Sechste Szene

[259] Eine andere Gegend an einem Flusse.


GOTTLIEB. Da steh ich nun hier schon seit zwei Stunden und warte auf meinen Freund Hinze. – Er kömmt immer noch nicht. – Da ist er! Aber wie er läuft! Er scheint ganz außer Atem.


Hinze kömmt gelaufen.


HINZE. Nun, Freund Gottlieb, zieh dir geschwind die Kleider aus.

GOTTLIEB. Die Kleider?

HINZE. Und dann springe hier ins Wasser.

GOTTLIEB. Ins Wasser?

HINZE. Und dann werf ich die Kleider in den Busch.

GOTTLIEB. In den Busch?

HINZE. Und dann bist du versorgt!

GOTTLIEB. Das glaub ich selber; wenn ich ersoffen bin, und die Kleider weg sind, bin ich versorgt genug.

HINZE. Es ist nicht Zeit zum Spaßen.

GOTTLIEB. Ich spaße gar nicht. Hab ich darum hier warten müssen?

HINZE. Zieh dich aus!

GOTTLIEB. Nun, ich will dir alles zu Gefallen tun.

HINZE. Komm, du sollst dich nur ein wenig baden. Er geht mit[259] ihm ab, und kömmt mit den Kleidern zurück, die er in den Busch hineinwirft. – Hülfe! Hülfe! Hülfe!


Die Kutsche fährt vor, Der König sieht aus dem Schlage.


KÖNIG. Was gibt's denn, Jäger? Warum schreist du so?

HINZE. Hülfe, Ihre Majestät, der Graf von Carabas ist ertrunken.

KÖNIG. Ertrunken!

PRINZESSIN im Wagen. Carabas!

KÖNIG. Meine Tochter in Ohnmacht! – Der Graf ertrunken!

HINZE. Er ist vielleicht noch zu retten, er liegt dort im Wasser.

KÖNIG. Bediente! wendet alles, alles an, den edlen Mann zu erhalten.

EIN BEDIENTER. Wir haben ihn gerettet, Ihro Majestät.

HINZE. Unglück über Unglück, mein König. – Der Graf hatte sich hier in dem klaren Flusse gebadet, und ein Spitzbube hat ihm die Kleider gestohlen.

KÖNIG. Schnallet gleich meinen Koffer ab! Gebt ihm von meinen Kleidern! – Ermuntre dich, Tochter, der Graf ist gerettet.

HINZE. Ich muß eilen. Geht ab.


Gottlieb in den Kleidern des Königs.


GOTTLIEB. Ihro Majestät. –

KÖNIG. Das ist der Graf! Ich kenne ihn an meinen Kleidern! Steigen Sie ein, mein Bester – was machen Sie? – Wo kriegen Sie all die Kaninchen her? – Ich weiß mich vor Freude nicht zu lassen! – Zugefahren, Kutscher!


Der Wagen fährt schnell ab.


EIN BEDIENTER. Da mag der Henker so schnell hinaufkommen – nun hab ich das Vergnügen zu Fuße nachzulaufen, und naß bin ich überdies noch wie eine Katze. Geht ab.

LEUTNER. Wie oft wird denn der Wagen noch vorkommen! Diese Situation wiederholt sich auch gar zu oft.

WIESENER. Herr Nachbar! – Sie schlafen ja.

NACHBAR. Nicht doch – ein schönes Stück![260]


Quelle:
Ludwig Tieck: Werke in vier Bänden. Band 2, München 1963, S. 259-261.
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