Dritte Szene

[424] Wald.

Dorus und Lila.


DORUS.

Wir stehn hier wieder an der alten Eiche,

Du schaust nun wieder durch den grünen Wald,

Und immer noch kehrt Cleon nicht zurück.

LILA.

Vom Berge schau' ich nur nach ihm,

Es fließt und klagt der klare Bach,

Ich sehe seinen Wellen nach,

Ich weine, wenn die Vögel ziehn.

Die Bäume blühn,

Die Rosen glühn

Und winterlicher nur mein Herz,

Vom Verlangen

Befangen,

Zerrissen von der Trennung Schmerz.

DORUS.

Er kehrt bald aus den Bergen wieder,

Von ihm erzählen des Baches Wogen,

Er kommt, von Wellen heimgezogen,

Der Frühling hat dich nicht betrogen,

Er streut dann seine Blüten nieder.

Und balde

Im Walde

Begegnet dein Fuß

Dem treuen Geliebten,

Dann eint die Betrübten

Ein himmlisch belohnend-entzückender Kuß.

LILA.

Und immer vergebens

Die Sehnsucht ihn ruft:

Ihr fernen Gestade,

O dunkele Kluft,

Ihr fesselt des Lebens

Alleinige Freud',

O bringet geschwinde[424]

Ihr gütigen Winde

Den Liebsten, den sehnenden Armen noch heut!

DORUS.

Vertraue der Zeit,

Sie bringet die Blüten,

Sie reifet die Trauben,

Drum fasse den Glauben,

Es wandeln die Stunden

Hinauf und hinunter.

Er kehret zurück,

Bald seid ihr verbunden,

O herrliches Glück!

LILA.

O Sonne mit deiner Morgenröte,

Mit deinem lieblichen Abendglanze,

Du Mond mit dem freundlichen Schimmer,

Ihr Sterne mit lieblichem Funkeln,

Gesellig entzündet

Euch alle zumal,

Ihr Wolken verschwindet,

Damit er ihn findet,

Den Weg durch das Tal.


O Nacht mit deinen düstern Schatten,

Du im Hohlweg lauernde Finsternis,

Irrlichterschein, verführend Feuer,

Regenschauer, durch den Himmel flatternd,

Entflieht!

Gestirnt und hell

Sei der Weg, den er zieht,

Mit Lichtern erblüht

Die Nacht um ihn schnell.


O ungetreuer Weg, der seinen Schritt

Nur stets nach ferner fremder Gegend lenkt,

Du nimmst mein Herz nach ändern Fluren mit,

Wie sich sein Fuß in ferne Täler senkt:

Ihr Blumen, die ihr freundlich nach ihm blicket,

Entgegen ihm mit bunten Sternen nicket,

Und den Geliebten fern von mir entzücket:

Oh, wie ich euch beneide,

Wie ich eifersüchtig bin,

Es wünscht mein tiefgestörter Sinn

Sich zur Freude,

Daß euch ein zürnender Sturm zerknicket.[425]

DORUS.

Mag wohl, daß er die schönsten pflücket.

Die blausten von dein Stengel bricht,

Gedenkend deiner Augen Licht,

Sich sinnend nach der Rose bücket,

Weil sie von deinen Lippen spricht.

Und alle dir zum Strauße flicht.

LILA.

Blumen, freundliche Kinder, vergebt mir,

Ihr zarten, flüchtigen Bilder der Liebe,

Die des Frühlings Finger

Zum Trost der Liebenden aus kalter Erde steckt

Und fein und lieblich mit bedeutungsvollem Schmuck bemalt:

O vergebt, und treibt ihn fort,

Richtet alle eure Fäden,

Alle roten, blauen Sterne

Wie die Zeiger auf der Uhr,

Wie die Nadel auf dem Kompaß

Sich nur nach dem Pole neigt,

Nur nach dieser Gegend her.

DORUS.

Nun kehre wieder mit mir nach der Hütte,

Die kurze Zeit wird auch vorübergehn,

Dann ist er ja auf immer, ewig dein.


Sie gehn – Helikanus tritt auf.


HELIKANUS.

Woher? – Wohin?

Zerstückter Sinn,

Was beginnst du?

Worauf sinnst du?

Wird das Glück sich niemals wenden?

Soll niemals dieses Leiden enden?

Wenn ich zum Himmel aufwärts schaue

Und mir begegnet der Sonnenschein,

Und ich mir selbst vertraue

Und hoffe, glücklich zu sein:

So streck' ich die Hände

Dem fernen, ewig fernen Glück entgegen,

Ich flehe, daß ein Gott es sende,

Ihn sende niedertauend den Segen:

Ich hoffe ihn auf wundervollen Wegen; –


Und immer wieder

Fliehen zum Boden die Augen nieder!

Mein Herz innerlich drängt,

Die Brust sich sehnsuchtsvoll verengt,

Es treibt mich weiter, weiter,[426]

Ich sehe um mich,

Ich zittre, ich wanke,

Wohin setz' ich den Schritt?

Ach, nirgends heiter! –


O Cleora, steige uns der Nacht,

Die sich stürmend um mein Herz herzieht,

Daß mit Zittern jeder Schein entflieht;

Kommt, ihr ersten Liebesgefühle in flammender Pracht,

Erinnerung alter Zeit, du voriger Stolz, erwacht!

Bringt mit euch all das Sehnen,

Die schweren, brennenden Tränen,

Die Verschmähung, das kalte Verhöhnen,

Du Leidenschaft, du Liebe, kommt und facht

Das vor'ge Feuer, daß es glüht

Und immer rascher, immer wilder

Sich drängen Bilder auf Bilder,

Die Verzweiflung mich endlich erfasse

Und dies mühselige Leben endigen lasse!

Wie rauscht durch den Wald

Der Herbstwind so kalt?

Von den rauschenden Blättern

Zur Erde zittern

Gedanken des Unglücks

Und Bilder von Leiden. –


Wie mich die Sehnsucht oft ergreift

Und mit mir durch das Land der dunkelsten Träume streift,

Wie ich mir wünsche, fern von den Leiden

Und Lebensfreuden

Zu schlafen, vom grünenden Hügel befangen,

Unbesucht von Wunsch und Verlangen,

Über mir wechselnd Gestirne und Mond,

Die Sonne aufsteigend und nieder,

Ich von ihren Strahlen verschont,

Taub für alle Frühlingslieder.


Wunderbar im Wechseln der Gestalten

Wirkte dann geschäftig die Natur,

Sich freuend, neu zu verwandeln die alten,

Mit ihrem Eigentume geizig hauszuhalten

Schmückte sie mit mir die grünende Flur.

Mein liebendes Herz erwüchse in Rosen[427]

Und triebe und ängstete sich nach dem Lichte.

Es spielten um ihn Sommerlüfte mit Kosen,

Es stünde ein neues Zeichen der Liebe,

Ein redendes Denkmal dem Gefallenen,

Ein lieblich Grabmal neuer Liebe,

Bei dem sie Eide schwüren und brächen.

Mein Blut ergösse sich in dunkelroten Blumen,

Alles Regen

Und treibende Bewegen

Drängte sich mit Ungestüm zur freien Luft hinaus,

In Pflanzen umgewandelt:

Nur sie, nur sie zu sehn, zu fühlen, zu vernehmen.

Sie ginge auch vielleicht vorüber

Und rührte mich mit zarter leiser Hand,

Verwundert über die schnelle Beweglichkeit der Blätter,

Die, ohne daß sie es wüßte,

Vor Freude erbebten und erstarrten. –

Und ich sollte dann von neuem

Die Verschmähung und den Hohn erdulden?

Wieder nur mein Unglück sehn

Und in Neid und Schmerzen vergehn?

Meine Blätter welkend um mich streuen

Und im Leben mein Leben nur bereuen?


Nein! Ich entfliehe,

Entziehe

Mich nimmermehr dir!

Von Zaubergewalten

Allkräftig gehalten,

Gehör' ich im Leben, im Tode nur dir!

Wie soll ich mich retten

Und flüchten von hier?

Es reißen mich Ketten

Zu dir, zu dir! –


Geht ab – Cleon tritt auf.


CLEON.

Auf und nieder steigen in mir die Gedanken,

Weiß mich nicht zu fassen,

Ich fühle mich zittern, die Schritte schwanken,

Von aller Kraft verlassen.

Ist es ein böser Geist, der mich durch die Irre treibt?

Immer noch bin ich auf der Reise,

Mein Ziel mir immer noch ferner gerückt.

Oft glaubt ich denselben Boden zu betreten,[428]

Die Sträuche und Gebüsche all' zu kennen,

Und dann fühl' ich mich wieder so fremd

So einsam. –


Oftmals durch den grünen Wahl

Eine liebe Stimme schallt,

Meinen Namen ruft es,

Ach, mich fällt so plötzlich dann

Übergroße Freude an;

Ist es die Geliebte?


Wieder glaub' ich, sie zu sehn,

Vor mir durch die Büsche gehn:

O mein Herz, wie treibt es!

Aber dann verrauscht im Wind

Das Gebilde so geschwind;

Müde steh' ich sinnend.


Wenn der Bach vom Felsen springt,

Mein' ich, daß es mir gelingt,

Und ich bin nicht säumig.

Stolz sieht mich der Felsen an,

Und ich schau' ihn wieder an

Eben auch nicht freundlich.


Blumen, die am Wege blühn,

Seh' ich ihren Namen ziehn,

Jeder Baum rauscht Lila;

Was habt ihr damit getan?

Bringt mich auf die rechte Bahn!

Keine Kunst ist Necken.


Aber alles macht mich irr,

Immer dummer vom Gewirr

Seh' ich kaum den Weg mehr:

Werd' ich aber vor ihr stehn,

Will ich um so klarer sehn

Oder gar erblinden.


Geht ab – der Waldbruder tritt auf.


WALDBRUDER.

Du eitles Streben menschlicher Gedanken,

Das sonst so gern den irren Busen füllte,

Wie bist du mir auf immer nun entflohn?[429]

O holde Einsamkeit,

O süßer Waldschatten,

Ihr grünen Wiesen, stillen Matten,

Bei euch nur wohnt die Herzensfreudigkeit.


Ihr kleinen Vögelein

Sollt immer meine Gespielen sein,

Ziehende Schmetterlinge,

Sind meiner Freundschaft nicht zu geringe.


Unbefangen

Zieht ihr des Himmels blaue Luft,

Der Blumen Duft

In euch mit sehnendem Verlangen.

Ihr baut euch euer kleines Haus,

Haucht in den Zweigen Gesänge aus,

Von Himmelsruhe rings umfangen.


Weit, weit

Liegst du Welt hinab,

Ein fernes Grab

O holde Einsamkeit!

O süße Herzensfreudigkeit.


Kommt, ihr Beengten,

Herzbedrängten,

Entfliehet, entreißt euch der Qual,

Es biet't die gute Natur,

Der freundliche Himmel

Den hohen gewölbten Saal,

Mit Wolken gedeckt, die grüne Flur:

Entflieht dem Getümmel!


O holde Einsamkeit!

O süße Freudigkeit!


Geht ab – Cleon kommt zurück.


CLEON.

Sind denn die Haine,

Alle die Eichen

Mit den Gesträuchen

Nur mich zu irren,

Mehr zu verwirren

Geboren allhie?[430]

Müdere Beine

Gab es noch nie.


Nirgends noch Spuren

Von einem Wege,

Nirgends von Fluren,

Nur dichter Gehege

Von Bäumen und Sträuchen

Und dunkelen Eichen.


Wo find' ich nur heute

Vernünftige Leute?

Der Tag wird verschwinden

Und keiner mich finden!


Der Waldbruder kommt.


WALDBRUDER.

O süße Einsamkeit!

CLEON.

Ist das nächste Dorf noch weit?

WALDBRUDER.

Du holde Freudigkeit!

CLEON.

Wo find' ich nur heut

Vernünftige Leut'?

WALDBRUDER.

Was sucht Ihr doch mit wildem Treiben,

Niemals erhascht Ihr so das Glück:

Es liebt den stillen heitern Blick.

CLEON.

Weist mir den Weg aus dem Walde zurück.

WALDBRUDER.

Drum müßt Ihr in dem Walde bleiben.

CLEON.

Mir schwanken die Sinnen; –

Ich muß von hinnen,

Es warten ja mein

Die Freunde daheim.

WALDBRUDER.

Die kleinen Vögelein,

Sie sollen deine Freunde sein.


Helikanus tritt auf.


HELIKANUS.

O schwere sorgenvolle Brust,

Hegst du noch stets die eitle Lust,

Die leeren Tage fortzuspinnen,

Stets zu verlieren, nie zu gewinnen?

CLEON.

Könnt Ihr mich aus dem Walde bringen?

WALDBRUDER.

Die bunten Gesellen singen

In den Zweigen so Tag wie Nacht.

HELIKANUS.

Was hat Euch denn hierhergebracht?

CLEON.

Ein schlimmer Stern schien über die Hügel

Und lockte von friedlicher Heimat mich fort,

Mich lenkte das Unglück mit ehernem Zügel,[431]

Ich eilte vergebens von Ort zu Ort,

Von Hügel zu Hügel.


Derweilen sehnt sich die Liebste daheim,

Zurück zieht zur Liebsten mich Sehnen.

Ich finde keinen Weg, weder groß noch klein,

Das Schicksal achtet nicht Bitten, nicht Tränen,

Nicht die Liebste daheim.

HELIKANUS.

O eitle Liebeslust!

O wahnerfüllte Brust!

CLEON.

Könnt Ihr mich ohne Singen

Aus diesem Walde bringen?

HELIKANUS.

Wer das Leben höher achtet

Als ein ruhmbekränztes Grab,

Ist im Tode schon verschmachtet,

Er ist selbst sein eignes Grab.

WALDBRUDER.

O süße Einsamkeit!

O edle Waldherrlichkeit!

CLEON.

Mich gereut

Nur die Zeit,

Die ich verschwende,

Ohne Ende

Ihr Gesang;

Mir wird bang.

Lieber gehn

Tagelang,

Nächtelang,

Als hier stehn

Im Gesang.


Alle gehn ab.

Ein Chor von wandernden Handwerksgesellen tritt auf.


CHOR.

Die Welt ist groß und breit,

Und doch lebt sich's so enge darinne,

Doch trifft es fast keiner nach seinem Sinne,

Denn allewege wohnt Haß und Neid:

Doch bleibt mir mein Schätzlein getreu,

So fühl' ich mich frank und frei.


Ach, wie wird man geplagt und geschoren,

Heute so und morgen wieder so,

Man wird seines Lebens nicht froh

Und ist nur zur Plage geboren:

Doch bleibt mir mein Schätzlein getreu,

So fühl' ich mich frank und frei.
[432]

Doch weiß es nie recht wohinaus,

Heut ist es so und morgen wieder so,

Bald will es weinen, und bald ist es froh;

Einmal geht's aus, dann bleibt es zu Haus,

Bald ist's gebildet, und bald ist es roh: –

Doch bleibt mir mein Schätzlein getreu,

So fühl' ich mich frank und frei.


Jeremias tritt auf.


JEREMIAS. Hier find' ich ja unverhofft recht lustige Gesellschaft.

GESELLEN. Was soll man in der Not anders tun, als lustig sein?

JEREMIAS. So seid ihr also in Not, meine werten Herren?

GESELLEN. Was sonst? Der Himmel weiß, wie es mit uns noch werden soll.

JEREMIAS. Wenn ich fragen darf, wer oder was ist denn euer Schätzlein, dessen Lob ihr so laut heraussingt?

ERSTER GESELL. Ach, das ist ein wetterwendisches Ding, ein launenhaftiges Wesen, das nimmermehr weiß, was es will, und zum Überfluß ziemlich publique ist.

JEREMIAS. Ei, wie das?

ERSTER GESELL. Es ist keinem recht getreu, bald liebt es diesen, bald zieht es jenen vor, bald verlangt es wieder nach einem andern.

JEREMIAS. Und ihr alle seid in eine und dieselbige Kreatur verliebt?

ERSTER GESELL. Natürlich, denn mit einem Wort, unser Schatz ist das sogenannte Publikum.

JEREMIAS. Ei, der Tausend! Doch, mit Erlaubnis, daß ich weiterfrage, mit wem hab' ich eigentlich die Ehre, mich gegenwärtig zu unterhalten?

ERSTER GESELL. Wir sind dermalen auf der Wanderschaft, sonst aber unserm eigentlichen Charakter nach große Männer; was man so allgemein große Männer nennt.

JEREMIAS. Ich verstehe vollkommen, was Sie meinen; die Zeit, die Mode bringt es einmal so mit sich, daß man auch diese Schwachheit mitmacht. Indessen wird doch auch zuweilen aus großen Männern noch was Rechtliches, wenn sie sich nur erst die wilden Hörner des Genies abgestoßen haben, wie man im Sprichwort zu sagen pflegt. – Darf ich mir nicht die Namen von den Wertgeschätzten allerseits ausbitten? Ich pflege mir gerne alles Merkwürdige, das mir aufstößt, zu notieren und habe das schon von meinem dritten Jahr an so gehalten.[433]

ERSTER GESELL. Sind Sie auch vielleicht von der Bande?

JEREMIAS. Habe nicht die Ehre, aber ein überschwenglicher Dilettant von allem Großen und Schönen. Wenn ich so gleichsam einen neuen Fortschritt der Menschheit gewahr werde, so läuft mir vor Freude das Wasser im Munde zusammen, und nicht selten überfällt mich's so, daß ich mich genötigt sehe, einen Strom von Freudentränen zu vergießen.

ERSTER GESELL. Und auch mich drängt's, dich, biedere Seele, in mein deutsches Herz zu schließen. O du guter deutscher Boden, welche Tatkraft, welche edle Mannigfaltigkeit bringst du doch immer noch hervor!

JEREMIAS. O mein Bester, die Güte Gottes läßt sich durchaus keine Grenzen vorschreiben. Aber Ihr Name?

ERSTER GESELL. Ihnen zu dienen mit dem edlen altdeutschen Namen Veit, meinem Gewerbe nach ein Weber. Aber ach mein neustes Schicksal ist – nackt und bloß!

JEREMIAS. Ach, wie Sie mich dauern! Aber ich habe geglaubt, daß Sie sich sehr gut ständen, ich meinte immer, es könne Ihnen nicht fehlen, einen Humpen nach dem ändern auszuleeren.

ERSTER GESELL. Das sind, mein Bester, Sagen der Vorzeit. Alles ist vergänglich, jener dort hat mir den meisten Schaden getan.

WEITER GESELL. Ja, er soll wahrlich an den Spieß sein lebelang denken. Ich komme in aller Unschuld daher und treffe mein allerliebstes Publikum in seine Narrheiten vernarrt; mein Ehrenwerter, wenn ich den guten Geschmack retten wollte, mußte ich mich keine Unkosten und keine Mühe verdrießen lassen; Millionen Gespenster und Hexen, Luft- und Wassergeister habe ich dahinterherschicken müssen, um nur seine Humpen und Turniere und altdeutsche Blitz-Wurzel-Wörter nebst ihren etymologischen Erklärungen zu verdrängen.

JEREMIAS. Ich glaube Ihnen, denn auf einen groben Klotz gehört in der Tat ein grober Keil.

ZWEITER GESELL. Nicht wahr? Es ist mir denn auch mit Gottes Hilfe so ziemlich gelungen. Ja, wo nichts helfen will, da muß der Spieß dreinschlagen. Aber, apropos, wollen Sie sich vielleicht bei mir vermieten? Ich brauche jetzt gerade einen Kettenträger.

JEREMIAS. Ich. bedaure, daß ich nicht so glücklich sein kann, denn ich bin schon in Diensten bei einem andern würdigen Herrn.

ZWEITER GESELL. Könnten sonst auch ein Elementsregent werden, ich brauche auch dazu ein Modell. Wenn ich mich recht[434] besinne, so gemahnen Sie mich fast wie das Petermännchen, dazu müßten Sie sich unvergleichlich schicken.

DRITTER GESELL. Kommen Sie zu mir, Bester, bin ein brav Kerl, werden bei mir in einem krautkräftigen Dialog geschrieben, sollen wohl gar der kluge Alte werden, wenn's Glück will, oder können mir auch als Jägermädchen oder Harfnermädchen dienen, müssen aber dazu eine extra edle Seele im Leibe spüren.

JEREMIAS. Wie gesagt, ich bin schon anderweitig versorgt. Sonst, wer ist der Herr eigentlich?

DRITTER GESELL. Ein Hauptdeutscher, ein Originalschriftsteller, ein Teufelskerl, bin ungemein im Gemeinen, so kräftiglich im Darstellen, daß nur die Stücke so davonfliegen, daß die Nerven krachen –

ERSTER GESELL. Nun sehn Sie, Herr unbekannter Dilettant, dergleichen Leute haben mir beim deutschen Publikum im Lichte gestanden.

JEREMIAS. Mit wem hab' ich denn hier die Ehre zu sprechen?

VIERTER GESELL. Mit einem Schalke.

JEREMIAS. Der Profession nach ein Schalk?

VIERTER GESELL. Allerdings.

JEREMIAS. Ei, da muß man sich ja wohl vor Ihnen in acht nehmen?

VIERTER GESELL. Es kann nicht schaden, denn ich habe mich sehr auf die Satire gelegt.

JEREMIAS. Aus was für Gründen?

VIERTER GESELL. Aus zwei hauptsächlichen: Erstens, weil in allen Lehrbüchern und auch anderswo die Klage geführt wird, daß die Deutschen die Satire noch am wenigsten angebaut hätten.

JEREMIAS. Die Satire wächst vielleicht am liebsten wild und hat sich unvermerkt die Deutschen angebaut.

VIERTER GESELL. Lassen Sie mich weiterreden, und zweitens reimt sich mein Name gar herrlich auf Schalk; und wer wollte nicht gern schalkhaft sein!

JEREMIAS. Ei, so seh' ich ja also körperlich den Mann vor mir, in dem sich nach einer Weiland- Tradition acht oder neun feine und erhabene Geister verkörpert haben sollen.

VIERTER GESELL. Aufzuwarten.

JEREMIAS. Welche lateinischen, griechischen und englischen Autoren waren es doch gleich, die sich samt und sonders in Ihnen verkörpert haben?

VIERTER GESELL. Ich weiß es so eigentlich selbst nicht, denn da[435] ich sie innerlich besitze, kümmern sie mich äußerlich nicht sonderlich.

JEREMIAS. Sie wurden ein wenig eilig so durch die Bank aufgehascht, daß Sie sich gewiß selber verwundert haben. Spüren Sie aber von diesen heterogenen Geistern nicht einige Beklemmungen?

VIERTER GESELL. So wenig, als ob ich keinen einzigen in mir hätte. Seit ich mein Privilegium habe, treibe ich mit der größten Gelassenheit meinen Witz vor mir her.

JEREMIAS. Und Sie werden nie von ihm getrieben?

VIERTER GESELL. O nein, ich besitze mich.

JEREMIAS. Wie reich! Wie edle Gesinnung!

VIERTER GESELL. Haben Sie nicht vielleicht etwas geschrieben, das ich nachahmen könnte? Es fehlt mir an Stoff zu meinem künftigen Taschenbuche.

JEREMIAS. Ach nein, ich schreibe gar nichts außer den Rechnungen für meinen Herrn.

VIERTER GESELL. Teilen Sie mir diese immer gefälligst mit, vielleicht daß ich doch auch meine Rechnung dabei finde; Sie glauben gar nicht, wie herrlichen Stoff ich oft in Büchern erfinde, auf die kein andrer kommen würde. Vielleicht schildre ich, wenn Sie ein paar Wochen mit mir umgehn wollten, das Leben eines Bedienten recht nach der Natur.

JEREMIAS. Ein andermal. – Sie arbeiten jetzt den Swift um?

VIERTER GESELL. Ja, er ist schon angekündigt und also im Netz.

JEREMIAS. Sein Sie nur dabei nicht zu sehr swift.

VIERTER GESELL. Sorgen Sie nicht, man könnte ihn vielleicht kaum wiederkennen. Unter uns, er wehrt sich manchmal mit allen vieren und hantiert, daß es zum Erbarmen ist; aber ich denke, wir wollen ihn schon mit einem guten Lexikon zwingen.

JEREMIAS. Lesen Sie den Shakespeare?

VIERTER GESELL. Zuweilen.

JEREMIAS.

Im ANTONIUS steht eine schöne Stelle:

Sometime we see a cloud that's dragonish,

A vapour sometime like a bear or lion,

A tower'd citadel, a pendant rock,

A forked mountain, or blue promontory

With trees upon't, that nod unto the world

And mock our eyes with air. – – – –

That which is now a horse, even with a thought

The rack dislimns, and makes it indistinct

As water is in water.[436]

VIERTER GESELL. Eine schöne Stelle.

JEREMIAS. Ich will sie Ihnen jetzt etwas frei übersetzen, denn ich weiß, daß Sie die freien Übersetzungen lieben.

»Oft sehn wir weiß Papier, nennt sich satirisch,

Ist Luftgestalt, doch tut's wie Löw' und Bär,

Heißt Helden, Menschen, heil'ge Gräber, und

Die leere Luftgestalt erscheint der Welt

Und gibt vor Lesern sich ein Air. –

Die Taschenbücher mit den Pferden vorn,

Bald werden sie ohn' Spur auf immer schwinden:

Sei auf Autorität nicht gar zu keck ein Prasser,

Wie Land scheint manches dir und ist nur Wasser in Wasser.«

VIERTER GESELL. Sehr unfreundschaftlich gedacht und überaus verwegen.

JEREMIAS. Meine Herren, ich rate Ihnen allerseits, sich nach der Mühle dorthin zu verfügen; ich zweifle gar nicht, daß Sie dort ein gutes Unterkommen finden werden.

ALLE. Wir müssen's versuchen.


Singend.


Bleibt mir mein Schätzlein getreu,

So fühl' ich mich frank und frei.


Sie wandern weiter.


Quelle:
Ludwig Tieck: Werke in einem Band. Hamburg 1967, S. 424-437.
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