24. Willy an seinen Bruder Thomas

[355] Rom.


Du hast lange keinen Brief von mir bekommen, lieber Bruder, und das macht, weil ich Dir gar nichts zu schreiben hatte. Uns allen hier, ich meine, mir, meinem Herrn und seinen Freunden, uns allen geht es hier recht wohl, außer dem Herrn Balder, der in Neapel krank liegt, weil er einen Anstoß vom Fieber bekommen hat. Man erzählt sich allerhand von ihm; so sagt man unter andern, er habe in manchen Stunden den Verstand ganz verloren und sei gar nicht bei sich, da rede er denn wunderlich Zeug durcheinander. – Wenn ich so etwas höre, Thomas, so danke ich Gott oft recht herzinniglich, daß mir so etwas noch nicht begegnet ist: vielleicht aber auch, Thomas, daß, um verrückt zu werden, mehr Verstand dazu gehört, als wir beide haben; ich meine nämlich, wenn man nur immer so viel Verstand hat, als man zur höchsten Notdurft braucht, so kann man ihn ohne sonderliche Mühe in Ordnung halten. Wer aber zu viel hat, dem[355] wird das Regiment saurer, und da geht dann manchmal alles bunt übereck. – Ich denke, es muß ohngefähr so sein, wie mit dem Gelde: wer seine Einkünfte immer in der Tasche bei sich trägt, ist meistenteils ein guter Wirt; wer aber so viel Geld hat, daß er es nicht gleich im Kopfe zusammenrechnen kann, der gibt oft so viel aus, daß er noch Schulden obendrein macht.

Der Herr Rosa will mir immer noch nicht gefallen. Er kömmt mir vor, wie ein Religionsspötter, von denen ich schon manchmal in unserm Vaterlande habe erzählen hören; solche Leute können kein gutes Herz haben, weil sie nicht auf die Seligkeit hoffen, und wer darauf nicht hofft, Thomas, der hat keinen festen Grund, worauf er seinen Fuß setzen kann, und das hiesige Leben kommt mir doch immer nur als eine Probearbeit vom künftigen vor; sie machen also ihre Probe sehr flüchtig und nachlässig, und tun Gott und allen Menschen so vielen Schabernack, als sie nur immer können. Ich weiß nicht, Thomas, wie es diesen Leuten künftig ergehen wird; im Himmel würden sie doch nur die Ruhe und Einigkeit stören; – mag's sein, wie es will, ich will nichts mit ihnen zu tun haben.

Aber der Herr William läßt sich jetzt viel mit diesem gefährlichen Menschen ein. Sie sind jetzt recht vertraut und der Herr William kommt mir manchmal ganz kuriose vor, es ist manchmal gar nicht mehr derselbe gute Herr, der er wohl vor Zeiten war. Wenn der Italiener ihn nur nicht verführt! Ich könnte mich darüber zu Tode grämen. Der ganze Himmel mit aller seiner Seligkeit würde mir künftig nicht gefallen, wenn ich meinen lieben Herrn anderswo (Du weißt wohl, Thomas, wo ich meine) wissen sollte.

Du siehst, lieber Bruder, daß ich jetzt viel an den Tod und über die Unsterblichkeit der Seele denke: das macht, weil ich jetzt fast beständig so betrübte Gedanken habe, daß ich mich nicht zu lassen weiß. An allem ist mein Herr William schuld; er ist nicht mehr so freundlich gegen mich, wie sonst, er bekümmert sich wenig um mich, ja, Thomas, er lacht mich sogar manchmal aus, ob ich doch gleich um viele Jahre älter bin, als er. Du wirst gewiß nicht sagen können, daß er daran recht tut. Neulich kam mir das Weinen in die Augen, daß ich es nicht verstecken konnte, und da lachte er noch weit mehr. Mag ihm das Gott vergeben, so wie ich es ihm vergeben habe. Auch ist hier keine rechte Kirche für unsereinen, das ist schlimm, mein Herr geht oft in die Messe, doch hoffe ich immer noch, er tut es mehr der Weiber wegen, denn wenn er gar Andacht da hätte und katholisch würde, nein,[356] Thomas, das könnt ich nimmermehr verwinden. Und es ist ein verführerisches Wesen mit dem Singsang und den prächtigen Kleidern; ja, lieber Bruder, ich habe mich wohl auch hinein verleiten lassen, und habe ein – oder zweimal (erschrick nur nicht), selbst eine Art von Andacht gespürt. Das darf nicht wieder kommen. Ei, wenn ich meine rechtgläubige, englische Gottesfurcht nicht wieder ganz heil und gesund mit mir zurückbrächte, was würdest Du oder jeder Christ von mir denken müssen?

Ich will nur zu schreiben aufhören, um Dir nur nicht noch mehr vorzuklagen. Aber ich wünschte, ich säße bei Dir in unserm frommen England; wenn es anginge, möchte ich wohl zurückreisen: wie froh wollt ich Dich in meine alten Arme nehmen und mit einer Freude, wie ein kleines Kind, ausrufen: Gottlob, daß ich wieder da bin, daß ich Dich wiederhabe! – Nun so lebe wohl, gebe der Himmel nur, daß wir uns noch einmal wiedersehn!

Quelle:
Ludwig Tieck: Werke in vier Bänden, Band 1, München 1963, S. 355-357.
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