19. Betty an Amalie

[613] Bondly.


O liebste, liebste Freundin! Ich kann Ihnen noch immer nicht beschreiben, wie mir zumute ist. – Wir haben Sie recht hieher gewünscht und Ihre Kränklichkeit recht bedauert; bei der Hochzeit nämlich. Mein Vater hat mir freilich wohl gesagt, ich soll mich in meinem Glücke nicht übernehmen, aber das läßt sich leicht sagen und schwer tun. Ich weiß immer noch nicht, wie mir zumute ist, ich ziehe mich manchmal am Arme, um zu erwachen. Wenn ich im Garten oder im Dorfe spazierengehe, so grüßen mich alle Leute sehr freundlich, und betrachten mich als ihre Herrschaft; Eduard darf ich bei seinem Vornamen und ihn Du nennen, denselben Menschen, den ich bis jetzt nur aus der Ferne, wie eine Gottheit, angebetet habe. Mein Vater ist fröhlich und hat einigemal vor Rührung geweint, mit seinen schwachen Augen kannte er mich gestern in den neuen Kleidern selbst nicht – ach, liebste Freundin, kann man wohl dem Himmel für eine solche Veränderung genug danken? Gewiß nicht. Wenn doch meine Mutter noch lebte und alle diese Herrlichkeiten sähe! Die ist nun im Kummer und Elend gestorben, und jetzt könnte ich sie so schön trösten. Aber es hat nicht sein sollen, und es ist, so wie es ist, schon Glück genug. – Wer hätte das damals gedacht, als Sie mich und meinen Vater mit so himmlischer Güte in unsrer Armut unterstützten? Oh, und Eduard ist ein himmlischer Mensch; er läßt es mich gar nicht fühlen, daß ich ohne ihn nichts war, er[613] spricht mit mir, als wenn ich sein Glück gemacht hätte. So gute Menschen, wie ihn, gibt es gewiß nicht viele. – Sie hätten nur hier den Aufwand bei der Hochzeit sehen sollen; nun, Herr Mortimer kann Ihnen ja erzählen, ob es nicht kostbar war. – Besuchen Sie uns doch sobald Sie können. –

Quelle:
Ludwig Tieck: Werke in vier Bänden, Band 1, München 1963, S. 613-614.
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