Erstes Kapitel

[833] O Jugend! du lieber Frühling, der du so sonnenbeschienen vorn im Anfange des Lebens liegst! wo mit zarten Äugelein die Blumen umher, des Waldes neugrüne Blätter, wie mit fröhlicher Stimme dir winken, dir zujauchzen! Du bist das Paradies, das jeder der spätgebornen Menschen betritt, und das für jeden immer wieder von neuem verlorengeht.

Gefilde voll Seligkeit! überhangend von Blüten, durchirrt von Tönen! Sehnsucht weht und spielt in deinen süßen Hainen. Vergangenheit so golden, Zukunft so wunderbar: wie mit dem Sirenengesange der Nachtigall lockt es von dorther; mondliche Schimmer breiten sich auf dem Wege aus, liebliche Düfte ziehen aus dem Tale herauf, vom Berge nieder der Silberquell. O Jüngling, in dir glänzt Morgenröte, sie rückt mit ihren Strahlen und wunderglänzenden Wolkenbildern herauf: dann folgt der Tag, bis auf die Spur sogar verfließt die himmlische Sehnsucht; alle Liebesengel ziehen fort, und du bist mit dir allein. War alles nur Dunst und bunter Schatten, wornach du brünstig die Arme strecktest? –


Aus Wolken winken Hände,

An jedem Finger rote Rosen,

Sie winken dir mit schmeichlerischem Kosen,

Du stehst und fragst: wohin der Weg sich wende?


Da singen alle Frühlingslüfte,

Da duften und klingen die Blumendüfte,

Lieblich Rauschen geht das Tal entlang:

»Sei mutig, nicht bang!


Siehst du des Mondes Schimmer?

Der Quellen hüpfendes Geflimmer?

In Wolken hoch die goldnen Hügel?

Der Morgenröte himmelbreite Flügel?


Dir entgegen ziehn so Glück als Liebe,

Dich als Beute mit goldenen Netzen zu fahn,[833]

So leise lieblich, daß keine Ausflucht bliebe

Umstellen sie dich, bald ist's um dich getan.«


– Was will das Glück mit mir beginnen?

O Frühlingsnachtigall! singst du drein?

Schon dringt die sehnende Lieb auf mich ein;

Wie Mondglanz webt's um meine Sinnen.


Wie bang ist mir's, gefangen mich zu geben,

Sie nahn, die Scharen der Wonne, mit Heeresmacht!

Verloren, verträumt ist das fliehende Leben,

Schon rüstet sich Lieb und Glück zur Schlacht.


Der Kampf ist begonnen,

Ich fühle die Wonnen

Durchströmen die Brust:

O selge Gefilde,

Ich komme, wie milde

Erquickt und ermattet des Lebens Lust!


Es sinket vom Himmel

Der Freuden Gewimmel

Und lagert sich hier:

Im Boden, ich fühle

Der Freuden Gewühle,

Sie streben und drängen entgegen mir.


Der Quellen Getöne,

Der Blümelein Schöne,

Ihr lieblicher Blick,

Sie winken so eigen,

Ich deute das Schweigen,

Sie wünschen mir alle zum Leben Glück. – –


Nun wandelt das Kind auf grünen Wegen

Den goldglänzenden Strahlen entgegen,

Im bangen Harren geht es weit,

Es klopft das Herz, es flieht die Zeit.


Da ist's, als wenn die Quellen schwiegen,

Ihm dünkt, als dunkle Schatten stiegen,

Und löschten des Waldes grüne Flammen,

Es falten die Blumen den Putz zusammen.
[834]

Die freundlichen Blüten sind nun fort

Und Früchte stehn an selbigem Ort;

Die Nachtgall versteckt die Gesänge im Wald,

Nur Echo durch Still und Einsamkeit schallt. –


»Morgenröte! bist du nach Haus gegangen?«

Ruft das Kind, und streckt die Händ und weint;

»O komm! ich bin erlöst vom Bangen,

Du wolltest mich mit goldnen Netzen fangen,

Du hast es gewiß nicht böse gemeint.


Ich will mich gerne drein ergeben,


Es kann und soll nicht anders sein:

Ich opfre dir mein junges Leben,

O komm zurück, du Himmelsschein!« –


Aber hoch und höher steigt das Licht,

Und bescheint das tränende Gesicht;

Die Nachtigall flieht waldwärts weiter,

Quell wird zum Fluß und immer breiter.


»Ach! und ich kann nicht hinüberfliegen,

Was mich erst lockte, ist nun so weit,

Der Morgenglanz, die Töne müssen jenseits liegen,

Ich stehe hier, und fühle nur mein Leid!« –


– Die Nachtigall singet aus weiter Fern:

»Wir locken, damit du lebest gern,

Daß du dich nach uns sehnst, und immer matter sehnst,

Ist, was du töricht dein Leben wähnst.« – –


Franz Sternbald und sein Freund Rudolph Florestan durchwanderten jetzt den Elsaß. Es war die Zeit im Jahre, wenn der Frühling in den Baumknospen schläft, und die Vögel ihn in den unbelaubten Zweigen aufwecken wollen. Die Sonne schien blaß und gleichsam blöde auf die warme, dampfende Erde hernieder, die das erste neue Gras aus ihrem Schoße gebar. Sternbald erinnerte sich der Zeit, als er zuerst seine Pflegeeltern verließ, um bei Albrecht Dürer in Nürnberg zu lernen, gerade in solchem Wetter hatte er sein friedliches Dorf verlassen. Er gedachte der kindischen Verwunderung, mit der er von Hügeln und Waldhöhen die schäumenden, Schnee wälzenden Bäche im[835] Glanze der ersten Wärme hatte rollen sehn, welch wundersamer Duft, wie Lebenshauch, ihm aus der locker gewordenen Erde aufgestiegen, und wie im ernsten Braun hie und da die grünen Streifen ihn wie ein Lächeln angesehn, und ihm schon vom Sommer und seinem Obst erzählt hatten: wie nach der Wanderung vieler Tage sich endlich dieses Märchen durch das Wunder der großen Stadt im brennenden Abendgolde, und beim Schein des Lichtes mit Dürers edlem Antlitz beschlossen habe. Sie gingen, indem Rudolph fröhliche Geschichten erzählte, durch die schöne Gegend. Straßburg lag hinter ihnen, noch sahen sie den erhabenen Münster; in der nächsten Stadt wollten sie einen Mann erwarten, der auf der Rückreise von Italien begriffen war.

In Straßburg hatte Franz seinem Sebastian folgenden Brief geschrieben:


Jetzt, lieber Sebastian, ist mir sehr wohl, und Du wirst Dich darüber freuen. Meine Seele ergreift das Ferne und Nahe, die Gegenwart und Vergangenheit mit gleicher Liebe, und alle Empfindung trage ich sorglich zu meiner Kunst hinüber. Warum quäle ich mich ab, da ich mich doch am Ende überzeugen muß, daß jeder nur das leisten wird, was er leisten kann? Wie kurz ist das Leben; und warum wollen wir es mit unsern Beängstigungen noch mehr verkürzen? Jeder Künstlergeist muß sich ohne Druck und äußern Zwang, wie ein edler Baum mit seinen mancherlei Zweigen und Ästen ausbreiten; er strebt von selbst durch eigne Kraft nach den Wolken zu, und so erzeugt sich die erhabene oder sinnige Pflanze, sei es Eiche, Buche oder Zypresse, Myrte oder Rosengesträuch, je nachdem der Keim beschaffen war, aus dem sie zuerst in die Höhe sproßte. So musiziert jedes Vögelein seine eigentümlichen Lieder. Freilich will es unter ihnen auch jezuweilen einer dem andern nach- und zuvortun; aber sie verfehlen doch nie so sehr ihren Weg, wie es dem Menschen nur gar zu oft geschieht.

So will ich mich denn der Zeit und mir selber überlassen. Mein Freund Rudolph lacht täglich über meine unschlüssige Ängstlichkeit, die sich auch nach und nach verliert. Im reinen Sinne spiegeln sich alle Empfindungen, und lassen nachher eine Spur zurück, und selbst das, was das Gemüt nicht aufbewahrt, nährt heimlicherweise den Sinn der Kunst und ist nicht verloren. Das tröstet mich und hemmt die Beklemmungen, die mich sonst nur gar zu oft überwältigten.

Auf eine magische Weise, (zauberisch oder himmlisch, denn[836] ich weiß nicht, wie ich es nennen soll) ist meine Phantasie mit dem Engelsbilde angefüllt, von dem ich Dir schon so oft gesprochen habe. Es ist wunderbar. Die Gestalt, die Blicke, der Zug des Mundes, alles steht deutlich vor mir, und doch wieder nicht deutlich, denn es dämmert dann wie eine ungewisse, vorüberschwebende Erscheinung vor meiner Seele, daß ich es festhalten möchte, und Sinnen und Erinnerung brünstig ausstrecke, um es wirklich und wahrlich zu gewahren und zu meinem Eigentum zu machen. So ist es mir oft seitdem ergangen, wenn ich die Schönheit einer Landschaft so recht innigst empfinden wollte, oder die Größe eines Gedankens mir festhalten, oder eine wundersame Empfindung oder Blicke in das Überirdisch-Schöne, oder den Glauben an Gott. Es kömmt und geht; bald Dämmerung, bald Mondschein, nur auf Augenblicke wie helles Tageslicht. Der Geist ist in Arbeit, im rastlosen Streben, sich aus den Ketten aufzurichten, die ihn im Körper zu Boden halten.

Oh, mein Sebastian! wie wohl ist mir, und wie lieblich fühl ich in mir die Regung der Lebenskraft und die heitre Jugend! Es ist herrlich, was mir die Rheinufer, die Berge um Bonn, und die wunderbaren Krümmungen des Gewässers verkündigt haben. Von dem großen Münster in Straßburg, von Köln und seinen Herrlichkeiten will ich Dir ein andermal reden, ich bin zu voll davon.

In Straßburg habe ich für einen reichen Mann eine Heilige Familie gemalt. Es war das erstemal, daß ich meinen Kräften in allen Stunden vertraute, und mich begeistert, und doch ruhig fühlte. In der Muttergottes habe ich gesucht die Gestalt hinzuzeichnen, die mein Inneres erleuchtet, die geistige Flamme, bei der ich mich selber sehe und alles, was in mir ist, und durch die alles vom lieblichsten Widerscheine verschönt und strahlend lebt. Es war beim Malen derselbe Kampf zwischen Deutlichkeit und Ungewißheit in mir, und darüber ist es mir vielleicht nur gelungen. Die Gestalten, die wir wahrhaft anschauen, sind eben dadurch in uns schon zu irdisch und wirklich, sie tragen zu viele Merkmale an sich, und vergegenwärtigen sich darum zu körperlich. Geht man aber im Gegenteil aufs Erfinden aus, so bleiben die Gebilde gewöhnlich luftig und allgemein, und wagen sich nicht aus ihrer ungewissen Ferne heraus. Aus dem Mittel zwischen beiden habe ich wie etwas Übermenschliches gesucht, und eine Gestalt hervorgebracht, die mich zauberisch von der Tafel anblickte. Sollte die Kunst vielleicht immer so verfahren, um Überirdisch-Unsichtbares sichtbar zu machen? Und, sonderbarer[837] Gedanke, kann ich vielleicht nur dichtend malen, bis ich sie wiederfinde? und dann sollte wohl in ihrer Gegenwart mein Talent erlöschen, weil mein Geist sie nicht mehr zu suchen brauchte? Nein, ich will es nicht glauben, festen Mutes will ich in das Gebiet der Kunst vorrücken; ich fühle es ja, wie mein Herz für das Edle und Schöne entzückt ist, es ist also mein Gebiet, mein Eigentum, ich darf darin schalten und mich einheimisch fühlen.

Wirf mir nicht Stolz vor, Sebastian; denn Du tätest mir Unrecht. Ich bin und bleibe, wie ich war. Der Himmel schenke Dir Gesundheit. –


Nach einigen Tagen waren die Wälder, Felder und Berge grün geworden, und die Obstbäume blühten, der Himmel war heiter und blau, sanfte Frühlingslüfte spielten zum erstenmal durch den Sonnenschein und über die fröhliche Natur hin. Sternbald und Rudolph waren entzückt, als sie von einem Hügel hinab in die überschwengliche Pracht hineinschauten. Das Herz ward ihnen groß, und sie fühlten sich beide neugeboren, von Himmel und Erde mit Liebe magnetisch angezogen.

»Oh, mein Freund!« rief Sternbald aus, »wie liebreizend hat sich der Frühling so plötzlich aufgeschlossen! Wie ein melodischer Gesang, wie angeschlagene Harfensaiten sind diese Blüten, diese Blätter herausgequollen, und strecken sich nun der liebkosenden, warmen Luft entgegen. Der Winter ist fort, wie eine Verfinsterung, die ein Sonnenblick von der Natur hinweggehoben. Sieh, alles keimt und sproßt und blüht, die kleinsten Blumen, unbemerkte Kräuter drängen sich hinzu; alle Vögel singen und jauchzen und flattern umher, in fröhlicher Ungeduld ist die ganze Schöpfung in Bewegung, und wir sitzen hier als Kinder, und fühlen uns dem großen Herzen der mütterlichen Natur am nächsten.«

Rudolph nahm seine Flöte und blies ein lustiges Lied. Es schallte fröhlich den Berg hinunter, und Lämmer im Tal fingen an zu tanzen.

»Wenn nur der Frühling nicht so schnell vorüberginge!« sagte Rudolph; »er ist eine Morgenbegeisterung, die die Natur selbst nicht lange aushält.«

»Oder daß es uns nur gegeben wäre«, sagte Sternbald, »diese Fülle, diese Allmacht der Lieblichkeit in uns zu saugen, und im hellsten Bewußtsein diese Schätze aufzubewahren. Ich wünsche nichts mehr, als daß ich in Tönen und Gesängen den übrigen Menschen diese Gefühle geben könnte; daß ich unter[838] Musik und Frühlingswehen dichtete, und die höchsten Lieder sänge, die der Geist des Menschen bisher noch ausgeströmt hat. Ich fühle es jedesmal, wie Musik die Seele erhebt, und die jauchzenden Klänge wie Engel mit himmlischer Unschuld alle irdischen Begierden und Wünsche fern abhalten. Wenn man ein Fegefeuer glauben will, wo die Seele durch Schmerzen geläutert und gereinigt wird, so ist im Gegenteil die Musik ein Vorhimmel, wo diese Läuterung durch wehmütige Wonne geschieht.«

»Das ist«, sagte Rudolph, »wie du die Musik empfindest; aber gewiß werden wenige Menschen mir dir darin übereinstimmen.«

»Davon kann ich mich nicht überzeugen«, rief Franz aus. »Nein, Rudolph, sieh alle lebendige Wesen, wie die Töne der Harfe, der Flöte, und jedes angeschlagenen Instrumentes sie ernst machen: selbst die Gesänge, die den Fuß mit lebendiger Kraft zum Tanz ermuntern, gießen eine schmachtende Sehnsucht, eine unbekannte Wehmut in das Gemüt. Der Jüngling und das Mädchen mischen sich dann in den Reigen, aber sie suchen mit den Gedanken jenseit dem Tanze einen andern, geistigern Genuß.«

»Oh, über die Einbildungen!« sagte Rudolph lachend; »eine augenblickliche Stimmung in dir trägst du in die übrigen Menschen hinüber. Wer denkt beim Tanze etwas anders, als daß er den Reigen durchführt, daß er sich im hüpfenden Schwarm auf eine lebendige Art ergötzt, und in diesen fröhlichen Augenblicken Vergangenheit und Zukunft durchaus vergißt. Der Tänzer sieht nach dem blühenden Mädchen, sie nach ihm; ihre Augen begegnen sich glänzend, und wenn sie eine Sehnsucht empfinden, so ist es gewiß eine ganz andere, als du sie geschildert hast.«

»Du bist zu leichtsinnig«, antwortete Franz, »es ist nicht das erstemal, daß ich es bemerke, wie du dir vorsätzlich das schönere Gefühl ableugnest, um einer sinnlichen Schwärmerei nachzuhängen.«

»Nur nicht wieder diese grellen Unterschiede!« rief Rudolph aus; »denn das ist der ewige Punkt unseres Streites.«

»Aber ich verstehe dich nicht.«

»Mag sein!« schloß Florestan, »das Gespräch darüber ist mir jetzt zu umständlich; wir reden wohl ein andermal davon.«

Franz war ein wenig auf seinen Freund erzürnt; denn es war nicht das erstemal, daß sie so miteinander stritten. Florestan betrachtete alle Gegenstände leichter und sinnlicher, es war oft dieselbe Empfindung, die Franz nur mit andern Worten ausdrückte;[839] es fügte sich wohl, daß Sternbald nach einiger Zeit denselben Gedanken äußerte, oft kam auch Rudolph später zu dem Gefühl, dem er kurz vorher an seinem Freunde widersprochen hatte. Wenn die Menschen Meinungen wechseln, so entsteht nur gar zu oft ein blindes Spiel des Zufalls daraus, aus dem Wunsche sich mitzuteilen erwacht die Sucht zu streiten, und wir widersprechen oft, statt uns zu bemühn, die Worte des andern zu verstehen.

Nachdem Franz eine Weile geschwiegen hatte, fuhr er fort: »Oh, mein Florestan, was ich mir wünsche, in meinem eigentümlichen Handwerke das auszudrücken, was mir jetzt Geist und Herz bewegt, diese Fülle der Anmut, diese ruhige, scherzende Heiterkeit, die mich umgibt. Malen möchte ich es, wie in dem Luftraume sich edle Geister bewegen, und durch den Frühling schreiten, so daß aus dem Bilde ein ewiger Frühling mit unverwelklichen Blüten prangte, der jedem Auge auch nach meinem Tode neu aufginge und den freundlichen Willkommen entgegenbrächte. Meinst du nicht, daß es dem großen Künstler möglich sei, in einem Historiengemälde, oder auch auf andere Weise, einem fremden Herzen das deutlich hinzugeben, was wir jetzt empfinden?«

»Ich glaube es wohl«, antwortete Florestan, »und vielleicht gelingt es manchem, ohne daß er es sich gerade vorsetzt. Geh nach Rom, mein Freund, und dieser ewige Frühling, nach dem du dich sehnst, blüht dort im Gartensaale meines Beschützers und Freundes, des reichen Augustin Chigi. Der göttliche Raffael hat ihn dort hingezaubert, und man nennt diese Bilder gewöhnlich die Geschichte des Amor und der Psyche. Diese Luftgestalten schweben dort, vom blauen Äther umgeben, und bedeutungsvoll von großen frischen Blumenkränzen und Früchten umschlungen. Da ist alle Herrlichkeit der Erde und des Himmels, die Leiden und die Lust der Liebe, und scherzend und wandelnd durch die Ätherbläue Amor und seine Geliebte, trauernd und froh, alle Götter im hohen Rat, und aller Ernst in milder Lieblichkeit und alle Lieblichkeit groß und göttlich, ja die ewige Jugend, der nie verblühende Frühling, das paradiesische Entzücken ist von dem Jünglingsgeiste, dem prophetischen Raffael, in seiner schönsten Begeisterung hingezaubert, die Verkündigung der Liebe und der Blumenschönheit, daß alle Herzen der Liebe und der Sehnsucht dienen sollen: das Göttlichste, der Zauber, der den Himmel umflicht, und die Erde mit ewiger Jugend umgürtet, ist dem Menschenherzen vertraulich nahe gerückt, und[840] den sterblichen Augen enthüllen sich die Seligkeiten des Olympus. Und dann im Nebenzimmer der verkörperte Traum süßester Wollust, Galatea im Meere, auf ihrem Muschelwagen fahrend! O mein Franz, gedulde dich, bis du in Rom bist, dann tu Augen und Herz auf, und du darfst nachher sterben.«

»Ach, Raffael!« sagte Franz Sternbald, »wie viel hab ich nun schon von dir reden hören; wenn ich dich nur noch im Leben anträfe!«

»Ich will dir noch ein Lied vom Frühlinge singen«, sagte Rudolph.

Sie standen beide auf, und Florestan sang. Er präludierte auf seiner Flöte, und zwischen jeder Strophe spielte er einige Töne, die artig zum Liede paßten.


»Vöglein kommen hergezogen,

Setzen sich auf dürre Äste: –

›Weit, ach weit sind wir geflogen,

Angelockt vom Frühlingsweste.‹


Also klagen sie, die Kleinen:

›Schmetterlinge schwärmen schon,

Bienen sumsen ihren Ton,

Suchen Honig, finden keinen.


Frühling! Frühling! komm hervor!

Höre doch auf unsre Lieder,

Gib uns unsre Blätter wieder,

Horch, wir singen dir ins Ohr!


Kommt noch nicht das grüne Laub?

Laß die kleinen Blättlein spielen,

Daß sie warme Sonne fühlen,

Keines wird dem Frost zu Raub.‹ –


›Was singt so lieblich leise?‹

Spricht drauf die Frühlingswelt:

›Es ist die alte Weise,

Sie kommen von der Reise,

Keine Furcht mich rückwärts hält.‹


Auf tun sich grüne Äugelein,

Die Knospen sich erschließen[841]

Die Vögelein zu grüßen,

Zu kosten den Sonnenschein.


Durch alle Bäume geht der Waldgeist

Und sumst: ›Auf, Kinder! der Frühling ist da!

Storch, Schwalbe, die ich schon oftmals sah,

Auch Lerch und Grasemück ist hergereist.


Streckt ihnen die grünen Arm' entgegen,

Laßt sie wohnen wie immer im schattigen Zelt,

Daß sie von Zweig zu Zweig sich regen,

Und jubeln und singen in frischer Welt.‹ –


Nun regt sich's und quillt in allen Zweigen,

Alle Quellen mit neuem Leben spielen,

In den Ästen Lust und Kraft und Wühlen,

Jeder Baum will sich vor dem andern zeigen.


Nun rauscht es, und alle stehn in grüner Pracht,

Die Abendwolken über Wäldern ziehn,

Und schöner durch die Wipfel glühn,

Der grüne Hain vom goldnen Feuer angefacht.


Gebiert das Tal die Blumen an das Licht,

Die die holde Liebe der Welt verkünden,

Es lächelt und winkt in stillen Gründen

Des sanften Veilchens Angesicht,

Das sinnige Vergißmeinnicht.


Sie sind die Winke, die süßen Blicke,

Die dem Geliebten das Mädchen reicht,

Vorboten vom zukünftgen Glücke,

Ein Auge, das schmachtend entgegenneigt.


Sie bücken sich mit schalkhaftem Sinn

Und grüßen, wer vorübergeht,

Wer ihren sanften Blick verschmäht

Dem reichen sie neckend die Finger hin.


Doch nun erscheint des Frühlings Frühlingszeit,

Wenn Liebe Gegenliebe findet

Und sich zu einer Lieb entzündet,

Dann glänzt die Pracht der Blumen hell und weit.
[842]

Die Rosen nun am Stock ins Leben kommen,

Und brechen hervor mit liebreizendem Prangen,

Die süße Röte ist angeglommen,

Daß sie, vereinter Schmuck, dicht aneinander hangen.

Dann ist des Frühlings Frühlingszeit,

Mit Küssen, mit Liebesküssen der Busch bestreut.


Rose, süße Blüte, der Blumen Blum,

Der Kuß ist auf deinen Lippen gemalt,

O Ros, auf deinem Munde strahlt

Der küssenden Lieb Andacht und Heiligtum.


Höher kann das Jahr sich nicht erschwingen,

Schöner als Rose der Frühling nichts bringen,

Nun läßt Nachtigall Sehnsuchtslieder klingen.

Bei Tage singt das ganze Vögelchor,

Bei Nacht schwillt ihr Gesang hervor.

Und wenn Rose, süß Rose die Blätter neigt,

Dem Sommer wohl das Vögelchor weicht,

Nachtigall mit allen Tönen schweigt.

Die Küsse sind im Tal verblüht,

Dichtkunst nicht mehr durch Zweige zieht.«


Quelle:
Ludwig Tieck: Werke in vier Bänden, Band 1, München 1963, S. 833-843.
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