17. Eduard Burton an Mortimer

[554] Bondly.


Mein Brief hat Sie gewiß recht sehr erschreckt; auch Sie müssen trübe und melancholisch sein, da auch Sie sein Freund waren. – Jetzt bin ich etwas mehr gesammelt, ich habe ihn gesprochen, und ich zwinge mich ruhiger zu sein.

Ich ging auf sein Zimmer, er war finster und in sich verschlossen, er wollte mich nicht ansehen. – So mußt ich ihn nach so langer Zeit wiederfinden!

Lovell! rief ich unwillkürlich aus. –

Was verlangen Sie, sagte er schwer und mit einem unterdrückten Tone.

Es fiel eine dichte Scheidemauer zwischen uns. Ich hatte ihn nicht so erwartet. Er war mir plötzlich ganz fremd geworden, und ich konnte unmöglich darauf kommen, ihn um seine Absichten zu fragen, und um die Gründe seiner Verkleidung oder Niederträchtigkeit.

Dies ist also der Mensch, in welchem mein Geist den Bruder[554] ehemals zu entdecken glaubte; diesem wollt ich mein ganzes Leben widmen?

Er hat sich außerordentlich verändert, er ist bleich und entstellt, sein Auge unruhig, sein Blick starr, ganz das Bild eines Menschen, der mit sich selber zerfallen ist.

Willys Tod ist ruchtbar geworden, und ich muß ihn noch in dieser Nacht fortzuschaffen suchen, um ihn den Gerichten und dem Gefängnisse zu entziehen.

Wär es zu verwundern, wenn ich in dieser Situation alle Besinnung verlöre? – Ach, ich sagte Ihnen, ich wäre ruhiger, ich bin bloß noch verwirrter, und das hat meinen scharfen Schmerz etwas abgestumpft.

So ist meine Jugend wiedergekehrt – so sind meine Träume in Erfüllung gegangen! Er sollte hier nahe bei mir in Waterhall wohnen, wir wollten uns täglich sehen, wir wollten nur ein Leben genießen, und gleichsam mit einer Seele haushalten, und nun! – Warum hat das Schicksal alles so umgeändert, und mir nichts, gar nichts übriggelassen? – Wenn meine Augen noch weinen könnten, würd ich unaufhörlich weinen.

Quelle:
Ludwig Tieck: Werke in vier Bänden, Band 1, München 1963, S. 554-555.
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