Sechste Szene

[259] Der Bürgermeister. Schweigel. Stelzer. Heitzinger. Gruber. Kiermayer. Der Major.


HEITZINGER. Guten Tag zu wünschen, Herr Bürgermeister!

KIERMAYER. Grüaß Gott beinand!

BÜRGERMEISTER. Grüß Gott, meine Herren!

HEITZINGER. Wir haben vernommen, daß der Herr Bürgermeister zurück sind, und bei der Aufregung in der Stadt möchten wir um Bescheid bitten.

KIERMAYER. Ma möcht sozusag'n sei G'wißheit hamm! Net wahr?

BÜRGERMEISTER. Leider, meine Herren, leider ist meine Nachricht keine günstige.

SCHWEIGEL. Nix is, Kiermayer! Abg'fahren san ma.

KIERMAYER. Also is so weit, daß mir zuaschaug'n müassen, wia die städtischen Interessen hintangesetzt wern.

GRUBER. Und die Dornsteiner G'schäftswelt.

HEITZINGER. Das ist die Behandlung des Mittelstandes.

BÜRGERMEISTER. Ja, es ist eine böse Sache, meine Herren.

GRUBER. San de Ziagelstoa vom Herrn Baron mehra wert als wia de ganz Stadt?

KIERMAYER. Gibt's da gar koane Mittel und Weg mehr?

HEITZINGER. Sollte die Presse nichts vermögen, Herr Bürgermeister?

BÜRGERMEISTER. Das ist alles umsonst.

SCHWEIGEL. Mir müassen no recht brav sein, sonst kriag'n ma überhaupts gar koa Bahn.

GRUBER laut. Oho!

KIERMAYER. Dös woll'n ma sehg'n.

SCHWEIGEL. Da brauchst net warten; dös is uns schnurg'rad g'sagt wor'n. Geln S', Herr Bürgermoasta?

BÜRGERMEISTER. Allerdings.

KIERMAYER. Jetzt muaß i scho dumm frag'n: San denn mir[259] gar nix? Mir san do gewissermaßen Bürger und zahlen, wia ma so zu sagen pflegt, unsere Steuern und Abgaben.

SCHWEIGEL. Und net z'weni!

KIERMAYER. Und net z'weni, ganz richtig! Is denn da gar koa Mensch net vorhanden, der wo sie rührt und sagt amal alles, was wahr is? Und schon glei a so, daß ma's überall vasteht! Herrschaftseiten überanand! Jetzt wurd i scho glei zorni aa!

HEITZINGER. Ich werde einen fulminanten Artikel schreiben.

SCHWEIGEL. Ah was! Mit dein Artikel, da kost dahoam bleiben!

KIERMAYER. Dös hätt si mündli g'hört, und auf der Stell!

SCHWEIGEL. Is scho g'schehg'n! Da brauchst di net kümmern. Und wia!

KIERMAYER. Wos? Vo wem?

SCHWEIGEL. Unsa Herr Bürgermoasta! Ha ha! Freunderl, der hat's eahm g'sagt!

KIERMAYER. Is wahr.

SCHWEIGEL. No, mei Liaba! Der hat si hi'g'stellt für uns! Der hat uns vertreten!

BÜRGERMEISTER. Sie dürfen überzeugt sein, daß nichts versäumt wurde.

KIERMAYER lärmend. Respekt, sag i, Respekt!

SCHWEIGEL. De Herren wissen jetzt, wo der Bartel an Most holt. Und daß mir aa no wer san!

KIERMAYER. Entschuldigen S', Herr Bürgermoasta, dös hab i ja net wissen könna!

GRUBER. Hat nacha des Reden was g'holfen?

BÜRGERMEIESTER. Sie wissen, meine Herren, wenn sich die Regierung einmal ihre Meinung gebildet hat!

STELZER. Leider! Leider!

BÜRGERMEISTER. Wir dürfen uns keinen Hoffnungen hingeben.

GRUBER. Dös valernt ma scho heutzutag.

HEITZINGER. Bei der Untergrabung des Mittelstandes!

KIERMAYER. Aba wart's nur, Manndein, wenn die Wahlen kemma! Da zoag'n ma's eahna, bei die Wahlen!

BÜRGERMEISTER. Wie gesagt, wenn es Ihnen eine Beruhigung ist, die wahre Meinung der hiesigen Bürgerschaft kennt das Ministerium jetzt.[260]

STELZER. Und in dieser Beziehung schulden wir Ihnen den größten Dank.

KIERMAYER UND GRUBER unisono. Des tean mir aber aa!

SCHWEIGEL. Gott sei Dank, daß 's no Leut gibt, de 's Herz auf'n recht'n Fleck hamm!

GRUBER. Und a Schneid!

KIERMAYER. Mir lassen aa net aus. Und bal die Regierung, i sag' net mehra; Sie vastengan mi scho, Herr Bürgermoasta! Bal die Regierung!

HEITZINGER. Herr Bürgermeister, darf ich Sie um den genauen Wortlaut der Unterredung bitten?

BÜRGERMEISTER. Wozu?

HEITZINGER. Ich muß einen Leitartikel bringen. Einen gepfefferten.

BÜRGERMEISTER. Das ist nicht notwendig, Herr Heitzinger. Wirklich nicht. Er geht mit Heitzinger nach rückwärts.

HEITZINGER. Sie verkennen die Bedeutung der Presse, Herr Bürgermeister.

BÜRGERMEISTER. Durchaus nicht, aber ich bin kein Freund von den Geschichten. Sie entfernen sich gegen die Gartentüre zu. Heitzinger spricht lebhaft auf den Bürgermeister ein.

SCHWEIGEL. Der Heitzinger is eine Wanzen.

KIERMAYER. Du, was hat denn der Bürgermoasta g'sagt?

SCHWEIGEL. Ah, Freunderl, der hat's eahna g'muckt!

GRUBER. Geh!

SCHWEIGEL. Mir lassen uns nix g'f allen, hat er g'sagt, mir Dornstoana, von koan Minister. Mir wollen unser Recht, geht's, wia's mog, sagt er.

KIERMAYER. Ah Herrschaft!

SCHWEIGEL. Ja, und koan Zwang leiden mir durchaus gar net. Mir san freie Bürger, hat er g'sagt.

KIERMAYER sich auf die Schenkel patschend. Freie Bürger!

SCHWEIGEL. Und der muaß erscht no auf d' Welt kemma, der uns schikanieren derf, hat er g'sagt.

KIERMAYER UND GRUBER reiben sich vor Vergnügen die Hände. Haha! Herrschaftseiten! Haha!

SCHWEIGEL. Und so is weiterganga, in dera Tonart. I sag enk, des muaß an ganzen Auflauf geben hamm.

STELZER. Es war eine mutvolle Tat.[261]

KIERMAYER brüllt. Respekt, sag i nomal! So is recht!

STELZER. Die Stadt sollte eigentlich ihrem Dankgefühl Ausdruck verleihen.

SCHWEIGEL. Scho deswegen, daß de drobern sehg'n, daß mir zum Bürgermoasta halten.

KIERMAYER. Und daß sie si grean und blau ärgern.

GRUBER. De müassen z'springa vor lauter Gift.

KIERMAYER. Mir müassen was arranschieren.

SCHWEIGEL. Dös verlangt der Anstand; er hat si aa für uns ei'g'legt.

STELZER. Wenn mir die Herren erlauben, werde ich die Sache gleich in die Hand nehmen.

SCHWEIGEL. Dös tuast.

KIERMAYER. Da müassen mir uns aba tummeln! Zum Bürgermeister, der mit Heitzinger wieder nach vorne kommt. I geh jetzt; es is nimmer z' fruah.

GRUBER. I geh mit. Pfüat Gott, Herr Bürgermoasta!

STELZER. Ich habe die Ehre, mich zu empfehlen.

HEITZINGER. Ich muß auch noch in meine Offizin.

BÜRGERMEISTER. Dann adieu, meine Herren! Und nicht wahr, Herr Heitzinger, der Artikel unterbleibt bis auf weiteres?

KIERMAYER. Was ist, Schweigel? Kimmst net mit?

SCHWEIGEL. Na, i bleib no a bissel, wenn's der Herr Bürgermoasta erlaubt.

BÜRGERMEISTER. Ist mir ein Vergnügen, Herr Schweigel.

SCHWEIGEL. Nacha pfüat enk, und, Stelzer, gel du b'sorgst alles!

STELZER. Auf der Stelle.


Kiermayer, Stelzer, Gruber, Heitzinger gehen zur Gartentüre hinaus. Kiermayer bleibt unter der Türe plötzlich stehen, kehrt um, geht gravitätisch auf den Bürgermeister zu und gibt ihm die Hand.


KIERMAYER. Herr Bürgermoasta, ich hab koa Rednergab, aba Sie verstengan mi schon. I sag net mehra, wie dös: bal die Regierung!

BÜRGERMEISTER. Besten Dank, Herr Kiermayer. Ich weiß ja.

KIERMAYER. Bal die Regierung! Geht langsam ab.[262]


Quelle:
Ludwig Thoma: Gesammelte Werke in sechs Bänden. Band 2, München 1968, S. 259-263.
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