Erste Szene

[329] Zimmer im Palast.

Leander und Curio beschäftigt, bleierne Soldaten in Ordnung zu stellen.


CURIO. Es ist doch schade um den Mann.

LEANDER. Ja, und noch mehr um seinen schönen Verstand, den er vormals hatte.

CURIO. Er regierte wie ein wahrhaft großer König.

LEANDER. Aber nun ist er ganz kindisch geworden, er ist wieder in die Kindheit zurückverfallen.

CURIO. Es ist nur gut dabei, daß er's selbst bei Zeiten merkte und die Regierung seinem großen Sohne oder Schwiegersohne, unserm allergnädigsten Gottlieb, überließ.

LEANDER. Es war die höchste Zeit, es war schon so weit mit ihm gekommen, daß er alles lesen wollte, was er unterschreiben mußte.

CURIO. Warum gab man ihm denn keine Bücher, wenn er eine solche Lesewut hatte?


Gottlieb tritt auf.


GOTTLIEB. Wo ist denn mein Herr Vater?

CURIO. Er wollte nur einmal den Garten auf und ab gehn, er wird gleich wiederkommen.

GOTTLIEB. Was macht ihr da?

CURIO. Die alte Beschäftigung: Ihre Majestät geruhen, noch immer auf mancherlei Weise mit diesen bleiernen Soldaten zu spielen.

GOTTLIEB. Aber was soll denn daraus werden? Ich kann es doch nicht begreifen, daß er dessen nicht überdrüssig wird.

CURIO. Es wird im Gegenteil mit jedem Tage schlimmer; bald zählt er sie ab, bald müssen die Regimenter wechseln, bald wirft er mit kleinen Kugeln darunter und freut sich, wenn diejenigen umfallen, die er nicht leiden kann. So hat er auch wieder einige, die seine Lieblinge sind, diese zieht er bei allen Gelegenheiten vor und setzt sie über die ändern; er hat ein ganz besonderes Vertrauen zu ihnen.

GOTTLIEB. Wer sind sie denn?

CURIO. Dieser Reiter ist der vorzüglichste; wenn er manchmal stürzt, ist er imstande, darüber zu weinen.[329]

GOTTLIEB. Nun, der Kerl sieht hübsch genug aus, das ist wohl wahr, aber darum sollte ein alter Mann doch nicht so kindisch sein.


Der König tritt herein.


KÖNIG. Sieh da, mein lieber Herr Sohn, nehmen Sie meine Armee auch in Augenschein? –

GOTTLIEB. Ja, sie ist ziemlich hübsch.

KÖNIG. Ansehnliche Leute dienen darunter, lieber Herr Sohn, Leute, vor denen ich eine ordentliche Ehrfurcht habe.

GOTTLIEB. Wieso?

KÖNIG. Ei wieso? Wer kann gleich sagen, warum, aus welcher Ursache man Ehrfurcht vor jemand hat! Man hat gewöhnlich Ehrfurcht ohne alle Gründe, denn verstehn Sie mich, es wär' sonst gar nicht die wahre Ehrfurcht mehr.

GOTTLIEB. Aber es ist denn doch eigentlich nur ein Kinderspiel mit dieser Armee da.

KÖNIG. Wie man's nimmt, Herr Sohn. Jedes Spiel ist eigentlich ein Kinderspiel, und was treiben wir denn wohl ernsthaft?

GOTTLIEB zu Leander. Es ist schade um den schönen Verstand, den er sonst wohl hatte; jetzt spricht er nichts als wunderliches Zeug.

LEANDER. Der Verstand wird bei dem Menschen mit den Jahren immer dünner, bis er endlich gar abreißt.

GOTTLIEB. Nun, bei mir soll er nicht abreißen, dafür steh' ich Ihm.

KÖNIG. Wenn ich für die Armee hier ernsthaft sorge, so ist es kein Spiel mehr, denn so denk' ich mir mehr hinzu, als man bei einem Spiele zu tun pflegt.

GOTTLIEB. Schon gut, schon gut, wertgeschätzter Herr Vater.

KÖNIG. Denn es kommt alles darauf an, wie ich es nehme.

GOTTLIEB. Ja, ja, adieu; man kann auch des Guten zuviel tun. – Ab.

KÖNIG. Und jetzt zur Sache. Ist das Avancement so besorgt durch die ganze Armee, wie ich es befohlen hatte?

CURIO. Ja, gnädiger Herr.

KÖNIG. Ich hoffe, der Reiter ist der Oberste geworden.

CURIO. Nicht anders, es steht ihm jetzt keiner mehr im Wege.

KÖNIG. Seht ihr, Leute, so werden doch endlich alle Kabalen zuschanden gemacht, das Verdienst steigt, wenn auch noch so spät, es muß nur die Geduld nicht verlieren.

LEANDER. Darum bin ich auch so geduldig.

KÖNIG. Schon recht, Herr Hofgelehrter, es ist auch immer das beste, was Er tun kann, geduldig zu bleiben.[330]

CURIO. Die Geduld ist freilich eine sehr gute Tugend.

KÖNIG.

So hab' ich endlich denn das wahre Glück,

Nach dein ich lange suchte, aufgefunden!

Vom Staat entfernt, regier' ich diesen Staat,

Der etwas doch, wenn gleich nur bleiern, ist,

Doch jener wirkliche ist nur ein Unding,

Ein Wesen, das sich Fürst und Untertan

Nur denken, jeder sucht, und keiner findet,

Ein Spiel wie Blindekuh, wo jeder wirken

Und nutzen oder sich bereichern will;

Der eine hascht mit zugebundnen Augen

Und tappt umher und meint dann, er regiert,

Die andern haben zwar die Augen offen,

Doch sehn sie nichts, als daß der eine blind sei,

Und damit glauben sie, schon viel zu sehn. –

Von diesen hier ist keiner undankbar,

Wenn ich ihn mehr als alle andern liebe.

Von diesen hält sich keiner für verständ'ger

Als der, der ihn regieret und belohnt.

Verleumdung, Haß, Verfolgungen sind fremd

Der bleiernen Natur, der bunten Welt,

Die in sich selber abgeschlossen ist,

Die stille Einsamkeit so licht wie ich.

LEANDER. Mein König!

KÖNIG. Ich vergaß mich selbst. – Ja, es ist wirklich schlimm, daß ich jetzt niemals meine Gedanken bemeistern kann; das Alter hat meinem Geiste übel mitgespielt, alle meine Seelenfähigkeiten sind vom Roste angefressen. Nun, man kann nicht immer jung bleiben.

LEANDER. Nach allen bisherigen Beobachtungen scheint es unmöglich zu sein.

KÖNIG. Was waren das für goldene Tage, Hofgelehrter, als wir uns noch so gelehrt miteinander besprachen?

LEANDER. Jawohl, Ihre Majestät, es war eine sehr gute Zeit.

KÖNIG. Als Er so mit den Zahlen und Planeten – ja, jetzt bin ich für solche ernsthafte Kost zu schwach. – Ich habe leider den Wissenschaften ganz entsagen müssen.

CURIO. Das Vergnügen, mein König, ist auch ein Ding, das man wohl in Betrachtung ziehn darf.

KÖNIG.

Worüber ich mich billig wundern muß,

Ist, daß mir die Soldaten so gefallen,

An Farbe und an Wuchs und Schnitt der Kleider.

Gesicht, an allem wüßt ich nichts zu tadeln;[331]

Ja, selbst daß sie aus Blei gegossen sind,

Dünkt besser mir, als wenn sie wirklich wären.

So macht es immer unsre Phantasie,

Sind wir zufrieden, scheint uns alles gut,

Doch mißvergnügt ist uns das Recht nicht recht.

Der Schein ist alles, was wir von den Dingen

Begreifen können, darum könnt' ich sagen,

Dies Heer besteht aus wirklichen Soldaten,

Die wirklichen sind diesen nachgemachte.

Da mir nun die Figuren so gefallen,

So wie sie sind, und ich nichts anders wünsche,

So könnt' es sein, daß ich zufrieden wäre,

Wenn sie auch nicht in dieser Schönheit glänzten,

Die Phantasie würd' alle Fehler bessern;

Nicht wahr, Leander?

LEANDER.

Es könnte wohl sein, mein König.

KÖNIG.

Warum sind wir doch gegen Menschen anders

Gesinnt? Betrachten sie nicht als Figuren,

Zum Spaß erdacht, zum Scherze aufgestellt,

Und sind damit zufrieden, wie sie sind?

Doch da macht Neid und Haß uns gern zu Tadlern;

Wir selber Menschen werden Menschenfeinde

Und wissen nicht, was wir geändert wünschen.

LEANDER. Mein König, es greift Euch zu sehr an.

KÖNIG. Ihr müßt Geduld mit mir haben, meine Freunde, denn es läßt sich nun einmal nicht ändern, da es die kindische Schwäche meines Alters ist. – Nun wollen wir also die Generäle zusammenstellen und ein Schicksal machen.

CURIO. Ein Schicksal?

KÖNIG. Ja, ich zähle immer fünfzehn ab, und wen die Zahl fünfzehn trifft, bei dem bedeutet's, daß er tot ist, und sodann immer weiter.

LEANDER. Warum aber gerade fünfzehn, mein König?

KÖNIG. Das könntest du aber auch bei jeder andern Zahl fragen. – Zählt. Zwölf, dreizehn, vierzehn, fünfzehn – hier, dieser Husar ist tot; fahr fort, Leander.

LEANDER. Zwölf, dreizehn, vierzehn, fünfzehn – der Reiter –

KÖNIG.

O weh! Der schönste Mann geht zur Vernichtung!

Ach ja! Das Schicksal kehrt sich nicht an Kronen,

An Schönheit, Reichtum, an Talenten nicht!

Die unerbittlich blinde Hand, gelenkt

Von einem dunklen rätselhaften Willen,

Greift unversehns hinein und führt die Beute[332]

Zum Orkus, ohne sie nur zu betrachten.

Wenn wir die Fünfzehn, die geheime Regel

Der Mächte doch erforschen könnten, die

Wir nur die himmlischen zu nennen pflegen,

Weil himmlisch uns das Unbekannte ausdrückt!

Und Regel muß doch sein, sonst wär' es Zufall;

Zufall zu glauben ist der höchste Wahnsinn,

Und Wahnsinn streitet gegen die Vernunft.

LEANDER. Mein König – –

KÖNIG. Ich weiß nicht, ich habe heut einen sehr schlimmen Tag. – Fahrt fort zu zählen und spielt das Schicksal weiter, wir wollen sehn, wer zuletzt übrigbleibt.


Quelle:
Ludwig Tieck: Werke in einem Band. Hamburg 1967, S. 329-333.
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