Neunzehntes oder letztes Kapitel
Die moralische Tendenz dieses Buchs

[132] Beinahe hätt ich noch zu guter Letzt das Beste vergessen und hätte meine Geschichte so, wie einen Hund ohne Schwanz, in die Welt hineinlaufen lassen. Ich hätte wahrhaftig mit meiner Zerstreuung übel ankommen können, ich hätte lieber meine ganze Geschichte ungeschrieben lassen sollen, als sie ohne moralische Tendenz zu schreiben. – Wir sind jetzt alle so ungemein moralisch geworden, daß wir in allen Kleinigkeiten außer uns etwas Moralisches suchen; ja, wir gebärden uns ganz wunderbar, wenn man unsrer überfeinen Tugend einen so gewaltigen Streich spielt und ihr etwa einen Schwank oder eine lustige Posse erzählt, die aber keine moralische Tendenz hatte, denn das ist der Kunstausdruck dafür.

Diese moralische Tendenz, um es noch einmal zu nennen, kömmt mir vor wie der Salat, den man zu jedem poetischen Backwerke essen muß, um es schmackhaft zu finden.

Keiner wird hoffentlich den moralischen Endzweck meiner Erzählung verfehlen; es ist nämlich kein andrer, als daß sich ja niemand soll trauen lassen, ohne vorher den Taufschein seiner Frau zu sehn. – Denn wie viel Unglück hätte daraus entstehen können, wenn ich meine leibliche Schwester geheiratet hätte? – –


Ende des ersten Teils
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Quelle:
Ludwig Tieck: Werke in vier Bänden, Band 1, München 1963, S. 132-133.
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