40. Rosaline an Antonio

[434] Du kannst das Lied vom Antonio nicht leiden? Mein liebstes Lied, weil es Deinen Namen führt? Ach, Lieber, wie unrecht tust Du mir! Dir zum Possen soll ich es singen, und ich will mich dadurch trösten, weil ich nicht wieder herausgehen konnte. Die Mutter war böse und hatte mir es streng verboten, und ich muß ihr doch gehorchen. Sie will nicht gern, daß ich so viel bei Dir bin. Nein, wenn es Dir nicht gefällt, will ich das Lied nie mehr spielen,[434] sosehr ich es auch liebe. Ich Dich kränken! Ach, Antonio, wie sollt ich das können? – Wenn Du da bist, schäm ich mich nur immer zu sagen, wie gut ich Dir bin: man hat keine Worte dazu, ich müßte neue ausdenken. Aber wenn Du so weggegangen bist, und ich Dir nun nachsehe, oder wenn ich einen Deiner Briefe lese, sieh, so kehrt sich mir das ganze Herz um, und ich möchte Dir nachrennen, Dich vor der ganzen Welt in meine Arme drücken, Dein liebes Gesicht küssen, und in Tränen vergehn und rufen: Ja, Menschen seht es, Bäume und Berge hört es, so, so lieb ich ihn; was kümmert ihr mich alle, wenn er mir nur, der einzig Teure in der Welt, übrigbleibt? Sieh, wenn Du nichts nach mir fragtest; so könnt ich zu Deinen Füßen niederknien, und um Deine Liebe bitten; ich könnte meine Religion verlassen und nicht mehr zur göttlichen Madonne beten, wenn Du es wolltest: ich könnte mit Dir in fremde, wüste Länder ziehn, wo man andre Sprachen spricht, wo, wie man mir einst erzählt hat, Eis und Winter fast immer die Luft zusammenzieht; o ich könnte für Dich sterben – alles, alles, nur Dich nicht vergessen, nur nicht Deinen Tod, oder Deine Verachtung überleben. – Ach, kannst Du mich noch unempfindlich und undankbar schelten? Kannst Du noch auf mein liebes Lied böse sein?

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Ludwig Tieck: Werke in vier Bänden, Band 1, München 1963, S. 434-435.
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