlichen, hätte belauschen können. Denn freilich kann ein Auge, das so viel auf Nuditäten hält, als das meinige, sein Wohlbehagen nicht bergen, wenn es den seltnen Fall erlebt, einem Mönch seine Kutte vom Leibe, einer Kammerfrau das Tuch von der Brust zu ziehen, die das Herz eines Tiegers versteckt, und besonders, wie Peter der Große im kaiserlichen Ungestüm sich an dem Bette der Maintenon herausnahm, eine Königin zu entblößen, von der man so viel Schönes erzählt. Meine Gesundheitsreise, will ich jetzt, ohne Wortwechsel, jedermann zugeben, der die Sache versteht, hat bis auf den heutigen Tag nur Vorfälle entwickelt, die der Mühe des Erzählens nicht lohnen, die keinen Menschen, als etwa Dich, interessiren können, und dem gemeinsten Reisenden aufstoßen. Jetzt aber hoffe ich doch, daß mir die Statistiker, die Biographen und Archivarien, alles Geschwätz der vorigen Blätter der einzigen Perle wegen verzeihen werden, die mir heute der Zufall in die Hände spielte. Mußte nicht Cook auch lange auf dem Weltmeere herumirren, ehe er auf jene glückliche Insel stieß, wohin noch keine Kultur gekommen war, und wo die schönsten Mädchen noch nackender gehen als in meinem Tagebuche. Ich kann mich jetzt brüsten wie Er – Mein Otaheite ist gefunden und mein Name verewigt wie der seinige.10[55]

Aber soll ich denn heute gar nicht zur Ruhe kommen? Eben im Begriff, das dritte oder vierte Licht auszulöschen, das meiner nächtlichen Arbeit vorstand, fällt mir noch Saint-Sauveurs Brief in die schläfrigen Augen. Ach Gott, wie trieb sie nicht jede Zeile aus einander! Höre nur, Eduard, was mir der sonst so vernünftige Mann zumuthet. Er, der mit Wohlgefallen der Exekution erwähnt, die heute unter seinem Kommando einem Verurtheilten das Leben schenkte – kann doch verlangen, daß ich ihn morgen zu einer – wo keine menschliche Gnade Statt findet – zum Opferfeste einer neuern Iphigenie – zur Einkleidung des unvergleichlichen Kindes begleiten soll, das mir vor ein paar Tagen zu Toulon so wichtig geworden ist? Ich hatte es ganz vergessen, daß morgen ihr siebenzehnter Geburtstag einfällt, der sie von dem gesellschaftlichen Leben zu trennen und zu einer ewigen Gefangenschaft einzusegnen bestimmt ist! Schließt der gute Mann etwa aus meiner Fahrt nach Cotignac, daß ich sonst nichts zu thun habe als Klöster zu besuchen? Die langweiligen Stunden, die ich dort zubrachte, sind mir doch vergütet worden, und wie? Was sollte mich aber in Eins verlocken können, wo ich unter ärgerlichen Ceremonien vielleicht Gefahr liefe, mir ein Gallenfieber zu holen? Ueberdies bin ich ja morgen um neun Uhr zu meiner Sonntagsfeier schon in einem Tollhause versagt, das sich unter keiner andern Benennung ankündigt als die ihm gebührt. Der Herr Brigadier mag allein reisen. Ich will nicht auch noch mit leiblichen Augen einer Gleißnerei nachgehen, bei der, sonderbar genug, nicht weniger als bei der eisernen Maske, ein Heuchler von Vater, eine strafbare Mutter und ein eigennütziger Bruder ihr höllisches Spiel treiben. Hat mich die Theilnahme an einem Leidenden, dessen Asche von einem, vollen Sekulum bedeckt ist, schon so mürbe gemacht, welches Entsetzen würde mich nicht erst ergreifen, wenn ich die holde Schöne zum erstenmale wieder nach jener herrlichen Nacht unserer Bekanntschaft im Nonnenschleier an dem Rande eines offenen Grabes anstaunen müßte, das sie lebendig verschlingen soll, und aus dem sie, ach Eduard! nun nichts – nichts mehr zu retten vermag. So, streckt denn Unvernunft, Aberglaube und Mönchswuth ihren bleiernen,[56] Zepter von einem Jahrhunderte zum andern! Wo ich auch hinblicke, sehe ich nur Thorheiten und Laster neben dem Jammer der Unschuld. Du vermuthest doch schon, Eduard, daß ich nach solchen Kopf und Herz durchdringenden Gedanken den Marquis mit verweigernder Antwort abgefertigt habe – und Du hast es errathen. Doch, indem ich meinem Bastian den Brief vor das Bette tragen wollte, um ihn morgen mit dem frühesten zu bestellen, trat mir das Bild der guten liebenswürdigen St. Aignan in den Weg, und bat mich, die Sache noch einmal zu überlegen. Ich blieb eine ganze Weile ungewiß stehen, aber die rührende Betrachtung einer Tochter, die Jugend, Schönheit und alle Ansprüche auf ein Leben voll Glück dem kindlichen Gehorsam aufopfert, entschied. Ich zerriß meine Antwort, und bin entschlossen meinem Freunde zu folgen, unsere Thränen zu vermischen und Ihr – koste es mir auch was es wolle, vor ihrem Hingang noch einmal in die blauen himmlischen Augen zu sehen. Der Besuch bei dem andern gebeugten Weibe entgeht mir ja nicht!


Den 24sten Februar.


Wenn Du aus der Konstellation meines gestrigen Blattes zu bestimmen vermagst, in welcher Gegend mein Stern leuchtet, so sind wir geschiedene Leute; denn trotz Deiner Sehkraft konnte es unmöglich mit rechten Dingen zugehen. Kaum bin ich mir selbst glaubwürdig genug, um meinen Standpunkt und die Ereignisse des abgelaufenen Tages für wahr zu halten, den ich Dir jedoch so treu, als alle vorhergegangenen, zu entwickeln verspreche; habe nur, das bitt' ich Dich, Geduld mit meiner Feder! Du kennst ihre Weise. Sie rückt gewöhnlich nur mit dem Zeiger der Uhr fort, aber vorzüglich heute darf in meinem Tagebuche keine Stunde eher schlagen, als sie erlebt ist, damit nicht der Minuten eine, die sie herbeiführten, verloren gehe. Saint-Sauveur holte mich nicht ab, wie ich erwartete, sondern schickte mir seinen Wagen, um ihn abzuholen. Es fiel mir ein wenig auf, und erinnerte mich, daß Er bei aller seiner Höflichkeit sich doch noch nie herabgelassen habe, mich zu besuchen. Er stand in seiner Hausthür, als ich ankam,[57] stieg ein, indem er zugleich dem Kutscher befahl langsam zu fahren, damit wir nur kurz vor dem Anfang der Ceremonie bei den Urselinerinnen einträfen. Konnte er aber nicht lieber um so viel später die Stadt verlassen? Das wollte ich eben fragen, als ich in seinen Augen Thränen bemerkte, die mir alle Sprachlust benahmen, und meine eigene bängliche Stimmung vermehrten. Ich konnte an mir abnehmen, wie viel ihm die Gefälligkeit kosten mußte, als erbetener Zeuge einer, für Herz und Verstand gleich widrigen Handlung beizuwohnen, und fand es bei seinem Mißmuth sehr natürlich, daß er sich einen Begleiter zugesellt hatte, aber leider! hätte er zu seiner Zerstreuung keinen unfähigern wählen können als mich. Unsere beiden Seelen schwammen in gleicher Wehmuth, die unter allen sympathetischen Gefühlen am wenigsten sich mit Worten abgiebt. O wie lang ward mir der Weg nach dem, von der Stadt ohnehin ziemlich entfernten Kloster, und doch wie erschrak ich, als wir endlich nach drei langweiligen Stunden vor dem Eingange der Kapelle still hielten, hinter der das mit Hängeweiden und Cypressen umgebene gothische Gebäude vorragte. Allgütiger Gott! seufzte ich, wie kannst du zugeben, daß man eins deiner freien frohen Geschöpfe – ach deiner herrlichsten eins! in den Kerker dieser Einöde versperre. Muß nicht dem armen Kinde das Herz verbluten, wenn es jetzt aus seiner Herreise zum letztenmale von gaukelnden Vögeln umzwitschert, von balsamischen Lüften umweht, dieses schaurige Gemäuer erreicht, und hinter ihm die Pforte zurasselt, die es auf ewig von dem so freundlich winkenden Frühling – den schönsten Hoffnungen seines Geschlechts und jenen Fühllosen trennt, die seiner kindlich und schwesterlich wimmernden Liebe – doch immer Noch werth bleiben!

Unter so peinlichen Gedanken wankte ich dem Kirchner nach, der uns eine Loge dem Altar gegen über anwies, die durch eine Glasthür in der Mitte zweier Fenster von dem Schiffe der Kirche abgesondert war. Durch den flornen Vorhang, der die Zuschauer verbarg, schimmerten zunächst zwei einander überstehende schwarz beschlagene Bänke meinen feuchten Augen entgegen, und an den beiden Seitenwänden zogen sich die vergitterten Schranken der[58] Nonnen herum. So lange ich und der Marquis allein waren, übersah ich noch so ziemlich gelassen dieß geistige Hochgericht; als aber bald nachher der Vater und Bruder des, seinen Schlächtern nun schon ausgelieferten Lammes hereintraten, empörte sich mein Innerstes so heftig bei ihrem Anblicke, daß ich kaum über mich gewinnen konnte, ihnen ihre höfliche Verneigung kalt zu erwiedern. Die heuchlerische Miene, mit welcher der erstere sogleich auf die Knie fiel, täuschte mich so wenig als das bleiche abgehärmte Gesicht des andern. Mag es meinetwegen wahr seyn, was mir der Wirth zu Toulon von ihm erzählte; es schändet den eigennützigen Jüngling nur desto mehr, daß er lieber seiner Braut und den Pflichten der Ehre und der Menschlichkeit, als dem schwesterlichen Erbantheil entsagte, der ihm, trotz der tollen Verordnung der Mutter, nicht zukam. Ich konnte diesen Abscheulichkeiten nicht länger nachgrübeln, denn jetzt fingen die Glocken zu läuten an, und der Beförderer und Exekutor des schwärmerischen Testaments, der Dominikaner, erschien, warf sich vor den Altar und betete so lange im Stillen, bis jene schwiegen, und nun ein zweistimmiger, aus den Klausen der Nonnen sanft hervorwallender Choral das Trauerspiel eröffnete. Indem sich der Geistliche seiner Bank zur linken Seite unserer Loge näherte, trat zugleich auf der rechten, – o wie stiegen mir die Haare empor – die Verurtheilte, weiß gekleidet, hinter einem Kirchstuhle heraus, und bewegte sich an der Hand ihrer Erzieherin, mit niedergeschlagenen Augen feierlich langsam nach ihrem Sitze. Diese bot ihr einen Flacon zum Riechen. Sie dankte der Freundin, ohne ihn anzunehmen, durch ein gutmüthiges Lächeln für ihre Besorgniß, und verbeugte sich gegen den Mönch, der nun, die Schreckensurkunde in der Hand, seinen Vortrag in schlichtem Predigerton anhob: »Der erste Laut meines Mundes an diesem Zufluchtsort unserer Andacht, sei der Glorie des Allweisen und Unerforschlichen und dem Andenken jener zu seiner Herrlichkeit Uebergegangenen geweiht, der Sie, theures Fräulein, das Daseyn verdanken. Der Glanz ihrer Sterbestunde erhelle die gegenwärtige, die uns beide zu dem gemeinschaftlichen Zwecke vereinigt, den letzten Willen der Verewigten zu vollziehen. Die schönste und größte Verbindlichkeit[59] eines Kindes ist Gehorsam, und Ehrerbietung für Aeltern das erste Gebot, das Verheißung hat. Sie haben sich bereits, dem mütterlichen Verlangen gemäß, zur Annahme des heiligen Schleiers erklärt, und dieß stille Kloster gewählt, wo Sie Ihre übrigen Tage ruhig und Gott gefällig zu verleben gedenken; das Ihnen zur Befolgung gesetzte Ziel ist erreicht. Sie stehen zum letztenmal freigelassen hier, vor meiner segnenden Hand, um Ihren gereiften frommen Entschluß zu bestätigen und zu erfüllen, und so wird es Ihnen wohl gehen, und Sie lange leben auf Erden. Wie festlich muß Ihnen, nach siebenzehn verlaufenen Jugendjahren, nicht heute die Erinnerung an den Tag Ihrer Geburt durch die Feier Ihres Gehorsams und Gelübdes werden, das Sie abzulegen bereit sind.« Bei diesen Worten entfielen einige Tropfen den Augen des lieben Kindes. Der Mönch, der sie nachdenkend anblickte, hielt so lange inne, bis sie wieder gefaßt war, und fuhr dann herzlicher fort: »Ihre Traurigkeit, Theuerste, ist vorübergehend, wie der Schmerz einer Gebährenden. Der Allmächtige wird sie in Freude verwandeln. Diese Thränen, hoffe ich, sind der letzte Tribut, den Ihre Dankbarkeit dem Andenken eines vergangenen glücklichen Lebens zollt; denn wie könnte, da Sie mit heute ein dreimal froheres beginnen, es Ihrem Herzen schwer fallen, jenen vergänglichen Freuden der Welt, an denen es Theil nahm, zu entsagen, und sie höhern Befriedigungen aufzuopfern. Habe ich wohl nöthig, Ihnen bei dieser Landung aus einem Meere voll Gefahren und Stürme tröstend entgegen zu kommen – wohl nöthig, Sie zu ermahnen, den Allwissenden durch ein freimüthiges Bekenntniß aller werthlosen Anhänglichkeiten an das Irdische, von denen sich Ihr Herz jetzt trennen und reinigen soll, zu ehren, da es längst dem meinen geöffnet, sich nie der Erforschung seines treusten Rathgebers und Beichtigers zu entziehen gesucht hat? Sollte es aber dennoch, mir unbekannt, sich einer weltlichen Sorge bewußt seyn – sollte noch ein Wunsch an ihm nagen, den es treulos begriffen wäre, gleichsam als einen verheimlichten Raub, in diese, der Seelenruhe geweihte Wohnung mit hinüber zu nehmen, so –« Hier überzog eine flimmernde Röthe die blassen Wangen des erschrockenen Kindes,[60] es brach in unaufhaltsame Thränen aus, zitterte, rang wehmüthig die Hände, und versetzte durch diesen Anblick den erstaunten Priester in einen heiligen hell auflodernden Eifer. »Fräulein,« erhob er feierlich seine Stimme, »ich lege, ja, unter der strengsten Verbindlichkeit eines Eides und bei der ewigen Wahrheit, deren berufener Diener ich bin, lege ich Ihrem Gewissen auf, jenes verborgene noch nicht getilgte Gelüste Ihrer Seele unverhehlt zu bekennen, das in dieser Stunde der Entsagung noch mächtig genug ist, Ihre Standhaftigkeit zu erschüttern, damit ich an Gottes Statt ...« doch hier erlaubte ihm sein Mitleiden nicht weiter zu sprechen, denn seine Beschwörung, die schon mir beinah alle Besinnung nahm, in welchen Zustand versetzte sie nicht vollends dieß zarte weibliche Wesen! Sie ergriff und drückte in höchster Seelenangst die Hand ihrer jammernden Freundin an das gepreßte Herz, und verbarg die Augen unter dem Tuche, das ihre Thränen einsog. Dieser Anblick war so rührend, daß er selbst die lieblosen Zeugen erweichte, in deren Mitte ich stand. Ich hörte, wie sie sich von den Fenstern zurückzogen, um sich nicht durch ihr Schluchzen zu verrathen, doch vergönnte ich ihnen keinen meiner Blicke, die fest an den leidenden Engel geheftet blieben. Nach einer minutenlangen furchtbaren Stille, während welcher der Mönch für die Beruhigung der so peinlich Befragten zu beten schien, richtete sie ihr holdes Gesicht in die Höhe, wendete es mit ernster Andacht gegen den Altar, und von da zu ihm. Ihre Blicke waren erheitert. Frohes Bewußtseyn der Unschuld ruhte auf ihrer Stirn, und mit fester Stimme, die Hände in Begeisterung erhoben, begann sie: »So vernimm denn, Gesalbter des Herrn, an dieser der Buße und Wahrheit geheiligten Stätte, das Geheimniß meines schwachen, aber unsträflichen Herzens, vernimm jenen süßen Irrthum, in den es sich selbst für den trefflichen Mann verlockte, der meine Kindheit geleitet, Tugenden und Kenntnisse in mir erweckt, und sich meines dankbaren Gefühls endlich bis zur Entkräftung jeder andern Pflicht, in solcher Stärke bemeistert hat, daß mir immer in seiner Abwesenheit bange, ach! so bange wie einer Verlassenen war. Ich konnte an keinem der Tage, in welchem eine Stunde der Erwartung lag, meinen Wohlthäter[61] zu sehen, weder beten noch arbeiten. Mehrmal habe ich in nächtlicher Täuschung geträumt, daß mein Vater seine Hand in die meinige legte und uns segnete, und wenn ich erwachte und mich besann, vergoß ich bittere Thränen über die Unmöglichkeit ihm anzugehören. Willst Du das Liebe nennen, nun so habe ich hoffnungslose Liebe für einen Tugendhaften empfunden. Mein Herz unterwirft sich in Demuth dem wohlthätigen Krummer, mit dem mich, o schon längst! seine Gleichgültigkeit bestrafte; denn ich bekenne, ehrwürdiger Herr, daß sie es, und Gott möge sich meiner erbarmen, allein war, die mich antrieb dem mütterlichen Willen zu gehorchen, und mir, nach langem Kampfe, meine Bestimmung zum Kloster wünschenswerth gemacht hat. So gebrauchte der Allgütige die Würde dieses Mannes, um mich auf den geheiligten Weg zu leiten, den ich jetzt nur desto williger und zufriedener betrete, da er mich mit der edelsten meiner Jugendfreundinnen wieder vereinigen wird, die ihn aus mitleidiger Liebe zu mir voranging. Gute großmüthige Montbasson –« Gin Erguß zärtlicher Thränen unterbrach eine ganze Weile den Wohlklang ihrer Stimme. Herrlicher und reizender habe ich nie ein Weib gesehen, Eduard, als es diese angehende Nonne in den erhabenen Augenblicken war, aus denen ich ihr nachlalle Bescheidenheit, Muth und Ergebung strahlten aus den großen blauen Augen. Die höchste Reinheit der Seele tönte von den befeuerten Lippen. Jeder warme Ausdruck ihres herzlichen Geständnisses entfaltete eine Rose mehr auf den jugendlich verschämten Wangen. Ich war so verloren in der körperliche und geistigen Schönheit dieses unvergleichlichen Kindes, daß ich mich selbst nicht nach dem Mitgenossen meiner Trunkenheit umsehen mochte, der, vorgebogen über das Fensterpolster mit klopfendem Herzen an meine dort ruhende Hand, den Bewegungen des meinigen sympathetisch zustimmte. Sie aber, nun über alle Wehmuth erhaben, und in dem glücklichen Wahne, sie stehe nur vor den Augen Gottes, und kein menschlicher Zeuge, außer den vertrauten Beiden, denen sie die Tiefe ihres hingegebenen Herzens öffnete, könne das Verathmen seiner letzten Seufzer vernehmen, rief mit schmelzender Stimme: »Meine Seele,« rief sie dem Dominikaner in dem schauernden[62] Augenblicke zu, da er seine Hand aufhob, um ihr Gewissen loszusprechen, und sie zu ihrem furchtbaren Beruf einzusegnen, – »fühlt sich jetzt gestärkter, und zu dem Hingang aus der Welt meiner Jugend bereit, nur, daß ich aus ihr so manchen weisen Rath, so vielen Stoff zu hohen Betrachtungen in meine einsame Armuth mitnehmen soll, ohne Ihm, der mich damit ausstattete, dafür danken zu können – nur dieß noch beklemmt mir die Brust. – Ach! findest Du nichts tadelnswürdiges in meinem Verlangen, so übernimm und berichtige, ehrwürdiger Vater, diese Schuld meiner Erkenntlichkeit. Gott, schluchzte sie, faltete die Hände und schlug die Augen gen Himmel, möge ihn segnen und beglücken! Es soll mein tägliches Gebet seyn! Sage ihm dieß zu meinem Abschied.« »Ja, Fräulein,« antwortete der Greis und wischte sich die Augen, »ich will gern und gewissenhaft Ihren Auftrag ausrichten, sobald Sie mich noch belehren wollen – an Wen?« Betroffen staunte das reizende Geschöpf bald den Geistlichen bald ihre Aufseherin an. »Ach!« erwiederte sie endlich, »bedarf es wohl noch des Namens?« – o daß doch der Meine einmal so hoch gewürdigt, solch einem Herzen entquellen, über solche Lippen fließen möchte! – »des Namens meines Wohlthäters? – Ihres edeln Freundes – Saint-Sauveur?«

Und in demselben Augenblicke, in welchem dieß große Losungswort verhallte, sprengte Er, den es zur höchsten Seligkeit eines Sterblichen berief, dessen ahndendes Herz, wie ich nun sah, so ungestüm über meiner Hand geschlagen hatte, die Mittelthür unsrer Halle auf – umschlang in sprachloser Herzenserschütterung die aus dem Schrecken der Ueberraschung ohnmächtig dahin Sinkende, riß ihr den Schleier ab, und drückte wild seine Lippen auf die ihrigen. Und in derselben Sekunde flogen diesem Engel zwei andere aus ihren Wolken zu, die der Betäubten die Schläfe bestrichen, und unter Küssen, Wimmern und den zärtlichsten Fragen – Klara, liebe Klara, kennst du denn deine Montbasson – siehst du denn deine Agathe nicht? – die Erblaßte wieder ins Leben, und Gott im Himmel! in was für ein wahrhafteres Leben zurückriefen. Und in derselben Minute drängten und schmiegten sich Vater und[63] Bruder an die unverlorne Tochter – an die gerettete Schwester, und der Mönch ging und warf sich in abgezogener Andacht vor den Altar. Nur ich, der nicht wußte, wie ihm geschah, der die verdeckten Kräfte nicht begriff, die in dem Augenblicke der Entscheidung mächtig genug seyn konnten, den Schlag aufzuhalten, der über der armen Verurtheilten schwebte, ich, dem dieselben beitzenden Tropfen, die ihm das herbste Gefühl kurz vorher in die Augen getrieben hatte, jetzt als labender Thau über die Wangen zitterten – ich allein blieb in stummem Erstaunen, unbeweglich auf einer Stelle zwischen der offenen Glasthüre stehen. Wen sollte ich über das Wunder dieser Verwandlung befragen? Von wem konnte mein Ruf, in diesem Sturme tobender Leidenschaften, eine hörbare Antwort erwarten? Ach diese Seligen genossen, wie ihre Gespielen im Himmel, ihres überschwenglichen Glücks, ohne des Neugierigen zu achten, der sich mit geblendeten Augen in das Unerforschliche verlor. Umsonst, daß in diesem Schauspiele des Entzückens mein spähender Blick jeder Richtung der Freundschaft, Liebe und Hoffnung nachschlich, die sich hier aus Mienen, Küssen und abgebrochenen Worten ergaben; denn kaum hatte meine geschäftige Einbildungskraft aus den erlauerten Bruchstücken einen unhaltbaren Roman zusammengesetzt, so riß ihn auch meine kältere Beurtheilung eben so geschwind wieder ein. So schwebten meine verworrnen Gedanken noch über der rührenden Gruppe, die sie veranlaßte, als der Dominikaner, von seinen Knieen erhoben, langsam und doch unbemerkt, sich den, in ihrem Glück Versunkenen näherte; doch so bald er in ihrem Kreis stand, waren aller Augen auf ihn, aller Ohren auf seine Worte gerichtet. »Ich sehe Sie, würdige Verwandte der Ewigkeit,« enwickelte sich seine rührende Anrede, »durch die irdische Freude des Wiedersehens zu Empfindungen hingerissen, die mit diesem der stillen Andacht geweihten Orte unverträglich seyn würden, hätte sie nicht der letzte Wille einer frommen Gattin und Mutter herbeigerufen, entsündigt und zu höhern Endzwecken geheiligt. Preis und Dank dem Unendlichen, daß ich diesen Tropfen Zeit noch zu schmecken, und dem Verstummen einer Sterbenden noch meine Stimme zu leihen vermag. Ich erkenne mit Erstaunen[64] und Demuth, daß selbst die verhallten Pulsschläge eines längst verwesten Herzens in der großen Harmonie der Schöpfung noch forttönen, und die ewige Liebe jenes letzte Lallen mütterlicher Zärtlichkeit der Erhörung noch werth achtet. Möge der helldunkle Glanz dieser Stunde, die das Stöhnen des Todes mit dem Jubel des Lebens verknüpft, sich hienieden, o Fräulein! über alle Ihre Handlungen verbreiten! Möge Ihre irdische Liebe sich immer, wie heute, den Gränzen einer unvergänglichen anschließen – der Strom Ihrer Tage unter unverwelklichen Blumen verrauschen, und Sie einst in die Arme der Verherrlichten überschiffen, die vormals, an dem heutigen, unter den schwersten Qualen einer Gebährenden, Sie zu dem gegenwärtigen Freudengenuß mit Erde und Himmel verband!« Die Begeisterung des Greises, die sich seinen Zuhörern wundersam mittheilte, spannte seine und ihre Kräfte bis zur Erschöpfung. Unsere hochklopfenden Herzen arbeiteten wie Gewitterwolken; auch kam ihnen die Natur wie jenen zu Hülfe, und ein Erguß von Zähren entlud sie des Feuers, das in ihrem Innern loderte. Sie rieselten über den schneeweißen Bart des ehrwürdigen Mönchs, und senkten sich, wie Morgenthau, der welkende Lilien aufrichtet, sanft auf jede weibliche Brust, die hier in der seligsten Erleichterung an den ängstlichen Schleier andrang. O Eduard, welche Sabbatsfeier! Sobald sich der Redner gefaßt hatte, ging er in milderem Tone fort: »Sie, würdige gehorsame Tochter, haben nun das Recht errungen, sich und den Mann zu belohnen, der Ihr Herz und Ihren Verstand bildete, und Sie längst unaussprechlich liebend dennoch Muth genug hatte, sein Geheimniß bis zur Aufklärung des Ihrigen – bis zu dem gegenwärtigen festlichen Augenblicke, dem er zitternd entgegen sah, zu bewahren. Sie überwanden Menschenfurcht, weibliche Schüchternheit und trügenden Schein in der großen Entscheidungsstunde Ihres Schicksals – nannten den Namen des Erwählten, und indem Sie ihm auf ewig zu entsagen glaubten – o wie vergilt Ihnen der Gott der Wahrheit den Kampf Ihrer edeln Seele! – fesselten Sie den Glücklichen mit Banden an sich, die weder Zeit noch Ewigkeit zerreißen wird.« So rührend auch die Herzlichkeit war, in der dem frommen Alten diese Worte[65] entflossen, so ward es doch seine Rede noch mehr, als er sein freundliches Gesicht von der schönen Verlobten ab, unerwartet für uns alle, gegen den Bruder wendete, der trauernd und blaß seinem Vater zur Seite stand. »O wie hat der Allgütige,« rief er, »meinen kurzen Hinweg zum Grabe mit Spätrosen bestreut! Sohn meiner verklärten Freundin! So lange mir mein Eidschwur die Zunge noch band, lag es nicht in meiner Gewalt die Leiden Ihrer Unschuld zu endigen, Ihre hohe Tugend gegen ungerechten Verdacht in Schutz zu nehmen und den nagenden Gram Ihrer Seele zu mildern. Alles peinlichen Zwanges endlich entbunden, vernehme jetzt jedermann aus meinem Munde, daß der großmüthige Jüngling, taub für jede Lockung des Eigennutzes, selbst der mütterlichen Prüfung nicht unterlag. Ernstere Verordnungen, die erst heute Kraft erhalten die vorhergegangenen scheinbaren aufzuheben, würden ihn für den Mißgriff seiner Selbstsucht bestraft haben, wenn er nicht, in Uebereinstimmung der zärtlichen Hoffnung seiner redlichen Mutter, schon vorlängst ihrem blendenden Vermächtnisse entsagt, und es dem Kloster zugeeignet hätte, das seine geliebte Schwester zum Aufenthalte wählen würde. Diese für das Andenken an den Edelmuth und die Bruderliebe des Ausstellers fest stehende Urkunde erwartet jedoch, um als Schenkungsbrief gültig zu werden, annoch die freie Einwilligung derjenigen, die von nun an über jede fromme Anwendung ihres Erbtheils allein zu verordnen hat.« Eine sonderbare Erwartung, dachte, und warum, seufzte ich, muß doch der gute Mann, dessen Kutte ich bis jetzt auf das toleranteste übersah, sie mir, mitten in seinem rührenden Vortrage, so ärgerlich unter die Augen rücken? Doch nöthigte er mich, sie aufs neue zu übersehen, als er in dem überzeugendsten Tone fortfuhr: »Verschwunden ist nun der Irrthum, der auch Sie täuschte, tugendhafte Montbasson – verschwunden das Blendwerk vieler Jahre, das Sie, alle um mich Versammelte, durch rauhe unbekannte Wege führte, um Ihre Blicke am Ende mit der herrlichsten Aussicht, die sich aus diesem Leben in jenes verliert, zu überraschen. Der Lohn, meine würdigen Freunde und Freundinnen – indem er zwei versiegelte Päckchen hervorzog, das eine der Tochter, das andere dem[66] Sohne überreichte – der Lohn Ihrer Beharrlichkeit in der Tugend – die glückliche Beendigung meines Auftrags – die Beweise desselben und die Erfüllung so vieler in einander greifender Wünsche, liegen nun in Ihren Händen, und werden Ihnen herzerhebender zusprechen, als ein hinfälliger Greis es vermag.« Welch ein freudiges Erschrecken ergriff nicht beide Geschwister, als sie die mütterlichen Handzüge erblickten – die Aufschrift an meine gute Klara – an meinen geliebten Ferdinand lasen, und jene zärtlichen Töne aus ihrer Kindheit wieder zurückschallen hörten. Wie vermischte sich nicht Vergnügen und Wehmuth in ihren Gesichtern, als sie die Siegel des Umschlags erbrachen und jedem das Bild seiner Mutter und ein Brief von ihr in die Hand fiel. Welches Herz hätte beim Anblick der guten Kinder ungerührt bleiben können, die jetzt in einer langen Umarmung das Andenken der Abgeschiedenen feierten – dann zu den Stufen des Altars eilten, um bei der Andacht, mit der sie sich nun in die heilige Urkunde vertieften, keinen andern Zeugen zu haben als die Gebenedeite, die, von Guido Rheni gemalt, freundlich auf die Lesenden herabblickte. Keiner von uns übrigen wagte durch einen Laut die heilige Stille, die uns umgab, und den Nachklang aus dem mütterlichen Grabe zu stören, der an die beiden schön verschwisterten Seelen anschlug. Dafür erhoben sich aller Herzen auf das froheste mit ihnen, als sie zu unserm Kreis zurückeilten, und sich nun Sohn und Tochter dem glücklichen Vater zu Füßen warfen. Ihre trunkenen Blicke mußten für sie sprechen. Sie hatten einen Fund in der mütterlichen Zuschrift gethan, einen goldenen Fingerring, der sich von selbst verständlich machte und den sie ihm entgegen hielten; aber Er, der eben so vergebens nach Worten rang, blickte gen Himmel, umarmte – und mit bethränten Augen verwies er seine Kinder auf den Boten Gottes, der ihre Aufmerksamkeit zu fordern schien. »Klara,« rief der Mönch, »Sie haben des Vaters, der Mutter und den Segen Gottes aus meinem Munde zu dem Uebergange aus dem jungfräulichen in den ehlichen Stand, und so folgen Sie denn Ihrem großen Beruf.« Freudig gehorchend reichte jetzt das liebe Kind den goldenen Reif ihrem Auserwählten, der ihn entzückter als ein[67] Eroberer die Krone eines Welttheils empfing. – »Und Sie, trefflicher Jüngling,« fuhr der Redner gegen den Bruder fort, »der Sie den Gegenstand Ihrer Liebe aus immer für verloren hielten, als er Ihnen am gesichertsten war – lesen Sie in den Blicken Ihrer Freundin Ihr längst verdientes, nur verzögertes Glück, das von heute an alle Ihre Lebensstunden begleiten wird.« Und die Edle ergriff mit ihrer linken die Hand der Schwester – reichte die rechte dem Bruder, blickte auf zum Himmel, als ob sie von der Mutter ihres Geliebten einen beifälligen Wink auf den ersten Kuß der Belohnung herabziehen wollte, den sie mit bebenden Lippen den noch bebendern des als Bruder und Sohn gerechtfertigten Mannes aufdrückte, und nun mit heiterer offener Stirne das dem Grabe abgewonnene Kleinod aus seinen Händen nahm. Wäre in dieser feierlichen Minute aus der obern Sphäre ein Halleluja, vom Harfenklange der Engel begleitet, in diesen Tempel gedrungen – ich würde es ohne Erstaunen gehört, für kein Wunder gehalten haben.

Welch ein Strom unnennbarer Empfindungen mußte nicht jetzt diese beseligten Herzen durchbrausen, da selbst das meine in Gefühlen strudelte, die es zuvor noch nie erfahren, nie geahndet hatte. Der frohen Theilnahme an diesem herrlichen Schauspiele stiegen verstohlne Wünsche, tief geschöpfte Seufzer nach, die sich so hoch noch nie gewagt hatten. Noch nie war mir die Liebe und ihr größtes Loos – eheliches Glück – in diesem Glanze erschienen, und nie hatte ich mich verlassener gefühlt als in dieser laufenden Stunde. Im Drange mir so neuer Wallungen war mir daher wie einem Durstigen zu Muthe, dem von fern in der Einöde ein rieselnder Quell schimmert, als meine bis jetzt zerstreuten Gedanken sich auf Agathen hefteten. Ich überstaunte die holde Gestalt mit einem Feuer, das alle meine Sinne zu verschmelzen drohte, und wie sehnte ich mich, daß nur einer ihrer liebenden Blicke sich auf mich Armen verirren möchte, die sie einzig ihrer Busenfreundin zuschickte.

»Die sinkende Sonne« – riß jetzt der Mönch uns alle aus unserer süßen Betäubung – »ziehe ihre letzten Strahlen als Krone über dieß große gemeinschaftliche Fest. Fräulein von St. Aignan,[68] Herr von St. Sauveur – ich rufe – als Priester dieses Heiligthums – rufe ich Sie beide Verlobte, und in gleicher Eigenschaft auch Sie auf, Herr von St. Aignan, Prinzessin von Montbasson, mir an die Stätte unsrer Anbetung des Allsehenden, Unerforschlichen und Gnädigen zum Empfang der heiligen Weihe Ihrer Verbindung zu folgen.« Er schwieg – Ein wehmüthigzärtliches Lächeln durchflog die erröthenden Wangen der Aufgerufenen. Ihre feuchten Augen, zitternden Hände und gleichgestimmten Seelen begegneten sich, und in geschlossener Reihe traten sie dem ehrwürdigen Priester nach. Und als er nun vor dem Altare stand, beugte er dreimal sein graues Haupt über die gefalteten Hände, wendete sich darauf in dem Glanze seines Alters gegen die frommen gehorsamen Kinder, sprach in rührendem Ton über jedes Paar das Gebet der Trauung, legte seine beiden Hände auf ihre Stirne und segnete sie. Und die zur Ehe geweihten fielen auf ihre Knie und erhoben in sprachloser Andacht ihre Blicke zu der Madonna, dem Sinnbilde hoher weiblicher Würde, das von dem Schimmer der Abendsonne geröthet auf die Gruppe der Betenden herrlich zurückglänzte. Eine Stufe niedriger war Klarens Vater und ihre Erzieherin, und an der Seite Agathens auch ich niedergefallen. Mein stilles Gebet schwebte in seliger Seelenvereinigung mit dem ihrigen empor. Ich erhob, wie sie, – o Eduard, wie würde ich mich gestern zu Cotignac dessen geschämt haben – Augen und Hände zu der unbefleckten Jungfrau, und hoffte unter heißen Thränen – nenne es Verirrung, nenne es Schwäche meines Verstandes – aber hingerissen von unwiderstehlichen Empfindungen, hoffte ich ihre Fürbitte bei Gott für den Besitz des lieben Kindes neben mir zu erflehen, dessen schmachtende Augen, in Betrachtung vertieft, der Seelengröße nachzufeuern schienen, die Guido seinem göttlichen Ideal angeprägt hatte. Freude und Wünsche umrauschten die Vermählten, als sie von den Stufen des Altars herabstiegen, und ach! ich wähnte die Umarmung zweier Verklärten zu sehen, als Agathe Klaren an ihre Brust drückte. Der Mönch, nach einigen leisen Worten mit dem Vater, grüßte uns alle und entfernte sich. Der Kirchner öffnete eine Seitenthür der Kapelle. Eine Wendeltreppe leitete uns nach[69] einem gewölbten Gange, in welchen wir Paar für Paar eintraten. Zu einer andern Zeit würden seine gothischen Fenster von farbigem Glas meine volle Aufmerksamkeit angezogen haben, aber ich führte Agathen, und wäre der Boden mit meiner Scheiben-Sammlung belegt gewesen, ihre Zertrümmerung hätte mich doch, glaube ich, nicht aus dem stolzen Takt meiner Tritte gebracht. Als wir an das Portal kamen, hob Klara die Hand ihres Befreiers an die Stirn, und blickte, wie wir, mit Wohlbehagen noch einmal auf das düstere Gemäuer zurück, das wir verließen, indem die beiden Flügel der Klosterpforte aufflogen – und wie ich mir denke daß es seyn wird, wenn am Tage der Auferstehung die Gräber sich öffnen – wir aus ihrer Finsterniß hervor hinüber in die Verklärung treten, und einander zujauchzen: Wo bin ich? Wo bin ich? – so, Eduard, war uns in dem Augenblicke des Austritts zu Muthe – denn wir standen – und unsre Gedanken verloren – unsre Begriffe vermengten, und alle unsre Sinne empörten sich – wie durch Gottes Finger berührt und in das innere Heiligthum seiner Größe versetzt, standen wir mit hinstrebenden Augen, wankenden Füßen und aufgehobenen betenden Händen vor dem überwältigenden Schauspiele, das ich Dir letzthin mit eben so schwachen Worten, als diese, zu versinnlichen suchte, vor dem hinunter wallenden brennenden Balle der Sonne, sahen erstaunend jenes Thal der Unschuld und Freude, unter dem dunkelblauen Ueberhange des Abends, wie ein Kind der Liebe der mütterlichen Natur in dem Schooß liegen. Das Wunder dieser Erscheinung wirkte gleich einem heftigen Fieber auf diejenigen, die es zum erstenmal erblickten. Fest an einander gedrängt, flammten ihre Augen, klopften ihre Herzen im Einklang – und jede Brust schmiegte sich an die andere, aber sie alle genossen des Erstaunens wie Kinder, ohne zu fragen. Mich allein belehrte die Erinnerung. Ich erkannte die Sonne, die ich besang – das Thal, dem ich schon so viele Freuden verdanke – den Landsitz meines Freundes – den Felsen meiner Wiedergeburt, und wurde bald überzeugt, daß der Balkon, von dem wir herabsahen, über dem Eingange des Steinbruchs schwebe, an dem, wie Du weißt, meine Baukunst so erbärmlich[70] scheiterte – aber Gott im Himmel! durch welche Räthsel hängt hieß alles mit dem Kloster – den Urselinerinnen und der Feengeschichte Klarens und ihres Bruders zusammen? O du Schöpfer unnennbarer Empfindungen, theurer romantischer Saint-Sauveur! welche Kräfte standen hier deinem Systeme zu Gebote, und wie unwiderleglich hast du nicht heute seine ganze Schönheit entfaltet! Seine Augen hatten schon lange in stillem Seelengenusse an den süßen begeisterten Blicken des holden Kindes gesaugt, das in sich selbst vertieft mit schwellendem Busen in das magische Spiel des schwindenden Tages hinstaunte, ehe er dem noch größern Entzücken nachgab, das theuer errungene Geschöpf in die Arme schloß, und sein volles Herz sprechen ließ: »Hier, Klara – hier in diesem Prachttempel der Natur wollen wir, fern von Klöstern und ihren Frömmlern, ein thätiges – und dem, der uns einander geschenkt hat – wohlgefälliges Leben genießen. Alles, was du heute gesehen, gefürchtet und erfahren hast, war Täuschung – nur die erhörten Wünsche deiner sterbenden Mutter – der Auftrag des redlichen Mönchs – nur meine Liebe, meine langgenährte unaussprechliche Liebe waren es nicht. Was du als verloren dahin gabst, ist dein Eigenthum geworden. Nur für den Einklang, für den Austausch unsrer Herzen habe ich diesen Felsen gehöhlt, und der erste Segen Gottes, der in dieser Halle von seinem Diener gesprochen wurde, fiel auf dein Haupt. Unter allen Altären zur Ehre Gottes, wo in der weiten Welt wurde ihm, als in dieser Kluft, einer errichtet, der seiner würdiger wäre? wo ist je einer geschmückter gewesen, als dieser durch die Blüthen deines kindlichgehorsamen, frommen und edlen Herzens? Ewigen Dank, theures Weib, für das Wort der Liebe und Weihe, das ihm entquoll. Es müsse mich einst vor dem Throne Gottes verklagen, wenn ich je des Wohlklangs vergessen könnte, mit dem es an das meinige anschlug. Ich habe dich errungen. Kann ich wohl seliger werden?« – – Unter welcher zarten weiblichen Erschütterung folgte nicht das holde Mädchen dem Strome dieser Worte! Nur Seufzer der innigsten Freude unterbrachen seine Rede, und heilige Thränen belohnten den geliebten Schwärmer. Seine Seele brauchte Erholung.[71] Sie ruhte aus auf der Höhe ihres Entzückens, dann stieg sie erleichtert, sanft und freundlich zu dem niedern Zirkel herunter, der im Stillen ihrem Auffluge nachblickte. »Vergieb mir,« wendete er sich zuerst an Agathen, »die lange Angst, der ich dich am Eingange eines ewigen Kerkers aussetzte. Der heutige Festtag führt dich der freien Luft, der Natur und der treusten Freundschaft zurück. Vater meiner Klara, und auch Sie, vortreffliche Frau, die sie mir erzog – habt Dank, Ihr guten Menschen, für das große Geschenk, das Ihr meiner Liebe aufhobt – O dieser einzige Abend! welch einen edeln und glücklichen Zirkel umspannt er nicht!« St. Aignan, für jede Theilnahme an Anderen – nur in den Blicken seiner Montbasson verloren, bemerkte nicht einmal, mit welchem feinen Gefühl ihn sein freundschaftlicher Schwager überging und seine Hand mir reichte. »Guter, stolzer Berliner, kam er mir entgegen, wie kitzelt es mich, daß auch du Zeuge des Glücks eines Franzmanns in der schwierigsten Eroberung – und« – setzte er lächelnd hinzu – »auch der Wahrheit seiner Ueberraschungstheorie seyn konntest.« – »Meinen ganzen Beifall,« stammelte ich, und drückte thränend ihn an mein gepreßtes Herz. Seine trauliche Ansprache und Umarmung zog mich, als hätte mir unser Monarch das Band des Verdienstes umgehangen, auf einmal aus meiner Dunkelheit hervor. Klara erinnerte sich unsers nächtlichen Spazierganges mit bedeutenden Winken. Ihre Erzieherin bot mir ihre Dose, und Agathe von selbst ihren Arm, als die Gesellschaft ihren hohen Standpunkt verließ. Während schon die Abendröthe zu verblassen anfing, leitete uns der liebe Mann eine versteckte Treppe herab, durch schlängelnde Akaziengänge des Parks, seinem Wohnsitze zu. Ich bemerkte, so für mich, daß wir uns doch ein wenig über die Zeit mit unsern Entzückungen auf dem Balkon verweilt hätten, denn ich konnte kaum Agathens Gesichtchen mehr erkennen – aber wie schnell verstummte meine Kritik, als mir beim Austritt aus dem düstern Gebüsche das Schloß unsers Anführers mit tausend bunten Lampen, wie mit Diamanten behängt, entgegen strahlte. Ein neuer überraschender Anblick, jedoch nur weniger Minuten. Wir huldigten nur so lange der Pracht und der Kunst,[72] bis sie uns selbst an die schönere Natur und durch eine vortretende Inschrift über dem Eingange an das dreifache Fest der Geburt – der Erlösung und der anbrechenden Vollendung des gefeierten Mädchens erinnerten. Unsre geblendeten Augen, alle zugleich, wie durch den Druck einer Feder, auf die Einzige gerichtet, erfaßten, umschlangen und entwickelten nun die schlanke, holde, siebenzehnjährige Gestalt – Die Bebungen des durch die kleinsten Fältchen ihres sittsamen Nonnengewandes spielenden Lichts setzten ihre Schönheit in einen so ätherischen Schimmer, und uns alle in eine so optische Täuschung, daß in einer Art taumelnder Erwartung: jetzt werde Sie der Erde entschweben, eine Zunge der andern den Ausruf abnahm: Welch ein Mädchen – welch ein überirdisches Mädchen! Ach, sie ist zum Engel geboren. Spotte nicht etwa, guter Freund, meiner enthusiastischen Schilderung! Niemand fühlt die Anstrengung der ohnmächtigen Sprache lebhafter als ich; aber ich kämpfe hier so vergebens mit Worten, wie Raphael bei dem letzten Gemälde seiner Hand mit den Farben: denn welcher Sterbliche vermag das Ideal einer Verklärung zu erreichen? Während dieses Vollgenusses des Gesichts schienen meine vier übrigen Sinne wie in dem tiefsten Schlafe versunken, aber nur zu bald wurden auch sie berührt, erweckt und in die Bezauberung des ersten verflochten; denn als wir auf einen Wink des Gebieters Hand in Hand uns seinem Tempel näherten, die Thüren zwischen flammenden Säulen aufflogen, – Rosenduft unsern Geruchsnerven – Töne der Harmonika unserm Gehör entgegenschwammen – zwölf gaukelnde Genien uns zum Hochzeitmahl einluden – da wußte wahrlich kein Sinn mehr, welcher, in dieser allgemeinen Befriedigung, der glücklichste sei. Wir würden uns gern für Geister gehalten haben, hätte nicht der eintretende Hunger, als wenn er von einer langen Reise zurückkäme, seine vergeßlichen Freunde belehrt, daß sie ihm noch unterthan, und auch heute nichts mehr als sehr glücklich versorgte Menschen wären! Wollte ich Dir jetzt erzählen, daß wir uns setzten, aßen und tranken, bis wir satt waren – so könnte meine Beredsamkeit den Stuhl, den ich einnahm, noch so elastisch polstern – die Tafel, die vor mir stand, noch so reich besetzen –[73] meinem Gaumen sogar alle die Gerechtigkeit erweisen, die man ihm unter den Schlemmern zugesteht, und ich würde Dir doch nur am Ende nichts als eine alberne Wahrheit gesagt haben. Dafür bewahre mich die Harmonie des Ganzen, die dieß hochzeitliche Mahl vor allen und jeden, die mir in meinem Leben Langeweile gemacht haben, auszeichnete. Ich weiß Dich besser zu schätzen. Die psychologischen, moralischen, metaphysischen Erfahrungen, die ich während dieses Vorspiels der geheimnißvollen Nacht mir und andern Gästen abnahm, und die ich Dir so unbefangen mitzutheilen verspreche, als ich sie erhielt, sind, hoffe ich, Deiner Aufmerksamkeit schon eher werth. Wenn sie Dich so gut als mich überzeugen, daß in der Natur nichts in so naher Verwandtschaft steht, als ungewöhnliche Gerichte mit neuen Gedanken, wenn Du nebenbei meinen innern Menschen auf Schleichwegen der Sinnlichkeit, die Deiner Metaphysik noch unbekannt waren, ertappst, so habe ich gewonnen, was ich wünsche. Ich könnte ein Buch über meine stillen Tafelbemerkungen drucken lassen; aber ich würde es nie thun, da ich weiß, daß in unsern lesesüchtigen Zeiten keines mehr, wenn es nur von außen nicht schmutzig aussieht, der Neugier unsrer Schönen entgeht, und ich keine Verräthereien an meinem Geschlechte begehen mag, die es in den Augen des ihrigen nur noch mehr herabsetzen würden, als es ohnehin schon steht. Vor einem so verwünschten Zufalle schützt mich, zum Glück, das geheime Fach in Deinem Schreibepulte. Das beruhigt mich.

Die vermuthliche Pracht des Saals, in den wir traten – zeigt mir erst jetzt mein Nachdenken – ist über der runden Tafel in seinem Centrum, die mich ungleich mehr anzog, ganz von mir übersehen worden. In ihrer Mitte – wie wäre es möglich gewesen anderwärts wohin zu blicken? – erhob sich, aus dem reinsten Alabaster geformt, Amor und Psyche, in der lebendigsten, aber zugleich in einer so behutsamen Darstellung, daß sowohl der männliche Blick an ihre – als das weibliche Auge an seine Göttergestalt, unbeleidigt bis zu dem Kusse beider hold verschlungenen hinanstieg. Die einzige Schwierigkeit war nur von dieser kleinen empfindsamen Reise ohne die Sehnsucht zurückzukommen, das[74] schöne Beispiel nachzuahmen. Wir alle unterlagen der ersten Regung. Einstimmig mit dem Gefühl des Andern, begegnete sich Auge und Auge, drückte sich Mund auf Mund. Ehrenvoller hat wohl nie die Natur der Kunst gehuldigt. O des trefflichen Bildners, der einem Steine diese gebietende Macht zu geben verstand! Dreimal gepriesen seist du mir! denn deinem Amor verdanke ich, daß Agathens Lippen die meinen berührten. O daß von meinem, in dieser seligen Minute entflammten Herzen ein Fünkchen in das ihre geflogen wäre – dann hätte mir der kleine Heidengott weiter geholfen, als das Wunderbild der Maria in jenem romantischen Felsen! An diesen sehr erlaubten Wunsch, mit dem ich nun, zwischen ihr und der alten Gouvernante, meinen Platz nahm, reihten sich nach und nach, bei jeder neuen Schüssel, die man auftrug, jene zufälligen Gedanken und Betrachtungen an, die ich für Dich bei Seite legte, und die mir am Ende des Mahls – nachdem alles für meinen Genuß dahin war – so systematisch vorkamen, daß ich selbst darüber erstaunte. Und nun weiter keine prosaische Zeile – wenn sie sich nicht etwa ungebeten einschleicht – über ein Fest von so hohem poetischen Werthe. Der Eingang meines Selbstgesprächs entwickelte sich von selbst nach einem Blicke, den ich in die unschuldigen Augen der dem Noviciat entronnenen Schöne gethan hatte. Die folgenden minder sittsamen, aber desto philosophischern Stellen meines Gedankenspiels hatten freilich keinen so lautern Ursprung – aber sollte ich denn in einem fort dem guten Mädchen ins Gesicht sehen, um Elegien zu dichten? Da hätte die Tafel ganz anders eingerichtet seyn müssen. – Wer – hob meine Schwärmerei an,


Wer ein holdseliges Weib durch Lieb' und Achtung errungen,

Blickt von dem Gipfel herab des schönsten irdischen Guts,

Und steht dem Heros weit vor, der funfzig Jungfern bezwungen:

Er hat nicht männlich geliebt, er hat nur thierisch verschlungen,

Erregt nur Schauder und bleibt ein Bild verrächtlichen Muths.

Mehr Kraft des Geists als des Beins sei unserm Hymen bedungen;

Der Brautkranz hefte verwelkt, dem heißen Zweikampf entschwungen,

Zur Bürgerkrone erhöht, sich an die Krempe des Huts.

Statt jenes albernen Lieds, an Euern Wiegen gesungen:

Dem Vater gliche der Sohn wie aus den Augen gesprungen,

[75] Kläng' es nicht klüger? – Ihr sängt – (wär's auch im Zweifel – was thut's?)

Es sei ein Strahl des Genies aus dem Gehirne des jungen

Belohnten Freundes der Braut in den Entsproßnen gedrungen:

Die Tugend Alfreds11 vielleicht, vielleicht die Kühnheit Canuts,12

Obschon dem Klügsten sogar dieß Kunststück selten gelungen,

Drang, vor dem großen Geschäft, durch das Vehikel der Zungen

Ihm nicht ein Löwengefühl in die Behälter des Bluts.

Dieß ziehn, mit gutem Erfolg, die beiden Helden des Festes

Mehr als das Bildungssystem der neuern Zeit in Betracht.

Als Grubenlicht steigt es herauf aus dem verfallenen Schacht

Der kritisch reinen Vernunft, doch, wie gewöhnlich, verläßt es

Auch Sie, gleich einem Spion in dem Getümmel der Schlacht;

In dreißig Reizen vertieft, die Nevisanus13 in Acht

Zu nehmen freundlich empfiehlt, sorgt Plato noch für ihr Bestes,

Indem in ihrem Gehirn sein altes Dreieck erwacht:

Die eine Seele, die hier die erste Linie macht,

(Berechnet heimlich ihr Stolz) sei aus des heiligen Nestes

[76] Gewalt, der zweiten, durch Sturm, bereits zur Seite gebracht,

Und schnell – ja schneller, als Sie sich die Erstürmung des Restes

Zum Aufriß auch der dritten gedacht –

Entsteigt dieß Delta dem Thal, das nur ein Giton verlacht,

Umgaukelt Irrwischen gleich in dem Gefächel des Westes

Der Seher Augen, und hängt zuletzt noch heller gefacht

Ein wahres Freimaurerlicht sich an die Loge der Nacht.

Tief in dem Busen indeß der beiden Huldinnen hämmert,

In frommer Hülle gezwängt, die seine Höhen verdämmert,

Das blinde Schrecken noch fort, das ihn seit kurzem durchfuhr.

Ihr blaues Auge, (wenn nicht der Schein das meine betrüget)

Spielt schillernd über ihn hin, so wie des Himmels Lasur

Von fern das Felsengestad der Freundschaftsinseln umschmieget.

Vergebens grübeln sie nach, welch' eine Folge doch nur

Von höherm Wohlstand für ihn in dem erlassenen Schwur

Der Keuschheit und des Gelübd's, ihn zu verheimlichen, lieget.

Sie überschwindeln vor Angst die angewiesene Spur

Der Liebe, glauben sich bald von einem Prior gewieget,

Und bald, wie Psyche, verklemmt an Amors Marmorfigur;

Erhöhn zum Satanas ihn, der einen Seraph bekrieget,

Und beten heimlich zu Gott für die bedrängte Klausur.

Inzwischen nahet die Zeit, die manchen Skrupel besieget,

Die Sterne flimmern, es flüstert die Flur,

Puls, Mond und Abendgeläut, sogar das Picken der Uhr

Weckt die Erinnerung auf, wie bald die Jugend verflieget.

Doch noch geschwinder, als Wachs in heißen Dämpfen sich bieget,

Erweicht die Kochkunst ihr Herz nach dem Bedarf der Natur.

Wer mag es läugnen? Sie ist's, der auch die schläfrigsten Geister

Entgegenträumen – Sie ist's, die jedes Dunkel erhellt.

Schwebt sie als Schutzgöttin nicht um unsers Friedrichs Gezelt

Im Kreis der Musen? und fühlt er nicht des Mittags sich dreister

Als nach dem Morgengebet? Hat diese Feder der Welt

Sein deutsches Herz nicht schon oft durch Frankreichs Brühen und Kleister

Mit seinen Apollen zum Kampf und seinen Cäsarn ge schwellt? –

Und o! wie weise hat sie auch unsre Tafel bestellt,

Und rund um Amors Altar drei kostverständige Meister

Zu dreien hungrigen Kindern gesellt!

Ich prologire hier nicht nach dem System der Hyäne

Und ihres groben zermalmenden Zahns.

Ob dieß Banket schon verdient, daß ich es dankend erwähne,

Preis' ich doch mehr noch den Sinn des hochzeitmäßigen Plans.

Denn kein Gerippe kam hier an einer fas'rigen Sehne,

Kein Ueberrest eines verklärten Organs

Der seinen Zung' in den Weg, und keine weibliche Thräne

[77] Fiel auf die Knöchel herab des Abelardischen Hahns.

Leicht und entgräthet durchfloß die weißen Klippen der Zähne

Der Goldbarsch,14 Argus15 und Thun16 mit der antiken Muräne

Auf süßen Mundwein des persischen Chans.

Bedient von Sylphen, was fehlt wohl unsrer Sättigungsscene

Zum Prunkgelag eines Feen-Romans?

Die Ihr berufen euch dünkt, das Glück der Schmecker zu lästern,

Mariens Sklaven! die Ihr an Klostertische geschraubt,

Von Hülsenfrüchten gebläht, euch Gott gefälliger glaubt,

O! warum hat nicht der Propst der neun barmherzigen Schwestern,

Der keuschen Musen ehrwürdiges Haupt,

Euch Sitz und Stimme, wie mir, bei diesem Nachtmahl erlaubt?

Ich wett' – ein einziges Ei, wie hier aus indischen Nestern

Ein ganzes Dutzend mir winkt, braun mit Vanille bestaubt,

Wög' alles Bettelbrot auf, um das ihr Arme beraubt.

Ihr Blöden, lernt Ihr denn nie die Macht der Küchen und Keller

Auf Menschenherzen verstehn? Hat nicht ein Schiffskoch oft heller

Auf blinde Heiden gewirkt und mehr Pagoden gestürzt,

Als alle Meister der Welt, die Zweifelsknoten geschürzt?

Ein Trio lieblich dem Ohr, wie Löffler, Süßmilch und Teller,17

Gleich einem ländlichen Schmaus, den Frühlingsblumen gewürzt,

Zög' leicht mehr Jünger herbei, und hätte, glaub' ich, wohl schneller,

Als Frank's Episteln vordem, trotz ihrer klugen Besteller,

Den Weg von Trankebar aus zum dritten Himmel verkürzt.

So setzt die Kost der Natur die Prachtgericht' in den Schatten,

Und unsre Augen auch hier durch gleiche Wunder in Brand.

Zieht nicht des Vaters Geschenk bis diesen Abend auf Sand

Des Meers in Felsen gezwängt, zieht jener Hügel von Datten

Nicht dunkel über den Tisch wie Nonnen über ein Land?

Beim Daseyn ohne Gefühl, ohn' allen frohen Verband

Mit Mond und Sonne, mit Freunden und Gatten,

Bleibt zwar dieß arme Gewürm in seines Lebens Ermatten

Gleich der verschleierten Schaar mit meinem Mitleid verwandt.

Doch dießmal kam es zu gut dem Drang des Hungers zu Statten,

Als daß es leibliche Ruh' in unsrer Nachbarschaft fand.

Geschickt wie Söhne des Mars, wenn ihre frevelnde Hand

Novizen-Zellen erbricht, erbrachen wir, suchten und hatten

[78] Wir bald die Scheuen erreicht, und keine über den Rand

Des Munds geschwenket, die nicht die letzte Probe bestand.

Was gleicht dem Meer wie die Welt! In jedem lebenden Tropfen

Der Austern schien so vergnügt, als sie die Gurgel verschlang,

Ein Herz,18 ein weibliches Herz, das mit der Schale noch rang,

Statt sich zu sperren, der Hand sogleich entgegen zu klopfen,

Der, im Gedränge darnach, die Kunst des Vorgriffs gelang.

So schwelgten träumend wir fort bis zu dem folgenden Gang,

Der, wie ein Rittertournier, um uns die Mäuler zu stopfen,

Die zarte simple Natur von ihrem Platze verdrang.

Ein ernster Herold voran, ihm folgten dienende Sylphen,

Besorget Ordnung und Rang, weist an, beschränkt und vereint

Die edle Kaste der Herrn von Bergen, Rieden und Schilfen,

Gleich der, die fest und gestreng, doch nicht so böse gemeint,

Mit Knappen grau wie Saturn, und andern wackern Ge hülfen

Zuweilen arglos am Hof bei einem Landtag' erscheint.

Nur muthe niemand mir zu, trotz meines Vorzugs im Schmecken,

Aus seinem Harnisch hervor den innern Mann zu erspähn.

Dem Noa selbst biet' ich Trotz, der doch die Stammherrn dem Schrecken

Des Untersinkens entriß, der Enkel Gruß zu verstehn,

Die jetzt mit offenem Helm, beschwert mit Panzern und Decken,

Wie Butter auf der Zunge vergehn.

Doch, daß ich Rang und Verdienst nicht durcheinander verschiebe,

Zieh' ich die Finger zurück, laß' ich den Gästen die Wahl.

Gnug, dieß Heroengeschlecht paßt für ein hochzeitlich Mahl

Vortrefflich, weckt und erwärmt der Vorzeit glückliche Triebe,

Und außer ehlichem Bund und ebenbürtiger Liebe

Kennt es so wenig, als ich, von Plato mehr als die Zahl,

Die er zum Dreieck verschob und zu berechnen empfahl.

Doch bei der Schüsseln Gedräng tritt jeder Zufluß mir bänger

Für meine Rolle ans Herz, und Komus mag mir verzeihn,

Ich übertrage zwar gern, nur nicht aus Küchenlatein,

Das Lachen, das er erregt. Mein Genius weigert sich, länger

In Sieden, Braten und Frikassiren allein,

So sehr das Beispiel auch reizt, dem blinden Iliassänger

Und seinen Beleuchtern ähnlich zu seyn.

Drum führe Helios mich, der nur von Blumengerüchen

Umschwebt, Pomonen besucht, schnell durch den Nebel der Küchen

In die Verzäunung des Nachtisches ein!

[79] Hier seh' ich, wie die Natur in ihrem Bildungsgeschäfte

Mit unbefangener Hand den größten Endzweck erreicht,

Und ohne Hülfe des Kochs und seiner gährenden Säfte

Durch Täuschung Leben erweckt, und die versunkensten Kräfte

So lange zupfet und neckt, durch Furcht und Hoffnung beschleicht,

Bis sie den streitenden Theil mit dem bestrittnen vergleicht,

Bis sie das schlaue und dennoch ewig geäffte,

Verlockte Mannthier zuletzt durch weiblichen Liebreiz erweicht.

Hat sie nicht oft durch ein Haar, auf Weiberscheiteln gewonnen,

Gekrönte Tieger bestrickt und ihr Gebiet übersponnen,

Mit Kinderspielen den Kopf der Wahrheitsforscher gefüllt,

Und manchem betenden Mönch, umglänzt von Sternen und Sonnen,

Statt den verborgenen Gott, das Unsichtbare – der Nonnen

In Zerrgemälden lebloser Wolken enthüllt?

Auch hier – wer hätte denn wohl bei den Erinnerungszeichen

Der Nektarfrüchte, die uns aus fernen Wundergesträuchen

Ihr güldnes Füllhorn, so reich an Brautgeschenken, gesandt,

Den Wink einer guten Mutter verkannt?

Wem gnügt die persische Frucht, nach ihrem zarten und weichen

Geweb' und süßen Gehalt die Brust der Venus19 genannt,

Den Augen sinnlos vorbei, nur seinem Munde zu reichen,

Ohn' ihre himmlische Form mit schönern noch zu vergleichen,

Die er hienieden – auf seiner Wallfahrt umspannt?

Gleich Spinnen hat die Natur uns an elektrischen Fädchen

In jedem Marmorpallast ein liebes Hüttchen gebaut.

Wer lächelnd neben sich blickt, schwingt immer leichter sein Rädchen,

Als der mit gierigem Ernst in das Unendliche schaut.

Nur durch Vergleichung schminke dein Mädchen,

Je schwärzer dein Mohr, je blonder wird deine Braut.

Die große Wahrheit hat mir das nächste Körbchen vertraut.

Denn wer – beim Anblick der zwei Magdalenen20

Wär blöde genug, sich nach der größern zu sehnen,

Wenn er die kleinre darneben erblickt?

Die Stolze, schwerlich für nichts mit einem Namen geschmückt,

Der nur die Büßenden ziert, zerfließt in reuigen Thränen.

Gleich einer Opernprinzeß erweckt ihr Umfang nur Gähnen,

Und ist, besieht man sie recht, von allen Seiten gedrückt.

Preis sei der kleinen, die mich, wie vormals Margot, entzückt!

Sie, niedlicher als ein Ei, das, weit davon es zu wähnen,

Ein lauschend Vögelchen birgt, das an der Schale schon pickt

[80] Welch' eine herrliche Frucht! Doch leider! eine von denen,

Die man, zum Unglück für Dich, nicht leicht ins Ausland verschickt.

Obschon mein träumender Geist nicht ohne Sehnsucht und Wonne

Bald ein Gewächs von der Spree mit einem von der Garonne,

Bald asiatischen Prunk mit deutschen Flittern verglich,

Fühlt er doch heimlicher nie und nie gefesselter sich,

Als da ihm – während der Sammt der unberührten Mignonne21

Der Schmeichelei meiner Hand mit feinem Nachgeben wich –

Schon wieder – Kann ich dafür? – das Ideal einer Nonne,

Und durch Verbindung mit ihr das Bild Agathens beschlich.

Welch Wunder eines Fantoms! zart wie aus Stäubchen der Sonne,

Hell wie Diana bei Nacht, doch ewig Schad', es verblich,

Als ungefähr es ein Hauch des nahen Urbilds bestrich.

Ihr reinen Herzen! Euch steht der Unschuld Engel zur Seiten,

Verweht der Ahnungen Gift, die schlüpfrig über Euch gleiten

Und Eure Würde doch scheun. Nur durch das Edle gerührt,

Wie könnt' ein Spiel der Natur, ein Nichts, ein Blick in die weiten

Gefilde optischen Trugs Euch in die Träume verleiten,

Die zu enträthseln allein dem wilden Jüngling gebührt.

Nur ihn ermuntre mein Scherz in unsern ehlosen Zeiten

Den Magdalenen vorbei sich eine Frucht zu erschreiten,

Die der Mignonne verwandt, noch nie von Wespen erspürt,

Auf Hymens Lager erst reist. Versteht er Zeichen zu deuten,

Welch Glück für Augen und Herz, wenn er nach frohem Erstreiten

Sie, frisch gebrochen vom Stamm, dem Garten Amors entführt.

Nach diesem Probejuwel, dem Gränzstein meines Gesanges,

Zieh' aus dem Orkus, wer mag, die voll unheiligen Dranges

Gespaltne gelbe Granat' an die Bestrahlung des Lichts!

Ich eile mit der Moral zur Mangostine22 vom Ganges.

Ist's möglich, deck' ihr Gebräm, statt jenes Feigenverhanges

Des ersten nackenden Paars, die Blößen meines Gedichts!

Sie, gleich der sinnlichen Lust, zerschmilzt und giebt, wie ein langes

Verträumtes Leben, nur Schaum, und der Erinnerung Nichts,

Löscht wilden Thieren den Durst, und kühlt die menschlichen Wildern,

Wenn jen' ein nagender Wolf, – wenn Amor diese gehetzt.

Wär' ich ein Pseudo-Horaz, der weder nützt noch ergötzt,

Hätt' ich statt ihrer wohl gar das Haupt von cynischen Bildern

In der Maldivischen Nuß23 Dir vor die Augen gesetzt.

[81] Allein die freche Natur hat hier ein Sinnbild geätzt,

Das keinen Nachstich erlaubt, auch hab' ich über dieß jetzt

Dir noch ein eignes Produkt aus feinem Kraftmehl zu schildern:

Dem, nach dem Landesgebrauch, als ein Orakel geschätzt,

Ein ernster Augur bereits sein Opfermesser gewetzt.

Sein Auge fordert Gehör, der Gäste Jauchzen zu mildern,

Und seine Zunge, zuvor in Wein prophetisch genetzt,

Ruft laut: Was Unschuld verbarg, erringt die Liebe zuletzt!

Nun war das Weihungssymbol bekränzt mit Knospen der Rose

Dem Gastmahl Platos vereint. Ein Böhnchen einzeln verweilt

Verschlossen in dem Gebäck als Bild des größten der Loose,

Das, wenn sich's einmal verlor, kein zweiter Festtag ereilt.

Sei ein Gewinnst noch so klein, er liegt dem Zufall im Schooße.

Oft wenn der Schmidt seines Glücks den Bolzen dreht und befeilt,

Der doch am Ende nicht trifft, hat Alexander der Große

Den Gord'schen Knoten so leicht als wir den Kuchen zertheilt.

Ein fremder Schauer durchlief der Rose Jugendgestalten

Dem ersten Angriff geweiht – doch der Begeisterte schritt

Schnell zu dem Theilungsprozeß, der keine Zögerung litt,

Im Dienst der obersten Macht das strengste Recht zu verwalten,

Das für den Ruhm eines Paars von gleichen Ansprüchen stritt.

Ein jeder Edle verdient das große Loos zu erhalten.

Sie zittern beide, doch seht, des Schicksals Räthsel entfal ten

Sich wie ein Gottesgericht. Ein Wunder leitet den Schnitt,

Es hat ein Wunder die kleine Bohne gespalten,

Und jede Hälfte, die nun das schöne Ganze vertritt,

Theilt' auf des Augurs Befehl, den Dank und Jubel umschallten,

Gehorsam sich den Erwartenden mit.

Betroffen blickten die Freundinnen beide

Einander in das verfärbte Gesicht;

Sie lächelten zwar der männlichen Freude,

Den Sinn nur davon begriffen sie nicht.

So saßen einmal ein paar erröthende Horen

An Leda's Neste vor jenem mystischen Ei,

Das sie – mit Wahrheit als Gans in Zevs Umarmung verloren,

Und spielten damit und brachen's entzwei,

Und dachten nicht das geringste dabei.

Sie ahndeten nicht, daß sie Helenen geboren,

Und daß des Kindes noch ungestilltes Geschrei

Mehr als ein bänglicher Laut für zarte Jungfrauenohren,

[82] Daß es das Probegetön', der erste Ruf der Schalmei,

Zum blutigsten Krieg, den je die Götter beschworen,

Um den Besitz einer Kleinigkeit sei.

Zehn lange Jahre verstritten die Thoren;

Zuletzt verschütten sie doch, wie deutsche Köche, den Brei.

Und Kerzen füllten den Saal. Im Nu durchzitterten Flammen

Der kalten Psyche die Brust, geschmiegt an Paphiens Sohn,

Und schlugen über die Kränze von Mohn

Der zwei Sirenen und jenen Wellen zusammen,

Die kaum vom Lichte verrathen, auch schon

Gebrochen in ihre Grotten entflohn. –

Wer kann die selige Lust an diesem Vorspiel verdammen?

Doch unsre Helden, voll Kraft der Odysseer, umschwammen

Die Brandung, senkten den Blick und stimmten leis' in den Ton

Des ewig tröstenden Lieds der Philosophen und Ammen:

Geduld! Erwartung ist schwer, doch desto süßer der Lohn!

Jetzt tritt die Ananas vor, sie, die in feuriger Zone

Am Vorgebirge der guten Hoffnung entsprang,

Sieht auf der Tafel sich um und setzt zum endlichen Lohne

Des zärtlich schmachtenden Paars, das seine Wünsche bezwang,

Verschämt, doch unter Verzicht auf ihren weiblichen Rang

Setzt sie, geduldsam zerlegt, die beiden Finder der Bohne

In den Besitz ihres Reichs, in alle Rechte der Krone,

Auf keinen andern Beding als einen guten Empfang.

Wie tönt den Helden das Ohr, als ihre Stunde verklang,

Als ihrem forschenden Blick, nicht ohne Beben, nicht ohne

Vertraun, sein erster Versuch auf jenes Eiland gelang,

Das bald ihr Eigenthum wird. Des Mondes Schimmer beschwang

Die nie bestiegenen Höh'n in jenem schmelzenden Tone

Des Morgenmalers Lorain. – Daß sie ein Kobold bewohne,

Befürchtet kein Steiger, der jetzt im Schwung zum dämmernden Gang

Des edeln Erzes, den Arm um seine Begleiterin schlang;

Die Holden zitterten nach, und eingesegnet vom Sohne

Cytherens, hörten sie kaum auf unsern Abschiedsgesang;

Ein Lied der Trauer für mich, das meiner Jugend Vergang

Mir zum Entsetzen bewies, indem es näher zum Throne

Des Gottes ehlichen Heils, ins stille Brautgemach drang.

Dank sei der Liebe jedoch für die paar seltenen Stunden,

Die diesen Abend einmal der armen Menschheit gelacht;

Sie hat vom Fangstrick des Papsts zwei freie Herzen gebunden,

Und was sich reizendes je dem ungestümen Betracht

Der Männeraugen ergab, dem Sterbekittel entwunden,

Der keine Schöne zur Heiligen macht.

Gesetzt, es hätte sogar die überraschende Nacht

[83] Sie ohn' ein härenes Hemd' und fern von geistlichen Runden

Gott weiß! in welch' eine Lage gebracht;

Hoff' ich doch gläubig zu dem, der gleiche Sorgfalt und Acht

Auf träge Sekula nimmt wie auf den Flug der Sekunden,

Die kleinsten Sphären so gut, die er den Liebesgesunden

Manchmal zum Spielwerk erlaubt, als jene himmlische Pracht

Lebloser Welten, die ihnen leuchten, bewacht,

Zu dem Bewußtseyn hoff' ich, das den Umarmten verschwunden:

Sie haben schwerlich sich jemals besser befunden,

Je freudiger ihres Schöpfers gedacht.

Die guten Kinder sind jetzt im höchsten Spielraum der Liebe

Der Fliege Kolibri gleich, die nie von Dünsten beschwert,

Sanft von dem Zephyr gewiegt, bei leichtem Sättigungstriebe

Auf Blumen schwebend sich nur von ihrem Aushauche nährt.

Wenn sich dann Abends zu ihr, gleich liebeathmend und trunken

Von aromatischem Geist, der schöne Gatte gesellt,

Wie freundlich wird nicht der Blick des frommen Sehers erhellt,

Dann überschimmern vor ihm im dunkeln Aether zwei Funken,

Der großen Fackel des Universums entsunken,

Den ärmlichen Staub der sublunarischen Welt.


Mir aber, als die Glücklichen verschwunden waren, als ich, statt eines Sylphen, von einem gemeinen Diener geleitet in das Zimmer trat, das mir seine Fackel anwies, und ich über mein einsames Bett hinblickte – mir war, als hörte ich alle Thore des Lebens und der Freude hinter mir zufallen. Ich erschrak, hob den Vorhang des Fensters, riß die Flügel auf, und meine feuchten Augen, flogen über die Milchstraße hinaus, dem entgegen, der in diesem Gewühl leuchtender Welten jeden Wurm mit Liebe umfaßt – dachte an Agathen – und o, rief ich –


Du, der von Ewigkeit her den Busen reizender Frauen

Zum besten Spielraum der Männer erwog,

Der diese Stunde gelenkt, die durch ein süßes Vertrauen

An Lieb' und Wahrheit, zwei fromme Kinder den Klauen

Der Klosterhyder entzog!

Wie wollt' ich deiner Erbarmung

Nicht danken, führtest auch du

Der Andacht meiner Umarmung

Die dritte Heilige zu!


Achtet auch der Allweise die thörichten Gebete nicht, die uns in dem Rausche der Sinne entsteigen; so haben sie doch das Gute,[84] den Verarmtesten die zwei schönsten Blumen des irdischen Lebens, Hoffnung und Geduld, in den Schooß zu legen. Auch ich kam von meinem Aufblicke in die obere Region um ein merkliches beruhigt zurück. Meine sinnlichen Wünsche verloren ihre Heftigkeit, als ob sie erreicht wären, und ich fühlte mich abgekühlt genug, über Agathens Schleier hinweg, nach manchen andern Räthseln zu greifen, die mir der verlaufene Tag eben so unentwickelt zurückgelassen hatte.

Denn, wenn ich gleich jetzt ungefähr errathen konnte, in was für Betrachtungen Saint-Sauveur auf unserm Wege nach Toulon so vertieft war, daß er sich wenig um meine Verzückung in den Himmel und um meine Hymne an das Gestirn des Tages bekümmerte – es mir auch eben so begreiflich ward, warum er mich im Gasthofe zum silbernen Anker mit meiner Scheibensammlung allein ließ, und es ihm so sehr zur Unzeit kam, daß mein verlornes Einlaßbillet einem Spieler, zur Nachfolge für andere, seinen Weg wies – wenn gleich die Seufzer, die damals Klaren entstiegen, als ich ihr meinen Arm bot, und ihre stillen Thränen in den Kelch einer Passionsblume, so wenig als die Erschütterung, die ihr die Gebetglocke des nahen Klosters – der Mönch auf der Galeere und das Mitleiden mit Agathen verursachte, jetzt noch einer nähern Erklärung bedurften – ich auch meine vorgestrige Verwunderung über das Geschäft meines Freundes in dem Steinbruche herzlich belachen mußte, und nicht mehr böse auf ihn seyn konnte, daß er während der Veranstaltung seiner heutigen Ueberraschung mich auf ein Schiff bannte und gewaltsam nöthigte, Voltaire's Geburtstag zu feiern: – so blieben mir doch genug neugierige Fragen über den Zusammenhang der heutigen seltsamen Ereignisse übrig, die ich mir schlechterdings nicht zu beantworten vermochte. Diese schwierige Aufgabe würde mein Nachdenken noch lange beschäftigt haben, wenn es nicht ein Umstand unterbrochen hätte, der für mich keine Kleinigkeit war. Ich hörte die Seitenthür öffnen, die nach dem Park führt – Das ist Agathe, sprang ich von meinem Stuhl auf, die vermuthlich, so unruhig als ich, nach Luft schnappt – trat ans Fenster – hörte sie – sah ihren Schleier zwischen den Akazien wehen, und nun war vollends meines[85] Bleibens nicht mehr. Ich eilte aus meinem Zimmer durch das Portal, an dessen Säulen noch einige verlöschende Lampen zitterten. Zu einer andern Zeit würde ich sie als ein treues Sinnbild der Vergänglichkeit aller menschlichen Freuden, in Vergleichung mit den ewigen Lichtern am Himmel, vielleicht länger betrachtet haben; aber in diesem Augenblicke dachte ich weder an Zeit noch Ewigkeit, sondern – solltest du es wohl glauben? an die kleine zarte Mignonne unseres Nachtisches. Großer Gott, und ich suchte Agathen! Ich hatte die längste Weile die lispelnden Sträuche durchirrt, ohne sie zu entdecken, und ich fing schon an zu fürchten, daß es mir hier noch einmal mit meiner Stirne ergehen möchte, wie vor einigen Monaten zu Caverac, als glücklicher Weise ein Fünkchen, das mir in einiger Entfernung entgegen blinkte, meiner gesunkenen Hoffnung wieder aufhalf. Dort – ja dort sitzt das liebe Kind, ihr kleines Laternchen neben sich, auf einer Rasenbank, und so geschwind, als dieser Gedanke, war auch der Zaun, der den Grasplatz von dem Park abschnitt, überstiegen. Ich wil sie nicht erschrecken, nahm ich mir vor, glaubte auch, ich ginge langsam, kam aber bei allem dem bald genug meinem Gegenstande so nahe, daß ich, bestrahlt vom Lichte, zwar nicht Agathen, aber eine andere menschliche Figur unterscheiden konnte, die sich langsam an einer Urne in die Höhe richtete, und mir kein geringes Grausen erregte, ehe ich bemerkte, daß es der Spender des heutigen Segens – der fromme Mönch war, der mir entgegen trat. »Ach, heiliger Vater,« sprach ich ihn an, »was macht Ihr an diesem einsamen Orte, und welchem Heiligen gilt euer nächtliches Gebet?«[86]

– »Einem Unglücklichen, dessen Gebeine hier verscharrt liegen,« antwortete er mit ernster Stimme, »der sein schönes Daseyn – die Liebe und herrlichen Verstand seiner Gattin, dem Vorurtheile der Ehre und einem Mörder Preis gab. Auf seinem Grabhügel unter dieser Weinlaube, die noch eine Stunde vor seinem Tode ihn in den Armen seiner Gemahlin umschloß, bitte ich täglich Gott um Vergebung seiner schweren Sünde, und flehe den Allbarmherzigen um die Genesung der schuldlosen Wittwe« – »Ach!« rief ich, »so bin ich denn in dem Garten des armen Grammont? O, wie nahe liegt hier Freude und Traurigkeit – wie nahe jene stolze Brautkammer und diese Todtengruft an einander! Ach! laßt mich mit euch beten, lieber Mönch, Hülfe für die traurig getrennte – dauerhaftes Glück für die durch euch so fröhlich Vereinten erbeten!« Der Mönch ergriff und drückte meine Hand au seine Brust; dann knieten wir beide in andächtiger Eintracht neben dem Monumente des Entleibten nieder, und als wir uns, eine gute Weile nachher, von dieser Todtenfeier erhoben, ich mit thronenden Augen auf- und über den Garten hinblickte, und es mir schien, als ob der vortretende Mond den Trauerflor von dem Eremitenhäuschen wegzöge, das einst in bessern Tagen der armen Wahnsinnigen so lieb und theuer war, und ich gern als ein himmlisches Zeichen angesehen hatte, daß unser Gebet erhört sep' – deutete ich mattlächend dahin. Der gute Mann verstand mich. Wir stiegen von der Anhöhe der Laube, der kleinen glänzenden Hütte zu, und nun, da ich davor stand und mir über dem Eingang die Worte Voltaire's, die sie, die Erbauerin, zur Aufschrift gewählt hatte, in die Augen fielen – ich mit der Sprache rang, um sie an diesem stillen Orte der Erinnerung noch einmal zu wiederholen, und bei der letzten halben Zeile est-on seul, on est sage, meinen Begleiter bedeutend anblickte, als wenn ich sagen wollte: Wer kann diese Wahrheit besser fühlen, als ein Mönch! – ach, wie gerührt wurde ich nicht durch feine Antwort! »Wollte Gott,« sagte er, »die letzte Halste des Spruchs wäre so wahr als die erste! Ach, wer kann denn mehr allein seyn, als die Arme es ist, die ihn hinschrieb? Was hat sie muthlos bis zum Wahnsinne gemacht, als Trennung – Entfernung und die Unmöglichkeit, ihr verschwundenes Glück wieder zu erlangen? – und sind nicht, mein Herr,« indem er mir die Hand drückte, »sind das nicht auch die Grundpfeiler der Klöster, und bringen sie nicht auch dieselbe Wirkung hervor?« Ich war so verlegen über diese unerwartete Aeußerung eines Dominikaners, daß Gott wissen mag, wer mir zwei Worte, die ich immer für widersprechend gehalten habe: das Glück des abgezogenen Lebens, auf die Zunge geriethen – »Das Leben,« antwortete der Mönch, »sollte nie von Thätigkeit und erlaubtem Genuß abgezogen Werders[87] denn was wäre sonst seine Bestimmung? Wenn dein Widerstand gegen wilde Neigungen nur von der Kette herkommt, die man dir anlegt, wem kann die Ehre davon gebühren, als der Kette? Ach, wie ist das Verdienst der Mönche und Nonnen so geringe! Unendlich ehrwürdiger ist mir der Mann, der in den Wellen des Lebens, wo nicht fest wie ein Fels steht, doch ihnen nur so viele freie Kraft entgegen setzt, daß sie ihn nicht ganz in den Sand spielen. O! ich kenne den Werth der Tugend, die von Versuchung entfernt ist – verstehe die Lieder der singenden Vögel, die ein Käfich umschließt – Was enthielten die Seufzer meiner Andacht von meinem achtzehnten Jahre an bis in mein funfzigstes? Löset die zärtlich frommen Empfindungen der Nonnen, die nächtlichen Gebete eines Klosterbruders auf, und Ihr werdet erschrecken! Wie kann das Zerreiben eines armen menschlichen Herzens, das aus der Werkstatt der Natur sich als einen unnützen Stein in eine Wüste verworfen fühlt, wie kann es zufrieden seyn, wie könnte es Gott gefallen! Das Glück, im Guten thätig und frohen Herzens zu seyn, genieße ich alter Mann erst seit funfzehn Jahren, mein Herr, und mußte mir es durch die Folge meiner sitzenden, und ohne mir einer andern Sünde bewußt zu seyn, als die mir zur Pflicht gemacht war – bußethuenden Lebensart – durch eine schwere Krankheit erringen, die aus Ungeduld gegen Gott und Menschen zusammengesetzt, zu dem höchsten Grade von Melancholie erwachsen war. Hoffnung der Freiheit, die mein Arzt menschenfreundlich unter seine Arzeneien zu mischen verstand, bewirkte allein meine Genesung, und auf seine Furcht vor einem Rückfalle, die er dem Pater Schatzmeister ans Herz legte, verlängerten meine Obern die Kette, die mich an ihre Stiftung band. Ich kam unter die Zahl der Wenigen, denen als Priestern einzelner Kapellen, und als Beichtvätern, oder, welches einerlei ist, als gedungenen Erbschleichern, außer dem Kloster zu leben erlaubt wird. Seit diesem sonderbar glücklichen Verhältnisse habe ich erst angefangen meiner wahren Bestimmung zu folgen, aber das Glück der Jugend – das Eingreifen der Liebe in die Zukunft, war dahin, war einem falschen Götzen aufgeopfert, und ach! kinderlos blicke ich nun in das Grab.[88] Doch lernte ich in der Freiheit, was in meiner Zelle unmöglich war – Menschen lieb gewinnen, und gewann selbst treue und würdige Freunde. Das Bette eines Kranken brachte mich mit dem edelsten von allen, mit dem Marquis von St. Sauveur in Verbindung.« – Aber hier, Eduard, will Ich das Wort nehmen, um Dir die große Seele dieses Religiosen anschaulicher zu machen, als aus seiner eigenen, nur allzubescheidenen Erzählung er hellen würde. Erst durch die zudringlichsten Fragen und durch Zusammenstellen seiner kurzen Antworten, konnte ich mir nur über seine Würde – seinen Antheil an den frohen Begebenheiten des heutigen Tages und den geheimen Zusammenhang derselben Licht verschaffen. St. Sauveur, dessen hohe thätige romantische Tugend er mir nicht beredt genug schildern konnte, brachte ihn in die Bekanntschaft von Klarens Mutter, die zwar eine religiöse Schwärmerin, aber zum Glück für die Tochter eine eben so rechtschaffene, verständige und lenksame Frau war. Sie hatte bei der schmerzhaften Geburt derselben der Maria das Gelübde gethan, sie der Entsagung des Ehestandes und dem Klosterleben zu weihen, und durch ein feierliches Testament ihr alle Mittel benommen, ein anderes zu führen. In einer solchen Lage fand der Dominikaner diese Gewissenssache, als er in dem Hause des Gouverneurs bekannt und von seiner Gemahlin zum Beichtvater gewählt wurde. Der rechtschaffene Mann nahm sich sogleich auf das heiligste vor, die Mutter von ihrer Verblendung zu heilen und das unschuldige Kind zu retten. Er bemächtigte sich der Freundschaft und des Vertrauens der Marquise, und stieg endlich in demselben so hoch, daß er es wagen konnte, ihr seine bessern Grundsätze vorzulegen; aber welche Gewandtheit, welche sanfte Beredtsamkeit mußte er nicht anwenden, um die fromme Frau nur erst bis zum Zweifel an der Rechtmäßigkeit ihres Gelübdes – und welche List der Tugend, um sie bis zur Bereuung desselben zu bringen! Endlich gelang es seinem standhaften Eifer, den schwachen Grund in so weit zu untergraben, daß die Säule ihres Aberglaubens – wo nicht ganz einstürzte, doch um ein merkliches sank. Als er eines Morgens das kleine liebe Mädchen auf den Arm nahm, sich an[89] ihren Schmeicheleien ergötzte, ihre großen blauen Augen, ihre zum Küssen einladenden Lippen, und die herrlichen Züge betrachtete, die schon damals ihr Gesichtchen zum Verwundern erhoben, rief er bewegt: Und alle diese Kleinodien der Natur, diese Geschenke Gottes sollen dem menschlichen Glücke entzogen und lebendig vergraben werden, bis sie unter dem peinlichsten Gefühle zu Reliquien verschrumpfen! Diese Worte und die männliche Thräne, die dabei über seinen schneeweißen Bart rollte, erschütterten das mütterliche Herz. – Nun so zeigt mir, grausamer Mann, schluchzte sie, einen Ausweg aus diesem Labyrinthe, ohne meinen Eid zu brechen, und Ihr mögt es bei Gott und seiner heiligen Mutter verantworten. Ja das will ich, rief er ernst und feierlich, und brachte nun einige Tage nachher das Kodicill zu Stande, das er mit ihr verabredete, selbst aufsetzte und mit einem Eide übernahm, es unter keiner andern als den festgesetzten Bedingungen geltend zu machen, die aber immer noch schwärmerisch und durch die Möglichkeit, daß Klara auf ihrer Seite sie nicht erfüllen würde, furchtbar genug waren. Denn hätte das gute Kind, in der angeordneten Betäubung, den Wurm, der ihr Herz nagte, aus weiblicher Schwäche verhehlt – vor ihrer feierlichen Entsagung, nicht unter den Augen des Mutterbilds der Maria den Mann genannt, der ihr den Uebertritt ins klösterliche Leben so schwer mache – alle Mühe des redlichen Mönchs, das Kodicill – Brief – Ring und die Erbschaft wären für sie verloren, und dem Kloster, in das sie aus jener ländlichen Kapelle versetzt zu werden in Gefahr stand, verfallen gewesen. Daher kam die angstvolle erschütternde Beschwörung des Mönchs, daher das Schweben zwischen Furcht und Hoffnung des armen Brigadiers, der hinter dem verhängten Gitter, mit gleicher Bangigkeit wie der Flügelmann, den er vor einigen Tagen überraschte, Leben oder Tod von den Lippen seiner Geliebten erwartete. Daher ärgerte ich mich ganz umsonst über die zweideutige Voraussetzung des Dominikaners in Ansehung des Schenkungsbriefes. Die entlassene Novice wagte nichts, ihn zu bestätigen; denn er lag ja in den Domainen ihres Bräutigams und konnte nun nicht mehr in unrechte Hände fallen. Und ach! wie manche andere Dinge, die[90] ich heute Morgen ganz der Quere nahm, setzte mir diese nächtliche Unterhaltung erst ins Klare. Doch ich habe Dir noch lange nicht die Geistesgröße dieses seltenen Mönchs in ihrem ganzen Umfange dargelegt. Nach dem Tode seiner schwärmerischen Freundin widmete er alle seine Sorgfalt der verwaisten Tochter, deren gutes oder böses Schicksal in seinen Händen lag. Er sah die Rettung aus der Gefahr, die ihre Zukunft bedrohte, als den Zweck seines Daseyns an. Aber welch ein Mann! rufe ich mit der höchsten Bewunderung aus, der sich durch den langen Zeitraum, der sein Ziel verbarg, so geschickt zu winden wußte, daß der Preis seiner Anstrengung nicht verloren ging, – der so viele Menschenkenntniß besaß, um die Kräfte der verschiedenen Federn so zu berechnen und zu spannen, daß sie die beabsichtigte Wirkung hervorbrachten – der bei den Schwierigkeiten, die ihm entgegen traten, nie in der Wahl der Hülfsmittel fehl griff – und Herzen in Flammen sogar, mit solcher Behutsamkeit zu lenken verstand, daß sie, ohne seine Absicht zu ahnden, den glücklichen Ausgang seines geheimen Spiels befördern mußten. Daß er dieses alles in seiner Kutte geleistet hat, wird Dir der Verfolg meiner Erzählung beurkunden. Den Gouverneur schien das Testament seiner Gemahlin nicht weiter zu beunruhigen, so bald er hörte, daß die Vollstreckung seinem würdigen Hausfreunde übertragen war; er kannte seine Grundsätze, und merkte bald, daß es nicht ein Kloster seyn konnte, wohin er seine Pflegbefohlne zu leiten suchte. Er verabredete den Plan ihrer Erziehung mit jener trefflichen Frau, die ihre treue Begleiterin bis vor dem Altare blieb, wo auch sie durch den Preis überrascht wurde, den ihr Liebling erhielt. Er gab ihr an der Prinzeß von Montbasson und Agathen zwei liebenswürdige Gespielinnen zu, und verbarg dieß reizende Trio der Neugier und der Verführung, unter die Schatten eines frohen ländlichen Wohnsitzes, wo ihnen nur die Natur zuflüsterte, und ihre Herzen und Augen unbefangen blieben. Hier tränkte er ihre Seelen mit großen erhabenen freundschaftlichen Empfindungen, bereicherte ihren Verstand mit den schönsten Kenntnissen, übte ihre Hände in den geschätztesten Talenten, und sorgte gleich der zärtlichsten Mutter für das Gedeihen[91] ihrer aufblühenden Reize. Mit allen diesen, Klosterfrauen unnützen Vollkommenheiten, brachte er Klaren in ihrem funfzehnten Jahre dem erstaunten Vater zurück und in St. Sauveurs Bekanntschaft, den er schon längst als ihren Retter ausersehen hatte. »O der Freude, die ich damals empfand,« strömte es ihm von der begeisterten Zunge, »da ich den tiefen Eindruck bemerkte, den das schöne herrliche Kind auf sein Herz machte! Ich hatte gewonnen – Ihre gegenseitige Zuneigung stieg mit jedem Tage höher – endlich so hoch, daß sie nach meinem Wunsche einander unentbehrlich wurden. Jetzt erst, da das holde Mädchen der gebenedeiten Jungfrau schon zu weit aus den Augen war, um ihren Ruf zu hören, trat ich mit dem furchtbaren mütterlichen Testamente auf. Da ich, seitdem sie unter meiner Aufsicht stand, dessen nie mit einer Sylbe erwähnt hatte, so erschreckte sie mein unerwarteter Vortrag – ungefähr, wie ein aufgefundener Wechselbrief, den man längst für verloren gehalten und vergessen hat, ob man gleich, wenn die Zahlung gefordert wird, die Schuld nicht abläugnen kann. Jeden andern aber, der davon hörte, erschütterte diese Neuigkeit, und ich mußte sogar die gehässigsten Nachreden über mich ergehen lassen. Nur Sie, die fromme Tochter, benahm sich groß und edel, sobald der erste Schrecken vorbei war. Sie kämpfte zwar, aber nur wenig Minuten, mit der Notwendigkeit ihres kindlichen Gehorsams – empfahl sich der Barmherzigkeit Gottes, und unter einigen zärtlichen Thränen, die sie dem Andenken ihrer würdigen Mutter darzubringen glaubte, wählte sie das Kloster der Urselinerinnen, von denen ich einigemal rühmlich gesprochen hatte – Ja einige Stunden nachher konnte sie sich selbst über den Zuwachs an Vermögen freuen, den ihr guter Bruder durch ihre Annahme des Schleiers erhalten, und mit ihrer geliebten Montbasson in glücklicher Zufriedenheit genießen würde. Der Marquis, der diese Nachricht durch einen Brief erfahren hatte, schickte mir einen Wagen mit sechs rauchenden Pferden, die mich abholen und auf seinen Landsitz bringen mußten. Ich fand ihn – diesen sonst so muthvollen Mann, niedergeschlagener als ein Kind, und der hohe Grad von Wehmuth, der über sein ganzes Wesen verbreitet war, hätte[92] wohl jedes andere Herz als das meinige, das so freundschaftlich für ihn schlägt, zum tiefsten Mitleiden bewegen müssen – Mein Freund, wimmerte er mir thränend entgegen: – aber es war mir nicht möglich, ihn weiter fortjammern zu lassen – Ich unterbrach ihn mit einer so gelassenen Miene – mit einem so viel versprechenden beruhigenden Händedruck – daß ihn sogleich aus der Dunkelheit meines Auftrags ein Strahl der Hoffnung überschimmerte – Kleinlaut fragte er mich: Darf ich den Engel noch fortlieben? Ich bejahte es. Darf auch Sie? Ich schwieg: aber ich bat ihn um einen Platz zur Errichtung einer Kapelle – Er bewilligte es mit einem starren Blick – Ich hatte schon längst seinen Steinbruch umgangen und gemessen, und überreichte ihm jetzt meinen Plan zur Einrichtung – Er billigte alles, sobald er auf der Waldseite den Eingang in die Kapelle, auf der andern den Balkon mit der Treppe in seinen Park erblickte. Er umarmte mich einmal über das andere – hielt sich eine ganze Weile die Hände vor die Augen – überrechnete die Zeit bis zum Geburtstage des Fräuleins, kritzelte in der Geschwindigkeit einen Brief an den berühmtesten Baumeister in Marseille – riß mir meinen Plan aus den Händen, und befahl dem Haufen seiner Bedienten, alle mögliche Maurer und Zimmerleute, die sie auftreiben könnten, für doppeltes Tagelohn anzuwerben. Wie schlug mir das Herz bei dieser leidenschaftlichen Heftigkeit, indem ich daran dachte, daß es zwar nicht wahrscheinlich, aber doch möglich sei, daß Klara in dem entscheidenden Augenblicke verstummte; und auch bei ihm trat bald nachher die Furcht der Ungewißheit an die Stelle der kleinen Hoffnung, die ihm mein Händedruck mitgetheilt hatte. Ich konnte und durfte ihn nur mit halben Worten trösten, und verließ ihn endlich mit der ernstlichen Bitte, Klaren in ihrem jetzigen Traume nicht zu stören, nie mit ihr von seiner Liebe zu sprechen, sie weniger zu sehen, und das übrige der Zeit und der Hand Gottes anheim zu geben. Eine viel größere Sorge hat mir die edle Montbasson durch ihren schnellen Entschluß gemacht, der Freundschaft das große Opfer ihrer Liebe zu bringen. Sie bekam auf einmal eine Abneigung gegen den Bruder, der sich durch das Unglück seiner[93] Schwester, wofür sie es ansah, bereichern sollte. Durfte ich ihr wohl entdecken, wie großmüthig er gehandelt hatte, sobald er die Klausel in dem Testamente erfuhr? Mußte ich nicht fürchten, daß die heroische That einer Jugendfreundin einen nachtheiligen Eindruck für St. Sauveurs Liebe auf Klarens Herz machen würde? Ich bat Gott inbrünstig um Weisheit zur Leitung dieses so verwickelten Geschäfts – theilte meine ganze Aufmerksamkeit zwischen beide Freundinnen, belauschte das in zärtlich freundschaftlicher Wehmuth dahin schmelzende Herz der einen, und rief St. Sauveur zu Hülfe, wenn es sich ganz für ihn verlaufen wollte, und half der gewaltsam unterdrückten Liebe der andern, ohne daß sie es ahnden konnte, wieder in die Höh', und da sie dennoch auf ihrer religiösen Schwärmerei blieb, setzte ich meine ganze Hoffnung auf den Ausgang des heutigen Festes, dem sie selbst den eifrigsten Wunsch äußerte als Choristin beizuwohnen – als sie hörte, daß ich eine Kapelle der heiligen Ursula durch Klarens Eintritt in das Noviciat einweihen würde. Sie erbat sich von der Aebtissin die Erlaubniß dazu, in der gewissen Hoffnung, gleich nach der Ceremonie mit ihrer Busenfreundin zurückzukehren, und sie bei den Klosterschwestern einzuführen. O wie unendlich hat mich Gott für die Sorge belohnt, die ich für diese herrlichen Geschöpfe getragen habe! Die vielen bänglichen Jahre, die vorangingen, liegen jetzt so vergessen hinter mir, als ob sie nie da gewesen wären, und meine Seligkeit, scheint es mir, hat mit dem heutigen Tage ihren Anfang genommen.« »O lieber, biederer, großmüthiger Mann,« rief ich aus, als er schwieg, »möge Gott doch noch lange Euer ehrwürdiges Leben fristen, und Euch noch oft auf die Spur bringen, arme Verirrte und Verlockte zu ihrem wahren Beruf zurückzuführen!« Ich fiel ihm, als wir an das Gartenthor kamen, um den Hals, bat um seinen Segen – schlug aber, statt ihn hinaus zu begleiten, aus einem eigenen Gefühl, den Feldweg ein, den ich gekommen war. Nach dem Kapuziner auf der Galeere war er der zweite Mönch, den ich umarmte, und ich kann Wohl sagen, herzlicher noch als jenen. Sie verdienen beide die Bewunderung fühlbarer Seelen – aber welcher verdient sie wohl mehr? Jener, der Unglückliche[94] bei dem Bewußtseyn ihrer Schuld vor Verzweiflung bewahrt, oder dieser, der Unschuldige von einem moralischen Tode rettet? Gott mag entscheiden, ich kann es nicht. Ach, mit welchen herzerhebenden ganz andern Empfindungen – selbst der glückliche St. Sauveur, dächte ich, müßte mich darum beneiden – überstieg ich jetzt zum zweitenmal den Gartenzaun! O der Mensch ist nicht so bösartig, als man ihn gewöhnlich ausschreit, oder er sich oft selbst hält! Er sucht zwar nicht gern die Scenen auf, die sein Herz rühren und bessern könnten, aber führt ihn der Zufall dahin, so hängt er sich leidenschaftlicher daran, als an seine strafbaren Irrthümer. Schon traten, als ich mich dem Park näherte, die verbleichten Bilder der Natur hinter dem grauen Vorhang, der sie verbarg, farbig wieder hervor. Das Säuseln des Erwachens – der Gesang des Lebens – die Freude des Wiedersehens – die Auferstehung eines neuen Tags begann. Wie möchtest du jetzt an dein Bette denken, sagte ich zu mir selbst, und wenn es Agathens Reize umschlösse, ich würde mein Herz zuvor durch den Anblick der aufgehenden Sonne erwärmen, ehe sich meine Augen in den ihrigen berauschten; und wäre es der fröhlichste Bürger der Erde, der ungeduldig anklopfte, er müßte warten, bis ich seinen Schöpfer begrüßt, und in dem Meere seines Lichts meinen Bildungstrieb gereinigt hätte. Ich lagerte mich an den Stamm einer Balsamfichte, und erwartete das große Schauspiel mit dem Entzücken, das ich schon kannte. Die Wolken zerflossen – der Mond verblich – die Sterne verloschen, und nun schwenkte sich das gebietende Gestirn aus der Unterwelt über unsern Erdball, ergoß seinen Lichtstrahl und wirkte. Mein Auge spiegelte sich in den Thautropfen, die, wie reine Herzen, wenn sie brechen wollen, noch einmal aufschimmerten und verdunsteten. Unwillkürlich streckten sich meine Arme dem Wunderballe entgegen, der an den Bergsaum heraufrollte, und der Drang hoher Empfindung suchte einen Ausweg über die lallenden Lippen: Ach wo, rief ich in meinem Entzücken – wo gäb' es in der Natur einen Gegenstand, der rührender an das menschliche Herz spräche? und hörte hinter mir rufen: Hier! Betroffen sah ich mich um, und Saint-Sauveur und Klara,[95] an seine Brust gelehnt, waren es, die mich behorcht hatten – »O Ihr habt Recht,« sprang ich von meinem Sitze auf – »ihr trefflichen Menschen! Eure Liebe ist rührender, ist edler noch, als der Glanz der Sonne.« Sanft lächelnd gaben sie sich meiner Betrachtung Preis, und mein Blick weidete sich an dem für ein unschuldiges Herz erstaunlichen Bewußtseyn, das in den Augen des jungen Weibes lag. Wer hätte in Anschauung ihrer nicht alles vergessen – welcher Firniß seliger Gefühle überglänzte nicht ihr verschämtes Gesicht – wie sanft verlor sich nicht ihr Nachdenken in der Glorie des ersten anbrechenden Tages ihrer großen Errettung – wie freundlich spielte nicht sein Strahl um ihren in frohlockenden Dankgebeten schwellenden Busen, der unter blaßrothen Schleifen eines weißen Gewandes, sich allen Blicken noch eben so schüchtern als gestern unter dem Nonnenschleier verbarg. So verschließt die Nachtviole jedem Lichtstrahle ihren duftenden Kelch – hüllt sich in den Instinkt ihrer angebornen Würde, und öffnet ihren Wohlgeruch nur den verschwiegenen Schatten. Doch in welches poetische Labyrinth verlockt mich nicht dieses herrliche Weib! Ich könnte alle Blumenbeete durchstöbern, und würde doch die schönste nicht bedeutend genug finden, um Dir ihre – so weit von Berlinischem Prunk abstehende Grazie zu versinnlichen. Saint-Sauveur fühlte sein Glück und mit Recht unendlich stärker als ich – senkte schweigend sein gerührtes Auge auf die holde Gestalt, die zu ihm auf lächelte, und schien sich in dem ruhigen Stolze seines Gelingens für einen Gott zu halten, dem ein seliger Engel in dem Arme liegt. Als die Sonne höher trat und blendete, wand sich das reizende junge Weib, wie ein bittendes Kind, aus den zögernden Händen ihres tändelnden Freundes. – Er träumte ihr einige Augenblicke nach, dann nahm er mich bei der Hand. »Ich bin nun diesen Morgen ganz dein, Wilhelm!« sagte er. »Laß uns das Thal durchstreichen, und hilf mir nur Einen Menschen in der weiten Welt entdecken, der glücklicher ist als ich, damit sich nicht Uebermuth meiner bemeistere.« Unvermerkt leitete ihn der Hang seines Herzens zuerst auf unserm Spaziergange nach dem Janustempel, der ihm seit gestern nach seinem Brautbette wohl[96] der liebste Fleck der Erde geworden ist. Während er nun unter der zierlichen Wölbung nur die einzelnen Stellen aufzusuchen schien, über die Klarens Füße geschwebt hatten, wo sie saß, zitterte, weinte und ohnmächtig ward, verbreitete sich meine Bewunderung über das einfache schöne Ganze. »Ich sehe wohl,« rief ich endlich lachend meinem Freunde zu, »daß du über die Benutzung dieses Juwels von Felsen nicht nöthig hattest, weder mich noch meinen alten Lehrer der Baukunst, den ehrlichen Sperling, zu Rathe zu ziehen« – »Wie?« unterbrach er mich ganz betroffen, »heißt denn der alte Gurkenmaler so, der an dem Hafen wohnt?« »Ja wohl,« sagte ich, »aber er hat seinen deutschen Namen ins Italienische übersetzt, seitdem er hier ist« – »Das thut mir sehr leid,« versetzte Saint-Sauveur, »denn, wenn mich mein Gedächtniß nicht ganz betrügt, so habe ich schon mehrmalen nach demselben Manne Steckbriefe in den Berliner Zeitungen gelesen, die ich bloß eures Königs wegen noch halte« – »Nach Theodor Sperling?« – »Ja gerade nach diesem« – »Unmöglich,« fuhr ich fort, »dieser, zwar als Künstler sehr unbedeutend, ist jedoch die ehrlichste Haut, die ich kenne, und wahrlich auch nicht verschmitzt genug, der preußischen Polizei zu entwischen – Du irrst dich, lieber Mann!« – »Nun das ist leicht zu erörtern,« antwortete er sehr bestimmt, und befahl dem Bedienten, der uns von weitem nachgetreten war, nur die zwei letzten Monate der deutschen Zeitung bei seinem Kutscher zu holen, der sie aus Vaterlandsliebe sammelt. Mittlerweile geriethen wir in ein Gespräch, das mir mit jeder Minute wichtiger ward. Saint-Sauveur zeigte mir von weitem in seiner magischen Laterne den Plan, den er angelegt hatte, um den ohnehin glücklichsten Sommer seines Lebens durch Hülfe der Kunst, der Natur und seines Ueberraschungssystems noch mehr zu erhöhen. »Die nächsten acht Tage,« sagte er, »bleiben wir in diesem Freudenthale beisammen – dann schwinge ich mich mit Klaren – wie Vertumnus und Pomona, auf das erfrischende Hochgebirge meines Stammguts. Mein Ahnherr, der diese romantische Burg erbaut und mit unserm Geschlechtsnamen beehrt hat, muß die Gabe besessen haben in die fernste Zukunft zu blicken, und mich unter seinen Nachkommen[97] seines Schutzes am würdigsten zu halten, so genau paßt das Ideal, das ihn beim Anbau jener Gegend leitete, zu meinen glücklichen Verhältnissen. Hast du nicht in einem gewissen Mährchen von einem Schlosse gelesen, das ein Zauberer aus Feldsteinen zusammensetzte, und die hundert Säle und Zimmer darin allen den Rittern Preis gab, die in der Folge der Zeit dort absteigen und einsprechen würden – eine einzige himmelblaue Rotunde ausgenommen, die nur dem glücklichen Sterblichen zu öffnen erlaubt und möglich war, der seinem alten Feinde, dem Schwarzkünstler auf den sieben Hügeln, den von ihm so oft mißbrauchten Talisman der wahren Seligkeit rauben, und in jene Freistätte flüchten würde. In derselben Minute, setzt das Mährchen hinzu, wo er dort den geretteten Ring an den Finger steckt – überziehen sich die grauen Mauern mit Smaragden – die himmelblaue Rotunde prangt in ätherischem Feuer, er hört die Harmonie der Sphären – athmet nur Wohlgeruch, erfaßt, wo er hingreift, nur Lilien und Rosen, und seine fünf Sinne kommen ihm als so viele Thore vor, durch die Schaaren von Liebesengeln auf sein Herz eindringen. Dieses Luftgebäude der Phantasie nun – gehört in der Wirklichkeit mir zu – der Eroberer des Kleinodes, dem alle diese Wunder ankleben, bin ich, und unter Klarens Anblick werden sich jene Feldsteine meiner Burg in Bergkrystalle – Rubinen und Amethyste verwandeln – Komm mit uns, lieber Wilhelm, sieh und bewundere mit eigenen Augen die Wirkungen des Talismans, dessen ich mich, glücklicher als alle meine Vorfahren, bemächtigt habe. Meine Säle – Zimmer – Küchen und Keller stehen jedem Rittersmanne offen, bis auf die himmelblaue Rotunde, die mein Ahnherr mir ausschließlich vererbt hat.« Man mag sagen was man will, ein Feenmährchen hat seine eigenen Verdienste – es erwärmt, es befeuchtet bei Kleinen und Großen das kalte oder vertrocknete Gehirn. Kinder – um nur bei ihnen stehen zu bleiben – vergessen Essen und Trinken darüber, wenn ihnen nur kein Zuckerbrot in die Nähe kommt; aber auch dann noch leiht die einmal erregte Phantasie der Wirklichkeit einen Reiz mehr, der ihr abgeht. Es dünkt den Kleinen von der wohlthätigen Hand eines[98] Salamanders gebacken, und schmeckt und bekommt ihnen nur desto besser. So ging es gerade auch mir. Ich folgte dem Feenmährchen meines Freundes mit kindischer Neugierde – ließ den kleinen Anspielungen auf seine wahre Geschichte alle Gerechtigkeit widerfahren, und sein Bergschloß sammt den Rittersälen – sein Talisman und die himmelblaue Rotunde gefielen mir ganz wohl, aber so anlockend konnten sie doch für einen verständigen Mann nicht seyn, daß er darüber seine Rückreise ins Vaterland nur um einen Tag – geschweige einen ganzen Sommer verschieben sollte. Da Freund Saint-Sauveur sah, daß seine Bildersprache nicht wirkte, ging er zur schlichten Prose über. »Meine dortigen Besitzungen,« sagte er, »gehören in allem Ernst zu den angenehmsten in Frankreich. Sie sind mit Wäldern durchflochten, wie du sie liebst – das Klima ist ganz deutsch – die Luft gesund – die Natur groß, fruchtbar, heiter und wohlthätig, und mit meinen romantischen Anlagen wirst du zufrieden seyn.« Das mag wohl alles seinen Werth haben, dachte ich, aber treffe ich es denn nicht auch in Deutschland wieder an? Es ist eine eigene Sache mit dem Heimweh – ich überhörte nochmals seine freundschaftliche Einladung, und blieb unerschütterlich bei meinem Vorsatze – aber jetzt rückte er mir das Zuckerbrot unter die Augen. »Auch Agathe wird uns begleiten,« warf er noch am Schluß seiner Rede so hin ... und nun verrieth sich das Kind mit seiner ganzen Schwäche auf einmal. Ich stutzte – doch länger nicht, als ich Zeit zu dem pfeilschnellen Gedanken brauchte, welche Lust es seyn müßte, in den dortigen herrlichen Wäldern, Agathen am Arme, zu wandeln – der Vorzeit in den alten Rittersälen mit ihr nachzuspüren und ihre Meinung über die himmelblaue Rotunde zu hören. Mag doch aus meinem Vaterlande werden was Gott will! – dort komme ich immer noch zeitig genug an, und ohne mich länger zu besinnen, gab ich mein Jawort zweimal hinter einander. Indem brachte der Bediente das Pakt Zeitungen, ich schob es in die Tasche, ohne es anzusehen. Mein Freund hatte mich in eine Gegend verzaubert, aus der ich mich nicht wieder wegbringen konnte. Er mußte mir alles auf das genaueste vormalen und[99] beschreiben – Alle Winkel in seiner Burg waren mir lieb geworden, und ich hätte mich mit Agathen finden wollen wie zu Hause. Wäre ich in diesem Momente vom Schlage gerührt worden, o Gott, wie viele köstliche Aussichten des Lebens – welche süße Erwartungen hätte ich verloren! Das geschah nun zwar nicht, dafür traf mich aber eine andere Widerwärtigkeit, die jener nichts nachgab. Man händigte mir – und die Rede blieb mir im Munde stecken – einen Brief ein, den eben eine Stafette gebracht habe. »Gieb acht,« erschreckte mich Saint-Sauveur, »die Unwissenheit der Berlinischen Aerzte hat gesiegt – Euer großer Friedrich wird dahin seyn, und dann erbarme sich Gott deines Vaterlandes« – Ich riß den Umschlag auf – las – erblaßte, als ob er es errathen hätte – und nun reichte ich ihm das elende Geschreibe zu seiner Beruhigung hin – Mit der meinigen war es vorbei. Ich setzte mich auf eine Altarstufe und hing den Kopf. »Was zum Henker hast du da für eine Korrespondentin,« fragte Saint-Sauveur, als er die Unterschrift zuerst ansah – »Elektra? – dermalen auf dem Jahrmarkt zu Montpellier?« – Ich gab ihm Aufschluß so gut ich konnte – aber jede Zeile, die er weiter las, nöthigte ihn zu einer neuen Frage, die endlich, zusammen genommen, ein Verhör bildeten, wobei ich selbst nur zu sehr fühlte, wie albern ich aussah – »Du hast also deine Livreen auf dem Trödel gekauft? Schmuck von Werth darin gefunden? und ihn seinem Eigenthümer nicht wieder gegeben? und darüber, wie ich sehe, zwei ehrliche Kerle – als Mörder der entlaufenen Bursche, die vorher die Kleider trugen, in Ketten und Banden gebracht? – Die Frau meldet, das Gericht bedrohe beide Brüder mit der Tortur – und – es ist schrecklich, gäbe ihnen nur drei Tage Zeit, ihre Unschuld entweder darzuthun, oder sich auf den Galgen gefaßt zu machen. Welchen fatalen Handel hast du dir da zugezogen, lieber Wilhelm, und was gedenkst du nun anzufangen?« Ich hockte vor dem Marquis wie ein armer Sünder – gab ihm kleinlaut über alles Bescheid – gestand ihm aufrichtig die Schuld meines unverzeihlichen Leichtsinns und bat um seinen guten Rath. Er that mancherlei Vorschläge, die er aber ihrer Weitläuftigkeit[100] – Unsicherheit oder möglicher Zufälle halber, eben so bald wieder zurücknahm. Nach langem Hin- und Herreden blieb mir nichts übrig, als um seine Pferde und Wagen bis Marseille zu bitten, von da ich Post nach Montpellier nehmen wollte, um die Sache durch meine eigene Gegenwart ins rechte Gleis zu bringen. Der menschenfreundliche Mann war selbst zu betroffen, zwei Unschuldige, meiner Thorheit wegen, in der Todesangst schwitzen zu sehen, und kannte die Geschwindigkeit der französischen Justiz viel zu gut, als daß ihm sein Gewissen erlaubte, mich aufzuhalten – »Willst du nicht wenigstens vorher in unserer Gesellschaft frühstücken?« fragte er zuletzt – »In Eurer vortrefflichen Gesellschaft?« jammerte ich, »ach erinnere mich nicht daran, was ich alles hier verliere – Wo sollte mir die Eßlust herkommen? Muß ich nicht eilen, um fortzukommen, da es die Ruhe und das Leben zweier schuldlosen Menschen gilt?« Hierauf ließ sich nichts erwiedern – Er bestellte sogleich die Pferde, und wünschte nur, daß meine Reise glücklich seyn, und ich bald von Montpellier zurückkommen möchte. – »Freund,« fiel ich ihm ernst ins Wort – »alle die frohen Tage, um die ich mich bringe, sind mir eine harte – aber wohlverdiente Strafe. Sei gerecht und suche sie nicht zu mäßigen! Von Montpellier habe ich fast eben so weit nach deiner Burg als zu der deutschen Gränze. Laß mich also immer den Weg, auf den mich meine einfältigen Streiche gebracht haben – nach der Heimath fortsetzen! Aber höre noch, was dir mein Herz vorzutragen hat – die Zeit ist zu edel, um es mit Umschweifen zu thun. Versprich mir, lieber Saint-Sauveur« – und ich flog ihm an den Hals – »daß du Agathen für mich aufheben willst – und gewiß umarme ich dich eher wieder, als du denkst – Frankreich soll mir alsdann von Berlin nur ein Katzensprung seyn – dort bleibe ich nur so lange, als Noth ist, um meine Bücher – Kupferstiche und andere Kleinigkeiten zu verkaufen – dem besten meiner deutschen Freunde schenke ich meinen Gypskopf und meine Scheibensammlung – und wenn ich mich so leicht gemacht habe, wie ein Vogel – fliege ich fort und bin der eurige auf ewig. O daß ich dir die Lücke deines Grammont ersetzen möchte! – Glaubst[101] du nicht, lieber Saint-Sauveur, daß mir Agathe ein wenig gut werden könnte, wenn ich erst mehr um sie bin?« »Darüber,« antwortete der behutsame Mann, »behalte ich mir vor dir zu schreiben – Traue übrigens in deiner Herzensangelegenheit meiner Freundschaft und dem Wunsche, einen solchen Sonderling, wie du bist, in meiner Nähe zu haben.« Indem kam der Wagen vor das Portal des Janustempels angefahren. Hochbewegt umarmte ich meinen theuern Freund. »In der Hoffnung des baldigsten und glücklichsten Wiedersehens,« schluchzte ich ihm vor, »vergiß um Gotteswillen meinen Auftrag nicht! – Sage deiner lieben Gesellschaft guten Morgen von mir und lebe – lebe wohl!« Ich warf mich unter einem Erguß zärtlicher Thränen von einer ganz eigenen Mischung in die Chaise. Als sie ein wenig verlaufen waren, gesellten sich allerlei Betrachtungen zu mir, die eine trat mir vorzüglich an das Herz. Während Bastian – überrechnete ich – ein- und aufpackt, hast du wohl noch Zeit, deinen immer verschobenen Besuch in dem Tollhause abzulegen – denn wie möchtest du diese Gegend verlassen, ohne die bedauernswürdige Frau kennen zu lernen, für die du vergangene Nacht auf dem Grabe ihres entleibten Gatten so inbrünstig gebetet hast. Ich äußerte gegen meinen Landsmann den Wunsch, wenn es möglich wäre, noch vor neun Uhr in der Stadt zu seyn – »Möglich?« drehte er sich zu mir, »ich verspreche es Ihnen um eine ganze Stunde früher.« Er theilte seinen Diensteifer durch ein paar tüchtige Peitschenhiebe seinen vier Rappen mit, und hielt so gut Wort, daß er mich sogar einige Minuten eher, als er versprochen hatte, vor den heiligen Geist brachte. Es traf sich alles nach Wunsch. Bastian war zu Hause und Passerino bei ihm zum Frühstücke. Kaum waren sie von meiner ernsthaften Angelegenheit unterrichtet, so traten beide zu meinem Dienste zusammen – der Maler besorgte die Postpferde – Bastian das Einpacken, inzwischen ich die freien Augenblicke benutzt und Dir erzählt habe, durch welche sonderbare Verkettung der Umstände – um nur das geringste zu erwähnen, die vergangene Nacht mit einem Theile des heutigen Morgens so verschmelzt wurde, daß sich sogar darüber zum erstenmal in meinem[102] chronologischen Tagebuche der gewöhnliche Abschnitt der Zeit verrückt hat. In den meisten Geschichten scheint es mir zwar sehr gleichgültig – wie die Uhr stand, als die Sache vorfiel, wenn sie nur wahr ist. Hier aber ist es nicht so ganz einerlei, und wenn sich nicht das eine aus dem andern natürlich erklären ließe, müßte es doch wohl jedermann auffallen, daß ich eben so schmuck, als ich gestern von der Hochzeit kam, heute bei Narren auftrete. Wo hätte ich die Zeit hernehmen sollen mich umzukleiden? Passerino hat sich Bleistifte von allen Farben – Bastian einige Pfunde Schnupftabak zum Austheilen unter die armen Preßhaften geholt, und so gehen wir nun – kecker vielleicht, als wir sollten – dem belehrenden Schauspiele entgegen, das Thorheit und Raserei der ihnen nur zu nah verwandten menschlichen Vernunft zu gute geben.


Den 25sten Februar.


In ein kleines, ruhiges, mit einer dunkeln Lampe erleuchtetes Stübchen verwiesen, sitze ich hier in einem ländlichen Posthause, zwei Stationen von der betäubenden Hauptstadt – denn weiter konnte ich heute nicht kommen – und blicke meinem abgelaufenen Tage in einer Gemüthsstimmung nach, wie ich sie mir nur, bei dem letzten herabrieselnden Sandkörnchen meines Stundenglases, zum Ueberschwung in die Ewigkeit wünschen kann. Ich habe die, selbst in ihrer Verrückung noch, unübertreffliche Frau gesehen, gehört, bejammert und angebetet. Wären ihr alle Verstandesberaubte gleich, so würde ich die mahomedanische religiöse Verehrung derselben ohne Bedenken in meine Glaubensartikel aufnehmen. Doch gemach! Wir müssen erst, lieber Eduard, einen langen sauern Weg zurücklegen, ehe wir in die verschwiegene Halle gelangen, die diese Heilige von der großen lärmenden Gesellschaft gemeiner Unsinniger scheidet. Ich ließ mich bei ihrem Vorsteher als einen Freund des Marquis ansagen. Er empfing mich schon darum mit vieler Achtung, die schnell in Zutrauen überging, da meine Eigenliebe ihm nicht verschweigen konnte, daß ich dem großen Feste, von dem ich eben zurückkäme, als der einzige Fremde beigewohnt hätte: denn es ist unglaublich, was der kleinste Beweis von Auszeichnung,[103] mit welcher St. Sauveur jemanden beehrt, in den Augen der Rechtschaffnen für einen Glanz auf ihn zurückwirft. Unter diese Zahl gehört Herr Filbert unstreitig, ein Name, der zwar von keinem Stammbaume beschattet wird, den ich aber in den meinigen vor vielen andern aufnehmen möchte, die, stiftmäßig, ihr Leben in Spiel-, Trunk- und Theegesellschaften vergeuden. Er habe sich, sagte er, um seine nichts weniger als anlockende Stelle beworben, die seiner Mutter Bruder aber, trotz ihrem geringen Schimmer, zu einem wahren Ehrenposten erhoben hätte. Ich zog den Hut ab, als er mir auf mein Befragen nach dem Namen seines Oheims den edeln Howard nannte. »Wenn ich etwas Gutes in meinem beschwerlichen Amte bewirke, so verdanke ich es dem Stolze, einem solchen Blutsfreunde nachzueifern, den ich ganz jung kennen lernte, als er die hiesigen Gefängnisse und Armenhäuser besuchte. Ich habe, wie er, nicht die Phantasien der Weltweisen, sondern der Narren studirt – nicht die Kunst, Paläste anzulegen und zu verzieren, sondern bequeme Kerker zu bauen, und mit gesunder Luft zu füllen, ihm abgelernt, werde der Nachwelt so wenig, als er, eine verbesserte Taktik – wirksamere Mordgewehre, oder neue Plane zu Lotterien und Auflagen – aber der Menschlichkeit in einer Wissenschaft, die noch sehr im Finstern liegt, hellere Augengläser vererben. Diese Anstrengung meiner wenigen Kräfte glaube ich dem Ruhme meines Oheims schuldig zu seyn.« Es ist gut, Eduard, daß die Natur durch das Hirngespinst körperlicher Verwandtschaft manchmal auch noch eine geistige stiftet, so wie der leere Schall eines Namens, den ein berühmter Vorfahr auf uns gebracht hat, selbst bei dem Unvermögen, ihn zu erhöhen, uns doch gewiß abhalten wird, ihn verächtlich zu machen. Ein Namensvetter von Howard oder Filbert könnte, dächte ich, kein unnützer Weltbürger werden. Meine Begriffe sind gewiß von dem Verdienste eines Monarchen nicht klein, der seine Staaten in Ruhe zu erhalten und das Glas voll gährender Hefen so geschickt zu tragen versteht, daß es weder zerbricht noch überläuft; wenn aber die Behauptung wahr ist, daß ein Haufe verschobener Köpfe schwerer zu behandeln sei, als eine[104] Armee, die, da sie aus lauter klugen in eine Masse zusammen gezwängt ist, geduldig dem Winke eines Lappens folgt, den ihr Gebieter ihnen zur Hetze auf eine andere Menschenmasse vortragen läßt, die er – ihren Feind nennt: – so sollte es beinah scheinen, als ob das Regenten-Verdienst eines Narrenwärters mehr besage, als das eines Fürsten. Nach besserer Ueberlegung halte ich jedoch dafür, daß die Regierungskunst des einen wie des andern auf einerlei Grundpfeilern beruhe, und die einfachen Mittel, die Filbert gebraucht, um seine tobende Republik in Gehorsam und Ordnung zu erhalten, dieselben sind, die unser Friedrich, nur nach einem größern Maßstabe, anwendet. »Ich bändige,« sagte er, »durch Hunger – belohne durch die Freude der Sättigung, und lasse übrigens in gleichgültigen Dingen jedem tollen Kopfe das Spielwerk seiner Laune. Sie werden mich sogleich deutlicher verstehen, mein Herr.«

Er führte mich nun in die erste der vier Abtheilungen, die in einem weitläufigen Bezirke die verschiedenen Klassen dieser Brüdergemeine von einander sondern. Wenn Apollo einmal einem Dichterchor sichtbar erschiene, schwerlich könnte er von feurigern Augen bewillkommt werden, als hier aus einem Dutzend finstrer Behälter meinem Begleiter entgegenfunkelten. »Nach was,« fragte ich, »strecken diese Rasenden ihre Hände so weit aus ihren Gittern?« »Nach Federn, Tinte und Papier,« war seine Antwort, »sie würden aber bald die ganze milde Kasse gesprengt haben, wenn ich ihnen hierin immer zu Willen stände. Diesen Hof, mein Herr, habe ich nur den Genies der Gesellschaft eingeräumt, die meiner Aufsicht um deßwillen am nächsten sind, weil sie ihrer am meisten bedürfen. Sie taugen durchaus in keine andere Abtheilung, denn sie würden jeden Narren, der nicht mit ihnen auf derselben Höhe steht, nur noch närrischer machen. Hier hält das Excentrische des Einen den Unsinn des Andern im Gleichgewicht. Die Nachwelt ist zwar das allgemeine Steckenpferd, das sie reiten, und die Minderjährigkeit des Zeitalters ihre ewige Klage.« »Da sie aber,« wendete ich ihm ein, »einander meistens in die Fenster sehen können, wie ich bemerke, so dächte ich, müßte bei gleichen Forderungen[105] ein unaufhörlicher Zwist unter ihnen herrschen, dessen Ausbruch nur die stärksten Ketten hindern können.« »Dafür habe ich gesorgt,« erwiederte der Aufseher. »Es giebt der Wege zur Unsterblichkeit so viele! und indem ich hier dem Tragödien-Schreiber einen Systematiker – dort dem medicinischen Freigeist einen Sternseher – weiter unten dem Goldkoch einen Heldensänger, und am Ende des Hofs dem Weltverbesserer einen Liederdichter gegen über gesetzt habe, lachen die einen über die andern, und treffen sich nie in einem Gleise zusammen. Jeder verführt ruhig seine Waare der Ewigkeit zu, ohne sich um die Ladung des Gegenüberstehenden zu bekümmern. In ihrer Kost sind sie sehr genügsam; desto gieriger aber nach gelehrten Zeitungen, und ich kann allemal aus der rasselnden Kette des einen, oder der schäumenden Wuth des andern abnehmen, wenn einer ihrer Zunft in dem neusten Blatte gelobt ist. Deßhalb lasse ich seit einiger Zeit nur ein gewisses Journal, seiner herabwürdigenden Urtheile wegen, unter diesen Herren cirkuliren, und kann dem Herausgeber nicht genug dafür danken: denn es scheint nur für Narren geschrieben zu seyn, und beruhigt die meinigen außerordentlich. Auf lucida intervalla darf ich nicht eher bei ihnen rechnen, als bis ein Licht in der gelehrten Welt verlischt. Es ist, als ob sie nach einer solchen Anzeige mehr Luft bekämen: denn jeder berühmte Mann scheint ihnen den Raum zu verengen. Könnte sie ein Schlagfluß alle auf einmal tödten, ich glaube, den Tag nachher bekämen diese gelbsüchtigen Thoren alle wieder gesunde Farbe.« »Dürfte ich wohl,« fragte ich, und winkte Bastianen, »diesen Herren einen Theil meines mitgebrachten Geschenkes anbieten?« »O,« antwortete mein Führer, »Sie können es nirgends zweckmäßiger anwenden – nur erwarten Sie keinen Dank dafür – denn so weit reinigt die stärkste Niesewurz ihr Gehirn nie.« – Indem rief mir der Tragikus mit ironischem Ingrimm und mit einem Blick zu – nein, Lucan hat der Furie, die ein Nest Schlangen zerdrückt, während der Sohn des Pompejus sie um den Ausgang der Pharsalischen Schlacht befragt, keinen erschrecklichern gegeben – »Steht der junge Herr dort« – rief er – »etwa auch in dem Wahn, ein Dichter der ersten Klasse[106] zu seyn?« – »Gott bewahre mich,« rief ich äußerst erschrocken, »vor einem so übermüthigen Einfalle,« und beschwor Herrn Filbert, mich aus der Nähe dieses groben Narren zu bringen. –

Die anstoßende Abtheilung war still wie das Grab. »Sie verwahrt,« sagte Filbert, »ehemals gute, nützliche Bürger, die durch äußere unglückliche Zufälle in hülflosen Blödsinn gerathen, und auf ihrem harten Strohlager einer bessern Zukunft entgegen träumen. Das Mitleid wird zu sehr gespannt, um hier zu verweilen; doch werfen Sie immer im Durchgehn einen Blick in die mittlere Zelle, weil Sie bald die Mutter des jungen Mannes, der hier eingesperrt ist, sehen und hören werden. Er ahndet nicht, daß er der Grausamen so nahe wohnt, die, um es kurz zu sagen, ihn durch ihr Beispiel verdorben, durch ihre Lehren zur Verschwendung seiner Jugendkräfte, zum Mißbrauche seines guten Verstandes gereizt und in dieß Elend gebracht hat – eine Geschichte von gewöhnlichem Ursprung und entsetzlichem Ausgange.

Sein Vater – ein reicher Banquier – sonst höchst behutsam in seinen Unternehmungen, – war es nur nicht in der Wahl seiner Gattin. Er blickte aus seinem Komtoir in die junge weibliche Welt, wie in ein Waarenlager, und suchte sich das Mädchen aus, das einstimmig unter den Kennern für die Reizendste erklärt wurde. Stolz führte er sie bald als sein Eigenthum durch die Reihe ihrer Anbeter – glaubte ein unschätzbares Kleinod erhandelt zu haben, ohne zu bedenken, daß es keins in der Ehe giebt, wenn es sich nicht selbst zu schätzen weiß. Das wußte seine junge Frau so wenig, wie der Diamant des großen Moguls – und Er – wenn er nur seine Geldkasten unter dem Schlüssel hatte, glaubte alles in seinem Hause verschlossen. Während er gekrümmt an seinem Schreibetische saß – hatte er kein Arges auf die Bälle, Redouten und Opern, wo sein Edelstein glänzte. Eifriger konnte er aber kaum seine Wechselgeschäfte treiben, als sie das ihrige. Sie hätte sogar den Vortheil gehabt, es länger fortzusetzen, als er, da ihn ein schneller Tod von der Seite seiner schönen Hälfte wegnahm, und nun das Ganze ihren Liebhabern überlassen blieb, wenn nur nicht nach und nach neben ihrer Wechselbank andere mit[107] mehrerem Kredit entstanden – schlankere Gestalten auf den Maskeraden – leichtere Tänzerinnen auf den Bällen – jüngere Gesichter in den Logen erschienen wären, die alle Lorgnetten von der ihrigen abzogen. In dieser Verlassenheit, die mit den Jahren zunahm – bekam sie Zeit, an die Erziehung ihres Sohnes zu denken, der schon ziemlich durch ihr Beispiel gebildet, siebenzehn Jahre alt, und reich und schön genug war, das Werkzeug ihrer doppelten Rache an unserm und ihrem eigenen Geschlechte zu werden. Als er an einem Redoutenabend sie um Rath fragte, was er thun solle, um sich auszuzeichnen, stand sie als Zauberin masquirt vor ihm – hob ihren Stab und entließ ihn mit folgendem Orakelspruch: Blicke um dich und sieh, wie jene stimmenden Bienen die Knospen der Rose belagern, um, sobald sie sich aufthun, den ersten Honig aus ihrem Kelche zu saugen – und du könntest die Flügel hängen und anderm Gewürme ruhig den Vorgenuß einräumen? Ich hasse mein Geschlecht und ergrimme über das deinige. Schaffe mir Genugthuung von beiden und Seelenruhe durch deine Triumphe!

An diesem Abend, erzählt man, gelang ihm seine erste Verführung in einer Schäfer-Maske bei einer Schneiderstochter, als Diana gekleidet, und beider Unschuld ging verloren. Durch mütterliche Erfahrung wehrhaft gemacht, wie gefährlich ward nicht dieser verwahrloste Jüngling jeder unbewachten weiblichen Tugend? Wie manche herrliche Frühlingsblume hat nicht dieser gehorsame Sohn, auf Kosten seiner eigenen Jugendblüte zerstört? In seinem vier und zwanzigsten Jahre verfiel sein, durch Wollust entkräfteter Körper in ein schleichendes Fieber, dem sich die Verstandesschwäche anschloß, die alle seine Ansprüche auf ein frohes Leben vereitelt und ihn endlich unter meine Aufsicht gebracht hat. Die Welt bestrafte das mütterliche Ungeheuer mit Ekel und Verachtung, und der oberste Richter, nach einer mehrjährigen Folter unbefriedigter Leidenschaft, durch Wahnsinn, der sie auch hier nicht einmal dem Mitleiden, sondern dem Spotte der Neugierigen Preis giebt. Sobald sie einen von unserm Geschlechte zu Gesichte bekommt, wird sie gesprächig, und entwickelt den Gang ihres häßlichen Lebens[108] mit einer unbeschreiblichen Naivetät, die jedoch für einen Psychologen nicht ohne Werth ist. An der Spitze einer Schaar sinnloser Weiber scheint sie ruhiger zu seyn, als sie es in der vorigen verschuldeten Einsamkeit ihrer prächtigen Wohnung war, und vertreibt sich die Zeit durch idealische Buhlerei mit dem Himmel. Als man sie über diesen Hof in ihren Käfich führte, kehrte auf einen schrecklichen Augenblick die Besinnungskraft des Sohnes zurück. Er erkannte die mütterliche Furie – griff rasend in sein Gitter – verfolgte sie mit brüllenden Flüchen, und stürzte dann ohnmächtig auf sein Lager. Sie aber, nur mit ihrem schamlosen Aufputze beschäftigt, ging gefühllos vorbei, ohne, wie es schien, das Schlachtopfer ihrer widernatürlichen Laster bemerkt zu haben.« »Die Geschichte ist gräßlich, lieber Filbert,« sagte ich, »sie zerreißt das Herz und bestätigt die Bemerkung, die ich schon in mehreren Irrhäusern zu machen Gelegenheit gehabt habe, daß unter allen schauderhaften Geburten des Wahnsinns keine unserer Seele so widrig und abstoßend erscheint, als die aus zügellosen unkeuschen Begierden entsprang.«

Mein Auge kam von dem Hinblick, den es in die grausende Richtstätte des todtbleichen, hohläugigen, zum Selbstmörder herabgesunkenen unseligen Jünglings that, mit solchem Entsetzen zurück, daß mich Filbert geschwind mit den Worten: »Kommen Sie, mein Herr!« bei der Hand nahm.

»Als einen Mann, der die Welt kennt, wird Sie die folgende Gallerie wieder aufmuntern. Sie enthält, was man halbe Narren nennt, nur um etwas anmaßlicher – lächerlicher und gesprächiger, als uns deren nur zu oft im gewöhnlichen Leben aufstoßen! Sie spielen die Angenehmen, dociren gern – fragen zur Unzeit – sind zudringlich und mit unter von der lustigsten Laune. – Einige haben sich aus rasender Prosa in die matteste Poesie geworfen. Diese Krankheit – ein sonderbares, aber gegründetes Phänomen – ist gerade an die Stelle des Kerkerfiebers getreten, das ich glücklich genug gewesen bin, nach der Anleitung meines Oheims auszurotten. Ich würde gern die harmonischen Anfälle dieser armen Preßhaften – wie den Uebergang eines hitzigen Fiebers in ein[109] kaltes – für ein Zeichen der Besserung halten, wenn der unbegreifliche Stolz, der sie dabei juckt, mich nicht wieder über ihren Zustand irre machte. Einer der ausgezeichnetsten in dieser Rücksicht sitzt gleich in der nächsten Zelle. Ich habe ihn erst kürzlich aus der ersten Klasse in diese – aus der wirklichen in die stille Wuth gebracht, indem ich seinem Hochmuthe ein wenig nachgab. Der Wunsch des Julius Cäsar, lieber an einem kleinen Orte der erste, als der zweite in Rom zu seyn, war ihm in gesunden Tagen überall, wo er hinkam, auf Universitäten und auf Dörfern, verunglückt, hatte sich aber in seinem Kopfe so arithmetisch festgesetzt, daß er auch hier im Tollhause nicht davon abgehen wollte. Eine solche Würdigung seiner selbst verlangte nun freilich einen untergeordneten Zähler, und ich konnte lange für diese Stelle kein taugliches Individuum auftreiben, bis mir ein Kandidat in die Hände gerieth, dem die Epidemie der Schulverbesserung in das Gehirn getreten war. Diesen gesellte ich jenem bei, so wie die Thierwärter ein Hündchen in den Käfich des Löwen stecken, um ihm durch das Gefühl der Großmuth für ein schwaches Geschöpf alle Kampflust gegen stärkere aus dem Sinne zu schlagen.«

Wir traten ein. Schwerlich würde ich mich in die närrische Gruppe, die sich mir darstellte, ohne die voraus erhaltene Erläuterung gefunden haben. Aufgeblasen saß der Erste im Rang, sechs Stufen hoch unter einem Thronhimmel mit Goldpapier überkleistert, hielt in seiner Rechten einen hölzernen Zepter und lächelte mit verächtlichem Mitleid auf die Null herab, der er doch das süße Bewußtseyn seiner zehnfachen Vergrößerung zu verdanken hatte. In gehöriger Entfernung unterhalb seines glänzenden Sitzes verfolgte der tolle, und wie ein hessischer Züchtling aufgestutzte Pädagog, in fortwährendem Zirkelschlag seine überspannten Ideen und haschte nach Wörtern, die er so lange über einen philosophisch-grammatikalischen Leisten zerrte, bis er einen Schuh fertig brachte, der aber auch freilich darnach war.


Ich liege – du liegest – wir liegen

Gleich eingehüllet und warm,

Der eine geschminktem Vergnügen,

Ein andrer der Schwermuth im Arm.
[110]

Ich zähle – du zählest – wir zählen

Die Höhern als Thoren, und sind

Im Forschen, im Wünschen und Wählen

Gleich unberathen und blind.


Ich harre – du harrest – wir harren

Des Possenspieles Vergang.

Doch dauert lustigen Narren

Die Hora selten zu lang.


Du würdest mir gewiß das Lachen vergeben haben, lieber Eduard, das mich beim Anblicke dieses albernen Wortkrämers befiel. Von Ihro Magnificenz zog es mir aber einen tüchtigen Verweis zu. – O, rief er und winkte mit seinem Zepter darein:


O, Ihr Kritons!24 Laßt den kranken

Füllentreiber unverlacht,

Der zum Kreislauf der Gedanken

Aus der Wildbahn ohne Schranken

Eine Reitbahn macht!


Gönnt dem Thoren sein Entzücken!

Stört nicht seines Stolzes Ruh!

Dreht mit abgewandten Blicken

Er denn nicht sogar den Rücken

Meinem Purpur zu?


Meinst Du nicht auch, Eduard, daß so ein Kreisel, der sich eine Viertelstunde vor unsern Augen herumdreht, wohl uns am Ende selbst wirblich zu machen im Stande sei? Ich möchte es beinahe aus der einfältigen Empfindlichkeit schließen, mit der ich die Zurechtweisung eines solchen Hochmuthsnarren, als dieser Zepterträger war, aufnahm. Ich vergaß wirklich, daß ich in einem Tollhause war, schlug ihm ein Schnippchen zu und kam, indem ich hastiger, als nöthig war, sein Auditorium verließ, darüber mit dem Daumen zwischen Thür und Angel; doch, sobald ich an die freie Luft kam, verlor sich eine und die andere unangenehme Empfindung. –[111]

»Und wer ist denn,« wendete ich mich gegen meinen Begleiter, »der ältliche Mann, der hier so frei herumgeht und so behutsam einhertritt, als ob er auf Eier träte und ein Geheimniß unter dem Mantel trüge?« »Er ist,« berichtete mich Filbert, »mein Unteraufseher in diesem Hofe und nur um etwas klüger, als die er bewacht. Es gab eine Zeit, wo dieser Schleicher als der sicherste Führer durch das Labyrinth der Metaphysik angestaunt wurde, und Schüler zog, die ihn vielleicht hier noch einholen. Es mochte wohl damals nicht ganz richtig mit ihm bestellt seyn. Seine letzte Arbeit aber verrieth ihn vollends. Nach vielen Versuchen über die Anomalien anderer kam er endlich auf seine eigenen, mit denen er, glaube ich, hätte anfangen sollen, und auf den unglücklichen Einfall, Selbstbekenntnisse zu schreiben, wie Rousseau. Von dieser Epoche an zählt sich seine Verirrung.« »Das ist auch,« fiel ich ihm ins Wort, »der geradeste Weg, entweder ein Heuchler oder ein Narr zu werden. – Könnten Sie mir wohl sagen, ob er sie in Form eines Tagebuchs schrieb?« »Ist mir nicht bekannt,« antwortete Herr Filbert. »Die Handschrift wurde auf königlichen Befehl verbrannt.« – »Verbrannt?« wiederholte ich, »wie kommt es aber, daß man einen so gefährlichen Schriftsteller bei dem Zuspruche der vielen Neugierigen in so leidlicher Verwahrung hält, und ihm obschon die Feder nicht – doch die Zunge frei läßt?« »Weil er,« gab mir der Oberaufseher zur Antwort, »keiner Seele etwas zu leid thut, immer am liebsten von sich spricht, wie sein Original, in der freien Luft am ruhigsten ist – eben so gern, als jener, in die Sonne blickt, und ein Metaphysikus in einem Tollhause keine Autorität mehr bei seinen Zuhörern hat. Sein verlorner Wirkungskreis schien ihn anfangs sehr zu schmerzen – dieß bewog mich, ihm als eine kleine Entschädigung die Polizei dieses Hofs anzuvertrauen. Er benimmt sich recht gut dabei – schleicht – wie Sie sehen, von Gitter zu Gitter – horcht, beobachtet und verfehlt nie, es mir sogleich zu melden, wenn einer seiner Untergebenen den Kopf durch das Luftloch gezwängt oder sonst einen Unfug gestiftet hat – doch Sie werden gleich selbst urtheilen können, wie es mit ihm steht.« »Ich bekleide hier« – war seine Antwort auf meine hingeworfene[112] Frage, »ein Amt, das ich lange durch große entfernte Umwege zu gewinnen gesucht habe, ehe ich auf einem ganz einfachen dahin gelangte.« »Wie so?« suchte ich ihn in seine Schwärmerei zu verlocken, und ich traf es so gut, daß er die hier grassirende Poesie zu Hülfe nahm, um mir vermuthlich für sein Selbstbekenntniß desto mehr Achtung einzuflößen, das ungefähr so lautete:


Der Wahrheit dunkeln Pfad zu finden,

Der unterm Monde sich verlor,

Durchglüht' ich mich und hielt den Blinden

Die Leuchte meiner Schriften vor.


Mit Rauch umgeben und versunken

So gut als sie auf Gottes Heerd,

Schätzt' ich mich doch als einen Funken

Des Feuers, das die Geister nährt,


Als einen Theil, der für das Ganze

Nothwendig wie die Sonne sei,

Und wähnte, zum gemeinen Glanze

Misch' ich auch meinen Firniß bei.


Da hört' ich eine Stimm' erwachen:

Die Welt braucht dein erhabnes Licht,

Braucht, um ihr Feuer anzufachen,

Den Brennstoff deiner Schriften nicht!


Laß dem Erhalter seine Sorgen;

Genug dem Sterbling, der im Schweiß

Des Angesichts den nächsten Morgen

Mit Heute zu berechnen weiß.


Steig an der Kette der Ideen

Nicht bis zum Engel – steig herab;

Der stolze Weg, der dir zu gehen

Vergönnt wird, ist der Weg ins Grab.


Der Wurm soll kriechen, sich verstecken,

Den Staub vermehren, der ihn schuf –

Das Unsichtbare zu entdecken

Ist keines Sterblichen Beruf!


Was dein Gehirn in Umlauf bringet,

Befördert keines Sternes Lauf,

Schreib oder nicht, die Sonne schwinget

Sie doch am Horizont herauf.
[113]

Kann wohl ein Doktor, ein Verfechter

Der Wahrheit seines innern Sinns

Mehr nützen als ein Narrenwächter?

Der wollt' ich eben seyn – und bin's!


Wohl Schade, dachte ich, daß du dein Stammbuch nicht bei dir hast, denn das wäre gerade der Mann, den du ohne Bedenken um ein Memoriae gratia bitten könntest. Ich würde auch gern seiner Beichte – ob ich gleich hier und da den Sinn erst hineinlegen mußte, mein Ohr noch eine Weile geliehen haben, wäre nicht das seine durch ein Geräusch am Ende des Hofs stutzig geworden – denn nun war er nicht aufzuhalten. »Lassen Sie ihn nur gehen,« sagte Herr Filbert, »Sie sollen nichts dabei einbüßen. Treten Sie nur an das Gitter Nummer fünf, wenn Sie einen Narren von Magister hören wollen, den das Nachgrübeln über die schwierige, aber nicht ganz verwerfliche Physiognomik irre gemacht hat. Seine Urtheile sind oft sehr treffend – Sehen Sie nur wie seine Wände mit Schattenrissen überklebt sind. In einer Stunde kann ich Ihnen voraus sagen, ist Ihre Silhouette auch darunter, und gewiß so gleich, als wenn Sie ihm gesessen hätten.« – »Da ist es doch,« erwiederte ich, »wirklich ewig Schade, daß sein Talent hier, so ganz unnütz für die Welt, vergraben ist. Spricht er auch in Versen?« – »Das können Sie denken,« sagte mein Führer und klopfte an die Thür. Der arme Narr! Es that mir wohl leid, daß er meinetwegen von seinem Arbeitstische aufstehen mußte. Er schien es mit Verdruß zu thun, und das kann wohl nicht anders als dem zum Nachtheil gereichen, den er unter seine Scheere nimmt. Sobald er mich in das Licht faßte, studierte er meine Gesichtszüge mit so tief forschenden Blicken, daß es mir eiskalt über die Haut lief. Es währte lange – und das ist begreiflich – ehe er sein Urtheil abgab. Ich reichte ihm inzwischen eine Prise Tabak, um mich bei ihm in Gunst zu setzen. Er nahm sie auch mit sichtlichem Vergnügen – nies'te und erklärte sich:


Wohl dem, der so wie Du bedächtig

Nur die gerade Straße geht,

Stets seiner schwachen Sinne mächtig

Sich nie aus seinem Gleise dreht![114]

Deß überwichtiges Gehirne

Nie in den Stürmen untersank.

Wohl seiner flachen Stirne,

Denn ihr gebührt der Dank.


Tritt auch in Deinem Trauerspiele

Kein König Lear aufs Bret – wohl Dir!

Dem Rasenden zunächst, am Ziele

Der Narrheit, stand sein Shakespear.

Klug meidet drum der Dichter Haufen

Die, seit ihm, unbetretne Bahn:

Wie bald ist nicht im Laufen

Ein Schritt zu viel gethan!


Ein Schluck zu viel beim Nektar-Schmause

Apollens – eine Rose mehr

Der Rosen in dem vollen Strauße

Der Liebe, schleudert Dich hieher;

Die Thorheit lockt mit Amoretten

Die Bernards in ihr Vorgemach,

Und zieht mit Ordensketten

Den Löwen-Ritter25 nach.


Während der gute Magister sich so bescheiden über meine Physiognomie herausließ, beschäftigte ich mich indeß mit der, die er mir darlegte, und fand in seiner gewölbten Stirn, gebogenen Nase, und spitzen Kinnlade eine Aehnlichkeit von einem – aber Gott weiß – welchem meiner Bekannten. Ich ließ mir von Bastian eine ganze Deute Rappée geben, die ich ihm verehrte, und wir schieden als gute Freunde aus einander. Filbert sah nach der Uhr.

»Noch haben wir Zeit, einen Blick in den Hof zu thun, der das weibliche Geschlecht einschließt. Gleich am Eingange wird Sie die sapphische Furie fest halten, von der ich Ihnen erzählt habe.« »So wollen wir lieber,« versetzte ich, »davon bleiben! denn es ist mir schon so übernächtig ums Herz, als wenn ich ein Dutzend Musenalmanachs gelesen hätte.« – »Nicht doch, mein Herr,« redete mir der Aufseher zu. – »Schon des Kontrasts wegen mit der vortrefflichen Dame, die Sie bald sehen werden, rathe ich Ihnen zuvor diesem Gegenstücke einen kurzen Besuch zu machen.«[115]

Kaum hatte er die Thür des Hofs geöffnet, so bäumte sich mir auch schon in dem nächsten Behälter ein so widriges Megären-Gesicht entgegen, als mich seit langer Zeit keins erschreckt hat – für die Anatomie der Seele aber ein noch ungleich schrecklicheres Kadaver; denn alle die Grundzüge des Neides, der Gefallsucht, der Heuchelei und der Wollust, die das schlimmste Weib – so lange es bei sich ist – in etwas doch zu verbergen weiß, traten hier durch den Hohlspiegel der Tollheit so vergrößert hervor, daß es keine andere Empfindung, als Schauder erregen konnte. Sie schien eben von ihrer Toilette zu kommen und sich nicht wenig auf ihren Kopfputz und den vortheilhaften Faltenschlag ihres Halstuches einzubilden. Auf der einen Seite lag ein Gebetbuch mit vergoldetem Schnitte von Madam Guyon,26 wie mir Filbert sagte, neben einer Muschel mit Schminke – auf der andern eine Wulst von schwarzem Sammet, die ihrem hoch aufgestreiften Arme zur Unterlage diente. In dieser gezwungenen Stellung lächelte sie mich zuerst grinzenhaft an, ehe sie eine andere versuchte, die vor funfzig Jahren nicht ohne Wirkung gewesen seyn mag. »Womit,« fragte ich boshaft, »vertreiben Sie Sich hier die Zeit?« »Mit der Vergangenheit,« faßte sie sich in drei stolzen Worten, »der Gegenwart und der Zukunft;« spielte bei dem ersten mit dem Schnürband – warf sich bei dem zweiten in die Brust und blickte bei dem dritten mit gräßlich andächtigen Augen gen Himmel. – Nun höre, wie sie diesen Text ausführte. »Mir,« fing sie mit dem Ausdrucke süßer Erinnerung an, und hätte gern ein wenig verschämt dazu ausgesehen:


»Mir hatte die Natur, als Kind schon, manches Wunder,

Das Männerherzen rührt, in Umriß angelegt;

Gefüllter selbst und runder,

Als sie sonst pflegt.
[116]

Still war ich fortgedieh'n zu immer höhern Reizen,

An Wuchs der Hebe gleich – Dianen an Gestalt,

Der Sommer kaum erst dreizehn

Bis vierzehn alt.


Da setzte mir die Zeit des Pfandspiels und der Küsse

Ans Ohr ein Räuberheer, das immer lauter rief:

Welch Mädchen! Gott, wie süße

Und wie naiv!


Da heftete sich mir das Brillenglas der Greise,

Des Jünglings Geier-Blick mit der Betheurung an:

Ich überträf' an Weiße

Cytherens Schwan!


Doch diese Schwanenbrust verbarg den Trieb der Tauben,

Ein Herz voll freundlicher und girrender Natur,

Und nebenbei den Glauben

An Männer Schwur.


So schnell tönt Zephyr nicht in eine Aeols-Harfe,

Als jedes falsche Wort mir durch die Adern lief,

Das mich zu dem Bedarfe

Der Liebe rief.


Den Morgen weckten mich die zärtlichen Sonnette

Petrarchs. – Mein Tagewerk schloß Sappho's Abendlied,

Und Wach' an meinem Bette

Hielt ein Ovid.


›Dem Röschen folgt nur Spott, das zu dem Fest der Weihe

Berufen,‹ sang ihr Mund, ›von keinem Wunsch erreicht,

Verachtet, in die Reihe

Der Dornen schleicht.‹


Ach! dieser Hebel war's, durch den ein Sohn der Musen

Aus ihrem Gleichgewicht einst meine Tugend hob,

Und mir den Streif am Busen

Zuerst verschob;


Und ist das Lenkseil jetzt, das meinen Prachtruinen

Mit Uebermuth vorbei die Neuverlockten führt,

Die nun den Lohn verdienen,

Der mir gebührt:


Mir, die ich eingeweiht in alle Heimlichkeiten

Der reizenden Natur, längst Oberpriesterin

Für alle Tageszeiten

Der Liebe, bin.
[117]

Wohin verflog der Eid, den manches Ungeheuer

An meinem Busen schwor, wenn in Vestalen-Tracht

Ich sein gesunknes Feuer

Neu aufgefacht!


Wenn ich ihm Leda war, bald Phöbe, bald Latone,

Er – hier als Donnerer mir in die Federn drang,

Dort aus der Göttin Krone

Ein Blatt errang.


Wortbrüchiges Geschlecht! Mit jedem Stufenjahre

Fiel ein Geschworner ab und trat ein Freund zurück,

Und meinem blonden Haare

Wird jetzt kein Blick!


Wie will ich Dir, der mich in meinen Jugendtrümmern

Unkundigen des Wegs zum Merkpfahl aufgestellt,

Die Spötterei verkümmern

In jener Welt!


Vergebens strecke sich von meiner Brust geschieden

Nach ihrem höhern Reiz die stolze Männerhand,

Die fühllos sich hienieden

Von mir gewandt!


Ja, heuchelte sogar, vergafft in meine Strahlen,

Ein Männerseraph mir dort seine Liebespein –

Wie sollten seine Qualen

Mein Labsal seyn!


Gleich Motten sollt' er sich um die verklärten Hügel

In immer näherm Kreis bis an den Brennpunkt drehn;

Dann mit versengtem Flügel

Vor mir vergehn!


Nur Ihn, zu dem ich bald verherrlicht wiederkehre,

Der mich, eh' ich noch war, zum seligsten Beruf

Und zum Gefäß der Ehre

Mein Herz erschuf,


Den Schöpfer soll allein – daß ich nur Einen schaue,

Der ewig Treue hält – mein Wolkenbett empfahn,

Milchweiß und himmelblaue

Krepinen dran. –


Ich bin des Herren Magd und mir – – –«


»Um aller Heiligen willen, lieber Filbert,« fuhr ich jetzt zusammen, »machen Sie, daß ich aus der Atmosphäre dieses abscheulich[118] verrückten Weibes komme. Ich habe doch in meinem Leben manche verschmitzte Koquette entlarvt gesehen – mancher durch Buhlerei verunstalteten Seele aufgelauert, um hinter ihre Schliche zu kommen: aber sie schränkten doch immer – auch ihre unerklärbarsten Ansprüche – bloß auf das Zeitliche ein. Diese Närrin hingegen lebt sogar der Hoffnung, dereinst mit Gott dem Vater eine Intrigue anzuspinnen. So etwas ist mir noch nicht vorgekommen!« Ich drängte meinen Führer vor mir her – rief Bastianen und den Maler, der, an das Gitter seines versöhnten Feindes gelehnt, mit ihm in ein Gespräch, vermuthlich von der ewigen Kunst, verwickelt war, und nun begleitete uns Filbert, schweigend und nachdenkend, bis an den kleinen abgesonderten – jene traurige Wohnung umschließenden Zwinger, die sich die reichste Erbin im Lande zu ihrem Wittwensitze gewählt hatte. Er empfahl mir den innern Thürriegel vorzuschieben, um Herr über meinen Ausgang zu seyn, im Fall mir das Herz zu schwer werden sollte. »Deßwegen?« lächelte ich, »o Sie halten mich doch auch für einen gar zu großen Weichling, lieber Mann!« Wir setzten uns, nach seiner Anweisung, so geräuschlos als möglich, auf einen Vorsprung der Mauer der Gitterthüre der unglücklichen Dame gerade über. Passerino zog in der Zwischenzeit sein Pergament hervor und nahm das Lokal ziemlich richtig auf. Auf meinen beifälligen Wink zischelte er mir ins Ohr – heute wolle er mir zeigen, daß er seine Kunst verstehe. Das konnte ich Dir nicht versprechen, Eduard; denn ob ich gleich auch an die Schilderei dachte, die der heutige Morgen auf den Abend meinem Tagebuche abwerfen würde, so war ich doch dabei von allem artistischen Stolze weit entfernt. Ach Gott! wo hätte ihn mein beklommenes Herz beherbergen sollen, das von dem ersten Glockenschlage der furchtbaren Stunde an, in zunehmender Erschütterung, bis zu dem letzten fortklopfte, der es vollends zusammendrückte, wie einen blutigen Schwamm. Aus einer innern Seitenthüre des Kerkers – an dem Arme der Freundin, der sie, unter so vielen, den Vorzug gegönnt hatte, ihrem Elende zu folgen – schwankte die Tiefgebeugte, wie ein abgeschiedener Geist auf einen Engel gestützt, dem Gitter zu. Mit jedem langsamen[119] Schritte, durch den sie sich mir näherte, hob sich allmählich immer mehr der Schimmer ihrer Schönheit aus dem dunkeln Grunde des Gefängnisses heraus, bis mir – und ich glaubte unter der Last nie gefühlter Wehmuth zu versinken – die schlanke ätherisch-bleiche – wunderschöne Trauergestalt deutlich vor den Augen stand. In weißen Musselin gekleidet, drückte sie mit der einen kraftlosen Hand ein Krucifix von Elfenbein an ihre bebende Brust – noch kraftloser floß die linke über den schwarzen Leibgürtel herab. Nach einigen fürchterlich stillen Sekunden senkten sich ihre glühenden, an den blauen Himmel gehefteten Augen, und begegneten dem Thränenstrome der meinigen. Sie starrte mich an – erhob langsam ihre linke Hand, als ob sie nachsänne, und bald nachher ergriff der Tenor ihrer Klagstimme mein todtbanges Herz. O! daß ich jetzt vermöchte. Dir das Seelengewitter in seiner ganzen schrecklichen Wahrheit zu schildern, unter welchem sich die Leidende stufenweise bis zum letzten zermalmenden Ausbruche ihres Wahnsinns erhob. Eitler Wunsch! die geübtesten Wortführer der Natur würden daran verzweifeln. So höre wenigstens mich ihr nachlallen. Ach! über welches abgelaufene Zeitalter schwebte ihr Geist – auf welcher Staffel der Vergangenheit mußte sie mich stehen sehen, als ihre ausgestreckte Hand mir das Bild des sterbenden Heilandes mit der herzzerreißenden Frage vorhielt:


Sahst du des Jordans Ufer,

Bethränter Pilger? Sprich –

Und hörtest du den Rufer

Am Kreuz – Es dürstet mich!


Und willst der bittern Zähren,

Die dein Gefühl vergießt,

Nur Eine mir gewähren,

O dann sei mir gegrüßt!


Doch wähnst du mich zu trösten:

So wende dein Gesicht,

Denn sieh, das Bild der größten

Geduld vermag es nicht!


Um mich Zerknirschte sammeln

Sich viel Bedrängte her:[120]

Doch Aller Zungen stammeln

Ach – diese leidet mehr!


Ihr raubte das Entsetzen

Sogar des Säuglings Glück!

Und keine Thränen netzen

Den Brand in ihrem Blick.


Nur ihre Lippen beben

Dem nach, den sie verlor!

Und ihre Hände heben

Sich nur nach ihm empor!


Nein, Eduard! Beweglicher als ihre Stimme kannst Du Dir keinen Ton in der Natur vorstellen, und doch war mir die Pause noch rührender, in welcher die schöne Sinnlose, einige peinliche Minuten, verloren dastand, ehe sie, die Augen gen Himmel gewendet, ihre innern Empfindungen, zärtlich wie die Liebe selbst, hervorgirrte:


Als Er sich mir, von allen

Ihn Wünschenden, ergab,

Mit welchem Wohlgefallen

Sah Gott auf uns herab!


Als in dem Abendschauer

Der feiernden Natur

Sein großes Herz die Dauer

Von meinem Glück beschwur;


Mein Auge nun von süßen

Gefühlen überging,

Und ich mit Erstlingsküssen

An seinen Wangen hin;


Als von der trauten Laube,

Die seine Liebe zog,

Er nun die erste Traube

Nach meinen Lippen bog;


Und ich in seinen Blicken

Mein Bild gezeichnet fand –

Natur! war dieß Entzücken

Nur Blendwerk deiner Hand?


Weh dir – ging nun ihr gedämpfter Flötenton in den feierlichsten Ernst über –
[121]

Weh dir, o Tag der Weihe,

Der Blutschuld Mitgenoß,

Die grauenhaft die Reihe

Glückvoller Stunden schloß!


Und wie ein in der Wildniß irrendes Kind, das um Hülfe jammert – fuhr sie fort:


Du meines Kummers Zeuge,

Den meine Seele ruft,

Verlorner! ach entsteige

Dem Dunkel deiner Gruft!


Und wie, wenn jenes hinhorcht und seine vergeblichen Bitten in Bergklüften verschallen hört – schlug auch sie hoffnungslos ihre aufgehobenen Hände zusammen – suchte Trost in der Qual der Erinnerung – sah nur und hörte ihren Freund und ließ die edeln Handlungen seines Lebens, wie in einem Spiegel, den sie dem ungerechten Schicksale vorhielt, vorüber gehen:


Wenn im Gedräng der Sorgen

Er keiner unterlag,

Und, Freundin, rief, nach Morgen

Glänzt uns ein Erntetag!


Wo Werth und Lohn des Fleißes

Dem in der Schale liegt.

Der jeden Tropfen Schweißes

Gleich einer Krone wiegt.


Wenn der bescheidne Tröster

Gefallnen Schutz verlieh,

Und sprach: Bin ich erlöster

Und würdiger als sie?


Und Er dem Tag entwunden,

Nach mancher frommen That,

Zum Lohn der Abendstunden

Sich meinen Kuß erbat –


Erforscher unsrer Herzen,

Furchtbarer! Wogest du

Schon da der Zukunft Schmerzen

Mir schwer Getäuschten zu?


Der Athem stockte mir bei ihrem fragenden Starrblick, der aber bald sanfter gebrochen sich nach der blassen Lichtscheibe richtete,[122] die hinter einem Wölkchen hervortrat. »Mond,« rief sie in melancholischer Schwärmerei –


»Mond, der du noch so traulich

In seiner letzten Nacht

Die Schönheit mir beschaulich

Des Schlummernden gemacht!


Als mein Gebet im Schweben

Auf deinem Hoffnungsstrahl

Dem Ewigen sein Leben

Und meine Ruh' empfahl.


Vertrauter stiller Schatten!

Wo weilt dein Todtenlicht,

Verbirg das Grab der Gatten

Der Sattgelebten nicht!


Dort wandele des Schlummers

Willkommner Genius,

Die Folter meines Kummers

In Freiheit und Genuß!


Wär dann dem Ruf der Taube,

Die ihrem Liebling girrt,

Vielleicht auf unserm Staube

Der Mörder nachgeirrt –


Dann fasse das Gewissen

Und peinige die Hand,

Die Herzen durchgerissen,

Die Gott zusammen band.«


Diese Losungsworte flogen der Minute voraus, die den letzten Vorhang des erschütternden Trauerspiels aufzog. Hatte ich vorher diese Schreckensscene als den einzigen Ausweg zur Beruhigung der Hochgemarterten, selbst bei der Gewißheit, daß er über einen tobenden Abgrund führe, seufzend herbeigewünscht; so wäre ich ihr jetzt noch lieber entflohn, aber sie faßte mein sträubendes Haar mit unwiderstehlicher Gewalt und lähmte meine Glieder. Meine Augen hefteten sich nur desto stärker an die Erscheinung dieses peinlichen Wunders, je mehr es, als die bis jetzt noch schwankende Flamme des Wahnsinns nun in voller Glut der Verzweiflung über das fürchterlich schöne Weib zusammenschlug, mein armes Herz zu[123] zerreiben drohte. Jeder Pulsschlag setzte ihre Wangen in eine immer höhere Röthe – die Brust hob sich bis zum Zerspringen – ihr langes blondes Haar entschlüpfte seinen Schleifen und flatterte strahlend, wie ein Komet, durch die Nacht des Kerkers. Ohne auf die rührenden Bitten ihrer heldenmüthigen Freundin – ohne auf das kleine anpochende Herz zu achten, das unter dem ihrigen schlug, tobte sie und streckte ihre entblößten, durch Wuth gestärkten Arme gegen den Himmel. Die Allmacht des Jammers hatte mich unwissend zu Boden geworfen – knieend flehte ich zu Gott um Linderung – O du, der alles vermag, schaffe Linderung diesem zersplitterten Herzen! Ach wo war sie hingekommen, die edle Dulderin? Ich sah an ihrer Stelle nur einen Engel der Rache, der über ein Leichenfeld hinschwebt, und auf den Blutspuren der erwürgten Unschuld seine Beute verfolgt. Drohungen der Ewigkeit blitzten aus ihren zürnenden Augen – flossen über ihre schäumenden Lippen. Mit Entsetzen sammelt meine Feder einige der gifthauchenden Worte, die ihrem zerrütteten Gehirn entquollen: – aber den erschütternden Wohlklang derselben, welche Harmonie der Sprache, welches tönende Erz vermag ihn zu erreichen!


Kannst du auch Rache segnen?

So nimm, Gott, meinen Schmerz

Und grab ihn dem verwegnen

Mordschuldigen ins Herz.


Das Blut, das er vergossen,

Droh' ihm im Morgenroth!

Und nur mit Blut durchflossen

Wink' ihm sein Abendbrot!


Die Süßigkeit der Ehe,

Die Liebe müß' ihn fliehn,

Selbst seinen Kuß verschmähe

Die feilste Buhlerin!


Es fasse jede Kammer,

Wo seine Schwermuth weint,

Den ganzen Menschenjammer,

Den dieses Haus vereint!
[124]

Des Uebelthäters Werke

Lohn' Angstgefühl und Spott!

In seinem Tode stärke

Ihn kein Gedank' an Gott;


Durch Blutgefilde treibe

Hinüber ihn mein Fluch,

Und Satans Finger schreibe

Ihn in sein Höllenbuch!


Dort möge des Verbrechers

Gewinn gegraben stehn,

Und ewig nicht des Rächers

Erbarmung sich erflehn!


Kaum waren diese schrecklichen Verwünschungen über ihre Zunge, so schien es, als ob sich ihre eigene Seele davor entsetze. Sie zitterte, schwankte und sank ohnmächtig in die Arme ihrer Busenfreundin, die selbst von Thränen erschöpft, mit zärtlicher Behutsamkeit sie in das Nebenzimmer trug. Jetzt drang weiter kein Laut aus der Kerkerwohnung der edeln Kranken; und mir war, als hätte mich ein Orkan auf einen einsamen Felsen geworfen. Meine zerbeizten Augen starrten vor sich hin und die Stille, die nach einem solchen Aufruhr mein Gehör überfiel, erleichterte mein blutendes Herz nur, um es desto heftigern Nachwehen Preis zu geben. Diese Betäubung verlor sich nicht eher, als bis meine beiden Begleiter sich in so weit von ihrer eigenen erholt hatten, daß sie mir ihre zitternden Hände bieten konnten – und so schwankte ich endlich aus dieser Behausung des Schreckens mit zu Gott erhobener sprachloser Empfindung.

Wie sauer ward mir dieser Gang! Setze den Fall, Eduard, daß Dein bewundernder Blick von Rubens jüngstem Gerichte auf einmal zu dem Jahrmarkte eines Teniers herabsänke – Du würdest Dir doch nur einigermaßen den widrigen Eindruck vorstellen können, den jener Haufe gemeiner Narren auf mich machte, an deren Behältern vorbei ich jetzt meinen Rückweg nehmen mußte. Ich hatte keine Augen, kein Mitleiden für sie mehr, so voll war mir das Herz von den Seelenleiden des herrlichen Weibes und der schrecklichen Wahrheit der Worte
[125]

Um mich Zerknirschte sammeln

Sich viel Bedrängte her:

Doch Aller Zungen stammeln:

»Ach, diese leidet mehr!«


Ich traf, als ich in Filberts Zimmer trat, den Arzt an, dem St. Sauveur die Besorgung seiner unglücklichen Freundin auf die Seele gebunden, und der seit einer Viertelstunde auf meine Zurückkunft und die Nachrichten gewartet hatte, die ich ihm von dem Zustande der Kranken mitbringen würde. Meine Bemerkungen konnten nichts neues für ihn enthalten. Ich brach sie kurz ab und bat dafür ihn mit nassen Augen, mir, der ich auf dem Punkt stände, Marseille zu verlassen, den Balsam mit über die Gränze zu geben, dessen mein verwundetes Herz so sehr bedürfe – die Gewißheit der Wiederherstellung dieses weiblichen Engels. »Sie verlangen zu viel von der mißlichen Kunst, der ich diene, wenn ich Ihnen,« antwortete er, »mehr als die große Wahrscheinlichkeit ihrer Genesung zusichern soll, da sie auf Bedingungen beruht, über die Gott allein Macht hat – daß nämlich die periodische Heftigkeit ihres Wahnsinns nicht tödtlich für das Unterpfand ihrer ehelichen Zärtlichkeit seyn werde, und die Geburtsstunde mit jener Geistes-Erschütterung nicht zusammen treffe. In dieser Voraussetzung dürfen wir den glücklichsten Erfolg – von dem Erstaunen erwarten, mit welchem ihre erste Entbindung – die Erscheinung der Frucht ihrer Liebe und das neue süße Gefühl ihr mütterliches Herz erfüllen wird. Die Vereinigung aller dieser Umstände, durch die sich die Natur im Fortgange erhält, wirkt in gleichem Maße schmerzstillend auf den äußern Menschen, als sie den innern zu hohen, moralischen, edeln Entschließungen erweckt. Ja, mein werther Herr, auf die Gott gebe! glückliche Stunde ihrer Niederkunft, die vielleicht zu Anfange künftiger Woche eintritt, setze ich mein größtes Vertrauen – und bin beinahe überzeugt, daß die heilsame Gegenerschütterung in dem Augenblicke, wo die Verlassene Mutter wird, ihren zerrütteten Verstand wieder ins Gleichgewicht bringt. Die kleinen Hände des neugebornen Kindes werden die beiden Enden des zerrissenen Bandes ihrer Liebe wieder zusammenknüpfen. Mit[126] himmlischer Neugier wird sie in seinem Gesichtchen die edeln holden Züge des Vaters aufsuchen – entdecken, und die Freude des Wiedersehens in einem hohen Grade genießen. Sie wird sich nicht mehr für verlassen in einer öden Welt achten, und ihre lange verhaltenen Thränen werden an der Wiege ihres schlummernden Säuglings einen wohlthätigen Ausfluß gewinnen. – Die Sorge für den kleinen Hülfsbedürftigen wird ihr die Nothwendigkeit ihrer eigenen Erhaltung sanft an das Herz legen, und so, denke und prophezeie ich, wird sie der Allmächtige, unter dem Vorgefühl besserer Tage, zum Bewußtseyn ihrer selbst – zu ihrem, jetzt so getrübten glänzenden Eigenthum und in die Nähe ihres und unsers edeln Freundes zurückführen.

In dieser schönen Erwartung besuche ich täglich die holde Kranke. Während ihres Schlafs, der nach der galligen Entledigung ihres unnatürlich gereizten, sanften, großmüthigen Herzens – zum Glücke für ihre Erholung bis gegen Mittag anhält, kann ich ihr allein mit meiner Hülfe beikommen, die sie wachend ausschlägt, und Verabredung mit ihrer freiwillig Mitgefangenen nehmen, deren Beistand der armen Verirrten wichtiger ist, als der meinige, und die sich gewiß schon eine ängstliche Weile nach mir umsieht. – Sie sind innigst gerührt, mein Herr! Möge der Eindruck dieses erhabenen Trauerspiels Sie nicht aus unserer großen sittenlosen Stadt, sondern bis zum Ausgang Ihres Lebens begleiten, und Sie für die kummervolle Stunde entschädigen, die für so viele Leichtsinnige, die sie schon sahen, verloren war. Reisen Sie glücklich, und leben Sie wohl! –«

Ein Händedruck – denn der Sprache war ich nicht fähig – dankte dem ehrlichen Manne für seinen Trost und seine guten Wünsche. Ich umarmte den wackern Filbert, unaussprechlich bewegt, und setzte mich zwar höchst traurig, aber doch mit einem Herzen, das sich fühlte, und mit sich zufrieden war, in die Sänfte, die Bastian herbeigeholt hatte. Ich brauche Erholung, erklärte ich ihm beim Aussteigen, und kann unter zwei Stunden noch nicht abreisen – richte dich darnach! Doch eben da ich im Begriff war, mein Zimmer zu verschließen, um ungestört meiner Schwermuth nachzuhängen,[127] trat mir der Maler mit seiner Zeichnung in den Weg – »Das, meinen Sie –« fuhr ich ihn nach dem ersten Ueberblick an, »stelle den leidenden Engel vor, von dem wir herkommen? Können Sie es bei Gott verantworten, so eine Sudelei für Nachbildung seines herrlichsten Geschöpfes auszugeben?« Doch – um den armseligen Wicht nicht ganz nieder zu drücken, fuhr ich gemäßigter fort: »Aber, es ist begreiflich – so überwältigt von schmerzhaften Empfindungen, als Sie und wir alle waren, würde es einem Rotari – einem Leonard da Vinci eben so wenig gelungen seyn. Gehen Sie, lieber Passerino, einstweilen zur Wirthstafel. Ich habe höchst nöthig, die wenigen Stunden vor meiner Abreise allein zu seyn.« Wie kann ich mich doch – zankte ich nun mit mir selbst – über nichts und wider nichts so ereifern? Ich hätte doch wohl aus dem Bewußtseyn meiner eignen erworbenen Fähigkeiten auf die Kräfte meines Lehrers schließen können. Warum ließ ich mich von ihm zu einer Arbeit begleiten, der er nicht gewachsen war? Bei solchem Bedarf eines helfenden Genies kommt uns freilich die Mittelmäßigkeit als ein Laster vor, aber es ist unbillig. Für meine Erinnerung kann ich übrigens jedes Bild von ihr entbehren. Weder Worte, noch Farben könnten es mir so treu schildern, als es die vergangene Stunde mir in die Seele gebrannt hat. Während dieses Selbstgespräches suchte ich ein zweites Schnupftuch, denn das gebrauchte war ganz durchnäßt von Thränen, und darüber spielte mir der Zufall aus seinem Glückshafen statt der schwarzen Kugel, die ich schon gefaßt hatte, eine der scheckigsten – das Paket Zeitungen nämlich, in die Hand, die ich heute früh in dem Janustempel eingesteckt und ganz vergessen hatte. Ich mußte mich erst besinnen, was ich damit anfangen, und daß es ein Steckbrief nach Freund Sperling war, den ich darin aufsuchen sollte. Gott gebe, wünschte ich mit pochendem Herzen, daß sich St. Sauveur geirrt habe! – Geirrt? Ja – das sähe ihm ähnlich. Der Schäker – dem immer sein System zu Gebote steht, sah die Ueberraschung nur zu gut voraus, die er mir und meinem Lehrmeister zubereitete. Was fand ich? Eine sehr willkommene und allemal um das vierte Blatt wiederholte Ediktal-Citation, wie[128] ich sie Dir in einem kurzen Auszuge mittheile. – »Nachdem,« hieß es, »ein gewisser – Namens Theodor Sperling, der sich fälschlich für einen Maler und Architekten ausgäbe, seit vielen Jahren verschollen sei – so werde er, im Fall er noch am Leben, kraft dieses mit der Bekanntmachung vorgeladen, daß weiland seine leibliche Tante ihn, als ihren nächsten Blutsfreund, zum Universalerben sowohl ihres Freiguts zu Triesdorf, als übrigen Nachlasses in einem bei dem Stadtrath niedergelegten Testamente, jedoch unter der ausdrücklichen Bedingung eingesetzt habe, sich dieses Vermächtnisses nicht eher erfreuen zu dürfen, bis er zuvor jener sich angemaßten brotlosen Künste, die bei ihm weder durch erforderliche Kenntnisse, noch durch Genie unterstützt wären, für das künftige gerichtlich, eidlich und feierlich entsagt haben werde. Widrigenfalls, wenn er in Zeit eines Jahres und sechs Wochen nicht erscheine oder den vorgeschriebenen Eid abzulegen sich weigere – solle er für todt oder der ihm zugedachten Verlassenschaft, die sich nach gerichtlicher Würdigung circa auf 31700 Reichsthaler belaufe, für unwürdig angesehen werden, und solche dem dasigen Waisenhause auf das rechtsbeständigste verfallen seyn. Anspach, den 19. December 1785.« –

Die gute verständige Tante, war mein erster Gedanke, hat nun wohl freilich hier nicht den Grundsatz Filberts vor Augen gehabt – jedem Narren das Spielwerk seiner Laune zu gönnen: indeß ist doch die Art, es ihrem Neffen aus der Hand zu winden, nicht so gar übel, und nur zu wünschen, daß er sichs nehmen lasse. Mein zweiter Wunsch war, daß er noch zur rechten Zeit dem Waisenhause in den Weg treten möge, und ich rechnete geschwind im Kalender die Möglichkeit aus. Ich hielt die Nachricht für sättigend genug, um den – freilich etwas zu lange am Pranger ausgestellten Erben von der Wirthstafel abrufen zu lassen – und während der Zeit, die ich hier noch zu vertändeln hatte, die Hetze zwischen der ewigen Kunst und dem zeitlichen Freigute mitzunehmen. Ich setzte mich, als er gelaufen kam, wie ein Senator in Positur, bat ihn, sich einen Stuhl zu nehmen, und leitete meinen Vortrag mit der Frage ein: »ob er sich nicht wieder in seine Heimat sehne?« Er verstand mich die Quere. »Nein,« antwortete er bestimmt –[129] »so angenehm es mir auch seyn würde, den lieben Herrn zu begleiten, so kann doch dieses lockende Anerbieten meinen einmal gefaßten Entschluß nicht umstoßen. Ich bin zu sehr in meinem Vaterlande verkannt – bin es aber nicht allein. Verdienste – das wissen Sie selbst! – haben dort weder Ansehen, noch Brot. Ist es nicht die allgemeine Klage der Maler, Bildhauer und Dichter? und was kann das Vaterland darauf antworten?« – »Was es darauf antworten kann?« erfaßte ich seine Frage, über ihren anmaßlichen Ton ein wenig aufgebracht. »Je nun – die Patrioten kehren die Anklage um, und richten sie wider alle diese verkannten Herren selbst. Wenn wir Euch, sagen sie, als Künstler vernachlässigen, so würden wir Euch als Handwerkern alle mögliche Gerechtigkeit angedeihen lassen. Ihr überlegt nicht, daß der Staat, der Euch nähren soll, der arbeitsamen Hände weit benöthigter ist, als der gefälligen Künste. Unsre steinigen Aecker – verfallenen Wege – elenden Hütten und zerrissenen Schuhe wollen nicht gemalt – besungen, beschrieben und in Kupfer gestochen – sondern gepflügt – gepflastert – gebaut und besohlt seyn. Wir lassen Euch darben, weil Eure göttlichen Talente uns unbrauchbar sind.« »Hoffentlich,« fiel mir der alte Kauz mit großen Augen in die Rede, »ist das weder der Fall bei mir, noch bei vielen andern. Correggio ...« »Halt, Freund,« trat ich ihm in den Weg – »Auch er hat, nach ihrer Meinung, für die Zeit, in der er lebte, keine kluge Wendung genommen. Hätte er – sagen sie – von jenen fühllosen Mönchen, die seine unsterbliche Nacht nicht besser als eine gemeine Tapete von Wachstuch bezahlten, ein Tafelgut in Pacht genommen, sein Name würde freilich so vergessen, als der ihrige – aber seine Thränen würden schon bei seinen Lebzeiten vertrocknet und sein Elend nicht auch auf seine Frau und Kinder übergegangen seyn. – Wenn du merkst – dünkt dem Patrioten die beste Lebensweisheit – daß die Zeitgenossen deine Gedichte – Gemälde und Meisterstücke deines Meißels nicht mögen, so laß deinen Geist ruhen, und kehre zu dem andern Theile deiner Selbst zurück, an dessen Erhaltung du zuerst hättest denken sollen. Suche mir, sagt das Vaterland, mehr körperlich, als geistig,[130] durch die Axt, die Nadel, den Hobel, als Schreib- und Rechnungsmaschine, oder als Markthelfer nützlich zu werden. Du wirst deinen Kopf weniger anstrengen und mehr eigenen Genuß davon haben, als jene wahren oder eingebildeten Talente gewähren, die ihres Zwecks und Lohns fehl und betteln gehn.« – Mein Eifer, lieber Eduard, hatte mich so weit von meinem Texte verschlagen, daß es mir, wie manchem Prediger, Mühe machte, auf die Anwendung zu kommen. »Wenn Ihr Vaterland,« nahm ich einen traulichen Ton an, »Sie verkannt hat, lieber Passerino, so haben Sie ihm hingegen alle Rückkehr zu Ihnen versperrt.« »Wie so?« fragte er verwundert. – »Mögen Sie wohl noch fragen? Wer kann ein Original in einer Uebersetzung wieder finden? Und wenn sich sieben Städte um Ihren Besitz stritten, wie um den Homer – würde es Ihnen nicht eben so gehen, wie ihm? Wie kann Passerino das fordern, was Sperlingen gehört? Gesetzt, es fiele Ihnen in Deutschland eine Erbschaft zu; müßten Sie nicht entweder Ihren sonorischen Namen oder die Erbschaft aufgeben? und könnten Sie Sich wohl durch Ihre Marinen legitimiren, daß Sie der rechtmäßige Erbe wären? Doch vielleicht ginge das noch am ersten an« – »Lieber Herr,« unterbrach er mich lächelnd – »Sie setzen hier Fälle voraus, die ganz und gar nicht auf mich passen. Ich habe in Deutschland nirgends etwas zu hoffen – sogar von meiner leiblichen Tante nichts, die zwar wohlhabend, aber die unverträglichste, geizigste und mir abgeneigteste Frau auf Gottes Erdboden ist. Ihre Brüder waren geschätzte Maler; sie aber lebte bloß von ihren Renten und verstand – Nichts. Sie hielt nur die Italiener für Meister, und immer setzte sie hinzu: ich würde nie einer werden – und eben ihr zum Possen habe ich meinem Namen durch eine Uebersetzung geholfen, und werde ihn forttragen bis an meinen Tod.« – »Ja, wenn das so zusammenhängt, mein guter Passerino,« wobei ich mich hinter den Ohren kratzte, »so weiß ich kaum, wie der Sache zu helfen steht.« – »Welcher Sache?« fragte er neugierig. »Nun – ich kann Ihnen wohl wieder sagen, was ich von einem meiner Korrespondenten als gewiß gehört habe – Ihre liebe Tante ist seit Jahr und Tag sehr verträglich geworden. Sie[131] vermuthet, daß es Ihnen hier eben nicht nach Wunsch geht.« – »Das hat sie errathen,« seufzte er, »denn Ihnen kann ich es wohl gestehen, daß ich manchmal nicht weiß, wovon ich den andern Tag leben soll. – Und Sie werden wohl selbst bemerkt haben, daß ich noch immer das Kleid trage, in welchem ich Ihnen Stunden gab, und daß es nun nicht länger mehr halten will ...« »Und diese will Ihnen,« fuhr ich fort, (ohne ihn merken zu lassen, wie nahe mir sein Elend ging) – »ihr schönes Freigut zu Triesdorf sammt den Einkünften einräumen, wenn Sie der ewigen Kunst ...« »Entsagen? Nicht wahr?« fiel er mir ins Wort – »Nun und nimmermehr« – »und zwar gerichtlich, eidlich und feierlich entsagen.« – Dadurch erschreckte ich ihn so, daß er zitterte. – »O! da muß sie,« hub er an, »ganz verrückt geworden seyn!« – »Das nun eben nicht,« erwiederte ich; »aber diese Grille hat sie sich nun einmal so in den Kopf gesetzt, daß sie es sogar in ihrem letzten Willen zur Bedingung gemacht hat und darüber – gestorben ist.« – Er überblickte mich bei dieser Anzeige mit zweifelhaftem, unbeschreiblichem Erstaunen, und ward bald karminroth, bald leichenblaß, je nachdem ihm das schöne Vermächtniß oder die häßliche Bedingung zu Kopfe trat. Ich reichte ihm nun das Blatt. – »Da lesen Sie selbst – aber überlegen Sie hauptsächlich dabei – daß hier nicht zu zaudern ist, und das Testament nur noch einige wenige Wochen zu Ihrem Vortheile gilt.« Er schlich, wie das böse Gewissen, mit seinem Vorbeschied in die Ecke des Fensters, las, und schüttelte bei jeder Zeile den Kopf. Seine unglaubliche Anhänglichkeit an ein stümperhaftes Talent erregte mein innigstes Mitleiden. Aber, großer Gott, was für eine Schaar von Brüdern hat er nicht in dieser Rücksicht umherlaufen. Wie viele opfern nicht ein glückliches sorgenloses Leben dem Vorurtheile des Standes, – ihre Ruhe einer falschen Ehre, ihre gegenwärtige Zufriedenheit dem Hirngespinste der Nachwelt auf; verhören das Koncert, das sie umgiebt, und horchen nur nach der Trompete hin, die einst, wie sie sich einbilden, über ihr Grab schmettern wird. – Wer kann die Märtyrer der Religion zählen, die oft so irrig – abgeschmackt und toll ist, als nimmermehr die fixe Idee des armen[132] Sperling! Wer muß, bei gesundem Verstande, nicht die Unsterblichkeit der Miltone, Buttler und Kepler bemitleiden, die sich bei lebendigem Leibe ihre Lebenskraft abzapften – die besten Gelegenheiten versäumten, das Herz eines fröhlichen Freundes, den Busen einer schönen Zeitgenossin zu erobern – nur an ihren eigenen Fingern und Federn nagten – und die magersten Bissen verschluckten, um nach ihrem Tode, wo sie nicht mitessen konnten, unbekannten Buchtrödlern desto fettere aufzutischen. Ich mochte den Weg, auf den mich Sperling gebracht hatte, nicht weiter verfolgen, aus Furcht, auf meinen eigenen Haushalt zu stoßen – schob einstweilen mein Selbstgespräch auf, und hielt es für dringender, mich in das seine zu mischen, das nicht aufhören wollte. So oft ich bei seinem Erker vorüberschritt, warf ich eine Bemerkung hinein, die er nutzen sollte. – »Die ewige Kunst, können Sie mir, als einem alten Freunde, glauben, verliert nichts dabei, wenn Sie Sich fügen. – Das Vergnügen, Talente unterstützen zu können« – indem ich meinen Oberrock anzog – »ist vielleicht mehr werth, als die oft betrügliche Ueberzeugung, ein eignes zu haben.« – Er ließ sich durch alles das nicht stören. »Ich stelle mir eine wahre Freude vor,« (redete ich so für mich) »wenn ich einmal meinen alten Lehrer auf seinem Landsitze besuchen kann, und wir bei einer guten Mahlzeit über die Größe des armen Correggio plaudern, – und uns der vergangenen Zeiten erinnern werden.« Auch das focht ihn nicht an – Er starrte noch immer vor sich hin, das Wochenblatt seinem dürren Knie über gebogen, und hing den Kopf, ohne einen Laut zu geben. Bastian meldete, daß die Pferde gleich da seyn würden, aber sein Seelenkampf dauerte fort, und mir ward dabei ganz schwül um das Herz. –

So oft ich, lieber Eduard, den Donquixote gelesen und bis zum Ende des herrlichen Buchs über seine Thorheiten gelacht habe, so grübelte es mich doch bei dem letzten Kapitel, wo er wieder klug wird, immer in der Nase. Ich dächte, es wäre für uns alle nichts erbaulicheres und rührenderes geschrieben. Wie der arme Mann, so stillschweigend in sich gekehrt, nachsinnt, die Schatten des vergangenen Lebens – jene Heldenthaten – seine[133] heiße platonische Liebe zu Dulcineen, Sancho's gutmüthige Freundschaft und die treuen Dienste des dürren Rosinante – seiner erstaunten Seele vorübergaukeln – wie er alles, was sonst in seiner Einbildung von so hohem Werthe war – jetzt in einem ganz verschiedenen Lichte betrachtet – nicht begreift, wie ihm doch sein gesunder Menschenverstand abhanden gekommen, und Gott demuthsvoll um Vergebung bittet, daß er so lange ein Narr gewesen. Ein solcher Büßender – welche Mitgefühle muß er nicht bei jedem rege machen, der ihn anblickt! In gleicher bänglichen Lage befand, sich dermalen auch mein guter alter Zeichenmeister, und erhielt sich so lange warm darin, bis ihn das Horn meines Postillions von seinem Sitze aufjagte. Er ergriff in großer Bewegung meine Hand – »Theuerster Freund und Gönner –« holte er tief Athem: – »Ziehen Sie mich aus meiner Angst, und sagen Sie mir aufrichtig: Kann ich wohl den bedungenen Eid mit gutem Gewissen ablegen?« »Ja, Freund« – klopfte ich ihn auf die Achsel, »mit dem besten von der Welt – Sie wunderlicher Mann! Was machen Sie für Umstände, und wie mögen Sie Sich nur einen Augenblick besinnen? Bei zwei Talenten – und sonst auf Gottes Erdboden nichts – könnte man, dächt' ich, ja wohl eins abschwören, wenn der Umstand darauf beruht, ein Freigut zu gewinnen.« Das schien ihm einzuleuchten. »Sie werden im Anspachischen und überall,« fuhr ich fort, »menschliche Gebrechen genug finden, deren Sie so viele in Wachs pousiren können, als Sie wollen. Das verbietet Ihnen ja die Tante nicht, und giebt Ihrer Thätigkeit allen möglichen Spielraum.« – »Da haben Sie Recht,« erheiterte sich auf einmal sein trübseliges Gesicht. »Spornstreichs laufe ich nun nach Hause, um Anstalten zu meiner Abreise zu machen – will meine Madonnen und Seestücke recht behutsam einkästeln, und ....« »Ist das nicht wieder ein Einfall! Was um Gotteswillen, gedenken Sie mit so vielen unbefleckten Jungfrauen in den Preußischen Staaten anzufangen, wo man an keine einzige glaubt?« »Aber, fragte er sehr naiv, die von letzthin darf ich doch – Notre Dame de Graces von Cotignac?« »Auch diese Nothhelferin« – erboste ich mich über seine Thorheit – »hat[134] dort keinen Ruf. In unserer Religion und bei unsern Gensdarmes – was brauchts da solcher außerordentlichen Vermittlerinnen? Und nun vollends Ihre Marinen! – Dort – überlegen Sie selbst – auf dem festen – ja, wie einige behaupten – auf dem festesten Lande – nahe bei Nürnberg – wie können Sie wohl – hoffen, daß Sie damit Eindruck und Aufsehen machen werden? Als Vorbilder taugen Ihre Stürme – Kriegsschiffe – Kaper und Brander nicht einmal so viel, als Ihre Madonnen. – Als Anleitung zur Seeräuberei erreichen sie nicht die schlechteste Deduktion, und für das natürliche Strandrecht würden Ihre Beweise mit dem Finger auf dem gemalten Ocean denen weit nachstehen, die ein dort abgegangener Kammerrath oder Direktor längst schon gegen die Gränznachbarn geführt hat. Folgen Sie mir, verkaufen Sie, um den schweren Transport zu ersparen, Ihren ganzen artistischen Nachlaß einem hiesigen Trödler, ohne lange zu handeln. Kann er Profit daran machen, so gönnen Sie es ihm ja ... Doch noch Eins, alter Freund, ehe wir uns trennen! Haben Sie auch Reisegeld?« – Er schüttelte kleinmüthig den Kopf. – »Nun so borge ich Ihnen, was ich gestern nicht gethan hätte, vierzig Louisd'or – hier nehmen Sie – damit können Sie das Post- – und die Einnahme von Ihren Gemälden dazu gerechnet, – auch das Schmiergeld bezahlen! – Und nun – leben Sie« – ich streichelte ihm das Kinn – »recht wohl, armer gerupfter Sperling, und zaudern Sie nicht, um bald in die Federn zu kommen.« Er begleitete mich bis an den Wagen, weinte – küßte mir dankbar die Hand, und so schieden wir beide sehr gerührt von einander.

Es erweckt doch ganz eigene Empfindungen, wenn man nach so vielen Erfahrungen, als ich in der Fremde gemacht habe, endlich seine Wagendeichsel dem Vaterlande zugekehrt sieht. Aber hätte mich nicht meine Unbesonnenheit mit der Schreibtafel gezwungen, den Weg fortzusetzen, glaube mir, das Gesetz der moralischen Schwere, das dem Schweizer, wie dem Lappländer, außerhalb seinem Neste keine Ruhe vergönnt, würde sogar in diesem Augenblicke von seiner Kraft an mir verloren haben..... Edler[135] großmüthiger St. Sauveur! Die überraschenden Stunden, in denen du meinem erschlafften Herzen so viele schöne Beispiele männlicher Tugend zuspieltest – der Zauber jugendlicher Schönheit und Unschuld, durch den die holde Gefährtin deines Lebens einige Tage des meinigen verklärte, sind Bande, die mein Wesen an das eure bis zur Auflösung des Grabes fesseln. – Und du, der reinen schönen unverdorbenen Natur herrlichster Zögling – du meiner Wünsche erhabenes Ziel! – Wie viel lange Morgen noch, o Agathe, werden meine Träume bis zu dem Zeitenwurf über dir schweben, der, wenn Gott mein Gebet erhört, alle folgende Tritte deines Gangs mit Rosen bestreuen soll. Durch meine Vereinigung mit dir wird mein Daseyn erst sein wahres Kolorit – und jeder Winkel der Erde, an den du es ankettest, den Reiz meines Vaterlandes gewinnen. Aber Ihr, zu denen diese Empfindungen in der Ferne, die uns scheidet, hinströmen – du heilig verbundenes Drei! vergieb mir, wenn ich in dieser hinfliegenden reichhaltigen Minute, über dich und deinen Himmel voll Seligkeit noch eine Macht erkenne, die selbst, ergreifender als du, mein bebendes Herz anmahnt! Ja, Eduard, in diesem Gedränge so lieblich schwärmerischer Gedanken war sie es, die holde Irrende, die gebietender als alle andere Lockungen vor meine Seele trat. Jenes heilige Gefühl, unter ihren Augen gewonnen, das sich von dem weltlichen Geschäfte, dessen ich mich eben entledigt habe, wie die Andacht von dem Wucher, zurückzog, heftete sich jetzt nur desto stärker an meine empfängliche Seele und verbreitete sich über sie in vielfach dunkelm Geflechte. Sie schien meinem vorbeirollenden Wagen aus ihrem Kerker nachzurufen: Kehre um, leichtsinniger Mensch! – Erwarte das große Schauspiel meiner Genesung, um an meinem Altar dein Herz an der heiligen Flamme zu erwärmen, die mein grausendes Schicksal umnebeln, aber nicht verlöschen konnte. Kehre um und sieh, wie sich aus der Verklärung meines Freundes ein Funken herabsenket, der meinem Irrgestirn zur Rückkehr in seine Bahn vorleuchten – an meiner Brust lodern – das Ebenbild seines Vaters zurückstrahlen, und mein vertrocknendes Auge mit lindernden Thränen befeuchten wird! So sprechend[136] stand die hohe Dulderin vor meiner Seele; als ich aber aus dem Kreise des magischen Spiegels heraustrat, und mich nach mir selbst wieder umsah – ergriff und schleuderte mich mein Bewußtseyn in einen desto düsterern Abgrund.

Freund, ich habe Dir nie verleugnet, was in meiner Tiefe vorging – warum sollte ich Dir jetzt die beschämenden Gefühle verhehlen, die, wie der Zugwind auf offene Wunden, auf die schmerzhaften Stellen meines Herzens eindrangen. O! das ist eine viel zu schonende Vergleichung. – Es war der reine Lichtstrom aus Agathens unbefangenem – aus Klarens belohntem und aus dem bangenden Herzen der heiligen Märtyrin zusammengeflossen, der die Kruste eines stehenden Sumpfs bespülte und die Quellen seines schädlichen Aushauchs sichtbar machte. – Der Anblick empörte meinen Stolz. – Ich wollte Trost – erwartete Schutz – forderte Beruhigung von ihm – erhob mich – und, woher, fragt' ich übermüthig, kommt dir so unverlangt die Beleuchtung deines Unwerths? – von einer Wahnsinnigen...... Wie? welcher Dämon gab mir dieß verunstaltende Wort ein?

O du schuldloses Opfer des grausamsten Verhängnisses. – Wehe dem Lästerer, der das Kleinod deines Wesens darum nicht für unschätzbar erklären wollte, weil es getrübt ist! Er lasse den Nebel des Augenblickes verdünsten, und wie ein angehauchter Diamant, wird es in seinen angebornen Glanz – in seine fleckenlose Natur übertreten. – Selbst in der Gluth der Vernichtung wird es, gleich ihm, in Aether zerfließen und keine Spur irdischen Ursprungs zurücklassen. –

Ich habe mir längst abgemerkt, Eduard, daß jede liebevolle Empfindung mir weit wärmer in den Kopf tritt, wenn ich fahre oder reite, als auf meinem Lehnstuhle. Ueberfällt mich ein solcher Enthusiasmus in einer Postchaise, so verliere ich mich selbst – wie hier, zu Pferde gemeiniglich meinen Hut. Wundere Dich also nicht über die kostbaren Ausdrücke meines Selbstgesprächs, und laß mich ruhig fortschwärmen, bis ich die Station erreicht habe. O Liebe, Liebe, rief ich gen Himmel blickend, du in der Sprache der Engel erhabenstes Wort – in dem Sternenkranze des Ewigen[137] mildester Strahl – herrlichstes aller Gefühle, nur dem Menschengewürme unbegreiflich, das über den ächten Sinn deines Namens weg – zu Sprachverwirrern hinkriecht, die ihn mit Schlangenzungen mißdeuten. Ach! kein Pulsschlag verklingt in dem Reiche der Natur, der nicht Millionen Verlästerer deiner Gottheit erweckte. Als Sinnbild von dir setzen sie das raubgierigste Ungeheuer auf deinen Altar – wähnen bei der Enthüllung ihres befleckten Götzen deinen heiligen Schleier zu heben, und schmücken die Opfer, die sie ihm würgen, mit dem Afterscheine deines unsterblichen Kranzes! O ihr Betrüger euer selbst, ihr lieblosen Verfolger der weiblichen Würde! Haben sich wohl je eure Irrgänge dem stillen Pfade genähert, auf welchem die Liebe einherwandelt? Unschuld tritt ihr voran, reulose Freuden folgen ihr, und ihr Ausgang verläuft sich in die seligste Ewigkeit. Werfet nun einen Blick auf das Blendwerk eures Anführers, und zittert! Selbstsucht ist sein Schild, Trug seine Rüstung, und seine Waffengefährten sind in der Hölle geworben. Nur niederträchtige Künste – sinnliche Verlockung – Meineid und Verläumdung folgen seiner Blutfahne. O ihr, seine strafbaren Anhänger, aus was für entsetzlichen Haufen müßt ihr nicht die Mitgehülfen eurer Unthaten wählen, um an ein Ziel zu gelangen, wo nur Seelenpeiniger in scheußlichen Larven euer warten. – Euer ehrloser Rückzug geht über Felsenspitzen und Dornen, und aus euerm schändlichen Sieg werdet ihr nichts von der mühsam errungenen Beute nach Hause tragen, als ein verletztes Gewissen. – Und nun dieselbe Hand auf's Herz, die dieß ernste Gemälde entwarf! Konnte sie denn nirgends ihren Pinsel reinigen, als in einem Tollhause? Buhlerisches Avignon – dort war es, wo ich – was will ich's läugnen? – die sittlichste Kunst zum Dienste des Unsittlichen erniedrigte – dort, wo mein entbranntes Gehirn jene schlüpfrigen Bilder entwickelte, zu denen ich, wo nicht selbst saß, doch andern Mißgestalten zu sitzen erlaubte. Könnte der Zufall, der sie mir auf dem Krankenbette wegstahl und zum Feuer verdammte, den Maler beruhigen, der sie aufstellte, wie froh wollte ich über ihren Staubhügel hinwegsehen! ... Das könnte ich wollen? Nein, Eduard; ich würde vielmehr mit Freude[138] jene Erfahrung meines Lebens – wenn ich die Palingenesie verstände, – aus ihrer Asche hervorrufen; – sie sollten vor meinen und anderer Augen leuchten, so lange der Schmutz, aus dem sie entstanden, noch Farbe hielte. Dem Unerfahrnen, der meine Bilder anstaunte, dem Lüsternen, der ihnen zulächelte, und dem Kenner, der die Treue der Kopie aus seinem eigenen Originale abzöge – ihnen allen sollte mein Kabinet offen stehen, und – wenn die Herren über dem Eingang die Aufschrift: Plusque ex alieno jecore sapio quam ex meo – gelesen und ihre Ferngläser hell gerieben hätten, – sollte es mir lieb seyn, sie, von einer Nudität zur andern verlockt, endlich an der Warnungstafel anprallen zu sehen, die ich mit beträchtlichen Kosten an dem Ausgange meines Saals aufgerichtet habe. Hier möge dann jeder sich besinnen – den Spaziergang durch meine Gallerie mit dem vergleichen, den er durch die Welt nahm – möge sich – nachdem es kommt – entweder freuen, daß er, Gott sei Dank, auf allen seinen Reisen zu Wasser und zu Lande nie an solche Klippen gestoßen – möge, wenn er kann, sich etwas darauf zu gute thun, daß sein Putz- und sein Schlafzimmer – von Scipio's Enthaltsamkeit an bis zu der keuschen Lucretia, nur mit Tugendspiegeln getäfelt sei – oder er fasse auch den kurzen Entschluß, sich nie von seinem Ernste und seiner Studierstube zu entfernen, um sich keinen solchen Gefahren auszusetzen, als mich leider! betroffen haben, und, wenn sie ihm ja aufstießen, mein abschreckendes Beispiel zu benutzen, und ihnen klüger auszuweichen, als meiner Wenigkeit gelang. Auch das soll mir recht seyn. Müßte er sich aber als ein ehrlicher Mann gestehen, daß seine Sittlichkeit, hier und da, wohl noch schimpflichere Niederlagen erlitten habe, als die meine, so weiß ich ihn mit keinem bessern und brüderlichern Rath zu entlassen, als – er schlage den Weg ein, auf den mein hölzerner Arm hinweist – den Weg der Reue, wo er auch mich mit meinem Wanderstabe finden wird.....

»Das sind faule Fische« – war das erste Wort, das ich hörte, als ich mit meinem Selbstgespräche vor dem Posthause abtrat. Ich stutzte – bis ich sahe, daß es nur einer Höckerin galt,[139] die der Hausknecht, trotz der Versicherung, daß die Sardellen frisch wären – abwies. Wenn es nun aber ein Philosoph gewesen wäre, befragte ich mich, der dir mit diesem entscheidenden Urtheile in den Korb geguckt hätte? was würdest du ihm haben antworten können? Ein Glück für ihn, daß ich wieder auf eigenen Füßen stand und alles Hochtrabende in der Chaise zurückgelassen hatte: – denn nun ward mir die Sache erst selbst klärer. – »Nicht ganz getroffen!« erwiederte ich ihm. »Faule Fische, sagen Sie? Nein, mein Herr, es sind gar keine – sind nichts, als gute ehrliche Frösche, die ich zum Zeitvertreib mit der Angelruthe in dem nächsten Tümpel gewonnen habe, um Versuche, die zu sehr wichtigen Resultaten leiten können – über die Reizbarkeit der Nerven anzustellen. Ich mache mir zuweilen den Spaß, während Euer Ehrwürden den Ungeheuern des Oceans Wurfspieße entgegen schleudern, ohne, daß ich wüßte, eins noch getroffen oder getödtet zu haben. Meine Frösche können wenigstens nicht mehr quaken, wenn ihnen die Haut über die Ohren gezogen ist. Ihre gute Absicht, mein Herr, ist jedoch gewiß nicht zu verkennen, und verdient den Dank aller Edeln.« So kämen wir als gute Freunde aus einander, und gingen, glaube ich, jeder ruhig und mit sich zufrieden ins Bette.


Den 26sten Februar.


Als ich mich gestern Abend der Sektion der Frösche gegen den Philosophen annahm, hätte ich nicht geglaubt, daß ich Dich heute um dieselbe Zeit mit einem Mitbruder meiner Studien bekannt machen würde, der die Sache ins Große treibt, und den ich selbst erst zwischen Nimes und Montpellier kennen lernte. Es traf sich sonderbar genug. Ich brach heute mit dem frühesten auf und stieg so schlaftrunken in den Wagen, daß Bastian ein paar elastische Kissen unter meinen Kopf legte und mich der Ruhe übergab, die ich vorletzte Nacht der Unterhaltung des Dominikaners so gern aufgeopfert und in der vergangenen noch nicht hinlänglich ersetzt hatte. Ich legte also eine Station nach der andern so sanft zurück, als wenn es auf meinem Bette geschähe. Wir waren durch Nimes gefahren und schon eine gute Strecke bei Caverac vorbei[140] als meine Chaise still stand und das Fluchen des Postknechts mich ermunterte. Vier Wagen vor dem meinigen sperrten den Weg, weil an ihrer Spitze ein fünfter das Rad gebrochen hatte, und sie mochten schon lange da gehalten haben, ehe ich ankam. Bastian war ausgestiegen, um zu sehen, was vorging. Ich hörte ihn von weitem mit einem Bekannten sprechen, und verließ nun auch meine Polster. Der erste Wagen, dem ich neugierig vorbeischlich, faßte drei Frauenzimmer, immer eins reizender als das andere. Ich machte ihnen meine tiefe Verbeugung, die ich mit Erstaunen über eine so ungewöhnliche Erscheinung an dem zweiten, dritten und vierten Wagen wiederholen mußte. Was in aller Welt ist das für ein Transport? dachte ich. – Entweder ist hier herum eine Pensionsanstalt für junge Fräulein, oder ein Bassa von drei Roßschweifen schickt, Gott weiß warum? sein Serail nach Montpellier. Indem ich so da stand und mich der lachenden Gegenstände freute, die den Steinweg belagerten, klopfte mich Jemand auf die Schulter. – Ich drehte mich um – erinnerte mich sogleich des ehrlichen Gesichts und ... »Je – lieber Onkel!« rief ich ganz verstört – »wie kommen wir denn, so weit von Cavaillon – hier zusammen? – Sind Sie denn nicht mehr Wirth in dem Propheten?« »Nein, mein Herr,« antwortete er mit sichtbarem Frohsinn. – »Ich habe die lästige Wirtschaft aufgegeben – diene seit kurzem als Mundkoch bei Lord Baltimore, der dort sich mit den Leuten zu thun macht, die seinem Wagen aufhalfen – und reise jetzt mit ihm nach Spanien.« – »Und diese vier Wagen?« fragte ich – »Gehören zu seinem Gefolge.« – »Und dieß Dutzend allerliebster Kinder?« – »Sind Kammerjungfern seiner Gemalin. – Wenn Sie wollen, will ich Sie unserer jungen Gebieterin vorstellen, der auf jener Rasenbank ohnehin Zeit und Weile lang wird – so ist Ihnen beiden geholfen.« »Wohl,« sagte ich, »wenn Sie glauben« – und so näherten wir uns der vornehmen Frau. Schon in einiger Entfernung konnte ich schließen, daß es keine gemeine Schönheit sei. – Ihr Reisekleid von grauem Taffet lag ihr von obenher knapp an, und umflatterte ein paar vorgestreckte niedliche Füßchen. – Ein schwarzer Sommerhut beschattete ein helles Gesichtchen –[141] die eine Hand spielte mit einem Spazierstock, die andere ruhte auf einem englischen Windspiele neben ihr, das uns anmeldete. Das Ganze gab ein freundliches Bild. – »Hier, Mylady,« rief mein Introducteur, »habe ich die Ehre, Ihnen einen meiner Bekannten vorzustellen, dem die Equipagen Euer Gnaden den Weg verstopfen.« Die herrlich schlanke Figur erhob sich ein wenig von ihrem Sitze. Ich verneigte mich auf das ehrerbietigste – stotterte einige Entschuldigung über meine Freiheit – richtete mich in die Höhe – begegnete ihren Augen und ... »Mylady« – und – zugleich – »um Gotteswillen!« rief ich – »Sie sind es – Klärchen – Sie?« –

Wenn Du denkst, daß sie von uns beiden es war, die am meisten erschrak, so kennst Du sie schlecht. – Mit der stolzesten Ruhe maß sie mich mit den Augen, und sagte mit Würde: – »Ich heiße jetzt Baltimore, Gemalin des Herrn, der eben auf uns zukommt. – Wie ist es Ihnen zeither gegangen?« Ich stand verblüffter vor ihr, als jemals – ohne eine Silbe zu antworten. Unheimlicher ist mir in meinem Leben nicht gewesen. – Ueberlege selbst, Eduard, was hier alles zusammentraf, um mich außer Fassung zu bringen. – Die hohe fremde Miene der Dame – gegen einen Bekannten, wie mich – ihr gegenüber – die Schreibtafel des Barons mit ihrem Mignaturgemälde und meinem Epigramm in der Tasche – scheu, wie ich immer gegen alle und jede bin, die Thorheiten von mir wissen, so daß ich lieber von ihrem Tode höre, als ihnen begegne – und in demselben Augenblicke zugleich von der Gefahr umschwebt – dem Lord – Klärchens Gemal – meine Hochachtung zu bezeigen ... Nein, Eduard – um mit solchen Verlegenheiten zu kämpfen, muß man eine unverschämtere Stirn haben, als ich. Mein Entschluß war kurz – Ich faßte den Propheten-Wirth bei dem Aermel – drehte mich um, und eilte nach meiner Chaise. – Als wir so weit waren, daß uns Niemand hören konnte, blieb ich stehen. – »Nun, lieber Herr Mundkoch« – schöpfte ich Athem – »jetzt, bitte ich, befriedigen Sie meine Neugier, die unglaublich ist! – Wir kennen ja beide ihre liebe Nichte von dem Bette an, wo ihr der Teufel zum ersten[142] Male erschien, bis zu dem Sopha, wo ich ihr das Strumpfband der Maria verhandelte – durch welches Wunder ist ihr die Hand eines reichen vornehmen Engländers zu Theil geworden?« – »Durch kluge Erfahrung,« antwortete er, »die bei den Weibern meistens den Abgang der Unschuld ersetzt – und durch die Blindheit, mit der Gott uns Männer gestraft hat. So erkläre ich mir wenigstens die Sache, wenn mir das und jenes von der Donna einfällt, und ich über ihr Glück erstaune. – Aber jetzt, glauben Sie mir, verdient sie es. – Sie ist ganz wieder auf dem Wege der Tugend, eine zweite Magdalena – liebt ihren Mann und macht ihn glücklich.« – »Seit wie lange?« fragte ich. »Seit heute vor acht Tagen,« erwiederte er; »sie verlangte – und der Lord freute sich kindisch darüber – in der Franziskanerkirche – gerade über dem Grabe der tugendhaften Laura getraut zu werden. – Herr Ducliquet hat sie eingesegnet – der getaufte Jude hat bei der Ceremonie aufgewartet – und in der Propstei« ... »Ist, fiel ich ihm in's Wort, die Hochzeit gewesen?« »Ja,« sagte er, »und auch das Beilager.« Ich schlug bei dieser Nachricht die Hände gefalten über den Kopf. – »Barmherziger Gott,« rief ich aus, »welch ein Greuel von Menschenverbindung an deinem Altare! Gute Laura, was für antipetrarchische Gedanken mögen an diesem Tage über deiner Asche geschwebt haben!« – »Ruhig, mein Herr!« erinnerte mich der Propheten-Wirth, »meine Nichte bemerkt Sie – Lassen Sie uns alles vergessen und vergeben seyn, was vorbei ist, und gedenken Sie künftig der Lady Baltimore im Besten. – Doch ehe wir uns trennen, mein Herr, – denn ich sehe, daß meine Herrschaft einsteigt, muß ich Ihnen geschwind einen Irrthum benehmen, in welchen ich Sie in Ansehung Ihres Landsmanns gesetzt habe. – Es war eine boshafte Nachrede seiner fortgejagten liederlichen Bedienten, – denen ich keinen Glauben hätte beimessen sollen. Der brave Mann hat sich mit Klärchen nicht einmal so viel vorzuwerfen – wenn ich so frei seyn darf, es zu sagen – als Sie. Ein Liebhaber der Kunst kann ja wohl in allen Ehren ein schönes Mädchen als Modell benutzen! Mehr hat er nicht gethan. Ich habe seitdem Herrn le Sauve kennen lernen, den[143] Maler, der für ihn gearbeitet, und dem Klärchen in mancherlei Stellungen gesessen hat – von dem weiß ich alle Umstände. Gnade Gott dem Herrn, der auch die unschuldigste Sache bei verschlossenen Thüren vornimmt! – Mehr braucht es bei solchen Schurken nicht, um ihn in den schlimmsten Ruf zu bringen – so daß er zuletzt keine Tasse Hühnerbrühe mehr nehmen darf, ohne Verdacht zu erwecken..... Doch ich muß fort – leben Sie wohl – wir bleiben nur diese Nacht in Montpellier.« – Die vier vordersten Wagen waren schon in vollem Galopp – er hatte seinen Platz in dem fünften – dem nächsten vor dem meinigen. Mein Postillion, voll Ungeduld über den Aufenthalt, blieb nicht zurück, so daß ich die Ehre hatte, im Gefolge von Lady Klärchen an dem Posthause anzulangen, wo die Quartiere für die englische Herrschaft schon durch einen Kourier bestellt waren.

Den ganzen Weg über hatte sich meine Neugier um eine Frage herumgedreht, deren Auflösung von meinem geschwinden Aussteigen aus dem Wagen abhing, ehe mir der Mundkoch entwischte. – Ich kam ihm glücklich entgegen. – »Nur noch ein Wort statt tausend,« hielt ich ihn bei dem Kragen. – »Warum in aller Welt führt Ihre Frau Nichte Gnaden wenigstens ein Dutzend Kammerjungfern mehr mit sich, als eine Königin brauchen würde?« – »Das muß freilich Wunder nehmen,« antwortete er, »wenn man den wahren Zusammenhang nicht weiß. – Mylord – so hat mir sein Kammerdiener vertraut, schreibt ein systematisches Werk über die Eigenheiten der Weiber. – Englische Schriftsteller wählen ja immer ein auffallendes Thema. – Diese artigen Kinder sind nicht sowohl im Dienste bei seiner Gemalin – als in dem seinigen – sind Studien für seine philosophischen Spekulationen und ahnden es selbst nicht. Sie verrathen ihre kleinen Schwachheiten – Fehler und Tugenden unbefangen, und liefern ihm tagtäglich neue Bemerkungen zu seinem Texte. Es ist der vollständigste Apparat zu dergleichen physiologischen Experimenten, den man sich nur denken kann – aus den leichtsinnigsten–schwermüthigsten – sprödesten – unschuldigsten – und erfahrensten Geschöpfen zusammengesetzt – mit deren Seelen, (denn wirklich ist es nur darauf abgesehen)[144] er hunderterlei Versuche anstellt, um endlich ein neues Resultat herauszubringen. Gott gebe, daß es ihm gelingt – denn es wäre gewiß ein sehr nützliches Buch!« – »Und dieser Sachverständige,« fuhr mir heraus, »hat Ihre Nichte heirathen können?« – »Stille,« fiel mir mein verunglückter Oncle ins Wort – »hier ist nicht der Ort, darüber zu schwatzen. – Ich muß in meine Küche – leben Sie wohl, mein Herr, leben Sie wohl!« – Das Buch möchte ich sehen – setzte ich nun meine Verwunderung mit mir allein fort – indem ich mich von einem Lohnbedienten in die Stadt führen ließ, in die man, wie du wohl wissen wirst, nicht anders, als zu Fuße oder in Sänften kommen kann. – Armer Autor! Gott gebe dir Glück zu deinen Studien, denen freilich die meinigen nicht das Wasser reichen! Ueber deine junge Frau könnte ich dir zwar wohl wichtige Beiträge liefern – aber, ob sie es gleich nicht um mich verdient hat, würde ich mich doch schämen, weniger edel zu handeln, als Herr Ducliquet, der Probst und der getaufte Jude.

Montpellier ist bei allen seinen unläugbaren Vorzügen doch eine sonderbar ängstliche Stadt, lieber Eduard. – Gassen, die so schmal sind, daß die Inwohner der gegenüber stehenden hohen Häuser einander die Hände reichen können, und ein Liebhaber, der so gute Gelegenheit hat, seiner Schönen den Tag über in die Fenster zu sehen, nichts weiter als ein Bret braucht, um des Abends einzusteigen. Wenn die Hitze zunimmt, spannt man, aus Furcht vor dem Sonnenstich, Tücher über sie her. Dann sieht jede ohnehin wie ein Himmelbette aus, und kann füglich dazu benutzt werden. Die Schilder der Wirthshäuser sind alle aus der Botanik genommen. – Da hört man von keinem Römischen Kaiser oder Kurfürsten, wie in Frankfurt und andern deutschen Städten, sondern nur Namen aus dem Linneus. Ich fragte nach dem besten. Mein Lohnlaquai nannte mir die Rhabarber-Pflanze und die Chinawurzel. – Ich wählte das letztere und hätte es nicht besser treffen können; denn an der Hausthüre lehnte ein Bedienter, dessen mir nur allzubekannte Livree mich sogleich verständigte, daß er dem Herrn angehöre, den ich suchte. Er bestätigte es, und war so flink in seinem Dienste, daß er dem Baron die Ankunft der Schreibtafel[145] schon gemeldet hatte, als ich noch auf der Treppe war. Kaum hatte ich meinen Staubmantel abgeworfen, so trat dieser auch schon in mein Zimmer – eine Figur von dem edelsten Anstande, ein offenes – liebreiches – verständiges Gesicht – so einnehmend und munter in seiner Unterhaltung, wie es nur ein Deutscher seyn kann, den gute Gesellschaften und Reisen gebildet haben. Ich wußte nicht gleich, nach was ich zuerst greifen sollte, um ihm eine bessere Meinung von mir beizubringen, als ich selbst hatte – machte Entschuldigungen über den Aufzug, in dem er mich träfe – hätte zwei Nächte nicht geschlafen – und käme – das war es eigentlich, wodurch ich mir ein Ansehen bei ihm erbetteln wollte – von der Bastide meines vertrautesten Freundes, des Marquis von St. Sauveur, dessen Vermählung ich als der einzige Gast beigewohnt hätte.

In der That traf ich es hier wieder so gut damit, wie bei Herrn Filbert. Er kannte den Brigadier – wünschte mir Glück zu seiner Freundschaft – und hörte mit innigem Antheil mein enthusiastisches Lob über seine Gemalin. »Es ist wohl Schade,« sagte er, »daß Sie ihm nicht auf sein Stammgut haben folgen können. Dort würden Sie ihn als einen kleinen Fürsten bewundert haben, der alles das leistet, was man oft umsonst von dem größten erwartet.« Ich ging nun nicht ohne Herzklopfen zu dem Hauptgeschäft über, das ich mit ihm abzuthun hatte. – Er machte es mir sehr leicht – nahm alles, was ich über meine hitzige Krankheit – nachherige Erschlaffung – und verordnete Zerstreuung zu meiner Rechtfertigung herausstotterte – für gültig an, und forderte, ehe ich ihm noch seinen Verlust einhändigte – Feder und Tinte, um durch ein Billet an den Kriminal-Gerichts-Präsidenten, den armen Puppenspielern noch vor Nacht ihre Freiheit zu verschaffen. »Es ist nicht meine Schuld,« sagte er, »daß die guten Leute in Ketten liegen«. Sie wurden zwar auf meine Anzeige in den Zeitungen – nach der Livree, die sie trugen – eingezogen; doch ihre eigene Aussage in dem Verhör, das man mit jedem besonders anstellte, machte sie hauptsächlich verdächtig. Sie mußten ganz den Kopf verloren haben. – Daß sich der eine Prologus, der andere[146] Epilogus nannte, ließ man Puppenspielern hingehen; als sie aber den Herrn, der sie gekleidet, angeben und beschreiben sollten, standen beide mit einander in geradem Widerspruch. – Der eine nannte Sie so, der andere so, und ich konnte nur versichern, daß kein Edelmann in ganz Deutschland einen so kauderwelschen Namen führe. Der älteste Bruder sagte aus, Sie wären in Avignon eines Kirchenraubes wegen arretirt worden – der jüngste, Sie hätten die heilige Dreifaltigkeit in einem Kamin entdeckt. – Man fragte nach ihrem Abschiede, sie hatten keinen aufzuweisen. Ihr Herr wäre durch ein Wunder aus Avignon entkommen – zu Lambesk hätten sie die Schreibtafel in einer verborgenen Tasche gefunden – und dem Herrn sogleich in Verwahrung gegeben – der es vermuthlich vergessen, sie dem Eigenthümer auszuliefern, und bei ihrem Abgang in Begriff gestanden hätte, in sein Vaterland zu gehen. Diese widersprechenden Aussagen, die alle Stunden einen neuen tollen Zusatz erhielten, erbot sich doch jeder Bruder zu beschwören – dabei sahen sie sich vor Gerichte so scheu um, wie das böse Gewissen. Die Frau, wenn es möglich ist, bezeigte sich noch verwirrter. Sie deklamirte in leeren nichts sagenden Phrasen ihre Vertheidigung, und rief unaufhörlich in dem Gefängnisse und vor dem Tribunal: ›Ach mein Theseus! – wo bist du hin, mein Theseus?‹ – Doch war sie es, die den Brief an den deutschen Baron in dem heiligen Geist schrieb, ohne Hoffnung zwar ihn anzutreffen, und den ich sogleich durch eine Stafette abschickte. Mir fing selbst an bange für den Ausgang zu werden. Ich hielt sie zwar sehr richtig für Narren – verschob jedoch mein Urtheil über den Verdacht, dem sie bloß standen. Das Tribunal hingegen hielt sie hinlänglich für überwiesen, und ohne meine Gegenvorstellung hätten sie vielleicht schon die Question ordinaire et extraordinaire erlitten. Es thut mir leid, daß den armen Schelmen ihre Ehrlichkeit so übel belohnt worden ist. Daß mich ihre Unschuld jetzt mehr freut, als Schreibtafel, Venus und Brief, die ich eins wie das andere für verloren hielt, können Sie mir wohl zutrauen. Ich bin glücklich, daß meiner über die Zeit verschobenen Abreise nun nichts mehr im Wege steht. Denn vielleicht wissen Sie schon, mein Herr,[147] daß mich in Deutschland eine liebenswürdige Braut mit Sehnsucht erwartet, um so viel mehr, da mein letzter Brief ihr den Tag meiner Ankunft bestimmt, und sie gebeten hat, mir auf ein Gut ihrer Tante sechs Meilen weit entgegen zu kommen. Die Aengstlichkeit, mit der sie mir sonach entgegen sehen muß, beklemmt mich nicht wenig.« – Brauche ich Dir, lieber Eduard, wohl die Stellen in dieser Erzählung anzustreichen, die mir einen Stich nach dem andern ins Herz gaben. Ich erduldete sie ohne Murren, als eine gerechte Züchtigung meines unverantwortlichen Leichtsinns. Kleinmüthig zog ich das anvertraute Gut aus der Tasche, aber wie ich es dem Eigenthümer einhändigte, brachten mich die Vorklagen, die ich beifügen wollte, in eine neue Verlegenheit. Auch diese schlug er sofort als ein Mann von Welt nieder. Er öffnete die Schreibtafel, besah mit wahren Kenneraugen Klärchens Bild und überlas lächelnd mein Epigramm auf der Hinterseite. Die Gelegenheit war zu gut, um ihm nicht die Veränderung bekannt zu machen, die seitdem mit dem Original vorgegangen sei, und durch welches Ungefähr ich heute ihr Gefolg verstärkt hätte. »Nur heute? das ist glücklich!« sagte er ein wenig ironisch, (vermuthlich hat der Pro- und Epilogus eins und das andere zu Protokoll gegeben, was er Anstand nahm, mir gerade in das Gesicht zu sagen). »Also an Lord Baltimore verheirathet? Nun da ist sie in den rechten Händen,« schlug er ein lautes Lachen auf – »ich kenne den alten Schwärmer und seine abgeschmackten Versuche für einen Text, über den unser kluges und erfahrnes Klärchen ihn in einer Stunde mehr lehren würde als alle die abgesetzten Lady's, die ihren Triumphwagen begleiten. Wer weiß, ob sie ihn nicht wieder zum Glauben an weibliche Tugend bekehrt, und seine Erfahrungs- und Seelenkunde mit einem Phänomen bereichert, dem er bis jetzt umsonst nachgeforscht hat. Wie wird sie die Unbefangene spielen – ihn schon von weitem kommen sehen, während er seine Experimente für die ersten hält, denen sie bloß steht. Die Reise nach Spanien ist gewiß ihr Werk. – Dort, wo keine Seele sie kennt, wird sie ihm noch lange, ehe sie in den hintersten Wagen versetzt wird, für den Stein der Weisen gelten, den er sucht.« – Ich erwähnte des[148] Mundkochs. – »Den allein,« sagte er, »wünschte ich von der saubern Gesellschaft zu sprechen. Der Ehrenmann hatte mich vor einiger Zeit, wie mir mein Kammerdiener vertraut hat, in einem schimpflichen Verdacht, und seine liebe Nichte, der er damals alles Böse an den Hals wünschte, in einem noch schimpflichern.« – »Diese Ungerechtigkeit,« fiel ich dem Baron ins Wort, »bereut er jetzt gegen beide von Herzen, seitdem er einen unverwerflichen Zeugen Ihrer bloß artistischen Verhältnisse mit seiner Nichte – den Herrn Le Sauve gesprochen hat, der die Schöne so oft unter Ihren Augen und in der Lage gemalt hat, die Sie dem Modell gaben.« – Der Baron verfiel in ein kleines Nachdenken, das ihn glücklicherweise verhinderte, die brennende Schamröthe zu sehen, die mir in das Gesicht trat – denn siehe nur, ehe ich mich dessen versah, fiel mir der verfluchte Stimmhammer, bei dem meine Kunst scheiterte, und die geweihte Farbe ein, die ich verschüttete. – »O hätte ich,« erwachte der Baron wie aus einem Traum, »das schöne Geschöpf noch so unmündig an Kenntnissen und Jahren gefunden, als da Herr Ducliquet ihre Bekanntschaft machte, keine Seele würde jetzt gegen die Wahl des Lords etwas gegründetes einwenden können. So aber war sie schon ganz verloren, als ich sie kennen lernte – nur für die Kunst des Malers nicht. Ihre trügerische Außenseite konnte schon keinen mehr betrügen, dem es nicht ganz an sittlichem Gefühl und gesunden Augen fehlte, wenn er nicht wie Baltimore, für sein freigeistiges System mit Blindheit gestraft war – am wenigsten ein Herz wie das meinige, das einem fast eben so reizenden – zugleich aber auch dem reinsten und tugendhaftesten weiblichen Wesen angehört. O, meine Karoline, mit welchem Wohlbehagen unverletzter Treue werde ich dir nun bald unter die Augen treten! Wie belohnend, mein Herr, ist dieses Bewußtseyn am Ende einer Reise, sie mag einen Welttheil oder das Leben umfassen!« – Lieber Eduard, wenn Du mir die glühenden Zangen der Beschämung, die mich bei jedem dieser Worte zwickten, nachfühlen müßtest – ich würde Dich herzlich bedauern. Da mochte ich mich doch auf die eine oder die andere Seite des Prangers stellen, den der Baron Klärchens Liebhabern anwies, so hatte ich keine Ehre[149] davon. Ich bekam eine recht kleine Idee von mir, die noch nicht vergehen will. Besonders that es meiner Eigenliebe weh, daß hier zwei Deutsche in so verschiedenem Lichte einander gegenüber saßen. Ich konnte mir nicht verbergen, daß diesem jungen, blühenden, artigen Manne das Reisen viel besser zugeschlagen sei, als mir. Mich, glaube ich, hat er auf den ersten Blick weg gehabt. Sagte er nicht oben, ich wisse vielleicht schon, daß er eine Braut habe – und würde er wohl mit der Huldigung seiner Karoline so laut gewesen seyn, wenn er mir nicht schon angesehen hätte, daß mir der Inhalt des Briefs in der Schreibtafel so bekannt wäre, als ihm selbst? Was konnt' ich in dieser Ueberzeugung klügeres thun, als den Vorwürfen, denen ich nicht auszuweichen vermochte, offen entgegen zu gehen? »Ich merke, Herr Baron,« stoppelte ich meine verschämten Worte zusammen, »daß Sie voraussetzen, ich habe mich von dem Geheimnisse Ihres Herzens auf eine Art unterrichtet, die große Entschuldigung bedarf. Was mir eigentlich nöthig war um den Eigenthümer des Gefundenen aufzusuchen, konnte mir schon die Adresse sagen – das seh' ich jetzt recht gut ein – und dennoch ...« »Wenn der Brief meines Freundes« – unterbrach er mich – »Ihnen die Zeit verkürzt hat, so hat er seine Absicht doppelt erfüllt, und es ist mir lieb, daß Sie ihn lasen« – »Und auch abgeschrieben?« fragte ich. – »Ja, auch das!« antwortete er lächelnd. »Hätte er ihn im Ernst geschrieben, so viel er übrigens auch Wahres enthält, so dürfte ich wohl hoffen, ihn bald genug zu überführen, wie Unrecht er mir und dem guten Geschmack gethan – und wie voreilig er die Aufschrift über dem Portale meines Landhauses kritisirt hat.« – Ich könnte nun mit gutem Gewissen und an keinem schicklichern Orte als hier den Brief über oder gegen den guten Geschmack, wovon ich Dir bereits in meinem verbrannten Tagebuche den Anfang mitgetheilt hatte, ganz einschieben. Er würde Dir zum bessern Verständniß der Sache, auf die sich die Widerlegung des Barons bezieht – mir aber als eine Anleitung dienen, die Verdienste meines Landsmanns in ein noch schöneres Licht zu setzen – aber ich würde nur dadurch den Faden meiner Erzählung, die doch auch bedacht seyn will, verlieren. Genug,[150] Du sollst nicht darum kommen, und sollte ich Dir ihn in einem besonderen Futteral mitbringen. – »Ich schmeichele mir,« fuhr der Baron mit sichtbarer innerer Zufriedenheit fort, »daß ich die Zeit meiner Abwesenheit in fremden Ländern nicht so gar übel für meinen künftigen Aufenthalt im Vaterlande und für das Glück meiner Erwählten angelegt habe. Die Kenntniß der großen Welt muß vorausgehen, um durch Vergleichung sein häusliches Glück desto schmackhafter zu machen – so wie man nach einigem Genuß sehr feiner Gerichte gern wieder zu einer kräftigen Hausmannskost zurückkehrt. – Auch mein Kunstgefühl soll mir hoffentlich so viele Freude gewähren, als meinen Nachbarn ihre ruhige Ignoranz. Die Leuchter – die Vasen von griechischer Form, denke ich, sollen mir so wenig im Wege stehen als ehemals den Griechen – eine Venus von Titian wird meinem Auge immer einen so angenehmen Ruhepunkt verschaffen, als das freundlichste Gesicht einer Dorfnymphe, und Lady Baltimore in ihrer schönen Nacktheit, wo mich jeder Pinselstrich an das Original erinnert, besser als noch jene Göttin, der man außer ihrem Reiz auch nicht viel Gutes nachsagen kann. Da Sie Klärchen, wie ich gehört habe, persönlich kennen, müssen Sie nicht eingestehen, mein Herr, daß ihr Anblick minder noch wollüstige Begierden erweckt, als edle und erhabne Gedanken, die nur durch die Ungestalt der Seele zurückgestoßen werden, die den herrlichen Bau, wie die Kröte einen Tempel, bewohnt. Haben Sie wohl je Nevisans Gedichte und die dreißig Bedingungen gelesen, die er zu einer vollkommenen Schönheit fordert?« – »Ja,« antwortete ich, »ich habe diese Stelle erst kürzlich für einen meiner Freunde abgeschrieben.« – »Und ich,« – erwiederte der Baron, »habe noch mehr gethan – habe sie, das Buch in der Hand, durch Klärchens Vermittelung mit der Natur selbst – jedes rohe Wort des Dichters mit dem feinen Reiz verglichen, den es anzeigt – sie alle an dem schönen Mädchen beisammen, aber durch das lebendige Kolorit – durch die Abstufung des Schattens und Lichts – durch die Schlangenlinien, die sie vereinigen, ungleich anziehender, und hier den Ausdruck der Natur unendlich poetischer gefunden, als den Dichter. Hauchen Sie nun[151] einer so sinnlich vollkommnen Gestalt Selbstschätzung und Tugend ein, und Sie haben das anbetungswürdigste Ideal weiblicher Schönheit und Würde. Ich will Ihnen aus meinem Portefeuille ein Blatt holen, worauf ich die Physiognomie dieses Mädchens nach verschiedenen Ansichten, als Nonne – Heilige – Betende – Entzückte und als einen Engel geätzt habe. Wäre die Zeichnung – wie sie es freilich nicht ist – von einer Meisterhand – von der Hand eines Raphael oder Battoni, Sie würden nicht läugnen können, daß dieses zur Venus so geschickte Modell unter allen Gestalten denselben Eindruck machen würde. Was kann uns aber einen höhern Begriff von der Allgewalt der Unschuld und Tugend auf das menschliche Herz geben, als daß es selbst in seiner Verdorbenheit durch nichts so stark als durch eine Bildung angezogen wird, in welcher die Anlagen dazu gezeichnet sind, und selbst die größte Verführerin, wenn sie am unwiderstehlichsten zu verlocken trachtet, wider Willen zu dieser Maske ihre Zuflucht nehmen muß.«

Während der Baron in seinem Zimmer die edeln Gesichtszüge der jetzigen Lady Baltimore aufsuchte, kam sein Bursche mit der Nachricht zurück, daß meine ehemaligen Bedienten ... Nein – fuhr es mir so wüthend durch den Kopf, daß ich vom Stuhle aufsprang, ohne weiter auf ihn zu hören – der Prologus, der ihr als Teufel erschien – der Epilogus, in dessen Bette sie flüchtete – die beiden Grenadiere, die sie mir boshafter Weise in Avignon vor die Thür stellte – die armen Unglücklichen, die in Ketten lagen, während der Propst sie in integrum restituirte – Ducliquet sie einsegnete – diese Unschuldigen sind es, die in derselben Nacht erfroren aus einem feuchten Kerker kriechen, in der, wenig Schritte von ihnen, jener Sünderin alle Freuden der Natur zu Befehl stehen, und ein Lord in schwärmender Andacht den unheiligen Busen küßt, an den von Ewigkeit her das böse Schicksal zweier gutmüthiger Puppenspieler gebunden war! Diese Betrachtungen jagten mich die Stube auf und ab, und ich konnte mich nicht eher wieder fassen, bis der Baron hereintrat und nun – der Bediente seinem Herrn viele Grüße von dem Kriminal-Gerichts-Präsidenten ausrichtete und die frohe Nachricht wiederholte, daß die beiden[152] Brüder und ihre Gesellschafterin des Gefängnisses entlassen wären. Wir wünschten gegenseitig zum Ausgange dieses verworrenen Handels einander Glück, setzten uns zusammen an einen Tisch, und fingen nun an nach allen Regeln Lavaters gemeinschaftlich die schönen, offenen, unschuldigen und rührenden Liniamente zu entwickeln, hinter welche die Mutter Natur ein so häßliches – heuchlerisches – freches – und verbuhltes Herz verborgen hatte, als Herr Ducliquet zu seiner Bearbeitung nur eins verlangen konnte. Ich lege Dir zwei von den radirten Exemplaren bei, die mir der Verfertiger zum Vertheilen unter meine Freunde verehrt hat. Ewig Schade, daß meine geheimen Nachrichten von ihr in der Asche liegen! – Wie würden sie nicht den Kupferstich unterstützt haben! Indeß ist es doch gut, daß ich allen denen, die etwa von meinen Thorheiten hören sollten – (denn was verschwatzt sich nicht!) – diese betrügende Physiognomie vorhalten kann, mit der Bitte, sich zum vollständigeren Beweis meiner Rechtfertigung vel quasi, noch die jugendlichste Farbe – die rührendste Karnation – die sonorischste Stimme und jenen lebhaften Frohsinn hinzuzudenken, der dem Original eigen ist. Wer alsdann noch anstehen kann, mich loszusprechen, muß entweder die Enthaltsamkeit eines Patriarchen – eine Braut zu Hause – oder ein versteintes Herz haben.

Eine Bekanntschaft, wie die meine mit dem Baron war – und von so kurzer Zeit her, daß inzwischen die Sonne weder einmal auf- noch untergegangen ist – sollte man denken, müsse sich eben so kurz abbrechen lassen; aber wir beide machten eine seltene Ausnahme von diesem gewöhnlichen Falle. Er sah es mir an, wie sein Händedruck zum Abschiede mir an das Herz trat, und Er »Wartete unterweges,« sagte er, »nicht eine Geliebte auf mich, so wollte ich auf Sie warten, um Ihnen zu beweisen, daß jedes Land gleichen Werth für mich hat, das mir die Aussicht giebt, einen Freund mehr zu gewinnen. Ich reise als ein Liebhaber, Tag und Nacht, dem Gegenstande meiner Wünsche entgegen.« – Sie – als ein Neugieriger, der in seinem Vaterlande nichts zu versäumen hat, dem kein Umweg etwas kostet, Ihnen darf ich bei solchen Verhältnissen[153] ja wohl, über der französischen Gränze, noch einen vorschlagen, der vielleicht so viel werth ist, als jeder andere, den Sie gemacht haben. Sie sind Zeuge von der gegenseitigen Ueberraschung zweier Liebender gewesen, denen für einander bange war, und die wir nun in diesem Reiche unstreitig für die glücklichsten halten können. Wäre es aber nicht, schon der Vergleichung wegen, Ihrer Mühe werth, nun auch ein paar gute deutsche Herzen aufzusuchen und zu beobachten, die längst mit einander einig, sich doch trennten, nur um durch eine von Posttag zu Posttag immer höher steigende Erwartung, der Magie der Liebe einen Reiz mehr zu geben. Ich will das System unsers gemeinschaftlichen Freundes nicht tadeln; aber ich halte mich an das meinige. Die Seligkeit ist gleich – obschon die verschiedenen Wege dahin ihre eigenen Vorzüge haben. Ich nahm seine Einladung mit Vergnügen an. Er nannte mir den zu seiner Verbindung mit Karolinen bestimmten Tag. Während ich ihn in meinem Musenalmanach anstrich, und seufzend überlegte, wenn doch einmal mein Glücksstern ein solches Kalenderzeichen erhalten würde, hatte sich der Baron fortgeschlichen.

Um ihn heute nicht weiter zu stören – da es schon über Mitternacht ist – übertrug ich Bastianen, ihn morgen früh bei seiner Abreise nochmals meiner Hochachtung – Dankbarkeit und besten Wünsche zu versichern. Gott sei Dank für die Gewißheit, mit der ich nun zu Bette gehe, daß keine menschliche Kreatur meinetwegen leidet. So darf ich auch wieder einmal auf eine vollkommen ruhige Nacht rechnen – und ach, auf noch mehrere; denn seit einigen Tagen hat sich doch vieles, was mich insgeheim drückte, gehoben! Mein armer Lehrmeister, für den ich noch immer die alte Anhänglichkeit hatte, ist, wider alles Erwarten, klug und reich geworden. Klärchen – fast noch unbegreiflicher – ist unter die Haube gebracht. Die Puppenspieler sind ihrer tollen Wirthschaft wiedergegeben, und die fatale Sucht, eine Heilige zu entdecken, hat seit Agathens Bekanntschaft sich glücklich bei mir verloren – ist mir sogar zum Ekel geworden, da ich aus Baltimores Beispiel gewahr geworden bin, was solche Studien am Ende abwerfen. Welch ein behagliches Gefühl gewährt doch ein erleichtertes Herz! Bei der[154] Rückkehr ins Vaterland kann man gewiß keinen angenehmern Begleiter haben.


Montpellier den 27sten Februar.


Ich erwachte wie eine Unke, der ein Sonnenstral in den Rücken fällt. Die beiden Puppenspieler und Elektra knieten vor meinem Bette, und benetzten meine herunterhängende Hand mit heißen Thränen. Warum war mir doch ihre Dankbarkeit so überlästig? weil ich – mochte ich mir kaum gestehen – sie so wenig verdient hatte. »Geht, geht, Ihr guten Kinder!« – suchte ich sie von mir abzuwehren – »Euer gerührtes Herz wirft mir aufs bitterste meinen Leichtsinn vor, der Euch in Ketten und Banden gebracht hat. Ueber Schmerzengeld und Entschädigung für Euren Jahrmarktsverlust will ich mich sogleich mit Euch berechnen – und daß mir die Prozeßkosten zufallen, versteht sich ohnehin.« »Diese, mein lieber Herr,« erwiederte der Epilogus, »hat der Herr Baron bereits an einen Banquier gewiesen, der dafür haftet. Wollen Sie dennoch ein Uebriges thun, so gewähren Sie uns die Bitte, daß wir heute das Theater mit der Vorstellung unsers tragischen Zufalls eröffnen und daß wir« –»Nun?« fragte ich – »unter dreifacher Beleuchtung in einer glänzenden Apotheose – Sie, theuerster Herr, als den deus ex machina vorstellen – in Ihrem gewöhnlichen Kostüme – wie wir's kennen« – »Seid Ihr toll, lieben Kinder?« fuhr ich in die Höhe – »Doch« – nachdem ich mich einige Augenblicke besonnen hatte – »meinetwegen – Wenn Ihr glaubt, daß es zu Eurem Vortheil seyn kann, so stellt mich aus, auf welche Art es Euch beliebt. Die Leute, mit denen ich hier etwa Bekanntschaft mache, kommen doch schwerlich in Eure Boutique.« Sie sahen, daß mir angst und bange im Bette ward, und trollten sich fort. Gleich darauf kam Bastian herein, dem die Gesellschaft auf der Treppe begegnet war, und freundschaftlich ein Freibillet verehrte – Er bat um Erlaubniß, dieser Comedie larmoyante beizuwohnen, die ich ihm herzlich gern ertheilte. Die Nachricht, die er mir von der Abreise des Barons brachte, war mir ungleich interessanter. Sein Bedienter, der mit dem Koffer[155] voraus war, hatte das Portefeuille vergessen, das seit gestern Abends auf meinem Stuhle liegen geblieben war. Bastian fand und trug es ihm nach, während ich noch schlummerte. Als er – erzählte er mir – in dem Posthof ankam, war eben der Lord im Begriff, mit seinen fünf Equipagen aufzubrechen. Er erkannte den Baron als einen alten guten Bekannten, und glaubte ihm etwas recht neues in seiner jungen Frau vorzustellen. Die Lady stutzte, als sie den Baron, und hinter ihm einen Bedienten mit dem wohlbekannten Portefeuille und der Schreibtafel, so nahe bei ihrem Gemal sah – doch der artige Deutsche freute sich so ungezwungen über die Ehre ihrer Bekanntschaft, und ließ vor ihren Augen Portefeuille und Schreibtafel in die Wagentasche stecken, daß ihr Muth bald wieder zurückkam; indeß beging er doch die kleine Bosheit, in ihrer Gegenwart den Lord zu fragen, ob er endlich das Resultat seiner vieljährigen Studien gefunden hätte? – Ja, antwortete der Philosoph mit großer Selbstzufriedenheit und so strahlenden Augen, daß seine junge Gemalin die ihrigen äußerst verschämt niederschlug, und roth ward bis über die Ohren. Der Lord war viel zu scharfsichtig, als daß ihm das Himmelszeichen hätte entgehen sollen, das jungen, erst kürzlich verheiratheten Weibern so gut steht. Hé bien, klopfte er dem Baron auf die Achsel, qu'en dites-vous? Aber die Dame trippelte nach dem Wagen. Triumphirend hob er sie hinein, und schwang sich ihr nach. Lieber Gott, vergieb mir die Frage! – aber was soll man zu deinen Anstalten sagen, wenn man sieht, daß sogar die Angst des bösen Gewissens eine Frau in den Augen ihres betrogenen Ehemanns noch verschönert? Der Baron nahm jetzt den Propheten-Wirth so lange auf die Seite, bis der letzte Wagen vorfuhr, und sprach sehr ernstlich mit ihm. Ehe er in den seinigen stieg, legte er Bastianen in den Mund, was er mir von diesem komischen Auftritt erzählen sollte. Seine geheimen Gedanken dabei wollte er mir aufheben, bis ich zu ihm käme. Alles recht schön, wenn nur der gute Mann es seit einer Stunde nicht ein wenig bei mir verschüttet hätte! Seine Großmuth gegen die Puppenspieler ist nicht viel besser als eine Beleidigung für mich. Prozeßkosten soll ihm doch seine Schreibtafel nicht zuziehen, und wenn ich sein[156] Hochzeitgast seyn soll, haben wir uns erst darüber zu verständigen. Mußt Du mir nicht hierin Recht geben, Eduard?

Ob ich gleich keiner Braut nachzurennen habe, werde ich es doch nicht lange hier aushalten. Die Merkwürdigkeiten in den Ringmauern der Stadt haben nicht sehr viel anziehendes für mich, ob ich ihnen gleich ihr großes Verdienst nicht abläugnen will. Sie sind gerade so, wie sie sich für den berühmtesten Stapelort der Medicin schicken. Du findest verschiedene Theater hier – aber nur anatomische und chirurgische – und die herumliegenden Gärten sind weder französische noch englische – sondern botanische. – Die engen Gassen verschlingen sich in einander wie die Gedärme in einem menschlichen Körper. Aus allen Thüren und Fenstern tritt Dir ein Apotheker-Geruch entgegen – und auf dem Markte liegen Skelete, die man bleicht. Diese auf das höchste irdische Gut – auf Gesundheit und Leben – berechneten Anstalten machten – ich will nicht sagen meine Hypochondrie – aber doch eine gewisse Besorgniß für meinen körperlichen Wohlstand rege, der ich mit allem Ernst nachging, den die Sache verdient. Ich habe die Regel, die mich in jüngern Jahren auf mehrere Universitäten geleitet hat – von jeder etwas mitzunehmen, wodurch sie sich vor andern auszeichnet, eben so probat auf meinen Reisen gefunden In Straßburg kaufte ich eine kalte Pastete und Strohwein – in Nancy eingemachte Johannisbeeren ohne Körner – zu Auxerre ein Taschenmesser – in Nimes seidne Strümpfe – und ich könnte Montpellier verlassen, ohne mich mit dem Rathe eines der großen Aerzte zu versorgen, die hier von ihrem Thron aus ihren Zepter über den halben Erdkreis erstrecken? Würde ich nicht diese Versäumniß zu spät bereuen, wenn mich einmal eine von den ein und dreißig tausend Krankheiten, die, wie ich gelesen habe, dem menschlichen Leben, wie die furchtbarste Armee, gegenüber stehen, zu Boden schlüge? da sie vielleicht heute noch durch die geschickte Hand eines Aeskulap im Keim zu ersticken wäre. Wenigstens will ich mir doch endlich Gewißheit über den Stein in der Leber verschaffen, mit dem mich vor zwei Jahren D. Kämpf so gewaltig erschreckt hat.

Gesunden mag es freilich auffallen, daß hier keine Waare verfertigt[157] wird, die nicht Bezug auf die Verfeinerung der Waffen hat, über die Moliere, selbst in dem Augenblicke, als ihn, bei der Vorstellung des Malade imaginaire, ein warnendes Beispiel! der Tod beim Worte nahm – seinen freigeistigen Spott ausgegossen – – daß hier kein Haus zu finden ist – wo nicht Droguisten – Bader – Professoren und Schüler der Heilkunde wohnen – daß man selbst in Gasthöfen nur Kräutersuppen zu essen bekommt, und sogar das hiesige Meer, nach meiner Bemerkung von heute Mittag, keine Austern darbringt, die nicht mit kleinen Seespinnen wie mit Schröpfköpfen besetzt und mit Sedativ-Salz geschwängert wären. Aber einem Kranken erscheinen diese Umstände unter einer ganz andern Gestalt. Er faßt Zutrauen zu einem solchen so reich ausgestatteten Orte, und hofft auf den balsamischen Dünsten, die er ausströmt, noch einige Jahre weiter zu schwimmen.

Nach diesem Selbstgespräche drehte ich mich gegen den Lohnlaquai und fragte nach dem berühmtesten hiesigen Arzte. »Das ist,« anwortete der Mensch, »unstreitig Doktor Mellin, der auf dem Markte wohnt, um seine Bleiche in Augen zu haben. Kein Kranker kommt hier an, der sich nicht seines Raths bedient, und kein neugieriger Fremder reist durch Montpellier, der nicht den Tempel besucht, den er in seinem Hause der Freundschaft errichtet hat.« Ein sentimentalischer Zug putzt doch jedes Menschengesicht schon von weitem. Ich faßte schon das beste Vorurtheil für den Mann, ehe ich ihn sah, und ließ mich von dem Schweiß, der mir über das Gesicht lief, nicht abhalten, ihm zu Gefallen, zwei schon einmal durchkeuchte Straßen wieder zurück nach seinem Hause zu keuchen. Es ging mir aber nicht nach Wunsch, denn auf mein Anklopfen rief mir jemand aus dem Fenster zu: »der Herr Doktor sei mit ein paar Damen auf den Peyrou gegangen.« – »Was ist das für eine Gelegenheit?« fragte ich ganz schachmatt meinen Begleiter. – »Ein Lustplatz,« war seine hochtrabende Antwort, »auf dem man vier Königreiche übersehen kann – das sagt alles.« »Gut! so führt mich den nächsten Weg dahin.« Es war, als ich anlangte, das erstemal in meinem Leben, wo ich meiner Müdigkeit gut ward, und meine Erwartung übertroffen fand. In der Ungewißheit,[158] wo sich mein Auge zuerst hinwenden sollte, machte ich den Anfang mit dem Mittelpunkte des schönen Platzes, auf welchem das Ritterbild Ludewigs des Vierzehnten hervorragte. – Die Stände von Languedoc – las ich im Schweiße meines Angesichts an dem Fußgestelle – gelobten dieß Denkmal Ludewig dem Großen bei seinem Leben und errichteten es nach seinem Tode. – Und ich, ergriff mich der bittere Gedanke an die arme eiserne Maske, gelobe seinem verkannten Bruder, dem dieser Ehrenplatz mit mehrerm Rechte gebührt – Eins hundert Jahre nach seinem Tode – und wendete mich, um meine äußere und innere Hitze zu verschnaufen, von diesem nach einem andern, meines Beifalls ungleich würdigern Monumente – nach dem Wassertempel, der dem Haupteingange gegenüber, mit sechzehn marmornen Säulen, die seine Kuppel tragen, umgeben, einen großen Behälter bedeckt, in dem sich die Masse Wassers sammelt, das ihm auf thurmhohen Arkaden durch einen drei Stunden langen Kanal zugebracht wird. Malerisch rauscht es auf den drei freien Seiten des Doms, gleich der Quelle, die ein Monarch von dem ihm zugeflossenen Reichthum wohlthätig unter sein Volk verlaufen läßt – in ein noch größeres Becken herab, von da es durch verborgene Röhren in die Stadt geleitet wird. Ich saß so stolz in dieser Rotunde wie ein Flußgott unter seinen Nymphen, hörte ihr Plätschern – nahm freundlich die Kühle auf, die sie mir zufächelten, und würde meine Augen an dem erstaunlich prächtigen Anblick der Wasserleitung, die vor mir lag, auf das entzückendste geweidet haben, wenn dieß herrliche Werk, nach einem geraden Lauf von einer Viertelstunde, nicht den Fortgang des überhingleitenden Blicks durch eine schiefe Wendung unterbräche. Wie empörte sich aber erst mein Herz, als mir mein Führer erzählte, daß diese Krümme durch die schiefe Denkungsart eines der landschaftlichen Deputirten entstanden sei, denen dieser kostbare Bau war übertragen worden. Er besaß auf dem Wege, den der Bogengang durchschneiden sollte, einen Oel- und Weingarten, an dem seine niedrige Seele so fest hing, daß er die Rechte des Eigenthums auf das unverantwortlichste mißbrauchte, und es durch seinen Einfluß in den Berathschlagungen dahin zu leiten[159] wußte, dieß Denkmal einer großen Nation, deren unwürdiges Mitglied er ist, auf immer zu verunstalten. Als ich mich genug ausgelüftet hatte, ließ ich mich durch die brennende Sonne nicht abschrecken, über die hohen Arkaden – zwischen den reizendsten Aussichten auf beiden Seiten – bis an den Garten dieses Elenden hinzuschweben. An der Ecke, wo der Bogengang sich zu wenden gezwungen wurde, war ein Pilaster – eine wahre Schandsäule für den Oel- und Weinkrämer, errichtet. Ich machte sie wenigstens dazu, und schrieb mit Bleistift meinen Fluch daran:


Stimmst du, sein niedrig Herz zu kränken,

Natur! mit meinen Wünschen ein;

So wirst du nie mit jährlichen Geschenken

Sein tugendloses Aug' erfreun.


Was seiner undankbaren Seele

Ermangelt, Reinigkeit und Kraft,

Geist und Geschmack – das fehl' auch seinem Oele,

Das fehl' auch seinem Rebensaft!


Der Zufall begünstigte mich so sehr, daß ich bei der Zurückkunft von meinem hängenden Spaziergange auf den berühmten Arzt stoßen mußte, den ich suchte. Der Lohnlaquai zeigte mir ihn schon von weitem. Er saß in dem Nymphentempel zwischen zwei artigen Frauenzimmern, denen er, Gott weiß welchen Trost, zusprach. – Ich ließ mir eine Audienz von ihm erbitten, die er mir ungefähr wie ein großer Herr bewilligte, der durch wichtigere Geschäfte zerstreut ist. Denn während ich ihm meine Angelegenheit vortrug, schielte er mehrmal nach dem Sitze, von dem ich ihn aufgerufen hatte. Er hörte mir kaum einige Minuten zu – sah mir in die Augen – befühlte meinen Puls, und als ich ihm mein Bedenken über den Stein in der Leber vorgelegt hatte – lachte er mir gerade ins Gesicht. »Aber, lieber Herr Doktor,« bettelte ich ihm vor, »wo glauben Sie denn, daß es mir fehlt? Versagen Sie mir nicht Ihren guten Rath.« »Nein,« antwortete er, »den sollen Sie haben.« Weißt Du, Eduard, worin er bestand? In einigen Versen aus einem französischen Liedchen, die er mir vorträllerte, und die übersetzt vielleicht so lauten würden:
[160]

Statt ängstlich deine Uhr zu richten und zu putzen,

Zu spähn, ob jedes Rad leicht in das andre greift,

Und frei um seine Spindel läuft,

Ermuntre deinen Geist, den Augenblick zu nutzen,

Der Zeit, die dir vorüber schweift,

Die schnellen Fittige zu stutzen.


Ich erinnere mich irgendwo gelesen zu haben, daß ein gewisser Palisius zu Rom einem Maler, Namens Protogenes, auftrug, die Treue seines Hundes auf einer Votivtafel zu verewigen. Das arme Thier war der Spur seines Herrn nachgelaufen – wie der Mensch seinen Leidenschaften – bis zur völligen Entkräftung, von der er nur mit Mühe geheilt werden konnte. Der Künstler stellte alles der Natur gemäß dar – die starren Augen – die blutenden Tatzen – die herabhängende Zunge. Nur der Schaum des heißen Rachens wollte ihm nicht gelingen, so daß er zuletzt aus Ungeduld den Schwamm, mit dem er seinen Pinsel reinigte, gegen das Bild warf. Was geschah? Der Wurf glückte so gut, daß der Maler auf einmal den Schaum natürlich an der Schnauze des Hunds hängen und die Schwierigkeit überwunden sah.

Dieß Geschichtchen, lieber Eduard, hat viel ähnliches mit der meinigen. Ich darf mich auch wohl rühmen, die physischen und moralischen Uebel, von denen mich Sabathier und andre gute Menschen heilten, eben so treu nach der Natur auf meinem Dir gelobten Votiv-Gemälde geschildert zu haben, als nimmermehr Protogenes die kläglichen Umstände des Hundes auf dem seinigen, bis auf den Stein, den ich, wo nicht in der Leber, doch in der Einbildung mit mir herumtrug. Mit dem, sagte ich immer zu mir, wird es wohl nicht bis zum Malen kommen – und wenn der unter deinen abgeschüttelten Gebrechen fehlt, ist dein ganzes Ex voto nichts werth. Es war die letzte und Hauptschwierigkeit, aber auch sie ist nun, Gott sei Dank, durch den Schwamm gänzlich gehoben, den mir der ungeduldige Doktor an den Kopf warf – denn was könnte jetzt meinem Bilde noch zum endlichen Aufhängen in Deinem Tempel abgehen? So sonderbar auch das Betragen des Mannes gegen den Ernst abstach, den ich an unsern Aerzten[161] gewohnt bin, gestehe ich doch, daß mir die scharfsinnigste Entwickelung meiner verworrenen Organe nicht halb so viel Freude gemacht hätte, als es sein Spott that. Ich konnte nun mit entzückender Beruhigung auf D. Kämpf als einen Ignoranten herabsehen. Von welchem festen Stoff muß nicht meine Lebenskraft seyn, da so ein Mann nicht einmal einen Versuch mit ihr machen will! Meine Brust schien mehr Raum bekommen zu haben. Ich wußte nicht mehr, wo die Leber lag, und griff in der freigebigsten Stimmung nach meiner Börse. »Lassen Sie es damit gut seyn!« wehrte sich der Franzos gegen meine deutsche Sitte. »Damit Sie aber sehen, mein Herr, wohin Sie mein guter Rath leiten soll – so lade ich Sie diesen Abend auf ein Souper ein, an dem auch ein Engländer in Ihren Umständen für fünf Louisd'or Theil nehmen wird. Wollen Sie mir die Ehre erzeigen, so dürfen Sie nur eine gleiche Summe an meinen Koch abgeben, und ich kann Ihnen zugleich versprechen, daß Sie die witzigste und liebenswürdigste Gesellschaft der Stadt da ziemlich beisammen finden werden.« Du kannst wohl denken, daß ich mich nicht lange besann; nur bat ich ihn noch um Erlaubniß, seinen Freundschafts-Tempel zu besehen, der mir sehr angerühmt worden sei. »Sehr gern,« erwiederte der höfliche Mann, »hier haben Sie den Schlüssel dazu. Lafleur dort, der schon mehrere Fremde dahin geführt hat, wird Sie anweisen.« – Und so flatterte er zurück zu den Damen, deren Krankheit ihm mehr am Herzen zu liegen schien, als meine Gesundheit. Jetzt konnte ich die schöne Anlage des prächtigen Spazierorts schon mit ruhigerm Gemüthe betrachten. Er übertrifft wirklich an freundschaftlicher Verbindung des Nutzens mit dem Vergnügen Alles, was ich bis heute in Frankreich bewundert habe. Wenn nun vollends, statt der Bildsäule Ludewigs des Großen, eine von den tausend Eichen, die über die christliche Zeitrechnung hinausgehen, und nur noch in deutschen Waldungen gefunden werden, die Mitte beschattete, und sich an der brennenden triumphalischen Mauer eine Birkenallee herumzöge – Himmel, was für eine genußreiche Nachmittagsstunde würde ich diesem Wunderwerke des neuen Galliens nicht verdankt haben! Freilich – in der Verbindung mit der Stadt[162] gedacht, für die es da steht, erscheint es mir als ein Solitär, den ein altes Kräuterweib an seinem schmutzigen Finger trägt. Wenn man hingegen die Summe der befriedigten Bedürfnisse und des sinnlichen Vergnügens von dreißigtausend Seelen, die täglich auf diesem Sammelplatze ihre eingeschluckte Kerkerluft verathmen, auf Jahrhunderte hinaus berechnet, so ergiebt sich ein Schatz von frohen Empfindungen, gegen den die Unkosten der ersten Anlage immer eine Kleinigkeit sind. So rechneten die Römer bei ihren Amphitheatern, öffentlichen Bädern und Aquäducten, mit denen sie, oft den armseligsten Landstädten, ein großmüthiges Geschenk machten. »Aber, damit wir nicht Eins über dem Andern vergessen, wo sind denn,« fragte ich den Lohnbedienten, »die vier Königreiche, die Er mir versprochen hat –?« »O, die sollen geschwind gefunden seyn,« war seine Antwort. »Sehen Sie! Jener graue Fleck, der sich am Horizonte verliert, ist das Pyrenäen-Gebirge – und also Spanien – jener noch kleinere ist Piemont, der Krone Sardinien zuständig – und wenn Sie Ihre Augen etwas anstrengen, entdecken Sie dort im Meere einen Punkt, der aber nichts geringeres ist als das Königreich Korsika.« – »Und wo ist denn,« fragte ich lachend, »das vierte?« »Hier – wo Sie stehen.« Ich folgte unwillkürlich der Weisung seines Fingers, und blickte gerade auf seine neumodischen Schuhschnallen, die auch groß genug waren, um mich zu verständigen. Gegen sieben Uhr verließ ich den prachtvollen Peyrou und schlich hinter meinem Anweiser her, durch das Geschlinge der Gassen dem Tempel der Freundschaft zu, der unter meinem Verschlusse stand. Ich gelangte sehr entkräftet, wie das bei dergleichen Tempeln der gewöhnliche Fall ist, in sein inneres Heiligthum. Im Vorübergehen bei der Küche gab ich meine Pränumerationsgelder auf ein Kouvert für diesen Abend ab – und behielt nun länger als eine Stunde frei, um jene empfindsamen Denkmäler, die, wie das Standbild Ludewigs des Großen, den Gefeierten bei Lebzeiten angelobt – nach ihrem Tode aber erst gesetzt waren, mit gehöriger Muße zu betrachten, ehe die Abendgesellschaft sich in dem anstoßenden Zimmer versammelte. Der Saal der Freundschaft nun – doch schon des Rangs wegen, den die Lebenden[163] vor den Verstorbenen behaupten, halte ich für besser, Dich mit seiner Einrichtung erst nach Tische bekannt zu machen.

Nach der eigenen Ankündigung des Wirths war es die Quintessenz der hiesigen feinen Welt, die seine Abendmalzeit vereinigte. Als einem Reisenden kam mir dieser auserwählte Zirkel ungemein zu statten, um so mehr, da es witzigen Leuten wie den Nachtigallen geht, die nur desto hitziger werden, und sich dem edelsten Wettkampf hingeben, je mehrere in einem Dickicht zusammentreffen. Doch als Statistiker mußte mir das Verhältniß der ausgehobenen klugen Köpfe gegen die Zahl der Einwohner nothwendig auffallen; denn da außer dem Doktor nur noch acht Personen zugegen waren, die mir und dem Lord für unser Geld aufspielten, so muß der geistige Gehalt der hiesigen Seelen wohl so unbedeutend seyn, wie bei den Rosen, deren man eine unzählige Menge zermalmen muß, ehe ein Tropfen Oel über die wässerigen Theile aufschwimmt. Dafür wird es aber auch desto kostbarer. Wie alltäglich muß es nicht diesen Abend in den übrigen Häusern der Stadt ausgesehen haben! Ach ich hätte das kleine liebenswürdige Häufchen entführen mögen, so viel Geschmack fand mein Verstand an dem fliegenden Witz der Herren, und meine Augen an den Annehmlichkeiten der fünf Damen, die zwischen uns eingereiht waren. Diese sind so unmöglich zu beschreiben, als der erstere zu übersetzen. Wie könnte der schwerfällige Botengang unserer Sprache jene französischen Feinheiten erreichen, die gleich den Schwalben vorbeischießen – sich durchkreuzen, und mit demselben unregelmäßigen Flug zurückkommen. Genug, ich gab mich ihnen ganz hin, und dankte Gott, daß die Milzsucht nicht so tiefe Wurzeln bei mir geschlagen hatte, als bei dem Engländer. Seine fünf Louisd'or für die Aufheiterungskur dieses Abends waren geradezu verloren. Er aß und trank nicht – stocherte in den Zähnen, und überhörte die witzigsten Aufforderungen, die an ihn ergingen. Wenn er sich ja einmal zu einer Antwort herabließ, so schickte er immer ein Wort voraus, das einem französischen Ohre höchst widerlich klingt – ein fatales au contraire, das nirgends hinpaßte. Als wir gegen Mitternacht vom Tische aufstanden, war er der erste, der nach seinem Hut lief,[164] und sich mit einer trockenen Verbeugung entfernte. Es ärgerte mich die ganze Treppe herunter, daß auch ich mich durch sein Beispiel übertölpeln ließ, dieser lieblichen Gesellschaft, die jetzt am allerwenigsten Lust zu haben schien, sich zu trennen, so zeitig den Rücken zu kehren. Kaum befanden wir uns auf der Gasse, so schüttelte er mich, um seiner bösen Laune Luft zu machen, beim Arme. – »Wie gefällt Ihnen, mein Herr Fremder, der Zeitvertreib in Montpellier?« »Nicht besonders,« erwiederte ich etwas verlegen, »wenn ich den heutigen Abend ausnehme.« – »Den wollen Sie ausnehmen? Nun Gott verdamm mich, da besitzen Sie mehr Toleranz als ich. Wissen Sie, mit welchen Menschen wir eben diesen Abend vergeudet haben? Mit den würdigen Nachkommen eines Gesindels, das unser Herr Leibarzt auf Unkosten der Fremden zu Tode gefüttert hat, weil es sich – wie jetzt seine Söhne und Töchter – bei lebendigem Leibe, für dergleichen Soupers, zur Anatomie verkaufte, und jetzt, kraft dieses schönen Kontrakts – als Gerippe in seinem Tempel der Freundschaft aufgestellt ist.« »Um Gottes Willen, Mylord!« fiel ich ihm in die Rede, »sollte auch so eine Handelsspekulation möglich seyn, so ist es doch nicht glaublich, daß Kinder neben einem Saal, wo die irdischen Reste ihrer Aeltern aufbewahrt sind, schmausen würden.« »Glaublich oder nicht,« tobte er fort, »genug es ist wahr. – Hätten Sie nur, wie ich, jenes Pantheon gesehen.« – »Ja, das hab' ich.« – »Nun so können wir deutlicher davon sprechen. Der feine Herr, mir gegen über, der bald die Freuden des Lebens, bald das Glück eines empfindsamen Herzens auf der Zunge trug, ist der Sohn eines verdorbenen Kaufmanns, dessen ausgespritztes Gehirn nur durch die Saalthüre von dem seinigen getrennt war. Das Mädchen, das zwischen uns saß, ist die Tochter der ausgestopften Advokaten-Frau, die dort neben einem Skelet kauert, dem Ihre Nachbarin zur Rechten das Leben verdankt, und die Brust, die das naseweise Ding im gelben Schleppkleide gesäugt hat, hängt nicht weit davon in Spiritus vini.« – Mir schauderte vor dieser widrigen Sippschaft, während der Engländer mit hohler Stimme fortfuhr: »Ja, mein Herr, das nennt der Kerl seine verewigten Freunde, deren[165] Erben sich jetzt, nach demselben Kontrakt, bei ihm gütlich thun. Doch schwöre ich bei Gott, daß es heute die letzten fünf Louisd'or waren, die ich dazu beitrage.« »Bei der genealogischen Kenntniß unserer Tischgenossen,« nahm ich das Wort, »können Sie mir auch wohl nähere Auskunft über das liebe unschuldige Gesichtchen geben, das an der Seite des Doktors alle andere ausstach. – Ihre braunen Locken – ihre Perlen im Munde, gestehe ich, haben nicht bloß meinen Augen zu schaffen gemacht.« »Nun so will ich nur wünschen« – schlug er ein Hohngelächter auf – »daß Sie nicht zu sehr erschrecken mögen. Dieses liebe Gesichtchen gehört von mütterlicher Seite – von dieser kann ich nur sprechen, denn die väterliche ist der andern Hälfte selbst ungewiß geblieben – der einzigen Tochter einer wohlseligen Jungfer an, die während ihres schönen Lebens des Morgens Sträuße auf den Stuben herum trug, und deren äußere und innere Theile, mit Quecksilber ausgespritzt, ein ganzes Fach jener freundschaftlichen Sammlung einnehmen, und diese braunen Locken und diese Perlen im Munde, so sehr sie Ihnen auch das Herz rührten – sind nichts desto weniger das Haar und die Zähne – einer Kindermörderin.« »Nein, Mylord,« rief ich mit empörtem Gefühl, »das ist zu arg.« – »O ho, mein schwergläubiger Herr,« fiel er mir ein, »fragen Sie nur weiter nach. Die Geschichte ist so stadtkundig, als alles übrige, was ich erzählt habe.« – Unter diesem Gespräch, das mir den Nachgeschmack meines genossenen Abends gar sehr verdarb, waren wir bis vor das Haus gekommen, wo der Lord wohnte. »Verlangen Sie,« nahm er mich krampfhaft bei der Faust, »ein treues Mignaturbild von dem Neste, wohin wir verschlagen sind, so bemühen Sie Sich auf mein Zimmer. – Ich will Ihnen die Stelle eines Briefs von Jean Jaques an meinen Vater vorlesen, die in wenig Worten alles erschöpft. Daß der Mann den Gegenstand zu schildern verstand, den er einmal ins Auge faßte, ist bekannt. Licht her!« donnerte seine Stimme in der Hausthüre, und es ward Licht von unten nach oben bis in das sechste Zimmer, wo er endlich verschnaufte. Er holte seine Brieftasche. – Wir setzten uns, und er las: Montpellier est une grande ville fort peuplée, coupée par[166] un immense labyrinthe de rues sales tortueuses et larges de six pieds. Ces rues son bordées alternativement de superbes hôtels et de miserables chaumières pleines de boue et de fumier. Les habitans y sont moitié très riches, et l'autre moitié misérables à l'excès; mais ils sont tous également gueux par leur manière de vivre, la plus vile et la plus crasseuse qu'on puisse imaginer. Les femmes sont divisées en deux classes: les Dames qui passent la matinée à s'enluminer, l'après-midi au Pharaon, et la nuit à la debauche, à la difference des bourgeoises, qui n'ont d'occupation que la dernière. – Vous savez, sans doute, quels égards on a en Italie pour les Huguenots, et pour les Juifs en Espagne; c'est comme on traite les Etrangers ici; on les regarde précisément comme une espèce d'animaux faits exprès pour être pillés, volés, assommés au bout, s'ils avoient l'impertinence de le trouver mauvais. – – Ich bat um Erlaubniß, die Stelle abzuschreiben. Mit bitterem Vergnügen las er sie mir zur Uebertragung in meine Schreibtafel noch einmal vor – warf den Brief, unter einem Schlag seiner flachen Hand, auf den Tisch, und – »Ich Thor,« rief er, »konnte diesem abschreckenden Gemälde zum Trotz mich doch verführen lassen, das verrufene Original jenseits des Meers aufzusuchen. Vier verdammte Wochen verschlucke ich nun schon diese mephitische Luft, gegen die unser Kohlendampf Wohlgeruch ist – habe schon sechs solcher Todtenmahle, als das heutige – die der menschenfreundliche Prosektor mir als Arzneien verordnete, beigewohnt. Länger aber will ich sein Narr nicht seyn. Au contraire: bin ich nun einmal verdammt, mich dem Drucke des Lebens Preis zu geben, so sei es wenigstens in meinem Vaterlande. Doch es ist Zeit, daß jeder sein Bette suche. – Holla – leuchtet dem Herrn! – Schlafen Sie wohl!«

Der Kopf schwindelte mir bis in die Chinawurzel. Ein dunkles, schmerzhaftes Gefühl beklemmte mir die Brust. Nach genauer Untersuchung fand sich, daß es nichts als zärtlicher Kummer war, den ich für das unschuldig verläumdete schöne Mädchen empfand – denn an die Wahrheit einer so häßlichen Nachricht war mir nicht möglich zu glauben. Der morgende Tag soll mir die[167] Sache klar machen. Ich habe überhaupt nicht leicht einem mit größerem Verlangen entgegen gesehen – denn ich gehe mit der frohen Aussicht zu Bette, ihn in der Gesellschaft eines Mannes hinzubringen, dessen liebenswürdiger Charakter mich von Jugend auf an sich gezogen hat. – Und hätte ich nichts als seine Visitenkarte neben einem Haufen anderer, in dem Zimmer des Doktors, unter dem Spiegel entdeckt, so würde ich mein Souper nicht für zu theuer halten. Solltest Du von dem muntern, launigen Kammerherrn * * * nichts gehört haben? der die schläfrigste Gesellschaft, in die er tritt, schon durch seine Gegenwart aufheitert? – Dieser ist's, von dem ich spreche; er war der Freund meiner Aeltern und mein Pathe. So lange ich Kind war, vergaß er nie, mir Konfekt von der fürstlichen Tafel mitzubringen, und in meinem dreizehnten Jahre wollte er mich dem Herzoge zum Pagen empfehlen, aber mein Vater, der damals noch nicht an meiner Erziehung verzweifelte, verbat es. Was er dagegen vorbrachte, ließ sich zwar hören; aber der Kammerherr behielt nach meinen Gedanken dennoch Recht. Er wußte die Vorzüge eines Hofmanns gar zu hübsch aus einander zu setzen. Kurz nachher brachte mich ein Erbgut, das meiner Mutter zufiel, ins Preußische. Der Kammerherr schrieb mir noch ein paarmal: aber nach und nach – wie das so geht – verloren wir einander aus dem Gesichte. Für ein paar fühlende Seelen geht doch nichts über die Freude des Wiedersehens. Meine Apotheose muß Bastianen sehr angegriffen haben. Ich fand ihn so tief eingeschlafen, daß er nicht zu ermuntern ist. Zum Glück kann ich noch ohne Hülfe ins Bette steigen!


Montpellier den 28sten Februar.


»Laß es mit deiner Dramaturgie gut seyn, Bastian! Ich habe in meinem Leben keine ausstehen können, am wenigsten heute, wo mir wichtigere Dinge durch den Kopf gehen, als der Effekt, den meine Puppe auf dem Theater gemacht hat.« Nach dieser ernsten Erklärung, die ihm auf einmal das Maul stopfte, mußte er mir den Wirth rufen, während ich aufstand. Denn ich wäre den ganzen Tag nicht ruhig geworden, wenn ich nicht Auskunft über die Mordgeschichte[168] von gestern erhalten hätte. Jetzt habe ich sie auf das ausführlichste, und weiß nun nicht, wie ich die Hitze verblasen soll, in die sie mich gesetzt hat. Ja, Eduard, ich schwöre Dir zu – besäß' ich die Gabe der Beredtsamkeit, ich wollte sie nur zu einem einzigen Texte anwenden. – Dürfte ich als geistlicher Redner von der Kanzel donnern, und berechtigt seyn, Aufmerksamkeit von meinen Zuhörern zu fordern – ich wollte nicht über die Gnade Gottes – nicht länger über die Wiedergeburt, nicht über die Dreieinigkeit, sondern Jahr aus Jahr ein über die menschliche Grausamkeit der Verläumdung predigen, und vergnügt in das Grab steigen, wenn ich nur dieß einzige Laster aus meiner Gemeine verbannt hätte. Ich würde es bei meinem Predigen machen, wie der Stifter unserer Religion, der in keinem alten Konkordienbuche erst nach Beweisstellen forschte, um ein in Schwange gehendes Verbrechen zu richten. Er griff in das gemeine Leben, und erdrückte die Natter, wo er sie fand. Was bekümmert sich eine Neuigkeitskrämerin, die oft im Angesichte ihres Beichtvaters ihrer Nachbarin bald diese bald jene nachtheilige Geschichte, die man ihr von dieser und jener erzählt hat, ins Ohr raunt, was bekümmert sie sich um sein altes Evangelium und die verläumdete Unschuld der Batseba? Sage Er ihr lieber selbst den Sonntag darauf in öffentlicher Versammlung, was ihre Zunge Böses gestiftet und für unheilbare Wunden geschlagen hat. Die gewöhnliche Sentenz des Verläumders – die schon manche reine Tugend getrübt, manches Glück zu Grunde gerichtet hat – die einzigen fein vergifteten Worte: »Etwas mag wohl daran seyn!« könnten ein reichhaltiger Text zu einer allgemeinen Erbauung werden. O ihr, die ihr oft mehr aus Leichtsinn oder übler Laune, als bedächtiger Bosheit, durch gehässige Nachreden meinem empfindlichen Herzen blutige Thränen abgepreßt habt – o könnte mein Tagebuch, wenn es je unter eure kritischen Augen gerathen sollte, euch doch auf allen Blättern belehren, daß ihr wider Rechte verstoßt, die auch euch zu Gute kommen, wenn ihr das schillernde Licht, das oft Zu fall und Umstände über den besten Menschen verbreiten, zur Grundfarbe seines Charakters macht. Armes, gutes Kind! das mir ein mißmüthiger Mann – ohne zuvor[169] der Entstehung des Gerüchts, das ihn irre leitete, nachzuforschen, – als Kindermörderin bezeichnete. Etwas Wahres muß doch daran seyn! Ja, das ist es auch! aber dieses Etwas ist die unschuldigste Sache von der Welt. Das Mädchen war zwölf Jahr alt, als der freundschaftliche Arzt von dem Tage an, da ihm die Haut der Mutter kontraktmäßig zufiel, sich väterlich der Verwaisten annahm. Es fehlte ihr nichts zu einer vollkommenen Schönheit, als dunkles Haar, weiße und gesunde Zähne, und er nahm das eine und das andere von einer enthaupteten Kindermörderin, schmückte seine Pflegetochter mit jenen braunen Locken, die so malerisch an ihrem weißen Nacken herabrollen, und pflanzte statt schwarzer Stifte reine Perlen in ihren Mund. That er unrecht daran? Ist es etwa menschlicher, wenn andere in demselben Fall ihr Gebiß von mehrern Savoyarden zusammenkaufen, und mit dem Elfenbein der armen Jungen auf Eroberungen ausgehen? Würden wohl die Geschichten aller der Haartouren auf unsern vornehmen Dummköpfen erbaulicher ausfallen, wenn sie eben so bekannt wären, als die eben erzählte? Der Arzt, behaupte ich, hat das liebe Kind nicht nur schöner, als es vorher war, sondern auch fester für ihre Tugend hergestellt. Denn ward jene Unglückliche, die vielleicht aus Verzweiflung ihr Kind mordete, des Beispiels wegen hingerichtet, welche Reliquien könnten rührender an das Herz sprechen? Welche Warnung könnte ein unbefangenes Mädchen vor dem ersten Fehltritte kräftiger sichern, als der Nachlaß einer so tief Gefallenen, den es als seinen täglichen Schmuck trägt, mit dem es jeden Morgen vor seinen Spiegel tritt? Der ausgelernteste Verführer würde schwerlich Lippen erreichen, die Kleinodien von so magischen Kräften bedecken. Ich würde den Spötter aufs Maul schlagen, der aus diesen, dem lieben Kinde zugefallenen höhern Reizen die Bemerkung ziehen wollte, daß man, mit der seltensten Mühe sogar, nicht einmal aus zwei weiblichen Geschöpfen ein ganz unberührtes ächtunschuldiges zusammen zu setzen vermöchte. Es wäre nichts, als ein boshafter Einfall. Nach ernster Erwägung eines richtigen Verstandes sind die Spiele des Verführers mit den Locken der ersten Eigenthümerin – sind die Perlen, denen seine Falschheit[170] huldigte, rein durch den Tod, dem er die Betrogene überlieferte, abgewaschen. Die Reize dieses Naturschmuckes sind, zu Erweckung edler Triebe, auf die neue Besitzerin übergegangen. Die Schuld und das Unglück, die sie ehmals befördern halfen, bleibt allein an der Seele des Verführers ein unauslöschlicher Makel. Ist unser Herz einmal einer unwahren Beschuldigung auf die Spur und in den Fall gekommen, der Verläumdung ein unschuldiges Opfer abzukämpfen, so dünkt man sich groß, bekommt Muth, und macht es sich zum Gesetz, keine üble Nachrede zweifelhaft auf sich beruhen zu lassen – keinem Gegenstande, der eines Beschützers bedarf, Bequemlichkeit halber aus dem Wege zu gehen. Darum, und damit Niemand meinem Tagebuch den Vorwurf mache, als habe es das milzsüchtige Geschwätz des Lords nur noch weiter verbreitet, soll mich die Mühe nicht verdrießen, die bessern Gedanken näher zu entwickeln, die mir gleich Anfangs unser freundschaftlicher Wirth und seine Tischgenossen einflößten – und den einen wie die andern mit der Wärme eines jungen Advokaten, der seinen ersten Prozeß gewonnen hat, in Schutz zu nehmen. Warum – wenn es nicht aus Nationalhaß, dem unbilligsten von allen, geschah – ergoß der Engländer so viele Galle über die anatomischen Leibrenten des französischen Arztes? Verdienen sie nicht eher Lob, als Tadel? Ist es denn nicht menschlicher berechnet, einem Armen – statt ihn verhungern zu lassen – das Kapital seiner Erhaltung – auf die sicherste Hypothek, die ein Mensch verlangen und geben kann, vorzustrecken, und die Schuld bis zu dem großen Zahlungstermin zu fristen, wo die Natur die ihrige einfordert? Kann wohl leichter Gesellschaftston, ungezwungener Umgang, die sonst zwischen Schuldnern und Gläubigern nicht eben gewöhnlich sind, sicherer in Schwung gebracht werden, als durch einen solchen Kontrakt, der beide Theile so genau mit einander verbindet? Handelten diese Verkäufer ihrer selbst, die gewiß zu ihrer Zeit fröhlicher, als mancher Fürst neben seinem Erbprinzen, bei Tafel saßen, etwa deßhalb unmoralisch, daß sie ihre todten Reste lieber ihrem Wohlthäter – der Wissenschaft und dem gemeinen Besten Preis gaben, als den Würmern? Wie froh verlebten sie ihre zugemessene Zeit auf dem Schauplatze[171] der Welt, wie sorgenlos konnten sie in den Freundschaftstempel bei der Gewißheit eintreten, daß ihre Zurückgelassenen für gleichen Lohn ihre Gastrollen neben an fortspielen würden! Je weiter ich den menschenfreundlichen Anstalten unseres Arztes nachgehe, je philosophischer erscheinen sie mir. Indem der Anatom in gutmüthiger Erinnerung auf die Knochen derer hinblickt, die noch vor kurzem auf fremde Kosten sich an seiner Tafel des Lebens erfreuten, bietet der Menschenfreund seine hülfreiche Hand auch ihren Söhnen und Töchtern, sorgt, so lange sie in dieser Zeitlichkeit wallen, nicht nur für jede ihrer Befriedigungen, sondern benutzt auch ihr Daseyn für andere, indem er an der Gränze, wo die körperliche Heilkunde in die des Geistes übergeht, sie bald als Schildwache gegen einen Feind ausstellt, der die Tiefdenker am liebsten beschleicht, bald sie als Blutigel den Grillenfängern ans Herz setzt, denen, wie mir und dem Lord, durch kein Mittel beizukommen ist, als durch muntere Unterhaltung. Wie unheilbar muß nicht der Kranke seyn, den in einem Asyl, wo die Essenzen des gesellschaftlichen Lebens nicht so gäng und gebe sind, als die Waaren der Apotheken, die paar Goldstücke gereuen, die er an eine so glücklich ersonnene, viel versprechende Kur wendet – und der es der witzigen, schönen und liebenswürdigen Abendgesellschaft zum Vorwurf macht, daß sie sich wenige Schritte von dem Museum ihn zu erheitern bestrebt, wo ihre Blutsfreunde zergliedert – in Wachs – Quecksilber oder Spiritus vini der Auferstehung warten. Gewiß, lieber Eduard, ist von allen albernen Sophisten derjenige, den Hypochondrie dazu gestempelt hat, der albernste. Mein Gott! sind denn die Erbbegräbnisse hoher Familien nicht gewöhnlich mit ihren Eß-, Tanz- und Redoutensälen unter einem Dache? Was würden kluge Hofleute von ihrem Fürsten halten, der sich vor der Asche desjenigen scheuen wollte, der ihm zu seinen gebietenden Einfällen Platz gemacht hat? Müßte nicht eine allgemeine Hemmung der Freude entstehn, wenn Grabhügel unsere über sie hinrauschenden Ergötzlichkeiten aufhalten könnten? – Hätte der Hall, bald aus diesem, bald aus jenem Todtengewölbe, Wirkung auf unser Ohr – hörten wir immer das schreckliche: Stehe still, leichtsinniger[172] Mensch! rufen. – Du hast mich nicht nach Würden geschätzt – nicht genug geliebt, als ich noch bei dir war – hast mir Unrecht gethan, und kannst es – Wehe dir! – nicht wieder gut machen – beim jetzt modert das Herz, das du gekränkt hast, da es noch fühlen konnte – die Hand hat keine Kraft mehr, die ich dir zur Versöhnung reichte, und du stolz von dir stießest. Du gäbst jetzt wohl die Hälfte deines Lebens für einen Tag, wo du mir die Reue gestehen könntest, die du mir verschwiegst – aber die Zeit dazu ist verlaufen – wenn solche Klagstimmen aus den Gitterthüren der Kirchhöfe unsern Jagden, Spaziergängen und Festen entgegen träten, was, o du barmherziger Gott! sollte aus uns werden?

Der Uebergang von dem gerechten Lobe meines gestrigen Abends zu meinem heutigen Mittagsmahl machte mir die Oelkuchen der Chinawurzel nur noch widriger. Wäre ich verdammt, meine Tage in Montpellier abzuspinnen, so bliebe mir wahrlich nichts übrig, als mich dem Doktor in die Kost zu geben. Brächte mich mein Kouvert vollends neben meine Klientin, so möchte er mich meinetwegen nach meiner irdischen Vollendung so freundschaftlich behandeln, als er wollte.

Daß die Liebe sättigt, wohl zu verstehn, ehe ihre neugierigen Wünsche erhört sind, wußte ich schon lange, daß es sich aber mit der Freundschaft eben so verhält, erfuhr ich erst diesen Mittag. Und wären die Gerichte noch so lukullisch gewesen, ich glaube nicht, daß ich zu ihrem bedächtigen Genusse meine Gedanken hätte sammeln können, so sehr war ich mit der Action und Reaction des Vergnügens beschäftigt, das ich in einer guten halben Stunde bei dem Kammerherrn – zwar nicht ganz ohne Furcht – erwartete; denn ich kenne mich. – Solche freundschaftliche Erschütterungen sind meiner Festigkeit so gefährlich, als die Ergießungen des Meers einem holländischen Damme, und ich stehe nicht dafür, ob ich nicht des lieben Mannes wegen noch ein paar Tage länger hier bleibe, als ich willens war, und Dich sonach, lieber Eduard, um so viel später umarme.
[173]

Nein, Du hast nichts zu fürchten. – Meine Vorklage war vergebens. Der Kammerherr hält gewiß keinen halbwege gescheidten Menschen eine Stunde länger in Montpellier auf, als er dazubleiben gedachte. Das soll das letzte Mal seyn, daß ich auf einen alten Freund baue. Ich mußte dreimal an das einsame Haus pochen, in das er sich eingebettet hat, ehe mir ein eisgrauer Bedienter die Thür öffnete. Ich hatte alle Mühe, den tauben Kerl zu verständigen, was mein Begehr war, und es vergingen zehn Minuten, ehe er von der Botschaft an seinen Herrn zurückkam, und mich einließ. Mein erster Blick, der gerade auf den Armstuhl fiel, auf welchem, statt des liebenswürdigen Mannes, den ich suchte, ein Greis in Kissen versunken lag, belehrte mich schon ziemlich von dem großen Rechnungsfehler, in den ich gefallen war. Konnte ich mir denn nicht an den Fingern abzählen, daß jene, seit unsrer Trennung verlaufenen Jahre, die schon mich zu drücken anfangen, ihn ganz niedergebeugt haben würden, – daß ein Mann, der schon von weitem herkam, als wir auf unserem Wege zusammentrafen, ungleich kraftloser und ermüdeter seyn müsse, als ich? Ach, dieses schöne Exemplar eines wohl stilisirten Hofmanns lag jetzt wie ein alter Taschenkalender da, an welchem die Vergoldung verwischt – und der Einband verschrumpft ist. Ich näherte mich ihm; aber weder seine Augen, noch sein Gedächtniß, unterstützten meine Anrede. Er nahm mich immer für einen andern.


Ein nobles Invaliden-Chor

Hochwürd'ger Blinden, stiftsgerechter Lahmen

Belagerte sein steiles Ohr.

Der innre Schall so werther Namen

Ließ nie den Silberklang des meinigen hervor.

Zuletzt gefiel's ihm gar ein Bildniß auszukramen,

Das schon zu Plattner's27 Zeit Farb und Gestalt verlor,

Er paßt' es schlau in meinen Rahmen,

Und krähte mir mit heisrer Stimme vor:

Ja, beim Merkur, du bists! Sind etwa deine Damen

Auch von der Reise mit, Signor?
[174]

Dieser heidnische Schwur, der nirgends gefährlicher klingt, als in Montpellier, erschütterte mich bei nahe so sehr, als mich die Verwechselung demüthigte, die er mit meiner Person vornahm. Ich gab es schon ganz auf, mich ihm kenntlich zu machen, und sah mich nach der Thür um, als sein Kammerdiener uns mit einem sympathetischen Mittel zu Hülfe kam, das ich mir merken will. Auf seinen Ruf in das Nebenzimmer trat ein junges freundliches Mädchen herein, legte ihr Strickzeug auf den Tisch – ließ sich den Vorfall erzählen – bat um meine Karte – hielt sie ihm mit der einen Hand vor die Augen, und legte die andere in die seinigen. Seit Straßburg ist mir nun zwar aller thierische Magnetismus verdächtig geworden, aber hier mußte ich, zu meinem Erstaunen, eine Ausnahme machen; denn kaum hatte er seine abgestorbenen Finger an der Hand des jungen Mädchens erwärmt, so kam auch seine Sehkraft zurück – er las meinen Namen ganz fertig, und »Ja« rief er frohlockend aus:


»Ja, nun erkenn' ich Sie – und Ihre Wangen sind

Den Rosen gleich, die sich entfalten:

Doch, mein Exempel lehrt, wie jämmerlich geschwind

Auch Rosen – vor der Zeit veralten.

Ihr Vater? lebt er noch? Das war ein Mann! Er hat

Mit mir studiert. – Beglückte Zeit! – Wir wußten

Sie auch zu brauchen, Herr! Kein Mädchen in der Stadt,

Das wir nicht kannten – Trauseat

Cum caeteris! – Jetzt kommt mein Husten.«


Er kam geschwind, dauerte aber desto länger. Unterdessen unterhielt mich das elektrische Mädchen. – »Ich bin,« sagte sie, »die Tochter vom Hause. Wir leben von den kranken Fremden, die bei uns einziehen. Der Medikus des alten Herrn« – mit Vergnügen hörte ich, daß es mein Doktor war, »empfahl, da nichts helfen wollte, ihm die Berührung eines siebzehn- bis achtzehnjährigen Mädchens – ließ mich rufen, und der Versuch gelang zum Verwundern ...« »Und bloß mit der Hand?« fragte ich. »Ja, mein Herr, wie Sie gesehen haben. Seitdem sitze ich immer in der Nebenstube, um gleich da zu seyn, wenn etwas vorfällt, wozu er sein Gesicht und sein Gehör braucht. Der Herr hat mich[175] auf ein halbes Jahr gemiethet – aber der Arzt zweifelt, daß er die Miethzeit aushalten werde. Es sollte mir leid thun; denn mein Dienst ist leicht und einträglich.« »O, bei einer so eigenen Kraft,« tröstete ich sie, »darf Ihnen nicht bange seyn! Geschwächte Reisende gehen hier nicht aus, und der Herr Doktor wird schon weiter für Sie sorgen.« Mein alter Freund, da sein Husten vorüber war, suchte nun sein abgelebtes Talent hervor, mich à mon aise zu setzen. Das schöne Mädchen mußte ihm zum zweitenmal ihre Hände Preis geben, ehe er die Zunge bewegen konnte. Er mochte wohl den mitleidigen Blick, der ihr galt, auf sich ziehen. »Ja, da sehen Sie, junger Herr, wie weit es mit mir gekommen ist. Der Doktor hat mir hier ein erwärmendes Mittel verordnet, das zwar einigermaßen wirksam – für mich aber bitterer ist, als kein anderes. In Gegenwart dieses unschuldigen Kindes will ich mich nicht weiter darüber erklären. Was für eine Krankheit hat Sie denn hieher gebracht? Hypochondrie, sagen Sie? O da sind Sie gegen mich noch zu beneiden – die kommt von den Studien, hebt sich wohl noch, und läßt keine Reue zurück; wenn man aber, wie ich, funfzig Jahre alle Schulen des Hofes durchgelaufen, und in jeder die Gifte verschluckt hat, die ihnen eigen sind, da will ich den Arzt loben, der dem Patienten zu helfen versteht. Wem es keine Zufriedenheit gewährt, hinter sich zu blicken, der kann auch nicht mit Hoffnung vorwärts sehen.« Doch, um kürzer von dem alten Hektikus zu kommen, will ich zum dritten Male seinen prosaischen Husten in einen poetischen bringen, der doch noch immer leidlicher klingen wird, als jener

»Der Hof,« räusperte er sich –


»Der Hof verdirbt uns das Gewissen,

So wie er uns das Blut verdirbt.

Willst Du Dein Leben Dir versüßen,

Die Seele reinigen, so flieh' ihn! Man erwirbt

Auf diesen Bühnen nichts, das nicht mit Gallenflüssen

Errungen wird. – An Händen lahm und Füßen

Hascht man nach dem Genuß – und stirbt.

Ich überschlug zu spät, was mir der Hof gegeben,

Und was sein Dienst mir stahl – und mit erschrocknem Blick[176]

Gab ich seit kurzem ihm mein ungenießbar Glücke

Zur Wiederkehr in ein verlornes Leben,

Zur Rettung meiner selbst – zurück

Umsonst! Nun sitz' ich hier und kaufe

Die Apotheken aus, und wenn's Gott nicht gefällt,

Daß ich dem Grabe noch entlaufe,

Bis ich zuvor mein Haus bestellt,

So fürcht' ich sehr, ich komm' in jener Welt

Gar aus dem Regen in die Traufe.«


Das Sprechen hatte ihn so erschöpft, daß er sich auf einmal zurücklehnte, die Hände des Mädchens fahren ließ, und, ohne meinen Abschied zu vernehmen – einschlummerte. Um kein Geräusch zu machen, warf ich dem guten Kinde nichts als einen freundlich herzlichen Blick zu, indem ich mich mit Katzentritten zu der Stube hinauszog, und noch leise auftrat, als ich schon auf der Gasse war. Ich kam über meine fehlgeschlagene Erwartung ganz verdrießlich in dem Gasthofe an, und sah von weitem einige Betrachtungen über die Hinfälligkeit des menschlichen Lebens anrücken, die mir auch keine sonderliche Zerstreuung versprachen. – »Laß uns ausfahren, Bastian,« rief ich; »und die umliegende Gegend besehen!« – »Ach!« seufzte er, »lieber Herr, da hätte ich wohl einen bessern Vorschlag.« – »Nun, so laß hören!« – »Als wir gestern so schnell den Wagen der Mylady Klärchen nach, durch Lünell fuhren, dachte ich in meinem Sinn: Jetzt eilst du mit deinem Herrn so gerade fort nach Deutschland, und nur drei Viertelstunden von dem Dörfchen vorbei, wo deine Mutter und Schwester wohnt, die du vielleicht in deinem Leben nicht wieder zu Gesicht bekommst. – Wenn Ew. Gnaden nun, anstatt ...« »Ja, du hast Recht, Bastian,« fiel ich ihm in's Wort – »Wir wollen nach Lünell. – Dort kannst du deine Verwandten besuchen; ich gebe dir Urlaub bis Morgen gegen Mittag. Deine Schwester aber und meinen alten Johann möchte ich selbst auch wieder sehen. Den kurzen Weg sind sie mir wohl schuldig, da ich ihnen noch einmal so weit entgegen fahre. Lauf auf die Post voraus – bestelle eine leichte Chaise, damit ich schon angespannt finde, wenn ich nachkomme.« Bastian war wie ein Pfeil die Treppe hinunter,[177] und ich wollte eben nach, als.. denke einmal, der Kammerherr, aus altgewohnter Hofsitte, mir einen Gegenbesuch machte – zwar nicht in eigener Person, sondern, viel gefährlicher, durch eine schön verzierte Karte mit seinem Wappen und Namen, die mir seine junge Aufwärterin überbrachte. – Doch die schönsten elektrischen Versuche hätten mich in diesem Augenblicke nicht aufhalten können. – Ich hatte Margot in Gedanken – schenkte der Ueberbringerin um nichts und wieder nichts einen großen Thaler, und entließ sie mit vielen Empfehlungen an ihren alten Patron.

Der Hausknecht mußte mich den nächsten Weg nach dem Posthofe führen. – Ich fand eine Chaise mit vier Pferden, setzte mich mit Margots Bruder ein, und ehe zwei Stunden vergingen, befanden wir uns vor einem recht artigen Wirthshause zu Lünell. Bastian – so wie ich abstieg – machte sich auf die Beine. – Ich bestellte sogleich ein ausgesuchtes Abendessen für mich und meine Gäste – und täuschte unterdeß meine Ungeduld mit Besichtigung des Orts und seiner Weinberge – kam aber immer noch zu früh zurück, und wußte jetzt eben so wenig, als vorher, was ich mit mir anfangen sollte. Der nächste Weg vom Weinberge, dachte ich, geht zum Fasse, um das Gewächs zu versuchen. Mit diesem Vorsatz trat ich, vorbeigehend, in die Stube des Wirths. – Es war ein verständiger Mann, der mir sehr gern ein paar Flaschen von den beiden vorzüglichsten Sorten auftrug. An demselben Tische saß außer mir noch ein Narr von Reisenden aus Arles, der mich sogleich in Untersuchung nahm, und sich als einen Antiquarius ankündigte. Ich muß Dir doch etwas von seiner Unterhaltung mittheilen. »Der Herr kommen gewiß über die via Aureliana?«

»Ich komme gerade von Montpellier.«

»Mons puellarum, wie einige alte Autoren es nennen – und gedenken also wohl von hier die Antiquitäten von Arles zu besuchen?«

»Nichts weniger!« – Hier schenkte ich mir und ihm ein Glas ein. »Der Ort,« fuhr er mit belehrender Miene fort, »verdiente es doch vor vielen andern. Die alten Römer haben ihn, in dem unfruchtbarsten Landstrich zwar, den man sich denken kann, erbaut;[178] denn die Wege von allen Seiten dahin, muß man zugeben, sind die schlechtesten in der Monarchie. Der ältere Plinius nennt schon die dortige Fläche sehr artig Campi lapidei.« – »Da hat,« fiel ich ihm in die Rede, »der ältere Plinius nach meiner Einsicht, nichts artigeres gesagt, als was, wenn ich dahin ginge, mein Postknecht auch sagen würde. – Dergleichen Wege aber, sie mögen modern oder antik seyn, suche ich nicht gern ohne Noth auf.« »Ohne Noth? Das glaube ich wohl,« antwortete er spitzig – »aber hoffentlich spreche ich mit einem Verehrer der Alten, und für einen solchen sind keine Beschwerlichkeiten zu groß, um die Spuren ihrer Größe aufzusuchen. Dergleichen Schätze des grauen Alterthums, als unser Thelina, oder, wenn Sie es lieber hören, unsere Mammilliaria aufzuweisen hat, treffen Sie nirgends in so einer Menge beisammen an. Der Obelisk, das Amphitheater, die verfallene Wasserleitung können allein schon einem vernünftigen Manne das längste Leben erheitern, und nun vollends die Elysäischen Felder – die sind, ich gestehe es Ihnen, mein einziger liebster Spaziergang. Wenn ich dort manchmal in Gedanken vertieft, vor einem Aschenkruge stehe – die Denkschriften – die Beweise jener ruhmvollen Zeiten lese – so ergreift mich eine Empfindung, die sich nicht beschreiben läßt. Was für ein Volk muß das gewesen seyn, das solche Männer hervorbringen konnte, als jene Inscriptionen besagen. Strabo und Pomponius Mela haben ...« Mir lief hier ein kalter Schauer über die Haut. Ich wartete seinen angefangenen Perioden nicht ab – schob ihm für seinen Unterricht die Flasche zu, die mir in Vergleichung der andern nicht schmecken wollte, setzte den Ueberrest der bessern, die ich schon halb im Kopfe hatte, in den meines Huts – nahm ihn unter den Arm und taumelte in mein Zimmer; denn von allen Schwätzern, lieber Eduard, ist mir keiner so zuwider, als der mir Gelehrsamkeit auskramt, während ich eine Trüffel schäle – an dem Bein eines Haselhuhns klaube, oder – wie hier der Fall war, vortrefflichen Wein schlürfe. Das wäre eher ein Mann für unsern Freund G**, als für mich. – Wie würde ihn so ein Gesellschafter aufmuntern – ihm so eine Mammilliaria, behagen. – Er –


[179] Der seine schöne Frau und ihre Jugendwächter

Und seine Kinder kaum mit der Gewißheit kennt,

Als die verloschenen prätorischen Geschlechter

Vom ersten Consul an, bis zu dem letzten Fechter

Des abgelebten Roms, und um ein Monument

Vor Christi Kreuzigung sich aus dem Athem rennt;

Wie könnt' er wohl dem bettelnden Lateine,

Wenn ihm das Sprüchelchen: Steh, Wandrer, still und weine,

Ins Auge leuchtet – widerstehn,

Und einem Sarkophag und einem Leichensteine

Aus Nero's Zeit vorübergehn?

Für mich mag, was sie will, die graue Vorwelt lügen!

Im heuchlerischen Hang, die Nachwelt zu betrügen,

War sie nicht ehrlicher, als ihre Kinder nun.

Ich weiche beiden aus auf meinen Ritterzügen,

In Hoffnung, von dem Kampf mit menschlichem Vergnügen

Auch ohn' ein Marmorgrab gemächlich auszuruhn,

Und hab' itzt gnug mit mir, und unter allen Krügen

Mit einem Aschenkrug am wenigsten zu thun.


Stieg ich schon die Treppe unter solchen belebenden Gedanken hinauf, so rieb ich mir erst vor ausgelassenem Muthwillen die Hände, als ich mich mit meiner halben Bouteille ungestört allein sah – leerte sie vollends aus, und klingelte nach einer frischen. Je leichter auch diese ward, desto begeisterter fühlte ich mich, diesen herrlichen Wein zu besingen. Ein Lächeln innerer Zufriedenheit – ein sanfter Trieb allgemeinen Wohlwollens, besonders gegen das gute freundliche Geschlecht, das mir immer im Sinne liegt, durchwärmte mein Blut, und in der süßesten Schwärmerei stimmte ich das erste Trinklied an, das mir je über die Zunge gekommen ist. O, rief ich, indem ich mein volles Glas gegen das Licht hielt:


O daß mir Bacchus nie den Quell

Von diesem Wein verstopfe,

Und immerdar so rein und hell

Dein Gold, o geistiger Lünell,

In meinen Becher tropfe!


Perlt nicht in deinem Wundersaft,

Gleich einem Salbungsöle,

Ein Opium der Leidenschaft,

Ein Elixir – der Lebenskraft,

Ein Labetrank der Seele?
[180]

Wer deine Süße schmeckt, wird nie

An Tyrannei erkranken.

Beim Traume der Philosophie

Schwör' ich, daß Dohm28 und Beccarie29

Von diesem Weine tranken.


O, hätt' einst unsern Frederic

Ein solcher Geist erheitert.

Wär' unter seinem Adlerblick

Wohl nicht mein ankerloses Glück

Im Sturm des Kriegs gescheitert.30


Denn Mitleid schleicht bei dem sich ein,

Den deine Trauben tränken;

Es schäumt der Wunsch in deinem Wein,

Freund seiner und der Welt zu seyn,

Und kein Geschöpf zu kränken.


Euch, die mit mir Ein Punkt der Zeit

Nach Einem Zwecke neiget,

Ihr Grazien der Weiblichkeit,

Euch sei der süße Duft geweiht,

Der meinem Glas entsteiget.


Mein liebes künftiges Geschlecht,

Dem nur in diesem Wein bezecht

Ich froh entgegen gehe,

Stoß an – Gott fülle mir so ächt

Einst den Pokal der Ehe.


Indem flog die Thür auf, und Margot mir in die Arme. Ich hätte wohl gewünscht, daß sie eine Strophe eher gekommen wäre. Sprachlos hielt sie mich fest umschlungen, und ich, eben so sprachlos sie umschlingend, bedeckte das rührende Gesicht mit Küssen von dem zärtlichsten Gehalt. Wir vergaßen uns in dieser Scene des Wiedersehens so sehr, daß keins den guten Johann, der weniger geschwind zugeflogen kam, als seine leichtfüßige Frau,[181] eher bemerkte, bis er mich thränend bat, daß ich auch ihm eine Hand reichen möchte. Nun kam sie zur Sprache – nun erzählte sie mir, welche unverhoffte Freude ihr Bastians Besuch – noch mehr aber die Nachricht von meinem Hierseyn in ihrer nächsten Marktstadt gemacht, und wie sie mit eigenen Händen geholfen hätte, die Esel zu satteln, damit wir nur recht bald zu unserm so gar guten Herrn kämen. Ach Gott! unterbrach nun eins das andere, wie unaussprechlich glücklich haben Sie uns gemacht! Eben noch so unbefangen in ihren Tändeleien, als heute vor acht Wochen, machte sie mir wieder ganz warm ums Herz. Mit welchem hellen Gelächter erinnerte sie sich nicht unserer Wirthschaft zu Caverac, und gern hätte sie mich noch einmal – wäre ich ihr nicht auf dem Dache gewesen – über den Strauchdieb auf dem Fichtenberge abgehört. Doch konnte ich ihren beiden lieben Händchen nicht schnell genug wehren, daß sie mir nicht ein paar Runzeln von der Stirn glättete, um nachzusehen, ob mir nicht eine Narbe geblieben wäre. »Johann,« rief sie, »sieh nur her, was mein Kräuterumschlag für Wunder gethan hat! Da ist auch nicht die geringste Spur mehr von dem Kopfstoße zu finden.«

Ein fröhliches Abendessen, das sich durch drei Flaschen des belobten Weins bis weit über die Mitternacht ausdehnte, vermehrte unsere Zufriedenheit. Keine Redoute kann eine Stadtdame so munter erhalten, als es die kleine Margot während unsers lieblichen Bankets war. Erst bei der dritten Bouteille, die ich und Johann allein übernahmen, wurden ihre naiven Einfälle einzelner – ihre Worte abgebrochener, und die zwanglose Natur wiegte sie endlich neben uns ein. Ich winkte ihrem Mann, und half ihm sein müdes Weibchen in das Himmelbett tragen, das dem Schlafstuhle, der mir nun übrig blieb, ungefähr so nahe stand, wie zu Caverac ihr Strohlager dem meinen. Mein alter Kammerdiener konnte nun, ohne ihre Bescheidenheit zu beleidigen, so viel zum Lobe seiner Lebensgefährtin vorbringen, als ihm sein Herz eingab. Ich mochte wohl noch eine halbe Stunde Theil an seinen Empfindungen genommen haben, als auch mir die Augen zufielen, und Johann so leise als möglich, um mich nicht zu stören, die angebrochene[182] Bouteille unter den Arm nahm, und zum Zimmer hinaus seiner Lagerstätte nachschlich. Das Opium des öligen Weins wirkte so stark, daß der helle Morgen schon lange über unsern Häuptern schweben mochte, ehe nur eins von uns dreien erwachte, und das war ich. Nun bitte ich Dich für einen Augenblick, lieber Eduard, um ein freundliches Gehör! Sage mir, was würdest Du von einem Maler halten, der aus Furcht, mehr zu sehen, als sein Pinsel wieder zu geben vermag, sein Gesicht von einer paradiesischen Gegend in dem Augenblicke wegwenden wollte, wo die Nebel fallen – die Sonne hervortritt – Berg und Thal überschimmert, und sich ihm die schönste Perspektive der Natur eröffnet? Deine Antwort mag ausfallen, wie sie will, genug, ich genoß lange – auf Gefahr, geblendet zu werden – diese eben so glückliche als kritische Lage auf meinem Lehnstuhl. Endlich wünschte ich mir die Schönheiten der Ferne um einige Schritte näher – erhob mich leise von meinem Sitz, und wollte eben meine süßen Betrachtungen fortsetzen – als ein Blick auf die Wanduhr, die anschlug, mich, wie vom Donner gerührt, neben Margots Bette niederstürzte. – Jetzt, dachte ich – und Thränen löschten schnell die Flammen meiner Augen – jetzt tritt jene tugendhafte Dulderin vor ihr Gitter – blickt wehmüthig gen Himmel – und flehet zu Gott um die Wohlthat einer Zähre. Segen über den Mann, der zuerst der Zeit eine Stimme gab! Mit Betrübniß überblickte ich mein zagendes Herz – mit Erröthung die in aller Unschuld Schlummernde – erhob mich von meinen Knieen – deckte mit dem Ernste eines väterlichen Freundes, was zu decken war, und nun erst weckte ich sie. Sie flog mir mit liebkosendem Frohsinn entgegen, und auch ich freute mich, daß ich nicht ganz unwerth war, ihren Morgenkuß zu erwiedern. »Willst du nicht deinen Mann aufsuchen, Margot, und unser Frühstück bestellen?« Voll jugendlicher Heiterkeit hüpfte sie mir sogleich aus dem Gesichte, und ehe ich noch ganz die meinige wieder erlangt hatte, kam sie mit dem glücklichen Sterblichen zurück, der ihre Liebe besaß. – Er trug eine Schaale mit Milch herbei – sie ein Körbchen mit Obst. – Es waren auch Pfirschen von den besten Sorten –[183] jedoch meiner jetzigen gesündern Einbildungskraft ohne Gefahr, darunter. Bald nachher traf auch Bastian ein. Ich zog ihn aus Achtung für die Schwester mit an unsere runde Tafel. Margot blieb freilich die Perle von der Gesellschaft. Doch gehörten die beiden andern Gäste auch nicht unter die schlechten Feldsteine. Jeder hat seinen Werth, ob die Natur gleich keinen so begünstigt hat, wie jene, die der Politur nicht bedarf, um in den Schmuck einer Königin aufgenommen zu werden. Ich wollte indeß doch nicht, daß Du es in Berlin herumbrächtest, wie gemein ich mich wieder einmal gemacht habe. Ich trug noch der Kleinen viele Freundschaftsversicherungen an meine guten Wirthsleute zu Caverac auf. – Gott lasse es ihnen wohl gehen! Johann erbot sich, mir von Zeit zu Zeit Lieferungen von dem hiesigen vortrefflichen Muskatenwein nach Berlin zu besorgen – »Und ehe der Sommer verläuft,« fiel ihm seine Frau in die Rede, »erfüllen wir das Versprechen, Sie selbst in Ihrer großen Stadt zu besuchen.« »Eins wie das andere« – erklärte ich ihnen dagegen, »bitte ich euch, anstehen zu lassen, bis ihr Nachricht von mir erhaltet – denn wahrscheinlich komme ich in kurzem wieder in diese Gegend, und lasse mich vielleicht gar, wie es Johann gemacht hat – häuslich hier herum nieder.« Sie machten große fragende Augen – ich hütete mich aber, so schwatzhafte Leutchen tiefer in jenes Geheimniß sehen zu lassen, das ich vor dem Altar des Janustempels in den Schooß meines St. Sauveur nieder gelegt habe. Sie zerflossen beide in Thränen, als ich Abschied nahm, und ich und Bastian stiegen auch nicht mit trockenen Augen in den Wagen. Ich kam glücklich in den Posthof vor Montpellier, und, was mir eben so lieb war, zeitig genug an, um diese medicinische Mördergrube heute noch verlassen zu können, und wenigstens ein paar Stationen auf meinem Wege weiter fortzurücken. Was sollte ich noch einmal zu Fuß in die Chinawurzel wandern? Ich bedurfte keines Gasthofs – mein Frühstück hatte mich hinlänglich gestärkt. Ich schickte also meinen Bastian ab, um mit dem Wirthe Richtigkeit zu machen – und setzte mich so lange unter den schattigen Ueberhang meiner Chaise, bis er von seinem Geschäfte zurückkam.[184] Ein heimisch angenehmer Schauer des Eigenthums flog mir über die Haut. – Die Stadt lag mir im Gesichte – ich hatte den Rücken frei, und dachte an mein Vaterland. Wenn ich es nur erst wieder erreicht habe, so verschwöre ich.... Doch nein, unterbrach ich mich erschrocken – den Meineid gegen Agathen ohnehin bei Seite gesetzt, wäre es noch immer ein höchst verwegenes Gelübde. – Denn ob mir gleich jetzt der Stein des Doktor Kämpf nicht mehr auf dem Herzen liegt, wer kann für die Zukunft – wer kann dafür stehen, daß du nicht auch einst als ein veralteter Kammerherr den elektrischen Funken nachtappen mußt, die hier dem schönen Geschlecht, wie bei uns den Katzen, entsprühen. – Und wenn dich nun Agathe, wovor Gott sei, nicht möchte, und dich nun nach und nach bei zunehmenden Jahren die gute Gesellschaft zu Berlin von ihren muntern Soupers als ein unbrauchbares Mitglied ausschlösse – was bliebe Dir wohl zu deiner Erheiterung übrig, als dich an eine zu halten, die mit ihrer Haut dafür steht, und die man, so viel ich weiß, an keinem Orte in der Welt antrifft, als hier. Ich machte also, indem ich von dem Monte puellarum Abschied nahm, wegen meines Wiederkommens einige kluge Bedingungen, und bei der letzten Zeile des Akkords, den ich zu meiner Erinnerung in die Schreibtafel eintrug, war Bastian wieder da, und der Wagen bespannt.


Wenn mich einst Husten, Stein und Gicht

Aus jugendlichen Reihen jagen,

An meinem hageren Gesicht,

Melancholie und Schwindsucht nagen,

In jenen unwillkommnen Tagen,

Wo man das Ordensband, das unsre Brust umrauscht,

Den Sack voll Gold, auf den der Erbe lauscht,

Gern um ein Pflaster für den Magen

Und einen Kräuterthee vertauscht,

Nur Aerzte noch nach unserm Pulse fragen,

Kein Kuß sich mehr an unsre gelbe Haut,

Kein kluges Mädchen mehr an unser Bette traut,

Und uns nur Schmerz und Mißbehagen

Von einem Stuhl zum andern tragen –

Wenn mich des Landes Fett nun lange g'nug genährt,

Mein Fürst, den ich erzog, so sehr mein Alter ehrt,[185]

Und ihm Erholung gönnt, daß er mit süßen Mienen,

Doch mit dem Vorbehalt, wenn es die Noth begehrt,

Sich meines treuen Raths noch ferner zu bedienen,

Mich in dem Spiegelsaal zum Veteran erklärt;

Wenn sein Heiduck nun jener Furche lächelt,

Die meine weise Stirne zieht,

Und die Prinzeß sich stärker fächelt,

Je näher sie mich kommen sieht,

Belebter nun der Hof mit neuen Müßiggängern

Sich ohne mich um seine Axe dreht,

Um mich herum die Schatten sich verlängern,

Und mein Gestirn, das jetzt im Mittag steht,

Den Kreis verläßt und untergeht –

Wenn Wielands ausgespielte Flöte

Nun auch nicht mehr die schlaffe Seele rührt,

Und mich nicht mehr die Abendröthe

Nach Amathunt in unsers Göthe

Geheime Myrthenwäldchen führt –

Und wenn auch Dir, der mir um eine Stufe

Des Lebens dem vertrauten Rufe

Des Todesengels näher steht,

Manch Lüftchen schon aus Platons Haine

Die Wettgesänge der Gemeine,

Die Deiner harrt, entgegen weht;

Wenn auch nun Du, mein Leukon,31 in den Frieden

Der Seligen hinüber eilst,

Die Nebel, die den Lebensmüden

Vom Aether der Verklärten schieden,

Mit Deiner Rechten schon zertheilst,

Nur mit der Linken noch hienieden

An Deines Freundes Brust verweilst;

Wenn Dir schon lächelnd auf der Schwelle

Der Ewigkeit das neue Licht,

Wie Deine Tugend, rein und helle

Mit Jubelglanz entgegen bricht,

Dein Mund mich küßt und sterbend spricht:

Er war mein Freund, mein trautester Geselle,

In Scherz und Ernst, trotz seiner Schelle,

Ihr Seligen, ach trennt uns nicht!

Dann schließe deine engste Gasse,

Der dickste Duft von deinen Spezerei'n,[186]

Bis ich einst ganz die Mumie dir lasse,

O Montpellier, mich Abgelebten ein.

Dein Hundsstern sauge noch die letzten Lebenssäfte

Mir aus und leuchte mich in mein willkommnes Grab. –

Nur jetzt, da noch viel fröhliche Geschäfte

Mich weiter ziehn und alle meine Kräfte

Mir nöthig sind, laß von mir ab!


Fußnoten

1 Das Schiff Vengeance.


2 Es giebt zwei Medaillen, die auf Voltairen geschlagen sind, davon die eine den 20ten Febr. die andere den 20ten Nov. 1694. als seinen Geburtstag angiebt. Palissot in seiner Eloge hält den erstern Datum für den richtigen; so auch die Kaufleute zu Nantes, die obiges Schiff ausgerüstet haben.


3 Discours à mon vaisseau.


4 Dieß Wortspiel brauchte Voltaire, wenn er von Frerons Année litter sprach.


5 Der Autor dieses Tagebuchs kann wohl die Wahrheit seiner Erzählung nicht besser belegen, als durch das unverwerfliche Zeugniß des Geschichtsschreibers Papon, eines von den Vätern des Oratorii zu Marseille. Wenn er die Schlußfolge derselben, die er dem Leser überläßt, mit Stillschweigen übergeht, so ist diese Zurückhaltung nur seinen Verhältnissen zuzuschreiben. In seiner Histoire litteraire de Provence, die 1780 zu Paris erschien, heißt es: – – Ludewig der Dreizehnte hatte schon drei und zwanzig Jahre in einer kinderlosen Ehe gelebt, als eines Tages der Bruder Fiacre, ein Barfüßer, Gott um Fruchtbarkeit für die Königin anflehte. Die heilige Jungfrau, sagt man, erschien ihm am 3. November 1637, und versicherte ihn, daß sein Gebet erhört wäre, doch mit dem Zusatze, daß die Königin ihr dreimal neun feierliche Messen und zwar neun davon in der Kirche U.L.F. der Gnaden, in der Provence sollte halten lassen. Zum Beweise, daß sein Gesicht keine Täuschung wäre, zeigte sie sich dem Bruder Fiacre so, wie sie auf dem obgedachten Gemälde vorgestellt ist. Der König und die Königin schickten diesen Mönch, nachdem sie die Nachricht von jener Erscheinung aus seinem eigenen Munde vernommen hatten, in die Provence, um zu sehen, ob die heilige Jungfrau wirklich daselbst so abgemalt wäre, wie sie ihm, seinem Vorgeben nach, erschienen war. Zugleich erhielt er den Auftrag, wenn es sich so verhielte, neun Messen in der obgedachten Kirche lesen zu lassen. Es traf alles mit der Beschreibung, die der Bruder Fiacre von seinem Gesichte gemacht hatte, überein, er leistete, was ihm aufgetragen war – und die Königin kam am 5. September 1638 mit Ludewig dem Vierzehnten nieder. Sie ließ es ihre erste Sorge seyn, der heiligen Jungfrau ihre Dankbarkeit zu bezeigen, und schickte den Bruder Fiacre mit einem Gemälde nach der Kirche U.L.F. zur Gnade, auf welchem der junge Prinz vor der Mutter Gottes knieend vorgestellt ist. In der Folge machte sie eine Stiftung zu sechs Messen, welche auf ewige Zeiten in dieser Kirche gelesen werden sollten. Zuletzt wallfahrte sie im Jahr 1660 mit ihren beiden Prinzen zu dieser Kirche, und Ludewig der Vierzehnte weihete bei dieser Gelegenheit der heiligen Jungfrau sein blaues Ordensband, welches noch jetzt sorgfältig dort aufgehoben wird, so wie er ihr auch in der Folge seinen Heirathstraktat mit der Infantin Maria Theresia und den pyrenäischen Friedensschluß prächtig eingebunden überschickte u.s.w. Man vergleiche damit noch die Stellen, die der Verfasser des Tagebuchs aus dem Leben des heiligen Fiacres ausgezogen und weiter hin angeführt hat.


6 Il y a dans la Nubie un oiseau nommé Fonton, de la grosseur d'une alouette, lequel, ayant decouvert dans les bois quelque chose de remarquable, vient voler autour des gens et ne les quitte point jusqu'à ce qu'ils se mettent à la suivre. Quand on est arrivé au lieu qu'il veut indiquer, il s'arrête et se perche sur un arbre, où il commence à chanter, et l'on n'a qu'à chercher tout à l'entour, pour trouver bientôt ce qu'il a voulu montrer. Mais il faut se donner garde de faire cette perquisition désarmé; car si on y trouve quelquefois des abeilles, ou du gibier, on y rencontre aussi souvent quelque gros serpent ou quelque bête féroce, comme un bufle, un tigre, un leopard etc.

Description de l'Afrique par Dap

per. p. 258.


7 Vermuthlich ein Wortspiel mit dem Namen La Fayette.

Anm. d. Herausg.


8 Hier zeigt sich, daß die Gedankenstriche keine neuere Erfindung sind.

Anm. des Herausg.


9 Die Entdeckung, die hier der Reisende schon vor fünf und zwanzig Jahren in seinem Tagebuche entwickelte, scheint so wenig mehr in Frankreich bezweifelt zu werden, daß man jetzt sogar das Gemälde jenes verlarvten Bruders Ludewig des Vierzehnten in Lebensgröße als Schild eines Kaufladens, in der rue Coquillere zu Paris mit folgender Unterschrift ausgestellt sieht:


Du repos des états déplorable victime,

Le sort courba son front sous trente ans de revers;

Ce jouet du malheur etoit l'enfant du crime,

Il naquit sur le trône et mourut dans les fers.


10 Obgleich Ludewig der Dreizehnte bei der Geburt des ihm von Gott geschenkten Sohns ungläubig den Kopf schüttelte, so hat er doch schwerlich den wahren Vater hinter der Kutte des heiligen Fiacre und so wenig vermuthet als die vielen Schriftsteller,A1 die auf einen andern riethen. Der Autor dieses Tagebuchs schmeichelt sich der erste gewesen zu seyn, der ihm seinen verdienten Platz in der französischen Geschichte anwies.


11 König von England, starb 901, einer der besten Menschen und Monarchen, die je gelebt haben.


12 Canut der Große, König von Dänemark, der 114 Jahre nach jenem England eroberte.


13 S.J. de Nevisan – Sylva nuptialis.

Meinem verschwiegenen Leser zu gefallen, will ich ihm doch dieß Richtscheid zur Beurtheilung einer schönen Frau in den eigenen Worten des Verfertigers bekannt machen:


Triginta haec habeat, quae vult formosa vocari

Foemina: sic Helenam fama fuisse refert.

Alba tria, et totidem nigra, et tria rubra puella:

Tres habeat longas, tres totidemque breves:

Tres crassas, totidem graciles; tria stricta, tot ampla,

Sint ibidem latae, sint quoque parva tria:

Alba cutis; nivei dentes; flavique capilli;

Nigri oculi, cunnus, nigra supercilia;

Labia, genae, ungues rubri, sit corpore longa,

Et longi crines; sit quoque longa manus;

Sintque breves dentes, auris, pes; pectora lata

Et clunes; distent ipsa supercilia,

Cunnus et os strictum, stringunt ubi singula stricta;

Sint ora, et culus, vulvaque turgidula;

Subtiles digiti, crines et labra puellis;

Parvus sit nasus, parva mamilla – caput

Cum nulli, aut rari sunt, haec formosa vocari

Nulla puella potest, nulla puella prodest.


14 Lat. Orata – war bei den Griechen, als Symbol der belebenden Schönheit, der Venus gewidmet.


15 Wegen seiner vielen, Augen ähnlichen Flecken so genannt.


16 Scomber Thynnus – der Diana geweiht, wurde bei hochzeitlichen Gastereien als Sinnbild ehelicher Treue aufgesetzt.


17 Drei unserer vorzüglichsten Gottesgelehrten und Kanzelredner.


18 In der herrlichen Sammlung anatomischer Präparate des Hrn. Cruikshank zu London befindet sich eine wohlgerathene injicirte Auster, in welcher das Herz dieses Thieres zu sehen ist. S. Schäffers Briefe 1tes Bändchen S. 243.


19 Teton de Venus.


20 La grosse – la petite Madelaine.


21 Auch eine Art Pfirschen.


22 Eine in Asien einheimische, kühlende, vortreffliche Frucht.


23 Was kann die Natur bei der Ausbildung dieser unverschämten Nuß für eine Absicht gehabt haben? Ehemals wurde sie von großen Herrn oft mit mehrern tausend Thalern bezahlt. In neuern Zeiten ist sie im Preis gefallen. Eine ziemlich treue Abzeichnung von ihr findet sich in Sonnerats Reisen nach Neuguinea.


24 Kriton erwarb sich den bittersten Undank von seinem Bruder Thrasyllus, da er ihn von dem süßen Wahnsinn, daß alle Schiffe im Hafen sein wären, heilte und zu der traurigen Gewißheit zurückbrachte, daß es nicht wahr sei. Mir fällt das Beispiel manchmal ein, wenn ich auf Recensionen gewisse Antikritiken lese.


25 Don-Quixote.


26 Daß so ein Gebetbuch meinen Gedanken einen großen Spielraum einräumt, mag folgende Stelle daraus beweisen: Transportée sur une montagne et dans une chambre où je fus reçûe par Jesus Christ. Je démande pour qui étoient les deux lits que j'y voyois. En voilà un pour ma mère et l'autre pour vous, mon épouse. Je vous ai choisie pour être ici avec vous.


27 Ein im Jahre 1745 verstorbener vortrefflicher Arzt, Vater des noch lebenden Philosophen gleichen Namens in Leipzig.


28 Dohm, der sich der Juden in einer kräftigen Schrift angenommen.


29 Beccaria, der durch sein bekanntes Werk: Ueber Verbrechen und Strafen, der Menschlichkeit unendliche Dienste geleistet hat.


30 Als 1745 die Preußische Armee in Kursachsen eindrang, ward das Familiengut des Autors, Schönfeld bei Leipzig, geplündert, die Hofgebäude niedergeschossen, das Vieh erstochen u.s.w.


31 Herr Kr. St. E. Weiße, dessen Hochzeitfest H. Prof. Rammler in der schönen Ode: An Hymen, unter diesem griechischen Namen feierte.


A1 Siehe Siecle de Louis XIV. p.m. 258. in den Oeuvres de Voltaire, und an mehrern Stellen. Auch kann man die Nachrichten des Abbé Soulavie in dem 6ten Bande der Memoires de Richelieu – und Mihiel – Le véritable homme etc. mit einander vergleichen. In letzterem finden sich auch gute Nachrichten über die Kammerfrau der Königin – Beauvais p. 136-146, so wie über die Gewitternacht, die es unnöthig machte, den zweiten Prinzen zu verheimlichen.


Quelle:
Moritz August von Thümmel: Werke, 4 Bände, Band 4, Stuttgart 1880, S. 187.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Gellert, Christian Fürchtegott

Die zärtlichen Schwestern. Ein Lustspiel in drei Aufzügen

Die zärtlichen Schwestern. Ein Lustspiel in drei Aufzügen

Die beiden Schwestern Julchen und Lottchen werden umworben, die eine von dem reichen Damis, die andere liebt den armen Siegmund. Eine vorgetäuschte Erbschaft stellt die Beziehungen auf die Probe und zeigt, dass Edelmut und Wahrheit nicht mit Adel und Religion zu tun haben.

68 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Hochromantik

Große Erzählungen der Hochromantik

Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

390 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon