Dritte Szene

[395] Palast.


Curio und Selinus, die in einem Winkel sitzen und herzlich weinen.


CURIO. Ach, ach, du großes Leiden!

SELINUS. Unglück – unaussprechliches Unglück!

CURIO. Wer wird uns trösten können?

SELINUS. Niemand auf der Welt! Ach! Ach!

CURIO. Schluchzen Sie nicht so sehr; es greift gewaltig an.

SELINUS. Man muß sich nicht ansehen, wenn man zum Besten des ganzen Landes arbeitet. Ach! Ach! Ach!

CURIO. Ach, ach, ach! – Ich merke, mein Bester, daß Sie gern Kammerherr werden wollen, aber das geschieht jetzt doch nicht.

SELINUS. Sie werden mir doch nimmermehr im Wege stehn!

CURIO. Man kann nicht wissen. Hahaha!

SELINUS. Sie lachen bei der allgemeinen Landtrauer? – O warten Sie, nun bin ich meiner Sache gewiß.

CURIO. Ich habe nicht gelacht, es war eine gewisse konvulsivische Erschütterung des Zwerchfells, welche die übermäßigen Schmerzen verursacht haben.

SELINUS. Das glaubt ein Narr. – Ach, ach, ach, ach!

CURIO. Was ächzen Sie denn so übermäßig. – Aha! Der König kommt! – Ach! Uhe! Ach! Jha! Uhe!

BEIDE. Oh! Aha! Uhe! Ach ah! Ach aah! – Ich kann nicht mehr.


Gottlieb, die Königin, Gefolge, unter diesem Hanswurst, der alte König, Leander treten auf.


GOTTLIEB. Gebt euch ein wenig zur Ruhe, ihr guten Kinder,[395] ich habe auch meine väterlichen Tränen, das wißt Ihr alle, vergossen, aber man muß in jeglichem Dinge maßhalten.

HANSWURST. Aber auch im Maßhalten, mein gnädigster König; sie und wir alle tun nichts, als was die Pflicht von jedem redlichen Untertan fordert.

GOTTLIEB. Ja, ich glaube wohl, daß jetzt in meinem Lande was Ansehnliches geweint wird.

HANSWURST. Alle Arbeit liegt, die Gewerbe feiern, jedermann denkt nur darauf, wie er am bequemsten seinem Schmerze nachhängen will.

GOTTLIEB. Wir wollen doch so gleichsam eine Denkmünze oder Medaille schlagen lassen, worauf das alles abgebildet ist.

HANSWURST. Herr Leander hat für diesen Fall gewiß Güte, eine passende Zeichnung und Inschrift zu erfinden.

LEANDER. Wenn die Schmerzen mein Genie nicht gänzlich unterdrücken.

GOTTLIEB. Es wurden doch alle Tage die Glocken richtig geläutet?

HANSWURST. O ja, mein König, es geschieht regelmäßig, zur allgemeinen Erbauung.

SELINUS. Ihro Majestät, es gibt aber dennoch Leute, sogar am Hofe, die sich unterfangen, in ein ausgelassenes Gelächter auszubreiten.

GOTTLIEB. Ei der Teufel! Dergleichen ist ja streng verboten.

CURIO. Mein gnädigster König, es gefällt dem Herrn Selinus, eine Unwahrheit zu sagen, weil er sich auf die Kammerherrnwürde Rechnung machte. Ich bin gewiß trotzdem über die Abreise des Prinzen im höchsten Jammer, da saß ich soeben von den tiefsten Schmerzen befangen und wußte mich nicht mehr zu lassen, und da mochte mein ungemeines Schluchzen leicht einem Manne, der kein echter Kenner vom Weinen ist, wie ein Lachen vorkommen.

SELINUS. Ich kein Kenner von Weinen? – Ungemein schluchzend und weinend. Nun überlasse ich es den eigenen hohen Einsichten meiner Majestät, meine Talente gehörig zu würdigen.

GOTTLIEB. Es war gut, Curio, was hast du gegen sein Weinen? – Er, mein Bester, ist nunmehr Kammerherr. –

CURIO. Mein König, jetzt eben zieht er mir ein Gesicht.

GOTTLIEB. Schweig, ich will nichts weiter wissen.

CURIO. Geruhen Dieselben nur gütigst, mich ebenfalls weinen zu hören.

GOTTLIEB. Ich habe jetzt mehr zu tun; ich muß an die Hoftrauer[396] denken und die Livreen meiner Bedienten arrangieren. Ab mit Gefolge.

CURIO. Nun, Herr Kammerherr, viel Glück zum neuen Amt.

SELINUS. Mein Allerbester, – Sie verzeihen, daß ich mich nicht gerade auf Ihren wertesten Namen besinnen kann, – ach Gott, man hat so gar viel zu denken! Mein Gedächtnis läuft mir oft von den vielen Merkwürdigkeiten über, die ich aufbehalten möchte, und darunter gehört auch diesmal Ihr Name; – aber Sie haben nur über Ihren ergebensten Diener zu gebieten; worin ich Ihnen irgend nützlich sein kann, befehlen Sie dreist, und Sie werden sehn, wie bereitwillig ich bin, alle Ihre Wünsche zu erfüllen. Geht ab.

CURIO. So geht es am Hofe, das ist das Schicksal aller Menschen, die ihr Leben dem Fürsten aufopfern! – O Undankbarkeit!

ALTER KÖNIG. Gib dich zufrieden, denn wenn du dich darüber ärgerst, so hat gerade dein Kamerad Selinus seinen höchsten Endzweck erreicht.

HANSWURST. Tröstet Euch; wer weiß, wo und in welcher Gegend für Euch noch ein schönes Glück verborgen liegt.

CURIO. Wenn Ihro Majestät, unser gnädigster Gottlieb, zuweilen mit unsereinem spricht, so glaubt man oft, das größte Glück könnte einem gar nicht entgehn, – und nachher ist es doch immer nichts.

HANSWURST. Das ist ein neuer Stil, der bei Hofe eingeführt ist, worein sich jeder Unterteil billigerweise finden muß.

ALTER KÖNIG. Ja, das ist wahr, zu meinen Zeiten war hier eine andre Lebensweise, aber mein Schwiegersohn hat das alles abgeändert. Ich habe allen Einfluß auf meinen Sohn verloren: Doch scheint es mir wahr, daß man sich jetzt zu eifrig in der ganzen Welt einer gewissen Humanität befleißigt, die am Ende wieder sehr inhuman ist; die Mode beherrscht auch Höfe und Regenten, und darum prophezeie ich, daß diese bei Gelegenheit wieder wechseln wird.

CURIO. Mag es kommen, wie es will, wenn ich nur auch bald eine gute Versorgung erhalte!

ALTER KÖNIG. Tausend andre Dinge gehn mir außerdem noch im Kopfe herum, so daß ich mich oft nicht zu lassen weiß.

HANSWURST. Was fehlt Ihnen, beste Majestät?

ALTER KÖNIG. Ihr habt doch ohne Zweifel auch von den sogenannten Idealen gehört, von denen in der Welt schon so vielfach die Rede gewesen ist –

HANSWURST. Allerdings.[397]

ALTER KÖNIG. Ich habe jetzt ein Ideal im Kopfe, das mich weder bei Tage noch in der Nacht ruhig schlafen läßt und das mich vor der Zeit in die Erde bringen wird, wenn nicht baldmöglichst dagegen etwas getan wird.

CURIO. Ei, um Himmels willen!

ALTER KÖNIG. Ja, ja, so wie jeder Mensch sein Ideal im Kopfe hat, der eine, um zu heiraten, der andre, um ein Buch zu schreiben, der dritte, um ein Gemälde zu machen, so trage ich auch das meinige mit mir herum.

HANSWURST. Reden Sie, beschreiben Sie es, mein würdigster König.

ALTER KÖNIG. Nun ja, gleich. Du, Curio, kennst die beiden Personen, Maximilian und Sebastian?

CURIO. O ja, Ihre Majestät, ich habe sie oft genug aufstellen müssen; es sind die beiden würdigen Männer aus Blei.

ALTER KÖNIG. Richtig. Seit der Abreise des Prinzen liegt es mir unaufhörlich im Sinne, wie ich so gerne diesen Sebastian irgendeinmal lebendig und als einen ändern ordentlichen Menschen antreffen möchte.

CURIO. Das scheint mir ganz unmöglich.

HANSWURST. Warum unmöglich? Warum soll ein Künstler nicht aus seiner Imagination ein Bild dieses Herrn Sebastians haben machen können und zugleich ein Mann leben, der diesem Bilde entspricht? Es ist ja nichts weiter als eine gewisse Sympathie zwischen der Natur und dem Künstler, der ja auch ein Sohn seiner Mutter Natur ist und auch leicht seinen Bruder in Blei und Farben abkonterfeien kann, ohne ihn jemals gesehn zu haben; nun kommt der dritte Bruder, Ihro Königliche Majestät, hinzu und wünscht beide Exemplare miteinander vergleichen zu können, weil er ahnet, daß dieser Mann zugleich lebendig existieren müsse. Das finde ich alles ganz natürlich.

ALTER KÖNIG. O Hofrat, Ihr gebt mir Hoffnung und guten Rat und frisches Leben.

HANSWURST. Hat es sich nicht oftmals zugetragen, daß ein Dichter aus seiner Imagination eine Schilderung entwarf, die die übrigen Menschen als unpassend und übertrieben nicht wollten gelten lassen, und daß sich zwei-, dreihundert Jahre nachher ein Subjekt vorfand, das, ohne von diesem Dichter und seiner Schilderung etwas zu wissen, so genau in dieselbe hineinwuchs, daß sie wie gegossen auf ihn paßte? Das war sonst möglich und geschah, und darum wo en wir hoffen, daß wir auch jetzt in einem Zeitalter leben, in dem[398] sich dergleichen anscheinende Wunderwerke zutragen können.

ALTER KÖNIG. Nun bin ich getröstet und will also die Erfüllung meines Ideals erwarten, ohne über die Verzögerung zu murren. Komm, mein Freund! Sie gehn ab.


Quelle:
Ludwig Tieck: Werke in einem Band. Hamburg 1967, S. 395-399.
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