Zweites Kapitel
Meine Lebensweise

[141] Ich wurde gestört, und fast zu ernsthaft, um weiterzuschreiben. – Ein armer Bauer im Dorfe war gestorben, und die Glocke rief mich zum Leichenbegängnis ab.

Ich ging unter dem schwarzen Zuge ehrbar einher denn ich hatte den Mann ebenso genau gekannt, wie ich noch die übrigen Leute hier im Dorfe kenne, und mich für das Schicksal eines jeden interessiere. Das Grab auf dem Kirchhofe war fertig, der Totengräber stand mit dem Ansehn eines Künstlers darneben sechs Spaten steckten rundherum in der lockern Erde.

Die Frau näherte sich mit ihrer Schwester langsam, und sah fast ganz gefaßt in das geräumige Grab hinab: »Das Grab ist gut!« sagte sie seufzend, denn der Boden und die Wände waren wirklich fest geebnet; sie hatte nun das letzte Wohnhaus ihres Gatten betrachtet, dessen glatte Wände sogleich durch die herabgeworfene Erde wieder uneben sollten gemacht werden. – Die Seile wurden übergelegt, und der Sarg daraufgestellt. Itzt fing die Frau an zu weinen, die Schwester blieb noch ruhig. – Man ließ den Sarg hinunter, und nahm die Stangen weg. – Jeder von den Anverwandten ergriff einen Spaten; der Totengräber nahm ruhig den Hut ab, und betete ein Vaterunser. Alles wurde erweicht, als die Erde dumpf auf den Sarg scholl; die Frau[141] schluchzte laut, und beugte sich hinüber, um noch die letzte schwarze Spitze des Sarges zu sehn: alles übrige war schon verschlungen. Ein zwölfjähriger Sohn spielte heimlich mit einer Blume, und schämte sich innerlich, daß er jetzt noch nicht weinen konnte. Ich weinte in seinem Namen. –

In so vielen Büchern findet man Begräbnisse beschrieben, und bei einer Leiche wünscht man immer, sich recht ernsthaft machen zu können. Es fällt uns dunkel dabei ein, daß wir, ohne uns zu kennen, durch Dunst und über Wasser getrieben werden, die wir das Leben nennen, wir bekommen dann vor dem Gewöhnlichen eine Furcht, und das Furchtbare rückt dann gleichsam zu einer vertrautern Bekanntschaft näher. Das Leben verliert in diesen Augenblicken seinen Sonnenschein, der wie über ferne Berge wegzieht, und den Wünschen winkt, die sich nach Frühling sehnen. –

Der Lebende aber kann nur die Freuden dieses Lebens verstehn, und ich komme daher, auch nach den schwermütigsten Streifereien, bald zur Zufriedenheit mit mir und der Welt zurück. – Für die Leser, die sich für so etwas interessieren, will ich hier ganz kurz die Art meines Lebens beschreiben.

Ich habe von je die großen Städte gehaßt, in denen die fortgesetzten, hohen Häuser, die geraden Straßen, das Getümmel, unsern Sinn und unser Gemüt gleichsam gefangennehmen; wie in niedrigen Kerkern, wachsen alle unsre Ideen klein und bleiben zwergartig. – Die freie Natur, der weite Himmel, Berge und Wälder, reden uns mit gewaltigen herzerschütternden Tönen an, und sprechen uns Mut ein. Hier wird der Mensch, was er als Mensch werden kann; er kleidet sich in keinen geborgten Schmuck; er äfft nicht Torheit oder Weisheit anderer nach, je nachdem es ihm in die Hände fällt.

Ich arbeite täglich im Felde oder im Garten, weil Körper und Seele sonst in eine gewisse Kränklichkeit geraten. – Die Ruhe, der Umgang und die Lektüre sind mir dann um so erwünschter. – Ich studiere oft in den Blumen und Bäumen, und lerne aus ihnen und von den simpeln Menschen umher eine ganz eigene Philosophie.

Wenn ich nicht beschäftigt bin, und gerade viel Bedürfnis dazu empfinde, schreibe ich Kleinigkeiten nieder.

Wenn es der Leser erlaubt, will ich ihn jetzt mit einigen Personen bekannter machen, die mich näher umgeben.[142]

Quelle:
Ludwig Tieck: Werke in vier Bänden, Band 1, München 1963, S. 141-143.
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