Erste Szene


[325] Gerichtssaal.

Skaramuz, Räte.


SKARAMUZ. Meine Herren, Sie sind doch noch immer überzeugt, daß ich mein Land glücklich mache?

RÄTE. Durchaus, Ihro Majestät können gar nicht anders.

SKARAMUZ. Wir müssen unermüdet fortfahren, die Sitten des Landes umzuarbeiten. Alle ehemalige Barbarei muß man mit Stumpf und Stiel ausrotten, daß auch kein Gebein davon übrigbleibt.

RÄTE. Allerdings, man muß nicht nur das aufgeschossene Unkraut ausjäten, sondern auch nach dem kleinen sehn, damit nichts zur Saat stehn bleibe.

SKARAMUZ. So ist auch mein Wille. Das Verfeinern und Kultivieren der Leute kommt doch so ziemlich in den Gang. – Jetzt laßt die Parteien vortreten.


Ein Schriftsteller und Ein Leser treten auf.


SKARAMUZ. Was wollt ihr?

LESER. Herr König, ich habe eine große und gegründete Klage über den Mann da zu führen. Er ist nämlich eine Person, die Bücher in den Druck gibt, und ich bin derjenige, der sie[325] nachher lesen muß. Nun find ich es sehr natürlich, daß ich zu ihm sagen kann: seht, mein Herr, so und so müßt Ihr die Bücher einrichten, dann gefallen sie mir beim Lesen. Und das will er nicht.

SKARAMUZ. Aber, Kerl, warum nicht?

SCHRIFTSTELLER. Ihro Majestät geruhen nur zu bemerken, daß der Mensch keinen Geschmack hat, und daß er schlechte Bücher von mir verlangt; darin kann ich ihm doch unmöglich willfahren.

SKARAMUZ. Aber warum nicht, da es ihn doch am Ende trifft, daß er dein Geschreibe lesen muß? Du sollst also den Geschmack haben, den er von dir verlangt. Ich sehe wohl, du bist ein eigensinniger Bursche, gehe hin und bessere dich. –


Schriftsteller ab.


LESER. Ich danke für gütige Resolution.

SKARAMUZ. Aber, Ihr Narr, braucht ja nur gar nicht zu lesen, so ist ja der Handel mit einem Male aus.

LESER. Nein, gnädigster König, das kann ich nicht lassen, weit eher das Tabakrauchen. Lesen ist mein einziges Vergnügen und bildet mich und klärt mich auf.

SKARAMUZ. Versteht Ihr auch alles, was Ihr lest?

LESER. Ich denke wohl, und wenn ich einmal den Weg unter meinen Füßen verliere, so denke ich immer, des Himmels Güte wird auch das wohl zu meinem Besten lenken.

SKARAMUZ. Geht und fahrt so fort, denn Ihr habt einen guten Glauben. Leser ab. – Habt Ihr die Wissenschaften wohl schon in solchem Flore gesehn?

RÄTE. Niemalen.


Aulicus und Myrtill kommen.


SKARAMUZ. Was gibt's? Redet!

AULICUS. Mein König, wir sind Schäfer, was man so schlechtweg Schäfer zu nennen pflegt, aber Schäfer im weitesten Sinn des Worts, denn wir halten uns auch etliche Kühe.

SKARAMUZ. Ist das eure Klage?

AULICUS. Nimmermehr. Je da müßten wir ja wohl rechte Erzstümper sein, wenn wir darüber klagen wollten. Nein, im Gegenteil, wollte der Himmel, wir hätten nur mehr.

SKARAMUZ. Kommt zur Sache.

MYRTILL. Gevatter, laßt mich das Wort führen, sonst kann ja[326] der König nimmermehr klug werden. Versteht mich, Herr König, und wenn Ihr den Mann da bis übermorgen reden ließet, so würde er doch nicht zur Sache kommen. Er ist mein Gevatter, und sonst ein guter Mann, aber das müssen ihm selbst seine Feinde im Grabe nachsagen, daß er das Maul immer vornweg hat. Es ist ein Erbschaden an ihm.

SKARAMUZ. Was wollt ihr denn, Leute? Ich verliere die Geduld.

MYRTILL. Nimmermehr, Herr König, denn wir haben sie auch schon verloren. Wißt Ihr was Scheren ist?

SKARAMUZ. Dumme Frage! Wie sollt ich denn das nicht wissen?

MYRTILL. Nun, so haben wir den Prozeß beinahe schon gewonnen. Die Schafe werden nämlich von uns geschoren, und das ist gut und löblich, denn dazu sind sie da; wir haben das auch immer bis jetzt redlich beobachtet, aber nun soll sich das Ding umkehren, denn die Schafe haben gegen uns rebelliert.

SKARAMUZ. Wieso?

MYRTILL. Es ist so weit gekommen, daß sie verlangen, wir sollen uns zur Abwechselung auch einmal scheren lassen.

SKARAMUZ. Was haben sie für Gründe?

MYRTILL. Sie haben ordentlich einen Anwalt angenommen, ihre Sache in Schutz zu nehmen.

SKARAMUZ. Laßt ihn kommen.

GRÜNHELM tritt auf.

SKARAMUZ. Sieh da, Grünhelm! bist du derjenige, der da behauptet, die Schäfer müßten sich von ihren Schafen rasieren lassen?

GRÜNHELM. Allerdings, durchlauchtigster Apollo.

SKARAMUZ. Aus welchen Gründen?

GRÜNHELM. Erstlich haben sie es den Schafen so oft getan, daß es nun zur Abwechselung wohl einmal mag umgekehrt werden. Sie haben von den Schafen so viele Wohltaten genossen, daß es ja nur ein unbedeutendes don gratuit ist, was die armen Tiere jetzt von diesen hartherzigen Schäfern verlangen; wahrlich, ich wollte mich nicht um eine solche Kleinigkeit schlachten und scheren und hudeln lassen. Dann seht nur zweitens, die schönen Bärte um Kinn und Maul, nicht wahr, jedermann muß Lust zum Scheren bekommen, der diesen reichen Segen sieht? Welche Gedanken sollen wohl die guten geduldigen Schafe fassen, wenn sie dergleichen[327] vortreffliche Wolle im Winter und Sommer, in Schnee und Regen, zwecklos baumeln sehn? Es wäre ihnen ja wahrlich nicht zu verargen, wenn sie auf die Meinung gerieten, daß alles Scheren nur unnütze Schererei wäre. Schließlich werden diese Schäfer es auch drittens viel besser nachher einsehn, was es auf sich habe, geschoren zu werden; sie werden dadurch gegen die Schafe mitleidiger und dankbarer werden. Ich will sie bloß zur Tugend anführen.

SKARAMUZ. Du hast recht. Schäfer, ihr habt euren Prozeß verloren, geht und unterwerft euch dem Willen eurer Untergebenen. Die Schäfer ab. – Sie werden zum allgemeinen Besten geschoren, die Spitzbuben, und wollen sich noch beklagen!

GRÜNHELM. Der Egoismus, Herr Apollo, ist sehr schwer aus dem Menschen zu vertreiben. Sie gehn ab.


Quelle:
Ludwig Tieck: Werke in vier Bänden. Band 2, München 1963, S. 325-328.
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