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Wie ein fremder Sänger an den Hof des Grafen von Provence kam

[116] In der Provence herrschte vor langer Zeit ein Graf, der einen überaus schönen und herrlichen Sohn hatte, welcher als die Freude des Vaters und der Mutter erwuchs. Er war groß und stark, und glänzende blonde Haare flossen um seinen Nacken und beschatteten sein zartes jugendliches Gesicht; dabei war er in aller Waffenübung wohlerfahren, keiner führte im Lande und auch außerhalb die Lanze und das Schwert so wie er, so daß ihn Jung und Alt, Groß und Klein, Adel und Unadel bewunderte.

Er war oft gern in sich gekehrt, als wenn er irgendeinem geheimen Wunsche nachginge, und viele erfahrene Leute glaubten und schlossen daher, er sei in Liebe; es wollte ihn darum keiner aus seinen Träumen aufwecken, weil sie wohl wußten, daß die Liebe ein süßer Ton ist, der im Ohre schläft und wie aus einem Traume seine phantasiereiche Melodie fortredet,[116] so daß ihn der Beherberger selbst nur wie ein dunkles Rätsel versteht, geschweige denn ein Fremder, und daß er oft nur allzuschnell entflieht, und seine Wohnung in dem Äther und goldenen Morgenwolken wie der sucht.

Aber der junge Graf Peter kannte seine eigenen Wünsche nicht; es war ihm, als wenn ferne Stimmen unvernehmlich durch einen Wald riefen, er wollte folgen, und Furcht hielt ihn zurück, doch Ahndung drängte ihn vor.

Sein Vater gab ein großes Turnier, zu welchem viele Ritter geladen wurden. Es war ein Wunder anzusehn, wie der zarte Jüngling die Erfahrensten aus dem Sattel hob, so daß es auch allen Zuschauern unbegreiflich schien. Er ward von allen gerühmt und für den Besten und Stärksten geachtet; aber kein Lob machte ihn stolz, sondern er schämte sich manchmal selber, daß er so alte und würdige Rittersmänner sollte überwunden haben.

Unter andern war auch ein Sänger mit herbeigekommen, der viele fremde Länder gesehen hatte; er war kein Ritter, aber an Einsicht und Erfahrung übertraf er manchen Edlen. Dieser gesellte sich zu Graf Peter und lobte ihn ungemein, schloß aber seine Rede mit diesen Worten: »Ritter, wenn ich Buch raten sollte, so müßt Ihr nicht hier bleiben, sondern fremde Gegenden und Menschen sehn und wohl betrachten, auf daß sich Eure Einsichten, die in der Heimat nur immer einheimisch bleiben, verbessern, und Ihr am Ende das Fremde mit dem Bekannten verbinden könnt.«

Er nahm seine Laute und sang:


»Keinen hat es noch gereut,

Der das Roß bestiegen,

Um in frischer Jugendzeit

Durch die Welt zu fliegen.


Berge und Auen,

Einsamer Wald,

Mädchen und Frauen

Prächtig im Kleide,

Golden Geschmeide,

Alles erfreut ihn mit schöner Gestalt.
[117]

Wunderlich fliehen

Gestalten dahin,

Schwärmerisch glühen

Wünsche in jugendlich trunkenem Sinn.


Ruhm streut ihm Rosen,

Schnell in die Bahn,

Lieben und Kosen,

Lorbeer und Rosen

Führen ihn höher und höher hinan.


Rund um ihn Freuden,

Feinde beneiden,

Erliegend, den Held –

Dann wählt er bescheiden

Das Fräulein, das ihm nur vor allen gefällt.


Und Berge und Felder

Und einsame Wälder

Mißt er zurück.

Die Eltern in Tränen,

Ach alle ihr Sehnen –

Sie alle vereinigt das lieblichste Glück.


Sind Jahre verschwunden,

Erzählt er dem Sohn

In traulichen Stunden,

Und zeigt seine Wunden,

Der Tapferkeit Lohn.

So bleibt das Alter selbst noch jung,

Ein Lichtstrahl in der Dämmerung.«


Der Jüngling hörte still dem Gesange zu; als er geendigt war, blieb er eine Weile in sich gekehrt, dann sagte er: »Ja, nunmehr weiß ich, was mir fehlt, ich kenne nun alle meine Wünsche, in der Ferne wohnt mein Sinn, und mancherlei wechselnde buntfarbige Bilder ziehn durch mein Gemüt. Keine größere Wollust für den jungen Rittersmann, als durch Tal und über Feld dahinziehn: hier liegt eine hoch erhabene Burg im Glanz der Morgensonne, dort tönt über die Wiese durch den dichten Wald des Schäfers Schalmei, ein edles Fräulein fliegt auf einem weißen Zelter vorüber, Ritter und Knappen[118] begegnen mir in blanker Rüstung und Abenteuer drängen sich; ungekannt zieh ich durch die berühmten Städte, der wunderbarste Wechsel, ein ewig neues Leben umgibt mich, und ich begreife mich selber kaum, wenn ich an die Heimat und den stets wiederkehrenden Kreis der hiesigen Begebenheiten zurückdenke. O ich möchte schon auf meinem guten Rosse sitzen, ich möchte sogleich dem väterlichen Hause Lebewohl sagen.«

Er war von diesen neuen Vorstellungen erhitzt, und ging sogleich in das Gemach seiner Mutter, wo er auch den Grafen, seinen Vater, traf. Peter ließ sich alsbald demütig auf ein Knie nieder und trug seine Bitte vor, daß seine Eltern ihm erlauben möchten zu reisen und Abenteuer aufzusuchen; »denn«, so schloß er seine Rede: »wer immer nur in der Heimat bleibt, behält auch für seine Lebenszeit nur einen einheimischen Sinn, aber in der Fremde lernt man das Niegesehene mit dem Wohlbekannten verbinden, darum versagt mir eure Erlaubnis nicht.«

Der alte Graf erschrak über den Antrag seines Sohnes, noch mehr aber die Mutter, denn sie hatten sich dessen am wenigsten versehn. Der Graf sagte: »Mein Sohn, deine Bitte kömmt mir ungelegen, denn du bist mein einziger Erbe; wenn ich nun während deiner Abwesenheit mit Tode abginge, was sollte da aus meinem Lande werden?« Aber Peter blieb bei seinem Gesuch, worüber die Mutter anfing zu weinen und zu ihm sagte: »Lieber, einziger Sohn, du hast noch kein Ungemach des Lebens gekostet und siehst nur deine schönen Hoffnungen vor dir; allein bedenke, daß es gar wohl sein kann, daß, wenn du abreisest, tausend Mühseligkeiten schon bereit stehn, um dir in den Weg zu treten; du hast dann vielleicht mit Elend zu kämpfen, und wünschest dich zu uns zurück.«

Peter lag noch immer demütig auf den Knien und antwortete: »Vielgeliebte Eltern, ich kann nicht dafür, aber es ist jetzt mein einziger Wunsch, in die weite fremde Welt zu reisen, um Freud und Mühseligkeit zu erleben, und dann als ein bekannter und geehrter Mann in die Heimat zurückzukehren. Dazu seid Ihr ja auch, mein Vater, in Eurer Jugend in der Fremde gewesen, und habt Euch weit und breit einen Namen gemacht; aus einem fremden Lande habt Ihr Euch meine Mutter zum Gemahl geholt, die damals für die größte Schönheit geachtet wurde; laßt mich ein gleiches Glück versuchen, seht, mit Tränen bitte ich Euch darum.«[119]

Er nahm eine Laute, die er sehr schön zu spielen verstand, und sang das Lied, das er vom Harfenspieler gelernt hatte, und am Schlusse weinte er heftig. Die Eltern waren auch gerührt, besonders aber die Mutter; sie sagte: »Nun, so will ich dir meinerseits meinen Segen geben, geliebter Sohn, denn es ist freilich alles wahr, was du da gesagt hast.« Der Vater stand gleichfalls auf und segnete ihn, und Peter war im Herzen vergnügt, daß er so die Einwilligung seiner Eltern erhalten hatte.

Es ward nun Befehl gegeben, alles zu seinem Zuge zu rüsten und die Mutter ließ Petern heimlich zu sich kommen. Sie gab ihm drei kostbare Ringe und sagte: »Siehe, mein Sohn, diese drei kostbaren Ringe habe ich von meiner Jugend an sorgfältig bewahrt; nimm sie mit dir und halte sie in Ehren, und so du ein Fräulein findest, das du liebst und das dir wieder gewogen ist, so darfst du sie ihr schenken.« Er küßte dankbar ihre Hand, und es kam der Morgen, an welchem er von dannen schied.

Quelle:
Ludwig Tieck: Werke in vier Bänden. Band 2, München 1963, S. 116-120.
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