Fünfte Szene

[348] BEERMANN kommt hastig von links. Er atmet schwer, hat ein Taschentuch in der Hand, mit dem er sich häufig die Stirne trocknet. Bin ich hier endlich im richtigen Bureau? Man schickt mich im ganzen Haus herum. Holt Atem. Hoffentlich bin ich jetzt im richtigen Bureau?

STRÖBEL. Was wollen Sie?

BEERMANN. Entschuldigen Sie, ich muß mich verschnaufen. Zweimal war ich im dritten Stockwerk und wieder im Parterre. Der Herr Präsident schickt mich weg, ich soll ins Zimmer 147. Dort sagt man, ich muß ins Zimmer 174.

STRÖBEL. Wer hat Sie geschickt?

BEERMANN. Der Herr Präsident. Holt tief Atem. Ich wollte eigentlich mit ihm selber sprechen, aber er sagte, ich soll zu dem Herrn gehen, der die Sittlichkeit unter sich hat. Sind Sie der[348] Herr, der die Sittlichkeit unter sich hat?

STRÖBEL. Allerdings.

BEERMANN. Endlich! Wischt sich die Stirne. Herrgott, wenn so viel davon abhängt, soll man einen nicht im Haus herumjagen. Also Sie sind der Herr, der die Sache in der Hand hat?

STRÖBEL. Was für eine Sache?

BEERMANN. Am Samstag in der Nacht ist eine Dame verhaftet worden. Man hat ihr gewisse Aufschreibungen weggenommen. Haben Sie diese Aufschreibungen hier?

STRÖBEL. Was geht das Sie an?

BEERMANN. Mein Name ist Beermann. Rentier Fritz Beermann. Ich bin der Präsident des Sittlichkeitsvereins.

STRÖBEL sehr höflich. Ach so! Verzeihen Sie nur! Ich habe mich nicht gleich an Ihren Namen erinnert, aber ich habe Sie erwartet.

BEERMANN erschrocken. Sie haben mich erwartet?

STRÖBEL. Der Herr Präsident sagte, daß Sie jedenfalls kommen würden.

BEERMANN. Er sagte, daß ich jedenfalls kommen würde? Aber davon hat er kein Wort gesagt, wie ich jetzt bei ihm war! Es wäre vielleicht gut, wenn ich wieder zu ihm hinunter ginge?

STRÖBEL. Das ist nicht nötig. Ich habe die Sache in der Hand.

BEERMANN. Freilich, Sie haben die Sache in der Hand. Und die Aufschreibungen, die sind auch bei Ihnen?

STRÖBEL. Das Tagebuch? Zeigt auf den Schreibtisch. Da liegt es.

BEERMANN schielt ängstlich hin. Es ist also ein richtiges Tagebuch?

STRÖBEL. Und genau geführt. Datum, Name. Sogar scherzhafte Bemerkungen über die Betreffenden.

BEERMANN schreit. Es ist eine unglaubliche Gemeinheit! Wozu schreibt sie das auf? Was hat das für einen Zweck? Sie muß sich doch sagen, daß es gefährlich ist! In drei Teufels Namen, wenn man selbst auf Diskretion angewiesen ist, legt man doch kein Adreßbuch an!

STRÖBEL. Seien wir froh, Herr Beermann!

BEERMANN. Wir?

STRÖBEL. Ich sage Ihnen, die Person würde lügen! Aber dagegen gibt es nichts, Hebt das Tagebuch in die Höhe. sie soll uns vor Gericht nur kommen mit ihren Redensarten! Ahmt die Hauteville[349] nach. »Als Tatsache ist es unmöglich!« Ich werde sie mit Tatsachen an die Wand drücken. Wir holen einfach die Kerle vor. Einen nach dem andern.

BEERMANN bestürzt. Vors Gericht?

STRÖBEL. Jawohl! Da heißt's: Hand auf und geschworen! Ich will sehen, ob niemand niemand gezwungen hat, in einem Kleiderschrank zu verschwinden!

BEERMANN. Aber das ist unmöglich! Man ruiniert nicht das Familienleben einer Stadt!

STRÖBEL. Wieso?

BEERMANN. Es soll sich jeder im Gerichtssaal hinstellen und vor allen Leuten sagen: jawohl, es ist wahr, daß ich ... und so weiter?

STRÖBEL. Warum nicht?

BEERMANN schreit. Es sind doch lauter Familienväter!

STRÖBEL. Aber lieber Herr Beermann, das ist doch mir ganz egal!

BEERMANN. Das ist nie und unter keinen Umständen egal. Auf Reisacher blickend. Können wir nicht unter vier Augen ...?

STRÖBEL. Wenn Sie es wünschen. Reisacher, stellen Sie im Vorzimmer den Polizeibericht zusammen!

REISACHER. Jawoll, Herr Assessor. Er nimmt einige Schreibereien und geht durch die mittlere Türe ab.


Quelle:
Ludwig Thoma: Gesammelte Werke in sechs Bänden. Band 2, München 1968, S. 348-350.
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