Erste Szene


[177] Saal auf dem Schlosse Wallenrod.

Ritter Heymon von Wallenrod, sein Bruder Ritter Konrad, ihr Vetter Martin von Felsberg und andere Ritter.


HEYMON. Sind wir nun alle versammelt?

MARTIN. Es fehlt niemand.[177]

HEYMON. So sage ich denn noch einmal öffentlich, wie ich es schon jedem besonders gesagt habe: Krieg! Fehde! – Wer ist der Peter Berner, daß er unsere Gebiete brandschatzen darf? Sollten wir immer in Furcht und Sorgen leben vor einem solchen Nichtswürdigen?

KONRAD. Vor einem Kerl, der nicht lesen, nicht beten kann? Vor einem Kerl, der einen blauen Bart hat? Vor einem, den Gott auf eine wunderbare Weise gezeichnet hat?

MARTIN. Wie sagt Ihr? Er hätte einen blauen Bart?

KONRAD. Freilich, und der sitzt ihm an einem verhenkerten Gesicht, an einem wahren Galgengesicht.

MARTIN. Ordentlich blau? Was man so blau nennt?

HEYMON. Ihr wundert Euch mit Recht, Vetter, und mein Bruder da hat ihn ganz richtig beschrieben. Er ist ein wilder, unumgänglicher Mensch und sieht aus wie der Satan.

KONRAD. Wie ihn Euch mein Bruder da eben ganz recht beschreibt, wie der leibhaftige Satan.

MARTIN. Gottes Werke sind doch wunderbar! – Hab' ich mein Lebtage von einem blauen Barte gehört?

KONRAD. Aber Bruder, ehe wir unsern Zug unternehmen, sollten wir doch noch unsern Ratgeber fragen.

MARTIN. Wer ist das?

HEYMON. Ein alter Mann und ganz weitläufiger Verwandter, er ist schon wie gesagt etwas stumpf und bei Jahren, und da hat er sich aufs Ratgeben gelegt. Aber er gibt Euch trefflichen Rat, das versichere ich Euch.

KONRAD. Er hat schon manchen wackern Rat gegeben, von dem es wohl gut gewesen wäre, wenn man ihn befolgt hätte.

HEYMON. Da kommt er eben her.


Der Ratgeber kommt herein.


HEYMON. Nun, setzt Euch, setzt Euch! – Jetzt also, meine versammelten Freunde, sind wir in der Absicht zusammengekommen, ein vernünftiges Wort miteinander zu reden! – Es klopft. Wer klopft denn da? – Nur herein.


Klaus, der Narr, tritt auf, er ist klein und ungestaltet, bucklig und hinkt auf einem Beine, geht sehr behende an einer Krücke.


KONRAD. Ah! Es ist unser Narr!

MARTIN. Ihr habt ja eine recht vollständige Haushaltung.

KONRAD. Gottlob! Wir lassen uns nichts abgehn. Ein kleiner Mann, der Narr, wie Ihr ihn da vor Euch seht, aber einen vortrefflichen, dauerhaften Witz hat er an sich. Man kann[178] einen ganzen Abend über ihn lachen, wenn er auch kein Wort spricht. – Aber sonst ein gutes Gemüt.

KLAUS. Ist es erlaubt, ihr Herren, daß ein Narr in eine vernünftige Ratsversammlung kommt?

HEYMON. Wenn du dich ruhig verhalten willst.

KONRAD. Du lieber Gott! Er ist ein Narr, man muß ihm doch auch ein kleines, unschuldiges Vergnügen gönnen. – Setz dich, Narr, und wir andern Verständigen wollen uns auch setzen. Alle setzen sich.

HEYMON. Nun, so rate ich also noch einmal zum Kriege, damit wir diesen überlästigen Peter Berner loswerden. Er steht jetzt eben im Felde gegen Hermann Worbsen, laßt uns schnell hinziehen, so ereilen wir ihn noch, ehe er nach seinem festen Schlosse zurückkehrt. – Was meint Ihr, Vetter Ratgeber?

RATGEBER. Wenn ich Euch denn meinen guten Rat geben soll – so meine ich unmaßgeblich, daß Ihr recht habt, angesehen Ihr ein verständiger, vollkommen ausgewachsener Ritter, seid. – Ihr habt recht, ich bin ganz Eurer Meinung.

HEYMON. Wenn wir ihn denn nun besiegt haben, so bestürmen wir sein Schloß, nehmen seine Frau gefangen und teilen uns seine Reichtümer.

KLAUS. Und wo bleibt denn der Blaubart?

HEYMON. Narr, der kommt ja in der Schlacht um.

KONRAD. Und wenn er auch nicht umkommt, so wird er in ein Gefängnis gesteckt.

HEYMON. Das wird er aber nicht zugeben; besser, er kommt in der Schlacht um.

RATGEBER. Richtig, weit besser ist es, er kommt in der Schlacht um, da habt Ihr, Ritter Heymon, ganz meinen Gedanken.

KONRAD. Aber wenn er nun doch nicht umkommt?

RATGEBER. Ja so! – Eine gute Anmerkung von Eurem Bruder – in der Tat; – wenn er nun nicht umkommt. – Er tut besser, wenn er in der Schlacht umkommt, das ist gewiß – aber die Menschen sind oft wunderlich. – Ja, was meint Ihr dann? –

MARTIN. Ihr seid ja der Ratgeber.

RATGEBER. Sehr richtig – ja, dann ist mein Rat – daß man sich nachher darauf besinne, wenn wir erst so weit sind. Ihr habt ihn ja denn bei der Hand und könnt mit ihm machen, was ihr wollt.

KONRAD. Das ist auch wahr; warum wollen wir uns jetzt schon den Kopf zerbrechen?[179]

HEYMON. Nun, so laßt uns denn nicht zaudern, sondern hastig aufbrechen. Sie wollen gehn.

KLAUS. Aber halt! Haltet doch! – Habt ihr so wenig Geduld, daß ihr ins Schlachtfeld hineinlaufen wollt, als ging' es zum Frühstück? Wer langsam geht, kommt auch zu seinem Tode noch früh genug.

KONRAD. Zum Tode?

KLAUS. Nun, wenn ihr nicht siegt, sondern besiegt werdet, und der Blaubart schneidet euch den Rückzug ab? – Wie denn? – – Wenn ihr nun besiegt werdet, sag' ich? Denn das kann man doch so genau nicht wissen, man muß doch auf alle Fälle denken: Ein guter Feldherr wird auch dafür sorgen.

HEYMON. Ein guter Feldherr, sagt er? – Zum Henker, er hat recht, und es soll jetzt gleich daran gedacht werden.

KLAUS. Ja nun, so denkt – Ratgeber, denkt einmal recht tüchtig.

RATGEBER. Ja, der Kleine hat recht, so klein er auch ist, und so rate ich denn nach reiflichem Überlegen, daß ihr noch fürs erste den ganzen Feldzug sein ließet.

HEYMON. Ist das Euer Rat?

RATGEBER. Wenn wir's beim Lichte besehen, wird's ungefähr auf so etwas hinauslaufen.

HEYMON. Das ist nichts, Ratgeber. Etwas Besseres.

RATGEBER. Ihr glaubt wohl, daß man den guten Rat nur so aus den Ärmeln schüttelt. Ich weiß nichts Besseres.

KONRAD. Hm.

HEYMON. Hm! –

MARTIN. Hm!

EIN RITTER. Aber Herr Ritter, Ihr vergeßt ganz, daß Klaus nur ein Narr ist.

KONRAD. Richtig! Da steckt der Knoten! – Und wir stehen da alle und überlegen! –

RATGEBER. Wir haben uns von dem Narren alle in den April schicken lassen.

HEYMON. Künftig schweig, bis man dich fragt.

KLAUS. Verzeiht, es geschah nur, um mir mit dem Reden einen Zeitvertreib zu machen. Ihr wißt, ich plaudre gern, und da beseh' ich denn die Worte vorher nicht so genau: Es ist doch bald vorbei, wenn man redet, und da lohnt's der Mühe nicht, daß man es so genau nimmt.

HEYMON. So wollen wir denn aufbrechen!

MARTIN. Nehmt Ihr den Ratgeber nicht mit?

HEYMON. Ja, das verdient Überlegung.[180]

RATGEBER. Laßt mich lieber zu Hause, hochgeschätzte Herren; ich bin alt, und ihr wißt ja wohl das Sprichwort: Guter Rat kommt immer hinterher. und da könnt' ich euch gar schlechten Rat geben, wenn ihr mich sogleich da hättet.

KONRAD. Das ist wahr, Ihr seid doch ein kluger Mann. – Aber den Narren wollen wir mitnehmen.

KLAUS. Mich? – O ihr Herren, ich bin im Felde ganz unnütz, ich kann keine Trommel hören, ohne die Kolik zu bekommen, ich sitze immer bei den Marketendern und mache nur die Lebensmittel teuer. Als Soldat bin ich gar nicht zu gebrauchen, weil ich vor Angst die Parole vergesse. – Warum wollt ihr mich denn mitnehmen?

KONRAD. Erstlich zur Strafe, damit du siehest, daß wir wohl siegen werden. Zweitens, damit wir doch einen Narren unter uns haben. Drittens, um den Feind durch deine Person zu ärgern- und viertens sollst du mitgehn.

KLAUS. Dieser letzte Grund ist so verdammt gründlich, daß sich nichts von Bedeutung dagegen einwenden läßt. – Nun, wenn es denn sein muß, so will ich nur mein Bündel schnüren und mein Testament machen.

HEYMON. Dein Testament?

KLAUS. Aus meinem Narrenstock läßt sich ein herrlicher Kommandostab machen, man darf nur oben den Eselskopf herunterbrechen; den vermach' ich Euch! – Meine Mütze Eurem Bruder Konrad, die Ohren sind schon ziemlich abgetragen; meinen Witz dem Ratgeber da und meine Krücke demjenigen, der nur mit einem Beine aus dem Felde zurückhinket.

RATGEBER. Deinen Witz magst du selbst behalten, er ist so durchgescheuert, daß man die Fäden zählen kann.

KLAUS. So könnt Ihr immer noch Euren vernünftigen Rat damit flicken, denn ich glaube, daß Verstand kein besseres Unterfutter finden kann als Narrheit. Ich versichere Euch, nichts hält so warm und bewahrt vor Husten und Schnupfen, Sehwindel und dergleichen so gut wie ein Brusttuch von derber Narrheit. Trüget Ihr es nur unter Eurem Panzer, Herr Ritter, Ihr würdet Euch wohl dabei befinden, als bliebet Ihr lieber zu Hause und ergötzet Euch hier bürgerlich mit mir oder dem Ratgeber oder ginget auf die Jagd. – Warum muß es denn gerade Krieg sein? Krieg ist ein gefährliches Spiel. Ich kann schon das bloße Wort nicht leiden; glaubt mir, es liest sich besser davon in Büchern, als dort im Felde zu stehn und zu passen und zu passen – und[181] wenn man nun in der Hinterhand sitzt und der Feind bekommt die Matadore!

HEYMON. Der Narr schwatzt und kann kein Ende finden. Du sollst uns den Marsch verkürzen durch deine Märlein.

KLAUS. Soll ich reiten oder gehn?

KONRAD. Gehn.

KLAUS. Nun, Gott segne Euch, ich werde so auf meine Art gehen müssen.

HEYMON. Kommt, Vetter Martin – kommt, Ritter! Der Sieg winkt uns, wir wollen uns nicht säumig finden lassen.

KONRAD. Wenn wir nur erst die eroberten Fahnen aufhängen! Alle ab.

KLAUS. O über die lumpige Welt! – Wahrhaftig, ich schäme mich jetzt, ich werde dafür bezahlt, um ein rechter wahrer Narr zu sein, und nun bin ich ein Pfuscher gewesen und war offenbar der Verständigste von allen. Sie pfuschen dafür in mein Handwerk, und so ist kein Mensch mit seinem Stande zufrieden. Wollte nur Gott, ich könnte die Klugheit so wacker spielen, wie sie sich in der Narrheit gut ausgenommen haben. – Nun, Schicksal, du Vormund der Verstoßenen, wirst du dich ihrer so sehr annehmen, wie sie fest auf dich vertrauen, so werden sie diesen Feldzug bald geendigt haben. Ab.


Quelle:
Ludwig Tieck: Werke in einem Band. Hamburg 1967, S. 177-182.
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