Vierte Szene

[18] MARIANN. Da derf'n Sie net bleib'n?


Sie sieht vor sich hin und wischt in Gedanken verloren über die Decke. Thomas kommt leise herein, bleibt stehen und sieht ihr eine kurze Weile zu. Sie sieht auf und nickt ein paarmal ernst.


THOMAS. Der is g'schwind aus'n Haus.

MARIANN. Vor uns laff'n d' Leut davo, Thomas.

THOMAS. So? Der aa?

MARIANN. Von sein G'wand hat er g'sagt, daß 's net da rei' paßt. Wenn ma da aa koa Derbarma find't!

THOMAS. Arm gnua, wer's braucht! Na siecht er, wia rar dös is. Kleine Pause. D' Nachbarin hat mir grad g'sagt, daß sie nimmer kemma ko.

MARIANN. Desweg'n?

THOMAS bitter. O na! Weil s' am Feld sei muaß, weil s' dahoam sei muaß. Und weil ... und weil! Aba ja net desweg'n! Jed's Wort a Lug und so hi'g'red't, daß ma's g'wiß kennt.

MARIANN. Dös hätt i net glaabt von ihr.

THOMAS. Ja, moanst denn du, sie ruck'n net allsamt weg? So weit, daß eahna Bravheit net o'stößt an uns?

MARIANN. Jetzt host d' gar neamd im Stall, und mitt'n in der Arndt?

THOMAS. Ah was!

MARIANN. Wann i nur auf kunnt!

THOMAS. Sei froh, daß d' da herin hockst. Siehgst wenigstens net, wia si d' Leut z'sammricht'n zu dera Gaudi.

MARIANN. Han?

THOMAS heftiger. 's ganz Dorf is lebendi. Als wenn a G'witter[18] am Himmel stand, fahren s' vom Feld eina mit halbe Fuhren. Daß sie's nur ja net versamma!

MARIANN ängstlich. Weg'n der Leni?

THOMAS. Weg'n was sunst? So was muaß ma do sehg'n, wia's an Mensch'n schlecht geht! Derf's de braven Leut gruseln.

MARIANN. Dös is aba net schö.

THOMAS. Da bist g'stimmt, dös is des Allerschönst, wenn ma'r an andern sei Schand siecht. Da ko ma sei Ehrbarkeit an d' Sunn außa hänga. Er geht gegen das offene Fenster im Hintergrund zu, bleibt aber einige Schritte davor stehen und schaut hinaus. Da! Brauchst d' net weit schaug'n, wia d' Weiberleut am Zaun beinand stengan.

MARIANN. Woher sie's no wiss'n?

THOMAS. Frag an Bürgermoasta! Gegen das Fenster zu redend. Ja! Gafft's no her und schlagt's d' Händ z'samm! Es is scho a so, daß beim Paulimann d' Bagaschi dahoam is ... Er tritt zurück und setzt sich auf die Ofenbank. Waar i a großer Bauer, na hätt ma's vielleicht hoamlicher mach'n könna, aba so derf ma de Leut a Freud lass'n.

MARIANN sehr ängstlich. Wenn nur 's Ärgste vorbei waar!

THOMAS. Da gibt's koa Vorbei. Mir san nix mehr, dös is gar wor'n.

MARIANN schwach. I hab so Angst!

THOMAS stützt den Kopf in die Hände. No nimma naus geh müass'n, und 's Dach über oan ei'fall'n.

MARIANN leise. Thomas!

THOMAS. Han?

MARIANN. Geh, zünd an Wachsstock o und les mir was für!

THOMAS erschrocken aufspringend. Fehlt's so weit, Muatta?

MARIANN sehr schwach. I woaß net ... so Angst hab i.

THOMAS. Und i muaß di no derschreck'n!

MARIANN. Ja no ... du ko'st ja aa nix dafür.


Thomas ist zu dem Wandschrank gegangen und holt daraus einen Wachsstock, ein Gebetbuch und seine Brille. Er stellt den Wachsstock auf den kleinen Tisch neben Mariann, zündet ihn an und setzt sich auf den Stuhl, auf dem Köckenberger gesessen war, und schlägt das Gebetbuch auf.


THOMAS. Was soll i les'n, Muatta?

MARIANN. I hab's a so ei'g'mirkt ... Gebet in einer schweren[19] Stund ...

THOMAS schlägt auf und liest nun langsam und stockend vor. Allergütigster Herr und liebreichster Heiland, in meiner tiefsten Not rufe ich zu dir, o Herr, daß du dich in deiner unendlichen Liebe erbarmen mögest ... mögest.

MARIANN hat die Hände gefaltet. Erbarme dich unser ...

THOMAS. Und mich stärkest in dieser schweren Stunde meines Lebens ... meine Seele ist traurig in mir und will sich nicht trösten lassen ... lassen ... Er horcht auf, da von ferne her Lärm zu vernehmen ist, der näher kommt. Gram und Trübsal wollen mich übermannen, und bitter sind die Leiden, die ich erdulde. Hilf mir, o Herr, nach deiner Barmherzigkeit ... Der Lärm kommt immer näher. Man hört Schreien und Pfeifen.

THOMAS steht auf, gepreßt. Jessas – Maria!

MARIANN greift nach seiner Hand. Bleib bei mir!

THOMAS. Muatta – dös geht uns o ... Er legt das Buch weg und löscht das Licht aus und steht regungslos, nach dem Fenster hinsehend. Der Lärm ist nun ganz nahe. Man hört Rufe. D' Paulimann Leni! Schaugt's hi! D' Paulimann Leni! Dazwischen Lachen, Pfeifen, Schreien. Die Türe wird geöffnet, und herein tritt Leni, gefolgt von einem Gendarm. Leni bleibt stehen und heftet die Blicke auf den Boden. Sie trägt schlechte städtische Kleidung, einen Strohhut mit einer großen, geschmacklosen Bandschleife, in der Hand eine kleine Tasche. Ihr Gesicht ist gerötet, und ihre Zeugstiefelchen sind stark verstaubt. Thomas tritt ein paar Schritte vor und sieht sie finster an.


Quelle:
Ludwig Thoma: Gesammelte Werke in sechs Bänden. Band 2, München 1968, S. 18-20.
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