[211] Bezirksamtmann. Seine Frau.
BEZIRKSAMTMANN. Du bist heute so aufgeregt. Was hast du?
FRAU BEZIRKSAMTMANN. Frag noch! So eine Verschwendung! Zwei Gänse müssen in die Küche, der Weinkeller wird geplündert, vom Konditor wird eine Torte geholt. Und für wen? Für was?
BEZIRKSAMTMANN. Aber Amalia!
FRAU BEZIRKSAMTMANN. Sei ruhig! Meinen Salon muß ich abtreten, den Gang muß ich mir verschmutzen lassen. Und alles, weil der Herr Bezirksamtsdiener Neusigl die silberne Verdienstmedaille bekommen hat! Wo ist denn dein Orden?
BEZIRKSAMTMANN. Daß ihr Frauen so gar keine Vernunft habt!
FRAU BEZIRKSAMTMANN. Natürlich!Das ist unvernünftig. Meinst du, ich sehe nicht, wie dieses Pack mit jedem Tag hochmütiger wird? Die Neusigl findet es kaum der Mühe wert, mich zu grüßen.
BEZIRKSAMTMANN. Ja, aber ...
FRAU BEZIRKSAMTMANN. Kein aber! Diese subalterne Person darf sich das nicht erlauben.[211]
BEZIRKSAMTMANN. Ich kann doch nicht die Frau meines Amtsdieners zur Rede stellen.
FRAU BEZIRKSAMTMANN. Kannst du nicht? Was kannst du überhaupt?
BEZIRKSAMTMANN. Amalia!
FRAU BEZIRKSAMTMANN. Schweig! Ist es vielleicht nicht wahr, daß dein eigener Amtsdiener dir vorgezogen wird?
BEZIRKSAMTMANN. Vorgezogen! Da hört sich doch ...
FRAU BEZIRKSAMTMANN. Ja, vorgezogen.
BEZIRKSAMTMANN heftig. Der Mann ist fünfzig Jahre im Dienst. Verstehst du nicht? Fünfzig Jahre. Er bekommt die Medaille nicht für ein besonderes Verdienst; er hat sie abgesessen, einfach abgesessen. Wie man das eben absitzt.
FRAU BEZIRKSAMTMANN. So? Und darum muß ich zusehen, daß du ein sündteures Festessen gibst, daß mir der Salon und der Gang verschmutzt wird. Das ist mir eine nette Logik!
BEZIRKSAMTMANN. Da wären wir nun glücklich wieder da, wo wir anfingen.
FRAU BEZIRKSAMTMANN. Du hast es scheinbar nicht vermocht, mich zu überzeugen.
BEZIRKSAMTMANN. Auf diesen Erfolg rechne ich schon lange nicht mehr.
FRAU BEZIRKSAMTMANN. Spotte nur! Das fehlt noch, um deiner Rücksichtslosigkeit die Krone aufzusetzen. Nicht bloß, daß du mich von der Frau deines Untergebenen mit Füßen treten läßt ...
BEZIRKSAMTMANN. Aber ...
FRAU BEZIRKSAMTMANN. Es ist so! Aber nicht genug damit, du verlangst sogar, daß ich niedrige Dienste leiste, um den Triumph dieser Kreatur zu erhöhen. Das ist schändlich! Das ist empörend!
BEZIRKSAMTMANN der verzweifelt auf und ab gegangen ist, bleibt vor ihr stehen. Amalia, bist du imstande, mich zwei Minuten ruhig anzuhören?
FRAU BEZIRKSAMTMANN sehr energisch. Nein!
BEZIRKSAMTMANN. Dann beantworte mir wenigstens die Frage, wer hat von dir verlangt, daß du bei dieser ... bei dieser Sache tätig sein sollst?
FRAU BEZIRKSAMTMANN sehr getragen. Das wollte ich sehen, von wem ich mir Befehle erteilen lasse.
BEZIRKSAMTMANN. Von niemand, natürlich, von niemand! Beruhige[212] dich nur! Glaubst du, daß es mir Freude macht, mit diesen Leuten ein paar Stunden zusammenzusitzen?
FRAU BEZIRKSAMTMANN zuckt die Achseln.
BEZIRKSAMTMANN. Das ist eben eines der vielen Opfer, welche wir der Staatsräson zu bringen haben.
FRAU BEZIRKSAMTMANN. Das sagst du so ziemlich jedesmal, wenn du ins Wirtshaus gehen willst.
BEZIRKSAMTMANN. Wir müssen unter das Volk. Wir haben nicht das Recht, uns daheim auszuleben. Einerseits sollen wir den Ideenkreis der unteren Klassen kennen lernen, andrerseits sollen wir den Leuten Gelegenheit geben, der Regierung ... äh ... der Regierung menschlich näher zu treten.
FRAU BEZIRKSAMTMANN. Das sind große Worte für Biertrinken und Tabakrauchen.
BEZIRKSAMTMANN. Laß diese Bitterkeiten. Mir ist es so peinlich wie dir, mit meinem Amtsdiener Neusigl von einem Tische zu essen. Aber die Sache hat einen Zweck. Und darum tu ich es. Du weißt, der Minister hat erst kürzlich wieder im Landtage erklärt, daß wir in der Provinz die regierungsfreundliche Gesinnung erhalten müssen; wir sollen die Väter unserer Bezirke sein; er beurteilt seine Beamten hauptsächlich danach, ob sie beliebt sind.
FRAU BEZIRKSAMTMANN. So? Du mußt also jeden Bauernlümmel zum Essen einladen, damit er dich lieb gewinnt? Wer bezahlt das? Vielleicht der Herr Minister?
BEZIRKSAMTMANN. Laß mich doch ausreden! Ich werde nicht jeden einladen; ich ziehe nur ein paar Leute von Einfluß bei; Landräte, unsere Abgeordneten, hie und da einen Bürgermeister. Heute ist eine passende Gelegenheit. Ich werde dem Neusigl seine Medaille überreichen; dabei läßt sich eine Rede halten. Ein paar Worte, die das Publikum gern hört. Das spricht sich herum.
FRAU BEZIRKSAMTMANN. Das hättest du auch ohne Festessen und im Bureau abmachen können.
BEZIRKSAMTMANN. Gewiß. Aber ich habe einen besonderen Grund, die Leute länger bei mir zu halten. Regierungsdirektor Steinbeißel kommt.
FRAU BEZIRKSAMTMANN. Der wird entzückt sein, wenn er mit deinem Bezirksamtsdiener dinieren darf.[213]
BEZIRKSAMTMANN. Bei seiner Ankunft ist das Essen vorbei. Aber er soll uns noch hier treffen; er soll sehen, wie ich auf die Intentionen des Ministers eingehe; verstehst du?
FRAU BEZIRKSAMTMANN. Dabei ist viel zu verstehen!
BEZIRKSAMTMANN. Also erschwere mir die Aufgabe nicht. Wenn nicht Direktor Steinbeißel seine Ankunft ausdrücklich gemeldet hätte, wäre es mir doch nicht im Schlafe eingefallen, den Neusigl in meinen Salon hereinzulassen. Da kommt schon mein Assessor.
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