Sechste Szene

[302] Unter der Gartentüre erscheint Heitzinger in Eile.


HEITZINGER. Endlich finde ich die Herren. Ich suche seit einer Stunde herum. Was sagen Sie zu meinem Artikel? Wie steht jetzt die Angelegenheit?


Beim Eintreten Heitzingers sind alle etwas beiseite getreten, so daß sich der Bürgermeister und Heitzinger gegenüber stehen.


BÜRGERMEISTER. Das will ich Ihnen schon sagen. Die Angelegenheit steht schlecht für Sie.

HEITZINGER verblüfft. Wie? Was? Für mich?

BÜRGERMEISTER. Sie sind schuld an der ganzen Geschichte! Sie sind schuld, wenn die Gesinnung dieser Stadt auch nur einen Augenblick angezweifelt werden konnte. Sie ganz allein.

HEITZINGER. Diesen Vorwurf habe ich nicht verdient.

BÜRGERMEISTER. Jawohl haben Sie ihn verdient. Durch Ihren taktlosen Artikel!

HEITZINGER. Ich weiß nicht, wie ich mir vorkomme.

GSCHWENDTNER. Geh! G'stell di net a so!

LINDLACHER. Die ganze Bürgerschaft hetzat er auf anander. Was glauben denn Sie eigentli?

GSCHWENDTNER. Hast denn du gor koan Respekt vor der Obrigkeit?[302]

GRUBER. Wia er d' Regierung anpacken möcht! Da hört sie do alles auf.

LINDLACHER. An Minister möcht er beleidigen!

KIERMAYER. Mit sein' Schmierblattl!

HEITZINGER. Das verbitte ich mir! Ich verbitte mir solche unparlamentarischen Ausdrücke! Ich habe bloß meine Pflicht getan.

BÜRGERMEISTER. Das haben Sie nicht.

HEITZINGER. Herr Bürgermeister, ich habe doch bloß geschrieben, was Sie erzählt haben.

BÜRGERMEISTER. Was?

HEITZINGER. Ja. Nach Ihrer glücklichen Rückkehr.

BÜRGERMEISTER geht langsam auf Heitzinger zu, tritt dicht an ihn heran und blickt ihn durchbohrend an. Mensch! Habe ich Ihnen etwas erzählt von Brutus? He?

HEITZINGER. Nein – – –

GSCHWENDTNER. Des muaß scho der Richtige g'wen sei!

BÜRGERMEISTER. Und vom weströmischen Reich? He?

HEITZINGER. Erlauben Sie – – –

BÜRGERMEISTER. Und von Tyrannen? Und von vernichten? He?

HEITZINGER. Das ist ja bloß der Stil, Herr Bürger meister! Das ist ja bloß der Stil. Das muß so sein.

GRUBER. A Schmarr'n is!

GSCHWENDTNER. Und a rechte Unverschämtheit. Alle schreien auf Heitzinger ein.

BÜRGERMEISTER. Sie haben sich alles aus den Fingern gesogen.

HEITZINGER. Ich habe der Sache natürlich eine schöne Wendung gegeben. Damit es einen Schwung hat. Aber ich wollte damit nur Herrn Bürgermeister unterstützen.

BÜRGERMEISTER. So?

HEITZINGER. In Ihrem Kampfe gegen den Minister.

BÜRGERMEISTER groß. Herr Heitzinger, diese Kämpfe pflege ich allein auszutragen.

KIERMAYER. Da brauch'n ma Eahna net dazua.

HEITZINGER. Aber die Presse – – –

BÜRGERMEISTER wie oben. Was ich und der Minister einander zu sagen haben, das ist nicht für die Presse.

LINDLACHER. Wia könna denn Sie überhaupts mitreden? Sie san ja gar net von hier.

GRUBER. Sie Zuagroaster![303]

BÜRGERMEISTER. Ich kann Ihnen nur sagen, Heitzinger, Sie haben es beinahe fertig gebracht, daß der Frieden unserer Stadt gestört wurde.

STELZER. Wenn das überhaupt möglich wäre!

BÜRGERMEISTER. Wenn das überhaupt möglich wäre. Ja! Er zieht das Wochenblatt aus der Tasche und klopft darauf. Es weht ein böser Geist aus diesen Zeilen, Heitzinger!

HEITZINGER resolut. Wissen Sie was, Herr Bürgermeister, wenn der Artikel verfänglich ist – – dann dementiere ich ihn ganz einfach.

GSCHWENDTNER. Dös werd dei Glück sei!

BÜRGERMEISTER. Wie soll das gehen?

HEITZINGER. Ich schreibe einfach, daß ich mich geirrt habe.

KIERMAYER. Oder daß d' b'suffa g'wen bist.

BÜRGERMEISTER. Schreiben Sie nur, daß Sie sich geirrt haben. Denn glauben Sie mir, Sie haben sich auch geirrt.

STELZER. Aber meine Herren, wir müssen jetzt gehen. Also adieu, Herr Bürgermeister.

GSCHWENDTNER. Und nomal vielen Dank.

KIERMAYER UND LINDLACHER. Im Namen der Stadt. Sie schutteln ihm wieder die Hand.

STELZER. Ich habe die Ehre, mich zu empfehlen.

BÜRGERMEISTER. Adieu, Herr Stelzer!

LINDLACHER, GSCHWENDTNER, GRUBER, KIERMAYER. Pfüat Good!

BÜRGERMEISTER. Adieu, meine Herren! Und Sie, Herr Heitzinger, halten Sie diesmal Ihr Versprechen; Sie haben viel gutzumachen.


Alle gehen ab durch die Gartentüre und reden eifrig in Heitzinger hinein, der heftig gestikuliert. Kiermayer kehrt unter der Türe um und geht auf den Bürgermeister zu.


KIERMAYER. Herr Bürgermoasta! I bi koa Redner. Aba Sie verstengan mi do! I sag bloß dös. Bal die Regierung jetzt no was will – nacha san mir scho do! Schüttelt ihm die Hand.

BÜRGERMEISTER. Jawohl, Herr Kiermayer.

KIERMAYER. Mir zwoa verstengan anand.


Kiermayer ab. Nach Abtreten Kiermayers stellt sich der Bürgermeister an das rechte Fenster und blickt mit dem Rücken gegen das Publikum gewendet in den Garten hinaus. Pause. Der Major kommt von links.
[304]


Quelle:
Ludwig Thoma: Gesammelte Werke in sechs Bänden. Band 2, München 1968, S. 302-305.
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