Siebente Szene


[402] Unter der Mitteltüre erscheint Dr. Traugott Appel; Gelehrtentypus, blondes, ungescheiteltes Haar, das in der Höhe des Kragens glatt abgeschnitten ist; kurzer Vollbart, dicke Brille, die starke Kurzsichtigkeit vermuten läßt. Gehrock. In der rechten Hand hält er ein großes Bukett, in der linken den Zylinder.


DR. APPEL verlegen. Habe ich die Ehre, Herrn Geheimrat Dr. Giselius ...?

PROFESSOR GISELIUS ernst. Allerdings.

CÖLESTINE rasch einfallend. Das isch die Frau Geheimrat, und ich hab ja schon 's Vergnüche ...

DR. APPEL sich nach allen dreien verbeugend. Gewiß ja ... ist meinerseits ...

FRAU GISELIUS. Wolle Sie net ablege, Herr Doktor?

DR. APPEL nimmt das Bukett in die linke, den Zylinder in die rechte Hand. Wenn Sie erlauben ...

CÖLESTINE nimmt ihm den Zylinder ab und stellt ihn auf den Flügel. Gewwe Sie her!

FRAU GISELIUS auf einen Stuhl deutend. Nehme Sie Platz un mache Sie sich's gemütlich!

DR. APPEL setzt sich auf den Rand des Stuhles. Das Bukett hält er krampfhaft fest. Ich bin so frei ...

FRAU GISELIUS. Sie sin erscht kurz in unserm Städtche?

DR. APPEL. Ja, es werden ungefähr zwanzig Tage ...

FRAU GISELIUS. Un Sie hawwe sich habilitiert?

DR. APPEL. Gewiß.

PROFESSOR GISELIUS feierlich. Als Zoologe? Nicht wahr?

DR. APPEL mit einer Verbeugung. Ja.

PROFESSOR GISELIUS. Man hat mir davon bereits gesagt ...

FRAU GISELIUS einfallend. Mein Mann hat nämlich ein Faible für Ihre Wisseschaft.

DR. APPEL mit schüchterner Verbeugung. Es ehrt mich, daß[402] Herr Geheimrat davon Notiz genommen haben.

PROFESSOR GISELIUS. Ja, das habe ich, und ich halte es für einen glücklichen Umstand.

DR. APPEL. Ich hoffe, daß es mir vergönnt sein möge, mich dieser Beachtung würdig zu erweisen.

PROFESSOR GISELIUS. M-ja.

FRAU GISELIUS. Und wie gefällt's Ihne dann hier, Herr Doktor?

DR. APPEL begeistert. Es ist wundervoll; man kommt mir von allen Seiten so liebenswürdig entgegen, und dann auch das erhebende Gefühl der Tätigkeit ...

FRAU GISELIUS. Hawwe Sie schon angefange mit'm Vorlese?

DR. APPEL. Ja, über die Käferfamilie der Bostrichiden Zentraleuropas mit besonderer Berücksichtigung der für den Waldbau in Betracht kommenden, der Splintkäfer, Bastkäfer ...

PROFESSOR GISELIUS zerstreut und nachdenklich. M-hm, ja – ja.

DR. APPEL. Den großen und kleinen Kiefernmarkkäfer, von dem man gerade hier ganz herrliche Brutkammern findet.

PROFESSOR GISELIUS sieht ihn geistesabwesend an. Es ist mir bisher nicht aufgefallen.

DR. APPEL. Wenn sich Herr Geheimrat so sehr dafür interessieren, ich kann Ihnen auch den Bostrichus typographus in schönen Exemplaren vorweisen.

FRAU GISELIUS. Ich wünsch' Ihne bloß, Herr Doktor, daß sich recht viel Studente bei Ihne melde. Sie sin ja so eifrig in Ihrem Fach!

DR. APPEL. Bis jetzt haben sich vier eingeschrieben.

FRAU GISELIUS. Da is d'r Anfang schon gemacht ...

DR. APPEL. Allerdings kommt immer nur einer ins Kolleg, aber der Pedell sagte mir, daß die Bowlenzeit im Frühjahr die ungünstigste sei.

FRAU GISELIUS fröhlich. Ach, die junge Leut!

DR. APPEL. Ich bedaure das sehr, weil gerade im Mai zum Beispiel die Beobachtung des Rüstersplintkäfers am dankbarsten ist, aber ich hoffe, daß es mir gelingen wird, meine Hörer gerade für diese Käferfamilie zu begeistern.

FRAU GISELIUS mütterlich. Gewiß wird Ihne das gelinge.

DR. APPEL. Ich habe auch die Zuversicht, und wenn ich sehe, daß ein soviel beschäftigter Mann wie Herr Geheimrat sich für unsere Wissenschaft interessiert, so werde ich erst recht[403] darin bestärkt.

PROFESSOR GISELIUS sehr zerstreut. Hm ... hm ... ja, gewiß.

CÖLESTINE. Was hawwe Sie denn für e schön Bukett, Herr Doktor?

DR. APPEL verlegen. Ich dachte ... ich hörte ... daß Sie ein Familienfest feiern, und da wollte ich mir die Freiheit nehmen ...

FRAU GISELIUS. Das is aber wirklich aufmerksam von Ihne!

DR. APPEL. Ich hatte die Ehre, Ihrem Fräulein Tochter vorgestellt zu werden, und da man mir sagte, daß Ihr Fräulein Tochter heute Geburtstag hat ...

CÖLESTINE. Ich glaub, ich hab so e flüchtige Bemerkung gemacht.

DR. APPEL. Wenn ich mich recht erinnere, allerdings ...

CÖLESTINE. Das is nett, daß Sie das noch wisse ...

FRAU GISELIUS. Wo Sie sich schon mitte in Ihr Tätigkeit gestürzt hawwe!

DR. APPEL verlegen lächelnd. Ich habe es mir gemerkt.

FRAU GISELIUS zum Professor. Denk dir, Otto, der Herr Privatdozent is so liebenswürdig, unserem Lottche eigens zu gratuliere ...

PROFESSOR GISELIUS nachdenklich. Mm – ja.

FRAU GISELIUS lebhaft. Und grad jetzt muß Lottche net da sei!

DR. APPEL bestürzt. Ist Ihr Fräulein Tochter verreist?

FRAU GISELIUS. Nei, sie is nur in die Stadt.

CÖLESTINE. Un muß jede Augeblick zurückkomme.

FRAU GISELIUS. Könne Sie noch e bißche warte, Herr Doktor?

DR. APPEL. Ich möchte aber nicht stören, wenn Sie doch in engem Kreise ...

FRAU GISELIUS. Sie störe ganz und gar net; ich will nur emol nachschaue, wo sie bleibt. Ab nach links.


Quelle:
Ludwig Thoma: Gesammelte Werke in sechs Bänden. Band 2, München 1968, S. 402-404.
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