[287] Der Bürgermeister. Der Major. Der Bürgermeister sieht seiner Frau nach und seufzt tief auf.
BÜRGERMEISTER. Gestern so vergnügt, und heute! Das Unglück kommt über Nacht.
MAJOR. Jetzt, weißt, wenn deine Frau jammert, sage ich nichts. Aber dir steht das schlecht an.
BÜRGERMEISTER. Mich trifft es vielleicht noch härter.
MAJOR. Sei froh, daß der Kerl weg ist!
BÜRGERMEISTER. Was?
MAJOR. Na, vielleicht nicht?
BÜRGERMEISTER. Droben weint sich das Mädel die Augen rot, und ich soll froh sein!
MAJOR. Suschen nimmt es nicht leicht. Das ist ganz in der Ordnung. Aber du sollst weiter sehen!
BÜRGERMEISTER. Gerade, weil ich weiter sehe. Weil ich an die Zukunft denke.
MAJOR. Ist es nicht besser, daß ihr ihn jetzt kennen gelernt habt? Vor der Hochzeit? Hinterher wär's zu spät gewesen.
BÜRGERMEISTER. Da hätte er wenigstens nicht mehr zurücktreten können.
MAJOR. Das wäre aber ein Glück gewesen!
BÜRGERMEISTER. Du weißt nicht alles, Karl, sonst würdest du anders reden.
MAJOR. Ich weiß, daß er ein kalter Tropf ist. Das langt.
BÜRGERMEISTER. Er hat ja nicht schön gehandelt, aber ...
MAJOR. Ach was, schön gehandelt! Das sind Sprüche. Er hat sich so benommen, wie's in seinem Charakter liegt. Kein Mensch kann aus seiner Haut hinaus.
BÜRGERMEISTER. Suschen hat ihn gerne.[287]
MAJOR. Was versteht so ein Mädel? Sie wären doch nie glücklich geworden!
BÜRGERMEISTER. Das kann man nicht sagen.
MAJOR. Wie hat er sich denn gestellt, als Bräutigam? Der lederne, langweilige Kerl!
BÜRGERMEISTER. Das ist kein Beweis, daß er nicht ein guter Mann geworden wär.
MAJOR. Den Beweis hast du jetzt. Wenn du noch einen gebraucht hast.
BÜRGERMEISTER. Und es ist doch ein Unglück. Ich mache mir die schwersten Vorwürfe.
MAJOR. Das ist eben keine Vernunft.
BÜRGERMEISTER. Wenn du alles so wüßtest wie ich.
MAJOR. Ach was!
BÜRGERMEISTER. Nein, Karl! Schau, wenn es was Ernstliches gegeben hätte, das wäre ja auch traurig, aber ... es wäre einmal nicht zu ändern. Aber so! Es ist zum Haar ausraufen!
MAJOR. Der Grund ist doch wirklich Nebensache.
BÜRGERMEISTER. Wenn aber gar keiner da ist!
MAJOR. Dann siehst du erst recht, daß ihr ihm nichts wert seid.
BÜRGERMEISTER. Du kannst mich nicht verstehen. Komm, setz dich einmal her. Die beiden setzen sich rechts einander gegenüber.
BÜRGERMEISTER. Karl, die heftige Szene mit dem Minister – weißt du – an der Szene ist kein wahres Wort.
MAJOR etwas erstaunt. Kein wahres Wort?
BÜRGERMEISTER. Nein. Nicht die Spur davon. Die ganze Audienz hat zwei Minuten gedauert. Ich habe nicht mehr gesagt, als Grüß Gott und Adieu.
MAJOR. Na, hör mal! Daß du übertrieben hast, dachte ich mir. Aber daß du die ganze Geschichte aus der Luft greifst, Lacht. das hätte ich dir eigentlich nicht zugetraut.
BÜRGERMEISTER. Ich wollte es auch nicht.
MAJOR. Wer hat dich denn gezwungen?
BÜRGERMEISTER. Wie es halt geht. Ich war ja tatsächlich wütend auf den Minister.
MAJOR. Mhm!
BÜRGERMEISTER. Und ... während der Fahrt in die Residenz habe ich mir ausgemalt, was ich ihm sagen werde.[288]
MAJOR. In der Eisenbahn?
BÜRGERMEISTER. In der Eisenbahn, ja. Und im Vorzimmer. Im Vorzimmer auch noch. Und dann – – siehst du, Karl, ich kann furchtbar grob sein, rück-sichts-los, wenn jemand gegen mich grob ist. Aber wenn jemand höflich ist, da ... da bring ich's eben nicht fertig.
MAJOR. Und der Minister war höflich?
BÜRGERMEISTER. Und wie! Er gab mir gleich die Hand. »Mein lieber Bürgermeister, es tut mir ja unendlich leid, aber es geht unmöglich anders.« Was hätte ich da sagen sollen? Wie hätte ich da brutal sein können?
MAJOR. Man hat dir Honig ums Maul geschmiert. Kenn' ich.
BÜRGERMEISTER. Ich habe überhaupt nichts gesprochen; ich wurde hinauskomplimentiert. Wie ich dann wieder in der Eisenbahn saß, habe ich mir vorgestellt, was ich eigentlich hätte sagen sollen.
MAJOR. Warum hast du dann hier geflunkert?
BÜRGERMEISTER. Du lieber Gott! Wie ich ankomme, steht schon der Schweigel da und der Stelzer. Brennend vor lauter Neugier. Aus jedem Haus schauen die Leute und grüßen. Daheim seid ihr und fragt mich aus. Überall ist die größte Erwartung. Da konnte ich doch nicht sagen, daß gar nichts gewesen ist.
MAJOR. Was willst du jetzt tun?
BÜRGERMEISTER. Wenn ich das wüßte! Ich kann doch nicht erklären, daß ich gelogen habe!
MAJOR. Das würde sich nicht gut ausnehmen.
BÜRGERMEISTER. Noch dazu, wo die Ovation war!
MAJOR. Jetzt mußt du schon dabei bleiben.
BÜRGERMEISTER. Nicht bloß wegen mir. Ich kann doch die Bürgerschaft nicht bloßstellen.
MAJOR. Es wäre eine verdammte Blamage.
BÜRGERMEISTER. Nein, es geht nicht. Es wäre undankbar, wo die Leute alle zu mir gestanden sind.
MAJOR. Dann bleib jetzt wenigstens fest.
BÜRGERMEISTER. Ich muß. Und weißt du, Karl, es tröstet mich auch etwas, daß die Bürgerschaft wie ein Mann zu mir hielt.
Schweigel tritt rasch durch die Gartentüre ein. Er ist sehr erhitzt und wischt sich den Schweiß von der Stirne.
[289]
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