4. Rosa an William Lovell

[382] Neapel.


Ihr Brief hat mich sehr amüsiert, lieber Freund; er macht so ein wahres Gemälde des Menschen aus, daß ich ihn oft gelesen habe. – Vorzüglich lustig ist die Schwermut, mit der er anhebt; und der Übergang aus diesem Adagio in das gesetzte und feste Andante ist so überraschend und doch so natürlich, daß mir alles so deutlich war, als hätte ich es selbst geschrieben. Ich denke, Sie werden noch öfter ähnliche Erfahrungen an sich machen, und die Klagen werden sich, wenn Sie sonst wollen, ebenso kalt und philosophisch schließen, wie dieser Brief es tut. Es ist leider ebenso demütigend als wahr, daß bei Ihrer Melancholie nicht die philosophische, sondern die medizinische Untersuchung die richtigere war. Bianca hat Sie von einer Krankheit geheilt, die kein Weiser, kein Dichter, kein Spaziergang, kein Gemälde, keine Musik heilen konnte.

Die klemmende unbekannte Sehnsucht, die so oft den Busen des Jünglings und des aufkeimenden Mädchens zusammenzieht, was ist sie anders, als das Vorgefühl der Liebe? Und was ist die Liebe mit allen ihren fröhlichen Qualen und ihren peinigenden Freuden weiter, als das Drängen nach dem Genusse, dem Ziele, nach welchem jeder rennt, ohne es zu glauben? Meinen Sie nicht, daß wenn man den Petrarka in seine Muttersprache übersetzte, seine langweiligen Gedichte die lustigste Lektüre von der Welt sein müßten?

Grüßen Sie Bianca von mir und weihen Sie ihr eine Ihrer feurigsten Oden, denn sie hat es um Sie verdient. Diese Mädchen verdienen nicht nur mit dem Rosenkranze der Liebe, sondern auch mit der eichenlaubigen Bürgerkrone geschmückt zu werden. Dante war gewiß ebenso enthaltsam, als Sie, sonst hätte er sein finsteres Gedicht nicht geschrieben, an dessen Existenz wir nichts gewonnen haben: folgen Sie meinem Rate, denn nur der Phlegmatische wird nicht bei einer ähnlichen Art zu leben düster und melancholisch.

Ich sehe die Gegenden um Neapel und die Mädchen der Stadt mehr, als den finstern Balder, der wie eine Mumie in einer Katakombe in seinem Zimmer liegt, und selbst das Licht der Sonne verachtet, weil es ihm ein Bild der Fröhlichkeit ist. – Ich möchte, wenn ich ein Dichter wäre, nichts als lachende Satiren schreiben,[382] ohne Bitterkeit und schiefe Spitzen; wenn man die Menschen genauer ansieht, so gibt es keinen, den man bemitleiden kann, sie erschüttern nur das Zwerchfell und die Tränen sind bei den Menschen nur eine andre Art zu lachen, ebenso wollüstig, ohne traurig zu machen. Beides Schwäche, aber liebenswürdige Schwäche der Muskeln, ein Krampf, ohne den die Gesichter ganz ihre Mannigfaltigkeit verlieren würden. Ihr Shakespeare hat nie so etwas Wahres gesagt, als wenn er den Puck zum Oberon sagen läßt:


Lord, what fools these mortals be!


Lesen Sie die Stelle und den ganzen Zusammenhang im Midsummernight's dream, sie ist der beste Kommentar über meine Meinung.

Quelle:
Ludwig Tieck: Werke in vier Bänden, Band 1, München 1963, S. 382-383.
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