4. Francesco an William Lovell

[512] Rom.


Sie waren gestern ganz ohne Zweifel böse auf mich, weil ich Sie mit Adriano bei Ihrer Bianca störte, aber ich hoffe, ich habe mich doch schnell genug wieder entfernt, daß Sie nicht unversöhnlich sein werden. Ich reiche Ihnen mit aller meiner Gutmütigkeit die Hand zum Frieden, denn es wäre unverzeihlich, wenn wir beide noch vor Ihrer Abreise Feinde werden sollten.

Wenn ich nicht etwas zu fett wäre, so würde ich Sie begleiten und bei der Gelegenheit auch einmal andre Länder, als Italien zu sehn bekommen; aber so bin ich in mir selber gefangen, denn das Reisen bekömmt mir nie. Sonderbar, daß wenn man es sich gut schmecken läßt, man es nachher mühsam findet, einen Berg zu erklettern. – Indessen es lassen sich nicht alle Genüsse und alle Vortrefflichkeiten verbinden.

Wenn ich mir meine neugierige Seele denke, die so in schweren unbeholfenen Fesseln sitzt, und doch gern manches Neue lernen und erfahren möchte, so bekomme ich ein wahres Mitleiden mit mir selber. Als ich noch zuweilen weit zu Fuße ging, nahm ich mir vor, den größten Teil der Welt recht genau zu betrachten, und jetzt habe ich nun alles im verjüngten Maßstabe, in Kupferstichen vor mir und muß mich daran begnügen. – Doch, was hat man von einer ganzen Reise, wenn man wiederkömmt?

Trinken Sie ja nicht gleich kalt Wasser, wenn Sie aus dem Wagen oder vom Pferde steigen, denn ich habe es aus eigner Erfahrung, daß das sehr schädlich ist.

Bleiben Sie einem Frauenzimmer zu Gefallen nie einen Tag länger an einem Orte; man hat nur Undank davon.

Lassen Sie fleißig nachsehn, ob keine Linse am Wagen fehlt, damit Ihnen nicht plötzlich ein Rad abläuft und Sie einen gewaltigen Stoß bekommen.

Nehmen Sie auf jeden Fall einige Flaschen vorzüglich guten Wein mit, man weiß sonst manchmal nicht, was man in den schlechten Wirtshäusern anfangen soll, wo man oft in den miserabelsten[512] Speisen die Zähne bewegt, um nur mit dem Wirte keine Händel zu bekommen.

Die Postillione sind am besten, wenn sie halb betrunken sind.

Wenn Sie Ihren Freunden Naturseltenheiten mitbringen sollen, so ist es am bequemsten, daß Sie diese auf der letzten Station kaufen, und dann schwören, Sie hätten sie mit eigenen Händen aus dem oder dem Berge gebrochen; man kann manchen Leuten damit eine sehr fröhliche Stunde machen.

Nehmen Sie sich besonders vor dem Morgentau in acht; es ist widerwärtig, auf einer Reise krank zu werden.

Unterlassen Sie es nie, an die Aufwärterinnen einige Liebkosungen wegzuwerfen, Sie bekommen durch dieses Hausmittel allenthalben weit bessere Suppen.

Die Rechnungen der Wirte braucht man nie zu überrechnen, denn richtig addiert werden sie selbst vom Einfältigsten; man spart beim Einsteigen in den Wagen damit einige Zeit.

Ihren Bedienten behandeln Sie ja recht schlecht, sonst ist er auf der Reise Ihr Herr. In einem fremden Lande können Sie ihm am meisten bieten, weil er schon Gott dafür danken wird, wenn Sie ihn nur wieder zurückbringen.

Ich halte Sie für meinen wahren Freund, denn ich bin wenigstens der Ihrige, und darum habe ich Ihnen einige Kenntnisse mitgeteilt, die ich mir ehemals auf meinen Reisen abstrahiert habe. Der ganze Brief macht wenigstens, daß Sie auf der Reise vielleicht an mich zuweilen denken; damit habe ich schon genug und übergenug gewonnen, und gegen unsern Andrea will ich recht damit prahlen, daß ich Ihnen manchen vortrefflichen Rat auf den Weg gegeben habe.

Besuchen Sie mich aber noch morgen abend, Sie werden eine Gesellschaft von lustigen Freunden finden.

Quelle:
Ludwig Tieck: Werke in vier Bänden, Band 1, München 1963, S. 512-513.
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