Symphonie

[273] Andante aus D dur


Will man sich ergötzen, so kömmt es nicht sowohl darauf an, auf welche Art es geschieht, als vielmehr darauf, daß man sich in der Tat ergötzt. Der Ernst sucht endlich den Scherz, und wieder ermüdet der Scherz, und sucht den Ernst; doch beobachtet man sich genau, trägt man in beides zu viel Absicht und Vorsatz hinein, so ist es gar leicht um den wahren Ernst, so wie um die wahre Lustigkeit geschehen.


Piano


Gehören aber wohl dergleichen Betrachtungen in eine Symphonie? Warum soll es denn so gesetzt anfangen? Ei nein! wahrhaftig nein, ich will lieber sogleich alle Instrumente durcheinanderklingen lassen!


Crescendo


Ich darf ja nur wollen, doch freilich mit Verstand, denn nicht sogleich, urplötzlich, erhebt sich der Sturm, er meldet sich er wächst, dann erregt er Teilnahme, Angst, Furcht und Lust, da er sonst nur leeres Erstaunen und Erschrecken veranlassen würde. Ist es schwer vom Blatte zu spielen, so ist es noch schwerer, vom Blatte sogleich zu hören. Aber nun sind wir schon tief im Getümmel; Pauken, schlagt! Trompeten, klingt!


Fortissime


Ha! das Getümmel, die Attacken, das Schlachtgewühl von Tönen? Wohin rennt ihr? Woher kommt ihr? die stürzen sich wie Sieger durch das lauteste Gedränge, jene fallen, verscheiden; die dort kommen verwundet, matt zurück, und suchen Trost und Freundschaft. Da trabt's heran, wie Rossesschnauben; da orgelt's tief, wie Donner im Gebirg; da rauscht es, tobt es, wie ein Wassersturz, der verzweifelnd, sich vernichten[273] wollend, über die nackten Klippen stürzt, und tiefer, immer tiefer hinunter wütet, und keinen Stillstand, keine Ruhe findet.


Adagio


Und nun? – Was war es nun, daß ich diesem Gelüste folgte? Da liegt nun hinter mir, versunken, das erst bewegte, lebendige Gefilde, und nichts davon bleibt zurück, und ebenso eilt auch dieser Ton, der gegenwärtige, schon seinem Untergang entgegen.


Tempo primo


Doch die Erinnrung bleibt, und sie wird wieder Gegenwart: muß ich doch diese auch beleben und mit meinem Bewußtsein durchdringen; darum kann ich das was War und Ist und sein Wird in einem Zauber binden.


Violino primo solo


Wie? Es wäre nicht erlaubt und möglich, in Tönen zu denken und in Worten und Gedanken zu musizieren? O wie schlecht wäre es dann mit uns Künstlern bestellt! Wie arme Sprache, wie ärmere Musik! Denkt ihr nicht so manche Gedanken so fein und geistig, daß diese sich in Verzweiflung in Musik hineinretten, um nur Ruhe endlich zu finden? Wie oft, daß ein zergrübelter Tag nur ein Summen und Brummen zurückläßt, das sich erst später wieder zur Melodie belebt? Was redet uns in Tönen oft so licht und überzeugend an? Ach ihr lieben Leute, die Zuhörer mein ich das meiste in der Welt grenzt weit mehr aneinander, als ihr es meint; darum seid billig, seid nachsichtig, und nicht gleich vor den Kopf geschlagen, wenn ihr einmal einen paradoxen Satz antrefft; denn vielleicht ist, was euch so unbehaglich verwundert, nur das Gefühl, daß ihr dem Magnetberge nahe kommt, der in euch alle eisernen Fugen und Klammern loszieht: das Schiff, welches euch trägt, zerbricht freilich, aber hofft, vertraut, ihr kommt an Land, wo ihr kein Eisen weiter braucht.


Pizzicato mit Accompagnement der Violinen


Die paradoxen Sätze sind übrigens für verständige Leute weit seltener, als man denken sollte. Die verständigen Leute sind aber noch viel seltener.


[274] Alle Instrumente


Es ist gar kein Zweifel, daß nicht die Versammlung der verehrten Zuschauer und Zuhörer aus dergleichen bestehen sollte, und darum freut sich so Theater als Orchester, vor einem so erlauchten oder erleuchteten Publikum zu spielen. Nur müssen alle die Geduld behalten, die Haupttugend des Lebens, ohne welche das Leben selber nicht zu tragen ist.


Forte


Alles ist fertig, die Dekoration aufgestellt, der Souffleur zugegen; mehr Zuschauer kommen auch nicht. Die Erwartung ist rege, die Neugier gespannt; nur wenige denken jetzt schon an das Ende, und daß sie alsdann fragen werden: nun, war es denn etwas Besonderes? – Gebt acht! denn das müßt ihr, um nicht alles auf den Kopf zu stellen. – Gebt aber auch nicht zu sehr acht, um nicht mehr zu sehn und zu hören, als man euch hat zeigen wollen. – Gebt acht! gebt aber ja auf die rechte Art acht! hört zu! hört zu! zu! zu!! zu!!!


Der Vorhang geht auf. Das Theater stellt ein Theater vor.

Der Epilogus tritt auf.


EPILOGUS. Nun, meine Herren, wie hat euch unser Schauspiel gefallen? Es war freilich nicht viel, indessen da ihr alles zu nehmen gewohnt seid, so war es doch immer des Annehmens wert. Man kann nicht alle Tage neu sein, und wenn man es sein könnte, würde man doch nicht alle Tage vortrefflich sein; ja sollten wir es selbst dahin bringen, alle Tage vortrefflich zu sein, so würden wir dann gewiß die Alltäglichkeit nicht mehr vortrefflich finden, sondern das Armselige käme dann gewiß zu der Ehre, für vortrefflich zu gelten.

Ihr müßt euch übrigens darüber nicht verwundern, daß ihr das Stück noch gar nicht gesehn habt, denn hoffentlich seid ihr doch insoweit gebildet, daß das bei euch nichts zur Sache tut, um darüber zu urteilen. Ei! wer hätte die Zeit, alles das zu lesen, was wir verwerfen, oder erheben! Wer wollte nur das beurteilen, was man kennt! Wahrlich, der meisten Urteil würde dann noch kleiner ausfallen, als ein Lacedämonischer Brief. Ihr seid hoffentlich schon geübt, und habt im Urteilen etwas getan, daß ihr also unsre Komödie[275] gar nicht zu sehen braucht, um zu wissen, was an ihr ist. Der Name des Verfassers, wenn er berühmt ist, das Urteil eines guten Freundes, dem ihr Verstand zutraut, sind ja gewöhnlich die Wegweiser, die euch leiten. Oder ihr sagt mit jener hübschen Kaltblütigkeit, die einen gebildeten, überfüllten, von gelehrten Zeitungen aufgepäppelten Menschen charakterisiert: ei! es ist so übel nicht; gut genug für jene Zeit – leidlich für die bornierte Absicht – nur, freilich, fehlt es am Besten. Wie denn? Wo denn? fragt ein Wißbegieriger. O Freund, ist die Antwort, das wäre gar zu weitläufig, Sie sind zurück, wie viel Zeit wäre nötig, Ihnen die Sache klarzumachen, ich will Ihnen die vorigen schicken, wenn Sie nachgekommen sind, sprechen wir uns wieder.

Es wird aber Zeit sein, daß ich abtrete. Hinter den Kulissen herrscht große Verwirrung, und es ist am besten, ich gehe, damit ich nicht von dem Strome fortgerissen werde.[276]

Quelle:
Ludwig Tieck: Werke in vier Bänden. Band 2, München 1963, S. 273-277.
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