Neuntes Kapitel
Ich bekomme ein Amt und eine Frau

[102] Ich hatte indes das juristische Studium nicht ganz verabsäumt und vorzüglich jetzt suchte ich meine juristischen Bücher von neuem hervor. Ich war besorgt, daß ich zu dem versprochenen Amte nicht die nötigen Kenntnisse hinzubringen möchte, repetierte daher fleißig alles, was ich schon einmal gewußt hatte, und suchte noch manches Neue hinzuzulernen; ich ließ daher Louisen öfter allein, als bisher geschehen war. Der Präsident lobte meinen Eifer, behauptete aber, daß meine Besorgnis ganz ungegründet sei. »Gelehrsamkeit«, sagte er, »ist es wahrlich nicht, was Sie in einem bürgerlichen Amte brauchen, sondern Kopf genug, um sich in die Geschäfte hineinzufinden, und Geduld, um nicht zu ermüden. Alles, was Sie auf der Universität gelernt haben, müssen Sie größtenteils wieder vergessen: durch die Routine und Erfahrung lernen Sie im Gegenteil alles, was Sie in Ihrem Amte brauchen. Ein Gelehrter, der in das bürgerliche Leben eintritt, kommt mir oft vor, wie ein guter Reiter, der, um eine Reise zu machen, in ein Schiff hineintritt. Seine Reitkunst ist ihm hier ganz überflüssig, er muß sich vom Winde wegführen lassen, er muß sich allen Gesetzen unterwerfen, denen alle Reisende dort unterworfen sind, er muß auch, wie alle, die zum ersten Male reisen, eine Seekrankheit aushalten. Diese Seekrankheit, Herr Lebrecht, kann bei Ihnen etwa das erste Vierteljahr hindurch dauern, in welchem Sie mit den Geschäften bekannt werden, dann aber lassen Sie sich unbefangen von den schwellenden Segeln wegführen Alles geht dann seinen ordentlichen Gang, den einen Tag so wie den andern, Sie werden von Ihren Geschäften gelenkt, statt daß Sie Ihre Arbeiten regieren sollten. – Darum lassen Sie nur alle Furcht und unnütze Bescheidenheit fahren; wenn Sie Ihr Amt angetreten haben, werden Sie sehn, daß ich die Wahrheit gesagt habe.«

Durch diese Rede ward ich zuversichtlicher, denn ich konnte ja überzeugt sein, daß der Präsident aus Erfahrung spreche, ich[102] überließ mich also ungestört der Hoffnung, die mir eine schöne Zukunft versprach.

Die Perioden im menschlichen Leben sind sehr ängstlich, in welchen man mit Furcht oder Sehnsucht ein Unglück oder Glück erwartet, und jeden Tag und jede Stunde sorgsam zur Summe der verflossenen zählt, und mit bangem, ahndungsvollem Herzen auf die Zeit hinblickt, die noch verfließen soll. Meine Hochzeit mit Louisen war jetzt festgesetzt, und ich strich mit zitternder Hand jeden Tag im Kalender aus, und zählte und überzählte jedesmal wie viele Tage noch übrig wären.

Es war beschlossen worden, daß diese Hochzeit auf einem Gute des Präsidenten gefeiert werden sollte, das in einer ziemlichen Entfernung von der Stadt lag. Er wollte dorthin reisen, um so den Anfang zu einer Reise in das Reich des benachbarten Fürsten zu machen, die er in Amtsgeschäften tun mußte.

Auf dem Landhause ward alles unterdes zur Feier des Hochzeitfestes eingerichtet, die Familie fuhr endlich in mehrern Wägen ab, weil alle eine oder ein paar Wochen auf dem Lande zubringen wollten.

Der Herr von Bärenklau begegnete uns unterwegs in tiefer Trauer, sein Onkel war gestorben und er fuhr nach W.... zurück. Ich sah Louisen mit einem bedeutenden Blicke an, sie schien ihn aber nicht zu verstehn, vielleicht wollte sie ihn auch nicht verstehn.

Wir kamen an einem schönen Sommertage an. Das niedliche Haus und die schöne helle Landschaft schienen uns freundlich zu begrüßen; alle Einwohner des Dorfes waren in einem frohen Aufruhr, daß sie ihren Herrn einmal wiedersahen. Der dunkeln, geräuschvollen Stadt auf einige Tage entronnen, wachten alle frohen Bilder meiner Jugend wieder in meiner Seele auf, eine Heiterkeit goß sich durch alle meine Nerven, wie ich sie lange nicht empfunden hatte.

Die geladenen Gäste fanden sich auch nach einigen Tagen ein im Hause und im Dorfe war ein beständiges frohes Getümmel, jeder Neuankommende ward mit einer jauchzenden Musik empfangen. Man gratulierte, man freute sich, mich und meine Braut kennenzulernen, man schwatzte hundert Sachen durcheinander, und nicht selten schlich ich mich betäubt in die freie Luft, um mich von dem Schwindel zu erholen, in welchen mich das unaufhörliche Gewirre versetzte. – Diese Feiertage des Lebens, wo alle Geschäfte stillstehn, der Gang der gewöhnlichen Lebensweise unterbrochen wird, und es nur unser Amt und unsre Pflicht ist,[103] beständig ein recht freundliches Gesicht zu machen und aus vollem Halse zu lachen, sind oft neben ihren Annehmlichkeiten sehr drückend und beschwerlich. Man schwimmt betäubt die geräuschvolle Flut mit hinunter, und die Zeit, die wir zur Fröhlichkeit bestimmten, ist uns am Ende, wie in einem tiefen langweiligen Schlaf verflossen. – Doch das war nicht bei mir der Fall, denn ich stärkte meinen Geist wieder durch die Erinnerung an Louisen, durch ihre Gegenwart, durch die Hoffnung einer freudenreichen Zukunft.

Nun erschien der Hochzeitstag selbst. – Ich und Louise wurden getraut, meine Freude hatte ihren höchsten Gipfel erstiegen, worauf ich seit Jahren gehofft hatte, war nun erfüllt.

Man aß und trank und war guter Dinge. Bei Tisch erzählten sich die alten Herren ihre Jugendgeschichten, und die jungen sagten den Damen Komplimente oder Abgeschmacktheiten, wie es das Glück gerade fügte; viele sahen sich für Helden an, wenn sie meine Louise durch eine unanständige Zweideutigkeit rot gemacht hatten; andre fanden sich glücklich darin, wenn man sie ihren Erzählungen nach für recht ausschweifend hielt, und kämpften beständig gegen ihre bessere Natur denn sie wurden selbst bei ihren erdichteten Abenteuern beschämt, und gaben sich alle Mühe, dies Rotwerden zu verbergen; noch andre machten sich über den Tisch hinüber Konfidenzen und nannten dabei Namen, Haus und Tag; oder liebäugelten mit den Damen – kurz, die Gesellschaft war so beschaffen, wie man sehr oft eine große Gesellschaft trifft. –

Nachher tanzte man, und Tanz und Wein machte jedermann froh und munter. Ich tanzte bis spät in die Nacht fast mit allen anwesenden Damen und ging dann, um Louisen aufzusuchen. – Sie war in keinem Zimmer zu finden: ich durchstreifte den Garten, dort ebensowenig; das ganze Dorf – man hatte sie nirgends gesehn. – Die Gesellschaft ward unruhig, man suchte allenthalben und allenthalben vergebens; die Nacht verstrich und Louise kam nicht zurück.

O unglückselige Hochzeit! – O unglücklicher Bräutigam Peter Lebrecht, da stehst du nun im Schlafzimmer ohne Braut![104]

Quelle:
Ludwig Tieck: Werke in vier Bänden, Band 1, München 1963, S. 102-105.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Peter Lebrecht
Peter Lebrecht - Eine Geschichte ohne Abentheuerlichkeiten: Satirische Texte vergangener Zeiten - Band I
Peter Lebrecht
Peter Lebrecht