Neunte Szene

[384] Der Jäger als Chor.


DER JÄGER.

Was soll ich für Entschuldigungen sagen?

Es hieße nur, die edle Zeit verderben,

Und dabei möchte mir es leicht gelingen,

Den edlen gut gesinnten Hörern wohl

Von neuem einen Anstoß zu erregen.

Nein, besser jeder sorgt nur für sich selbst

In dieser argen Welt, es hat ein jeder

Genug an sich zu hüten. Wem es Gott

Einmal versagte, bieder und gesetzt

Den Kreis der edlen Herzen anzuziehn,

Sich nie zu übernehmen, mäßig stets

Zu bleiben, der erreicht's durch Arbeit nicht.

Ich sehe schon voraus, daß sich dies Stück

Wohl schwerlich bessern wird, es ist schon viel,

Wenn es nur nicht verschlimmert. Darum, Teure,

Wem es an Mut gebricht, hindurchzuschwimmen,

Wer all die feindlichen Geschosse fürchtet.

Der tut am besten, jetzt sich zu entfernen.

Ich liebe wen'ge Leser, aber tapfre,

So wie ein Feldherr selbst mit einer großen

Armee entmuteter Soldaten nichts beginnt

Und gern den Feigling laufen läßt, damit

Er nur die ändern nicht mit Furcht verderbe.

Drum reicht der Dichter hier durch mich die Hand,

Ich soll sie allen Biedermännern drücken,

Die sich entfernen wollen, denn er bleibt

Von jedermann gut Freund. – Doch von was anderm!

Er hat mir außerdem auch aufgetragen,

Euch, wie bisher geschehn, mit einem Liede

Ein Spiel zu machen, gönnt mir drum Gehör. –


Singt.


Aus den Wolken kommt Gesang,

Dringt aus tiefem Wald hervor,

Ist der Vögel Wechselchor,

Tönet nach der Bergeshang. –

Jeden Frühling singt es wieder –

Was verkünden ihre Lieder?


Sagt, was will der Kuckuck sagen,

Daß er durch die Schatten schreit[385]

Und in schönen Sommertagen

Sein so simples Lied erneut?

Daß er mit Prophetenschnabel

Unsre Jahre zählt, ist Fabel.


Nacht'gall, ringst mit süßen Tönen

An dem baumbewachsnen Bach,

Seufzend horchen alle Schönen,

Echo spricht dir klagend nach,

Grüner pranget jede Pflanze

Wie umflossen von dem Glanze.


Aber wenn nun einer käme,

Träte höflich vor dich hin,

Daß er dich zwar gern vernähme,

Aber möchtest dich bemühn,

Was du singend wollst beginnen,

Ihm in Prosa zu versinnen.


Wollt' Nachtigall auch höflich sein,

Ihm Antwort antzuworten,

Kam' wieder in den Gesang hinein

In Noten von allen Sorten

Und blitzerte mit süßer Gewalt

Das Lied durch den dunkelgrünen Wald.


So Erd' und Himmel mit Farbengepräng',

Was wollen sie wohl bedeuten?

Das bunte Gewimmel von Tongemeng',

Was spricht's zu vernünftigen Leuten?

Ist alles nur leider sein' selbst willen da,

Kräht nach unserm Sinne weder Hund noch Hahn,


Vielleicht habt ihr bemerkt, daß in dem Stücke

Zu eurer Lust der Satan selbst erscheint: –

Er ist euch zwar nicht neu, so gern der Dichter

Und selber er es möchte, sondern leider

Nur Alltagsspeise, denn es gibt fast nirgends

Ein'n Helden mehr, der, wenn auch nicht geholt

Von diesem Mann, doch wenigstens mit ihm

Geschäfte macht. Wie wird man nur allein

Mit Teufelei von Petersburg versorgt!

Der Mann, der dorten klingt und lärmt und schellt,[386]

Tritt ohne ihn in keinem Buche auf, –

Doch leider hat er nicht das Monopol,

Denn heuer wird kein Satz aus der Moral

Mehr ohne Teufel illustriert, und so

Muß dieser böse Schelm selbst Buße pred'gen.

Er ist ein dürres, unbrauchbares Feld,

Zum Menschheitswohlfahrtsfördrer umg'arbeitet,

Was eben ihn am allertiefsten kränkt.

Wenn sich ein Faß nicht will zum Ziele legen,

So pflegt der Künstler wohl im Zorn zu sagen,

Vergebens hämmernd: »Ei! Da sitzt der Teufel drin!«

So pflegt man jetzt Poeten zu empfehlen:

»Wenn dieses Buch nichts taugt, – so ist der Teufel drin!«

Drum laßt um willen eures alten Freundes

Euch auch dies wilde Spiel empfohlen sein!


Geht ab.


Quelle:
Ludwig Tieck: Werke in einem Band. Hamburg 1967, S. 384-387.
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