16. Mortimer an Eduard Burton

[662] Roger Place.


Ich wünsche Ihnen Glück und zwar recht von Herzen. Wir können jetzt ein recht schönes Parallelleben führen, und so langsam und unvermerkt in das Alter hineinkriechen. Es gibt eine Periode im Leben, in der der Mensch plötzlich alt und reif wird; bei manchen Menschen bleibt diese Periode freilich ganz aus, sie bleiben immer nur Subalternen in der großen Armee, ihnen ist es nie vergönnt, den Plan und die Absicht des Ganzen zu übersehn, sondern sie müssen sich unter elenden Mutmaßungen und lächerlichen Hypothesen abquälen; sie werden immer fortgetrieben, ohne daß sie wissen, wohin sie kommen: ich glaube, daß wir beide uns freier umsehn können und jetzt in den Zufällen selbst das Notwendige entdecken, die Rechenschaft von ihnen zu fordern verstehn, warum sie so und nicht anders eintreten. Insofern die Kunst, glücklich zu sein, die Kunst ist, zu leben, insofern besitzen wir diese Kunst.

Sie haben doch auch den Vorsatz, sich bei Ihrem Kinde nicht auf eine sogenannte gute oder feine Erziehung einzulassen, keine von den jetzigen Moden mitzumachen, die schon die Kinderseelen im achten Jahre mit Eitelkeit füllen und sie durch diese verderben. Ich habe beschlossen, meinen Georg ganz einfach aufwachsen zu lassen, ich hoffe, er soll auf die Art am ersten ein guter und einfacher Mensch werden; Kinder merken nichts leichter, als wenn sie mit einer gewissen Wichtigkeit behandelt werden; dies ist die Ursache, warum viele sich schon früh selbst sehr wichtig vorkommen, jede Art von Affektation wird dadurch bei ihnen erzeugt, sie halten sich für Genies und außerordentliche Menschen, und denken nie daran, sich und der Welt Beweise davon zu geben. Ich bin überzeugt, daß Lovell von seinem Vater mit zu vieler Sorgfalt erzogen wurde, und daß dies die erste Quelle seiner Torheit und seines Unglücks war. Die Liebe der Eltern artet gar zu leicht in etwas aus, das keine Liebe mehr ist, sondern an lächerliche Ziererei und Weichlichkeit grenzt, besonders wenn sie nur ein einziges Kind haben: dies soll dann mit allen Vortrefflichkeiten überladen werden, es darf sich nicht der kleinsten Zugluft des gemeineren Lebens aussetzen, die doch so oft dazu dient, unsern Geist abzuhärten und ihn männlich zu machen, und daher kömmt es denn, daß wir an diesen Sonntagsgeschöpfen[662] meistenteils so wenig Energie und Kraft bemerken; ein Mensch, der Geschwister hat, ist schon deswegen glücklicher. Ich wurde offenbar nur deswegen besser als meine gestorbenen Brüder, weil mich meine Eltern vernachlässigten, ja fast verachteten; sie glaubten, ihre Sorgfalt sei an mir doch verloren, und daher gaben sie mir die Erlaubnis, mich selbst erziehn zu dürfen: ich erzog mich freilich durch Ungezogenheiten, aber immer noch besser, als ganz verzogen zu werden. Ich ward häufiger gedemütigt, als meine Brüder, und eben dadurch stolzer; ein gewisser Stolz ist die Feder, die den Menschen in den Gang bringt, die den Wunsch in ihm erzeugt, von keinen fremden Meinungen und Gesichtern abzuhängen, und die ihm die Kraft gibt, diesen Wunsch sich selber zu erfüllen.

Wenn wir nun alt sind, erleben wir vielleicht die Freude, daß unsre Kinder sich verheiraten. Doch, ich will mir das nicht in den Kopf setzen, wenn diese Kinder nicht selbst auf den Gedanken kommen sollten, wenn sie nämlich die Zeit erleben, in der der Mensch sich verlieben muß. Man sollte überhaupt keine Plane für die Zukunft machen, am wenigsten solche, deren Ausführung nicht von uns selber abhängt. – Ich bemerke aber, daß ich, seit ich Vater geworden bin, unaufhörlich in Sentenzen spreche; eine Sache, die ich sonst nie an einem andern Menschen leiden konnte, denn es ist im Grunde nichts weiter, als die Sucht, sich selbst immer in kleine Stücke zu zersägen und beständig Proben von unsrer Vortrefflichkeit herumzureichen: unsern Geist in vielen Silhouetten abzuzeichnen und diese dann aus dem Fenster an die Vorübergehenden auszuteilen. Dies ist die Schwäche, wodurch manche Menschen so unausstehlich werden, als ein moralischer Schriftsteller im Umgange nur sein kann, der uns immer seine längstvergessenen Bücher repetiert.

Jetzt will ich auf Ihren Vorschlag kommen. Der Gedanke ist mir gewiß ebenso erfreulich, als er Ihnen nur immer sein kann; denn ich wäre beinahe schon bei dem Verkaufe von Waterhall so unverschämt gewesen, Sie zu überbieten, doch es ist besser, daß es nicht geschehn ist, denn ich kann es jetzt auf eine ehrlichere Art bekommen. Roger Place kann ich gerade jetzt unter sehr vorteilhaften Bedingungen verkaufen, und alles vereinigt sich, um mich zu bewegen, nach Waterhall zu ziehn. Amalie hat sich zwar an den hiesigen Aufenthalt sehr gewöhnt und sie liebt ihn gewiß außerordentlich, indessen hat sie mir doch schon ihre Einwilligung gegeben: sie freut sich ebenfalls sehr, Ihrer liebenswürdigen Gattin näher zu kommen. – Kurz, ich reise morgen ab, um Sie[663] zu besuchen, Waterhall zu sehn, und mich mit Ihnen über die Bedingungen zu vereinigen: ich denke aber daran, daß ich eben deswegen diesen Brief hier abbrechen kann.

Quelle:
Ludwig Tieck: Werke in vier Bänden, Band 1, München 1963, S. 662-664.
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