Erste Szene


[387] Großes Zimmer. Gemütliche Einrichtung im Biedermeierstil; weiße Vorhänge an den Fenstern. Rechts ein runder Tisch, ein Kanapee, mehrere Stühle; vor einem Fenster ein Lehnstuhl; ein Flügel rechts. Eine Türe in der Mitte, eine Türe links.


FRAU GISELIUS stellt auf einen weißgedeckten kleinen Nebentisch ein Blumenbukett und ordnet einige Geschenke, die dort liegen.

PROFESSOR GISELIUS tritt durch die Mitte ein. Nun frage ich zum dritten Mal, wo sind meine Zeitungen?

FRAU GISELIUS sich halb umwendend. Dort auf'm Flügel.

PROFESSOR GISELIUS. M-ja, richtig. Nimmt sie weg. Es ist merkwürdig, daß ich jeden Tag eine Forschungsreise nach meinen Morgenblättern machen muß. Warum liegen sie nicht in dem dazu angebrachten Behälter?

FRAU GISELIUS. Weil sie der Herr Geheimrat jed'smal herausnimmt und irgendwohin legt.

PROFESSOR GISELIUS. So? Sich nach ihr umsehend. Was machst du denn eigentlich da, Tildchen?

FRAU GISELIUS. Die Geschenk' richt' ich her.

PROFESSOR GISELIUS. Wem und was wird geschenkt?

FRAU GISELIUS mit leichtem Vorwurf. Unserm Lottche zum Geburtstag.

PROFESSOR GISELIUS. Sieh mal an! Unser Lottchen hat Geburtstag! Du denkst aber wirklich an alles. Er tätschelt ihr die Wange. Man sollte sich derartige Feste schriftlich notieren.

FRAU GISELIUS. Ja, und die Notize verlege.

PROFESSOR GISELIUS setzt sich in den Lehnstuhl und öffnet eine Zeitung. Lottchen hat Geburtstag? Sich besinnend. Sag mal, wäre es nicht angezeigt gewesen, wenn ich mich an den Geschenken beteiligt hätte ?

FRAU GISELIUS gemütlich. Eigentlich – ja.

PROFESSOR GISELIUS. Warum sagst du nichts? Du kannst doch den animus donandi bei mir voraussetzen![387]

FRAU GISELIUS. Nu red' doch net! Seit einer Woche erzähl ich dir, daß wir Lottche was schenke müss'n.

PROFESSOR GISELIUS. Seit einer Woche?

FRAU GISELIUS. Es kann noch länger sei.

PROFESSOR GISELIUS. Dann trifft allerdings mich der Vorwurf der mangelnden Sorgfalt.

FRAU GISELIUS. Ich hab' aber für dich eingekauft.

PROFESSOR GISELIUS. Man heißt das eine negotiorum gestio, eine Geschäftsführung ohne Auftrag, ja.

FRAU GISELIUS auf den Tisch zeigend. Das Tagebuch in Leder gebunde is von dir.

PROFESSOR GISELIUS aufgeräumt. Und dazu legst du ihr meine Abhandlung über die specificatio.

FRAU GISELIUS. Was tut sie mit der?

PROFESSOR GISELIUS vorwurfsvoll. Liebes Kind, hast du eine Ahnung, wie lebhaft die Streitfragen sind? Schon unter Gaius wurden sie aufgerollt ...

FRAU GISELIUS. Also schön, ich leg dei Abhandlung hin.


Quelle:
Ludwig Thoma: Gesammelte Werke in sechs Bänden. Band 2, München 1968, S. 387-388.
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